Friedrich von Sontheim
Geschichte der Liebe
Friedrich von Sontheim

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Wenden wir uns jetzt den Römern zu, so können wir uns in der Schilderung der Gestalt, welche bei ihnen das geschlechtliche Leben annahm, ungleich kürzer fassen. Man pflegt die Römer in den meisten Beziehungen mit den Spartanern zu vergleichen und diese Zusammenstellung ist namentlich auch in Beziehung auf Stellung und Bildung des weiblichen Geschlechts ganz am Platz. Wie die spartanischen Mädchen mit den Knaben gymnastisch erzogen wurden, so sind auch die ersten römischen Jungfrauen, die wir kennen lernen, Clölia und ihre Gespielinnen, unerschrockene Amazonen, welche die Tiber durchschwimmen und ihren eigenen kleinen Kriege mit dem Feinde führen. Das eheliche Leben war sodann ebenfalls ein tüchtiges, voll sittlichen Ernstes; die Matronen namentlich wurden sehr hoch geehrt. Dagegen waren aber auch die Römer so durch und durch praktisch und nüchtern, daß es niemand einfallen wird, bei ihnen an sentimentale Schwärmerei zu denken. Ihr Leben war bis auf die letzten Jahrhunderte der Republik herab einerseits so einfach ländlich und andererseits so rauh und kriegerisch beschäftigt, daß die Künste des Friedens unter ihnen nicht Platz greifen konnten, am wenigsten die zarteste und höchste, die Freikunst der Liebe. Selbst liebliche idyllische Bilder, welche sonst immer das einfache ländliche Leben begleiten, lassen sich kaum mit der Vorstellung vereinigen, die wir von dem gesammten inneren und äußeren Dasein der Römer haben. Es ist vielleicht ohne Beispiel, daß die Anfänge eines Volks, so wie die des römischen, mit Ausnahme der kriegerischen Heldensagen ganz ohne Poesie waren. Während sonst die ernstere Literatur aus dem lyrischen Getändel, aus Volks- und Liebesliedern herauszuwachsen pflegt, wenden sich die Römer, sobald sie zu schreiben beginnen, sogleich dem Nützlichen und Praktischen zu; statt Hirtenliedern und Idyllen liefern sie ernsthafte Anweisungen zum Landbau. Was aber jene Heldensagen betrifft, die bei andern Völkern, wie bei den Griechen, mit so vielen naiven Schilderungen und anmuthigen Liebesgeschichten durchwoben sind, so scheinen alle Frauen, welche darin vorkommen, der Stammmutter des Geschlechts, der Braut des Kriegsgotts nacharten zu wollen; sie haben, wie Lucretia und Virginia, das Messer in der Hand und geben das Signal zu dem blutigsten Kriege.

Die Bekanntschaft mit der griechischen Literatur gab allerdings dem römischen Geist eine neue, mildere Richtung, aber das Schicksal wollte, daß dieselbe mit dem bereits beginnenden Verfall des ursprünglichen Volkscharakters zusammenfiel, so daß sie nur gemacht zu sein schien, um diesen Proceß der Auflösung zu beschleunigen. Als die griechische Kultur in das römische Leben einzudringen begann, nahmen die Frauen hieran den hervorragendsten Antheil. Eine im Alterthum besonders auffallende und eigenthümliche Erscheinung sind die geistreichen Frauencirkel, welche zur Zeit der Scipionen der Mittelpunkt des höheren Lebens in Rom waren. Wo der weibliche Einfluß in diesem Grade sich geltend machte, da müßte man sich wundern, wenn er sich nicht vorzugsweise auch auf das Gebiet geworfen hätte, auf welchem er mit angeborner Virtuosität Meister ist, auf das der Liebe. Gleichwohl war dieß nicht in dem Grade der Fall, wie es unter ähnlichen Verhältnissen sonst zu erwarten wäre. Zugleich mit dieser feineren Bildung kam nämlich auch die Zeit der Weltherrschaft und des unermeßlichen Luxus. Wer hätte aber unter diesen Umständen, bei der vielfältigsten geistigen Distraktion, unter dem, auch den Einfachsten mit sich fortreißenden Genußleben, an Liebe denken können, welche zwar auch freie Verhältnisse und ungehinderte Ausbreitung, zunächst aber Innerlichkeit und ruhige Concentration verlangt? Als die Römer ein höheres sociales Leben anfingen, waren sie schon da angekommen, wo die Griechen aufhörten, bei einer nicht mehr in lebendigem Zusammenhang mit der sittlichen Persönlichkeit stehenden, sondern nur der äußerlichen Verschönerung des Lebens dienenden Bildung.

Eine Gattung der Liebe bildete sich allerdings bei den Römern in hohem Grade aus, sonst hatte Ovid nicht eine Kunst zu lieben schreiben können; allein diese Liebe war nicht die des dichterischen Idealismus, sondern einer sehr ordinären stutzerhaften Praxis. Ovid war kein Petrarca, sondern der erste Galanthomme, der eine Anweisung gibt, wie man in Gesellschaften, Theatern und Bällen sich die Gunst der Damen erwerben könne, der die jungen Herren namentlich lehrt, wie sie im Circus durch Liebäugeln, durch Spielen mit den Fußspitzen und Knieandrücken sich nähern und ihre Wünsche zu erkennen geben können. Je weiter die römische Sitte und Bildung herabsank, desto mehr wird sie überhaupt unseren modernen Zuständen nach ihrer schlimmsten und geistlosesten Seite ähnlich. Als in der Kaiserzeit Menschenleben und Menschenwürde allen Werth und allen Glauben verloren, da konnte natürlich auch weibliche Würde und männliche Tugend, da konnte kein reines und erhabenes Gefühl mehr Raum noch Geltung haben. Das höchste Beispiel, das eine Frau in diesen Zeiten von ehelicher Liebe zu geben vermochte, bestand darin, daß die heldenmütige Thrasea sich selbst den Dolch in die Brust stieß und ihrem Gatten den Weg zu sterben zeigte. Es begann jene ungeheure Sittenlosigkeit, wie sie in solchem Grad und Umfang die Welt nicht zum zweitenmale gesehen hat. Hieran aber nahmen die Frauen nicht blos passiven, sondern sehr aktiven Antheil. Die Emancipation der Weiber bestand in den höheren Kreisen faktisch; eine Menge solcher weiblichen Geschöpfe, die in übermüthiger Genialität jeden Zaum der Sitte und der religiösen Scheu abgeschüttelt hatten, rannte mit den Männern um die Wette nach dem ausschweifendsten, gränzenlosesten Genuß; gab doch eine Kaiserin, weil nichts ihre unersättliche Lust zu stillen vermochte, sich selbst im Bordell preis. Gegen die Prostitution und unnatürliche Wollust des kaiserlichen Palastes sind alle Freuden der orientalischen Harems wie gar nichts.

Aus solchen sittlichen Zuständen nun sind die erotischen Schilderungen der späteren Römer, vor allen des Petronius, hervorgegangen. Mit einer sittlichen Indifferenz und Grundsatzlosigkeit, zugleich mit einer Glätte und einem Anstrich, wie sie kaum ein Franzose haben kann, werden die abscheulichsten Dinge erzählt. Romane aus den Zeiten Ludwigs XIV und XV, z.B. die histoire amoureuse des Gaules und ähnliche entsprechen ganz dem Standpunkt, den diese Erzählungen einnehmen. Hier und dort werden Geschichten zum Besten gegeben, wie die des vornehmen Römers, der sich durch seine galanten Abenteuer so heruntergebracht hatte, daß er bei einer Dame von gutem Ton, die ihm ein Rendezvous gibt, mit Schanden besteht. Mit vieler Laune erzählt nun Petron, wie der Unglückliche von der, in ihren Erwartungen getäuschten Frau und ihren Dienerinnen mit Schande und Spott, unter Schelten und Kratzen zum Hause hinaus gestoßen wird. Er läßt ihn dann bei einer Hexe Rath und Hilfe suchen, wo der Jammermann wieder die kläglichste Rolle spielt, von den Gänsen der Sibylle gebissen, endlich aber doch zu seiner Satisfaktion restituirt wird, um seine Praxis von Neuem anzufangen. – Die Sinnlichkeit der alten Welt, welche in Griechenland in göttlicher Schönheit sich unsern Blicken darstellte und auch in ihren Verirrungen immer noch anmuthig und graziös war, sie hat sich hier selbst überlebt und ist bei lebendigem Leibe verfault, um einem neuen Lebens-Gesetz Platz zu machen.


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