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Drittes Buch

Im goldenen Prag

Im hellen Morgensonnenscheine lag das hunderttürmige Prag, und seine alte Brücke spiegelte sich in den braunen Fluten der Moldau, und hoch über dem Strome, hoch über den Kirchen und Geschlechterburgen dehnte sich auf dem langgestreckten Berge das Königschloß mit seinen Ringmauern, Rundtürmen und Giebeln.

Und die Sonne leuchtete auf die Ringmauern und Brustwehren, auf bärtige Kriegsknechte und auf blanke Helmbarden, sie leuchtete auf den Palas des Königs, sie lugte durch die bunten Fenster von Sankt Veit und warf ihre Bilder auf die weißen Steinplatten des Gotteshauses, sie leuchtete hinein in die Burghöfe, sie leuchtete in die Kemenaten und in die Säle, die von Gold und Reichtum starrten, sie übergoß mit Licht und Wärme die Ziergärten, spielte mit den Zweigen der Linden und Ulmen, die sich leise bewegten im Morgenwinde, und wob ihren Schimmer über den goldgestickten Schleier, die schwarzen Haare und die weiße Stirne der hohen, königlichen Frau, die am kristallklaren Parkteiche stand, mit ihren schlanken Fingern das Brot brach und die stolzen Schwäne fütterte. Und die Schwäne wiegten sich auf dem Wasser, über die Marmelsteine am Ufer stolzierten schillernde Pfauen, auf den Bäumen spielten und kreischten zierliche Affen aus dem Morgenlande, in Goldringen schaukelten sich bunte Sittiche unter den Ästen, – und die Sonne küßte auch die blonden Locken eines Knaben, der auf der Ruhebank saß neben der Königin, regungslos dasaß, aus den wässerigen Augen in die Ferne starrte und mit den Fingern eine rote Rose zerpflückte.

Und im Sonnenscheine lag die mächtige Stadt, in den Strahlen der Sonne funkelten die Goldkreuze auf ihren Kirchen, erglänzten die grausilbernen Schindeldächer der Häuser und Hütten.

Den Strom hinab glitten schwerbeladene Flöße, in den engen Gassen, im Schatten der hohen, hölzernen Giebel, unter den dumpfigen Laubengängen, hantierten die deutschen Bürger, in den finsteren Schreibstuben rechneten die deutschen Kaufleute, knarrende Lastwagen rollten über Brücken und Plätze, dröhnten unter den massigen Schwibbogen, die sich über die Gassen spannten; in den Schmieden glühten die Essen? der Hobel knirschte, es blinkte die Axt, es dröhnte der Hammer, es kreischte die Säge; weit offen standen die Türen der Kirchen, Weihrauchgeruch strömte in die freie Luft; im Staube der Gassen spielten blondlockige und schwarzhaarige Kinder, auf dem Ringe der Altstadt saßen die slavischen Bauernweiber, und lachend und schwatzend feilschten mit ihnen die deutschen Bürgerfrauen um Kraut und Rüben; schwarzbärtige Juden schritten umher, Mönche und Nonnen strebten dahin und dorthin, – und in tschechischen und deutschen, polnischen und wendischen Lauten flutete das tausendfältige Leben durcheinander im Morgensonnenscheine.

* * *

In der höchsten Kammer, unter den Zinnen des Turmes, der nahe dem Ringplatze in der Langen Gasse aus finsterer Geschlechterburg über die Menge der Giebel emporragte, stand ein reichgekleideter, hagerer Mann. Der umklammerte mit dem linken Arme die kleine Fenstersäule, die rechte Hand stützte er auf das Steingesimse, und unverwandt schaute er unter dem Rundbogen hinaus über die Stadt ins weite Land gen Mittag, murmelte unverständliche Worte und schaute und schaute, bis ihm die scharfen, grauen Augen übergingen und die silberglänzenden Giebel, die geschwärzten Kamine, die lachenden Wiesen, die duftigen Waldhügel ineinander verschwammen. Hastig strich er über die Augenlider, seufzte und spähte von neuem – und aus der Tiefe drang verworren der Lärm der Stadt herauf, und im Holzverschlage neben dem Manne gurrten die Tauben.

»Hilf, Herr Gott, hilf!« murmelte er, wandte sich vom Fenster ab, starrte in die Dunkelheit und faltete die Hände. »Hilf, Herr Gott, hilf, laß mir gute Botschaft zugehen! – – Schon längst müßte sie gekommen sein nach meiner Rechnung. – Hilf, Herr Gott, hilf uns allen!«

Und wieder wandte er sich und spähte nach Süden.

Da kam es von fernher, flog hoch über den Waldhügeln, blitzschnell, klein und leicht wie eine Flocke, glänzend wie Schnee, schoß einher in der blauen, flimmernden Luft, ward größer und größer, strich über die Dächer, beschrieb einen stolzen Bogen, schwang sich flügelrauschend in das Rundfenster, trippelte nickend heran, ließ sich willig fassen von den zitternden Händen und ruhig das Streiflein Papyrus aus den Schwingen lösen und trank gierig aus dem Wassernapfe.

Und wieder gingen dem Manne die Augen über, und die Tränen liefen über seine Wangen und tropften auf den Sammet seines Gewandes. Aber es war nicht mehr der Glanz da draußen über dem weiten Lande, der ihm das Wasser in die grauen Augen trieb, es waren die winzigen Buchstaben, die ihm die Taube unter dem Flügel gebracht hatte. – – –

Wie konnte doch die Sonne so freundlich leuchten über Berg und Strom, über der Stadt und über der Burg des Königs? Wie konnte doch die Taube aus dem Simse in die Körner picken, ob nichts geschehen wäre? Wie konnte doch das Volk noch schwatzen und feilschen auf dem Ringe? – Sonne, erlisch doch über dem goldenen Prag!

* * *

Kopfschüttelnd schaute der Grobschmied dem Geschworenen nach, der mit schleppenden Schritten an der Werkstätte vorüberging. Dann legte er den Hammer weg, steckte die Hände ins Schurzfell und strebte schräg über die Gasse.

»Hast du ihn gesehen, Gevatter?« sagte er und trat zu dem behäbigen Roßwirte, der unter seinem Haustore stand. »Eia, wie schaut doch der Marquart Tausendmark aus, grau im Gesicht, und wendet den Kopf nicht, wie ich ihn grüße!«

»Hab' ihn gesehen, den Herrn,« antwortete der Wirt und rieb sich die Nase. »Gevatter Schmied, es kommt Unheil, ganz und gewiß. Allfort muß ich an den König denken. Und heut in der Früh', was meinst du, hat unser' schwarze Henne gekräht, gleich auf dem Holzstoß unter meiner Kammer! Mein Weib hat mir's zugeschrieen voll Schrecken, mit allen zwei Füßen bin ich aus dem Bett gesprungen und hab' ihr den Kragen umgedreht – der Henne, mußt du wissen – aber was hilft's? Muß allfort an den König denken.«

»Guten Morgen, ihr Nachbarn!« rief ein starker Mann und trat herzu. »Wißt ihr's schon? Sie haben heute vorm Hahnenschrei die zwei Windspiele droben am Burgtor liegend gefunden, ganz abgehetzt. Ihr kennt sie doch, die zwei Windspiele mit den breiten, goldenen Halsbändern, die der Herzog Niklas immer mit sich führt?«

»Die gelben?« rief der Wirt. »Das ist ein böses Zeichen, Goldschmied!«

»Muß noch kein böses Zeichen sein; so ein unvernünftig Vieh kann sich leichtlich verlaufen, findet seinen Herrn nimmer und rennt heim,« sprach der Grobschmied.

»Ist doch verdächtig, bei meiner Seel',« sagte der Goldschmied. »Der Hund bleibt beim Herrn, solang er ihn sieht. Und wenn der Herr ihn nimmer brauchen kann auf eine Zeit, so wird er wohl verwahrt. Und hernach freut er sich, wenn der Herr wieder kommt. Ich denk' mir allerlei. Wer doch Kundschaft kriegen könnte! Wer weiß, was da drunten geschehen ist, und wir sitzen hier und wissen nichts.«

»Muß ja bald etwas lautbar werden, Nachbar Goldschmied,« sagte der Grobschmied. »Wenn die Milch übergelaufen ist, dann stinket sie im ganzen Hause, und jeder kriegt Kundschaft davon. Aber solang wir keine Kundschaft haben, müssen wir das Gute hoffen. Der König wird's dem römischen Rudolfen weisen, wer der Herr ist. Und wenn er's vollbracht hat, dann schickt er uns die Botschaft. Auf gut Ding ist gut warten.«

»Auf gut Ding, ja!« meinte der Wirt und rieb seine Nase. »Aber könnt's nicht auch bös Ding sein, Gevatter Schmiedkunz?«

»Ach was! Du hast heut' auch keinen guten Tag.«

»Hast du mir nicht selber den Marquart Tausendmark gewiesen? Und hab' ich ihn nicht mit meinen leiblichen Augen gesehen, ehe du zu mir herübergekommen bist?«

»Und was soll das viel bedeuten?« murrte der Schmied. »Der Tausendmark wird gestern nacht zu tief in den Becher geschaut haben, und so hat ihn heute der Jammer.«

»Ja, weiter nichts!« sagte der Wirt. »Das sagst du und glaubst es selber nicht. Der Tausendmark und der Jammer! Ein Mensch, der Milch trinkt jahraus, jahrein! So bist du: wenn's schwarz am Himmel ist, dann guckst du hinauf und sagst, ›ich glaub', das Wetter macht sich‹, und wenn's Taubeneier hagelt, dann sagst du, ›eia, wie's doch so kühl schneit in der heißen Sommerzeit!‹ – Botschaft hat er bekommen, der Tausendmark, das sag' ich, und keine gute, das sag' ich. und darum ist er auf den Ring gegangen grau im Gesicht, das sag' ich und weiß, was ich sag' – ? und hört ihr jetzt auch das Glöcklein auf Simon Stucks Turme? Der Marquart Tausendmark hat Botschaft bekommen!«

»Was kann der allein wissen?« rief der Grobschmied. »Gute Botschaft oder böse Botschaft kommt jetzt nur vom König. Alles andere, was sonst in der Welt vorgeht, braucht uns nicht zu kümmern. Und wer gute Botschaft von ihm bringt, der muß zum Tor herein, wer böse bringt, der kann auch nicht drüber fliegen. Die Botschaft trägt er meinetwegen verschlossen unter Siegel, aber was er gesehen hat mit seinen Augen und gehört hat mit seinen Ohren, das ist ausgeschwätzt noch unterm Torbogen, und eh' er zum Tausendmark kommt, weiß es die halbe Stadt.«

»Das ist zum Lachen!« rief der Wirt. »Da gibt's reitende Boten, die haben auch auf dem Maul ein Siegel. Und hernach – wer sagt, daß der Tausendmark seine Botschaften alle durchs Stadttor kriegt? Der Tausendmark hat jede Kundschaft um etliche Tag' eher als irgend einer in der ganzen Stadt. Das sag' ich! Und wißt ihr's auch, woher? Der Tausendmark kann mehr als Brot essen und darum ist er so unmenschlich reich. Der steigt auf seinen Turm und bespricht sich mit seinen Tauben und redet mit ihnen wie wir Nachbarn untereinander, und sie sagen ihm alle Heimlichkeit, die in der Welt geschieht, und er treibt seinen Handel danach. Das sag' ich euch im Vertrauen; beschwören könnt' ich's freilich nicht. Will ihm auch nichts Übles nachgeredet haben, dem Tausendmark.«

»Das mit den Tauben machst du mir nicht weis,« meinte der Schmied. »Aber,« setzte er nachdenklich hinzu, »voll von Heimlichkeiten sind sie, die Herren Geschworenen gemeiner Stadt Prag allesamt. Und das ist allezeit unrecht und an jedem Orte, vornehmlich aber hier zu Prag, wo die Deutschen zusammenhalten müßten wie nirgend sonst.«

»Guten Morgen, alle miteinander!« sagte ein kleiner, höckeriger Mann und trat herzu.

»Guten Morgen, Gevatter Gewandschneider!« kam's von den andern zurück.

»Habt ihr einen guten Rat, ihr Nachbarn?« fragte der Kleine und rieb seine Hände. »Habt ihr Heimlichkeiten, dann geh' ich, habt ihr keine, dann bleib' ich.«

»Haben keine Heimlichkeiten,« sagte der Schmied, »aber Sorgen.«

»Sorgen? Da kann ich mitreden!« rief der Gewandschneider. »Ist mir auch sorglich ums Herz seit der Morgensuppe schon. Da ist eine Spinne über den Tisch gelaufen, quer drüber –

Spinnen am Morgen,
Die machen Sorgen –

ihr wißt ja. Und gleich darauf hat mir aber auch der Lehrbub', der Aff', richtig die Milchsuppe über ein groß' Stück schwarzen Moret geschüttet – hin ist er; und daneben liegt der grüne Fritschal aus Gent, und ich krieg' den Buben bei den Ohren, der schreit und schlegelt mit Arm' und Bein', der Moret schiebt sich über den Fritschal, hin ist er. Macht für mich einen grausamen Schaden.«

»Daß du fein nicht verhungerst, Schneiderlein, mitsamt deinen dreißig Knechten!« sagte der Goldschmied. »Freilich, ein Fremder möcht' in den Beutel langen, wenn er ihn sieht. Wie der Hunger und die leibhaftige Not schaut er aus, der Schneider. Es schlägt ihm halt nichts an.«

»Spott' du nur, Goldschmied!« rief der Schneider giftig. »Es trägt's nicht jedem, daß er seine Hakelnase mit Karfunkeln einlegt. Das kann auch nur ein Goldschmied.«

»Ruhig, ihr Nachbarn!« befahl der Grobschmied und lachte. »Stehen ihrer drei friedlich beisammen und es kommt ein Schneider dazu, gleich –«

»– sind's ihrer viere. Guten Morgen auch, möcht' ich wünschen!« sagte ein beweglicher Mann mit bleichem Antlitze und schwarzen Locken, griff grüßend an den hohen, spitzigen Hut und trat in den Kreis.

»Gleich ist der Unfriede da, hab' ich sagen wollen, und jetzt kommt der Jud' auch noch!« brummte der Grobschmied. »Guten Morgen auch, Muschlin!«

»Hab' ich gesehen beisammenstehen die Burger vom Ring aus, Hab' ich mir gesagt: Muschlin, hab' ich gesagt, da steht der Wirt zum weißen Roß – hast ihn lang nicht mehr angesprochen, geh hin und sprich ihn an; da steht auch der Schmiedkunz – mußt ihn morgen besuchen in Geschäften, geh heut' hin und biet ihm einen guten Tag; da steht auch der Goldschmied, was ein lieber, alter Bekannter ist von dir in edeln Gesteinen, Gold, Silber und Perlen; da steht auch der Gewandschneider, bei dem sich stoßen unter der Tür die Herrenkinder und die Fürstenkinder, daß er bekleide ihres Leibes Blöße – grüß sie alle zusammen, die ehrbaren Burger! Guten Morgen auch, alle und ein jeder! Wißt ihr 'was Neues aus der Stadt, aus dem Land, aus den Häusern, aus den Gassen, vom leidigen Krieg?«

»Stehen vier beisammen und der Jud' kommt als fünfter zu ihnen, dann muß der die Neuigkeiten wissen,« sagte der Wirt und rieb seine Nase.

»Wie soll er wissen, woher soll er wissen, was soll er wissen, der Jud'? Wie heißt Neuigkeit? Ist sie gut, die Neuigkeit, ist sie schlimm, ist sie sehr schlimm – freut sie diesen, grämt sie jenen. Also – sagt er's zulieb, sagt er's zuleid, sagt er's zu seinem Nutzen, sagt er's zu seinem Schaden, wie kann er's wissen, der Jud'? Neuigkeit ist, was den freut und den grämt, sagt er und hält's Maul. Oder ist's nicht so?«

»Jude, du weißt etwas! Sag's gerade 'raus!« rief der Grobschmied.

»Was kann ich sagen, was kann ich wissen, wie heißt gerade 'raus? Könnt' ich sprechen vom großen Heer, vom grausam gewaltigen Heer, was der König Ottokar hat. Was nutzt's? Haben wir alle gesehen, wie er ist ausgezogen mit Rossen und Wagen. Haben die Glocken geläutet, haben die Weiber geweint, haben die Christen gebetet und haben gefastet, haben auch die Juden gebetet, jeder auf seine Art – wissen wir. – Könnt' ich erzählen von den tapferen Herren Rittern und ihren mutigen Rossen, so von Wien geritten sind mit König Rudolf entgegen dem grausam gewaltigen Heer, was das unserige ist. Habt ihr sie gesehen? Nein. Ich auch nicht. Könnt' einer sehen die einen, könnt' einer sehen die andern, müßt' er zucken mit den Achseln, müßt' sagen: Wer wird siegen, der eine, der andere – wer weiß? Sind viele Sarjanten und viele Reiter viel wert; sind wenig Sarjanten und nicht so viel Reiter, aber auch nicht wenige, viel wert – wer kann's bezweifeln? Ist der Jud' ein Kriegsmann? Er ist kein Kriegsmann, er hat gelernt den Handel, er hat gelernt die Gefälligkeit gegen Jedermann; das hat er gelernt und sonst hat er gelernt nichts.«

»'raus mit der Rede!« rief der Grobschmied und packte den Juden am Arme. »Ist die Schlacht geschlagen?«

»Gott meiner Väter!« sagte Muschlin und machte sich frei. »Hätt' ich gewußt, daß Ihr mich angreifen werdet unsanft und herrisch, daß Ihr machet Spaß, als wär's Ernst, wär' ich geblieben auf dem Ring, hätt' mir angeschaut die Wolken, die Spatzen, die Luft. Wie heißt, ist sie geschlagen die Schlacht? Seh' ich aus als einer, der vom Schlachtfeld kommt? Kann ich fliegen? Ist er gezogen aus Wien und über den Donaustrom gegangen, der römische König – kann sein vor vierzehn Tagen; hat er gemacht die Reise an die March. Kann sein, sie ist geschlagen die Schlacht, kann sein auch nicht. Was weiß der Jud'? Aber –«, und Muschlin trat ganz nahe auf die Männer und sagte mit heiserer Stimme: »Was ist der Krieg? Ein Gleichnis ist er vom Leben. Der Krieg ist wie's Leben, und das Leben ist wie der Krieg. Und warum? Geld kostet's Leben. Und was kostet der Krieg? Geld kostet er, und das Leben kostet er dazu diesem und jenem. Hat er's Leben der König Rudolf? Ist e dumme Frag', freilich hat er's! Hat er Geld? Er hat kein's, sag' ich, er hat kein's gehabt vor drei Wochen, er hat kein's gehabt vor vierzehn Tagen, er hat kein's gehabt vor acht Tagen, wenn er's nicht hat aufgefischt in der Donau, in der March. Hat er's Leben und hat er's Geld, unser Herr König? Wie heißt? Haben wir ihn alle gesehen lebendig! Wissen wir alle, daß er Geld hat, daß er könnt' kaufen alle Grafschaften und alle Königreiche. Hat er ein stattliches Heer, unser Herr König? Wir haben's gesehen, er hat's. Sind sie ihm getreu, seine Reiter, seine Sarjanten, daß sie stehen, wo er will, daß sie fechten, wann er will? Was weiß der Jud'? Kann einer gewinnen den Krieg mit viel Geld, wird unser Herr König gewinnen. Kann einer gewinnen den Krieg mit keinem Geld und mit einem getreuen Heere, so wird gewinnen der römische König. Was weiß ich? Ich bin nicht dabei, ich war nicht dabei, mag ich doch auch nicht sein dabei!«

»Vor vierzehn Tagen schon ist der römische König über die Donau gezogen?« fragte der Wirt.

»Kann sein vor vierzehn Tagen,« antwortete Muschlin.

»So hat der Tausendmark heute die böse Botschaft gekriegt, glaubet mir's, ihr Nachbarn!« sprach der Wirt und rieb seine Nase.

»Eia, was Ihr saget!« rief der Jude. »Der Tausendmark? Hat er's euch erzählt? Was hat er euch erzählt?«

»Nichts hat er erzählt,« sagte der Grobschmied.

»Aber ein graues Gesicht hat er vorhin gehabt,« rief der Wirt, »und die Hunde vom Herzog Niklas sind auch zurückgekommen heut' nacht und sind gefunden worden vor der Burg heut' früh, und meine schwarze Henne –«

»Nachbarn, ich bitt' euch, schauet das Ding doch kalt an!« sprach der Grobschmied.

»Und ist er gegangen aus seinem Hause?« fragte Muschlin.

»Da vorüber,« sagte der Wirt.

»Und wohin?«

»In Simon Stucks Haus.«

»Nun muß ich leider wieder fort,« sagte der Jude. »Hab' noch Geschäfte, muß mich plagen in der bösen Zeit. Guten Morgen auch, alle und ein jeder!«

* * *

Und mit eiligen Schritten ging er über den Ring und murmelte: »Was kann ich geben für das graue Gesicht und was kann ich geben für die verlaufenen Hünd'? Viel kann ich geben für das graue Gesicht; denn der Tausendmark hat es weiß und rot von Natur. Und viel kann ich geben für verlaufene Hünd', wenn sie gehören einem Herzog und wenn sie gelaufen sind aus einem Kriegszelt, und wenn ich weiß, daß der Tausendmark hat gemacht ein graues Gesicht, und wenn ich weiß, was ich weiß.« –

Und so ging der Jude dahin und dorthin. Vor ihm aber glitt einher gleich einem Schatten das böse Gerücht. Und der Jude lief weiter, und der Schatten lief, und der Jude traf auf seinem Wege Deutsche und Tschechen, Juden und Fremde, Männer und Weiber, und der Schatten teilte sich und griff mit hundert Armen in alle Gassen und Gäßlein, wuchs und griff wie mit Riesenflügeln von einem Tore zum andern, überdeckte Ringmauern und Türme, legte sich über den glitzernden Strom und kroch hinan zur Burg des Königs:

Wer hat's gesagt? Der Tausendmark? Die Schlacht ist verloren? Den Herzog Niklas haben sie gefunden? In der Stadt? Auf der Burg? Des Herzogs Rosse liegen vor dem Tore? Wo? Vor der Stadt? Vor der Burg? Was, beim Tausendmark ist er verborgen? Und der ist weiß geworden über Nacht? Nicht wahr ist's? Aber der König ist gefangen? Wer hat's gesagt? – Der Tausendmark hat's dem Juden Muschlin gesagt!

* * *

Aber bald nach dem Gerüchte kam die Wahrheit an die Stadt des toten Königs. Sie kam hohlwangig, mit eiternden Wunden, waffenlos, hoffnungslos; sie kam auf abgehetzten Rossen, sie kam auf knarrenden Karren, sie kam hinkend am Stabe, bedeckt vom Staube der Heerstraße; sie kam mit Tschechen und Polen, mit Brandenburgern und Thüringern, sie kam mit Herren und Knechten und pochte an die verschlossenen Tore der Stadt. Und mit ihr kam das Entsetzen, grinste hinein in die Herrenhäuser und in die Hütten und griff Deutschen und Tschechen und Juden ans Herz.

Da legte der Handwerksmann das Werkzeug bei Seite, lieh den Tränen ihren Lauf, schlug das Kreuz und murmelte die Fürbitte, der Kaufherr verhüllte sein Angesicht vor der Zukunft, das Volk wogte durch die Gassen und über den Ring und zerriß mit Klaggeschrei die Kleider. Und die Zugbrücken gingen mit Gerassel in die Höhe ringsumher? aus der Moldau strömte das braune Wasser in den tiefen Graben und umklammerte die Altstadt mit einem breiten Gürtel; Prag schloß sich ein mit seinem Jammer. In den Kirchen lag die Menge auf den Knien, schluchzte und betete, und hundert Glocken riefen mit ehernen Stimmen die Botschaft über die Giebel der Stadt, über ihre Ringmauern, empor zur Burg, den Strom hinunter und hinauf, über Feld und Wald hinaus ins Land. Und aus dem weiten Böhmen stieg tausendfältig die Klage zum Himmel: Der König ist tot!

* * *

Sonne, erlisch doch über dem goldenen Prag!

* * *

Wehe dem Lande, des König ein Kind ist!

Ein Tag nach dem andern verrann. Auf den Feldern vor der Stadt Prag lungerte zersprengtes Gesindel. Mit finstern Gesichtern schritten die Geschworenen über den Ring Tag für Tag, stiegen die Treppen empor in Simon Stucks Hause und ratschlagten hinter verschlossenen Türen. Boten kamen von der Kleinseite und vom Wyschehrad, wurden angehört und gingen; königliche Hofleute ritten mit ihren Trabanten durch die Gassen auf den Ring, und die Böhmen ratschlagten mit den Geschworenen in Simon Stucks Hause mit großer Heimlichkeit.

Und so oft die helle Glocke vom trotzigen Turme ertönte und die Geschlechter rief, murrte das Volk, und vom Morgen bis zum Abende flogen auf den Gassen, in den Werkstätten, in den Wohnstuben zornige Worte hin und her, in den Trinkstuben ward der Faßhahn nimmer trocken, und es ging die Rede von Mund zu Mund: »Sind wir Kinder, weil wir nichts zu wissen kriegen? Sind wir Warenballen, weil sie uns ungefragt verschachern? Was soll werden aus uns in dieser bösen Zeit, in dieser geschwinden Zeit?«

* * *

»Was soll's werden, ihr Nachbarn alle?« schrie auch der Grobschmied beim Roßwirte und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Zinnbecher tanzten und der Wein auf die Ahornplatte spritzte. »Was soll's werden?« schrie er, und zunächst ward es ganz stille in der großen, niederen Stube, und noch näher rückten die Bürger aneinander. Düster brannten die Lichter und flackerten im Luftzuge, an die Holzläden klatschte der Regen, und es lagerte eine finstere, böse Nacht über Prag.

»Und noch einmal frag' ich: was soll's werden?

Wißt ihr's? – Nein! – – Aber die Großen wissen's, die Geldsäcke, die Herren mit den feinen Händen. Horchet nur, wie oft das Glöcklein bellt am Tage, und schauet sie an, wie sie herausstolzieren aus Simon Stucks Hause, wie die Herrgötter, und wie sie die Mäuler halten, daß ja kein Sterbenswörtlein lautbar werde! Und um was geht der Handel? Um der Herren Vorteil? – – Um gemeiner Stadt Wohl und Wehe, dächt' ich! – Oder ist's nicht so?«

»Und um eurer aller Felle!« sagte einer, der unter die Türe getreten war, hängte den triefenden Mantel an den Rechen und setzte sich neben den Ofen an den kleinen Tisch.

»Wer spricht da herein? Wir kennen den Mann nicht!« rief der Grobschmied.

»Ist auch gar nicht nötig,« sagte der Fremde. »Ich dächte, Ihr habt eine Frage getan, und ich habe Euch die Antwort gegeben. Oder ist's nicht so?«

»Ihr habt von unseren Fellen gesprochen,« schrie der Gewandschneider und machte ein giftiges Gesicht. »Wir sind freie Bürger und haben keine Felle!«

»Dann nennet's Haut, wenn's Euch so lieber ist!« lachte der Fremde. »Mag aber, so schätz' ich, dem heiligen Bartholomäus einerlei gewesen sein, als sie ihn schinden taten, ob's Fell oder Haut heißt.«

»Kümmert Euch um Eure Geschäfte!« sagte der Grobschmied. »Was geht Euch das Ding an? Was wißt Ihr von gemeiner Stadt Prag Angelegenheiten?«

»Mit Verlaub, was wißt denn Ihr davon?« rief der Fremde und richtete sich in die Höhe. »Und was mich das Ding kümmert? Eia, so wenig oder so viel wie den langen Brandenburger, den Otto, der vorhin durchs Tor geritten ist und jetzt beim Jarosch am Kohlenmarkte seinen Abendschoppen trinkt und vom Wetter redet – oder vom Königspielen!«

»Wer? Habt Ihr's gehört? Der Brandenburger ist in der Stadt? Beim Jarosch, beim jungen Rothart? Da habt Ihr die Heimlichkeit!« schrie es wild durcheinander in der Stube. Der Fremde aber saß ruhig da, streckte die langen Beine von sich und steckte die Nase in den blinkenden Becher.

»Wißt Ihr das ganz gewiß, Ihr da am Ofen? Euern Namen habt Ihr uns nicht verraten,« sagte der Wirt und trat vor seinen Gast.

»Wie ich gesagt habe, so ist's,« antwortete der Fremde und trommelte auf der weißen Tischplatte. »Doch was kümmert euch das Ding? Die Burger in Prag werden gut regiert von den Geschworenen – und was geht sie's an, von wem diese hinwiederum regiert werden?«

»Aber da seid Ihr auf dem Holzweg!« rief der Grobschmied. »Gemeiner Stadt Angelegenheiten sind gemeiner Stadt Angelegenheiten, und es geht jeden Burger an, wie die Geschworenen handeln.«

»Ist freilich höchste Zeit zum Handeln,« warf der Gast hin. »Der römische König steht bei Brünn, und hinter ihm und rings um ihn her rauchen die Dörfer. Mich wundert's, daß er nicht schon vor Prag steht. Aber was nicht ist, kann werden. Eia, euer König Otto wird schon wissen, was zu tun ist!«

»Unser König!« schrien drei, vier Bürger, und der Grobschmied schlug wieder auf den Tisch, daß die Becher tanzten.

»Wer seid denn Ihr, daß Ihr uns im eigenen Hause verhöhnt?« fragte der Goldschmied, und seine Stimme bebte.

»Verhöhnen, ich? Beileibe nicht!« sagte der Fremde und erhob sich.

»Gebt mir eine Laterne, Wirt, ich will nach meinem Klepper schauen!« – »Verhöhnen?« wiederholte er und reckte sich. »Beileibe nicht! – Aber was wollt ihr machen? Der Markgraf von Brandenburg ist in der Stadt, er hat die Vormundschaft über euern kleinen König und ist also euer König, möget ihr's wissen oder nicht, möget ihr wollen oder nicht.« Und damit ging er aus der Türe.

»Habt ihr's gehört, sehet ihr's? Soweit ist's gekommen in der Stadt Prag; die Fremden müssen den Hiesigen sagen, was die Geschworenen verhandeln!« schrie der Grobschmied. »Schmach und Schande ist's, wie wir dagesessen sind vor dem hergelaufenen Kerl und haben ihm nicht auf eines antworten können.«

»Hör auf mich, Gevatter!« rief der Gewandschneider, und seine hohe Stimme drang siegreich durch den Tumult. »Höret alle auf mich, ihr Nachbarn! Ich denke, wir handeln freundschaftlich mit dem Fremden. Mich dünkt, der weiß noch mehr, und das müssen wir alles hören. Glaubt ihr's jetzt, was ich immer sage? Verraten und verkauft ist der Burger in der Stadt Prag. Und von wem? Von den eigenen Geschworenen. Merkt ihr jetzt, woher der Wind weht? Aber nicht erst seit heute und gestern!«

»Der Schneider hat recht!« riefen sie da und dort.

»Seid stille, ich bitt' euch!« sagte dieser und legte den Finger auf den Mund.

Der Fremde trat herein, blies das Licht aus, hängte die Laterne an den Nagel und setzte sich an seinen Platz.

»Eia, mit Vergunst!« begann der Schneider und räusperte sich. »Das mit der Vormundschaft, das haben wir schon gewußt. Der Brandenburger will Vormund werden, aber die Königin kann ihn nicht leiden, die Königin will nicht.« Und hastig strich er über das glatte Kinn und schaute stolz lächelnd im Kreise umher.

»Ist mir auch recht,« sagte der Fremde und tat einen Zug aus dem Becher. »Wenn sie's nur weiß, eure Königin, was da unten in der Stadt heut' nacht vor sich geht! – Kurz nach dem Brandenburger haben sie auch den Kanzler in seiner Sänfte zum Jarosch ins Haus getragen.«

Ein Murmeln ging durch die Stube.

Wieder räusperte sich der Schneider und begann aufs neue: »Ihr seid wohlbewandert, Herr, und kennt Euch aus in den Zeitläuften. Glaubt Ihr, daß der römische König Böhmen auch noch in seinen Sack stecken wird?«

»Was weiß ich vom römischen König?« sagte der Fremde. »Wenn er guten Willen sieht, dann wird er mit sich handeln lassen; wenn ihr Krieg haben wollt, dann wird es ihm in einem Zuge hingehen.«

»Eia, wir wollen keinen Krieg,« meinte der Goldschmied. »Wir sind friedliche Leute, und im Kriege liegen Handel und Wandel danieder.«

»Es gibt aber solche, die euch feind sind, die auf ihren Burgen sitzen und scheel sehen auf euern Handel und euern Wandel und eure Wohlhäbigkeit, und die halten den Frieden hintan, damit sie im Trüben fischen können, – dieselben, die unsern König gehetzt haben gegen den römischen König und haben die Mäuler vollgenommen vor der Schlacht und in der Schlacht das Hetzen und das Zuschlagen vergessen und sind in der höchsten Not davongelaufen. Wer ist beim König geblieben bis zuletzt? Tschechische Herren? Nein, deutsche Ritter haben ihr Leben für ihn gelassen! Und die andern, die Ausreißer, die reiten jetzt hin und her im Lande und rechnen und schätzen und sagen: ›Der König ist tot, und der neue König ist ein Kind. Kommt und laßt uns das Werk vollenden!‹ – Welches Werk? Ihr wißt's so gut, wie ich! Ihr wißt, wie sauer uns Deutschen seit Jahren das Leben gemacht wird allenthalben im Lande, nicht nur in Prag, ihr kennt so gut wie ich das Feldgeschrei: ›Fort mit den Deutschen aus Böhmen!‹ – Und dieses Werk wollen sie jetzt vollenden, die tschechischen Herren. Hütet euch und rennet nicht mit sehenden Augen ins Verderben! – Ich will's euch sagen, wie sie gerechnet haben und wie sie rechnen. Vor dem Krieg haben sie also gesprochen untereinander: ›Woher kommen die Deutschen in unserm Lande? Aus dem Reiche. Und wo haben sie ihren Schutz? Im Reiche und beim römischen König. Auf, laßt uns den römischen König vernichten! Die Zeit ist gar günstig, unser König wird siegen, und dann haben wir die Macht in der Hand, und dann geht's den Deutschen an den Kragen.‹ – Jetzt sprechen sie: Wir sind besiegt, der römische König wird ins Land kommen, die deutschen Burger und die deutschen Bauern werden ihm anhangen, und wir werden vernichtet werden. Also darf nicht Friede werden, der römische König darf nicht ins Land kommen – wir rufen den Brandenburger!‹ ? Und ich frage euch allesamt: Wer ist König, wenn der Vater stirbt und der Sohn ist noch ein Kind, wer? – Die Mutter ist die Königin! Und wer arbeitet mit aller Kraft daran, daß der Fremde, der Brandenburger, über uns Herr werde? Ich will's euch wieder sagen! Der den König in den Krieg und in den Tod getrieben hat, der jedem Deutschen die Zunge ausschneiden möchte und der jetzt beim Jarosch am Kohlenmarkte sitzt, der Kanzler! – Hütet euch! Wenn der Brandenburger unser Herr wird, dann ist der Kanzler, dann sind die Tschechen unsere Herren – und dann gute Nacht mit euern Freiheiten, die werden euch zerschnitten, wie Krautsköpfe werden sie euch zerschnitten!«

Lautlos saßen die Bürger und schauten vor sich hin. Dann hob sich ein Murmeln von einem Ende der Stube zum andern.

»Ist halt ein Kreuz, daß unser guter König hat dran glauben müssen, das sag' ich! O weh, wie ist es jammerschade um ihn; der hat es gut gemeint mit uns Burgern, immerfort, bis zuletzt!« rief der Wirt und legte den Finger an die Nase.

»Ja, und wer ist schuld daran?« ließ sich der Gewandschneider vernehmen. »Die Deutschen auch, und nicht allein die Tschechen – oder ist's anders? Die deutschen Herren haben ihn verlassen von Anfang an!«

»Und warum haben ihn die deutschen Herren verlassen?« rief der Mann am Ofen und erhob sich. »Warum? Ich will's euch sagen: Weil sie schon lange Zeit her vom König verlassen waren, und weil seit langher nicht der König sondern der Kanzler König war. Die Rosenherren meint ihr, ich weiß es, und die Cimburger und die Löwenberger, und wie sie alle heißen. Ich dächte, die Schilde sind wohlbekannt in Böhmen, und ich schätze, die Rosenherren und die andern haben Gut und Blut niemalen gespart, wenn's des Königs Ehre galt. Oder habe ich unrecht? Recht habe ich! Und als Zeugen rufe ich die Grauköpfe auf unter euch. Saget, denkt ihr noch daran, wie der König vor achtzehn Jahren heimgezogen ist vom Marchfelde, wie er eingeritten ist in seiner Stadt Prag, wie ihm eure Geschworenen auf dem Ring den Wein kredenzt haben – wer ist ihm zur Rechten geritten und wer zur Linken? Herr Wok von Rosenberg und Herr Budiwoj von der Krummenau! Und warum? Weil die beiden dazumalen den König und das Land gerettet hatten vom Verderben.«

Ein Murmeln ging durch die Reihen.

»Höret mich weiter!« rief der Fremde. »Aber nein, was rede ich da vor euch und weiß doch nicht, ob ihr das alles hören wollt?«

»Wir wollen's hören, Ihr kennt die Zeitläufte!« rief der Grobschmied.

»Ich bin bald fertig,« fuhr der Fremde fort. »Die alten Rosenherren haben das Land gerettet – glaubt ihr, die jungen Rosenherren tragen Wasser in den Adern? Glaubt ihr, auf den Rosenbüschen sind Gänseblumen gewachsen? Ein Rindvieh, wer das sagt! Das Ding schaut anders aus: Die Tschechen haben den König Ottokar ins Verderben gehetzt, die Tschechen haben den römischen König vernichten wollen und nach ihm die Deutschen hier zu Lande – und dazu haben die Rosenherren und die andern nicht geholfen. – Eia, das Hemd liegt mir näher als der Rock. – – – Wenn's jetzt noch eine Rettung gibt vor den Tschechen und vor dem langen Otto, dem Brandenburger, dann wissen's allein die Rosenherren und die andern deutschen Herren. – Alles, was deutsch redet in Böhmen, gehört zusammen in dieser harten Zeit! – – Aber, was sage ich? Die Rosenherren sind weit von hier, und die Prager Bürger werden gar wohl regiert von ihren Geschlechtern. Vergebet einen Fremden, wenn er unwissend euere Ohren beleidigt hat!« –

Ein Murmeln ging durch die Reihen und wuchs, Rufe flogen von Bank zu Bank, die Becher leerten sich und klangen auf den Platten, und eilig schob sich der Wirt von Tisch zu Tisch und füllte sie wieder.

»Der kann's, wie ein Predigermönch kann er's!« sagte der Schneider und trank seinen Nachbarn zu.

Der Grobschmied erhob sich und rückte einen Stuhl an den Tisch des Fremden.

»Mit Vergunst, Ihr habt genaue Wissenschaft von böhmischen Händeln, das muß ich sagen!«

»Wer in der Welt herumkommt, der hört viel; er braucht nur die Ohren aufzumachen,« erwiderte der Fremde.

»Ihr glaubt gar nicht, wie sehr hochmütig die Geschworenen sind gegen uns Leute vom ehrbaren Handwerk,« sagte der Grobschmied und rückte vertraulich näher; »alles tun sie heimlich und lassen den gemeinen Mann in der Unwissenheit. – Ein schlechter Vogel, der sein Nest beschmeißt. ›Hilf eher zehn ehrlich machen als einen unehrlich, wo es kann sein; wo's aber nicht kann sein, da nimm dein Bündel und lauf weg!‹ also sagen wir unsern Junggesellen, wenn sie auf die Wanderschaft gehen. Wir Alten aber, sollen wir etwan auch das Bündel schnüren? Also müssen wir uns rühren gegen das Unrecht. Und zu Euch habe ich das Vertrauen: Seit die Tschechen bei unsern Landsleuten im Rate sitzen, ist's, wie wenn der Leibhaftige säße zwischen Geschworenen und Zünften. Alle sind sie nicht so hochmütig, das muß man sagen; aber die meisten, die meisten!«

»Und was bedeuten die Geschworenen denn ohne euch? Nichts, sage ich!« warf der Fremde dazwischen.

»Das stimmt,« antwortete der Grobschmied. »In den Zünften liegt die Kraft einer Stadt.«

»Und doch laßt ihr euch mißachten von dem Häuflein?«

»Es steht nicht mehr so wohl um den Gehorsam wie ehedem,« sagte der Grobschmied. »Die Zünfte sind widerhaarig wie noch nie, seit ich denken kann. Jeder von uns sieht das Verderben kommen, keiner kann's wenden. Wir Schmiede haben den Spruch: ›Stoß nicht mit dem Kopf durch die Mauer, und ehe du übers Wasser fährst, wirf einen Stein hinein – trägt's den Stein, dann trägt's auch dich!‹ Bedächtigkeit tut not. Aber glaubet mir, wer den rechten Weg wüßte übers Wasser und kennete das Pförtlein in der Mauer, und wer dann das rechte Wort spräche – der hätte alle Zünfte hinter sich. Aber das rechte Wort müßt's sein, das alle verstünden. Gern spräche ich das Wort; denn ich gräme mich sehr. Und ich weiß es, hundert und hundert denken wie ich und wollten hören auf mich, wenn ich Bescheid wüßte. Aber ich weiß ja das Wort nicht, weil ich nicht hineinschaue in die Heimlichkeit.«

»Und wenn Euch das Wort einfiele, vielleicht im Traume heute nacht – wie lange ging's her, bis es bei Euerm Anhang von Mund zu Mund liefe?« fragte der Fremde und spielte mit dem schweren Goldringe, den er am Daumen trug.

»Herr,« sagte der Grobschmied erregt, »das liefe wie Feuer läuft über die Schindeldächer. Ich bin Zunftmeister in meiner Zunft. Und was ein Zunftmeister hinausgibt aus seiner Werkstatt, das wissen in einer halben Stunde die andern Zunftmeister, und in einer zweiten halben Stunde weiß es der kleinste Meister in der letzten Werkstatt.«

»Und wenn ihr euch wolltet zusammenscharen, ihr von den Zünften, wie groß wäre die Zahl, Meister und Gesellen alle zusammen?«

»Herr,« sagte der Grobschmied, »dann könnte uns der Ring gerade noch fassen; und von uns trägt jeder seine Wehre an der Seite von alters her.«

»Und ihr laßt euch von den wenigen ins Verderben treiben?« flüsterte der Fremde. »Meister, wann seid Ihr morgen zu sprechen?«

»Von Sonnenaufgang an zu jeder Zeit. Wißt Ihr meine Behausung?«

»Ich weiß schon längst von Euch und bin nicht von ungefähr ins weiße Roß gekommen. Da schräg gegenüber liegt Eure Schmiede. Morgen besuche ich Euch und vielleicht bringe ich das Wort mit. Für heute gute Nacht!«

* * *

Menschenleer waren die Gassen der Stadt, kein Sternlein konnte durch die schweren Wolken dringen. Von den Dächern rauschte das Wasser, der Wind heulte.

Beim Roßwirt im offenen Torwege stand der Fremde und hielt eine brennende Fackel.

Die Holzstiege, die vom oberen Stockwerke herabführte, knarrte unter den Tritten eines gespornten Mannes. Neben den Fackelträger trat eine hohe Gestalt.

»Ich bin weit gekommen mit denen da drinnen, Herr!« flüsterte jener. »Es wird gut gehen, wenn uns Sankt Peter hilft. Die Burger sind unruhig, horchen dahin und dorthin. Jetzt nur den rechten Hebel am rechten Orte – wer ihnen die Angst nimmt, der wird ihr Herr sein!« Und damit hob er die Fackel hoch empor und ging voran in die Nacht.

»Ein schwer Stück ist jetzt zu tun, Burkhard,« sagte der andere. »Aber ich hoffe, es soll mir auch gelingen.«

Und schweigend schritten die beiden zwischen den hohen Häusern hin, und über ihnen heulte der Wind. –

Am Hause des Tausendmark hielten sie, und Burkhard schlug mit dem Schwertknauf an die Schalltafel, daß es durch die Gasse hallte.

»Wer da?« rief drinnen eine Stimme, und das Guckloch am Pförtlein öffnete sich.

»Sturmwind und Sonnenschein!« flüsterte Burkhard.

Die Schlüssel rasselten, und lautlos drehte sich die Türe.

»Zwei?« fragte der Pförtner und hob die Laterne.

»Zwei!« sagte der große Mann und schritt über die Schwelle.

»Um Gott! Herr –« rief der Pförtner.

»Schweig!« sagte Burkhard und drückte die Hand auf den Mund des Alten. »Führ den Herrn hinauf! Ich stecke die Fackel dort in den Ring und setze mich auf den Ballen da.«

Wieder drehte sich die Türe, wieder klirrten die Schlüssel, und stille lag das hohe Haus.

»Das mit dem Sturmwind ist richtig, Herr,« sagte der weißhaarige Knecht und ging mit der Laterne voran durch den weiten Flur zwischen den verschnürten Warenballen zur Stiege. »Aber das mit dem Sonnenschein stimmt nicht,« vollendete er und schüttelte das Haupt. Auf dem ersten Absätze, unter dem ewigen Lichte, das zu Füßen der heiligen Jungfrau flackerte, wandte er sich, als wollte er die Antwort hören. Aber der Fremde kam wortlos die Stufen empor, und wieder schüttelte der Greis das Haupt, warf einen Blick auf das lächelnde Bildnis der Jungfrau, schlug hastig das Kreuz und ging weiter, Schritt vor Schritt, und murmelte: »Stimmt nicht, stimmt nicht. Sturmwind und Nacht – finstere Nacht!«

Im ersten Stockwerke öffnete er die Türe und trat zurück.

»Burkhard, nur herein!« rief Tausendmark. »Ich warte längst auf Euch!«

»Gott zum Gruße, Vetter!« sagte jetzt der Fremde und setzte den Fuß auf die Schwelle.

»Wer ist's?« rief der Kaufherr, sprang auf, riß den Leuchter vom Tische und hielt ihn hoch empor. Seine Hand zitterte, sein Antlitz war bleich. »Du, Zawisch?«

»Ich!« sagte Herr Zawisch und warf den Mantel ab.

»Gut Ding will Weile haben!« rief der Kaufherr mit angstvoller Stimme.

»Wer die Kraft in seinen Armen fühlt, der packt den Stier bei den Hörnern. Noch einmal, Gott zum Gruße, Vetter!« sagte Herr Zawisch und hielt dem Kaufherrn die Hand hin.

Kopfschüttelnd war der alte Knecht aus der Türe gegangen und hatte die Laterne ausgelöscht. Jetzt stand er auf der Stiege unter dem ewigen Lichte und murmelte: »Sturmwind und Nacht, finstere Nacht!«

* * *

»So bist du, Zawisch!«

»So bin ich. Wie soll ich sonst sein?«

»Bedächtig!«

»Weiß Gott, ich habe Zeit gehabt zum Denken drunten auf dem Falkensteine all die Zeit her!«

»Ach ja, Zawisch, verzeih, daß ich nicht gleich davon gesprochen habe – dein armes Weib! Wir sind oft bei dir mit unsern Gedanken.«

»Das hast du mir ja auch geschrieben,« sagte Zawisch und wandte sich ab. »Es liegt hinter mir.«

»Aber so sprich doch, was willst du jetzt, allein, bei uns in der Stadt?«

»Wer sagt dir, daß ich allein bin? Und was wunderst du dich? Du hast mich um Rat gefragt –«

»Ich habe in meiner Bedrängnis zu dir geschickt, und du hast deinen Burkhard zu mir reiten lassen –«

»Und jetzt stehe ich selber vor dir. Was kannst du mehr verlangen?«

»Daß du noch nicht selber vor mir stündest! – –

Zawisch, was willst du in meinem Hause? Es ist noch nichts vorbereitet –«

»Marquart Tausendmark, du hast mich um Rat gefragt, und ich bringe nicht nur Rat, sondern auch Hilfe. – – – Auf den Türmen von Budweis wehen die Witigonenfahnen.«

»Budweis ist euer?« rief Herr Marquart und schlug die Hände zusammen. »Herr des Himmels – seit wann?«

»Seit vorgestern, Marquart.«

Der Kaufherr ging hastig auf und nieder und preßte die Linke an die Stirne. Herr Zawisch aber sagte nach einer Weile lächelnd: »Ich wäre dir dankbar, Vetter, wenn du trotz alledem einen Sitz für mich hättest.«

»Verzeih, verzeih!« rief Tausendmark. »Mir ist, als drehte sich alles im Kreise.«

»Und warum?« fragte der Witigone kalt, schob den großen Faltstuhl an den Kamin und ließ sich gemächlich nieder. »Marquart Tausendmark, fasse dich, er ist nicht der Rede wert, der Häuserhaufen an der Moldau. Und wir sind glimpflich mit unsern Todfeinden verfahren!«

»Budweis euer – es ist fürchterlich! – Zawisch, noch wissen sie nichts in Prag von diesem Handstreich, aber hüte dich!«

»Marquart Tausendmark, hättest du trotz alledem vielleicht auch noch einen Becher Wein für mich und einen für dich?«

Marquart riß den Wandteppich auseinander und ging aus der Türe. Nach einer Weile kam der alte Knecht und brachte Wein, rückte ein Tischlein vor Herrn Zawisch, stellte die gefüllten Becher darauf, schob den zweiten Faltstuhl an den Kamin und entfernte sich wieder.

»Guten Abend auch, mein Sohn!« sagte Zawisch und hob sich freundlich von seinem Sitze. »Nimm Platz, Marquart, trink und mache ein liebreiches Gesicht! Mich dünkt, ich bin schon wärmer aufgenommen worden in deinem Hause.«

Schweigend setzte sich der Kaufherr, nahm den Becher und stieß an den Becher des Witigonen.

»Der Wein, Marquart,« sagte Zawisch und lehnte sich zurück, »der Wein – du mußt mir das nicht übelnehmen – ist heute das Beste in deinem Hause. Doch sag, wo ist Alheit?«

»Zawisch,« bat der Kaufherr und faltete die Hände, »Zawisch, ich flehe dich an, sei barmherzig! Um des Kindes willen, verfahre schonend mit meinem Hause, Zawisch, ich bitte dich beim Andenken an deine Mutter, ich flehe dich an – mir graut, mir ist, wie wenn mich der Sturmwind packen wollte, Zawisch – denke auch an den Frieden anderer Menschen!«

»Marquart Tausendmark, ich muß dich mahnen, komm ganz allmählich wieder zu dir selber! Du sprichst, als ob ich die Brandfackel in dein Steinhaus werfen wollte. Trink, und dann wollen wir uns beraten!«

»Ich will trinken und will mit dir sprechen – aber sage mir doch gleich, was du forderst!«

»Nicht so eilig, Vetter! Gut Ding will Weile haben. Ist das auch Kaufmannsart, einen Handel über Hals und Kopf zu betreiben?«

»Zum Handel gehören zwei,« sagte Marquart und griff mit zitternden Fingern nach dem Becher; »du aber handelst immer, als ob du allein wärest. Das weiß ich, solang ich dich kenne.«

»Schön gesagt – aber du täuschest dich, Marquart. Wenn zwei Menschen miteinander ein Ziel verfolgen, dann handelt in Wahrheit doch nur der eine von beiden – und der andere hilft ihm.«

»Was soll mir das alles, Zawisch? Ich kenne ja dein Ziel nicht einmal und dennoch soll ich mit verbundenen Augen hinter dir hergehen!«

»Mein Ziel soll dir keine Stunde länger verborgen sein,« sagte Zawisch, nahm einen Schluck Wein und erhob sich: »Budweis ist unser, und jetzt will ich Prag!«

Der Kaufherr sprang auf, verzog den Mund, rieb hastig die Hände und rief: »Es ist zum Lachen, er treibt Scherz in dieser bösen Zeit, er – ?«

»Marquart Tausendmark, ich treibe keinen Scherz. Bei Gott, ist mir auch nicht zum Scherzen, wo ich noch in Wams und Mantel den Brandgeruch von Budweis trage! Marquart Tausendmark, du sollst dich nicht beklagen über allzugroße Heimlichkeit! In vierundzwanzig Stunden bin ich der Herr von Prag. Und da du nun das Ende kennst, wollen wir uns setzen und ruhig über die Wege beraten!«

»Ruhig beraten, ruhig beraten!« rief der Kaufherr und begann im Gemache auf und nieder zu rennen, während der Witigone sich in den Stuhl sinken ließ und nach dem Becher griff.

»Haben sie dir vor Budweis einen Schlag auf den Schädel gegeben?« fragte Marquart, trat Herrn Zawisch gegenüber und versuchte, das verzerrte Antlitz wieder zu einem Lächeln zu zwingen.

»Lieber Marquart,« antwortete dieser, »wollen wir keine Zeit verlieren. Ich lade dich nochmals ein, setze dich zu mir und trinke! Das ist das Klügste in deiner Lage.«

Der Kaufherr gehorchte.

»Zuerst etliche Fragen, Marquart!« sagte Zawisch und kreuzte die Arme über der Brust. »Seid ihr Geschworenen einig untereinander?«

»Zur Zeit mehr als je,« antwortete der Kaufherr.

»Und was gedenket ihr zu tun?«

»Das Wasser im Graben gestaut, die Tore verschlossen zu halten – Zawisch, wie bist du überhaupt in die Stadt gekommen?«

»Ich finde meine Wege überall,« antwortete der Witigone. »Aber weiter, Marquart, weiter! Hat keiner von den Geschworenen Heimlichkeiten vor den andern?«

»Was kann ich wissen?« sagte Marquart. »Wir ratschlagen offen miteinander und mit den Neustädtern und mit den Königischen.«

»Und was gedenkt die Königin zu tun?«

»Frag lieber, was Propst Peter zu tun gedenkt!«

»Das weiß ich, Marquart,« antwortete Herr Zawisch.

»Wie kannst du das wissen?« fuhr der Kaufherr auf. »Der Mann ist mir und meinen Freunden ein Rätsel, und wir sehen ihn doch alle Tage. Und du willst seine Pläne aus der Ferne durchschauen, sein Vorhaben?«

»Seine Pläne? Sein Vorhaben?« lachte Zawisch. »Seine Machenschaften! – Marquart, die andern haben auch ihre Heimlichkeiten, nicht nur du.«

»Ich?« fragte der Kaufherr.

»Nun, ich dächte, du bist mitten darinnen. Verhandelst nächtlicherweile mit dem geächteten Zawisch und bist willens, ihm bis morgen abend die Stadt Prag auszuliefern wie einen verschnürten Warenballen!«

»Ich dächte, die Sache liegt umgekehrt!« rief Marquart. »Ich habe dich um deinen Rat gefragt, wie ich die Freunde zu Pilsen und zu Eger und die Vettern in Cham um Rat gefragt habe, und auch von denen zu Nürnberg werde ich in den nächsten Tagen Rat bekommen. Ein vorsichtiger Mann schaut nach allen Enden des Himmels, wenn die Zeit böse ist, und hernach handelt er. Du aber hast dich eingeschlichen in die Stadt und in mein Haus und willst mich mit Gewalt in die Schwerter stoßen zum Tanzen.«

»Ja, Marquart, ich habe mich beeilt, zur rechten Zeit zu kommen,« sagte Zawisch und lächelte vor sich hin. »Aber täusche dich doch nicht so bitterlich, so über alle Maßen: du hast niemals weniger gehandelt als gerade in diesen Tagen, und darum muß ich für dich handeln! – – Marquart Tausendmark, spanne die Ohren ein! Du hast nicht allein deine Heimlichkeiten in dieser Stadt. Während du als vorsichtiger Mann nach allen Enden des Himmels ausschaust, geschehen Dinge ein paar Gassen weit von deinem Hause, die du dir nicht träumen läßt. Der Brandenburger sitzt beim Jarosch am Kohlenmarkte, und der Propst sitzt bei ihnen, sie trinken Wein und – nun Marquart, vielleicht spielen sie Wurfzabel miteinander.«

Der Kaufherr fuhr in die Höhe. »Das ist nicht wahr!«

»Vetter Marquart,« antwortete der Witigone und zog die Brauen zusammen, »wäge deine Worte, wie du deine Heringstonnen wägst!«

»Verzeih, Zawisch!« sagte Marquart und atmete tief auf. »Gestern haben wir geratschlagt beim Wölfel im Turme draußen auf dem neuen Markte, wir Geschworenen alle und der Propst, und haben darüber gehandelt, ob nicht bei Zeiten Boten geschickt werden sollten zum Brandenburger; denn es weiß ja jeder, daß dem Brandenburger die Vormundschaft übertragen worden ist noch vom Könige, dem Gott gnädig sei. Ich habe an deinen Rat gedacht und habe mich gewehrt und bin durchgedrungen. Und wer hat mich und meinen Anhang unterstützt mit aller Beredsamkeit? Der Kanzler!«

»Und was hat er da vorgebracht?« fragte Zawisch.

»Abwarten tue not, er, der Kanzler, sei ein Freund der Bürger, der Brandenburger sei der Königin verhaßt –«

»Der Königin?« rief der Witigone und beugte sich vorwärts. »Sollte ich also doch recht gehört haben?« murmelte er.

»Der Königin,« fuhr Marquart fort, »und er selber traue ihm keine zehn Schritte weit. Auch sei es gefahrvoll, die Vormundschaft dem grimmigsten Feinde des römischen Königs zu übergeben. Die Zeiten hätten sich geändert. Abwarten tue deshalb dringend not. – Weißt du nun, warum ich deine Nachricht gar nicht glauben konnte?«

»Siehst du nun, lieber Marquart, daß ich gerade zur rechten Stunde gekommen bin?«

»Was kann der Brandenburger ausrichten, allein, mitten in der geschlossenen Stadt?« warf der Kaufherr hin und begann langsam auf und nieder zu gehen.

»Wer sagt dir denn, daß er allein gen Prag geritten ist? Und wer sagt dir denn, wie lange eure Stadttore noch geschlossen sind?«

»Solange ich und mein Anhang unter den Geschworenen sitzen!« rief Marquart.

»Dann hurtig, Vetter, zerteile dich, stemme dich gleich selber an eure dreizehn Tore!« spottete Zawisch. »Siehe, Marquart, du mußt dich wieder ganz vernünftig hieher setzen – so! Ihr seid ein seltsames Volk da in der Stadt zu Prag. Die Tschechen speien Gift gegen alles, was deutsch heißt, die Kleinen unter ihnen ballen die Fäuste, und die Großen unter ihnen drehen euch Stricke. Und ihr Deutschen untereinander? Pfui Schande, keiner kann dem andern trauen! Die Handwerker hassen euch und eure Heimlichkeit, ihr Geschlechter sitzt in euern Häusern, laßt eure Boten reiten und horcht nach allen Enden des Himmels, lauft hin und her, ratschlagt da und dort, verstellt euch, als ob ihr eitel offenherzige Leute gegeneinander wäret, und hat doch jeder seine Heimlichkeit –«

»Wer sagt, daß ich unehrlich gehandelt habe gegen gemeiner Stadt Wohl?« rief Marquart.

»Still, Vetter Tausendmark, ganz still! Du kennst die Menge deiner Heimlichkeiten selber nicht. Jeder von euch hat seine Heimlichkeit, und wer über euch lacht und euch ganz sachte, ehe ihr es merkt, das Netz über den Kopf werfen wird, das ist der Kanzler, der Fuchs.«

»Was vermag dagegen einer allein?« sagte Marquart.

»Laß mich ausreden, Vetter, und ich will dir in dieser Stunde mehr Weisheit auf den Tisch legen, als du in Jahren hörst unter deinen Geschworenen! Was habe ich dir sagen lassen vor fünf Monaten? Weißt du's noch?«

Marquart schwieg.

»Du hast dir's wohl nicht so scharf gemerkt,« fuhr Zawisch fort. »›Stemmet euch gegen den Krieg mit allen euern Kräften. Es geht der Kampf nicht allein um Österreich und die andern Länder, sondern auch um alles, was deutsch heißt in Böhmen; es kämpft in diesem Kriege nicht der König Ottokar mit dem König Rudolf, sondern die Tschechen kämpfen, und mit ihnen die Polen, und was denen verwandt ist, und sie kämpfen nicht gegen den Herrn von Österreich, sondern gegen den Schutzherrn aller Deutschen.‹ Das habe ich dir sagen lassen. – Marquart, Marquart! Ihr Herren von Prag habt ein böses Spiel gespielt und ein hirnverbranntes obendrein. Danket euerm Herrgott und allen Heiligen im Himmel, daß der römische König den böhmischen geworfen hat!«

»Laß mich!« rief Marquart, sprang auf und rannte aus einer Ecke des Gemaches in die andere. »Meine linke Hand gäbe ich hin, könnte ich den Helden auferwecken von den Toten.«

»Den Helden vom Jahre 1260,« rief Zawisch, »ja, Marquart, den wollte auch ich unter den Lebendigen haben und zu deiner Linken legte ich gerne die meinige. Aber den Tschechenkönig aus späterer Zeit – kennst du das Gaukelspiel, Marquart, das die Fahrenden anstellen mit den zwei gepanzerten Puppen?«

»Ich kenne es.«

»Gut, solch ein gepanzerter Fechter, den die Leute von hinten an Schnüren zogen und lenkten, war der König seit langen Jahren, und dieser König liegt mir dereinst gar leichtlich bei Sankt Veit unter der Steinplatte. Es ist das besser für ihn und für sein ganzes Land.«

»Ich höre seine Feinde höhnen aus deiner Rede,« sagte der Kaufherr.

»Marquart! Wann habe ich jemals einen toten Feind gehöhnt?« rief der Witigone, und seine Stimme klang drohend. »Danke du Gott, daß es so gegangen ist und nicht anders! Jetzt schleichen die Tschechen mit der Leimrute um euch her – hätten sie gesiegt mit ihrem Könige, sie kämen mit Block und Beil zu euch auf den Ring. – Ich will dir sagen, warum ihr Herren zu Prag andere Augen habt als wir draußen im Walde, warum du selber anders siehst, wo du doch Witigonenblut in deinem Leibe hast, so gut wie ich in meinem Leibe: das Gold des goldenen Königs hat euch vor den Augen geflimmert, und so habt ihr alle miteinander eure Pflicht vergessen und die Hüte hingehalten, darinnen aufzufangen, was nur immer herniederregnete von der Burg da oben. Und dabei habt ihr euch gedrängt und gestoßen und habt euch gewunden in Heimlichkeiten und die Gruben nicht gesehen, die sich vor euern Füßen auftaten. – Und jetzt, dächte ich, hat der goldene Regen aufgehört, und es regnet Blut – ihr aber, ihr Kaufherren von Prag, stoßt euch noch immer und windet euch in Heimlichkeiten und tanzt wie die Brummbären, weil der Kanzler Peter pfeift.«

»Wir treiben unsern Handel und sitzen gerade so stolz in unsern Häusern wie ihr auf euern Burgen!« rief Marquart.

»Vetter,« sagte Zawisch, »schweig rein still – es ist ganz so, wie ich sage: ihr Stadtherren brüstet euch mit euern Freiheiten, und ein Wort ist's, das ihr vor allen gerne im Munde führt – ›Stadtluft macht frei‹. Mich dünkt, daß ich die Kehrseite schaue, und so sage ich: Stadtluft macht Knechte unversehens – hoch sind die Mauern, eng ist der Blick, stumpf sind die Augen.«

Der Kaufherr hatte sich auf den Faltstuhl gestützt, starrte zu Boden und nagte an der Lippe. Herr Zawisch behielt ihn fortwährend im Auge.

»Jetzt höre weiter, Marquart! Der Brandenburger darf nicht Herr werden in Prag, sonst ist's um uns Deutsche geschehen in Böhmen. Einen Herren müßt ihr aber haben, das weißt du selbst: viele Herrlein brauchen immer einen Herrn. Dieser Herr werde ich sein

»Eia, so geh doch hinüber auf den Kohlenmarkt, poche an beim Jarosch und sag ihm auch das alles!« stieß Tausendmark hervor.

»Heute nicht, Vetter, heute noch nicht. Sei unbesorgt! Unsereiner horcht auch hinaus in den Wind, und da höre ich, daß meine Reiter noch nicht vor euern Mauern halten. Aber morgen, verlaß dich darauf und werde nicht ungeduldig, morgen abend schreit das Volk in den Gassen von Prag: ›Heil, Marquart Tausendmark, Heil dem Retter der Stadt!‹«

»Höhne nur, höhne nur – o daß du ersticktest an deinem Hohne!« murmelte Tausendmark.

»Ich kann zwar nicht verstehen, was du murmelst, Vetter,« sagte der Witigone, »aber gerade so wird morgen abend das Volk murmeln: ›Das hätte keiner gedacht vom Tausendmark. Diese Kühnheit! Heil ihm! Stattliche Reiter, die von der Rose, gut gerüstet, die Hälfte verdeckte Gäule. Und wie sie nur in der Dämmerung herangeritten, hereingekommen sind und sich verborgen haben? Heil dem Tausendmark! Zum Wölfel im Turme ist er gegangen, hat dem alten Manne die ganze brandenburgische Gefahr erzählt und hat ihm gesagt – Wölfel, wenn du nicht mit mir gehst, dann ist's um mich geschehen, und was aus dir und deinen Söhnen wird, wenn ich zugrunde gerichtet bin, das weißt du. Wölfel, heute abend reitet der Zawisch vor die Stadt; öffne das Tor und befiehl deinen Söhnen, daß sie die Brücke herunterlassen zur rechten Zeit! Und hernach erlaube, daß die Reiter leise reiten in deinen großen Hof an der Stadtmauer; sie haben die Hufe ihrer Rosse mit Stroh umwickelt, man wird sie nicht hören –‹«

Marquart stampfte heftig auf den Boden. »Jetzt ist's genug! Ich will nicht, und damit ist's fertig!« rief er.

Lächelnd fuhr Zawisch fort: »›Ein feiner Kopf, der Tausendmark!‹ so wird das Volk murmeln. ›Zwei Tage lang‹ – hörst du, Vetter Marquart Tausendmark? – ›schon zwei Tage lang hatte er die dreihundert Reiter in seinem eigenen Dorfe verborgen und gefüttert –‹«

»Zawisch!« schrie der Kaufherr und griff mit den gekrallten Fingern in die Luft.

»›Schon zwei Tage lang,‹« fuhr dieser fort, »›und zur rechten Zeit hat er die Reiter des Herrn Zawisch durch Wölfels Tor in die Stadt gerufen, und so ward die Königin gerettet aus den Händen des Brandenburgers. Heil ihm!‹«

* * *

Längst war der Witigone aus der Kemenate gegangen; das ewige Licht auf der finsteren Stiege hatte ein wenig geflackert im Lufthauche, der alte Knecht hatte die schwere Haustüre geöffnet, und der Herr war mit seinem Manne die Gasse hinunter geschritten. Droben aber in der Kemenate saß Marquart und barg das Angesicht in den Händen, und neben seinem Faltstuhl kniete ein junges Mädchen.

»Bruder, bist du denn nicht dein eigener Herr? Willst du ihn einlassen oder nicht?«

»Ich wollte nicht, aber ich muß!«

»Wer kann dich zwingen in deinem eigenen Hause? Tu ne cede malis, sed contra audentior ito! singt Virgilius. Auf! Wäre ich ein Mann, wer sollte mich zwingen?«

»Er zwingt jeden.«

»Jeden, der sich nicht wehrt!«

»O Alheit, du kennst ihn nicht,« sagte der Kaufherr, nahm die Hände von den Augen und starrte in das Licht der tief herabgebrannten Kerze. »Was er will, bringt er zu Ende – das war von jeher so. Es ist alles groß und gewaltig an ihm, nicht nur der Leib, nicht nur die Schönheit, nicht nur die Kraft, auch sein Herz ist groß – aber das Größte an ihm ist sein Wille.«

»Und wohl auch seine Ruhmsucht!« fiel die Schwester ein.

»Seine Ruhmsucht?« wiederholte der Kaufherr und bewegte sinnend sein Haupt. »Nein, Alheit, wie ich mir's überlege, ehrgeizig ist der Zawisch nie gewesen, wohl aber ehrliebend wie kein anderer mehr.«

»Das bringt ihm keine Ehre, was er dir jetzt antut, meine ich.«

»Er ist gewalttätig, aber seine Ehre bleibt blank dabei, mag's nun gehen, wie es will,« sagte Marquart und fuhr langsam fort: »Ich weiß nicht, was er anstrebt, und keiner außer ihm wird's wissen; aber es wird gehen, es wird ihm gelingen – und mich wird's verderben.«

»Wer wird so sprechen, zumal wenn er Marquart Tausendmark heißt?« fuhr Alheit empor und begann in der Kemenate auf und nieder zu gehen. Dann blieb sie stehen, legte die Linke auf die Schulter des Bruders und bat mit zitternder Stimme: »Geh nicht mit ihm, es kann dir nicht zum Heile ausschlagen!«

»Es ist gerade so wie damals in Passau,« sagte sinnend der Kaufherr, lehnte sich zurück und sah empor an die dunkle Decke. »Ich kann ihn niemals vergessen, den kalten Herbstabend. Zu acht kamen wir herunter von den Bergen, die gegen Mitternacht stehen. Wir hatten gejagt den ganzen Tag, sechs Jungherren aus dem Bischofshause, zwei aus den Stadtgeschlechtern. Durchnäßt und müde standen wir am Donaustrome. Hinter uns trugen sie das erlegte Wild. ? ›Naß wie die Wasserratten sind wir,‹ meinte einer von uns, ›naß, als ob wir durch den Strom geschwommen wären!‹ – ›Da, schwimm durch, wenn du dich getraust!‹ spottete Zawisch und schaute hinunter zwischen den Weidenbüschen in die gelben Fluten. – ›Das wagst auch du nicht!‹ rief der andere zurück. – ›Ich das nicht wagen?‹ antwortete Zawisch und warf sein Jagdzeug auf die Erde. – ›Zawisch, halt ein!‹ rief ich und sprang vor. ›Es hat zwei Wochen lang geregnet, der Strom ist wild wie schon lange nicht mehr, die Nacht bricht stark herein, schau, das andere Ufer will schon in Dunkelheit verschwinden!‹ – ›Was kümmert mich's?‹ sagte Zawisch. ›Ich schwimme, und wer kein Feigling ist, der schwimmt mit mir!‹ – ›Zawisch, ich glaube dir's aufs Wort, du getraust dich,‹ rief jetzt der erste. – ›Und wer kein Feigling ist, der schwimmt mit mir!‹ wiederholte Zawisch und zählte: ›Eins – zwei –.‹ – Unsere Jagdspeere lagen auf der Erde, und als er drei zählte, sprangen wir in die Fluten.«

»Und –?« fragte Alheit.

»Zu viert krochen wir ans andere Ufer, hart an der Landspitze, wo Donau und Inn zusammenfließen. Zwei hatte Zawisch am Wamse, der dritte war selber hinübergekommen, und die vier andern riß der Strom hinein in die Nacht. – Mein liebster Freund war unter den Toten.«

»Das hieß Gott versuchen!« rief Alheit.

»Das war's, und Zawisch hat sein Unrecht schwer gebüßt. Vier Tage lang schloß er sich ein, aß nicht und trank nicht, bis der Bischof selber zu ihm hinaufstieg und ernstlich mit ihm sprach. Dann kam er wieder zu uns, aber ein halbes Jahr lang sah ich ihn nicht lachen, und es ging damals das Gerede, der Zawisch wolle die Kutte nehmen.«

»Hätte er's doch getan!« sagte Alheit.

»Wo denkst du hin, Schwester?« Marquart lächelte trübe und erhob sich. »Zawisch in der Kutte – den Abt hätte ich nicht beneidet!«

Sinnend stand der Kaufherr mit geneigtem Haupte, ruhelos wanderte seine Schwester auf und nieder.

»So reißt der Zawisch alle mit auf seine Bahnen,« sagte Marquart, »er sieht nichts als sein Ziel und denkt dabei nicht an die eigene Gefahr und nicht an den Frieden der andern. Merkwürdig, diesem Willen hat der Knabe Wok –«

»Hat Zawisch Kunde von Wok?« kam's leise von der dunkeln Wand herüber.

»Ich habe ihn gefragt, doch er weiß nichts von ihm,« antwortete Marquart. »Das tut mir wehe; denn ich habe ihn von Herzen lieb gewonnen. – Merkwürdig, diesem Willen hat sich der Knabe Wok entziehen können. Der weiche, friedliebende Wok.«

»Weich, friedliebend?« sagte Alheit und preßte die Hand aufs Herz. »Weich ist er und friedliebend und ganz unähnlich seinem Bruder, wie mich's dünken will; aber du kennst ihn doch nicht durch und durch. Was solche Menschen als das Nichtige erkannt haben, das verfolgen sie unbeugsam, und Menschen wie Wok gehen eher zu Grunde, als daß sie um eines Haares Breite abwichen von ihrem Wege. › Mens agitat molem,‹ singt Virgilius, Bruder.«

»Du hast beide gut studiert, Schwester; den Virgilius seit langem und den Wok –« sagte der Kaufherr und wandte sich rasch der Schwester zu.

»Mich dünkt, es ist dir und mir heute abend nicht scherzhaft zu Mute, Marquart,« antwortete Alheit und kam langsam herzu. – »Ich bin ja nur ein Weib und kann nicht mitreden in euern Händeln. Aber das eine ist mir klar: ich gehorchte ihm nicht – so wenig als ich noch immer das ewige Licht brennen ließe auf meiner Stiege, Marquart. – Virgilius hat recht: der Geist ist der Herr in allen menschlichen Dingen, und wo der Geist nein sagt, da muß auch die leibliche Schwäche gehorchen. Gute Nacht, Bruder!«

Marquart ergriff die schmale, weiße Hand seiner Schwester, beugte sich herab und küßte ihre Stirne. Hernach aber schritt er noch lange einsam auf und ab, sann und sann, und murmelte endlich: » Mens agitat molem – und gerade deswegen muß ich tun, was er will, und muß in mein Verderben gehen.«

* * *

Wieder war es Nacht über Prag, aber helle, freundliche Sternennacht. Durch ein schmales Gäßlein in der engen, düstern Judenstadt lief ein Mann. Seine Gewänder flatterten, sein Atem ging keuchend. An einem kleinen, hölzernen Hause machte er Halt, sah sich scheu nach allen Seiten um, griff rasch zwischen Schwelle und Türe, und die Türe öffnete sich.

»Sara – ich bin krank!« rief er und stieß die Stubentüre auf.

»Ist es nichts geworden mit dem Geschäft?« fragte das Weib und hob das Angesicht ein wenig von der Arbeit empor.

»Sara – wer wird reden von Geschäften? Ich bin tot, sag' ich, maustot!« rief Muschlin und sank auf den Polstersitz an der Wand.

»Wie kannst du sagen, daß du bist tot, wo du doch dasitzest und schnaufst?« kam es hinter der Messinglampe hervor. »Tut's dir weh in der Brust, in den Beinen, im Bauch?«

»Sara – mach ihn auf, den Wandschrank, und laß mir zukommen einen Schluck vom Lebenswasser oder zwei!«

»So fehlt's dir im Bauch, und du hast getrunken zu viel vom neuen Bier,« sagte das Weib, öffnete den Schrank und goß das gebrannte Wasser aus dem Kruge in ein Becherlein.

Muschlin trank, wischte den Mund, seufzte und spracht »In die Brust, in die Beine, in den Bauch ist er mir gefahren der Schreck. Saraleben, es ist mir etwas begegnet, was mir noch niemals ist begegnet. Hast du nicht gehört das Geschrei durch die Gassen her?«

»Was soll ich horchen aus das Geschrei, das sie machen, die närrischen Gojim? Ist er doch tot, der König Ottokar, der König, der gut war gegen unsere Leut'. Werden sie gar bald wieder aufheben Stein' von der Gasse, werden sie werfen an unsere Schul' ungestraft, werden sie werfen auf uns selber, da er tot ist, ihr König. Was soll ich horchen auf ihr Geschrei? Ist's ein Freudengeschrei, muß ich mich ängstigen, und ist's ein zorniges Geschrei, muß ich sitzen und muß mich fürchten,« sagte das Weib grollend, setzte sich und beugte sich wieder auf ihre Arbeit.

»Machen die einen Freudengeschrei und machen die andern Zetergeschrei heute nacht zu Prag,« sagte der Jude.

»Die Gojim?«

»Die Gojim.«

»Was braucht dir dann fahren die Angst in den Bauch, Muschlin?« sprach Sara und ließ ihre Näherei in den Schoß sinken. »Wenn die Gojim alle schreien vor Freude, muß sich ängstigen der Jud', machen sie allesamt ein zorniges Geschrei, muß er sich verkriechen, der Jud'. Stehen sie aber gegeneinander und schreien die einen vor Freude und schreien zornig die andern, so kann er ruhig sitzen und ruhig gehen und ruhig die Geschäfte betreiben, der Jud'. – Was hast du gesehen, was hast du gehört?«

»Gott meiner Väter, wie ist er gestanden vor seinen Feinden, wie haben seine Augen gefunkelt gleich dem Stahle seiner Rüstung, und wie hat seine Stimme getönet –«

»Wer? Wo?« rief Sara. »Bist du geworden dumm im Kopf, daß du erzählst das letzte zuerst und das erste gar nicht?«

»Horch, Saraleben, und sei gut!« bat der Jude. »Alles will ich dir sagen, wenn ich langsam bin gekommen wieder zu Kräften. Hast du doch gesehen eintreten heut' abend zwischen Lichten bei mir den Pinkas. Hat mich genommen der Pinkas unter dem Arm und hat gesagt: ›Muschlin, geh mit mir, ich hab' dir Heimliches zu sagen; es ist zu machen e großes Geschäft!‹ Hab' ich gesagt: ›Warum machst du das Geschäft nicht, wenn es groß ist? Wird's nicht gut sein, das Geschäft, weil's ich soll machen.‹ Sagt er: ›Tu keine törichten Reden, Muschlin, tu keine langen Reden! Ich mach' das Geschäft, und du machst das Geschäft, weil ich allein bin zu schwach zu dem großen Geschäft.‹«

»Hast du gemacht das Geschäft, Muschlin, so sag's!« unterbrach ihn das Weib.

»Hör mich an und bedenk, daß ich noch bin halbtot vom Schrecken!« bat Muschlin.

»Könnt' eine kriegen Zwillinge, könnt' sie kriegen Drillinge, bis du die Geschichte bringst aus deinem Munde,« murrte Sara.

»Hat er mich geführt durch die enge Gasse über den Hühnermarkt auf den Ring. Bin ich stehen geblieben unter der Schandsäule und hab' ihn gefragt: ›Pinkas, wo gehst du hin mit mir?‹ Hat er gesagt: ›Zum Frank von der Lake.‹ – ›Pinkas, was soll ich tun bei dem reichen Manne, bei dem hochmütigen Manne?‹ – ›Was reich, was hochmütig?‹ hat der Pinkas gesagt. ›Hinaufgehen sollst du, setzen sollst du dich, horchen sollst du, und wenn das Geschäft gut ist, sollst du machen das Geschäft.‹ – Sind wir hineingegangen in das hohe Haus, hinaufgegangen über die finstere Stiege und gekommen in den großen Saal, wo die Schwerter hängen und die Spieße. Ist uns entgegengetreten der Frank, leutselig, hat die Hand gegeben mir und dem Pinkas und hat den Pinkas gefragt: ›Will er oder will er nicht?‹ Sagt der Pinkas: ›Er weiß nicht, was er soll, aber ich weiß, daß er will.‹ – ›Und wird er schweigen?« fragt ihn der Frank. Hat der Pinkas gemacht ein böses Gesicht und hat gesagt zu mir: ›Schweigen wirst du, Muschl, weil es da heißt entweder – oder; entweder Heimlichkeit und ein großes Geschäft, oder Schwätzen und –‹ – ›den Strick um den Hals!‹ hat der Frank von der Lake geredet und ist sich mit dem Finger gefahren um den Hals und hat ganz kurz gelacht, daß es mir gegrauset hat den Buckel hinunter.«

»Bist du gegangen in ein gefährliches Geschäft wie ein Kind,« grollte das Weib.

»Horch, Saraleben, und sei gut! Hab' ich mich umgeschaut in dem Saal und hab' gesehen bekannte Gesichter und fremde Gesichter. Ist da gestanden der Ulrich von Rokycan, der Friedrich und der Johann Kokot, der Junoscha und der Jarosch. Am Tische aber ist gesessen ein hagerer Herr mit einem langen, roten Bart und ohne Haare auf dem Kopf. Jetzt ist der Jarosch zu uns getreten, hat auch gar freundlich gegrüßt –«

»Du bist ein Kind, Muschl, weil du bist gewesen geehrt durch die freundlichen Gojimgesichter und gemacht hast einen krummen Buckel!« sagte das Weib.

»Wie kann ich stehen vor dem Herrn Jarosch als eine Kerze aus Wachs? Laß mich reden, Saraleben! Hat der Jarosch gesagt: ›Du wirst es wissen, Muschlin, daß die Zeitläufte böse sind, und daß die einen sagen in Prag »hott!« und die andern »wist!« Starke Herrschaft ist vonnöten, wenn der Bürger soll sicher leben und der Jud', und wenn uns nicht soll werden fortgeführt ins Elend die gute Königin und der gute kleine König, der Wenzel, vom grausamen König Rudolf, und belagert werden die Stadt Prag und verbrannt vielleicht. Derhalben haben wir uns zusammengetan, die du hier siehst, und noch viele andere in der Stadt und auf dem Lande, daß wir geben uns und ganz Böhmen ein stark und gut Regiment. Kannst glauben, Muschlin, daß die Einung ehrlich ist.‹ – ›Glaub' ich,‹ hab ich geantwortet, ›wenn ich mir anschaue den Herrn Jarosch und den Herrn Frank und die zwei Herren, die Kokot, und alle andern.‹ – ›Gut, Muschlin,‹ hat der Jarosch gesagt und hat freundlich mir geklopft aus die Schulter, ›den starken Herrn haben wir gefunden, der uns schützen kann, Reiter und Rosse haben wir, Schwerter und Harnasche haben wir, aber eines ist rar, Muschlin, das Geld.‹ – Hab' ich gesagt: ›Wenn Ihr habt Menschen und Tiere und alles und habt kein baar Geld, so ist das schlimm, so ist das sehr schlimm; denn es wird schwer sein zum kriegen, weil's überall rar ist.‹ – ›Muschlin,‹ hat er gesagt, ›rar ist's, das ist richtig, aber es gibt solche, die's haben haufenweise.‹ – ›So,‹ hab' ich gesagt, ›das ist ja recht, da könnt Ihr gehen zu denen und könnt's holen haufenweise.‹ – ›Muschlin,‹ hat er gesagt, ›ich kenn' solche, die's haben daliegen – da ist der Pinkas –.‹ ›So,‹ hab ich gefragt, ›der Pinkas hat's? Das ist mir lieb, das kann ich mir merken in der bösen Zeit.‹«

»Das hast du gut gemacht, Muschlin,« nickte das Weib.

»Laß mich reden, Sara, es kommt anders! ›Muschlin,‹ hat der Jarosch aufs neue angefangen und hat sich sein Kinn gestrichen und hat gelacht vor sich hin, ›Muschlin – – –‹. – Da ist der Frank ins Fenster gesprungen, hat geschaut hinunter auf den Markt, hat sich umgewendet und hat geschrieen: ›Alle Heiligen, wer hat sie gerufen auf den Marktplatz, die Zünfte, daß sie kommen aus der Langen Gasse, aus der Zeltnergasse, aus der Eisengasse mit Fackeln und mit Wehren?‹ – Ist alles in die Fenster gerannt, ich auch, und hab' durchgeschaut zwischen dem rotbärtigen Hagern und zwischen dem Ulrich von Rokycan von hinten. Ist der ganze Ring voll gewesen, Kopf an Kopf, haben die Fackeln gequalmt und geglüht, der Rauch ist durch die Fenster hereingezogen und hat uns gebissen in der Nasen, in den Augen. Heben sie einen drunten in die Höh' auf ihre Schultern, schau' ich und reiß' die Augen auf, ist's gewesen der Kunz, der Schmied-Kunz aus der Langen Gasse. Schwingt der die Lederkappe und schreit zu uns herauf: ›Da stehen wir und wollen Euch fragen, Herr Frank, was Ihr da verhandelt des Nachts über gemeiner Stadt Wohl und Wehe? Stehen sollt Ihr uns Rede, warum daß Ihr wollt uns verraten an den langen Brandenburger?‹ – Saraleben, ich hab' schon gehört viel Geschrei in meinem Leben; ich hab' sie schreien hören als kleiner Bub', wie sie haben gestürmt die Judenstadt, was gewesen ist ein fürchterliches Geschrei – aber solches Geschrei hab' ich noch nicht gehört, wie's jetzt ist losgegangen. Und die Fackeln haben sie hoch gehalten, haben die Wehren lassen grausam blitzen, daß ich mich hab' heimlich umgeschaut nach der Tür mit einem Aug', und mit dem andern hab' ich immer wieder müssen schauen auf das wilde Volk. Starr sind die Herren gestanden an den Fensterbühnen im Kerzenlicht, im Fackellicht, und der Rote neben mir hat angehoben, lange Flüche zu sagen. Der Frank aber hat sich gelehnt aus dem Fenster, hab' ich mich müssen nur so wundern über seinen furchtlosen Mut, und hat gewunken, und von unten haben sie geschrien, daß er nicht hat reden können, und auf einmal ist es noch stärker geworden, das Geschrei, und ich schau' und ich seh', wie sie herausreiten mit Gefunkel und Geblitze, mit Fähnlein und spitzigen Speeren, ein großes, ein grausam großes Heer aus der Zeltnergasse, und rufen ›harra! harra!‹ und noch etwas, das ich nicht hab' verstanden, und die Bürger schreien ihnen entgegen ›harra! harra!‹ und machen ihnen eine Gasse, und so reiten sie herzu und stellen sich auf, viele Hundert, mit Stampfen und mit Schnauben und mit Wiehern mitten auf dem Ring. – ›Herr Markgraf, wollet Euch retten‹ hat jetzt gesagt der Frank und ist getreten zu mir und zu dem Roten. Bin ich gewichen zurück und hab' mich gewundert: war ich gestanden neben dem Markgrafen Otto die ganze Zeit und hab's nicht gewußt. Der aber hat grimmig geblasen aus seinem Munde die Luft und hat gescholten auf den Frank und auf den Jarosch, und die sind um ihn herumgegangen krumm vor Angst und vor Eifer, und ich bin gestanden an der Wand und hab' gezittert. Hat nicht gedauert so lange, als ich es erzähle, da hat das Haus gebebet, so haben sie geschlagen ans Tor unten, und hat man das Krachen gehört. Und wieder ist der Frank getreten nahe auf den Markgrafen und den Jarosch und hat gesagt: ›Wollet Ihr Euch und uns bringen ins Verderben? Tretet hierher an die Wand, das wollt' ich Euch haben gebeten von Herzen!‹ Und der Markgraf ist getreten an die Wand, und der Jarosch hat geschrien: ›Jud', da schau, am Fenster brennt's!‹ Ich werf' meinen Kopf hinüber, hat aber gebrannt nicht am Fenster und nicht am Teppich im Fenster, ich schau' mich wieder um und seh', daß er ist verschwunden, der Markgraf. – Jetzt ist sie worden aufgerissen, die Tür', und hereingekommen ist ein grausam großer Kriegsmann, ganz in Eisen und Stahl, aber mit einem offenen Helm, mit einem gewaltigen Schnauzbart, mit einer scharfen Nasen und mit Augen, Saraleben, ganz funkelnd und blitzend und ganz großmächtig, hat ausgeschaut großartig und prächtig wie der Engel des Herrn an der Pforte des Paradieses. In der Hand hat er gehabt ein langes, nacktes Schwert, und rings um ihn sind gewesen viele stolze Gewappnete. Herein getreten ist er mit Klirren und hohem Mute, mitten herein bis an den Tisch, und gefragt hat er in der Totenstille ringsumher mit ganz ruhiger Stimme: ›Frank,‹ hat er gesagt, ›wo habt Ihr versteckt den Markgrafen?‹ Da ist der Frank vorgetreten und hat gesagt, daß es müßt' sein eine Irrung, daß er keinen Markgrafen habe versteckt in seiner Behausung, daß der Herr könne durchsuchen alles vom Turme bis in den Keller und auch die Kemenate von seiner Frau, die krank läg'‹. Da hat der Kriegsmann schrecklich die Stirne gerunzelt und hat gesagt: ›Du lügst, Frank!‹ hat er gesagt und hat ihn lassen binden und alle die andern.«

»Hab' ich Angst, Muschlin, wie du bist entkommen aus dem furchtbar gefährlichen Geschäft?«

»Wie die Reihe ist gewesen an mir und am Pinkas, sind wir gefallen auf unsere Knie und haben gefleht um Gnade mit aufgehobenen Händen. Ist einer getreten aus der Schar und hat gesagt zu dem stolzen Kriegsmann: ›Zawisch,‹ hat er gesagt, ›die Zweie laß laufen, den Pinkas und den Muschlin! Für die steh' ich gut, die haben nichts wollen machen als ein Geschäft. Laß sie laufen, die Zweie, es sind ungefährliche Leut'!‹ – ›So laufet!‹ hat der Kriegsmann gesagt, und ich schau' auf, steht der Tausendmark vor mir, spring ich auf und springt der Pinkas auf, und ich sag' dir, Saraleben, wir haben's getan, wir sind gelaufen hinaus zur Tür', hinunter die Stieg', haben uns gedrängt durch die Reiter, durchs Volk und sind gelaufen, daß uns der Herzbeutel hat gekracht. – Saraleben, es ist 'was Schönes um Neuigkeiten, wenn sie sind geschehen weit weg, die Neuigkeiten, und wenn man sie hört erzählen am sichern Ort – aber es ist nichts Schönes um die Neuigkeiten, bei denen einer ist ganz nah mit dem Kopf, mit dem Hals. Saraleben, ich möcht' nicht sein einer von denen, die machen Geschäfte und Neuigkeiten mit dem Helm auf dem Kopf und mit dem Schwert in der Hand und mit dem Hals wie der Zawisch und wie der andere, der Tausendmark!«

»So ist es gewesen der Zawisch, der Graf aus dem Walde, wo ist der Bruder vom jungen Grafen Wok, wo gewesen ist der Liebling vom toten König?« fragte Sara.

»Es ist gewesen der Zawisch, und es ist der Zawisch seit vorhin der Herr in der Stadt Prag mitsamt seinen Reitern.«

»Und wo ist hingekommen der andere, der Markgraf?«

»Wie kann ich's wissen? Die Wand hat ihn verschluckt, der Fußboden, und hernach wird er sein gelaufen und gekrochen unter der Erden fort und fort, weg unter den Mauern, unter den Gräben, hinaus aus der Stadt. Weißt du ja, daß nichts ist auch der Bau vom Fuchs gegen solche Burgerburg zu Prag.«

»Muschlin, hast du gehabt Glück, daß du noch nicht bist weiter gewesen in dem gefährlichen Geschäfte.«

»Weiß ich, Saraleben. Schenk mir ein noch einen Schluck vom gebrannten Wasser!«

* * *

Am Abende des nächsten Tages saßen Marquart Tausendmark und seine Schwester Alheit, saßen die Witigonen Zawisch und Wok in der großen Stube des alten Hauses.

Herr Wok hatte lange Geschichten erzählt, und die andern hatten ihm lautlos zugehört. Jetzt sprang er auf und sagte: »Mir ist's, als träumte ich – da bin ich wieder in dem alten Hause! Merkwürdige Sache um die Gedanken: Als wir uns zum letzten Ritte um den König scharten ? könnt ihr's glauben? – da versank auf einmal alles rings um mich her, und ich sah nichts mehr als diese Stube. Nicht lange; dann weckte mich das Hämmern und Schreien. Aber wie ist's möglich, daß die Gedanken in solcher Lage abschweifen in weite Ferne?«

»Ich meine das ist nicht sehr verwunderlich,« sagte Alheit und senkte die Augenlider; »dein Geist war todmüde, und so blieb er auf einmal haften an einem Bilde –«

»– das er vor Zeiten gerne geschaut hatte, Mühmchen,« fiel Herr Zawisch ein und lächelte.

Alheit errötete und schwieg.

»So war mir's, wenn ich als Kind nach langer Krankheit zum erstenmal wieder in die Wohnstube kam,« fuhr Wok fort und ging umher und besah aufmerksam die kostbaren Truhen, die Leuchter an den Wänden, die Armstühle, den Kamin, das Tischlein in der Fensternische, an dem Alheit zu arbeiten pflegte – »alles steht noch am gleichen Platze wie vordem, alles ist älter geworden als es war, und doch sieht alles neuer aus, frischer, glänzender – – aber nein, Alheit, meinen Virgil vermisse ich, der sollte doch noch auf deinem Tischlein liegen!«

»Er liegt in meiner Kemenate, ich habe heute früh darinnen gelesen, gerade als du die Gasse herunterrittest,« sagte Alheit und blickte nicht empor.

»Wok,« rief Herr Zawisch, »jetzt erzähle den Schluß; so kommst du uns nicht aus! Machst es wie die Sänger und lassest den Helden in der größten Not stecken, fängst an, von anderm zu sagen, und die Leute möchten verzappeln vor Ungeduld.«

Lächelnd kam Wok zurück und setzte sich. »Wenn dich einer auf den Kopf schlägt, dann vergehen dir alle Gedanken,« sagte er; »deshalb ist nicht mehr viel zu erzählen: Ich wachte auf und lag in einer finsteren Höhle, in der nur ein Span brannte. Ich ruhte auf Kleidern und Decken und war meiner Rüstung beraubt. Ringsumher lagen in wüsten Haufen Sättel und Panzerhemden, Goldketten und seidene Gewänder, Helme, Schwerter und andere Waffen. Ich richtete mich empor und stützte mich auf den Arm. Da sah ich eine Weibsperson auf dem Boden kauern; die kramte in den Beutestücken. Ich fragte: ›Wo bin ich denn?‹ Sie stand auf und flüsterte: ›Redet leise, wenn Euch das Leben lieb ist! Seid Ihr jetzt ganz wach?‹ – ›Das will ich meinen!‹ antwortete ich und riß die Augen auf. – ›Ihr habt lange geschlafen und habt viel im Traum gesprochen,‹ sagte die Dirne. – Plötzlich besann ich mich auf alles: ›Wie lange liege ich hier? Was ist aus dem Könige geworden?‹ – ›Um Gottes willen,‹ rief sie und lauschte – ›seid ganz still, sie kommen!‹ – Die Falltüre hob sich, und ich ließ mich zurücksinken und schloß die Augen. Etliche Männer kamen herab und warfen neue Beutestücke auf die Erde. ›Hinaus muß der Kerl da, sag' ich!‹ so rief einer von ihnen. ›Wir brauchen den Platz.‹ – ›Der treibt's doch nimmer lang,‹ antwortete das Weib. – ›So, gibst endlich auch die Hoffnung auf mit deinem Schatz?‹ lachte ein zweiter Mann. – ›Ich hab' nichts Unrechtes gehofft, und du halt's Maul!‹ sagte die Dirne. ›Er war mein Guttäter, und ich hab' ihn erretten wollen.‹ – ›Groß' Lösgeld wär' mir lieber gewesen,‹ sagte der erste, trat an mein Lager und beugte sich auf mich herab; ›der schnauft ja so nimmer!‹ – ›Ich sag's ja, er treibt's nimmer lang,‹ antwortete die Dirne. – ›Pack an, Lorenz, schmeißen wir den Kerl gleich ins Feld hinaus zu den andern!‹ rief der erste. – ›Untersteht euch!‹ rief die Weibsperson. ›Bis morgen früh bleibt er liegen. Eh' ich's nicht ganz gewiß weiß, daß er tot ist, kommt er nicht heraus da!‹ – ›Du mußt auch deinen Willen immer haben,‹ brummte der andere. ›Komm Lorenz!‹ – Ich hörte, wie sie die Leiter emporstiegen, die Falltüre öffneten und schlossen, und lag noch immer stille. Da flüsterte das Weib neben mir: ›Seid Ihr stark genug, dann kann ich Euch retten. Drei Tage sitz' ich neben Euch. Ihr seid einer von den Böhmischen – wisset, die Schlacht habt ihr verloren, der König ist tot.‹ – ›Wer hat mich denn gerettet?‹ fragte ich. – ›Die Euch Dank schuldig ist, Herr Graf,‹ antwortete sie. – Da schlug ich die Augen auf und sah sie an. ›Ich kenne dich nicht. Woher weißt du, wer ich bin?‹ – Wißt Ihr's denn nicht mehr? Am Abend vor der Schlacht seid Ihr durchs Lager gegangen und habt gesehen, wie die Sarjanten eine Bauerndirne hin und her rissen. Da seid Ihr herzugetreten und habt mit starker Stimme gerufen: Laßt sie los! – Die Dirne ist mit Heulen zu Euch gelaufen und hat Euch geklagt, daß sie nur aus Neugierde ans Lager gekommen –‹ – ›Jetzt weiß ich's,‹ rief ich, ›aber ich hatte es völlig vergessen.‹ – ›Ich nicht, Herr,‹ sagte sie und preßte ihre Hand auf die Brust, ›so wenig ich die wilden Söldner vergess' mein Lebtag!‹ – ›Es ist jetzt Nachtzeit,‹ fuhr sie fort, ›der Vater und die Brüder sind wieder hinausgegangen ins Feld – könnt Ihr wohl reiten in Euerm Zustand?‹ – Ich erhob mich, schwankte ein wenig und stand fest auf den Beinen. – ›Wunden haben wir nicht finden können, auch nicht auf dem Kopf,‹ sagte die Dirne. ›Mir dünkt, es hat Euch einer auf den Helm geschlagen.‹ – ›Ich kann reiten,‹ sagte ich, ›aber wo bekomme ich ein Roß?‹ – ›Dafür laßt mich sorgen!‹ antwortete sie. ›Hier ist Euer Schwert, ich hab's in Euerm Lager verborgen.‹ – Ihr könnt Euch denken, mit welcher Lust ich nach dem Schwerte griff! – ›Und hier ist Euer Geld,‹ sagte sie und holte den Beutel aus einer Ecke. – – – Nach einer halben Stunde saß ich leidlich gewappnet auf einem kleinen, struppigen Kumanengaule, drückte meiner Retterin die Hand und ritt in die Mondnacht hinaus, über das grausige Schlachtfeld, über die gräßlichen Leichen.«

»Mit dir ist die heilige Jungfrau gewesen, Wok; sie hat dich aus der Gewalt von Leichenräubern errettet,« sagte Herr Zawisch.

»Eine sichtbare Hilfe Gottes aus großer Gefahr,« murmelte auch Marquart Tausendmark, und sein düsteres Antlitz hellte sich ein wenig auf.

Alheit aber hatte sich tief über ihren Stickrahmen gebeugt und zählte eifrig an den Blättlein der bunten Blumen, und ganz heimlich rollte ihr eine Träne über die Wange.

* * *

Die Brüder waren in ihre Schlafkemenate getreten, der alte Diener hatte den Zinnteller mit den Bechern auf den Tisch gestellt und war gegangen.

»Ja, Kleiner, laß dich nur anschauen!« sagte Zawisch, legte die Hände auf die Schultern des Bruders und hielt ihn weitab. »›Kleiner‹,« – lachte er – »das kommt von alter Gewohnheit! Bist ja jetzt ein Kriegsheld, zu dem man aufschauen muß.«

»Zawisch, bist du mir böse gewesen damals in Hohenfurt?«

Zawisch kreuzte die Arme über der Brust und schüttelte das Haupt. »Hätt' ich gekonnt, ich wäre am Ende selber mit dem Könige geritten,« antwortete er.

»Zawisch, aber die andern? Was haben die gesagt?«

»Es gab eine gewaltige Aufregung, als man das Pergament fand,« sagte Zawisch. »Am ärgsten tobte der Neuhauser. Doch wir beide, Witigo und ich, standen für dich ein, und da gaben sie sich zufrieden.«

»Witigo ist also in Budweis?« fragte Wok. Dann plötzlich schlang er die Arme um den Hals des Bruders und rief: »O Zawisch, was hast du gelitten in dieser Zeit – deine gute Diemut! Ich hab's in Cham erfahren. Und du hast meinen Brief bekommen?«

Zawisch machte sich aus der Umarmung los und antwortete: »Vorbei, Wok, ganz vorbei. Aber drunten, tief drunten, Wok, – ach, Wok, kannst du mich wohl verstehen?«

»Ich kann's!«

»Weißt du, tief drunten, so tief wie die versunkene Stadt im Meere, da wimmern die Glocken noch, wenn ich in der Einsamkeit horche. – Aber ich horche nicht oft darauf, Wok. Was soll mir das Träumen? Kommt's dann doch einmal, so habe ich ein Mittel, das mir hilft.«

Herr Zawisch wandte sich ab, griff nach der Laute, die über seinem Lager hing, setzte sich auf den Rand des Bettes und begann mit leiser Stimme zu singen:

Oftmals denk' ich meiner Mutter.
Wenn wir in vergangnen Tagen,
Kinder, klein und unerfahren,
Wollten ›ach, warum doch?‹ fragen,
Sprach sie: ›Liebling, halt sein stille,
Schau dich gar nicht weiter um,
Ich, die Mutter, hab's befohlen:
Kindlein fragen nicht – warum?‹

Nunmehr, da ich groß geworden
Und in heißen, bösen Tagen
Auf den Mann, den wohlerfahrnen,
Stürmen arge Lebensplagen,
Denk' ich oftmals meiner Mutter,
Schau mich gar nicht weiter um:
Unser Herrgott hat's befohlen,
Trage, frage nicht – warum?

Zawisch sprang auf und hängte die Laute an ihren Ort. »Also, was können mir die Träume frommen? Ich habe keine Zeit zum Träumen. – – Sprich auch du nicht mehr davon, Wok, ich bitte dich darum!«

Wok sah den Bruder mit unsäglich traurigem Blicke an und fuhr mit der Hand über die Augen.

* * *

»Was tust du jetzt, Zawisch?«

»Schlafen,« sagte der Held.

Wok lachte. »Was du in den nächsten Tagen tun wirst, meine ich!«

»Wie kann ich das wissen?« sagte Zawisch und dehnte sich und reckte sich wie einer der schläfrig ist. »Ich bin Herr in Prag, und danach handle ich.«

»Du – Herr in Prag,« wiederholte Wok in tiefen Gedanken; »seltsam, seltsam – wollte ich anfangen, mich zu verwundern, ich käme zu keinem Ende. Du gehst großen Kämpfen entgegen, Zawisch.«

»Das weiß ich, Wok. In drei Tagen kommt Ulrich mit zweihundert Reitern, dann kommt Wok von Rosenberg mit dreihundert Reitern – ich habe die Macht in der Hand. – – Aber wollen wir morgen darüber reden? Ich möchte schlafen.«

»Und doch, Zawisch, müssen wir heute noch miteinander reden,« sagte Wok. »Hast du die Königin schon gesehen?«

»Noch nicht, Wok. Morgen werde ich mich melden lassen.«

»Mich empfängt sie morgen früh, Zawisch. Heute nachmittag bekam ich die Antwort.«

»Dich empfängt die Königin? Du hast's eilig!« sagte Zawisch, und seine Stirne umwölkte sich.

»Deshalb bin ich doch nach Prag geritten! Hätte ich ihr keine Botschaft zu bringen, dann wäre ich nicht hier.«

»Wok,« sagte jetzt der Landherr, und seine Stimme klang sehr ernst, »bist du für uns oder wider uns?«

»Der Kampf ist aus, der König ist tot, ich lechze nach Ruhe, Zawisch.«

»Ruhe! Was Ruhe? Wo ist Ruhe hienieden? Kampf muß sein! – Wok, bist du für uns oder wider uns?«

»Ich halte dem toten Könige die Treue,« sagte Wok, und ein frohes Lachen flog über sein gebräuntes Antlitz.

Zawisch blickte finster drein. »Um jegliches Ding sind Grenzen gezogen, also auch um diese Treue,« grollte er.

»Zawisch,« sagte Wok und zog den Bruder an das Polsterlager, ließ sich nieder und zog den Helden an seine Seite, »Zawisch, mich dünkt, unsere Wege münden heute wieder zusammen.«

»Bist du für uns oder bist du wider uns?« fragte der Landherr zum drittenmal.

»Zawisch, höre! Es war am Abende vor der Schlacht, da ließ mich der König in sein Zelt rufen. Er saß am Tische, auf dem die große Karte lag, und stützte das Haupt in die Hand. Ich stand lange vor ihm, ohne daß er sprach. Dann auf einmal erhob er sich und trat vor mich: ›Wok, du bist mir treu geblieben; ich danke dir. Viele sind nicht um mich her, auf die ich mich verlassen kann. Wer weiß, wie das morgen werden wird? – – Wok, ich habe einen Auftrag für dich.‹ – Ich suchte ihm die Sorgen zu zerstreuen, als er innehielt und an mir vorüberschaute ins Leere, ich wies ihn auf das glänzende Heer hin, das gelagert war von Jedenspeigen bis zur March. Er schüttelte das Haupt: ›Laß das, ich kenne meine Kräfte! Aber merke wohl auf, was ich dir zu sagen habe – falle ich morgen, und du überlebst mich, dann bringe der Königin diesen halben Ring und diesen offenen Brief!«‹

»Wok, bindet dich kein Schwur?« unterbrach ihn Zawisch.

Wok erhob sich in seiner ganzen Länge. »Glaubst du das?«

»Verzeih mir!« sagte Zawisch und stand auch auf.

»Zawisch,« sprach Wok, »es ist ein Ding, ob ich allein oder mit dir zur Königin reite. Da – lies!«

Wok nestelte an seinem Wamse, zog ein Päcklein hervor, öffnete es, besah nachdenklich einen starken, zerbrochenen Ring und reichte dem Bruder einen schmalen Streifen Pergament.

Zawisch trat an die Wachskerze und las: » Der einzige, der dich und das Kind zu schützen vermöchte, ist Zawisch. Gott sei mit dir

Zawisch ließ die Hand sinken, die das Blatt hielt, und stand in starrem Staunen. Dann sprach er: »Das ist des Königs Schrift – mir aber drehen sich die Gedanken im Kreise.«

»Zawisch, der König hat dich dennoch geliebt, auch nach dem Tage von Hohenfurt,« sagte Wok. »Willst du ihm dienen, wo du seinem Andenken dienen kannst?«

»Nur langsam, nur langsam,« sagte Zawisch und begann auf und nieder zu wandern; »das kommt sogar mir zu geschwinde!« Dann blieb er vor dem Bruder stehen: »Er – den Mann mit dem Flecken geliebt?«

»Der König hat oft von dir gesprochen, Zawisch, das kannst du dir denken. Ein unglücklicher Mann ist auf dem Marchfelde gefallen, ein Mann, den das widrige Schicksal hin- und hergepeitscht, ein Mann, der schon längst keinen freien Willen mehr gehabt – aber ein freies Herz behalten hatte bis zum letzten Tage seines Lebens. Du hast ihm bitter wehe getan; längst weiß ich jetzt, warum du also handeln mußtest – aber weißt du, was er mir einmal sagte?«

»Sprich!«

»Wäre ich der Zawisch, ich hätte auch nie anders gehandelt gegen den König von Böhmen – oder besser, gegen den Kanzler. Falle ich, so sage ihm das, Wok!«

»Laß uns schlafen gehen, Wok, morgen wollen wir uns beraten!« sagte der Landherr.

»Zawisch, noch ein Wort: Ich sehne mich nach Ruhe, gib mir mein Erbe!«

»Du wolltest mich wirklich verlassen, Wok? Jetzt? Mitten im Kampfe?«

»Nein, Zawisch – nein!« rief der Jüngling. »Nur die Aussicht auf Ruhe – – ich habe zuweilen Gedanken – – verzeih mir, es ist noch nicht an der Zeit! Solange du zu kämpfen hast, stehe ich auf deiner Seite. – – Aber sag, wie hast du Marquart gewonnen?«

»Alles will ich dir morgen sagen, Wok; ich hatte schon seit etlichen Wochen mit ihm unterhandelt.«

»Aber wie sehr ist er verändert, Zawisch; er spricht ja kaum ein Wort!«

»Das wird sich wieder einrichten,« antwortete Zawisch, und seine Stimme klang kalt. »Er hat Bedenken. – Aber wollte einer auf seinem Wege alle bedenklichen Gesichter beobachten – Heia, er könnte weit vor dem Ziele stecken bleiben!« – – – »Auch ein Witigone! – Man sollte es kaum glauben. Solche Menschen wachsen in den engen Gassen der Städte!« setzte er mit flüchtigem Lächeln hinzu.

»Zawisch, in welchem – Grade – ist – ? Marquart mit uns verwandt?« fragte Wok nach einer Weile mit zögernder Stimme.

Zawisch lachte.

»Aber Zawisch!«

»Verzeih, Wok, und sei ohne Sorge! Die Urahnherren waren Vettern – kein Ehehindernis.«

»Aber Zawisch!« rief Wok und wandte das dunkelrote Antlitz ab. »Ich weiß ja selbst noch nichts.«

Lauter als zuvor lachte Zawisch und griff nach dem Becher auf der Zinnplatte: »Trink, Wok!« – Und mit großem Ernste setzte er hinzu: »Die Wahl ist gut, bei allen Heiligen! Zu dieser Wahl gebe ich dir von vornherein meinen Segen an der Eltern Statt.«

* * *

Die Nacht verging, und die Sonne hob sich empor und glänzte über Burg und Land.

Bei den Minderbrüdern im fernen Wien lag König Ottokar, bekleidet mit dem Purpurgewande, das die römische Königin aus ihren Truhen gespendet hatte, und flüsternd drängte sich das Volk vorüber an seiner Bahre, wie alle die Tage her. In der Stadt Prag aber saß Frau Kunigunde, die königliche Witwe, und ließ sich bekleiden mit dem schwarzen Trauergewande und schmücken mit dem weißen Schleierlein, wie es die Sitte gebot.

Schmücken? Ja, schmücken!

Im Gemache der Königin war die Luft erfüllt vom Dufte des Balsams und vom Gerüche des köstlichen Rosenöls, wortlos glitten dienende Frauen umher und verrichteten ihre Geschäfte, wortlos saß die Königin und beschaute sich im Handspiegelein; in holder Unordnung lagen Kämmlein und Bürstlein zwischen glänzenden Salbentöpflein, und traulich knisterte die Lampe, in deren Flamme man die zierlichen Brenneisen erhitzte.

»Geruht die Frau Königin, sich das Schleierlein anstecken zu lassen?« fragte eine schwarzäugige Gürtelmagd und trat mit einem feinen, weißen Gewebe vor ihre Herrin.

»Hier, rechts oben, noch einen Druck mit dem Brenneisen!« befahl die Königin und besah sich ernsthaft im Glase des Spiegels. Geräuschlos glitt eine Dienerin heran und vollzog den Befehl.

»Und nun noch einen kleinen Schatten auf die linke Augenbraue – so! Und jetzt den Schleier!«

»Der arme Herr König, dem Gott gnädig sei!« hauchte Boschena, die edle Gürtelmagd, während sie den Schleier an der Witwenhaube der Königin befestigte. »Die Frau Königin prangt im Glanze der Jugend und er –«

»Zu lang, viel zu lang!« unterbrach Frau Kunigunde ihre Rede.

»Verzeiht, Frau Königin, wir haben Rat gepflogen untereinander, wir glauben, das Trauerschleierlein müsse auch den Hals bedecken,« lispelte die Magd.

»Falsch, ganz falsch, Boschena!« antwortete die Königin. »Herunter, rasch, rasch!«

Boschena löste den Schleier.

»Glaubt ihr, ich will trauern wie die Krämerweiber in Prag?« sagte die Königin lächelnd. »Ich sollte den Schleier wohl bis zum Gürtel wallen lassen? Wie plump! Steck ihn noch einmal, Boschena! Der Trauerschleier der Königin fällt von der Stirne bis zur Mitte des Kinns und ist lose gesteckt – hörst du? – ganz lose in Fältchen, das Kinn läßt er zur Hälfte frei.«

»Französische Sitte,« sagte halblaut eine Dienerin.

»Richtig erraten,« nickte Frau Kunigunde. »Die französische Fürstin läßt ihr Kinn, wie ich, zur Hälfte frei.«

»Das schöne, königliche Kinn!« flüsterte Boschena und steckte das duftige Schleierlein, wie ihr befohlen war.

Im Kreise standen die Frauen, ernsthaft beschaute sich Königin Kunigunde im Handspiegelein und erhob sich vom Stuhle.

»Ich habe die Frau Königin im Brautschleier gesehen; die Jahre kamen und gingen und hinterließen keine Spur – noch herrlicher als die Braut steht heute die Königin im Witwenschleier vor meinen Augen,« sagte eine alte Dienerin.

»Und der Trauerschleier fällt ihr bis auf die Mitte des Kinns, um keines Haares Breite tiefer herab,« sagte die Königin und lächelte der Greisin freundlich zu.

»Groß im Glücke, erhaben im Unglücke,« sagte diese und verneigte sich tief, »das ist die Königin von Böhmen.«

Und ringsumher verneigten sich die dienenden Frauen. Die schwarzäugige Boschena aber flüsterte hörbar. »Könnte Euch doch der selige Herr König sehen in diesem reizenden Witwenschleier!« –

Bei den Minderbrüdern zu Wien ruhte König Ottokar aus von den Mühen der Marchfeldschlacht und von den Mühen seines Lebens, vom Stirnreife der Königin Kunigunde aber floß zierlich das weiße Schleierlein bis zur Mitte des herrlichen Kinns nach der Sitte, mit der französische Fürstinnen ihrer Trauer oblagen. – König Ottokars Augen konnten sich nicht mehr ergötzen an diesem Anblicke.

* * *

Die geschmückte Königin trat in den Vorsaal, und tief verneigte sich der Unterkämmerer: »Herr Wok von der Krummenau harrt Eurer Befehle, Frau Königin.«

»Sind die Fenster verhüllt im Empfangsaale?«

»Wie es die Sitte gebietet.«

»Auf meinen Thronsitz laß einen schmalen Streifen Dämmerlichtes fallen!«

»Es wird besorgt,« sagte der Höfling und verneigte sich abermals.

»Dann wollen wir gehen!« sagte die Königin von Böhmen, warf das herrliche Haupt in den Nacken, schritt in den finstern Empfangsaal, setzte sich auf ihren goldenen, schwarzbehangenen Stuhl neben den andern, leeren Stuhl und erwartete den Witigonen Wok, der an der Seite König Ottokars gekämpft hatte auf dem Kruterfelde.


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