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Drittes Kapitel. Das Volk der Hebräer

Der englische Reisende J. Roberts sagt Oriental illustrations of Scriptures, S. 542.: »Das Hinduvolk hat es mit einer so großen Anzahl Dämonen, Göttern und Halbgöttern zu tun, daß es in beständiger Furcht vor deren Macht schwebt. Es gibt in seinem Lande keinen Weiler, der nicht wenigstens einen Baum, eine geheime Stätte besäße, die als Sitz böser Geister gelten. Mit der Nacht verdoppelt sich aber der Schrecken des Hindu, und es kann ihn nur die dringendste Notwendigkeit bewegen, seine Wohnung nach Sonnenuntergang zu verlassen. Muß dieses geschehen, so schreitet er mit äußerster Vorsicht von dannen. Er beachtet das geringste Geräusch, er murmelt Beschwörungen vor sich her, die er immerfort wiederholt; er hält Amulette in der Hand, betet ununterbrochen usw.« Dieser abergläubische Schrecken, diese grausige Furcht vor der überall drohenden, unheimlichen Macht der Dämonen und deren Diener, der Zauberer, ist zu allen Zeiten das Erbteil und Los aller Völker des Heidentums gewesen. Unter diesem Fluche des Dämonismus lag die ganze antike Welt gebannt, der die stoische und epikureische, überhaupt die philosophische Weltanschauung keine Erlösung von diesem Fluche bringen konnte Nur ein Volk des Altertums finden wir davon befreit – die Hebräer.

Auch bei diesem Volke begegnen wir allerlei zauberischem Treiben wie bei allen anderen Völkern des Altertums, jedoch mit dem Unterschied, daß, während bei diesen der Glaube an Magie und Mantik in ihrem ganzen religiösen Denken und Leben begründet und an ihre »religio« angeschlossen war, der Aberglaube bei den Hebräern nur als eine von außen hereingekommene Alterierung des nationalen Gottesglaubens und Kultus hervortrat.

Im allgemeinen erscheint nämlich die Zauberei und Wahrsagerei bei den Hebräern als ein mit dem Jehovahkult unvereinbares heidnisches Unwesen, das vorzugsweise von Ägypten und Chaldäa her eingedrungen war P. Scholz, Götzendienst und Zauberwesen bei den alten Hebräern und benachbarten Völkern, Regensburg 1877; C. F. Keil, Handbuch der biblischen Archäologie, Frankfurt a. M. 1875, S. 475-476; de Wette, Lehrbuch der hebräisch-jüdischen Archäologie, 4. Aufl., bearbeitet von Räbiger, Leipzig 1864, S. 357; Baudissin, Studien zur semitischen Religionsgeschichte, Heft I u. II. Leipzig 1876 u. 1878; Saalschütz, Mosaisches Recht, S. 510 u. d. Art. »Wahrsager« in Herzogs theologischer Realencyklop. B. XVII. von L. Diestel. Alfr. Lehmann, Aberglaube und Zauberei, Stuttg. 1908, S. 69 ff. Dr. D. Joël, Der Aberglaube und die Stellung des Judentums zu demselben, Breslau 1881..

Als harmlosere Art der Wahrsagerei kommt im Alten Testament die Traumdeutung vor, d. h. die Deutung der Träume anderer und das Wahrsagen aus eigenen Träumen (1 Mos. 40, 12 ff.; 41, 25; Dan. 2, 4 ff.; 4, 5 ff.; 4 Mos. 12, 6; Joel 3, 1; 1 Dan. 7, 1).

Von den im heidnischen Orient üblichen mantischen Künsten sind im jüdischen Volk nur wenige nachweisbar, und von operativer Magie findet sich im A. T. kaum eine Spur vor. Nirgends ist die Rede von magischen Heilungen, Beschädigungen von Menschen, Tieren und Feldern, Liebeszaubern, Erregung von Gewittern, Beherrschung der Planeten, Verwandlungen in Tiergestalten, Luftflügen oder gar Bündnissen mit dem Satan, wie dies in dem späteren Zauberwesen geschieht. Nichtsdestoweniger hat man wegen der in die Übersetzungen eingedrungenen Ausdrücke Φαρμακός, maleficus und Zauberer die Zauberei überhaupt, wie sie später aufgefaßt wurde, als den alttestamentlichen Schriften bereits bekannt vorausgesetzt und hierin nicht nur für ihre Existenz und Wirksamkeit, sondern auch für ihre Strafbarkeit eine heilige Autorität gefunden. Die Hexenprozesse sind dadurch nicht wenig gefördert worden.

Der verhältnismäßig geringe Einfluß, den die orientalische Magie und Mantik auf Israel in seiner früheren Zeit gewann, erklärt sich aus der ganz einzigartigen Stellung der hebräischen Religiosität zu ihr. »Alles Zauberwesen ist Heidentum und darum Sünde, und zwar eine der furchtbarsten Sünden, die mit der Ausrottung des Frevlers bestraft werden muß«, das war der Gedanke, den die Träger der Theokratie in Israel, vor allem die Propheten, vertraten. Allerdings wird von Manasse berichtet, daß er Zauberei und Zeichendeuterei trieb und Totenbeschwörer und »kluge Männer« sogar anstellte (2 Kön. 21, 6; 2 Chron. 33, 6); allein unter Josia sehen wir diese wieder beseitigt. Das Gesetz Moses will nun einmal sowohl die Wahrsager und Mekaschephim selbst wie auch alle, die sich ihrer Hilfe bedienen, mit dem Tode bestraft und ausgerottet wissen (2 Mos. 22, 18; 3 Mos. 20, 6 und 27; 5 Mos. 13, 5). Als Art der Hinrichtung erscheint 3 Mos. 20, 27 die Steinigung. Das Gesetz faßt nämlich diese Begehungen als götzendienerische Greuel der umwohnenden Heiden auf, wodurch der Israelit, der abgesondert von den Völkern dem Herrn leben soll, sich verunreinigen, von Gott abfallen würde (3 Mos. 19, 31; 20, 27; 5 Mos. 18, 9 ff.). Dem auserwählten Volke sollen Jehovahs Diener, die Propheten, verkünden, was ihm frommt (5 Mos. 18, 15); götzendienerische Wahrsagung mußte in dem theokratischen Staate als Empörung gegen das Staatsoberhaupt, als Hochverrat angesehen und als solcher bestraft werden; auf jeder Beleidigung Jehovahs stand die Steinigung.

siehe Bildunterschrift

Totenschädel mit einer hebräischen Zauberformel (Berlin)

Trotz der Strenge des Strafgesetzes neigten sich indessen die Juden fast jederzeit zu der ausländischen Wahrsagerei wie zum Götzendienste überhaupt hin, und da die Könige oft selbst diesem Hange folgten, so scheinen die gesetzlichen Strafen selten zur Vollstreckung gekommen zu sein. Saul hatte sich zwar in der Ausrottung der Wahrsager tätig gezeigt (1 Sam. 28, 9), doch griff er zuletzt selbst zur Totenbefragung. Über Götzendienst und Wahrsagerei in Israel und Juda erhoben die Propheten wiederholte Klagen, und die Bücher der Könige geben in dieser Beziehung traurige Schilderungen von den Zeiten Hoseas und Manasses (2 Kön. Kap. 17 und 21). Der Verkehr mit den heidnischen Nachbarvölkern, später besonders die Berührung mit dem babylonischen Wesen wirkte sehr nachteilig. Entstammt doch auch, wie Delitzsch hervorhebt, das Bild des Satans der babylonischen Mythologie.

Im Unterschied von »der alten Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas«, in welcher die altbabylonische Vorstellung von Tiâmat, der Urfeindin der Götter, sich erhalten hat, entstammt der Satan, der in den jüngeren und jüngsten Büchern des Alten Testamentes etliche Male erscheint, und zwar durchweg als Feind der Menschen, nicht als Feind Gottes (siehe Job Kap. 1, 2, 1 Chr. 21, 1, Zach. 3, 1 ff.), dem babylonischen Dämonenglauben, welcher ebenfalls einen ilu limnu oder »bösen Gott« und einen gallû oder Teufel kennt« Friedrich Delitzsch, Babel und Bibel, 20. Tausend, Leipzig 1903, S. 69..

Unter dem Einflusse der aus dem Exil mitgebrachten Dämonenlehre bildete sich das Zauberwesen immer mehr aus, erhielt in den durch das Buch Henoch verbreiteten Vorstellungen von dem Umgange übermenschlicher Wesen mit dem Menschen beträchtlichen Vorschub und strebte durch die Kabbala nach Legitimation und wissenschaftlicher Gestaltung. Das Exil, in dem das jüdische Volk sich mit dem Dämonismus ganz und gar vertraut gemacht hatte, war für ihn in dieser Beziehung verhängnisvoll geworden. Zur Zeit Christi finden wir daher die Juden von dem Dämonenglauben vollständig beherrscht. Die Stelle 1 Mos. 6, 1 ff. galt als seine Grundlage. Vornehmlich Ägypten, von dem es im Talmud heißt: »Zehn Kab (Maß) Zauberei kam herunter auf diese Welt; neun nahm sich Ägypten und eins die ganze übrige Welt« Kidduschin 49b., gab an das gelobte Land seinen Zauberglauben ab. Man kannte den bösen Blick und seine Macht, man übte Liebeszauber mit der Mandragora und das Nestelknüpfen, um Geburten zu verhindern. Es gab »Knochen-Beschwörer« wie die Hexe von Endor, die Tote zu befragen vermochten, und Schatzfinder. Die Talmudlehrer glaubten an die Nekromantie, wenngleich sie diese zum Teufelswerk zählten Dr. Ludw. Blau, Das altjüdische Zauberwesen, Straßburg 1898, S. 50 ff.. Besessene sah man überall; doch war die Frage offen, ob sie von eigentlichen Dämonen oder von den Geistern verstorbener böser Menschen geplagt würden. Josephus entschied sich für die letztere Ansicht Archaeologie VIII. 2. 5., während es nach einer tannaitischen Quelle heißt: »Dies ist die Gewohnheit des Teufels, er fährt in den Menschen hinein und bezwingt ihn.«

Zahlreiche Beschwörer rühmten sich der geheimen Kunst, die Dämonen bannen und austreiben zu können. Derartige jüdische Zauberer durchzogen bald alle Lande Juvenal, VI. 542 ff. XVIII. 3. 5. Augustin, de civitate Die VIII.. Zur Heilung der Dämonischen gebrauchten sie gewisse Formeln, die sie auf König Salomo zurückführten, dann Räucherungen, auch besondere Medikamente, zu deren Herstellung man sich der Wurzel einer selten vorkommenden Pflanze, einer Art πήγανον, bediente Van Dale, de divinatione idolol. c. VI. p. 519 ff.. Die Christen stellten diese jüdische Teufelsbannerei dem heidnischen Goetentum ganz gleich, und zwar darum, weil die Juden ihre Exorzismen nicht im Namen des einigen Gottes verrichteten. Auch späterhin begegnen wir jüdischen Zauberern überall. Namentlich waren sie in Spanien, wo es eine sehr zahlreiche jüdische Bevölkerung gab, mit allerlei geheimnisvollen Schwindeleien geschäftig. Die Synode zu Elvira (im Jahre 305 oder 306) sah sich genötigt zu verordnen, daß fernerhin kein christlicher Gutsbesitzer sein Feld von Juden segnen lassen sollte Hefele, Conciliengesch. B. I. S. 148.. Indessen, indem sich das Judentum aus aller Geselligkeit mit den Christen verstoßen und von jeder Teilnahme an deren öffentlichem Leben ausgeschlossen sah, so steigerte sich seine Neigung zu geheimem Treiben und zur Ausnutzung des Aberglaubens der Christen mehr und mehr. Im tieferen Mittelalter fanden sich daher in den Judengassen der großen Städte Zauberer vor, die zwar nur ganz im Verborgenen arbeiteten, aber doch großes Ansehen genossen; und als gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die kabbalistische Philosophie den Christen bekannter wurde, zog man mit Vorliebe hebräische Namen und Formeln in das gelehrtere Zauberwesen herüber.


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