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Ein Frauenherz

Die Zeit der Lindenblüte war gekommen, und auch die uralten Linden auf dem Hradschin hatten ihre zahllosen Knospen geöffnet und sandten starken Duft hinauf in die hellerleuchtete, offene Königshalle. Kein Hauch bewegte die grünen Wipfel, die sich emporzustrecken schienen aus der schwarzen Nacht, als wollten sie sich baden im Scheine der Kerzen.

Üppige Laubgewinde schlangen sich um die weißglänzenden Säulenschäfte der weitgespannten Fensterbogen, im Scheine der Kerzen blinkten die starren Blätter der Kapitäle, und im Scheine der Kerzen breitete sich spiegelglatt der rötliche Marmor des Estrichs. In großen Vasen glühten ringsumher an den Wänden und an den Fensterbogen Sträuße roter und weißer Rosen und mischten ihre Düfte mit dem Lindenblütendufte. Mehr als alle anderen Blumen behagte der Königin die Rose.

Lauwarm war die Luft. Frohes Lachen ertönte in der Halle, schöne Augen blitzten, runde Wangen waren gerötet, Scherzworte flogen hin und her, Flüstern und Raunen barg sich hinter raschelnden Fächern – in Gruppen saßen Frauen und Mädchen umringt von den Herren des Hofes: man ruhte vom Tanze.

Inmitten eines großen Kreises von Frauen saß die Königin, prächtig anzuschauen gleich ihrer Lieblingsblume, eine stolze Rose unter den Blumen des Gartens. Es war, als ginge ein mattes Leuchten von ihrer hohen, weißen Stirne, ihre dunkeln Augen schienen zu lachen, und die roten Edelsteine an ihrem weißseidenen Gewände glühten und funkelten.

»Es ist ein schönes, ein herrliches Fest,« sagte ein junges Mädchen leise.

»Das freut mich, kleine Gertrud, mich und meinen Gemahl!« rief die Königin und wandte das stolze Haupt.

»Verzeiht, Frau Königin!« sagte die Kleine und senkte ihr rotübergossenes Antlitz.

»Was soll ich dir verzeihen?« fragte Frau Kunigunde.

»Ich habe zu laut gesprochen, Frau Königin,« antwortete das Mädchen.

»Sind wir im Kloster?« lachte die Königin und warf das Haupt in den Nacken. »Freue dich, weil du lebst! – Ich denke, schon diese Marmorsäulen müssen sich freuen über die Reihe der Feste. – – Es sind lange Jahre über das Land gegangen, in denen man kein Fest beging auf dem Hradschin.«

»Die Frau Königin ist sehr gütig,« murmelte das Mädchen.

Frau Kunigunde aber ließ ihre Blicke im Kreise herumgehen und sagte: »Ich denke an das erste Fest, das ich in dieser Halle sah – aber ich schaue nicht viele von denen, die damals bei mir sahen. Du, Wendelmut, du, Hildegart, du, Ava – ? das werden alle sein.«

»Es will uns dünken, als wäre die Frau Königin heute zum erstenmal als junge Herrin bei einem Feste,« sagte ein Höfling und verneigte sich tief. Ein Murmeln ging über den Kreis der Herren und Frauen.

»Ava, weißt du noch, damals saßest du neben mir –?« begann die Königin wieder.

»Ich weiß es und werde es nie vergessen, Frau Königin,« sagte die alte Ava, und ein glückliches Lächeln flog über ihre Runzeln. »Die Königin war damals die Sonne im Saale, wie sie es heute ist und noch lange, lange bleiben möge.« Wieder ging ein Murmeln über den Kreis, und die Herren verneigten sich.

»Ja, ja, ihr jungen Leute, sie hat viel erlebt, Frau Ava,« sagte die Königin mit freundlichem Lächeln.

»Viel, Frau Königin! Ich habe noch das Tanzlied gesungen in dieser Halle.«

»Das mag lange her sein,« meinte die Königin.

»Sehr lange, Frau Königin! Das war eine schöne Sitte, als man noch selber zum Tanze sang. Von solcher Lust weiß unsere Zeit nichts mehr.«

»Muß lustig gewesen sein, dich singen zu hören,« sagte der Knabe Wenzel, der neben seine Mutter getreten war; »wie wenn die Käuzlein singen des Nachts!«

Ein böser Blick schoß auf den Knaben, und wortlos verneigte sich die alte Ava, die noch zum Tanze gesungen hatte vor langen Jahren. Rings im Kreise aber klang es wie ein verhaltenes Kichern. Regungslos sah die Königin, und Wenzel schlenderte weiter zu einer anderen Gruppe.

»Erzähle noch mehr, gute Ava!« befahl Frau Kunigunde.

»Die Frau Königin ist sehr gütig,« antwortete die Greisin mit scharfer Stimme, und ihre Blicke flogen über die Gesellschaft der Herren und Frauen. »Es war die Zeit, wo man der Frau huldigte wie niemals mehr hernach am Hofe des Königs, huldigte der jungen Frau, die im Glanze der Jugend prangte, und der alten Frau, der man die Flüchtigkeit der Zeit nicht zum Vorwurfe machte.«

»Das war gut gesagt, Ava!« unterbrach sie die Königin.

»Allen voran ging der hochsinnige König Wenzel, des Herrn Königs Wenzel allergnädigster Herr Großvater, dem Gott gnädig sei, und wie er selbst so manches süße Minnelied gesungen hat, so drängten sich in den Sälen seiner Burg Minnesänger aus allen Ländern der Erde. Dort stand der König, dort unter jenem Bogen, eine Nacht war's wie heute, auch zur Zeit der Lindenblüte, dort stand er und sang zur Laute:

»Recht als wie eine Rose aus ihrer Hülle bricht,
Wenn sie nach süßem Tau begehrt,
So bot sie mir den zuckersüßen, roten Mund.
Was mir nun sonst an Wonne die weite Welt verspricht,
Acht' ich für nichts: mir ward gewährt
Ein überschwenglich großes Glück – o Heil der Stund!«

So flüsterte Frau Ava und vollendete:

»Ich brach die Rose nicht und hätt' es doch gekonnt.«

Lächelnd drohte Frau Kunigunde mit dem Finger und rief: »Vielleicht weiß Ava, die so vieles weiß, auch den Namen dieser Holden?«

Tief verneigte sich die Greisin und antwortete: »Es war das oberste Gesetz der Minne, daß man den Namen seiner Holden im Herzen barg. Also handelte auch der minnekundige König Wenzel. Ach, die alte Zeit ist zu Grabe gegangen, ach, die Männer dieser neuen, wilden Zeit verachten das Lied – nur einige wenige noch tragen die Gesinnung der Väter in der jungen Brust. In Herrn Zawisch lebt ein Stück der guten alten Zeit!«

»Und in mir, Frau Ava?« fragte Herr Witigo, der in den Kreis getreten war.

»In Euch, Herr Witigo?« sagte diese und schaute prüfend auf den Bruder des Regenten. »Wo der Spott seine Wohnung aufgeschlagen hat, da tönen keine Lieder.«

»Eia, Frau Ava, da irrt Ihr Euch sehr. Habt Ihr noch niemals von Spottliedern gehört?«

»Von Spottliedern wußte man zu meiner Zeit nichts am Hofe des Königs,« sagte die Greisin und wandte sich würdevoll von Herrn Witigo. »Zu meiner Zeit wurde man nicht fertig mit dem Lobpreise des Süßen und Holden und wurde nicht müde, Süßes und Holdes zu besingen.«

»Das war ja, als fütterte man einen tagtäglich mit Honigwaben!« rief Witigo. »Süß und sauer, alles zu seiner Zeit – wollt Ihr mein Leiblied hören?«

»Es gibt unterschiedliche Lieder,« antwortete Frau Ava mit Zurückhaltung.

Herr Witigo aber begann unbeirrt:

Durch die Föhren streicht der Wind,
Und die Wipfel ächzen,
Raben fliegen mit dem Wind,
Und ich hör' sie krächzen.

Lotrecht ragt er in den Wind,
Jener Föhrenmast,
Wagrecht schwanket in dem Wind
Dran ein roter Ast.

Und zum roten Aste hin
Schweifen die Gedanken:
Möcht' gar manchen baumeln seh'n
An dem Ast, dem schwanken!

»Ihr solltet anders denken und reden vom Zauber des Liedes, Herr!« rief die Greisin, schüttelte sich und wandte sich wieder zu dem Witigonen. »Einer der größten Sänger hat an Eurer Wiege gesungen, ich weiß es wohl.«

»Da seht Ihr ja, Frau Ava, welche Macht der Sänger hat,« antwortete Witigo und lachte. »Ihr meinet den Liechtensteiner?«

»Den Ulerich von Liechtenstein, den letzten Sänger, auf den die Sonne schien!« flötete die Alte.

»Den Liechtensteiner mit der Hasenscharte?« wiederholte der Witigone.

»Fi!« sagte Ava und wandte das Haupt mit Abscheu. »Hasenscharte! Drei Lippen hatte ihm die Natur gegeben, als wollte sie anzeigen, daß dieser Sänger mehr als zwei Lippen nötig habe.«

»Hm!« machte Witigo.

»Und zu Gefallen der Kaltherzigen, die ihn nicht verstand, ließ er sich ja die dritte Lippe abschneiden.«

»Jedenfalls das Gescheiteste, was er in seinem ganzen Leben getan hat,« sagte Witigo.

»Hat er nicht sein Leben im Dienste der Frauen verbracht, müssen wir ihn nicht darob preisen?« warf die Königin hin.

»Die Frau Königin hat die Wahrheit gesagt!« frohlockte Ava.

Herr Witigo aber sagte trocken: »Hat auch welche gegeben unter den Frauen, die ihn ausgiebig bedient haben zu rechter Zeit.«

»Die kalte Gräfin!« rief Ava verächtlich.

»Die und meine leibliche Mutter, Frau Ava,« antwortete Witigo.

»Eia!« fuhr die Alte auf, und ihre Blicke hingen an den Lippen des Witigonen. »Eure Frau Mutter? Ich kenne das ganze Leben des Liechtensteiners, davon aber habe ich nie etwas gehört, Herr Witigo. Erzählet doch, wenn's der Königin beliebt!«

»Erzähle, Witigo!« sagte die Königin.

»Damit werde ich bald fertig sein, Frau Königin,« begann Witigo freundlich. »Es ist wahr, der Liechtensteiner ist einst vor langer Zeit auf unserer Burg gewesen. Ein weitläufiger Vetter hatte ihn gebracht. Da wurden viele Speere verstochen und viele Weinfässer geleert – denn der Liechtensteiner war gar ein versoffener Kumpan, Frau Ava –«

»Ein Sänger,« sagte diese und ließ den Fächer rascheln und warf einen entrüsteten Blick auf den Spötter »ein Sänger, dessen Lippen trocken waren vom Singen zu Zeiten.«

»Also er soff, als hätte er noch immer drei Lippen, und seine Lieder troffen von Honig und von anderen Dingen. So besang er einmal auch meine Mutter, der Gott gnädig sei –«

»Er besang Eure Mutter!« flötete die alte Frau und hob die Augen an die Decke der Halle. »Diese Glückselige!«

»Und sie erhob sich vom Stuhle,« sagte Witigo.

»Und gab ihm den Dank!« unterbrach ihn Frau Ava.

»Und gab ihm den Dank, Frau Ava,« fuhr Witigo fort. »Er sang das Lied im Saale und schlug die Laute dazu, und auf einmal sang er nicht mehr und schlug die Laute nicht mehr, aber meine Mutter schlug etwas –«

»Ich verstehe Euch nicht, Herr Witigo,« sagte die Alte und machte ein mißtrauisches Gesicht.

»Nun, meine Mutter schlug ihm eine Maulschelle auf seine zwei oder drei Lippen, Frau Ava, eine, daß es klatschte im Saale.«

»Fi!« rief die Greisin. »Er besang sie, er – und sie, sie – –«

»Fi –? Ihr sprecht von meiner Mutter, der Gott gnädig sei!« sagte Herr Witigo. »Wißt Ihr, warum meine Mutter den Lautenschläger schlug?«

»Was weiß ich?« murrte Frau Ava.

»Meine Mutter war eine Frau aus ganz alter Zeit; sie lebte im tiefen Walde und glaubte, daß man auch nicht singen dürfe, was man nicht sagen darf vor keuschen Frauen. – So glaubte meine Mutter; sie ist aber schon lange tot.«

»Er besang sie, und sie verstand ihn nicht!« flüsterte Frau Ava, und flüsternd saßen die Frauen im Kreise.

»Und Herr Ulerich von Liechtenstein ritt wohl zur Stunde von Eurer ungastlichen, unminniglichen Burg, Herr Witigo?« fragte Ava nach einer Weile.

»O, er hatte es nicht sonderlich übel genommen; denn er besaß die Haut des hürnenen Siegfried. Er sprach viel von einer weichen, kleinen Hand, soff noch etliche Wochen von dem Weine meines Vaters und schied hernach im Frieden von Herrn Budiwoj, meinem Vater, und Frau Berchta, meiner Mutter,« sagte Witigo und lächelte freundlich.

»Fi, fi!« murmelte die Greisin und zuckte mit den Achseln. –

»Der uns ergreift wie keiner sonst unter den Sängern, ist doch der Meister Gottfried. Ein Held ist der im Frauenlobe,« lenkte ein junger Höfling ab.

»Der Meister Gottfried!« flötete die Alte und schaute zärtlich nach dem Ritter. »Tristan – Isolde – – ach!« Und lebhaft raschelten die Fächer ringsumher.

»Vor dem beuge auch ich das Knie,« sagte Herr Witigo und machte ein ernstes Gesicht.

»Ihr, Herr?« rief Ava und wandte sich verwundert zu dem Landherrn. »Ich dächte, den Meister Gottfried –«

»Den könnte am wenigsten ein Witigo verstehen! Nicht wahr, Frau Ava?« unterbrach sie der Landherr und neigte das Haupt.

»O, das habe ich nicht gesagt, Herr; ich freue mich immer –«

»Wenn eine Distel Trauben trägt,« ergänzte Witigo. »Nicht? – Ich sag' es aber noch einmal, Frau Ava, der Meister Gottfried, der ist mein Mann.«

»Recht so, recht so, Herr Witigo! Man könnte Euch ordentlich gut sein,« sagte die Greisin. »Ordentlich gut!«

» Wieder gut werden,« meinte Witigo und lächelte.

»Und warum, Schwager,« fragte die Königin und sah forschend herüber, »warum ist Meister Gottfried dein Mann?«

»Weil er uns das Frauenherz kennen lehrt wie nicht viele andere,« sagte Witigo und verneigte sich leicht nach der Königin.

»Das Frauenherz!« flötete Frau Ava mit spitzen Lippen und lächelte.

»Das geheimnisvolle Frauenherz!« bekräftigte mit tiefer Stimme ein alter Höfling hinter dem Stuhle der Königin.

»Das unergründliche Frauenherz!« murmelte der junge Höfling an der Seite Witigos.

»Das Frauenherz, das geheimnisvolle, das unergründliche Frauenherz, gerade dieses meine ich – Heil dem Sänger, der es schildert, wie es beschaffen ist!« sagte Herr Witigo.

»Isolde!« kam es flüsternd von den Lippen Avas.

»Isolde und alle die andern tiefen, geheimnisvollen Herzen!« rief Witigo und hob die Augen zur Decke des Saales. Forschend sahen zwei dunkle Augen auf ihn – er schien es nicht zu bemerken.

»Aus einem ganz besonderen Stoffe sind diese tiefen, geheimnisvollen Frauenherzen, aus Sonnenstäublein hat einer das erste gebacken, denke ich,« fuhr der Witigone fort.

»Aus Sonnenstäublein!« rief der junge Höfling und reckte seine hagere Gestalt.

»Aus Sonnenstäublein!« wiederholte Ava und flüsterte ihrer Nachbarin zu: »Er ist dennoch der Bruder des Sängers.«

»Und im fernen Welschlande hat es wohl einer gebacken,« fuhr der Bruder des Sängers ernsthaft fort; »denn deutsch ist's nicht. Und ein anderer hat's in ein gülden Kästlein gelegt und hat's zu uns gebracht über Berge und Ströme, das geheimnisvolle, unergründliche Frauenherz. Da ist's nun, dieses Frauenherz, und lebt im Elend unter den Bären im deutschen Walde, das geheimnisvolle Frauenherz, und sehnt sich nach dem Welschlande. Viele deutsche Sänger sind es, die da singen vom Frauenherzen. Da singt Reinmar:

›Sei hochgepriesen, Weib, du Name rein,
Du Name Weib, für Lipp' und Ohr so mild!
Willst du so recht aus tiefster Seele gütig sein,
Dann schweigt das Lied vor solchem Bild.
Dein Lob mit Worten keiner völlig sagen kann –
Wen du in Treuen pflegst, wohl ihm, der ist ein sel'ger Mann
Und mag gar gerne leben!‹

»Das fremde, das geheimnisvolle Frauenherz aber flüstert: ›Tiefer, ach, viel tiefer sollt' er singen – denn ich bin unergründlich tief!‹

»Da singt ein anderer:

›Wohl ihr, die ohn' Falschheit wohnt
Und so weiblich, züchtig lebet!
Recht als wie der lichte Mond
In der Sterne Reigen schwebet,
Also hält es auch die Reine.
Nimmer suchst du sie alleine,
Aller Tugend ist sie voll.‹

»Das fremde, geheimnisvolle Frauenherz aber flüstert: ›Tiefer, ach, viel tiefer sollt' er singen – denn ich bin unergründlich tief!‹«

»Da singt der Zweter hinaus in alle Lande:

›Die reinen Frauen sind der Hort der Welt,
Drum klinge auch ihr Lob zum Sternenzelt!
Was wir von Gottesgaben schauen,
Das übergolden reine Frauen –
Sie alle sind gefreiet immerdar,
Weil eine Jungfrau einst den Christ gebar.‹

»Das fremde, geheimnisvolle Frauenherz aber flüstert: ›Auch er versteht mich nicht – denn ich bin unergründlich tief!‹«

»Wie er die Sänger kennt!« rief Frau Ava.

Lächelnd verneigte sich Herr Witigo und fuhr fort: »Da ist noch Meister Gottfried und sein Lied. Hochauf schlägt das fremde Herz, das seine Herz, das unergründlich tiefe Herz und jubelt laut: ›Verstanden – verstanden!‹ – – –«

Der Witigone legte sinnend die Hand an die Stirne und sprach langsam, wie in tiefen Gedanken: »Wo vermöchte ich Unwürdiger die rechten Worte zu finden für Meister Gottfrieds unergründlich tiefes Frauenherz und für alle die andern geheimnisvollen Frauenherzen, die er uns kennen lehrt in dem einen? So – nein so – ich will im Bilde sprechen!«

Atemlos lauschte Ava, lauschten die Frauen und Herren. Forschend schaute Frau Kunigunde auf den Schwager. Der aber begann mit zitternder Stimme:

»Ich ging auf der Pirsch im Bergwalde. Ich ging im Schatten der Edeltannen, ich ging unter gründunkeln Eichen, ich ging unter dem Laubdache des Bergahorns, Blumen leuchteten mir entgegen aus dem Moose –«

»Der Bruder des Sängers!« sagte Frau Ava hörbar und sah zärtlich auf den Witigonen.

Freundlich nickte dieser und fuhr mit etwas schärferer Stimme fort: »Vor mir aber schritt mein Heger; der hatte lange Stiefel an den Beinen. Am Waldrande dehnte sich ein weiter Teppich, wie eine Wiese anzusehen, schön grün und rot. Bedächtig trat mein Mann herzu, tastete mit seinem Stecken und senkte ihn tief in die glitzernden Blumen. ›Herr,‹ sagte mein Mann, zog seinen langen Stecken heraus, wandte sich und schaute mich bedenklich an, ›quatsch, quatsch, da krieg' ich keinen Grund!‹ – ›Quatsch, quatsch!‹ sagte auch ich und ging im weiten Bogen um die Pracht – Filz heißt man bei uns im Walde ein solch sumpfiges Ding – und dachte –«

»Dachtet?« rief Frau Ava.

Vornüber beugte sich Frau Berchtas Sohn und sagte in scharfem Flüstertone: » Tief wie du, fremdes, geheimnisvolles, unergründlich tiefes Frauenherz – quatsch

Rauschend erhob sich die Königin, rauschend erhoben sich die Damen mit ihr. Auf den Wink der Königin gab der Marschalk das Zeichen, und die Pfeifer und Geiger lockten zum Tanze.

»Fi, fi!« sagte Frau Ava, als sie nahe an Herrn Witigo vorüberging. »Wie duftet doch alles, was dieser Witigone redet, so unaussprechlich nach dem Walde!«

»Ihr seid sehr gütig gegen mich Unwürdigen, edle Frau,« gab Herr Witigo freundlich zurück. »Verzeiht mir, meine Mutter wohnte im Walde!«

»Böse, sehr böse seid Ihr, Herr!« flötete die Alte, sah schmachtend zu ihm empor und schwebte von dannen.

* * *

Hinter den Bruder trat Wok und legte leise die Hand auf seine Schulter: »Witigo!«

»Was?« fragte der Landherr mit lachendem Munde und wandte sich nicht.

»Witigo, du treibst deinen Spott mit den Leuten.«

Witigo wandte sich und sah lachend in des Bruders Angesicht: »Alle Taschen habe ich voll solcher Früchte und werfe sie, wie mir's beliebt, unter Menschen und Tiere!«

»Ob sie dich wohl alle verstanden haben?«

»Darauf verzichte ich stets.«

»Und es ist doch etwas Geheimnisvolles, unsagbar Zartes ums Frauenherz – um so manches tiefe Frauenherz,« sagte Wok.

Mit ernstem Gesichte stand Witigo vor dem Bruder, und eine tiefe Falte hatte sich zwischen seine Augenbrauen gelegt. »Frauenherz?« sagte er. »Ich kenne nur Menschenherzen; denn es ist gerade kein großer Unterschied, ob das Menschenherz unter einem Wamse schlägt oder unter einem Mieder: hier ist das Frauenherz etwas schwächer, dort etwas stärker, hier ist das Männerherz stärker, dort schwächer – überall handelt sich's um ein Menschenherz. Geheimnisvoll hast du das Frauenherz genannt? Ich danke für jedes geheimnisvolle Herz! – Und zart hast du das Frauenherz genannt? O ja, Wok, es gibt Frauenherzen, so zart wie nur ein Menschenherz sein kann. Solch ein Herz besaß unsere Mutter, unsere seelenstarke Mutter, Wok! Tief? O ja, bergseetief in Liebe und Treue. – Aber, sammirgott, Weiber gibt's, die tragen Herzen im Leibe, so unergründlich tief, daß sich alles Arge zwischen Erde und Hölle darinnen verbergen kann!« – »Und pfuch,« schloß er wieder mit lachendem Munde, »gerade diese unergründlichen Herzen haben's unsern Sängern, den guten und schlechten, zumeist angetan, als wären's die wundersamsten Gebilde, und um diese geheimnisvollen Frauenherzen brummen und summen sie wie die Schmeißfliegen um – – –!« – – »Komm jetzt, Wok,« sagte er behaglich und schob den Arm in den des Bruders, »komm, ich weiß einen kühlen Ort, und da wollen wir trinken! Komm, Trinken ist noch immer das Gescheiteste in dieser geheimnisvollen, in dieser unergründlich tiefen Welt!«

* * *

Die Linden dufteten, die Rosen glühten, die Menschen bewegten sich sorglos im Tanze, und über dem Hradschin schwebte auf schwarzen Fittichen ein furchtbares Unheil. –

Ein Höfling stürzte in die Trinkstube und rief mit bleichen Lippen: »Herr Witigo!«

»Was gibt's?«

»Wollet Euch in die Halle bemühen, Herr Witigo, Herr Wok, dem Könige ist unwohl!«

»Dem Könige? Wo ist der Regent?«

»Der Regent ist noch nicht in der Halle – die polnischen Gesandten, Ihr wißt ja. Kommt, ihr Herren, der König ist sehr krank, er schlägt um sich!«

»Auf der Stelle rufet den Regenten!«

»Es ist geschehen.«

»Und Ibrahim!«

* * *

Der König stand an einem Fensterbogen. Sein Antlitz war verzerrt. Ringsumher stand der Hof, die Pfeifer und Geiger schwiegen in der Halle, der Schrecken malte sich auf allen Gesichtern.

Herr Witigo drängte sich durch den Kreis und ging auf den König zu.

»Rühr' mich nicht an!« schrie Wenzel. »Zurück!« Er stampfte. »Es brennt, es brennt, weh mir, mein Leib!«

»Herr König,« sagte Witigo, »erlaubet mir, man muß Euch helfen!«

»Zurück!« kreischte der König. »Man hat mich vergiftet – hu, wie das brennt!«

Herr Witigo wandte sich und rief: »Im Namen des Königs, kein Mensch verläßt diese Halle! Ich ersuche dich, Wilhelm, und dich, Hartmann, und dich, Zdieslaw, besetzet die drei Türen. Seid ihr meiner Meinung?«

»Es handelt sich um unser aller Ehre und Leben!« rief der Burggraf Wilhelm von Miltschin.

Und die Herren besetzten die Türen. Totenstille war's in der Halle, nur aus dem Hofe drang vernehmlich das Murmeln eines Brunnens empor.

Neben den Bruder trat Herr Wok.

»Erlaubet, Herr König, wir sind in großer Sorge um Euch!«

Langsam näherte er sich dem Knaben.

»Erlaubet!« bat er mit seiner weichen Stimme und trat nahe vor den König.

»Wok!« schrie der Knabe. »Hilf mir du – hu, wie das brennt!«

»Leget Euern Arm in meinen Arm, so – Herr König, jetzt wollen wir langsam gehen!«

»Hilf mir, Wok!« schrie der König und klammerte sich an den Witigonen und tanzte von einem Beine aufs andere.

Wieder öffnete sich der Kreis, und langsam bewegte sich die Königin heran.

»Wenzel,« rief sie, »beherrsche dich, du hast vielleicht zu viel gegessen!«

»Geh weg!« schrie der Knabe. »Gehet alle weg! Hilf mir, Wok – hu. wie das brennt!«

»Polster heran! Wo bleibt der Ibrahim?« rief Witigo.

»Hier ist er,« antworteten drei, vier Stimmen.

»Fort, Ibrahim! Niemand will ich! Hilf mir, Wok!«

Der Witigone stützte den Kranken und bat: »Seid ruhig, Herr König, tut mir's zu Gefallen! Laßt den alten Ibrahim herankommen; er kann Euch helfen.«

»Weh mir, es brennt!« schrie Wenzel und krümmte sich.

Wortlos stand der greise Arzt und beobachtete den Kranken.

Diener kamen und breiteten Polster auf den Estrich.

Wie einen Federball hob Wok den König und legte ihn darauf.

Ibrahim wandte sich an die Königin und sagte leise: »Wir müssen ihn stürzen!«

Auf dem Angesichte der Königin schien sich der Schrecken zu malen. »Also ist er doch krank?« fragte sie halblaut und trat rasch an das Lager.

»Mein liebes Kind!« rief sie und beugte sich über den Knaben.

Lautauf kreischte der König: »Fort, fort, du!«

»Unsinn!« rief Frau Kunigunde, daß es alle hören konnten. »Er ist nicht krank. Boshaft ist er, und die Leute erschreckt er.«

Der Arzt zuckte die Achseln, und die Königin rauschte an einen Fensterbogen.

»Rasch!« drängte Witigo. »Wok, es muß sein!«

In Krämpfen wand sich der König und schrie: »Mein Vater! Mein Vater Zawisch soll kommen!«

»Er kommt, Herr König,« sagte Wok und beugte sich über den Knaben. »Vertrauet mir, es muß sein! Wir müssen Euch so halten, daß die bösen Säfte aus Euerm Leibe rinnen.«

»Hilfe! Hilfe! Hilfe!« stöhnte Wenzel.

Wok winkte. Rasch trat Herr Witigo heran, nahm den Knaben an den Beinen, Wok packte ihn unter den Schultern, und so stürzten sie ihn und hielten ihn, daß sein Haupt nach unten hing.

»So ist's gut!« murmelte der Arzt, ließ sich auf die Kniee nieder, stützte das dunkelrote Haupt des Kranken und griff nach dem Pulse.

»Betet zu den Heiligen!« schrie eine Frauenstimme, und alle ringsumher sanken auf den Marmor des Estrichs, bekreuzigten sich und hoben die Hände empor. Und abermals schrie die Stimme: »Hilf, heilige Mutter Gottes, hilf!« – »Hilf, heilige Mutter Gottes, hilf!« tönte es dumpf im Kreise. – »Hilf, heiliger Wenzel, hilf!« – »Hilf, heiliger Wenzel, hilf!« klang die Antwort von den bleichen Lippen. –

Mit raschen Schritten kam Herr Zawisch. Vor ihm her bildete sich eine breite Gasse.

»Herunter mit ihm auf die Polster! Soll ihn der Schlag treffen?« rief er.

»Aber Herr!« sagte der Arzt.

»Herunter!« befahl der Regent.

König Wenzel krümmte sich auf dem Lager und stöhnte: »Hilf mir, Vater!«

»Lauwarme Milch und einen Trichter, Wok!« befahl Herr Zawisch und legte die Hand auf die Stirne des Knaben.

»Herr Wok verläßt die Halle nach dem Befehle des Regenten,« rief Witigo.

»Auf!« wandte sich Zawisch an die Diener. »Traget den König sachte in die erste Kammer am Laubengange!« Dann sah er suchend umher in der Halle, bis er die Königin fand. Regungslos lehnte sie unter dem Bogen und schaute hinaus in die Nacht.

»Die Königin ist tief erschüttert,« flüsterte Frau Ava.

»Der König hat sie von sich gestoßen,« sagte Herr Witigo.

»Bruder,« raunte Herr Zawisch, »auf der Stelle soll Boleslaw alle verhören. Es ist ein Verbrechen geschehen.«

* * *

Der Regent hatte die Halle verlassen, und Witigo stand vor der Königin. Seine Züge waren hart. Kalt schaute er der Königin ins Antlitz.

»Dein Gemahl hat ein Verhör befohlen.«

»Lächerlich!«

»Willst du nicht nach deinem Sohne schauen?«

»Er soll krank sein? Er hat mich zurückgestoßen vor dem ganzen Hofe.«

»Ich ginge dennoch zu meinem kranken Kinde, Frau Königin,« sagte der Witigone mit Nachdruck.

»Übernommen hat er sich. Das kenne ich. Und zuletzt lacht er über unsere Angst,« antwortete die Königin zornig.

»Er ist vergiftet, Frau Königin,« sagte Witigo.

Frau Kunigunde warf das Haupt zurück: »Dann möge der oberste Landrichter beginnen! Ich bleibe, bis der Letzte verhört ist, und müßte ich auch die ganze Nacht hier bleiben.«

* * *

Wie die Hühner im Regen standen die Herren und Frauen unter den strahlenden Kerzen und schauten einander angstvoll an.

Als ein Herr stand Witigo mitten in der Halle, gab seine Befehle an des Regenten Stelle und überantwortete sich und alle ringsumher dem obersten Landrichter zum Verhöre.

Die Sterne funkelten vom stillen Himmel hernieder, die Linden dufteten wie vordem, der Brunnen murmelte sein eintöniges Lied – und tiefer und tiefer senkte sich das Unheil auf den Hradschin und auf das böhmische Land.

* * *

Auf einem Spannbette krümmte sich der König. Mit finsterem Gesichte stand der greise Sarazene da.

»Es hätte geholfen, Herr,« sagte er zum Regenten.

»Wenn ihm etwas helfen kann, so ist es die Milch, Ibrahim,« antwortete Herr Zawisch.

»Bedürft Ihr meiner noch?«

»So geh!« befahl der Regent.

* * *

Herr Zawisch öffnete die Türe und blickte den Gang hinunter.

»Ich habe alles,« rief Herr Wok und kam eilig heran, »den Trichter und die Milch!«

»Es ist die höchste Zeit,« antwortete der Regent. »Rasch den Krug her! Ist sie lauwarm? Gut! – Halte die Schale, Boschena!«

Und die edle Gürtelmagd der Königin hielt zitternd die Schale, Herr Zawisch aber goß die warme Milch aus dem Kruge hinein.

In der Kammer schrie der König laut auf.

»Heilige Mutter Gottes!« kreischte Boschena, und zerbrochen lag die Schale auf den Ziegeln.

»Das hat noch gefehlt!« rief der Regent und stampfte.

»Gib mir den Krug, Zawisch! Nimm eine frische Schale, Boschena, dort, am Eingange zur Halle, dort!« rief Wok.

Wieder schrie der König.

»Sputet euch!« rief der Regent und stürzte in die Kammer.

Behutsam goß Wok die Milch in die frische Schale, nahm die Schale und trug sie in die Kammer.

* * *

Mitternacht war längst vorüber. Trübe brannte die Ampel in der Kammer, am Lager des schlummernden Königs saß der Regent und beobachtete die bleichen Züge.

»Geh zur Ruhe, Zawisch!« flüsterte Wok und trat leise aus der Dunkelheit in den Lichtkreis der Ampel.

»Er hält meine Hand, der arme Knabe,« sagte Herr Zawisch.

»Geh zur Ruhe, Zawisch!« wiederholte Wok, und seine Augen sahen mit düsterem Ausdrucke auf den Regenten. »Witigo ist vorhin an der Türe gewesen, er will dich noch sprechen.«

Behutsam löste Herr Zawisch seine Hand aus den Fingern des Königs. Der Kranke stöhnte im Schlafe, hob langsam den Arm, ließ ihn schwer auf die Decke fallen und stöhnte abermals. Geräuschlos stand der Regent auf, und Wok setzte sich an seinen Platz. –

Im Laubengange, in einer Fensternische, stand Herr Witigo und wartete auf den Bruder. Er hatte die Fäuste auf den Sims gestemmt und starrte hinaus in den finstern Hof. Ruhig plätscherte der Brunnen zu seinen Füßen – in der Ferne stampften Rosse – ? ein Lufthauch zog lispelnd durch die hohen Linden und erstarb – ? ? ruhig plätscherte der Brunnen.

Herr Zawisch trat auf den Gang, und Witigo kam langsam aus der Fensternische.

»Zawisch!«

»Witigo?«

»Auf ein Wort!«

»Ist eine Spur vorhanden?«

»Sie können lange suchen und werden nichts finden, Zawisch. Schnell, Zawisch, auf ein Wort!«

»Komm!«

»An einen Ort, Zawisch, wo uns kein Mensch hört!« flüsterte Witigo und schob den Arm in den Arm des Bruders und drückte diesen Arm an sein Herz und griff mit der Hand nach der Hand des Bruders, und als er sie gefunden hatte, streichelte er sie hastig, ganz hastig, als schämte er sich dessen, und zog den Bruder mit sich fort den finstern Gang entlang. »An einen Ort, Zawisch, wo die Sterne nicht hinscheinen! An einen ganz einsamen Ort, Zawisch – hörst du?«

* * *

Auf die köstliche Nacht kam in Pracht und Herrlichkeit der Morgen über die Erde und goß sein Licht in Säle und Kemenaten der Königsburg. Der Tau funkelte auf den Blättern der Lindenbäume, und um die Wette mit dem Tau funkelte der silberne Wasserstrahl im Brunnen des Hofes. Ein rosiger Schimmer lag auf den weißen, laubumwundenen Säulenschäften der öden Königshalle, und derselbe rosige Schimmer griff allmählich hinüber auf eine schwere Kerze, die man hatte brennen lassen auf ihrem Leuchter mitten in der Halle – die man vergessen hatte in den Schrecken dieser Nacht. Zitternd spielte der Schimmer, der rosige Schimmer, auf dem gelben Wachsschafte, und zitternd brannte die Flamme im Lichte des Morgens.

* * *

Auch in die Kemenate des Regenten wollte der Morgen sein goldenes Licht senden, aber das Licht fand einen festverschlossenen Laden. Höher und höher stieg die Sonne, und auf seinem Lager ruhte ausgestreckt in den Kleidern der Regent, der Gemahl der Königin, der Vater des Königs, der Mächtigste im weiten Böhmen, Herr Zawisch von Falkenstein, den sie den Glücklichen hießen im Lande und weithinaus über seine Grenzen.

Lang ausgestreckt, regungslos lag er da, aber er schlief mit nichten. Es war finster, ganz finster in der Kemenate, nur dort, wo sich der starke Fensterladen stemmte gegen die Lichtfluten des Morgens, drang durch eine schmale Ritze ein goldiger Schimmer, ein schwacher, goldiger Schimmer, und auf diesen Schimmer starrte Herr Zawisch mit weitgeöffneten, brennenden Augen.

Hart an das Lager hatte Witigo einen Faltstuhl geschoben, saß da, bedeckte mit der Linken seine Augen und in der Rechten hielt er die kalte Hand des Bruders.

So lag der eine, und so saß der andere seit langen Stunden, und seit langen Stunden sprachen sie nichts miteinander.

»Jetzt aber ist's genug, Bruder!« sagte endlich Herr Witigo, drückte noch einmal die Hand und erhob sich. »Draußen ist heller Tag, ich lass' ihn herein!«

»Laß ihn nicht herein!« bat Herr Zawisch, und seine Stimme klang dumpf, und es war, als brächte er die kurzen Worte nur mühsam aus seinem trockenen Munde.

»Ich lass' ihn herein!« wiederholte Herr Witigo mit Heller Stimme und fuhr heimlich über seine Augen. Und mit raschen Schritten ging er an den Laden und riß ihn auf. Gleich einem Strome floß das goldene Licht herein und vertrieb die Finsternis. Tiefauf atmete Witigo und beugte sich weit hinaus und sog die starke Luft in langen Zügen ein – der Regent aber schlug die Hände vor die Augen und kehrte das Antlitz zur Wand.

»Auf, Bruder, auf!« sagte Witigo und trat ans Lager und strich leise über die Locken des Helden.

Heftig schüttelte Zawisch das Haupt.

»Ich lasse dich nicht, Bruder; auf, sage ich, auf!«

Herr Zawisch stöhnte.

»Soll ich dich mit deinen eigenen Worten locken?« rief Witigo, ging ins Fenster und begann halblaut zu singen:

Seht ihr das Flimmern,
Seht ihr das Schimmern,
Seht ihr den schmalen, rotgoldigen Schein?
Die Schatten fliehen,
Die Nebel ziehen
Eilig in Wälder und Moore hinein.

Morgen will's werden.
Alles auf Erden
Dehnt sich und hebt sich im strahlenden Licht.
Nimmer dich quäle
Nachtmüde Seele,
Siehe, die Sonne verlasset uns nicht!

Wenige Stunden
War sie entschwunden,
Kommt nun gewaltig schon wieder heran;
Lacht auf die Wälder,
Lacht auf die Felder,
Ziehet von neuem die leuchtende Bahn.

Horch auf die Märe;
Was es auch wäre,
Was dich auch drücken und ängstigen mag –
Nächte vergehen
Wie sie entstehen,
Siegen muß immer der glänzende Tag.

Morgen will's werden.
Weg von der Erden
Heb ich die Augen zum Lichte empor:
Ihr Träume ziehet,
Ihr Sorgen fliehet
Hinter den Nebeln in Wälder und Moor!

* * *

Herr Zawisch erhob sich von seinem Lager.

»Ich danke dir, Bruder, ich – bin – fertig.«

Witigo kam heran und schlang die Arme um den Helden. »Gott sei's gedankt!«

»Witigo –!«

»Zawisch?«

»Witigo – könntest – du – dich – nicht – dennoch – täuschen?«

Herr Witigo trat einen Schritt zurück und ließ die Arme sinken. Seine Brauen wurden finster, seine Zähne knirschten leise, er öffnete die Lippen, preßte sie auseinander, öffnete sie wieder und sprach: »Da stehst du – da stehe ich – und über uns beiden thront der allwissende Gott – und ich sage dir abermals, was nur ich weiß außer Gott: Ich sah sie mit einem Fläschlein verstohlen hantieren am Becher des Königs und dachte nichts dabei. Als sich hernach der König krümmte auf den Polstern und alle beteten, klirrte das Fläschlein im Hofe. Hier liegen die Scherben. Sie hat's getan.«

»So bin ich ganz – fertig,« murmelte Zawisch.

Witigo wandte sich ab; denn das Antlitz seines Bruders war fahl und schrecklich anzuschauen.

»So will ich handeln nach deinem Rate,« murmelte Zawisch.

»Es ist der einzige Weg,« sagte Witigo.

»Ich weiß – mein – treuer – Bruder.«

* * *

Heller, freundlicher Vormittag war's.

Hinter verschlossener Türe ruhte der kranke König, und an seinem Lager sahen schweigend Herr Witigo und Herr Wok und hielten die Wacht.

Durch die weite Burg aber lief, man wußte nicht, von wannen es kam, ein Gerücht und lief durch alle Häuser des Hradschin und ward von Mund zu Mund getragen, und das Gerücht lautete: Der König ist tot!

»Der König ist tot!« raunte einer dem andern zu, und in den Sälen sammelten sich die Hofleute. »Der König ist tot!« erzählten die Gürtelmägde von Kammer zu Kammer und trugen endlich das schreckliche Wort in die Kemenate der Königin. Und Frau Kunigunde scheuchte die Mägde aus ihrer Kemenate und schloß den Laden und warf sich auf ihr Lager. –

Da machte sich der Regent auf aus seinen Gemächern und schritt durch die Vorsäle. Zur Rechten und zur Linken wichen die Höflinge und verneigten sich bis zur Erde.

Herr Zawisch ging ohne Gruß an ihnen vorüber, langsam, ganz langsam, seine Augen brannten aus tiefen Höhlen hervor, und flüsternd sahen ihm die Höflinge nach, flüsternd und mit seltsamen Blicken. Aber keiner sagte dem andern, was er dachte in seinem Herzen.

So ging Herr Zawisch über die öden Treppen, und sein Schritt hallte in den gewölbten Gängen der Burg. So ging Herr Zawisch, bis er an das Gemach der Königin kam.

Er hielt stille und holte einen tiefen Atemzug. Dann riß er die Türe auf und trat in die düstere Kemenate.

»Kunigunde!«

Das Weib erhob sich vom Lager und stand als eine dunkle Gestalt in der Mitte des Gemaches.

»Zawisch!« sagte sie mit weicher Stimme.

Der Regent trat in die Fensternische und öffnete den Laden.

Im goldenen Lichte stand die Königin, hob die Arme und – lächelte.

Herr Zawisch war aus der Nische getreten und hatte die Arme über der Brust gekreuzt.

Die Königin glitt zur Türe, hob den Teppich und schob den Riegel vor.

»Wir sind ganz allein, mein Zawisch,« sagte sie, breitete die Arme aus und ging lächelnd heran.

»Zawisch –« kam es aus ihrem schönen Munde, aber sie hielt inne und ließ die Arme sinken und lächelte auf einmal nicht mehr. »Zawisch – was machst du so grausige Augen – ich – ich –«

Regungslos stand der Witigone und starrte sein Weib an. Dann öffneten sich seine Lippen, und er fragte sie leise: »Du weißt es?«

Wieder huschte das Lächeln über die königlichen Züge, ein Lächeln gleich einem Sonnenblicke. Frau Kunigunde neigte das Haupt zur Seite, ganz wenig zur Seite, hob die schmale, schimmernde Hand, ihre langen Wimpern senkten sich, und sie flüsterte: »Das arme Kind!«

Da war es, als ob die Gestalt des Witigonen wüchse? er bedeckte sein Antlitz mit den Händen, seine Brust hob und senkte sich sichtbar. – Forschend aber hefteten sich die schwarzen Augen des Weibes auf ihn, vornübergebeugt stand sie, unbeweglich, nur ihre schlanken Finger gruben sich leise in die Falten ihres seidenen Gewandes. So lauschte sie.

Da sagte Herr Zawisch: »Also stehe ich an einem Scheidewege.«

Sie trat dicht vor ihn, sie umschlang ihn mit ihren Armen, sie legte das Haupt an seine Brust und herzte ihn – er aber bedeckte noch immer die Augen mit den Händen.

»Wir sind ganz allein, wir haben gar nichts zu fürchten – denke an nichts mehr als an das eine – Zawisch – mein Zawisch – König Zawisch!« so flüsterte sie. »Aber sprich doch, sprich doch! – Es war schwer – es ist vorbei – du mein einziger – du mein Herr! – Sprich doch – küsse mich! – Mein Herz glüht, meine Liebe loht empor – es ist vorbei – es ist geschehen – ich hatte – ich hatte dich verstanden! – Aber warum sprichst du nicht – Zawisch?«

Herr Zawisch nahm die Hände von den Augen und schob das Weib von sich, daß es aufschrie, zurücktaumelte und auf dem Spannbette zusammensank.

Mit weitgeöffneten Augen sah sie auf den Polstern, verzerrt waren ihre Züge, sie lallte, sie raffte sich auf, sie wankte heran und sagte: » Zawisch

Wieder wie vorhin stand der Witigone mit gekreuzten Armen und bohrte seine Blicke auf das Weib.

»Zawisch, nicht so gräßlich schauen – was willst du? – – Ich fürchte mich.«

Mit ausgebreiteten Armen kam sie näher – »Zawisch!«

Wortlos ging der Witigone einen Schritt vorwärts, und die Königin hielt inne. Ihre Zähne schlugen aufeinander, eine fürchterliche Angst malte sich auf ihrem Gesichte. »Ihr Heiligen!« sagte sie und wich langsam zurück. »Du – guter – Zawisch – warum – schaust – du mich –?«

Wortlos ging der Witigone vorwärts und vorwärts, langsam, ganz langsam.

»Du willst mich töten!« sagte das Weib auf einmal mit veränderter, fester Stimme, blieb stehen und stürzte ihrem Gatten entgegen, warf sich zu Boden und umklammerte seine Kniee.

Herr Zawisch barg abermals das Antlitz, das farblose Antlitz, in den Händen, über die Züge des Weibes aber flog es wie der Schimmer einer Hoffnung. Und wie vordem erstrahlte ihr Angesicht in holdem Lächeln, und auf den Knieen begann sie zu reden, hastig, dringend, bittend, fordernd, schmeichelnd:

»O nein, du tötest mich nicht, wie habe ich töricht geredet – erschrocken bist du nur – mein Zawisch, mein König – weißt du noch – da – da war's, da auf dieser Stelle – da hast du – die Krone gehalten – wir leben – unser Knäblein lebt – wir beide leben – stark bin ich, o stark, wer – kann – wider – uns – beide und unsere Liebe?«

Ein Schauer schüttelte den Witigonen, heller und heller wurde das Lächeln des Weibes. Leise erhob sie sich, ihre weichen Hände suchten die Hände des Zawisch von seinen Augen zu ziehen, und als es nicht gelang, da streichelte sie diese Hände, und es war wie silberner Gesang, als sie bittend sagte: »An nichts mehr denken – siehe – meine Liebe – für dich – die Krone – Zawisch – Zawisch, ich verzehre mich für dich

Wieder nahm der Witigone die Hände von den Augen – aber seine Blicke hefteten sich nicht mehr auf das Geschöpf, das vor ihm stand. Er wandte sich ab.

»Hast du's getan?« stieß er hervor.

»Ich hab's getan,« sagte die Königin mit fester Stimme.

» Der König lebt!« sagte der Witigone, wandte sich abermals und sah nun mit eisiger Ruhe aus das Weib.

»Es ist nicht wahr!« schrie die Königin und riß die Augen auf.

»Verfluchte!« sagte Herr Zawisch und ging zur Türe.

»Zawisch!« kam's gellend von ihren Lippen. »Du hast mich in eine Falle gelockt.«

»Wie ein reißendes Tier,« antwortete der Regent.

»Zawisch!« rief das Weib und stürzte sich abermals auf den Boden und umklammerte seine Kniee.

Der Witigone stieß sie von sich. Wimmernd sank sie in sich zusammen.

»Ein Wörtlein, Zawisch!« bat sie stöhnend.

» Ich verachte dich,« kam es langsam von den Lippen des Landherrn.

Dann hob er den Riegel, schritt durch die öden Säle und durch die hallenden Gänge in seine Kemenate, warf sich auf das Lager und weinte bitterlich.

* * *

Die Abendsonne nahm Abschied von der Welt, und aus den Wiesen am Strome stiegen die Dünste der Nacht.

Witigo trat ans Lager des Bruders.

»Zawisch, steh auf! Der König verlangt nach dir.«

Zawisch stand auf und ging wortlos in das Gemach des Königs.

Zu Häupten des Knaben saß Wok. Er erhob sich und trat zurück.

»Wenzel, lieber Wenzel!« sagte Herr Zawisch und neigte sich über den Kranken.

Da hob der Knabe die dünnen Arme, lächelte und schlang sie um den Hals seines Vaters.

* * *

Zur selbigen Stunde aber lag die Königin mit verzerrtem Antlitze vergiftet auf dem Boden ihrer Kemenate.


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