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Der römische König

Auf dem Marktplatze zu Erfurt war ein starker Zusammenlauf von Menschen. Kopf an Kopf standen Bürger und Kriegsleute, standen Bauern in Leinenkitteln und Ratsherren in dunkeln Gewändern, und alle Gesichter strahlten von Lustbarkeit. Weit offen waren die Fenster an den hohen Häusern ringsumher, und so oft die Menge drunten in Heilrufe ausbrach, so oft wehten von oben herab die weißen Tücher – und aus allen Gassen und Gäßlein stürmten die Buben und schrieen: »Laufet, der König ruft das Bier aus! Der König! Der Riese! Der Zwerg!«

Und langsam schritt König Rudolf gegen die Mitte des Platzes, und hinter ihm drängte sich ein Schwarm vornehmer Herren und Ritter. Langsam und gemessen schritt der römische König einher und nickte freundlich überallhin. Und immer größer wurde der Jubel, er fuhr den Leuten in die Beine, man trampelte, daß sich der Staub in Wolken emporhob, man klatschte in die Hände, man stieß einander in die Seiten, und die Gassenjugend johlte vor Lust. Und langsam schritt der greise König vorwärts, schwang in der Linken seine alte, abgegriffene Lederkappe und mit der Rechten hob er hoch empor einen gewaltigen Bierkrug.

Plötzlich blieb er stehen, ließ die Augen von der Menge hinaufschweifen zu den Fenstern, warf das kahle Haupt zurück und winkte wieder mit seiner braunen Kappe.

»Ruhe! Ruhe!« schrieen die Bürger. »Ruhe, der König will reden!« Und Stille legte sich über den Platz.

Da rief der alte König, daß es weithin zu vernehmen war: »Herbei, herbei! Ein gut Bier hat Herr Sifrid von Butstete aufgetan; des lob' ich mir Erfurt.« Und aufs neue ging es brausend über den Platz »Heil! Heil!«, die Tüchlein wehten im Sonnenscheine, und Herr Rudolf trank in langen Zügen, klappte den Deckel zu, schritt vorwärts und neigte grüßend und lächelnd sein Haupt nach rechts und links.

Wieder war es ganz stille auf dem Platze, und König Rudolf kam nahe an den Brunnen. Da rief einer aus dem Volke: »Eia, dreht doch die Habichtnase auf die Seite, Herr König, sonst rennet Ihr uns den Brunnen um!«

Schallendes Gelächter brach los und pflanzte sich fort über den Platz, hinauf zu den Fenstern.

Jähe Röte schoß dem Könige über das Angesicht, seine Höflinge griffen nach den Wehren und schauten drohend umher. Aber König Rudolf schwenkte den Krug und rief mit lachendem Munde über die lauschende Menge: »Wenn du meinst, so will ich die Adlernase wohl wegwenden, die mir aber unser Herrgott ins Gesicht gepflanzt hat gleichwie dir die dicke Stupfrübe.«

Und wieder brach lautes Gelächter los, und von allen Seiten erscholl der Ruf: »Heil dem Könige, Heil!«

Aus einer Nebengasse drang eine berittene Schar von Herren und Frauen. Das Volk wich zurück und ließ einen breiten Weg frei. Die Reiter bewegten sich Schritt vor Schritt dem Könige entgegen und sahen verwundert umher. »Heil, König Wenzel! Heil, Königin Guta! Heil, König Rudolf!« schrie und brüllte das Volk.

Hochauf aber hob der römische König seinen Krug, trat neben die Reiterin, die an der Spitze der Schar einherkam, und reichte ihn empor. Die Königin hielt ihren Zelter an, ließ den Zaum auf seinen weißen Hals fallen, griff mit beiden Händen nach dem Kruge, führte ihn an die Lippen und gab ihn dem bleichen Reiter an ihrer Seite.

Lautlos hatte das Volk zugesehen. Dann aber machte es sich in tosendem Jubel Luft, und die Gassenjungen drängten sich zwischen die Pferde, und die Pferde scheuten und stiegen, und die weißen Tüchlein wehten hernieder auf den Platz.

Da trat ein Mann in rotem Rocke mit einer Geige in der Hand vor den König, verneigte sich tief und begann auf der Geige zu spielen. Der Jubel des Volkes legte sich, und klar und rein drangen die Töne unter dem Fiedelbogen hervor.

Aller Augen waren auf den Spielmann und den König gerichtet. König Rudolf nickte und lächelte, und rascher tanzte der Bogen des Fahrenden über die Saiten, wilder wurde die Weise.

Wieder trat ein Mann aus dem Volke. Der war gekleidet in einen weißen Rock und hielt eine Flöte. Und mit kurzem Anlaufe sprang er auf den Geiger und saß rittlings auf dessen Schultern. Und die Töne der Flöte mischten sich in die Klänge der Geige. Leise klatschte der König in die Hände, und ernsthaft spielte der Geiger, ernsthaft blies der andere Fahrende.

Und wieder teilte sich die Menge, und ein Mann in grünem Rocke trat hervor, schlug ein Rad und stand auf den Schultern des Flötenbläsers. Die Flöte verstummte, und der Grünrock begann zur Geige zu singen:

Arme fahrende Leute
Sind vor Euch, Herr König, getreten
Und möchten mit Zittern und Zagen
Um Gunst Euch haben gebeten.

Arme fahrende Leute,
Die bitten, Herr König, kommt her:
Was sie können, wollen sie zeigen –
Ach, könnten die Leute nur mehr!

Die armen fahrenden Leute
Sind vor Euch, Herr König, gekommen
Und spähen Euch furchtsam ins Auge –
Wird ihnen die Bitte wohl frommen?

Die armen fahrenden Leute,
Wird ihnen auch lächeln das Glück?
Sie ließen gar gerne ihr Leben
Für Euch, Herr König, zurück!

»Na,« sagte der König, »was wollt's mir frommen, wenn ihr die Hälse brächet um meinetwillen?«

»Herr König,« rief der Grünrock, sprang kopfüber auf den Erdboden und verneigte sich gleich einem Höflinge, »Herr König, den Hals bricht von uns doch jeder einmal – aber nicht einem jeden wird es möglich sein, ihn vor den Augen des siegreichen, unbezwinglichen Königs zu brechen.«

»Der weiß die Rede zierlich zu setzen!« rief Herr Rudolf und wandte sich gegen seine Ritter. »Mich dünkt, so habe ich schon oft sprechen hören, und weiß jetzt nur das eine nicht – haben's meine Ritter den Fahrenden gelehrt oder haben sie's gelernt von den Fahrenden?«

Nahe dem Könige stand ein feister Bürger; der begann aus der Tiefe seines Leibes hervor zu lachen über diese leutseligen Worte, und wie der Wind hinstreicht über die Fläche des Wassers, so pflanzte sich das fette Lachen des Erfurters über den ganzen Marktplatz fort; die zu hinterst standen, reckten die Hälse und fragten, worüber man lache, und lachten, damit sie nicht zu spät kämen, im voraus, und wie die Brandung hinschlägt ans Ufer, so brach sich das Gelächter an den hohen Häusern.

Der König aber trat wieder neben die böhmische Königin und fragte sie: »Beliebt's Euch, Frau Tochter, dann können sie ja tanzen?« Und Guta neigte das Köpflein. –

»Heute ist er mir unheimlich, der Alte, wie noch nie – und das dumme Volk lacht und hält sich die Bäuche!« flüsterte ein junger Höfling im Gefolge des Königs und neigte sich nahe zu dem, der neben ihm stand.

»Auch mir will es scheinen, als ob nicht alles Scherz sei,« kam die Antwort zurück.

»Nicht alles? Nichts von allem, gar nichts!« sagte der erste und schaute unverwandt hinüber auf den Greis. »Zehn Jahre ziehe ich jetzt mit dem Könige und sehe ihn zu allen Zeiten des Tages und der Nacht. Glaubet mir, das kenne ich, wenn er den Kopf so trägt wie heute, und wenn die Augen so stechen wie heute!« –

Aus einer Seitengasse kam der Zug der fahrenden Leute. Ein Kamel schritt bedächtig einher, und Affen hingen auf seinen Höckern. Geputzte Weiber hüpften singend heran, kleine Pferde trabten, und die Glöcklein tönten an ihren Schabracken. Und es begann das Spiel vor dem Könige. Buntgekleidete Jünglinge tanzten zwischen Schwertern, der wilde Mohr fraß Feuer und zerkaute Kieselsteine, das ängstliche, bleiche Mägdlein kam auf der großen Kugel quer über den Spielplatz, die Tänzerinnen drehten und schwangen sich im kunstvollen Reigen und im wilden Hoppaldei, die Geige sang, und die Flöte quiekte, die Trommel tönte darein, der Brummbär trottete im Kreise; und als man den Affen hängte an das Hinterbein der dicken Sau, und als die Sau grunzend vom Affen hinwegstrebte und der Affe Grimassen schnitt und von der Sau hinwegstrebte auf allen Vieren und wieder zornig auf den Rücken der Sau sprang und sie biß in die Ohren, da erschütterte wieherndes Gelächter die Luft. Als aber die drei Männer, der Rote, der Weiße und der Grüne, auf den großen Teppich traten und sich bekreuzigten vor dem zwiefachen Todessprunge, als sie zuerst sich überschlugen nach vorwärts und dann die Köpfe in den Nacken beugten und hochaufsprangen nach rückwärts und sich wirbelnd überschlugen – da hielt auch das Volk den Atem an, und hier und dort sprach einer das Stoßgebet für die armen Tröpfe und streckte sich, damit er alles ganz genau sähe, und als es glücklich geschehen war, riefen sie ringsumher »Heil! Heil!« – wie sie vordem gerufen hatten »Heil dem Könige!«

Und wieder stand der Rote und geigte, und der Weiße hockte auf seinen Schultern und blies die Flöte, und der Grünrock stand aus dem Weißen und sang:

Der König, dessen Augen
Wohl über alle Lande gehen,
Er hat die fahrenden Leute
Bei ihrer Arbeit gesehen.

Wir danken und ziehen weiter
Und singen mit Freudigkeit
Und rühmen aller Orten
Des Königs Müdigkeit.

Von Welschland bis zum Nordmeer,
Von Prag bis nach Brabant,
Herr Rudolf, soll dein Name
Mit Ehren sein genannt!

»Gut!« sagte der König und wandte sich zu seinem Kämmerer. Der trat herzu. »Gib dem Fahrenden einen Goldgulden!« befahl er. Der Kämmerer verneigte sich tief und zuckte mit den Achseln. Herr Rudolf zog die Stirne in Falten. Dann rief er zum Böhmenkönige hinauf: »Lieber Sohn! Dieser Esel, der würdig wäre, mit der Sau den Hoppaldei zu tanzen, hat vergessen, Geld in seinen Beutel zu tun. Besorget Ihr die Kleinigkeit!«

Und König Wenzel winkte einem Reiter. Der griff in die Tasche und warf dem Grünrocke eine Hand voll Geld in die Mütze.

Die Gaffer ringsumher stießen sich an und lachten verstohlen, Herr Rudolf aber rief mit lauter Stimme: »Es war gut, was ihr getan habt, ihr und eure Tiere. Ich aber will euch jetzt selber eine Aufgabe stellen.«

»Der Große befiehlt's, und der Kleine tut's,« sagte der Grünrock. »Aber vieles kann befohlen werden, was auch der Geschickteste nimmer auszuführen vermag.«

»Tretet alle weg von diesem Teppiche!« befahl der König. »Man gebe mir einen Apfel!«

Aus dem Gefolge trat der Zwerg des Königs, verneigte sich und zog einen roten Apfel aus dem Wamse.

»Recht so, Kunrad! Du denkst an alles und du hast alles,« sagte der König und gab dem Zwerg einen freundlichen Backenstreich.

»Auweh, Vetter, du bist grob!« schrie dieser und tanzte auf einem Beine. »Alles, sagst du? Warum hast du dann nicht mich um einen Goldgulden gebeten? Was mir gehört, gehört dir, und was du hast, habe ich auch.«

Wieder lachten die Bürger ringsumher, und der eine und der andere von den Hofleuten fuhr mit der Hand über seinen Mund.

»Da, Junge,« befahl Herr Rudolf einem Büblein, das vor den Reitern stand, »nimm diesen Apfel und lege ihn mitten auf den Teppich!«

Der Gassenjunge nahm den Apfel, lief in die Mitte des großen Teppichs, biß eilend ein Stück aus der Frucht, sprang in Sätzen über den Teppich hinaus und versteckte sich zwischen den Beinen der Gaffer.

»Tropf!« rief der König und ballte die dürre Faust. Dann befahl er dem Fahrenden: »Greife mir mit deinen Händen den Apfel heraus, ohne daß du den Teppich betrittst!«

Der Fahrende stand und besann sich. »Das ist unmöglich, Herr König.«

»Bring mir den Apfel, Fahrender!« Wiederholte der König, und seine Brauen zogen sich zusammen.

»Wenn Ihr mir den Kopf abschlüget auf der Stelle – ich kann's nicht,« sagte der Grünrock und schaute mit kläglichem Gesichte im Kreise umher.

»Dann soll ihn der von Baldeck herausholen!«

Der Riese trat aus der Höflingschar, verneigte sich und sprach: »Ich könnte gerade so gut den Mann aus dem Monde herunterlangen – es ist unmöglich, Herr König.«

»Dann soll ihn der Zwerg holen!« rief der König.

»Wie meinst du das, Vetter?« fragte Kunrad, stolzierte hart an den Rand des Teppichs und wandte das lange, breite Angesicht Herrn Rudolf zu. »Es ist mir das ein leichtes Ding, nur weiß ich noch nicht, auf welche Art es geschehen soll.«

»Das ist's eben!« lachte der König.

»Vetter,« sagte der Zwerg, »Vetter, das haben andere Leute auch schon erfahren. Daß es gehen wird, hast du auch gewußt, als du aufs Marchfeld zogest; aber wie es gehen werde –? – Und wenn du deinen Sohn, den Rudi, anschaust und deine goldene Krone, dann weißt du auch, daß es wohl gehen wird, aber – – – wie

»Schweig,« donnerte der König, »und hole den Apfel!«

»Eia, Vetter, bist du grob,« klagte der Kleine. »Ich kenne dich gar nicht mehr. Wie ein Apriltag im Jahre!« – Und eilig bückte er sich und rollte den Teppich auf bis zur Mitte, griff nach dem Apfel und trug ihn zwischen den Fingerspitzen zu Herrn Rudolf.

»Steck ihn dem Fahrenden ins Maul!« befahl dieser und wandte sich. »Kannst dir das Kunststück des Königs merken, Grünrock, zu deinen andern und singen von Prag bis nach Brabant davon!« sagte er, winkte gnädig mit der Rechten und schritt langsam neben dem Zelter seiner Tochter durch das jubelnde Volk zurück in die Burg.

* * *

Der Abend kam. Ein laues Frühlingslüftlein wehte durch die Gassen, vor den Häusern saßen die Leute und schauten zu, wie die reichgeschmückten Ritter und Herren vorübergingen nach der Burg hin, und besprachen die Insassen der Sänften, die von allen Seiten herschwankten. Und das Licht der Fackeln kämpfte mit dem letzten Scheine des scheidenden Tages. –

Von den Türmen klangen die Glocken über Stadt und Land, die Bürger schlossen ihre Türen und schoben starke Riegel vor.

Durch die Gassen und über die Plätze zog die Scharwache. Aus den Schenken tönte Singen und Jauchzen, die Häuser entlang schlichen Dirnen und Fahrende, und im großen Palassaale der Burg, unter den strahlenden Kronleuchtern, schritten die Paare im Tanze. – – –

Fernab vom Festgetümmel, in seiner engen Kemenate, saß der römische König, und bei ihm saßen am schweren Tische seine Kinder Guta und Wenzel.

Prächtig war sie geschmückt, die junge Königin: ihr seidenes Gewand schillerte im Lichte der Kerzen, in weichen Falten legte sich ein blauer Sammetmantel um ihre Schultern, am goldenen Stirnreife leuchteten Edelsteine, glänzten köstliche Perlen.

»Wir haben Euch noch keine Viertelstunde allein gesprochen, Herr Vater,« sagte Guta und spielte mit dem Goldringe, den sie über dem Seidenhandschuhe trug. »Und es weiß doch der Herr Vater, daß uns das Herz schwer ist!«

»Sehr schwer,« murmelte König Wenzel, nickte und schaute geradeaus.

»Wann hätte ich euch empfangen können?« fragte König Rudolf. »Bedenket doch selber: Am Freitag bei sinkender Sonne habe ich euch eingeholt, am Sonnabende, das weiht du, Guta, am Sonnabend enthalte ich mich des Rates wie der Tat – denn so ist's der heiligen Jungfrau angenehm –, am Sonntag war das große Fest, das euch die Stadtväter gaben, heute seid ihr schon am frühen Morgen ausgeritten. – – Aber saget an, was hat euch zu mir geführt?«

»Nicht mehr ein und nicht mehr aus wissen wir, Herr Vater, so lange wir uns auch besinnen!« sagte König Wenzel.

Mit raschem Blicke streiften die dunkeln Augen der Königin über ihren Gemahl. Dann wandte sie sich zu ihrem Vater; »Was fragt Ihr? Es ist Euch nicht unbekannt, daß wir nach allen Seiten hin zu kämpfen haben.«

»Kampf muß sein,« sagte Herr Rudolf. »Der Kampf macht das Herze stärker pochen und rötet das Angesicht. Gut essen, viel trinken, nichts denken, lange schlafen – wer das tut, des Angesicht borgt seine Farbe vom jungen Käse.«

Die Königin schwieg, und König Rudolf musterte mit stechendem Blicke seinen Eidam. Der saß im weichen Faltstuhle, streckte die Beine von sich und schaute mit seinen wasserblauen Augen an die Decke empor.

Ein spöttisches Lächeln verzog die wulstigen Lippen des Habsburgers. Dann fragte er: »Die Witigonen sind's, die euch belästigen?«

»Die Witigonen, und was sich sonst noch an sie hängt im Lande,« antwortete Frau Guta. »Die Sorgen wurden immer größer, und als ich keinen Ausweg mehr wußte, da sagte ich: ›Wollen wir zum Vater reiten!‹ – – Helft uns, Herr Vater!« Und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Es war nie König noch Königin,
Die ohne Sorge mochten sin,«

sagte der römische König. »Laß dir's nicht zu Herzen gehen, Guta! Du bist sehr jung, vor kurzem haben noch andere für dich gesorgt, jetzt kommen die Sorgen an dich und weichen nimmer von deiner Seite. Das ängstet dich, weil es dir ungewohnt ist. Merke das Wort:

Wenig Glück vom Leben hoffen,
Hält dem Glück die Wege offen.«

»Wozu bin ich dann König?« fragte jetzt Wenzel und sah zuerst auf seine Gemahlin und dann auf König Rudolf. »Wozu denn?« wiederholte er heftig. »Ich habe Gold in meinen Truhen, ich habe Rosse in meinem Stalle, ich habe viele Diener und einen ausgezeichneten Koch. Was tue ich mit dem Golde, wenn ich Sorgen habe? Nicht einmal das Essen freut mich, weil ich Sorgen habe.«

»Das freut ihn immer noch, Herr Vater, dürft's glauben!« fiel Guta ein und lachte hart auf. »Den Johann Westphal, den höckerigen Tropfen mit den schielenden Augen, seinen Oberkoch, den hat er vor vier Wochen zum Herrn aller Töpfer und Böttcher ernannt, hat ihm Brief und Siegel darüber gegeben –«

»Zum Herrn aller Töpfer und Böttcher? Das verstehe ich nicht,« sagte Herr Rudolf und schaute von seiner Tochter auf seinen Eidam.

»Daß du alles erzählen mußt, Guta! Es ist ein Schwank gewesen zu meiner Kurzweil, sonst nichts,« sagte Wenzel und machte ein böses Gesicht.

»Ein Schwank, der dir jährlich einen Sack voll Geld kostet und den Spott umsonst einbringt!« rief die Königin.

»Wenn der König von Böhmen Geld ausgeben will, so kann er Geld ausgeben; denn er hat's – auch für einen Schwank,« entschied König Rudolf.

»Könige verstehen einander!« sagte Wenzel und lehnte sich zurück.

»Und wenn der König von Böhmen sich die Woche zweimal und dreimal betrinken will mit seinem Oberkoche, den alle Welt als Dieb und Lumpen kennt –?«

König Wenzel stand vor seinem Weibe, aschgrau war sein Angesicht, er hob die Hand und keuchte: »Du! Du! Du!« – Hochaufgerichtet stand Frau Guta, und leise knisterte die Seide ihres Gewandes. Wenzel aber begann heftig zu zittern, bedeckte die Augen mit den schmalen Händen und sank schluchzend auf seinen Stuhl.

Finster sah König Rudolf auf seine Tochter. Dann sprach er mit harter Stimme: »Ich finde nichts Unkönigliches in den Scherzen, die dein Herr Gemahl an langen Winterabenden mit seinen Dienern treibt. Auch im Scherze und auch hinter dem Becher ist er und bleibt er der König.«

»Und unter dem Tische!« murmelte Guta und setzte sich wieder.

»Ihr solltet bei uns in Prag sein,« sagte Wenzel und wischte sich die Augen; »schon oft habe ich's gesagt, das wäre ein Leben!«

»Wäre schon recht,« antwortete der Greis freundlich, »kann aber leider nicht gut abkommen.«

»Ach, Ihr seid ja doch der römische König! Wer will Euch hindern, zu reisen und zu bleiben, wann Ihr wollt?«

»Habe dir's ja vorhin gesagt, Wenzel, das Wort von den Sorgen!«

»Ja, das ist aber ein ärgerliches Wort,« meinte der böhmische König. »Ihr seid doch auch sehr lustig in Erfurt? Habe mir's heute nachmittag gedacht! Das habt Ihr gut gemacht, das mit dem Teppiche, habe so lachen müssen, noch lange danach. Wie seid Ihr auf diesen Schwank gekommen?«

»Ist mir so eingefallen. Alte Leute können oft nicht schlafen des Nachts; dann kommen ihnen allerlei Gedanken,« sagte Rudolf freundlich.

»So etwas muß ich auch einmal aussinnen,« rief König Wenzel; »da könnten meine Prager lachen! – – Wenn ich nur erst Frieden hätte! Seit der Zawisch gefangen ist – wartet einmal, das sind jetzt fast zwei Jahre – seitdem geht die Unruhe nicht aus. – Das meint Ihr aber doch auch, Herr Vater, den Zawisch darf ich nicht aus dem Kerker geben? Er hat mir ja nach dem Leben getrachtet, der Hund. Zerreißen könnte ich ihn, wenn ich daran denke!« Wenzel ballte die Fäuste.

»Den Zawisch wirst du nicht aus dem Kerker geben, wenn dir deine Krone lieb ist und dein Leben!« sagte Herr Rudolf. »Der Zawisch, Wenzel –«

»Pst! Seid still!« rief Wenzel mit verhaltener Stimme und kicherte. »Da – seht! Eine Maus ist's – da – am Kamin – seht ihr?«

Verachtungsvoll warf Guta die Lippen auf und sagte scharf: »Sind wir wegen einer Maus nach Erfurt –?«

Wenzel aber hatte sich erhoben und streckte den Arm aus. Verzerrt war sein Antlitz. Über den Teppich sprang eine Katze. Ein gellender Schrei kam von seinen Lippen: »Rettet mich!« – König Wenzel stürzte aus dem Gemache.

»Das habe ich nicht zum erstenmal gesehen,« sagte Guta und schaute ihm finster nach. »Er fürchtet die Katzen, als wäre er selbst eine Maus – er fürchtet sich vor Blitz und Donner – – ja, wovor fürchtet sich mein Eheherr nicht?«

Der römische König murmelte etwas vor sich hin, rieb sein Kinn und sann.

Vater und Tochter saßen einander gegenüber. Die Kerzen warfen ihren milden Schein auf den kahlen Scheitel des Alten, und auf dem Haupte der Königin funkelten die edeln Steine, schimmerten die köstlichen Perlen. Vor der Türe hing der schwere Teppich in dichten Falten, und nur ganz gedämpft drang von ferne her die Musik in das Gemach. Bedächtig stand König Rudolf auf, schritt zur Türe, hob den Teppich und schob den Riegel vor. Dann kam er zurück und ließ sich nieder auf seinen Stuhl.

»Guta, ich bin unzufrieden mit dir.«

»Herr Vater, ich dächte, Ihr könntet mich verstehen.«

»Nein!«

»Habt Ihr ja doch selber soeben gemurmelt ›Schwächling!‹«

»Und sag' es noch,« antwortete der Greis.

»Und mit einem Schwächling muß ich leben, an ihn bin ich gebunden alle Zeit, mit ihm soll ich sitzen auf der finsteren Burg und soll sehen, wie er regiert wird von allen, zuletzt von seinem Koche, zuerst und zuletzt von seiner Schwachheit!«

»So bemühe du dich, über ihn zu herrschen, und du wirst in kurzer Zeit herrschen über alle, die um dich her sind!« sagte König Rudolf, und seine Rechte ballte sich und fiel mit hartem Klange auf die Tischplatte.

»Ich mühe mich ab alle Tage, daß ich Macht gewinne über ihn,« sagte Guta. »Aber Ihr kennt ihn nicht, Herr Vater. Eure Klugheit bezwingt ihn freilich, wie auch des Zawisch Klugheit ihn einst so völlig geleitet hat – über alle andern Menschen dünkt er sich erhaben und merkt es nicht, wenn sie ihn mitsamt seinem hochmütigen Spott und mitsamt seiner kindischen Grobheit in die Tasche stecken. Und zudem trinkt er seit zwei Jahren unmäßig. Ich verachte ihn.«

»Und du läßt die Macht über ihn den andern, Guta?«

»Je fester ich ihm gegenübertrete, desto halsstarriger wird er.«

»Wer hieß dir, ihm fest entgegenzutreten, mein Kind?« fragte der Greis, und seine Stimme hatte einen weichen Klang. »Arme Guta! Es hat sich wohl gefügt, daß wir heute ein wenig miteinander reden können. Es war höchste Zeit. Sei doch meine verständige Tochter – wie alt bist du, Guta?«

»Neunzehn Jahre, Herr Vater.«

»Neunzehn Jahre – es ist richtig,« sagte der König und stützte das Haupt mit der Hand. »Und siehe, ich habe zweiundsiebzig Jahre gelebt. Glaubst du, daß ich das Leben kenne?«

»Ja, Herr Vater.«

»Und glaubst du, daß ich dich lieb habe, mein Kind, daß ich dich glücklich wissen möchte?«

»Das weiß ich, Herr Vater – so gut ich weiß, daß ich unglücklich bin.«

»Unglücklich!« wiederholte Herr Rudolf. »Guta, bist du gerne Königin?«

»Ich wüßte nicht, was ich anderes sein könnte,« sagte das Weib.

»Schön, schön geantwortet!« nickte der König. »Und nun sag mir, meine Tochter, meine verständige Tochter, was ist Glück?«

»Wohlsein,« antwortete Guta.

»Wohlsein?« wiederholte Herr Rudolf und schüttelte das Haupt. – »Wohlsein? – Nein, Wohlsein ist erst das Kind des Glückes. – – Ich will dir's weisen, Guta: Glück ist Macht, und alles, was man sonst für Glück ausgibt, ist Katzengold. Mächtig ist aber nur der Besitzende – und so sage ich dir als Summe meiner Lebenserfahrung: Der Besitz ist der Vater des Glückes. – – Deshalb verdient der nicht zu leben, der gesund, reich und unglücklich ist, Frau Königin von Böhmen!«

Guta öffnete den Mund.

»Höre mich!« fiel der König ein. »Ich weiß, was du sagen willst: ›Wollte Gott, daß der König ein Mann wäre!‹ – – Guta, es ist Torheit, sich das Herz schwer zu machen über Unabänderlichem. Ich gebe es zu, Wenzel ist ein Schwächling. Was kann er dafür, der arme Tropf? Mit ihm hat sich ein altes, großes Geschlecht ausgelebt – es war wohl nichts mehr vorhanden, was noch auf ihn hätte kommen können. Also – nimm ihn, wie er ist, und schaffe dir gerade aus seinen Eigenschaften dein Glück, das ist – deine Macht! Aber freilich, mein liebes Kind, auf andere Weise, als bisher: Gib ihm nach in allen Stücken, beherrsche deine Züge, mag er noch so launisch sein, liebkose ihn – Menschen, wie er, sind der Liebe bedürftig – lächle über seine Schwächen und drücke die Augen zu, wenn du einmal nicht mehr lächeln könntest! Die Augen zur rechten Zeit offen halten und zur rechten Zeit schließen, bloß das hören, was man hören will – glaube einem alten Manne – es ist dies eines der Grundgeheimnisse der Macht. Verstehe mich nicht falsch: Du mußt ihn stets in den Zügeln halten, du mußt immer wissen, was er tut, wo er ist, aber du mußt – nun, ich will mich ausdrücken wie ein Sänger – du mußt die Zügel mit Rosen umwinden. Wenn du das befolgst, dann wirst du ihn beherrschen und durch ihn ein mächtiges Land, kannst tun, was dein Herz begehrt, und wirst glücklich sein.«

»Rings umgeben von Feinden!« sagte Guta.

»Feinde!« lächelte der König. »Mein ganzes Leben lang habe ich erfahren, daß es nur einen einzigen Feind gibt – die Armut. Wer die Macht hat und klug ist, der kann spotten über alle seine Feinde. – Aber Klugheit ist von nöten, meinte Guta, und nur der ist klug, der die Menschen kennt. – Die Menschen! Keiner lernt sie besser kennen, als ein König. Je größer der König, desto größer seine Menschenverachtung. Ein wahrhaft großer Herrscher benutzt alle und traut keinem.«

»Keinem?« fragte Guta.

»Keinem, der nicht gerade auf längere oder kürzere Zeit mit einem starken Wunsche an des Herrschers Person gefesselt ist. Also auch den eigenen Kindern nicht, wenn sich ihre Wege von dem seinen getrennt haben,« antwortete Herr Rudolf kühl.

»Vater!« rief Guta und griff nach den Händen des Greises.

»Ich spreche nicht von der Liebe, sondern vom Vertrauen, meine Tochter,« sagte der König. »Und die Wege meiner Kinder führen immer wieder auf meinen Weg, solange ich lebe. – Wovon habe ich vorhin gehandelt?«

»Von der Menschenkenntnis.«

»Ja, von der Menschenkenntnis. Erwirb dir Menschenkenntnis, und du wirst herrschen. Gewöhne dich daran, alle irdischen Dinge ihrer Hüllen zu entkleiden, und du wirst immer wieder auf drei Gewalten kommen, die unsere Welt regieren: Der Magen ist's, die Liebe ist's, und ein drittes ist's, das den dichtesten Dunst um sich verbreitet, sich allerlei stolze Namen gibt und nichts ist als – Eitelkeit. Wirf aber den Menschen die Brocken zu, mit denen sie diesen dreien Trieben frönen können, und du bist ihr Herr! – Gewöhne dich daran, unablässig zu beobachten, und je länger du beobachten wirst, desto undurchdringlicher wird dein eigenes Antlitz werden. Wohl dir, wenn du erst so weit bist! – Welch ein Glück, daß der Mensch sein zuckendes, klopfendes Herz nicht offen in den Händen tragen muß durch diese Welt: das Angesicht ist dazu geschaffen, einen Schleier zu werfen über die Gedanken. Herrschkunst ist die höchste Kunst auf Erden; von allen Künsten borgt sie das Beste, damit sie herrsche über alle Künste. – Wer richtig beobachtet, der wird seine Brocken geschickt unter die Menschen werfen, das heißt, er wird sie so werfen, daß immer zwei scheel sehen auf den Brocken, den der dritte bekommt. – Hat einer drei Feinde, so muß er sich mit zweien von ihnen versöhnen – und sich schadlos halten am dritten. – Die Menschen auseinanderhalten, keinen warm werden lassen neben dem andern, jeden mit besonderem Kettlein fesseln an den Thron – das ist Anfang und Ende der Herrschkunst. Ich fühle mich niemals wohl, wenn unter den Höflingen Frieden ist. Sobald ich das merke, säe ich Zwietracht und herrsche weiter. Wehe dem Könige, der aus stolzer Höhe herrschen wollte! Mit tausend Wurzeln muß er haften in seinem Reiche, aus tausend Wurzeln muß er seine große Wissenschaft saugen. Sende niemals einen Kundschafter allein aus, sondern immer ihrer drei – aber also, daß der erste nichts weiß vom zweiten und beide nichts ahnen vom dritten; und wenn sie eine Weile fort sind aus deinen Augen, dann sende heimlich einen vierten nach, der ein Auge habe auf alle drei. Also wirst du die Wahrheit erfahren. – – – Verstellen muß sich der Herrscher; ohne das kann er nicht wirken. Aber nenne mir den klugen Menschen, der sich nicht verstellte! Ja, ich sage, alle Menschen, auch die dummen, verstellen sich, und nur einmal im Jahre trägt man sein wahres Gesicht – zur Fastnacht, wenn man Larven steckt vor sein Gesicht. Aber klug muß er die Kunst der Verstellung üben, der kluge Herrscher; denn es ist seine beste Habe, wenn die Leute den Biedersinn rühmen an ihm. – ? Gibt freilich weiße Raben, die klug sind, und dennoch ihres Herzens Gedanken auf dem Angesichte widerspiegeln; aber ihre Schicksale können uns nicht verlocken, ihre Art nachzuahmen. Zu ihnen gehört der Zawisch –«

»Der Zawisch?« rief Guta, und ihre Augen funkelten. »Der Zawisch hat von jeher den größten Betrug geübt: er hat Ehrlichkeit geheuchelt und Arglist im Herzen getragen, er hat uns nach Krone und Leben gestrebt – ich lobe die Jungfrau, daß Ihr uns das Rechte geraten habt dazumal in Eger, Herr Vater!«

»Wie ein Kind gehst du dahin, Guta,« sagte König Rudolf und lächelte trübe. »Ich habe ihm nachgespürt auf allen seinen Wegen, ich habe ihm Fallen gestellt, ich habe ihn geprüft, wo er es nimmermehr ahnen konnte, und ich sage dir: Sowenig ich selber nach der böhmischen Krone trachte, sowenig hat der Zawisch jemals danach gestrebt. Ich kenne die Menschen, und weil ich sie kenne, muß ich es sagen: Der Zawisch ist ohne Falsch.«

Mit offenem Munde saß Guta vor ihrem Vater. »Und hast uns dennoch geheißen, ihn mit aller List in sein Verderben zu locken?«

»Wieder sprichst du wie ein Kind, und ich sehe, Frost und Hitze müssen noch kommen über dich, bis meine Saat aufgehen wird in deinem Herzen,« sagte Herr Rudolf und seufzte. »Ein jeglicher, der emporwächst neben einem Throne, muß gestürzt werden. Nichts Gefährlicheres als die Macht eines Vasallen! – So einfach und so klar: Die Menschen kannst du setzen gegeneinander wie die Figuren auf dem Schachbrette – doch habe ich noch niemals gehört, daß auch der Klügste einem andern Manne das Herz im Leibe hat hetzen können gegen den Magen. Was soll die große Macht in der Hand eines einzigen? Ist sie jetzt keine Gefahr, kann sie zur Gefahr werden vom Morgen bis zum Abende. Es ist leichter, über hundert Herrlein zu herrschen, als über fünfzig Herrlein und einen Herrn, der die Macht der fünfzig andern allein besitzt. Macht ist Glück – warum hätte ich den Zawisch sollen wachsen lassen neben euch Kindern? Damit sein Geschlecht dereinst euch oder eure Kinder um die Macht bringe und um das Glück?«

»Und was wollte der Zawisch, als er dem Könige Gift gab?« fragte Guta.

»Gab er's?« warf der König hin.

»Das ist beschworene Wahrheit,« antwortete Guta.

»Wahrheit? Beschworen?« sagte Herr Rudolf, stützte die Ellbogen auf den Tisch, faltete die Hände, ließ die Daumen langsam übereinander kreisen, reckte den Hals, verzog den Mund und zuckte mit den Achseln.

Schweigend saß die Tochter vor dem Vater. Dann fragte sie: »Seid Ihr glücklich, Herr Vater?«

»Wenn ich die Macht besäße, nach der ich strebe mein Leben lang, dann wäre ich glücklich,« antwortete der römische König. »Ob ich sie freilich jemals selber erlangen werde, das weiß ich nicht. Aber es ist ein Vorrecht der Fürsten, daß sie fortleben in ihren Kindern wie kein anderer Sterblicher, daß sie, flüchtige Gestalten, die über die Erde hingleiten, zu unsterblichen Giganten werden als die Fortpflanzer ihrer uralten Geschlechter. Und wenn es mich oft drücken will, daß ich selbst das Glück wohl nimmer kosten werde, dann schaue ich auf meine Kinder und Kindeskinder und denke bei mir: Du hast doch nicht umsonst gelebt, Graf Rudolf!«

Die Königin erhob sich, trat neben den Stuhl des Vaters, sank auf die Kniee und bedeckte die Hand des Greises mit Küssen.

»Laß es sein, Guta!« wehrte Herr Rudolf, entzog ihr die Hand und strich liebkosend über ihren Scheitel. »Du bist zu weich – mache, daß dein Herz kühler und fester werde! Kalt ist die Welt; darum lebt der am besten, der kalt ist wie sie. Kalt muß vor allem der sein, der mitten im Kampfe steht – und im Kampfe stehst du. – – Weißt du, wen sich der König zum Vorbilde nehmen muß in unsern Tagen? Ich will dir's verraten! Wenn die Sänger singen von den alten Zeiten und ihren Königen und Kaisern, so möchte ich mich oft so heimlich verwundern: Wie leicht muß es vordem gewesen sein, das Königamt zu lernen und zu üben; ein starker Arm, eine große Gestalt, ein kecker Mut, Leutseligkeit und hohe Würde – das machte einen zum Könige! Und heute? Den möchte ich sehen, der mit hoher Würde dahinschreiten könnte auf den engen Wegen eines Herrschers! Darum, wer in unserer Zeit ein mächtiger König sein will, der lerne seine Kunst nicht auf dem Schlachtfelde, nicht beim Turniere, nicht auf der Jagd; er kann sie nur lernen in den Städten, in den engen, dumpfen Städten, die ich hasse in meiner Seele – als freier Reiter, deren ich bedarf wie des Brotes zum Leben – als König. In diesen Städten wohnen die Klügsten der Erde, die Kühlen, die Abwägenden, aber auch die Wagenden, die allzeit Vorwärtskommenden, die Menschen, denen über kurz oder lang die Erde gehören wird, die Kaufleute. Von den Kaufleuten habe ich das Beste gelernt in meiner Kunst, Guta, und wer ein kluger König sein will, der muß von den Kaufleuten die Art borgen und muß den Königsmantel drüber schlagen, und mit den Kaufleuten muß der kluge König gehen aus der alten Zeit in die neue Zeit hinein. Da muß er stark sein, der König« – und Herr Rudolf klopfte mit dem Finger an seine hohe Stirne – »was nützt ihm sonst die Stärke seiner Rosse und Reiter? – – Guta, wie hast du dich heute unterhalten bei den Gauklern?«

»Herr Vater,« sagte die Königin und schaute dem Greise in die feurigen Augen, »in welcher Absicht habt Ihr den Apfel auf den Teppich legen lassen? Es ist mir aufgefallen: Ihr habt immer wieder zu mir herübergesehen.«

»Ich habe dir Unterricht gegeben auf dem offenen Marktplatze, mein Kind, und habe nebenbei dies und das von meinen Zwecken verfolgt,« antwortete der römische König. »Oder glaubst du, daß ich zwecklos mich zum Spektakel mache bei Männlein und Weiblein in der Stadt Erfurt? – Ich habe viel erreicht an diesem Tage: In allen Schenken sprechen sie heute vom guten Könige, und Kindern und Kindeskindern werden sie's noch erzählen, daß er auf offener Gasse den Krug geschwenkt, ihr Bier gerühmt, daß er mit guter Miene Spottrede hingenommen und – diesen Hunden – vergolten hat mit einem schalen Scherzworte, daß er ein König gewesen ist wie keiner vor ihm, ein König nach ihren Herzen. Und warum habe ich den Narren einen Narren gemacht? Weil ich morgen im Stadthause eine Frage stellen muß an die Geldsäcke von Erfurt. – Ein kluger König baut sich feste Steige zu den Herzen seiner Untertanen, mein Kind, und je klüger der König ist, desto gemeiner macht er sich zu Zeiten unter den Leuten. Tu desgleichen nach Gelegenheit! – Die Krone der Königsweisheit aber habe ich dir gezeigt, als ich die Gaukler bestellte mit dem Teppiche: Der Apfel ist deines Lebens Ziel, das Glück, die Macht, der Teppich aber ist das Hindernis, das sich dir entgegenbreitet von allen Seiten. Ich befahl dem Springer, den Apfel zu holen – er konnte nicht! ich befahl dem Riesen, die Arme auszustrecken nach dem Apfel des Glückes – er stand ratlos vor dem breiten Hindernisse; ich stellte den Zwerg an den Teppich – der bückte sich, der rollte ihn zusammen, der nahm mit seinen Fingerlein die Frucht. – Bist du eine gelehrige Schülerin, Guta? Dann geh hin und handle mit der Klugheit des Zwerges und sei immer eingedenk meines Spruches: › Mit Eil' manch Ding verdorben wird

Das Weib erhob sich vom Teppiche, ihre Gewänder rauschten, ihre Wangen glühten, ihre Augen funkelten, und hochaufgerichtet stand sie vor dem Greise und sagte: » Ich will

»Schön gesprochen, meine Tochter!« lobte Herr Rudolf, und auch er stand auf von seinem Sitze. »Die heilige Jungfrau behüte dich! Sie ist stark, sie kann dir helfen in jeder Not, wie sie deinem Vater geholfen hat Zeit seines Lebens. Ihr gib dich hin alle Morgen und alle Abende! – Wir Könige müssen manches tun in dieser bösen Welt, was uns in stillen Stunden Gedanken erregen könnte – wer vermag das Kleine zu schonen, wenn das Große soll gefördert werden in einem Reiche? – Deshalb aber wollen wir uns bergen immerfort im Schatten der Kirche und uns einkaufen durch gute Werke in das unbekannte Land, aus dem noch keiner zurückgekehrt ist! – – – Besuche mich morgen um diese Zeit wieder, und wir wollen weiter reden vom Zawisch, von den Witigonen und von deinen Sorgen. Ich weiß euch einen Rat – einen guten Rat.« – – –

»Sorgen!« setzte er nach einer Weile hinzu. »Es ist zum Lachen. Was will dich kümmern, Königin von Böhmen? Hast einen Mann, der deiner Klugheit folgen wird wie ein Hündlein; dein Land birgt klumpenweise Gold in seinen Tiefen, in seinen weiten Ebenen wächst Korn die Fülle, Trauben leuchten auf seinen Hügeln – und, o köstliches Geschenk der Jungfrau, sorgenbrechendes Glück, in diesem reichen Lande wohnt ein Volk, zweistämmig, doppelsprachig, verfeindet unter sich bis in seine Wurzeln – – und dieses Reich zu beherrschen sollte dir noch eine Stunde lang Sorgen bereiten? Komm, laß uns gehen, sie warten im Saale! Komm, Guta, ich fühle mich frisch wie ein Jüngling!«

* * *

König Rudolf öffnete den Riegel der Türe. Er schritt über die Schwelle, und seine hohe Gestalt schien zu wachsen. Neben ihm schritt Königin Guta aus der Kemenate.

Diener eilten, Windlichter flackerten, Edelknaben hoben die Schleppe der Königin, und in den Saal hinunter flog die Botschaft: »Der König kommt!« –

Die Türen sprangen auf. Im Lichterglanze breitete sich der Saal, die Geigen und Pfeifen verstummten, hundert und hundert Rücken krümmten sich. Fürsten und Fürstenkinder umringten den König und seine Tochter.

Ein freundliches Lächeln spielte um den Mund des Königs. Gnädig nickte er hierhin und dorthin und begann die Runde zu machen im Saale bei seinen Gästen.

Und er ließ seine Huld leuchten über Männern und Frauen, denen er wohlwollte, und ging achtlos vorüber an Herren und Rittern, denen er seine Ungnade zu zeigen gedachte. Glückstrahlende Angesichter neigten sich hinter ihm fast zur Erde und hoben sich hoch empor und wiegten sich auf stolzen Nacken und triumphierten – verzerrte Angesichter beugten sich hinter ihm tief in den Staub und hoben sich hoch empor und zwangen sich zu höfischem Lächeln.

Von Gruppe zu Gruppe schritt der König und hielt die alte Gestalt kerzengerade, und wo er ein blühendes Antlitz erschaute, da trat er nahe hinzu, hob die schmale Hand und strich kosend über die rosigen Wangen. Und es fühlten sich hochgeehrt durch die Gunst des Königs die Schönen von Erfurt und ihre Frau Mütter.

* * *

In die Mitte des Saales trat König Rudolf. »Auf,« rief er zu den Geigern und Pfeifern empor, »spielet und pfeifet – es gelüstet uns, einen Tanz zu unternehmen!«

Ein Flüstern ging durch die Menge. Die Spielleute taten nach dem Geheiße des Königs, die Paare ordneten sich.

König Rudolf aber ging hinüber zur böhmischen Königin, verneigte sich tief vor ihr und sagte: »Es ist mir wohl zu Mute, wie nimmer seit langen Jahren. Beliebt's Euch, so wollen wir tanzen, Frau Tochter!«

Und der Greis trat an zum Tanze und wiegte sich im Tanze und hob die Beine gleich einem Jünglinge neben seiner jugendschönen, neben seiner strahlendschönen Tochter.

Die Kerzen flimmerten, die Gewänder rauschten, die Geschmeide blitzten, die Augen leuchteten – und von Mund zu Mund ging das Wort: »Der König tanzt!«

Ja, König Rudolf tanzte am selbigen Abende zu Erfurt im Saale.

* * *

In derselbigen Nacht aber kauerte Herr Zawisch in seinem fürchterlichen Gefängnisse, im weißen Turme auf dem Hradschin ob Prag, und ersann sich dieses Lied zum Troste:

Mein Herze hör' ich pochen!
Das ist ein seltsam Ding:
Es geht in wilden Schlägen,
Das vordem sachte ging.

So hatt' ich's nie erfahren
Bisher auf diesen Tag;
Da kam die große Stille,
Und ich vernahm den Schlag.

Versunken mit ihrem Getümmel
Ist hinter mir die Welt;
Ich liege still und horche,
Solang es Gott gefällt.

Mein Herze hör' ich pochen
In meiner wunden Brust,
Und währenddem ich's höre,
Ergreift mich wilde Lust.

Die Schläge werden stärker,
Ich liege still dabei;
Denn ich weiß es, der stärkste der Schläge
Schlägt mir das Herz entzwei.

Die Schläge werden stärker,
Ich liege still dabei;
Denn es wird mit dem letzten der Schläge
Die gebundene Seele mir frei.

Ich hör' das wilde Hämmern,
Ich warte Tag um Tag
Und lausche mit Sehnen entgegen
Dem – letzten – – Schlag.


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