Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11

Die Verlobung des Grafen Kurt Bassedow auf Schloß Selchow mit Fräulein Becky Lombard auf Polchow wurde sogar in Berlin kommentiert, wohin der Geheimrat, an befreundete Gelehrte, der Graf an frühere Regimentskameraden, die er nicht wohl übergehen konnte, Karten geschickt hatten. In den gelehrten Kreisen fand man, der alte Herr in Bonn habe, indem er sich für die Tochter und Erbin einen gräflichen Gemahl aussuchte, von seiner gewohnten Klugheit keinen Beweis gegeben: der Herr Graf werde mit den pommerschen Gütern, den westphälischen Bergwerken und so weiter bald genug tabula rasa machen. Im Offizierkasino war man im Gegenteil der Ansicht: die jüdische Dame – denn Becky heiße doch zweifellos auf deutsch Rebekka – brauche für ihre Groschens keine Sorge zu tragen: Bassedow habe immer verdammt genau gewußt, wie viel von der Sorte auf einen Thaler gehen. Selbst bei Hofe sprach man von der Sache. Die Bassedows waren ein zu altes Geschlecht, als daß man sich für den letzten des Stammes nicht hätte interessieren sollen. Zwar nicht sonderlich für den in seinem Regiment wenig beliebten Rittmeister, dem sein Vaurien von Vater das reiche Erbe durchgebracht hatte, wohl aber für den Großgrundbesitzer, dem noch dazu eine sichtbare Fügung des Himmels zu den identischen alten Bassedowschen Gütern verhalf, auf welchen letzteren Punkt der Kammerherr Baron Zarrentien, der, als Neuvorpommer, die Lage der Dinge da oben kennen mußte, mit Recht einen starken Accent legte. Man bedauerte freilich, daß die Dame eine Jüdin sei; wies aber die Bemerkung des wegen seiner scharfen Zunge berüchtigten Flügeladjutanten von Sylow: das sei doch schließlich keine mehr ganz unbekannte Methode, »sich in Verlegenheiten Luft zu machen«, als etwas stark frivol zurück. Die Angelegenheit spielte sogar auf die politische Sphäre hinüber. Die Opposition, welche Graf Szwykowski der Regierung auf staatlichem und kirchlichem Gebiet machte, hatte in letzter Zeit einen geradezu bedrohlichen Charakter angenommen. Mit Gewalt konnte und wollte man gegen den ebenso klugen wie mächtigen Grandseigneur nicht vorgehen. Vielleicht, daß sein Schwager Bassedow, der jetzt unbedingt in den Reichstag mußte, sich gegen ihn ausspielen ließ.

Setzte nun schon in Berlin das merkwürdige Ereignis die Zungen in Bewegung, war es im zweimeiligen Umkreis von Selchow und Polchow das Tagesgespräch von Hoch und Niedrig. Im allgemeinen war die Stimmung sehr günstig. Von den Standesgenossen war es nur Graf Grieben-Griebenow, der »die Sache ridikül, um nicht zu sagen: lächerlich« fand. Aber man wußte, daß der alte Herr seiner Zeit in Polchow nicht angenommen worden war, und hielt ihm deshalb seinen Zorn zu gute. Becky hatte bei den Besuchen, die man sich während der Krankheit des Grafen hinüber und herüber abgestattet, wenigstens den Herren sehr wohl gefallen, was man von den Damen freilich nicht gleicherweise sagen konnte. Indessen eine Gräfin Bassedow durfte man unter keinen Umständen en bagatelle behandeln; und es stand ja zu hoffen, daß sie sich als solche »nach und nach die nötigen Allüren aneignen werde, die ihr jetzt allerdings noch in beklagenswerter Weise fehlten.«

Lieschen von Bornfeld sagte: »Die Gänse!«

In den Familien der kleineren Gutsbesitzer, Domänen- und Klostergutspächter, den Gaststuben der Wirtshäuser auf den Dörfern, selbst in dem Honoratioren-Zimmer bei Witte in Greifswald wurde in langen, eifrigen, nicht selten in offenen Zank und Streit ausartenden Debatten erörtert und berechnet, wie groß in Bausch und Bogen der Wert der fünf Güter mit ihren sehr bedeutenden Vorwerken sei, die dem Grafen Bassedow nun durch seine Heirat zufielen. Man einigte sich schließlich meistens auf drei Millionen, ein paar hunderttausend mehr oder weniger. Wobei man aber nicht vergessen wolle, daß die pommerschen Besitzungen nur einen, verhältnismäßig sogar kleinen Teil, von dem Vermögen des alten Geheimrats in Bonn ausmachten, das man am Rhein, wo man es doch wissen müsse, auf rund zwanzig Millionen schätze. Auf alle Fälle sei der Herr Graf »fein heraus«.

Die kleinen und ganz kleinen Leute gaben der in Aussicht stehenden Heirat ihre ungeteilte Zustimmung. Jetzt komme die Sache wieder in Schick. Grafen Bassedows habe es im Lande gegeben, solange Menschen zurückdenken könnten. Der Schäfer Zander in Candelin behauptete sogar, sie seien älter als die preußischen Könige. Er habe freilich seine Fünfundneunzig auf dem Buckel; aber das sei am Ende doch zu weit gegangen, meinten andere. Immerhin, wenn man zu einem Grafen Bassedow: »Gnädiger Herr!« sage, so sei er ein gnädiger Herr. Wenn sich aber Fräulein Lombard »gnädiges Fräulein« schimpfen lasse – na! ein richtiges gnädiges Fräulein werde die dadurch noch lange nicht.

*

Mit der Versendung der Verlobungsanzeigen hatte man auf Wunsch des Grafen einige Tage gezögert. Er hielt dafür, daß zuvor an den Geheimrat in Bonn geschrieben werden müsse. Beckys Einwand, über den Ausfall dieser Antwort könne ja gar kein Zweifel bestehen, ließ er nicht gelten. Und wäre es nur eine Form – auch der Form müsse man Rechnung tragen. Becky berührte es seltsam, daß die Ansicht eines anderen mehr Geltung habe solle, als die ihre; aber ein etwas von der großen seelischen Erregung des Abends in Selchow, der mit der Scene auf der Galerie der Kapelle seinen Abschluß fand, zitterte noch in ihr nach und hieß sie den doch nicht leicht gewordenen Sieg mit Vorsicht ausbeuten. Dem Grafen hatte die Abfassung seines Briefes einige Mühe gekostet. Er mußte mehrere Ansätze machen, bevor er den rechten Ton gefunden zu haben glaubte: voll Ehrerbietung, wie sie sich einem würdigen Greise gegenüber ziemte; doch voll Bewußtsein des eigenen Wertes ohne Überhebung. Dann war da noch ein Punkt, der ihm schweres Kopfzerbrechen verursachte. Gestern hatte Becky zum erstenmal darauf angespielt, daß sie nicht Christin sei. Ganz flüchtig nur; absichtlich flüchtig, wie es ihm schien. Er war ihr dankbar dafür gewesen: so war doch endlich die wunderliche Ungewißheit gehoben, in der er sich die ganze Zeit hindurch über eine so gewichtige Frage befunden. Verfolgt hatte er die Sache weiter nicht. Wie sie zum Austrag kommen mußte, darüber konnte es ja keine Verschiedenheit der Ansichten geben. Ein anderes war es, ob es die Schicklichkeit nicht erfordere, gegen den Vater, der durchaus den Eindruck eines gläubigen Juden auf ihn gemacht hatte, die Angelegenheit wenigstens zu erwähnen. Nach längerem Besinnen stand er davon ab. Er wollte auch nicht den Anschein aufkommen lassen, als gäbe es für die Frage mehr als eine Möglichkeit der Lösung.

Sein und Beckys Brief waren zugleich abgegangen; die Antworten des Geheimrats trafen zu derselben Zeit ein. Auf den Grafen machte die ihm zu teil gewordene den besten Eindruck. Der Geheimrat schrieb: es sei der große Wunsch seines Lebens gewesen, das einzige Kind, welches der Himmel ihm beschieden, glücklich zu sehen. Er hege nicht den mindesten Zweifel, daß dieser Wunsch nun in schönste Erfüllung gehen werde. Verstattet möge es ihm noch sein, hinzuzufügen, wie sehr es ihn freue, den Sohn in Zukunft auf denselben Gütern als Herrn zu wissen, die, wäre es nach ihm gegangen, niemals aus dem Besitz des Vaters gekommen wären. Der Graf fand diese Wendung von einer rührenden Feinheit. Becky sah darin eine Konzession, die sie ihrerseits nicht gemacht haben würde. Als ob sie die Güter zu Unrecht besessen hätten! Und sie jetzt zu dem rechtmäßigen Besitzer nach Gottes weisem Ratschluß zurückkehrten! Was sich nur der Vater dabei dachte, wenn er so etwas schrieb! Hatte er denn gar kein Verständnis für das Wort, das sie ihm an jenem Abend sagte, als sie ihn zum Mitwisser ihrer Absicht machte: sei überzeugt: ich werde die Herrin bleiben!

Das behielt sie freilich für sich, als sie nun dem Verlobten vorlas, was der Vater ihr geschrieben. Der Brief war aus demselben Ton, nur noch herzlicher, weniger formell. Der Graf fragte, wer der Professor Rehfeld sei, an den der Papa eine Verlobungsanzeige geschickt wünschte? Und was es mit dem »Liebling« für eine Bewandtnis habe, den er, wenn er in acht Tagen komme, seine Glückwünsche persönlich darzubringen, auf Polchow vorzufinden hoffe? Er erfuhr, der Professor sei ein bevorzugter Schüler des Papas, der ihr als Student in Bonn leidenschaftliche Gedichte gemacht habe; der »Liebling« ein junges Dämchen in Greifswald, Tochter eines Professors, der nebenbei auch in der Krankheit des Grafen ein paarmal konsultiert worden sei; klein, zierlich, mit blauen, ins Grünliche schillernden Augen, die sich stets über alles wunderten; nicht übermäßig gescheit, aber eine gutes bescheidenes Kind, das ihnen sicherlich nicht beschwerlich fallen werde.

Die in so nahe Aussicht gestellte Ankunft des Geheimrats brachte die Frage aufs Tapet, ob man mit den nötigen Besuchen in der Nachbarschaft bis dahin warten, oder sie noch vorher machen solle, um sich dem Vater, der voraussichtlich doch nur kurze Zeit bleiben werde, dann besser widmen zu können. Dabei ergab sich abermals eine Meinungsverschiedenheit, die Becky, trotzdem sie sich wiederum nichts merken ließ, sehr tief berührte. Sie hatte als selbstverständlich angenommen, daß diese Besuche in ihrer Equipage mit ihrem Kutscher und Diener gemacht werden würden, und mußte sich nun sagen lassen – wenn auch in der rücksichtsvollsten Weise mit den höflichsten Wendungen – es sei das nicht wohl angänglich. Er könne als Graf Bassedow bei seinen Standesgenossen mit seiner Braut nicht in deren Wagen, sondern nur in seinem eigenen und mit seinen eigenen Leuten vorfahren. Oder doch wenigstens in einem Wagen und mit Leuten, die von ihm bezahlt seien. Er habe so wie so die Absicht gehabt, jener Besuche wegen, die er ja für seine Person doch hätte machen müssen, eine voiture de remise aus Greifswald für ein paar Wochen nach Selchow kommen zu lassen. Sogar mit der Idee, sich zu einem Kammerdiener aufzuschwingen, habe er sich bereits getragen; und die wolle er jetzt auch ausführen, da sein braver Peters, je länger, je mehr, sich zu einem solchen Posten als völlig ungeeignet erweise. Die Sache lasse sich auf diese Weise ganz sicher in kürzester Frist arrangieren. Becky hätte gern erwidert, daß ihre Übung, in Mietwagen zu fahren, nur eine sehr geringe sei, und sie das ganze vorgeschlagene Arrangement für eine lächerliche Komödie halte, da später ja doch alles und jedes nicht aus des Herrn Grafen Bassedow, sondern aus ihrer Tasche bezahlt werden würde.

Aber aus der Sache eine Kabinettsfrage zu machen, dazu war sie zu unbedeutend. Sie wollte ihre Kraft für eine große Gelegenheit aufsparen, die früher oder später kommen mußte.

Mit einer Unbefangenheit, als verstehe es sich von selbst, und ein Widerspruch sei ausgeschlossen, setzte der Graf seine Absichten ins Werk. Peters besorgte aus Greifswald einen ganz stattlichen Landauer mit einem behäbigen Kutscher und zwei großen Füchsen, die einmal besser gewesen waren, aber sich noch immer gut machten. Auf eine Annonce in der Greifswalder Zeitung meldeten sich sechs Leute, unter denen einer in der Mitte der Vierzig, der nur bei vornehmen Herren gedient und vortreffliche Zeugnisse aufzuweisen hatte, als der geeignetste gewählt wurde. Wieprecht erhielt keine Livree, sondern zwei schickliche schwarze Kammerdieneranzüge, von denen er den einen außerhalb des Hauses, den anderen – mit Kniehosen und seidenen Strümpfen – beim Dienst im Hause zu tragen hatte.

So war bereits nach wenigen Tagen alles in bester Ordnung für die Besuche, die denn auch alsbald angetreten wurden.

*

Dabei wurde Becky eine Beobachtung nicht erspart, die ihr eine Demütigung brachte, noch viel empfindlicher, als was sie bis dahin bereits in ihrer Seele heimlich hatte dulden müssen.

Sie erinnerte sich sehr genau des Empfanges, der ihr in den verschiedenen Häusern zu teil geworden, als sie vor einigen Wochen mit ihrem Vater dieselben Besuche gemacht hatte. Sie war durchaus die Hauptperson gewesen; ihren Vater, dessen wissenschaftliche Bedeutung diese Leute natürlich nicht zu würdigen wußten, hatte man als anständige Begleitung und Zugabe aufgefaßt. Die Gespräche hatten sich allerdings vielfach um den Grafen gedreht, der in ihrem Hause krank lag; aber man hatte doch auch für sie persönlich ein lebhaftes Interesse gezeigt; die Damen hatten ihre Toilette bewundert, die Herren mit intimeren Komplimenten nicht gespart. Und jetzt war sie, jetzt kam sie als Braut des Grafen; da mußte sich doch die ihr gezollte Aufmerksamkeit verdoppeln! Das genaue Gegenteil trat ein. Alles Interesse konzentrierte sich auf den Grafen; sie kam sich mehr als einmal als gar nicht vorhanden vor. Welche Absichten der Graf für die Zukunft habe? Wie er sich das Leben einzurichten gedenke? Ob er im Winter einige Monate in Berlin leben und dann – selbstverständlich – zu Hof gehen werde? Natürlich habe er noch von früher dort eine Menge Verbindungen bis in die höchsten Kreise hinauf. Dergleichen könne selbst jemand in seiner gesellschaftlichen Stellung immer brauchen, besonders, wenn es sich um politische und Parteiinteressen handle, die man bekanntlich durch eine Unterhaltung tête-à-tête viel nachdrücklicher zu fördern vermöge, als durch die längsten Kammerreden. Die darum nicht ausgeschlossen seien! durchaus nicht! Man rechne sogar nach dieser Seite sehr stark auf ihn, der durchaus bei den nächsten Wahlen für den Reichstags kandidieren müsse. Die Partei brauche Männer, die sich durch das Geschrei des liberalen Janhagels nicht schrecken ließen und den Börsenjobbern kräftig auf die schmutzigen Finger klopften.

Dann kamen persönliche Beziehungen an die Reihe: Sie kennen doch, Graf, den blonden Wimpfen von den ersten Dragonern? Das ist ein Bruder meiner Frau. Und den Major Breitenbach vom zweiten Garderegiment? Nein? Wie schade! Ein Vetter von mir. Bißchen sehr flott; aber ein ganz famoser Kerl. Werde mit Ihrer Erlaubnis dafür sorgen, daß er sich Ihnen gelegentlich vorstellt. Und dann gehen Sie mit ihm zu Dressel! Er komponiert Ihnen ein Menu, wie selbst Sie es noch nicht gegessen haben!

Und sie, Becky, saß dabei und mochte zuhören! Es ist wahr, Kurt lenkte dann wohl das Gespräch auf sie, und man ging auch darauf ein. Aber offenbar nur aus Höflichkeit, und war bald wieder in dem alten Geleise. Nach ihrem Vater hatte sich auch nicht einer erkundigt. Er existierte augenscheinlich für diese Herrschaften nicht mehr! Was galt es ihr, daß Kurt hernach im Wagen ihre Hände mit Küssen bedeckte und ihr schwur, er liebe sie womöglich mit jedem Tage heißer, inniger? Es hatte sie nicht nach seinen Küssen, nicht nach seiner Liebe verlangt. Nach Triumphen, zu denen er ihr verhelfen sollte. Sie schien sich in dem Mittel vergriffen zu haben. Dies war entschieden das rechte nicht.

Nur bei den Bornfelds auf Lassow fand sie die Aufnahme, die sie wünschte. Leider waren die Leute, als notorisch wenig wohlhabend, eigentlich of no consequence, und sie hatte sich vorgenommen, den Verkehr mit ihnen auf das eben Notwendige zu beschränken. Sie fand sie plötzlich hervorragend liebenswürdig und bat Lieschen, als die Herren gegangen waren, sich Bornfelds Kutschpferde anzusehen, um ihre Freundschaft, die ihr Lieschen unter wiederholten Küssen auf ewig zusicherte.

Den Besuch bei dem alten Grafen Grieben hatte sie Kurt allein machen lassen, was dieser ganz in der Ordnung fand. Wiederum zu ihrem Ärger. Die Grieben waren weitaus die vornehmste Familie im Lande, oder rangierten wenigstens unmittelbar neben den Bassedows, die freilich älter waren, aber auch in ihrer besten Zeit niemals als so reich gegolten hatten. Sie hatte gehofft, Kurt werde sie bitten, die Rücksichtslosigkeit des alten Herrn, ohne die Gräfin bei ihr vorzufahren, freundlich zu vergessen. Nichts desgleichen. Kurt besaß offenbar kein Verständnis für ihre Situation. Oder die, welche er ihr schaffen sollte. Ihr zu schaffen verpflichtet war.

*

Aber was sie fast noch mehr empörte: sie glaubte zu bemerken, daß in ihrem eigenen Hause, vor ihren eigenen Leuten ihr Ansehen, anstatt sich zu heben, zu sinken begann. Man hatte es ihr nie an Respekt fehlen lassen; aber der, welchen man dem Grafen erwies, war doch ein anderer, tieferer, als habe man es nun mit dem wahren Herrn zu thun. Fuhr oder ritt sie mit ihm durch die Felder zu den Arbeitern, flogen die Mützen den Männern nur so von den Köpfen und die Weiber verzogen ihre breiten Lippen zu ganz besonders ehrfurchtsvollem Grinsen. Kam sie mit ihm in die Ställe, nahmen die Kutscher und Reitknechte sich zusammen, wie die Soldaten beim Salutieren der Offiziere; und ihr: Ja, Herr Graf! Nein, Herr Graf! Zu Befehl, Herr Graf! hatte einen ganz besonderen Klang unbedingten Gehorsams. Selbst aus dem Benehmen der beiden Inspektoren ihm gegenüber fühlte sie die achtungsvollere Nuance heraus. Daß Arndt seinen ehemaligen Rittmeister, vor dem er so oft gezittert haben mochte, als ein Wesen höherer Art betrachtete und sich selbst um ein paar Rangstufen höher gerückt glaubte, so oft er sich mit ihm an denselben Tisch setzen durfte, ließ sich allenfalls begreifen. Aber warum kam in Pasedags stumpfe Augen ein helleres Licht, wenn der Graf ihn nach diesem und jenem auf die Wirtschaft Bezüglichen fragte? warum konnte der sonst so Wortkarge dann ganz redselig werden und eine Menge Kenntnisse auskramen, ans denen er ihr gegenüber stets ein Geheimnis gemacht hatte?

Und wäre es nur die größere Devotion gewesen – das hätte sie verstanden. Aber in dieser Devotion war eine Freudigkeit, Herzlichkeit, eine augenscheinliche persönliche Zuneigung, die man ihr nie bewiesen. Worin konnte das liegen?

Sie brachte es nicht heraus. Einen Anspruch auf diese Zuneigung schien der Graf so wenig zu machen, wie sie selbst es je gethan. Seine Haltung war immer dieselbe höfliche, vornehm reservierte. Es mußte im Ton seiner Stimme liegen, wenn er stets zu bitten schien, und es doch auf die Menschen wie ein Befehl wirkte; in dem Blick seiner Augen, der immer so fest auf den Leuten ruhte, mit denen er sprach, und aus dem sie doch Gott weiß welch wohlwollende Freundlichkeit herauslasen.

Wie dem auch sein mochte: während der Stunden, die er in Polchow zubrachte, war sie nicht mehr die Herrin, war er der Herr, In der Zwischenzeit mochte dann sie die Regentin spielen, der man nicht ihretwillen Ehrfurcht und Gehorsam zollt, sondern weil sie einen Höheren repräsentiert.

*

Und wenn nun zu allen diesen Demütigungen eine letzte kam, vor deren bloßer Möglichkeit sie ein Schauder erfaßte?

Nach den ersten stürmischen Ergüssen war die Zärtlichkeit des Grafen in bestimmten Grenzen geblieben, wie die Wasser eines Stromes, der nach jähem Überschwellen in seine Ufer zurückgetreten ist. Sie hatte ihm dafür aufrichtigen Dank gewußt: ein Mehr nach dieser Seite hätte sie in die schlimmste Verlegenheit gesetzt. Ohne gewiß merkbare Affektation würde sie es nicht haben erwidern können; ja, Stolz und ein etwas in ihrer Natur hätten sie gezwungen, es abzulehnen. Sie hatte seinerzeit in Paris über diesen Punkt mit der ihr innig befreundeten Marie Baskirtscheff oft und eingehend gesprochen. Die beiden jungen Damen hatten sich dahin geeinigt, daß zwar die Sinnlichkeit in Bewunderung der Schönheit bis zur höchsten Ekstase sich steigern dürfe, sich in ihr aber auch erschöpfen müsse. Nur so sei es möglich, die Herrschaft über sich selbst zu bewahren, durch deren Besitz sich die vornehme Natur von der gemeinen unterscheide, für die es nur einer genügend starken Provokation bedürfe, um dies kostbarste Gut ruchlos preiszugeben. Und mit ihm die Anwartschaft und das Recht der Herrschaft über die anderen. Das aber sei der höchste Grad der Schmach: zum Sklaven derer zu werden, die von Haus aus unsere Sklaven seien.

Und jetzt kamen für Becky Momente, in denen sie sich nicht wiedererkannte; Momente, in denen ihr Auge auf seiner schlanken sehnigen Gestalt mit einem Wohlgefallen ruhte, das Marie Baskirtscheff nicht mehr rein ästhetisch genannt haben würde; Momente, in denen sie ein unheimliches Gelüst in sich aufsteigen fühlte: er möge ihr anstatt der Hand, für die er eine Schwärmerei zu haben behauptete, die Lippen küssen.

Dann aber, wo war hier das Ende der Selbsterniedrigung? Wie durfte sie andere beschuldigen, daß sie von ihr abfielen, um dem neuen Herrn zu huldigen, wenn sie nicht die Kraft hatte, sich selber treu zu bleiben? Sollte sie sich hier von Wladimir von Plat beschämen lassen?

*

Zwischen ihm und dem Grafen war das gespannte Verhältnis der ersten Tage geblieben. Nicht als ob ihn der Graf nicht höflich behandelt hatte, wie alle Welt. Aber in diese Höflichkeit mischte sich, wie Becky zu bemerken glaubte, eine geflissentliche Kühle und zur Schau getragene Gleichgültigkeit, die Wladimir zu erwidern sich bemühte, wenn auch mit entschiedenem äußeren Erfolge schon darum nicht, weil der Graf ihn um Haupteslänge überragte und so den Vorteil hatte, stets auf ihn herabsehen zu können. Dafür entschädigte er sich dann hinter dem Rücken jenes mit Bemerkungen über ihn, die harmlos genug klangen, für den Feinfühligeren aber ihre scharfe Spitze hatten. Er wagte dergleichen jetzt auch in Beckys Gegenwart; und er durfte es, weil sie sich augenscheinlich die Miene gab, es nicht zu bemerken. Ebensowenig wie die leidenschaftlich glühenden Blicke, mit denen er sie verschlang, so oft er sich unbeobachtet wußte, und gar die seltenen Male, wo sie sich allein befanden. Dann nahmen auch seine Worte eine Kühnheit an, die meinte er, sie nicht hätte dulden dürfen und nicht geduldet haben würde, wären ihr seine Huldigungen zuwider gewesen.

Sie waren es also nicht; und der junge Mann fing an, sich in abenteuerlichen Plänen zu berauschen. Der Graf war arm, fast so arm, wie er selbst. Daß das schöne ehrgeizige Mädchen nur einen Adligen heiraten würde, und des Grafen Verdienst in ihren Augen hauptsächlich sein Adel war, stand für ihn fest. Nun, von Adel war auch er; und seine Mutter stammte direkt aus einer russischen Fürstenfamilie. Weshalb da nicht er so gut, wie dieser abgehauste Graf? O ja! wenn sie ihn geliebt hätte! Er wollte nicht Wladimir heißen, wenn das der Fall war! Sie hatten in Rußland ein Sprichwort: Im Glückshemd geboren. Eine Zigeunerin hatte ihm einmal gewahrsagt: er sei so einer. Bisher hatte er nicht viel davon verspürt; eher das Gegenteil. Aber wenn es jetzt kommen wollte, das Glück! Noch war es nicht zu spät. Zwischen Lipp und Kelchesrand kann so manches liegen, so manches sich ereignen. Und was in seinen Kräften stand, daß des Verhaßten Lippe den süßen Kelchesrand nicht berührte, das sollte redlich geschehen. Darauf mochte der Graf jede beliebige Portion Gift nehmen.

*

In der Stimmung der kleinen Polchower Gesellschaft lag es wie eine elektrische Spannung, für niemand empfindlicher als für Frau Krafft. Sie hatte alles kommen sehen; darauf schwören mögen, daß es kommen würde. Nun war es da. Für keinen zum Heil. Sie konnte sich von der Überzeugung nicht losmachen, wie eifrig sie auch an ihr sanguinisches Temperament appellierte und an ihre Überzeugung, daß die Erwachsenen auch nur große Kinder seien und man an ihren Dummheiten nicht mehr Anstoß nehmen dürfe, als an denen der Kinder. Ja, wenn es bei Dummheiten bleibt! Aber wenn das kopflose Gesindel direkt in sein Verderben läuft! Hier stand die Gefahr vor der Thür; glotzte schon herein mit ihren häßlichen, wüsten Augen! Diese beiden Menschen paßten zu einander wie die Faust aufs Auge: sie hochmütig wie Lucifer, mit einem Herzen, das überhaupt gar keins war; er, der wohl eins hatte, aber es ganz gewiß immer von seinem Stolze beherrschen lassen würde. Er, verliebt, wie die Männer sind, hatte keine Ahnung davon, wie die Dinge in Wirklichkeit lagen; sie, die nicht liebte und nicht lieben konnte, wußte es genau. Oder glaubte es zu wissen und irrte sich sehr wahrscheinlich. Glaubte ihn unter ihre Füße bringen zu können und würde sich eines Tages gewaltig wundern, wenn sich herausstellte, daß er doch der Stärkere war.

Eigentlich hatte er es ja bei jeder der kleinen bisherigen Differenzen bewiesen, und Becky mußte in ihrer Weise doch auch blind sein, wenn es ihr entgangen war. Noch ganz neuerdings. Die Verlobten waren wiederholt stundenlang in Selchow gewesen, fast immer in ihrer Begleitung, da man ihr Gutachten über die Einrichtung der Wirtschaftsräume, die jetzt in das Erdgeschoß eines der Flügel des Schlosses verlegt werden sollten, zu vernehmen wünschte. Dabei war es nicht geblieben: man hatte auch ihre Ansicht über die schickliche Einteilung der Gesellschaftszimmer, deren Dekoration wissen wollen; und was denn noch sonst in endlosen Debatten erörtert wurde. Alles eigentlich zwecklos, da man täglich einen renommierten Architekten erwartete, den man sich aus Berlin verschrieben hatte, und dessen Geschmack, Erfahrung und Geschick schließlich den Ausschlag geben mußten. Es war alles noch leidlich gegangen, bis der Graf plötzlich mit der ihm eigenen höflichen Bestimmtheit erklärte, Becky überall freies Spiel zu lassen, die Bibliothek aber und zwei daranstoßende Gemächer – in dem einen hatte er bis jetzt geschlafen – als seine speciellen Wohnräume einrichten zu wollen, und zwar – wie er deutlich zu verstehen gab – auf seine Kosten. Becky war bei dieser Proposition unheimlich bleich geworden, und Frau Krafft hatte einen Ausbruch befürchtet, der glücklicherweise erst kam, als die beiden Damen nach der Rückfahrt des Abends im Salon in Polchow allein waren. Da hatte Becky dem aufgesammelten Zorn freien Lauf gegeben und Ausdrücke gebraucht, die sie in ihrem Munde nie für möglich gehalten. Natürlich hatte sie nun zum Guten geredet: das sei nun einmal Männerart. Alle seien sie Kleinigkeitskrämer. Ihr verstorbener Mann sei das reine Lamm Gottes gewesen; aber wehe dem, der ihm an seinem Schreibtisch eine Feder, einen Bleistift, eine Siegellackstange verrückt hätte! Dann wäre aus dem Lamm ein Löwe am Kap geworden. Das schade gar nichts. Im Gegenteil! Lasse man sie in solchen Bagatellen gewähren, könne man sie bei wichtigen Dingen um den Finger wickeln.

»Aber es wird grauenhaft! Er hat ja keinen Geschmack! Nicht die Spur!«

»Das kann doch wohl nicht sein, gnädiges Fräulein; oder er würde Sie nicht so grenzenlos bewundern.«

Worauf dann das gnädige Fräulein höhnisch gelächelt und etwas durch die Zähne gemurmelt hatte, was sie lieber nicht gehört haben wollte.

Ja, es stand schlimm, sehr schlimm. Solche schlimme Lagen werden manchmal besser durch die Dazwischenkunft anderer Elemente. Manchmal noch schlechter. Es hängt von den Leuten ab. Der kluge, alte prächtige Geheimrat, das liebe, harmlose, freundliche Ännchen – das waren vielleicht die Rechten.

In zwei Tagen. So lange würde es ja wohl noch halten.

* * *


 << zurück weiter >>