Samuel Smiles
Selbsthilfe
Samuel Smiles

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Zehntes Kapitel.

Das Geld – sein guter und schlechter Gebrauch.

»Nicht in die Erd' es zu vergraben,
Nicht um ein stolz Geleit:
Nur um das edle Recht zu haben
Der Unabhängigkeit!«

Burns.

»Sorgt, daß ihr Schuldner nicht noch Gläub'ger seid!
Das Darlehn leicht verliert man samt dem Freund;
Und stumpf durch Borgen wird der Ehre Schneid'!«

Shakespeare.

»Behandle Geldangelegenheiten nie leichtfertig – im Geldpunkte offenbart sich der Charakter!«

Sir E. L. Bulwer Lytton.

Die Art, in welcher man mit dem Gelde umgeht – wie man es gewinnt, spart oder ausgiebt – ist vielleicht eine der besten Proben der praktischen Weisheit. Obwohl das Geld keineswegs als der Endzweck des menschlichen Lebens betrachtet werden darf, so ist es doch auch durchaus keine unwichtige Sache, die man philosophisch verachten dürfte; denn es stellt immerhin ein Hauptmittel unseres physischen und gesellschaftlichen Behagens dar. Es stehen sogar einige der schönsten menschlichen Tugenden – wie die Großmut, Redlichkeit, Gerechtigkeit und Uneigennützigkeit – sowie die praktischen Vorzüge der Sparsamkeit und Vorsicht in engem Zusammenhange mit dem rechten Gebrauche des Geldes. Anderseits finden jene Tugenden ihren Widerpart in dem Geiz und Betrug, in der Ungerechtigkeit und Selbstsucht jener Leute, die von der Geldgier geplagt werden; sowie in der Mißwirtschaft und gedankenlosen Verschwendung anderer Personen, welche die ihnen anvertrauten Mittel mißbrauchen. Henry Taylor sagt in seinen »Beobachtungen über das Leben« ( Notes from Life) sehr richtig, daß »das rechte Maß und die rechte Weise im Verdienen, Sparen, Ausgeben, Schenken, Nehmen, Leihen, Borgen und Vermachen des Geldes fast die Vollkommenheit des Menschen darstelle.«

Behagliche Lebensumstände sind eine Sache, nach welcher mit ehrenwerten Mitteln zu streben, jeder Mensch berechtigt ist. Sie gewahren ihm eine physische Befriedigung, deren er bedarf, um die höheren Kräfte seiner Natur ausbilden zu können; und sie setzen ihn auch in stand, seinen Angehörigen jene Fürsorge angedeihen zu lassen, ohne welche er – nach den Worten des Apostels – »schlimmer als ein Heide« sein würde. Wir dürfen um so weniger gegen ein ehrenvolles Fortkommen im Leben» gleichgiltig sein, als die Achtung, welche unsere Mitmenschen für uns empfinden, in nicht geringem Maße von der Art und Weise abhängt, in welcher wir die sich darbietenden Gelegenheiten zu einem solchen Fortkommen benutzen. Schon die bloße Anstrengung, deren es bedarf, um in dieser Beziehung Erfolge zu erringen, übt eine erziehliche Wirkung aus; denn sie schärft unser Ehrgefühl, entwickelt unsere praktischen Fähigkeiten und übt uns in Geduld, Beharrlichkeit und ähnlichen Tugenden. Der Vorsichtige und fürsorgliche Mann muß notwendigerweise auch ein denkender Mann sein; denn er lebt nicht bloß für die Gegenwart, sondern trifft auch mit weitschauendem Blick Vorkehrungen für die Zukunft. Er muß gleichzeitig ein mäßiger Mensch sein und die Tugend der Selbstverleugnung üben, die mehr als alles andere den Charakter festigt. John Sterling sagt sehr richtig: »Die schlechteste Erziehung, welche uns in der Selbstverleugnung unterweist, ist mehr wert als die beste Erziehung, die uns alles andere außer jener Tugend lehrt;« und die Römer brauchten feinsinnig dasselbe Wort ( virtus) zur Bezeichnung des Physischen und des moralischen Mutes – denn der höchste Triumph der Tugend ist der Sieg, den wir über uns selbst erringen.

Daher wird das Gebot der Selbstverleugnung – die Forderung, einen augenblicklichen Genuß einem noch in der Zukunft liegenden guten Zweck zu opfern – am langsamsten begriffen und befolgt. Man sollte glauben, daß diejenigen Klassen, welche am schwersten arbeiten, naturgemäß den Wert des erworbenen Geldes am meisten schätzen müßten. Aber die schnelle Bereitschaft, mit der so viele ihren Verdienst augenblicklich verzehren, ist zum großen Teil daran schuld, daß sie in eine hilflose Lage geraten und darben müssen. Es giebt unter uns zahlreiche Personen, die – trotz eines reichlichen Einkommens – in Zeiten der Not kaum einen Groschen übrig haben; und darin liegt wiederum eine Hauptursache des socialen Elends. Als einmal eine Deputation bei Lord John Russell erschien, um ihm wegen der Besteuerung der arbeitenden Klassen des Landes Vorstellungen zu machen, fühlte sich der edle Lord zu der folgenden Bemerkung gedrungen: »Sie können sich darauf verlassen, daß die Regierung dieses Landes es nicht wagen würde, die arbeitenden Klassen auch nur annähernd in dem Maße zu besteuern, wie diese sich selbst schon allein durch ihre Ausgaben für berauschende Getränke schröpfen!« Von allen wichtigen öffentlichen Fragen ist diese vielleicht die bedeutendste – es giebt vielleicht kein Reformationswerk, das dringender nach Arbeitern verlangte. Aber wir müssen freilich zugeben, daß »Selbstverleugnung und Selbsthilfe« kein besonderes effektvolles Schlagwort für die Wahlbühne ist; und es steht zu befürchten, daß der moderne Patriotismus solche einfachen Dinge wie individuelle Sparsamkeit und Vorsicht nur wenig schätzen wird – obwohl die wahre Unabhängigkeit der industriellen Klassen einzig durch die Übung jener Tugenden gesichert werden kann. »Vorsicht, Sparsamkeit und gute Wirtschaft.« sagte Samuel Drew, der philosophische Schuhmacher, »sind ausgezeichnete Künstler, welche es verstehen, schlechte Zeiten zu verbessern. Sie nehmen in den einzelnen Wohnungen nur wenig Raum ein: aber sie sind trotzdem ein wirksameres Heilmittel für die Schäden des Lebens als irgend einer von all den Reformvorschlägen, die je im Parlament durchgingen.« Wenn Sokrates äußerte: »Wer die Welt ändern will, muß sich zuerst selber ändern,« so meinte er damit nichts anderes, als was der alte Reim besagt:

»Thät' jeder nur bei Zeit
Der eignen Bosheit wehren:
Man könnt' mit Leichtigkeit
Ein ganzes Volk bekehren!«

Wir Menschen machen im allgemeinen die Erfahrung, daß es leichter ist, Staats- und Kirchenreformen durchzuführen, als auch nur die kleinste Besserung in den eigenen schlechten Lebensgewohnheiten zu erzielen. In dieser Beziehung entspricht es mehr dem menschlichen Geschmack und ist in der That durchaus üblich, daß man eher die Fehler des Nachbars als seine eigenen in Angriff nimmt.

Jede Menschenklasse, die aus der Hand in den Mund lebt, wird stets eine untergeordnete Stellung einnehmen. Sie muß notwendigerweise ohnmächtig und hilflos sein und wird, an den Rockschößen der Gesellschaft hängend, einen Spielball der Zeiten und Konjunkturen bilden. Da sie sich selbst nicht achtet, so wird ihr auch nicht die Achtung anderer Leute zu teil werden. Tritt eine industrielle Krisis ein, so kommen solche Menschen unfehlbar in Bedrängnis. Da es ihnen an jener wirtschaftlichen Kraft fehlt, die eine noch so kleine Sparsumme ihnen ohne Zweifel verleihen würde, so sind sie in jedermanns Gewalt: und wenn ihr Gefühl nicht abgestumpft ist, so können sie nicht ohne Furcht und Bangen an das Schicksal denken, das möglicherweise ihren Weibern und Kindern droht. »Die Welt,« sagte einmal Herr Cobden zu den Arbeitern von Huddersfield, »ist stets in zwei Klassen geteilt gewesen – in eine, die gut, und in eine andere, die schlecht wirtschaftete – in die Sparer und die Verschwender. Der Bau aller Häuser, Mühlen, Brücken und Schiffe ist gleich allen anderen großen Werten, welche zur Civilisation und zum Wohlbefinden der Menschheit beitrugen, von den wirtschaftlichen und sparsamen Leuten ausgeführt worden – denen gegenüber jene anderen, die ihre Mittel verschwendeten, stets zu Sklaven herabsanken. Daß dies sich so verhält, beruht auf einem Gesetz der Natur und der Vorsehung; und ich wäre ein Betrüger, wenn ich einer verschwenderischen, gedankenlosen und trägen Klasse Erfolge prophezeien wollte.«

Ebenso vernünftig war der Rat, welchen Herr Bright einer im Jahre 1847 zu Rochdale tagenden Arbeiterversammlung erteilte. Nachdem er die Ansicht ausgesprochen, daß sich die Redlichkeit in ziemlich gleichem Maße in allen Bevölkerungschichten vorfände, fuhr er folgendermaßen fort: »Es giebt für die Menschen als Individuen wie als Gesamtheit nur ein einziges Mittel, durch welches sie sich in einer guten Stellung behaupten oder sich aus einer schlechten emporarbeiten können – dies Mittel besteht darin, daß sie die Tugenden des Fleißes, der Sparsamkeit, Mäßigkeit und Redlichkeit üben. Es giebt nur einen aufsteigenden Weg, der uns aus einer in physischer und moralischer Beziehung unbehaglichen und unbefriedigenden. Lage herausführen kann – und dieser Weg ist eben die Übung, jener Tugenden, durch welche zahlreiche Menschen – wie wir es alle Tage sehen können – vorwärtskommen und ihre Lage verbessern.«

Es giebt keinen Grund, weshalb der gewöhnliche Arbeiter nicht nützlich, ehrenvoll, geachtet und glücklich zu sein vermöchte. Die ganze Gesamtheit der Arbeiter könnte (mit wenigen Ausnahmen) ebenso sparsam, tugendhaft, wohlunterrichtet und gutsituiert sein, als es viele Individuen derselben Klasse bereits durch eigene Kraft geworden sind. Was einigen Leuten möglich gewesen ist, werden ohne allzugroße Mühe auch andere vollbringen können. Man wende dieselben Mittel an, und man wird dieselben Resultate erzielen! Daß eine Menschenklasse sich in ihren verschiedenen Berufsarten ihr Brot durch tägliche Arbeit verdiene, ist ein Gebot Gottes – und ohne Zweifel ein weises und gerechtes Gebot! Wenn aber diese Klasse anders als sparsam, zufrieden, gescheit und glücklich ist: so liegt dies nicht in dem Willen der Vorsehung, sondern wird allein durch die Schwäche, Selbstverzärtelung und Verderbtheit der Menschen verursacht. Wenn man den gesunden Geist der Selbsthilfe unter den Arbeitern wachzurufen vermöchte, so könnte derselbe mehr als alles andere dazu beitragen, ihre Lage zu verbessern – nicht etwa dadurch, daß die anderen Klassen herabgedrückt, sondern vielmehr dadurch, das; die Arbeiter selbst in religiöser, geistiger und sittlicher Beziehung auf ein höheres und noch beständig steigendes Niveau gehoben würden. »Alle Moralphilosophie,« sagt Montaigne, »läßt sich in gleicher Weise auf ein alltägliches und schlichtes, wie auf ein glänzendes Leben anwenden. Ein jeder von uns trägt unverkürzt alle Eigenschaften der menschlichen Natur an sich.« Wer seinen Blick in die Zukunft richtet, wird finden, daß die drei hauptsächlichsten zeitlichen Gefahren, gegen die er seine Maßregeln zu treffen hat, Arbeitsmangel, Krankheit und Tod sind. Den beiden ersten entgeht er vielleicht; aber dem Tode entrinnt niemand. Es ist aber die Pflicht jedes verständigen Mannes, so zu leben und sich einzurichten, daß – falls eine jener drohenden Möglichkeiten zur Thatsache wird – der Druck der Not nicht nur für ihn selbst, sondern auch für diejenigen, welche mit ihrem Behagen und ihrer Existenz von ihm abhängen, so viel als möglich gemildert werde. In diesem Lichte betrachtet, erscheint der ehrliche Erwerb und der sparsame Gebrauch des Geldes außerordentlich wichtig. Redlich erworben, stellt es das Produkt geduldigen Fleißes, unermüdlicher Anstrengung, überwundener Versuchung und belohnter Hoffnung dar; und richtig angewandt, beweist es, daß sein Inhaber Klugheit, Vorsicht und Selbstverleugnung – die Grundlagen des wahrhaft männlichen Charakters – besitzt. Obwohl man gegen Geld eine Menge von Gegenständen eintauscht, die keinen wirklichen Wert oder Mühen haben: so können wir dadurch doch auch viele außerordentlich wertvolle Dinge erlangen – nicht nur Nahrung, Kleidung und häusliche Bedarfsartikel, sondern auch Selbstachtung und Unabhängigkeit! Daher ist für den Arbeiter ein erspartes Kapital eine Schutzwehr gegen den Mangel; es giebt ihm einen festen Halt und befähigt ihn, heiter und hoffnungsvoll zu warten, bis bessere Tage kommen. Schon die Bemühung, sich eine festere Stellung im Leben zu verschaffen, verleiht dem Menschen eine gewisse Würde und macht ihn kräftiger und besser. Auf alle Fälle erlangt er dadurch eine größere Freiheit der Bewegung und stählt seine Kräfte für kommende Anstrengungen.

Wer aber beständig mit Nahrungssorgen zu kämpfen hat, befindet sich in einem der Sklaverei ziemlich gleichkommenden Zustande. Er ist in keiner Weise sein eigener Herr: sondern er schwebt unausgesetzt in der Gefahr, von anderen Menschen abhängig zu werden, und kann sich leicht gezwungen sehen, jede Bedingung anzunehmen, die sie ihm vorschreiben. Er wird auch notgedrungen ein knechtisches Wesen annehmen müssen; denn er wagt es nicht, der Welt frei ins Gesicht zu sehen: und in Zeiten der Not bleibt ihm nichts anderes übrig, als um Almosen oder Unterstützung von seiten der Gemeinde zu bitten. Wenn es ihm an Arbeit fehlt, so ist er unfähig, sich auf einem anderen Gebiet Beschäftigung zu suchen; er klebt an der Scholle – wie die Tellermuschel an ihrem Felsen – und kann weder wandern noch auswandern.

Um sich seine Unabhängigkeit zu sichern, bedarf der Mensch einzig und allein der Sparsamkeit. Um aber sparsam zu sein, braucht man weder einen außerordentlichen Mut, noch eine hervorragende Tugend: es genügt dazu vielmehr schon eine gewöhnliche Energie und eine mittelmäßige Begabung. Die Sparsamkeit ist im Grunde nur der Geist der Ordnung, der sich in der Verwaltung der häuslichen Angelegenheiten bethätigt; sie bedeutet zweckmäßige Einteilung, Regelmäßigkeit, Vorsicht und Vermeidung aller Verschwendung. Der Geist der Sparsamkeit drückte sich in den Worten unseres, göttlichen Meisters nus: »Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkomme!« Seine Allmacht verschmähte es nicht, sich mit den Nichtigkeiten des Lebens zu beschäftigen; und während er der Menge seine göttliche Kraft offenbarte, erteilte er ihr jene eindringliche Lehre der Sparsamkeit, deren jeder noch heute so sehr bedarf als zu jener Zeit. Sparsamkeit bedeutet aber auch die Fähigkeit, auf einen augenblicklichen Genuß im Hinblick auf einen zukünftigen Gewinn zu verzichten; in diesem Lichte betrachtet. stellt sie den Sieg der Vernunft über die animalischen Triebe dar. Die Sparsamkeit unterscheidet sich indessen gewaltig vom Geiz: denn sie ist stets am ehesten imstande, großmütig zu sein. Sie macht das Geld nicht zu ihrem Götzen, sondern zu einem nützlichen Diener. Der Dechant Swift sagt mit Recht: »Wir müssen das Geld im Kopfe und nicht im Herzen tragen.« Man könnte die Sparsamkeit die Tochter der Vorsicht, die Schwester der Mäßigkeit und die Mutter der Freiheit nennen. Sie hat augenscheinlich eine konservative Tendenz – sie konserviert den Charakter, das Familienglück und das Wohl der Gesellschaft. Sie ist – kurz gesagt – eine der besten Formen der Selbsthilfe.

Francis Horners Vater erteilte dem Sohne bei dessen Eintritt ins Leben die folgenden Lehren: »Indem ich wünsche, daß es dir in jeder Beziehung wohlergehen möge, kann ich dich nicht eindringlich genug zur Sparsamkeit ermahnen. Es ist eine Tugend, deren wir alle bedürfen, und wenn leichtfertige Leute dieselbe auch verachten, so ist es doch zweifellos,, daß gerade die Sparsamkeit zur Unabhängigkeit führt, die jedem hochherzigen Manne wert sein muß.« Die zu Anfang dieses Kapitels angeführten Verse von Burns enthalten denselben richtigen Gedanken; aber unglücklicherweise war seine Poesie erhabener als sein Leben, waren seine Ideale schöner als seine Sitten. Als er auf dem Sterbebette lag, schrieb er an einen Freund: »Ach, Clarke! mir ist entsetzlich elend zu Mute! Da steht die Witwe von Burns mit einem halben Dutzend süßer, kleiner, hilfloser Waisenkinder – das macht mich weich wie eine Weiberthräne! Genug hiervon! Diese Gedanken sind die Hälfte meiner Leiden.«

Jeder sollte sich nach seiner Decke strecken. Darin liegt das eigentliche Wesen der Redlichkeit. Wer sich nicht so einrichtet, daß er auf ehrenhafte Art von seinen eigenen Mitteln leben kann, der wird gezwungen sein, sich in unehrenhafter Weise auf anderer Leute Kosten zu nähren. Diejenigen, welche im Geldausgeben leichtfertig sind und immer nur an das eigene Vergnügen, nicht aber an das Behagen der anderen denken, erkennen den wirklichen Wert und Nutzen des Geldes gewöhnlich erst dann, wenn es zu spät ist. Obwohl von Natur großmütig, werden solche Verschwender doch nicht selten durch ihren Leichtsinn zu recht häßlichen Handlungen getrieben. Sie vergeuden nicht nur ihr Geld, sondern auch ihre Zeit: sie ziehen gleichsam Wechsel auf die Zukunft: verzehren ihren Verdienst im voraus und schleppen eine Last von Schulden und Verpflichtungen mit sich herum, die sie daran hindert, sich als freie und unabhängige Menschen zu bewegen.

Lord Bacon war der Ansicht, daß da wo Sparsamkeit not thäte, eine kleine Ersparnis besser wäre als ein kleiner Verdienst. Das Geld, welches von vielen Leuten in nutzloser – wenn nicht gar schädlicher – Weise weggeworfen wird, könnte in vielen Fallen die Grundlage eines Vermögens und einer unabhängigen Lebensstellung werden. Diese Verschwender sind ihre eigenen und schlimmsten Feinde, obwohl sie sich meistens in den Reihen derer befinden, welche über die Ungerechtigkeit »der Welt« klagen. Aber wie kann ein Mensch erwarten, daß andere seine Freunde seien wenn er selbst sein eigener Feind ist? Ordentliche Menschen mit mäßigen Mitteln haben immer noch ein Übriges in der Tasche, womit sie andern helfen können; wogegen verschwenderische und leichtfertige Burschen, die alles Geld verschleudern, nie imstande sind, einem anderen in der Not beizuspringen.

Eine jämmerliche Art der Sparsamkeit aber ist die Knauserei. »Engherzigkeit im Leben und Handeln ist im allgemeinen gleichbedeutend mit Kurzsichtigkeit und führt zu Mißerfolgen. »Eine Pfennigseele kommt zu keinem Zweipfennigstück,« sagt ein alter Spruch. Großmut und Freigebigkeit bilden ebenso wie die Ehrlichkeit stets die beste Politik. Obgleich Jenkinson im »Vikar von Wakefield« seinen gutherzigen Nachbar Flamborough alle Jahre auf eine oder die andere Art betrügt, bekennt er schließlich doch: »Flamborough ist immer wohlhabender geworden, während ich an den Bettelstab und ins Gefängnis gekommen bin!« Und das praktische Leben ist reich an Fallen, in welchen das Handeln nach großmütigen und redlichen Grundsätzen glänzende Erfolge erzielt hat.

Wie das Sprichwort sagt, »kann ein leerer Sack nicht aufrecht stehen;« und ein Mensch, der in Schulden steckt, vermag das ebensowenig. Es ist für einen solchen Menschen sogar schwer, wahrhaftig zu sein; daher pflegt man zu sagen, daß »die Lüge der Schuld auf den Buckel springe.« Um die Rückzahlung des geborgten Geldes zu verzögern, muß der Schuldner Ausflüchte – vielleicht sogar Lügen – ersinnen und dieselben seinem Gläubiger auftischen. Einem Manne, der den ernstlichen Willen dazu hat, wird es leicht werden, sich vor dem Eingehen der ersten Verbindlichkeit zu hüten. Aber die Leichtfertigkeit, mit welcher eine solche erste Verpflichtung so oft eingegangen wird, birgt schon die Gefahr einer zweiten Unbesonnenheit in sich; und bald wird der unglückliche Borger in ein Netz pekuniärer Schwierigkeiten verwickelt, aus dem er sich durch keine noch so große Anstrengung mehr zu befreien vermag. Der erste Schritt zur Verschuldung ist der erste Schritt zur Unredlichkeit: denn er bedingt fast mit Notwendigkeit ein Weiterschreiten auf derselben Bahn, auf welcher eine Schuld der anderen, eine Lüge der anderen folgt. Der Maler Haydon datierte den Anfang seines Ruins von dem Tage, an welchem er sich zuerst Geld borgte. An ihm bestätigte sich die Wahrheit des Sprichworts: »Borgen macht Sorgen.« Die bedeutsamen Eingangsworte seines Tagebuchs lauten: »Hier begannen meine Schulden und Verpflichtungen, aus denen ich nie herausgekommen bin und nie herauskommen werde, so lange ich lebe.« Seine Selbstbiographie zeigt in betrübender Weise, wie zerrüttete Vermögensverhältnisse bitteren Kummer, gänzliche Unfähigkeit zur Arbeit und beständig wiederkehrende Demütigungen verursachen. Der schriftliche Rat, den er einem jungen Manne bei dessen Eintritt in die Marine erteilte, lautete: »Verzichten Sie auf jedes Vergnügen, das Sie sich nicht verschaffen können, ohne von anderen Geld zu borgen! Machen Sie nie Schulden – Sie würden sich dadurch erniedrigen! Ich sage nicht, daß Sie nie Geld ausleihen sollen; aber unterlassen Sie auch das, wenn Sie sich dadurch unfähig machen würden, Ihren eigenen Verpflichtungen nachzukommen! Auf keinen Fall aber borgen Sie sich selbst etwas von einem anderen!« Fichte wollte als armer Student von seinen noch ärmeren Eltern nicht einmal Geschenke annehmen.

Dr. Johnson war der Ansicht, daß Schulden zum Ruin führen. Was er über diesen Gegenstand sagt, ist bedeutsam und verdient Beachtung. »Man darf sich nicht daran gewöhnen,« sagt er, »Schulden nur als eine Unbequemlichkeit zu betrachten; man wird finden, das sie ein Elend sind! Die Armut raubt uns so viele Gelegenheiten, Gutes zu thun und macht uns so oft – in physischer und moralischer Beziehung – unfähig dem Bösen zu widerstehen, daß wir mit allen erlaubten Mitteln danach streben müssen, ihr zu entgehen. – Es muß daher unsere erste Sorge sein, niemand etwas schuldig zu werden. Man fasse den Entschluß, der Armut zu entrinnen! Besitzt man wenig, so gebe man noch weniger aus! Die Armut ist eine große Feindin des menschlichen Glückes; sie zerstört sicherlich die Freiheit und macht einige Tugenden unmöglich, während sie andere bedeutend erschwert. Die Sparsamkeit ist nicht nur die Basis der Zufriedenheit, sondern auch die der Wohlthätigkeit. Wer selbst Mangel leidet, kann anderen nicht helfen; wir müssen erst genug haben, ehe wir etwas erübrigen können.«

Es ist die ernstliche Pflicht jedes Menschen, in seine Verhältnisse Klarheit zu bringen und seine Einnahmen und Ausgaben zu kontrollieren. Eine bescheidene Anwendung der Arithmetik ist in dieser Beziehung sehr nützlich. Die Vorsicht gebietet, daß wir – unseren Mitteln nach – eher zu einfach als zu großartig leben. Hierin das rechte Maß zu treffen, ist aber nur dann möglich, wenn man sich einen vernünftigen Lebensplan ausarbeitet und daran getreulich festhält. John Locke empfahl das nachstehende Verfahren. »Nie,« sagte er, »wird es einem Manne leichter sein, sich mit seinen Mitteln einzurichten, als wenn er den Stand seines Vermögens in Gestalt einer regelrechten Buchführung beständig vor Augen, hat.« Der Herzog von Wellington führte genau Buch über alle Gelder, die er einnahm oder ausgab. »Ich mache es mir zu einer Gewissenspflicht,« schrieb er an Herrn Gleig, »alle meine Rechnungen persönlich zu bezahlen; und ich rate jedem, das Gleiche zu thun. Früher pflegte ich einen vertrauten Diener damit zu beauftragen; aber von dieser Thorheit wurde ich an jenem Morgen geheilt, an welchem ich zu meiner großen Überraschung zwei Mahnbriefe erhielt, die sich auf ein bis zwei Jahre zurückdatierende Forderungen bezogen. Der Bursche hatte mit meinem Gelde spekuliert und meine Rechnungen unbezahlt gelassen.« Über das Schuldenmachen bemerkte der Herzog: »Es erniedrigt den Menschen zu einem Sklaven. Ich bin oft in Geldverlegenheit gewesen, aber – gottlob! – nie in Schulden.«

Washington war in geschäftlichen Angelegenheiten genau so gewissenhaft wie Wellington; und es ist eine merkwürdige Thatsache, daß er – in dem Bestreben, sich ehrlich mit seinen Mitteln einzurichten – es nicht verschmähte, die kleinsten Ausgaben seines Haushaltes zu kontrollieren, und dies selbst dann noch that, als er bereits den hohen Posten eines Präsidenten der Vereinigten Staaten Nordamerikas einnahm.

Der Admiral Jervis, Graf St. Vincent, berichtet über die Schwierigkeiten, mit denen er in seiner Jugend zu kämpfen gehabt, und erzählt unter anderem auch von seinem Entschlüsse, keine Schulden zu machen. »Mein Vater,« sagt er, »hatte eine sehr große Familie, aber nur beschränkte Mittel. Als ich zur See ging, gab er mir zwanzig Pfund; und das war alles, was ich je von ihm erhielt. Nachdem ich schon eine beträchtliche Zeit auf der Seestation gewesen war, zog ich auf meinen Vater eine Wechsel über weitere zwanzig Pfund; derselbe wurde aber protestiert. Diese Zurückweisung kränkte mich; und ich faßte nun den seither streng befolgten Vorsatz, nie wieder einen Wechsel auszustellen, wenn ich nicht sicher wäre, daß er auch bezahlt würde. Ich änderte sogleich meine Lebensweise. Ich speiste nicht mehr in der Offiziersmesse, sondern lebte für mich allein und begnügte mich mit der Schiffsration, die ich ganz ausreichend fand. Ich wusch und besserte eigenhändig meine Kleider aus und verfertigte mir ein Paar Hosen aus einem Bettbezug. Als ich auf solche Weise genug, Geld erspart hatte, löste ich meine verpfändete Ehre samt meinem Wechsel ein und trug dafür Sorge, daß ich mich fortan mit meinen Mitteln einrichtete.« Jervis unterzog sich sechs Jahre hindurch harten Entbehrungen; aber er bewahrte seine Rechtschaffenheit, widmete sich erfolgreich seinem Beruf und erreichte – allmählich und stetig aufsteigend – durch seine Verdienste und seine Tapferkeit schließlich den höchsten Rang.

Herr Hume traf den Nagel auf den Kopf, als er vor dem Unterhause die – freilich mit »Gelächter« aufgenommene – Behauptung aufstellte, daß man in England im allgemeinen »zu gut« lebe. Der Mittelstand hat die verhängnisvolle Neigung, über seine Verhältnisse zu leben und einen »vornehmen Ton« zu affektieren, der auf die Gesellschaft als Gesamtheit eine schädliche Wirkung ausübt. Man setzt seinen Ehrgeiz darauf, die Knaben zu »feinen« oder gar »vornehmen« Herrn zu erziehen; obwohl man sie dadurch vielfach nur zu Gecken macht. Sie gewinnen auf solche Art ein lebhaftes Interesse für Toilette, Stil, Luxus und Vergnügungen – d. h. für lauter Dinge, die nie die Grundlage eines wahrhaft männlichen oder vornehmen Charakters sein werden. Die Folge davon ist, daß statt junger Männer eine Anzahl Modeherrchen auf dem Markte des Lebens erscheint, deren jeden an ein treibendes Wrack erinnert – wie man es zuweilen auf der See antrifft – ohne Mannschaft, mit einem verlassenen Affen an Bord!

Es herrscht unter den Menschen ein schrecklicher Ehrgeiz »vornehm« zu sein. Man hält auf Repräsentation – oft auf Kosten der Redlichkeit; und wenn man nicht reich ist, so möchte man doch so erscheinen. Wir wollen »respektabel« sein, aber nur in dem gemeinsten Sinne des Wortes – nur dem äußeren Scheine nach. Wir haben nicht den Mut, geduldig in der Lebenssphäre zu verharren, die uns Gott in seiner Weisheit angewiesen hat, sondern müssen durchaus in einem eleganteren Stil leben, den wir uns in unserer Thorheit selbst vorschreiben – und das alles nur, um, der Eitelkeit jener unwirklichen »vornehmen Welt« zu huldigen, von welcher wir einen Teil bilden wollen. Es findet ein beständiges Schieben und Drängen um die besten Plätze in dem gesellschaftlichen Amphitheater statt; und dabei wird alle edle Selbstverleugnung zu Boden getreten, jedes zarte Gefühl erstickt. Wir brauchen nicht darauf aufmerksam zu machen, wie viel Verschwendung, wie viel Elend, wie viele Bankerotte durch die Sucht hervorgerufen werden, andere mit dem Glänze eines scheinbaren weltlichen Erfolges zu blenden. Die traurigen Konsequenzen zeigen sich auf mannigfache Art – in den gemeinen Betrügereien, die von Leuten begangen werden, denen es minder schimpflich deucht, unredlich zu sein, als arm zu erscheinen; und in den verzweifelten Spekulationen, bei welchen weniger diejenigen zu beklagen sind, welche zu Fall kommen, als die Hunderte unschuldiger Familien, die in ihren Fall verwickelt werden.

Als der verstorbene Sir Charles Napier sein Kommando in Indien niederlegte, vollbrachte er eine kühne und ehrenwerte That durch die Veröffentlichung des energischen Protestes, welchen er in seiner letzten Generalordre an die Offiziere der indischen Armee gegen das »flotte« Leben aussprach, durch welches sich so viele junge Offiziere, die in jenem Lande dienen, in schmachvolle Schulden und Verbindlichkeiten stürzen. Sir Charles wies in jenem berühmten Dokument in nachdrücklichster Weise auf eine Wahrheit hin, die man fast aus dem Auge verloren hat – auf die Wahrheit nämlich, daß »die Redlichkeit von dem Charakter eines wirklich vornehmen Mannes unzertrennlich ist;« und »daß das Trinken unbezahlten Champagners oder unbezahlten Bieres, sowie das Reiten unbezahlter Pferde nicht zu den Gepflogenheiten eines Gentleman, sondern zu denen eines Gauners gehört!« Der Oberbefehlshaber war der Ansicht, daß Leute, die wegen ihrer – durch ein unordentliches Leben entstandenen – Schulden häufig von ihren eigenen Dienern gerichtlich verklagt würden, nicht mehr zu den »anständigen« Leuten zu rechnen seien. Die Gewohnheit, beständig in Schulden zu stecken, meinte er, mache den Menschen unempfindlich gegen die Gebote der Ehre. Es sei nickt genug, daß man zu kämpfen wisse; das verstehe die Bulldogge auch! Es komme aber darauf an, ob man sein Wort halte – ob man seine Schulden bezahle! Das seien die Tugenden, welche den Charakter des wahren Ehrenmannes und des braven Soldaten kennzeichnen. Sir Charles Napier wünschte, das sämtliche Offiziere das wären, was seinerzeit der Ritter Bayard gewesen. Daß sie »ohne Furcht« waren, wußte er; aber er wollte, daß sie auch »ohne Tadel« sein sollten. Es giebt jedoch sowohl in Indien wie bei uns daheim zahlreiche junge Burschen, die imstande sind, im Notfall unter krachendem Geschützfeuer eine Bresche zu erstürmen und die verwegensten Thaten der Tapferkeit zu vollbringen; die aber nicht den moralischen Mut besitzen oder zeigen mögen, dessen man bedarf, um selbst kleinen Lockungen der Sinne widerstehen zu können. Sie sind unfähig, ein tapferes »Nein!« oder »es geht nicht!« auszusprechen, wenn man sie zu einem Genuß oder Vergnügen auffordert; und sie möchten eher dem Tode als dem Spott ihrer Gefährten trotzen.

Der junge Mann schreitet auf seinem Lebenswege durch eine lange Reihe von Versuchern hindurch, die zu beiden Seiten aufgestellt sind. Jede Nachgiebigkeit gegen sie erniedrigt ihn mehr oder weniger. Jede Berührung mit ihnen entlockt ihm unmerklich einen Funken jener göttlichen Elektrizität, mit welcher die Natur ihn geladen hat; und die einzige Art, wie er ihnen widerstehen kann, ist die, daß er entschlossen und mannhaft sein »Nein!« ruft und das Wort auch durch die That bekräftigt. Er muß sich sogleich entscheiden und nicht schwanken oder das »Für und Wider« prüfen; denn nicht nur Frauen, sondern auch Jünglinge sind verloren, wenn sie überlegen. Die Bitte: »Führe uns nicht in Versuchung!« dringt mit tiefem Verständnis in das Wesen der menschlichen Natur ein.

Aber die Versuchung wird an den Jüngling herantreten und seine Kraft erproben; und je öfter er ihr nachgiebt, um so schwächer wird seine Widerstandsfähigkeit werden. Wer einmal unterliegt, verliert dadurch einen Teil seiner Tugend; wer jedoch mannhaft widersteht, gewinnt durch die erste Entscheidung erhöhte Kraft für das weitere Leben – bis durch wiederholte Siege die Tugend zu einer Gewohnheit erstarkt. Unsere Jugendgewohnheiten aber sind das Bollwerk, in welchem unsere eigentliche Wehrkraft liegt. Denn es ist eine weise Einrichtung, daß die Funktionen unseres moralischen Lebens sich hauptsächlich durch das Medium der Gewohnheiten vollziehen; es werden uns auf diese Weise viele innere Kämpfe erspart, wie sie leicht aus einem Konflikt der Grundsätze entstehen könnten. Die guten Gewohnheiten sind es, welche den Menschen zu den tausend kleinen Handlungen veranlassen, die in ihrer Gesamtheit seine moralische Führung darstellen.

Hugh Miller hat uns berichtet, wie er sich durch einen jugendlichen Entschluß aus einer der schweren Versuchungen errettete, an denen ein mühevolles Leben so reich ist. Zu der Zeit, da er als Steinmetz arbeitete, pflegten seine Arbeitsgenossen einander gelegentlich mit Branntwein zu bewirten; und eines Tages wurden auch ihm zwei Gläser zugeteilt, die er austrank. Als er nach Hause kam und sein Lieblingsbuch – »Bacons Abhandlungen« (»Essays«) – aufschlug, bemerkte er, daß ihm die Buchstaben vor den Augen tanzten, und daß er den Sinn nicht zu fassen vermochte. »Ich fühlte,« erzählt er, »daß der Zustand, in den ich mich versetzt hatte, mich erniedrigte. Ich befand mich momentan auf einem tieferen geistigen Niveau als jenem, auf welchem ich bisher zu meiner Freude gestanden; und obgleich der Augenblick für eine Entschließung nicht sonderlich günstig war: so reifte doch in jener Stunde in mir der feste Vorsatz, nie wieder durch Trinkgelage meine Empfänglichkeit für geistige Genüsse abzustumpfen – ein Vorsatz, dem ich mit Gottes Hilfe treu geblieben bin.« Derartige Entschlüsse bezeichnen oft einen Wendepunkt in dem Leben eines Mannes und bilden nicht selten die Grundlage seines künftigen Charakters. Vor dieser Klippe, an welcher Hugh Miller wahrscheinlich gescheitert wäre, wenn er nicht mit Aufbietung seiner ganzen moralischen Kraft sein Lebensschiff davon abgestoßen hätte, haben sich Männer wie Jünglinge in gleicher Weise beständig zu hüten. Sie stellt eine der schlimmsten, schädlichsten und kostspieligsten Verführungen dar, welche den Weg der Jugend bedrohen. Sir Walter Scott pflegte zu sagen, daß »von allen Lastern sich der Trunk am wenigsten mit der Größe vertrage.« Aber damit nicht genug! er verträgt sich ebensowenig mit Sparsamkeit, Anständigkeit, Gesundheit und Rechtschaffenheit. Wenn ein Jüngling sich nicht zurückhalten kann, so muß er vollständige Enthaltsamkeit üben. Es befinden sich viele in demselben Fall wie Dr. Johnson, welcher einmal mit Bezug auf seine Gewohnheiten sagte: »Mein Herr! ich kann Enthaltsamkeit üben; aber ich kann nicht Maß halten.«

Wenn wir jedoch kräftig und erfolgreich unsere bösen Gewohnheiten bekämpfen wollen, so genügt es nicht, daß wir uns nur durch die Rücksichten der weltlichen Klugheit zum Kampfe antreiben lassen – obwohl auch dies von Nutzen ist; wir müssen uns vielmehr auf einen höheren moralischen Standpunkt stellen. Äußerliche Hilfsmittel – wie Gelübde und dergleichen – mögen in einigen Fällen von Nutzen sein; aber die Hauptsache ist, daß wir uns für unser Denken und Handeln ein höheres Ziel suchen und uns bemühen, nicht nur unsere Gewohnheiten zu bessern, sondern auch unsere Grundsätze zu stärken und zu veredeln. Zu diesem Zweck muß der Jüngling sich selbst und seine Handlungsweise beobachten, seine Gedanken und Thaten mit seinen Grundsätzen vergleichen. Je mehr er sich selbst erkennen lernt, um so bescheidener wird er sein; und um so leichter wird er sich vor einer Überschätzung seiner eigenen Kraft hüten können. Am praktischsten aber hat sich immer jene Disciplin erwiesen, welche man sich dadurch aneignet, daß man auf einen augenblicklichen kleinen Genuß im Hinblick auf zukünftige größere und edlere Freuden verzichtet. Es ist dies die vornehmste Bethätigung der Selbsterziehung; denn

»Der wahre Ruhm
Entstrahlt dem Mute, der sich selbst bezwingt;
Ohn' diesen ist der größte Sieger nur
Der erste Sklav'!« –

Es sind viele populäre Bücher geschrieben worden, welche sich die Aufgabe stellten, dem Publikum das große Geheimnis des »Geldmachens« mitzuteilen. Aber die Sprichwörter aller Nationen beweisen zur Genüge, daß diese Kunst gar kein Geheimnis ist. »Hüte die Pfennige, so werden sich die Pfunde schon selbst hüten!« »Der Fleiß ist die Mutter des Reichtums.« »Kein Lohn ohne Arbeit.« »Kein Preis ohne Schweiß.« »Erwirb es, so hast du's!« »Dem Geduldigen und Fleißigen gehört die Welt.« »Lieber ohne Abendbrot zu Bett gehen, als mit Schulden aufstehen.« – Das sind Proben sprichwörtlicher Philosophie, in welchen die von vielen Generationen gesammelten Erfahrungen hinsichtlich der besten Mittel des weltlichen Erfolgs niedergelegt sind. Sie gingen schon lange von Mund zu Mund, ehe noch Bücher gedruckt wurden; und gleich anderen volkstümlichen Sprüchen bildeten sie die ersten Gesetze der Volksmoral. Zudem haben sie die Probe der Zeit bestanden; und die tägliche Erfahrung beweist ihre Richtigkeit, Kraft und Nützlichkeit. Die Sprüche Salomonis enthalten viele weise Lehren über die Wirkung des Fleißes, sowie über den guten und schlechten Gebrauch des Geldes: »Wer laß ist in seiner Arbeit, ist ein Bruder des, der das Seinige umbringt.« »Gehe hin zur Ameise, du Fauler! siehe ihre Weise an und lerne!« Nach den Worten des königlichen Predigers wird die Armut über den Trägen kommen »wie ein Wanderer, und der Mangel wie ein gewappneter Mann.« Aber hinsichtlich des redlichen Fleißes bemerkt er: »Der Fleißigen Hand macht reich.« Weiter sagt er: »Die Säufer und Schlemmer verarmen: und ein Schläfer wird zerrissene Kleider tragen.« – »Siehest du einen Mann endelich (fleißig) in seinem Geschäfte: der wird vor den Königen stehen!« Vor allem aber verkündigt er von der Weisheit: »Ihr Einkommen ist besser denn Gold. Sie ist edler denn Perlen; und alles, was du wünschen magst, ist ihr nicht zu gleichen.«

Schon Fleiß und Sparsamkeit allein können einem Menschen von mittelmäßiger Arbeitskraft eine relativ unabhängige Existenz sichern. Selbst ein Arbeiter kann sich eine solche verschaffen, wenn er seine Mittel gut zu Rate hält und alle unnützen Ausgaben vermeidet. Ein Pfennig hat einen geringen Wert; aber das Behagen vieler tausend Familien hängt von dem verständigen Ausgeben und Sparen der Pfennige ab. Wenn ein Arbeiter sich das kleine Geld, den Ertrag seines harten Tagewerks, durch die Finger schlüpfen läßt – entweder in der Bierkneipe oder auch auf irgend eine andere Art – so wird seine Existenz sich nicht viel über die eines geplagten Haustiers erheben. Wenn er dagegen seine Pfennige zu Rate hält – indem er wöchentlich davon einen Teil einer Renten- oder Versicherungsanstalt, einen anderen einer Sparkasse und den Rest der wirtschaftlichen Hand seines Weibes anvertraut, damit sie die Häuslichkeit behaglich machen und die Kinder erziehen könne – so wird er bald finden, daß dies Achten auf Kleinigkeiten reiche Früchte trägt; denn es vermehrt seine Mittel, steigert das häusliche Behagen und läßt ihn minder zaghaft in die Zukunft blicken. Und wenn ein Arbeiter einen edlen Ehrgeiz und hervorragende Geistesgaben besitzt – eine Art des Reichtums, die mehr wert ist als alle weltlichen Güter – so wird er auf seinem Lebenswege nicht nur sich selbst, sondern auch anderen in erfolgreicher Weise helfen können. Daß dies selbst für einen gewöhnlichen Fabrikarbeiter kein Ding der Unmöglichkeit ist, können wir an der merkwürdigen Laufbahn des Thomas Wright aus Manchester nachweisen, von welchem – während er auf Wochenlohn in einer Eisengießerei arbeitete – die Bekehrung vieler Verbrecher nicht nur versucht, sondern auch bewerkstelligt wurde.

Thomas Wrights Aufmerksamkeit ward zuerst durch einen Zufall auf die Schwierigkeiten gelenkt, mit welchen freigelassene Sträflinge zu kämpfen haben, wenn sie sich um redliche Arbeit bemühen. Sein Geist beschäftigte sich sogleich lebhaft mit diesem Gegenstand; und er betrachtete es fortan als seinen Lebenszweck, dem genannten Übel abzuhelfen. Obwohl er von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends in Arbeit war, so hatte er doch freie Augenblicke, die er sein eigen nennen durfte – vor allem an seinen Sonntagen – und diese wandte er zu Nutz und Frommen bestrafter Verbrecher an – einer Klasse, um die man sich damals weit weniger kümmerte als heutzutage. Aber wenn man sich täglich nur ein paar Minuten eifrig mit einer Sache beschäftigt, so kann man viel damit ausrichten; und man wird es kaum glauben – obwohl es eine Thatsache ist – daß dieser Arbeiter in der Zeit von zehn Jahren durch standhaftes Festhalten an seinem Vorsatz mehr als dreihundert Verbrecher vor einer Fortsetzung ihres gottlosen Lebens bewahrte! Man betrachtete ihn schließlich gewissermaßen als den Seelenarzt der Insassen des Kriminalgefängnisses von Manchester; und wo der Kaplan und alle anderen nichts vermochten, da errang Thomas Wright noch oft einen Erfolg. Auf solche Weise gab er verwahrloste Kinder gebessert ihren Eltern zurück; führte Söhne und Töchter, die ohne ihn verloren gewesen waren, wieder ihrer Familie zu und verwandelte manchen entlassenen Sträfling in einen ehrlichen und fleißigen Arbeiter. Die Aufgabe war keineswegs leicht. Sie erforderte Geld, Zeit, Energie, Klugheit – und vor allem Charakter nebst dem Vertrauen, welches ein charaktervoller Mensch unfehlbar anderen Menschen einflößt. Der merkwürdigste Umstand war der, daß Wright viele der armen Ausgestoßenen von dem verhältnismäßig kleinen Arbeitslohn unterstützte, den er in der Eisengießerei erhielt. Er vollbrachte all dies mit einem Jahreseinkommen, das durchschnittlich nicht mehr als 100 Pfund betrug. Und doch unterstützte er hiervon nicht nur Verbrecher, denen er nichts weiter als die kleinen Liebesdienste schuldete, zu denen ein Mensch dem anderen verpflichtet ist: sondern schuf auch seiner Familie eine behagliche Existenz und wurde durch Mäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, sogar befähigt, einen Spargroschen für seine alten Tage zurückzulegen. Jede Woche disponierte er über seinen Verdienst mit bedächtiger Sorgfalt: einen Teil bestimmte er für den notwendigen Bedarf an Nahrung und Kleidung; einen anderen für die Wohnungsmiete: einen dritten für das Schulgeld und einen vierten für die Armen und Notleidenden; und diese Disposition wurde gewissenhaft festgehalten. Auf solche Weise vollbrachte jener bescheidene Arbeiter das große Werk, dessen Erfolge wir kurz beschrieben haben. Seine Laufbahn ist in der That einer der merkwürdigsten und schlagendsten Beweise für die Macht eines entschlossenen männlichen Willens; für die bedeutsamen Wirkungen kleiner, aber sorgfältig und gewissenhaft angewandter Mittel – sowie endlich und hauptsächlich für den großen Einfluß, den ein energischer und rechtschaffener Charakter unfehlbar auf das Leben und die Führung anderer Menschen ausübt.

Jede redliche Arbeit ist ehrenwert und nicht schimpflich – ganz gleich, ob der Arbeiter den Boden anbaue, Gerätschaften anfertige, Stoffe webe oder die Produkte hinter dem Ladentisch verkaufe. Ein Jüngling kann die Elle handhaben und ein Stück Band damit abmessen, ohne daß er sich dessen zu schämen brauchte – nur muß sein Geist sich über die Elle und das Band erheben und nicht so kurz wie die eine und so schmal wie das andere sein. »Nicht diejenigen,« sagt Fuller, »welche einen ehrlichen Beruf haben, mögen erröten, sondern jene, die keinen haben!« Und der Bischof Hall äußerte: »Jede Arbeit kostet Schweiß – entweder der Stirn oder dem Geiste.« Leute, die sich aus einer bescheidenen Stellung emporgearbeitet, brauchen sich dessen nicht zu schämen: sie dürften eher stolz darauf sein, so viele Schwierigkeiten glücklich überwunden zu Haben. Als man einen amerikanischen Präsidenten fragte, was für ein Wappen er führe, gab er – eingedenk des Umstandes, daß er in seiner Jugend ein Holzhacker gewesen – zur Antwort: »Ein Paar Hemdsärmel!« Ein französischer Doktor warf einst Flechier, dem Bischof von Rismes – welcher in seiner Jugend Seifensieder gewesen – höhnend seinen niedrigen Ursprung vor, worauf Flechier erwiderte: »Wären Sie unter den gleichen Verhältnissen geboren wie ich, so würden Sie noch heute ein Seifensieder sein!«

Nichts wird mit größerem Eifer betrieben als das »Geldmachen,« wobei man gewöhnlich keinen höheren Zweck im Auge hat als die Anhäufung des Vermögens. Wer sich diesem Bestreben mit Leib und Seele widmet, wird meistens reich werden. Es gehört nicht so sehr viel Verstand dazu – man gebe nur weniger aus, als man verdient! man häufe Guinee auf Guinee! man kratze und scharre das Geld zusammen: so wird sich der Mammon bald merklich mehren! Der Pariser Banquier Osterwald begann seine Laufbahn als ein armer Mann. Er pflegte allabendlich in seiner Stammkneipe einen Schoppen Bier zum Nachtessen zu trinken und dabei alle Korke, deren er Habhaft werden konnte, zu sammeln und in die Tasche zu stecken. In acht Jahren hatte er eine solche Menge Pfropfen zusammengebracht, daß er beim Verkauf acht Louisdor dafür erhielt. Mit dieser Summe legte er den Grund zu seinem Vermögen, welches er hauptsächlich durch Börsenspekulationen gewann, und welches bei seinem Tode drei Millionen Franken betrug. John Foster berichtet ein merkwürdiges Beispiel, welches uns zeigt, wie viel man mit einer derartigen Energie im Gelderwerben zu leisten vermag. Ein junger Mann hatte durch eine ausschweifende Lebensweise sein väterliches Erbteil verpraßt und war zuletzt in äußerste Armut und Verzweiflung geraten. In diesem Zustand stürzte er aus dem Hause, um seinem Leben ein Ende zu machen – hielt aber auf einem Hügel an, von wo aus er sein ehemaliges Besitztum übersehen konnte. Hier setze er sich nieder, dachte einige Zeit nach und stand dann mit dem festen Vorsatz auf, das Verlorene zurückzugewinnen. Er kehrte wieder um; und als er auf den Straßen umherwanderte, sah er vor einem Hause einen Haufen Kohlen liegen, die der Fuhrmann soeben von dem Wagen aufs Pflaster geworfen hatte. Er erbot sich sogleich, dieselben ins Haus zu tragen, und wurde auch zu diesem Geschäft angenommen. Auf solche Weise verdiente er sich ein paar Pence; und da er auf seine Bitte noch etwas Essen und Trinken obenein erhielt, konnte er das Geld beiseite legen. Indem er sich ähnlichen niedrigen Dienstleistungen unterzog, machte er weitere kleine Ersparnisse – bis er genug Geld gesammelt hatte, um einige Rinder aufzukaufen, deren Wert er richtig zu taxieren wußte, und die er dann wieder mit Vorteil verkaufte. Allmählich ließ er sich auf immer größere Unternehmungen ein und wurde zuletzt ein reicher Mann. Das Resultat war, daß er nicht nur sein ehemaliges Besitztum zurückgewann, sondern außerdem noch ein großes Vermögen erwarb, bis er schließlich als eingefleischter Geizhals starb. Als man ihn begrub, sank Erde zu Erde. Mit einem edleren Gemüt hätte er bei gleicher Energie ein Wohlthäter anderer Menschen wie seiner selbst werden können. Aber Leben und Streben waren in diesem Falle gleich gemein.

Für andere zu sorgen und auch dafür Vorkehrungen zu treffen, daß man selbst im Alter behaglich und unabhängig leben könne, ist ehrenwert und sehr zu empfehlen; aber Reichtümer nur um ihrer selbst willen anzusammeln, ist das Merkmal der Engherzigkeit und des Geizes. Ein verständiger Mann muß sich sorgfältig davor hüten, daß der Hang zum Geldsparen in ihm nicht überhand nehme. Anderenfalls kann sich die Sparsamkeit seiner Jugend in seinem Alter leicht in Geiz verwandeln und so aus dem, was ursprünglich eine Pflichterfüllung war, schließlich ein Laster werden. Nicht das Geld ist die Wurzel des Übels, sondern die Liebe zum Gelde – eine Liebe, durch die das Herz vertrocknet und zusammenschrumpft und zu allen großmütigen Regungen und Thaten unfähig wird. Daher läßt Walter Scott eine der in seinen Werken vorkommenden Personen erklären, daß »mehr Seelen durch das Silber des Pennys getötet seien als Körper durch das bloße Schwert.« Wenn ein Mensch sich dem geschäftlichen Leben zu ausschließlich widmet, so hat dies die nachteilige Wirkung, daß es ihn unmerklich zu einem Pedanten, macht. Der Geschäftsmann kommt gewissermaßen in ein feststehendes Gleis, von dem er oft nicht einmal den Blick erhebt. Wenn er für sich allein lebt, gewöhnt er sich leicht daran, von anderen Menschen nur insofern Notiz zu nehmen, als sie seinen Zwecken dienen. Wenn man das Hauptbuch eines solchen, eingefleischten Geschäftsmannes durchblättert, so hat man sein. Leben vor sich.

Weltlicher Erfolg in der Gestalt aufgehäuften Reichtums hat ohne Zweifel sehr blendende Eigenschaften; und alle Menschen sind von Natur mehr oder weniger geneigt, diese Art des Erfolgs zu bewundern. Aber wenn beharrliche, schlaue, geschickte und gewissenlose Leute, die jede Gelegenheit erspähen und wahrnehmen, in der Welt auch »vorwärts kommen«, so ist es doch leicht möglich, daß sie dabei nicht ein Atom von Charaktergröße oder wirklicher Güte besitzen. Wer keine höhere Logik anerkennt als die des Schillings, kann ein sehr reicher Mann werden und trotzdem ein außerordentlich armseliges Geschöpf sein. Denn Reichtümer sind kein Beweis moralischen Wertes: ihr Glanz dient häufig nur dazu, die Aufmerksamkeit auf die Unwürdigkeit ihres Besitzers zu lenken – wie das Licht des Glühwurmes die Madengestalt des Tierchens erkennen läßt.

Die Art, in welcher sich viele aus Liebe zum Gelde kasteien, erinnert an die Lüsternheit des Affen – jener Karikatur des Menschen. In Algier binden die kabylischen Bauern eine zur Hälfte mit Reiskörnern gefüllte Kürbisflasche, deren Hals nur gerade so weit ist, daß der Affe seine Hand hindurchzwängen kann, recht fest an einen Baum. Der Affe schleicht bei Nacht heran und steckt – um den Reis zu stehlen – seine Hand in die Flasche, fühlt aber, – wenn er sie herausziehen will – daß sie darin festsitzt. Da er nicht schlau genug ist, um sich befreien zu können, so bleibt er bis zum Morgen auf dem Platze stehen, wo er sich selbst gefangen hat; und er sieht dabei so dumm wie möglich aus, obwohl er den Raub in der Hand hält. Die Moral dieser kleinen Geschichte läßt sich in einem sehr ausgedehnten Maße auf das menschliche Leben anwenden. Die Macht des Geldes wird im allgemeinen überschätzt. Die größten Wohlthaten sind der Welt nicht durch reiche Leute oder durch Subskriptionslisten erwiesen worden, sondern durch Menschen, deren Mittel meistens beschränkt waren. Männer aus der ärmsten Gesellschaftsklasse haben das Christentum über die halbe Welt verbreitet; und die größten Denker, Entdecker, Erfinder und Künstler sind so wenig wohlhabend gewesen, daß die pekuniäre Lage vieler derselben sich kaum über das Niveau einer gewöhnlichen Arbeiterexistenz erhob. Und so wird es immer sein. Der Reichtum ist öfter ein Hindernis als ein Sporn der Thätigkeit und in vielen Fällen ist er eher ein Unglück als ein Segen. Der Jüngling, welcher Reichtümer erbt, schwebt in der Gefahr, daß ihm das Leben zu leicht gemacht werde, und daß er – aus Mangel an Wünschen – der Blasiertheit verfalle. Da er kein besonderes Ziel hat, dem er nachstreben könnte, so wird ihm die Zeit lang; er versinkt in eine moralische und geistige Trägheit und nimmt in der Welt oft keine bedeutendere Stellung ein als ein Seepolyp, über den die Fluten hinrauschen.

»Sein einz'ger Zweck nur ist – die Zeit zu töten; Ein schwer Geschäft, das saure Mühe macht!«

Wenn der Reiche aber ein rechtschaffenes Gemüt besitzt, so wird er die Trägheit als unmännlich verachten; und wenn er der Verantwortlichkeit gedenkt, welche mit dem Besitz des Reichtums und Vermögens verknüpft ist: so wird er sich in noch höherem Maße zur Arbeit verpflichtet fühlen, als dies Leute in bescheideneren Verhältnissen thun. Doch muß man zugeben, daß dieser Fall nicht die Regel ist. Vielleicht ist das beste Los von allen – wenn auch leider die wenigsten dies erkennen – jene goldene Mitte, die sich Agur (Verfasser des 30. Kapitels der Sprüche Salomonis) in seinem mustergiltigen Gebet erflehte: »Armut und Reichtum gieb mir nicht; laß mich aber mein beschiedenes Teil Speise dahinnehmen!« – Der verstorbene Joseph Brotherton – seinerzeit Mitglied des Parlaments – hinterließ auf seinem Denkmal im Peelpark zu Manchester einen schönen Spruch, dessen Worte mit voller Wahrheit sein Leben kennzeichneten; derselbe lautete: »Mein Reichtum bestand nicht in der Größe meiner Besitztümer, sondern in der Kleinheit meiner Bedürfnisse.« Durch einfache Redlichkeit, Thätigkeit, Pünktlichkeit und Selbstverleugnung stieg er aus der bescheidenen Sphäre eines Fabrikjungen zu einer bedeutenden Stellung empor, die ihm ein segensreiches Wirken ermöglichte. Bis zu seinem Lebensende predigte er – wenn er nicht durch seine Parlamentspflichten daran gehindert wurde – in einer kleinen Kapelle zu Manchester, an welcher er angestellt war; und aus all seinen Handlungen konnten diejenigen, welche ihm im Privatleben näher traten, erkennen, daß er nicht den Ruhm suchte, »von den Leuten gesehen zu werden« oder ihren Beifall zu gewinnen: sondern daß es ihm vielmehr eine Gewissenssache war, die täglichen Pflichten des Lebens – auch die kleinsten und bescheidensten – in dem Geiste der Rechtschaffenheit, Wahrhaftigkeit, Treue und Liebe zu erfüllen.

»Achtbarkeit« im besten Sinne des Wortes ist etwas recht Gutes. Ein »achtbarer Mann« ist ein solcher, welcher »Beachtung verdient,« d. h – wörtlich genommen – welcher verdient, daß man nach ihm hinschaut. Aber jene Achtbarkeit, welche nur in einem Festhalten des äußeren Scheins besteht, ist es in keiner Weise wert, daß man um ihretwillen den Kopf wendet. Ein redlicher Arbeiter ist weit besser und achtbarer als ein gottloser Reicher – ein stiller, bescheidener und ehrenhafter Mann weit besser als der glatte, elegante Schurke, der sich eine Equipage hält. Ein harmonisch gestimmter und gebildeter Geist, ein Leben voll nützlicher Arbeit – ganz gleich in welchem Beruf – hat eine höhere Bedeutung als das, was die Welt im Durchschnitt unter »Achtbarkeit« versteht. Unserem Dafürhalten nach müßte ein Mann es als seinen vornehmsten Lebenszweck betrachten, sich einen männlichen Charakter anzueignen und dafür zu sorgen, daß sich bei ihm Körper und Geist, Gemüt. Gewissen, Herz und Seele aufs beste entwickeln. Dies ist der Zweck – alles andere sollte nur als Mittel gelten. Demgemäß dürfen wir nicht dasjenige Leben für das erfolgreichste halten, welches das meiste Vergnügen oder den höchsten Grad des Wohlstandes, der Macht, des Ranges, der Ehre oder des Ruhmes gewährt, sondern jenes, in welchem sich die edelste Männlichkeit offenbart, und welches das größte Maß nützlicher Arbeit und gewissenhafter Pflichterfüllung aufzuweisen hat. Das Geld stellt allerdings eine Macht dar: aber Intelligenz, Gemeinsinn und sittlicher Wert sind auch Mächte, und zwar weit edlere. »Mögen andere sich um Pensionen bemühen,« schrieb Lord Collingwood an einen Freund: »ich kann auch ohne Geld reich sein, indem ich mich bemühe, mich über alle Armseligkeit zu erheben. Ich möchte die Dienste, die ich meinem Vaterlande erweise, nicht durch Eigennutz beflecken; und mein alter ScottSein alter Gärtner. – Collingwoods Lieblingsbeschäftigung war der Gartenbau. Bald nach der Schlacht bei Trafalgar sprach ein anderer, ihm befreundeter Admiral bei ihm vor – entdeckte Seine Herrlichkeit aber erst nach Durchsuchung des ganzen Gartens in einem tiefen Graben, an dessen Aufwerfung Collingwood in Gesellschaft seines alten Scott emsig arbeitete. und ich – wir können unseren Kohl weiter bauen, ohne daß es viel mehr kostet als zuvor.« Bei einer anderen Gelegenheit äußerte er: »Ich lasse mich bei meiner Handlungsweise von Grundsätzen leiten, die ich nicht gegen hundert Pensionen eintauschen möchte.«

Ohne Zweifel verdanken manche Menschen den Vorzug »der Gesellschaft anzugehören« – wie die landläufige Redensart lautet – dem Umstand, daß sie sich ein Vermögen erworben haben. Aber um in der Gesellschaft Ansehen zu gewinnen, müssen sie auch gute Manieren und Vorzüge des Geistes und Herzens besitzen – anderenfalls sind sie eben nur reiche Leute und nichts weiter. Wir treffen heutzutage in der Gesellschaft Männer an, welche reich sind wie Krösus und doch weder beachtet noch respektiert werden. Warum? – Weil sie eben nur Geldprotzen sind, deren einzige Bedeutung in ihrem Reichtum steckt! Die hervorragenden Männer der Gesellschaft – diejenigen, welche die Herzen der anderen leiten und beherrschen, dabei Erfolge erringen und nützlich wirken – brauchen nicht reich zu sein: sie müssen aber unbedingt einen festen Charakter, eine reife Erfahrung und einen hohen moralischen Wert besitzen. Auch ein armer Mann, dem nur wenig von den Gütern dieser Erde zufiel, kann – wenn er wie Thomas Wright einen gebildeten Geist besitzt, seine Gaben weise gebraucht und sein Leben nach bestem Wissen und Können nützlich anwendet – ohne das geringste Gefühl des Neides die Verkörperung des rein weltlichen Erfolgs betrachten – den Mann, der auf seinen Geldsäcken und Kornäckern thront!


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