Friedrich von Sontheim
Geschichte der Liebe
Friedrich von Sontheim

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Die ganze vorangehende Darstellung hat uns belehrt, wie eng die Liebe von jeher mit den Hauptmächten des Lebens verflochten war. Schon in Asien, bei dem ersten geschichtlichen Auftreten der Menschheit, war der ganze religiöse, sociale und politische Zustand von dem Verhältniß bedingt, in welches der Mensch zur Sinnlichkeit gesetzt wurde; die griechische Sinnlichkeit ist sprichwörtlich geworden zur Bezeichnung des letzten Princips, das der schönen Entfaltung jenes Volks zu Grunde lag; und je näher wir der neuen Zeit kommen, desto mehr wird die Liebe das wichtigste Problem, der Mittelpunkt aller unserer brennenden Fragen. Es will nirgends etwas vorwärts, weil es uns an der Liebe fehlt, nicht an derjenigen, die sich in »Armuth und Christenthum« zu bethätigen hat, sondern an der Frauenliebe, an einer wahrhaft natürlichen und zugleich höheren und idealen Ordnung des geschlechtlichen Verhältnisses. Es ist daher gewiß kein müßiges Werk, wenn man ihr das Wort redet, wenn man auf sie hinweist als den wichtigsten Gegenstand geschichtlicher Betrachtung und philosophischer Erkenntnis;. Wie jede neue Bildung von der Liebe ihren Ausgang nahm, ihr Erwachen in dem höheren Ausdruck dieses unmittelbarsten Gefühls zu erkennen gab und die Gestalten der Zukunft in ihren poetischen Darstellungen vorbildete, so werden wir auch jede höhere Richtung, durch welche die Liebe sich über die verworrenen Zustande der Gegenwart hinaufschwingt, als die Morgenröthe einer schöneren Zeit zu begrüßen haben.

Die Aufgabe, welche die Liebe zu lösen hat, ist aber ganz dieselbe wie die, welche dem Geist auf allen übrigen Gebieten obliegt: Das Bestreben der Gegenwart ist nämlich kein anderes, als das bisher blos theoretisch Erkannte nun auch praktisch zu verwirklichen und ernstlich in's Leben einzuführen; unsere Zeit ist unverkennbar damit beschäftigt, für die ideellen Principien, die wir als Errungenschaft des ganzen bisherigen geistigen Entwicklungsganges anzusehen haben, die materielle Verwirklichung, die äußere Existenz zu suchen. Dieß gilt für Religion und Philosophie, für Recht und Staat, am meisten aber muß es seine Geltung haben für die Liebe, diese allgemeinste Form, unter welcher sich der Mensch des Schönen als des Geistig-Sinnlichen bewußt wird, die unmittelbar geistig-sinnliche Lebensthätigkeit, welche alle übrigen Seiten des menschlichen Lebens in freier Notwendigkeit mit einander verbindet. Die Erkenntniß, welche wir über sie aus der Geschichte gewinnen, besteht aber gerade darin, daß in ihr diese beiden Seiten des Menschen, der Geist und die Sinnlichkeit zu der innigsten Durchdringung gelangen sollen, um das Schöne zu verwirklichen und dasselbe zur natürlichen Basis des ganzen Daseins zu machen. Wir haben die klare Einsicht gewonnen, daß keines der beiden Elemente über das andere einseitig vorherrschen, daß insbesondere die Sinnlichkeit nicht zurückgedrängt werden dürfe, wenn nicht die ganze harmonische Entwicklung gestört werden solle.

Diese Erkenntniß aber nun auch anzuwenden und mittelst derselben das zerrissene Dasein zu verewigen und zu versöhnen, das ist eben das Ei des Kolumbus. Das durch einen einseitigen Spiritualismus so lange unterdrückte Recht der schönen Sinnlichkeit ist jetzt in seinem ganzen Umfang anerkannt, aber diese Sinnlichkeit ist zugleich aus dem Boden der gesunden Natürlichkeit, dem sie nie entfremdet werden sollte, herausgerissen und zu einem künstlichen Raffinement geworden. Ebenso wird die Notwendigkeit des idealen, geistigen Elements von keiner Seite geläugnet, dasselbe hat aber gleichfalls sein natürliches Wesen aufgegeben und sich in ein abstraktes Genialitätsbewußtsein verirrt. So schwebt die Zeit zwischen einem gemein-sinnlichen Materialismus und einem hypergeistigen Intellektualismus in der unseligen Mitte. Beide Seiten, statt sich gegenseitig zu heben und zu tragen, reiben in fruchtlosem Antagonismus einander auf, weil sie gleichermaßen den Boden der natürlichen Wirklichkeit verloren haben.

Die Elemente sind also da und zwar in reicherer Fülle als jemals und was wir von der Zukunft zu fordern haben, ist nichts als Sonne und Luft, als Freiheit und Leben, ein offenes Feld, auf dem sie sich ausbreiten, ihre Einseitigkeiten an einander abarbeiten und sich in einander einleben können. Hiebei wird die Liebe ebenso die fördernde wie die geförderte sein. Da sie die unmittelbarste Aeußerung der Individualität ist, so kann das Selbstbewußtsein auf keinem Punkt eine Modifikation erfahren, ohne daß sie dabei zunächst betheiligt wäre.

An der bisherigen Lebensstellung war das Verfehlte, daß das Individuum mit seinen allgemeinen Anschauungen von den concreten Verhältnissen sich ganz losgetrennt fand, so daß z. B. die Liebe ein bloßes poetisches Kunstprodukt war, das eine von dem wirklichen Leben ganz geschiedene, blos illusorische Existenz hatte. Bis auf die neueste Zeit glaubte der Mann eine höhere Geltung nur in der über alle Wirklichkeit sich hinwegsetzenden Genialität zu finden und betrachtete, wie dieß ausführlich geschildert wurde, auch die Liebe nur als einen Gegenstand seiner Willkür, so daß er sich in ihre Gefühle einließ oder sich aus denselben zurückzog, ohne sich von ihnen in Wahrheit ergreifen zu lassen, woraus jener täuschende Schein, die zweideutige Stellung zum Leben entstand, welche Byron mit koketter Aufrichtigkeit in den Worten ausdrückt: »man kann ohne die Weiber nicht leben, aber mit ihnen auch nicht.« Die neueste Zeit führte einen Umschlag in das gerade Gegentheil herbei: Die Individualität soll nichts mehr gelten, sondern der Mann nur so weit er sich einer Partei unterordnet und von ihr getragen wird. Diese beiden einseitigen Abstraktionen sind aber noch neben und in einander, denn die verschiedenen Zeiten liegen noch nicht so weit aus einander, daß nicht ihre entgegengesetzten Standpunkte in denselben Individuen repräsentirt wären. Und diese doppelte Beeinträchtigung der wahrhaft freien und gesunden Individualität ist es, welche vor allen das Zustandkommen eines befriedigenden öffentlichen Lebens hindert, dessen natürliche Basis immer das geschlechtliche Verhältnis, die mit ihren idealen Forderungen in die realen Verhältnisse der Familie sich gemüthlich einlebende Individualität sein wird.

In dieselbe Stellung, wie das männliche Geschlecht, ist aber nachgerade auch das Weib hinein gerathen. Die Darstellung genialer Heldinnen, von den gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängiger Künstlerinnen u.s.w., das Beispiel einzelner wirklich ausgezeichneter und selbst die meisten Männer überragender Frauen hat dem Geschmack allmälig die Richtung gegeben, daß an der Frau nicht mehr Schönheit und Anmuth geschätzt werden, sondern das in leiblicher und geistiger Beziehung Interessante und Pikante, das Abnorme. Auf der andern Seite aber ist die weibliche Bildung, welcher man in neuester Zeit so viele Aufmerksamkeit zuzuwenden anfängt, gerade von der Art, daß keine individuelle Entwicklung dabei möglich ist, nichts als Oberflächlichkeit und uniforme Schein-Dressur. Sein Eigenstes und Bestes wird dem Mädchen genommen, ohne daß es dafür etwas wirklich Gutes und Stichhaltiges erhielte. Auch hier also dieselbe Abstraktion der Gegensätze, welche es zu keiner wirklichen individuellen Lebensentwicklung kommen läßt.

Diese beiden dem Leben gleich entfremdeten Standpunkte, der abstrakte Idealismus und die raffinirte Sinnlichkeit, die bis zur Vernichtung aller Objektivität sich geltend machende Subjektivität und die jede Individualität aufhebende Gleichförmigkeit der praktischen Tendenz sind also zu überwinden. Läßt sich der Mann aus jener eitlen Genialität herab und auf das wirkliche Leben ein, gibt er sich andererseits den praktischen Tendenzen nicht vollständig hin, sondern sucht er feine von allen höheren, wissenschaftlichen, philosophischen und poetischen Einflüssen erfüllte Individualität sich zu wahren und kommt ihm das Weib entgegen, welches allen thörichten Emancipationsgedanken, allen pikanten und interessanten Gelüsten entsagt, dagegen an dem Leben des Mannes nach seinen verschiedenen Seiten, nach der wissenschaftlichen wie nach der politischen, in freier Receptivität sich zu betheiligen bemüht ist, so sehen wir einem allseitig erfüllten, wahrhaft schönen Leben entgegen, in welchem die beiden großen Gegensätze, das Allgemeine und Individuelle, das klassische und das Christlich-Romantische, oder mit einem Worte Sinnlichkeit und Geist zu aufrichtiger Versöhnung gelangen können. Erhalten dazu alle Lebensverhältnisse ihre unentbehrliche äußerliche, materielle Grundlage, werden sie von dem ebenso nothwendigen Hauch der selbstbewußten geistigen Bildung getragen, so muß das ganze Leben unter das Gesetz der Schönheit fallen, überall ist das Geistig-Sinnliche realisirt und Liebe und Schönheit werden ihre höchsten Feste feiern.


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