Friedrich von Sontheim
Geschichte der Liebe
Friedrich von Sontheim

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Das Christenthum ist der große Wendepunkt für die geistige Welt überhaupt und für die sittlichen und gemüthlichen Verhältnisse insbesondere. Die allgemeine Bedeutung des Christenthums aber ist diese, daß jetzt erst die universelle geistige Seite des Menschen zum Bewußtsein kam, daß er sich nach seiner unendlichen sittlichen Bestimmung kennen lernte. Hiemit erst konnten die tieferen Mächte des Gemüths entbunden werden, der Geist aus der unmittelbaren Hingabe an die Natur sich in sich selbst zurücknehmen und der sichtbaren Herrlichkeit gegenüber ein ungleich schöneres Reich der Ahnung und Sehnsucht sich aufbauen. Dieses Reich war freilich zunächst noch ein jenseitig-himmlisches, die unendliche Sehnsucht eine von jedem irdischen Gegenstand sich abwendende blos religiöse. Es ist aber leicht einzusehen, wie die jenseitige und diesseitige Liebe auf derselben geistigen Richtung beruhen; daher auch ganz folgerecht in der Zeit, in welcher das specifisch Christliche seine höchste und intensivste Ausbildung erhielt, im Mittelalter, die himmlische und die irdische Liebe so ganz zusammenfielen. Die Sehnsucht des Gemüths ist nämlich darauf gerichtet, sich eines unendlichen idealen Gegenstandes zu bemächtigen, mit dem Abglanz desselben auch die wirkliche materielle Welt zu verklären, in dem Endlichen selbst das Unendliche zu besitzen. Dieß ist der Inhalt jeder geistigen, idealen Liebe, ihr Gegenstand mag sein welcher er will, ein jenseitiger oder ein diesseitiger. Auch in dem angebeteten Weibe suchen wir ja nichts anders, als den unendlichen geistigen Genuß, wir leben in der seligen Illusion, daß ihr Besitz uns das ganze, ohne sie ärmliche und schale Leben mit höherer Weihe, mit himmlischem Schimmer erfüllen werde. Eben dieß ist der Unterschied der christlichen von der heidnischen, rein natürlichen Liebe, daß wir nicht bloß die sinnliche Schönheit als solche begehren, sondern daß wir mit ihr und in ihr auch des Geistigen, das sich sonst überall unsern schmachtenden Lippen und Händen entzieht, in reizendster, unmittelbarster Leiblichkeit uns bemächtigen zu können glauben. Deßwegen mußte auch das Mittelalter, welches mit allen Kräften darnach rang, das Unendliche unmittelbar gegenwärtig zu haben und in der Welt sichtbar darzustellen, welches in seiner scholastischen Philosophie den absoluten Inhalt begreiflich erfassen, in der Hierarchie ihn äußerlich verkörpern, in seinem prunkvollen Cultus ihn gleichsam sinnlich genießen wollte, es mußte vermöge desselben Drangs auch für die überschwengliche Liebe eine solche gegenwärtige Verkörperung suchen. Daher jene wunderbare mystische Gluth, welche in der heiligen Jungfrau eine Geliebte anbetete, die irdische Geliebte aber als eine Heilige verehrte, mit jener in wollüstiger Inbrunst sich zu vermählen suchte, von dieser aber jeden Gedanken des Besitzes und Genusses als eine Profanation ferne zu halten bemüht war.

Wenn in dem eben Gesagten nichts Geringeres behauptet ist, als daß die Liebe erst mit dem Christenthum in die Welt gekommen sei, so scheint freilich nichts dem nächsten historischen Augenschein mehr zu widersprechen, als diese Ansicht. Gibt es keine Liebe ohne Geist, ohne das Moment der Innerlichkeit, so ist ihr der Leib, die Sinnlichkeit gewiß noch unentbehrlicher. Das Christenthum ist aber bekanntlich gegen die letztere mit so vernichtender Feindseligkeit aufgetreten, daß mit der Ertödtung des Leibes der Liebe auch Geist und Athem ausgehen mußte. Diese Spannung mit der Materie war aber nach unserer Behauptung nicht in seinem eigensten Wesen gegründet, sondern haftete ihm an von seinem orientalischen Ursprung, von seiner Geburt in dem Welttheil, den wir als den Ursitz der uneingeschränkten Sinnlichkeit kennen gelernt haben. Dieß ist auffallend, aber nichts desto weniger ganz in der Natur der Sache gegründet. Eben deßwegen nämlich weil im Orient die Sinnlichkeit so ganz unmittelbar, ganz ohne Geist auftrat, konnte dieser nicht anders als gegen diese Ueberwältigung durch die sinnliche Gewalt reagiren, und dieß natürlich wieder nur in einseitiger gewaltsamer Weise. Weil die einander so ganz fremden Elemente, Geist und Sinnlichkeit, sich nicht friedlich vereinigen und zu lebendiger Wechselwirkung durchdringen konnten, führten sie von Anfang an jenen Kampf auf Leben und Tod, bei welchem der eine Theil dem andern den Kopf zertrat und dieser jenem in die Ferse stach. Die Berührung mit der ganz entgeisteten Materie war allerdings befleckend, deßwegen ging alles theoretische und praktische, das philosophische und ascetische Bestreben dahin, sie ganz zu ertödten und so die Befleckung unmöglich zu machen. Dieß suchten die Büßer in Indien durch die unglaublichste Selbstpeinigung, dieß suchte der Lichtdienst und die Ormuzd-Lehre in Persien durch mystische Contemplation zu erreichen. So fanden sich also in dem Orient die schroffsten Gegensätze von Alters her; die indischen Fakirs gingen den christlichen Mönchen um viele Jahrhunderte voran. Aus der Reihe dieser orientalischen Oppositionen gegen die Sinnlichkeit ging nun das Christenthum hervor und machte natürlicherweise zunächst diese eine Seite vorherrschend geltend. Jenen Zug, das Unendliche sichtbar darzustellen und zu besitzen oder – in höherer Weise – das Unendliche im Sichtbaren zu finden, obgleich eine notwendige Consequenz des Christenthums, nahm dasselbe erst in seiner späteren abendländischen Entwicklung. Ursprünglich suchte es umgekehrt des Unendlichen sich zu bemächtigen, indem es dasselbe möglichst von der Welt trennte und aus ihr herauszog, die Welt als das Ungöttliche liegen ließ und in der Innerlichkeit seiner Gefühle und Erwartungen nur sich selbst leben wollte. Die äußeren Verhältnisse von Staat und Gesellschaft waren ihm etwas Widerwärtiges, das der für und in einer andern Welt lebende Spiritualist ignorirte oder dem er sich, wo es nicht zu vermeiden war, nur sträubend accomodirte. Unter diesen äußeren Verhältnissen nahm aber die Liebe, das geschlechtliche Leben die allererste Stelle ein.

Nichts konnte der unchristlichen Anschauung ferner liegen, als die sinnliche Schönheit und Anmuth in ihrer eigenen Berechtigung anzuerkennen. Da aber gleichwohl die Berührung mit der Welt von dieser Seite am allerwenigsten zu vermeiden war, so mußte dieß die heftigste und gereizteste Opposition des neuen Princips gegen das alte Leben hervorrufen, einen inneren Kampf mit sich selbst, mit dem alten Menschen und seinen ewig nicht auszurottenden natürlichen Trieben, und einer äußerlichen gegen die Existenzen, in welchen dieser natürliche Mensch sich bisher dargestellt und bewegt hatte. Von keiner Seite entbrannte daher der Kampf des Christenthums gegen die heidnische Welt heftiger, als über der Liebe und Ehe. Der ganze Abscheu gegen das Heidenthum faßte sich dem Apostel Paulus in dem einen Wort der Hurerei zusammen; weil die Heiden den unsichtbaren Gott versinnlichten, deßwegen sind sie, wie er dieß mit philosophischem Scharfsinn erklärt, selbst auch in die Sinnlichkeit und unter die Knechtschaft der bloß natürlichen Triebe herabgesunken. In den geschlechtlichen Verirrungen, die er mit aller Kraft sittlicher Entrüstung schildert, culminirt die ganze Verderbniß des Heidenthums. Aber nicht nur diese Verirrungen sollten nicht sein, sondern da sie bloße Schößlinge der giftigen Wurzel der Sinnlichkeit überhaupt sind, so ist diese selbst wo möglich mit der letzten Faser auszurotten. In der Ehe findet ja ganz dieselbe geschlechtliche Annäherung statt wie außer derselben, und sie wird dadurch, daß sie äußerlich geregelt ist, in ihrem Wesen durchaus nicht verändert, sie widerspricht unter jeder Gestalt dem Gebot vollständiger Reinheit und Heiligung. Auch die Ehe ist daher dem Apostel etwas, das sich mit dem absoluten christlichen Standpunkt durchaus nicht verträgt. Es ist zwar besser freien als Brunst leiden; wer aber des Freiens sich entschlagen kann, wer seine Triebe so im Zaum zu halten weiß, daß er von ihnen nicht in jedem Augenblick eine Störung seines inneren Lebens zu fürchten hat, der thut besser, wenn er nicht freit. Der Verheiratete lebt der Welt, der Ledige allein kann Gott leben. So ist die Ehe dem Apostel keineswegs ein sittliches Verhältniß, welches den natürlichen Boden abgeben soll zur Verwirklichung höherer Zwecke, sie ist ihm nur das nothwendige Schutzmittel gegen die Hurerei, ja sie ist nur die in leidliche Schranken eingeengte Fortsetzung dieses überhaupt verdammenswerthen sinnlichen Verhältnisses.

Hier sehen wir also in der bedeutungsvollsten Weise den großen welthistorischen Kampf eröffnet, dessen Mittelpunkt die Liebe ist und an dessen Entscheidung wir selbst noch mitstreiten. Denn diese äußerste Spannung mit der Sinnlichkeit war nicht bloß die Aeußerung des ersten schroffen Auftretens eines neuen Princips, sondern sie dauerte in derselben Schärfe Jahrhunderte lang fort, nachdem das Christenthum sich schon tief in die Welt eingelebt hatte. Der berühmte Kirchenlehrer Tertullian schreibt im dritten christlichen Jahrhundert der Jungfräulichkeit denselben hohen Werth zu, wie es der Apostel gethan hat, und will nur den für einen rechten, vollkommenen Christen gelten lassen, der auch dieses letzte natürliche Band, das ihn an die Welt knüpfe, zu zerreißen wisse, um in vollständiger Entsagung auf die nahe Vernichtung alles Irdischen zu warten. Aus dieser Feindschaft gegen alles Natürliche ist die Sehnsucht wohl zu erklären, welche gar Viele in der damaligen Welt ergriff nach der schönen Zeit, »da noch Venus' heiterer Tempel stand«, und der Widerwille gegen das Düstere des Christenthums, welchen namentlich die höher und poetisch Gebildeten empfanden. Den ergreifendsten poetischen Ausdruck dieses ganzen Verhältnisses finden wir in Goethe's Braut von Korinth:

Und der alten Götter bunt Gewimmel
Hat sogleich das stille Haus geleert,
Unsichtbar wird Einer nur im Himmel
Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;
Opfer fallen hier,
Weder Lamm noch Stier,
Aber Menschenopfer unerhört.

Eurer Priester summende Gesänge
Und ihr Segen haben kein Gewicht;
Salz und Wasser kühlt
Nicht, wo Jugend fühlt!
Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.

Bring' in Flammen Liebende zur Ruh!
Wenn der Funke sprüht,
Wenn die Asche glüht,
Eilen wir den alten Göttern zu.

Auch in dieser äußersten Einseitigkeit und Transscendenz hatte aber das Christenthum doch immer noch eine Seite, welche eine Höherschätzung des Weibes und eine tiefere geistige Gemeinschaft mit ihr anbahnte. Während in der antiken Welt der Mann ganz dem öffentlichen Leben hingegeben war und in demselben aufging, brachte die Zurückgezogenheit und Innerlichkeit des christlich-religiösen Lebens Mann und Weib auf einem Gebiete zusammen, wo beide gleich berechtigt waren, ja wo die besondere Gemüthlichkeit des zarteren Geschlechts sich überwiegend geltend machen konnte. Wir lernen in jenen älteren Zeiten namentlich viele Frauen von sittlich religiöser Erhabenheit kennen, die auf ihre männliche Umgebung einen mächtigen Einfluß ausübten. Von Liebe im specifischen Sinne, von romantischem Gefühlserguß oder begeistertem Schönheitsdienst ist hier natürlich noch keine Rede; man wird aber begreiflich finden, wie durch eine innere religiöse Gemeinschaft und durch die höhere Weihe, welche dadurch die Frau erhielt, auch für die natürliche Seite der gegenseitigen Beziehungen ein höheres und zarteres Verhältniß herbeigeführt werden mußte. Es lag hier mit Einem Worte bereits der Keim und Anfangspunkt jenes im Mittelalter sich vollendenden sinnlich-mystischen Frauen-Cultus.

Ehe aber dieser sich weiter ausbreiten konnte, hatte das Christenthum und mit ihm das sittliche Leben überhaupt noch eine schwere Krisis durchzumachen. Dem Herrschendwerden des Christenthums ging nämlich bekanntlich ein gänzlicher Zerfall der alten Welt mit allen ihren Bildungselementen und sittlichen Lebensmächten zur Seite. Diesem Zerfall sollte es nun neues Leben einhauchen, dieser Entartung ein neues höheres Gesetz bringen; andererseits aber hatte es die rohe Naturkraft der frisch in die geschichtlichen Kreise tretenden Völker zu sänftigen und geistig zu bewältigen. Nach beiden Seiten hatte es also die schwerste, eine fast hoffnungslose Aufgabe; hier wie dort war gegen eine sinnliche Rohheit anzukämpfen, von der schwer zu sagen ist, welche von beiden die schlimmere war. Und diesem Allem hatte die Religion noch keine innerliche Macht, für welche nirgends Empfänglichkeit gewesen wäre, sondern nur ein äußeres Gesetz, Ceremonien und Aberglauben entgegenzusetzen. Daher bieten denn auch die dem eigentlichen Mittelalter vorangehenden Jahrhunderte die traurigsten Scenen der Verwilderung, namentlich in geschlechtlicher Beziehung, dar. Bei dem Hauptvolk im Westen, bei den Franken in Gallien und Deutschland, war keine Spur von jener alten Einfachheit, Zucht und Keuschheit zu finden, welche auch wohl da, wo alle Kriegsgefangene Sklaven und der Leidenschaft des Siegers preisgegeben waren, nie in der Weise vorhanden gewesen ist, wie man sie sich gewöhnlich zu denken pflegt. Vielmehr herrschte bei den christlichen Königen jener Zeit eine öffentliche Polygamie und Vielweiberei, eine gewaltthätige brutale Sinnlichkeit, welche um so widriger erscheint, da sie sich zugleich in den Bettlermantel mönchischer Frömmigkeit zu hüllen suchte. Die Bekanntschaft mit dem Christenthum und seinen heiligen Büchern führte insbesondere die schon so oft wiedergekehrte Gefahr mit sich, daß man die naiven Erzählungen des A. Testaments von den geschlechtlichen Verhältnissen des Patriarchenzeitalters zu einem Deckmantel für die sinnlichen Gelüste der Gegenwart machte und in der salbungsvollen biblischen Sprache redete, um eine heilige Autorität für das zu haben, was das roheste sittliche Gefühl für nicht recht erkennen mußte. So nannten die fränkischen Geistlichen die Concubinen ihrer Könige ungenirt deren Frauen, weil David auch fremde Weiber hatte. Der König Clotar hielt sich ganz an den Vorgang des Erzvaters Jakob, indem er die Schwester seiner Frau zu sich nahm, weil ihm diese den Wunsch vorgetragen hatte, derselben einen vornehmen Gemahl zu verschaffen und er keinen bessern zu finden wußte, als sich selbst. »Ich habe sie selbst zur Frau genommen, was Dir gewiß Freude machen wird,« sagte er zu seiner rechtmäßigen Gemahlin; diese aber erwiederte: »Was auch dem Auge meines Herrn gefallen mag, nur möge seine Magd in seiner Gunst und Gnade bleiben!« Wo die Frauen vor einem starken Gebieter sich in solcher sklavischen Demuth beugen, da kehren sie unter einem schwachen die ganze Herrschsucht und Grausamkeit hervor, welche in dem entarteten Weibe viel unbezähmbarer toben, als in dem schlimmsten Mann. Das berüchtigtste Beispiel in dieser Richtung geben Brunhild und Fredegund, die beiden fränkischen Königinnen, welche ihr Andenken durch ungezählte Gräuel aller Art unsterblich gemacht haben. Allerdings finden sich auch schon Spuren ritterlichen Sinns. Der Longobardenkönig Autharis freite um Theudelinde, eine baierische Herzogstochter, und war selbst unerkannt unter der Gesandtschaft, die um ihre Hand anhielt. Als ihm dieselbe zugesagt wurde und die Prinzessin vor ihm erschien, damit er ihre Schönheit seinem Herrn preisen könne, wußte er leise ihre Hand zu drücken und unbemerkt ihr Angesicht zu berühren, woran Theudelinde erröthend den künftigen Gemahl erkannte. Den baierischen Großen, die ihn bis an die Grenze ihres Gebiets begleiteten, gab er sich dann auf folgende, ganz an Richard Löwenherz und ähnliche Helden des Mittelalters erinnernde Weise zu erkennen: er trieb seine Streitaxt mit einem mächtigen Streich tief in einen Baum und rief dabei aus: »Solche Hiebe pflegt der König der Longobarden zu führen.« Dieser ächt chevalereske Zug wird aber vollständig wieder aufgewogen durch die bekannte Rohheit des Königs Alboin aus demselben Volke, der seiner Gemahlin, der schönen Rosamunde, aus dem Schädel ihres von ihm erschlagenen Vaters zutrank. So liegen hier die verschiedenen Elemente des Mittelalters, physische Brutalität und romantische Ritterlichkeit, sinnliche Ausschweifung und äußerliche Religiosität in noch leicht zu unterscheidender Besonderung neben einander. Den poetisch verschönerten Ausdruck dieser Mischzeit des Heidnischen und Christlichen finden wir in dem freilich auch die seiner späteren Entstehungszeit angehörende Anschauung in die Darstellung hineintragenden Nibelungenlied. Was unser in Frage stehendes Verhältnis betrifft, so finden wir darin, daß Brunhilde ihrem Gemahl, dem König Gunther, ihren Besitz verweigert und ihn an Händen und Füßen gebunden in dem Brautgemach aufhängt. Erst in der zweiten Nacht gelingt es dem starken Siegfried, die amazonenhafte Schöne nach einem heißen Ringkampf zu überwältigen, worauf sie sich dem unterdessen herbeigeschlichenen Gunther hingeben muß.

Während im Abendland barbarische Rohheit mit einer absterbenden Cultur und einer neuen, noch unbegriffenen Bildung den doppelseitigen Kampf führte, hatte am entgegengesetzten Ende der damaligen christlichen Welt, am byzantinischen Hofe, eine raffinirte römisch-orientalische Sinnlichkeit Alles überwuchert und erstickt. Die Weiber und ihre Intriguen spielten hier insbesondere eine keiner ausführlichen Schilderung bedürfende Rolle; die unersättliche Lust mancher Kaiserinnen wird von den alten Schriftstellern mit einer anatomischen Anschaulichkeit erzählt, die nicht von ferne wiedergegeben werden kann; die Tochter eines Bärenführers, die auf den kaiserlichen Thron erhoben wurde, nachdem das halbe Constantinopel ihre geheimen Reize hatte kennen lernen, ragt unter diesen Hetären ebenso hervor, wie in Rom eine Messaline oder bei den Franken eine Brunhilde und Fredegunde. Die sinnlichen Ausschweifungen hier wie dort waren aber schlimmer als alles Derartige in der alten heidnischen Welt. In Griechenland durfte sich die Sinnlichkeit frei und ungebrochen entwickeln, sie fand deßwegen in sich selbst immer das nothwendig zügelnde Schönheitsgesetz, welches den naiven Genuß bei aller Natürlichkeit und Nacktheit mit einem geistigen Anhauch überflog. Hier aber war ein Gesetz, welches jede fleischliche Regung verdammte und doch nicht die geringste Kraft hatte, dieselbe geistig zu richten. Dieser Stachel des Gesetzes war daher nur dazu vorhanden, die verbotene Lust zu reizen und zu schärfen, so daß sie ebenfalls in aller Nacktheit sich bloßstellte, aber nicht in der Nacktheit der Unschuld, sondern auf's Häßlichste entstellt durch das frech vorgehaltene Feigenblatt eines heuchlerischen Sündenbewußtseins. Es bildete sich also die schlimmste Art der Sinnlichkeit aus, Wollust mit Aberglauben im Bunde. Und diese Richtung hat sich nur zu lange forterhalten; sie klebt der christlichen Sittlichkeit überall an, wo diese den wahrhaft sittlichen Geist des Christenthums nicht auch in die natürlichen Verhältnisse einzuführen und diese damit zu durchdringen weiß; namentlich aber ist sie an den Höfen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, welche mit jener früheren Zeit durch den Mangel alles geistigen Inhalts, durch eine überkommene ausgeartete Cultur und eine noch ganz unbegriffene Cultur so viele Aehnlichkeit hatten, in dem Maitressen-, dem Jesuiten- und Beichtvater-Wesen wieder zu einer traurigen historischen Gestalt geworden. – Doch eilen wir von diesen widrigsten Erscheinungen der Geschichte einer Zeit entgegen, in welcher zuerst die Liebe sich als ideales Verhältniß bildet und anfängt, eine Macht zu werden, welche alle übrigen Lebensthätigkeiten in ihren Kreis zu ziehen und unter ihr Gesetz gefangen zu nehmen weiß.


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