Samuel Smiles
Selbsthilfe
Samuel Smiles

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Vorwort zur ersten Ausgabe

Die Entstehung dieses Buches soll hier in der Kürze erzählt werden.

Vor etwa fünfzehn Jahren wurde der Autor aufgefordert, eine Vorlesung zu halten – und zwar für die Mitglieder einer »Abendschule,« die in einer der nördlichen Städte zum Zweck gegenseitiger wissenschaftlicher Förderung unter folgenden Umständen gegründet worden war:

Zwei oder drei junge Leute aus den untersten Ständen faßten den Entschluß, an den Winterabenden zusammenzukommen, um sich durch Austausch ihrer Kenntnisse und Ansichten gegenseitig zu bilden. Ihre ersten Zusammenkünfte hielten sie in der Wohnstube eines Häuschens, in welchem eins der Mitglieder sein Heim hatte; da sich ihre Zahl aber bald vergrößerte, wurde der Raum zu enge. Als es Sommer geworden war, verfügten sich die jungen Leute in den Garten des Häuschens und hielten dort ihre Schule unter freiem Himmel vor einer kleinen Bretterbude, die als Gartenhaus diente, und in welcher die als Lehrer Fungierenden die Arbeiten prüften und die Aufgaben erteilten. Bei schönem Wetter drängten sich die Jünglinge bis zu später Stunde gleich einem Bienenschwarm um die Thür der Bude; aber oft genug kam es vor, daß ein plötzlich eintretender Regen ihnen die Zahlen von den Schiefertafeln löschte und sie zu ihrem Leidwesen auseinandertrieb.

Nun kam der Winter mit seinen kalten Abenden heran, und wo sollten sie Obdach finden? Ihre Zahl hatte sich unterdessen so vermehrt, daß die Stube einer gewöhnlichen Arbeiterbehausung nicht mehr ausreichte. Obgleich fast alle diese jungen Leute nur einen verhältnismäßig geringen Wochenlohn verdienten, so entschlossen sie sich doch zu dem Wagnis, ein Lokal zu mieten. Nach einigem Suchen fanden sie ein großes, dumpfiges Gelaß, das einst interimistisch als Cholerahospital gedient hatte, und für das sich bisher kein Mieter hatte finden wollen, da man sich noch immer vor Ansteckung fürchtete. Aber die unerschrockenen, wissensdurstigen Jünglinge mieteten das Cholerahospital, sorgten für Beleuchtung, stellten ein paar Bänke und einen Tisch von Tannenholz hinein und eröffneten ihre Winterschule. Das Zimmer war nun bald an den Abenden ein Bild geschäftiger und fröhlicher Thätigkeit. Der Unterricht war ohne Zweifel sehr primitiver und unvollkommener Art, aber er wurde mit Energie betrieben. Diejenigen, welche wenig wußten, unterrichteten andere, deren Kenntnisse noch geringer waren; auf solche Weise lernten sie, indem sie lehrten, und gaben ihren Schülern auf alle Fälle ein nachahmenswertes Beispiel des Fleißes. So übten sich diese Jünglinge – unter denen sich übrigens auch einige erwachsene Männer befanden – im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der Geographie; ja, sie trieben sogar Mathematik, Chemie und neuere Sprachen.

Als die Zahl der jungen Leute fast bis auf 100 gestiegen war, bemächtigte sich ihrer der ehrgeizige Wunsch, Vorträge zu hören; und gerade um diese Zeit wurde der Autor mit ihren Bestrebungen bekannt. Einige von ihnen machten ihm nämlich ihre Aufwartung; und nachdem sie eine bescheidene Darstellung ihrer Bemühungen gegeben, baten sie den Autor, er möchte ihnen doch einen ersten Vortrag halten oder – wie sie sich ausdrückten – »ihnen etwas erzählen.« Der bewunderungswürdige Geist der Selbsthilfe, den diese Jünglinge bewährt, rührte den Verfasser dieses Buches; und obwohl er keinen besonders großen Glauben an die Wirkung populärer Vorträge hatte, so meinte er doch, ein paar ehrliche und herzliche Worte der Aufmunterung könnten hier eine gute Wirkung haben. In diesem Sinne hat er jenen jungen Leuten mehr als einen Vortrag gehalten. Er hat es sich dabei angelegen sein lassen, Beispiele aus dem Leben anderer Menschen anzuführen, um daran zu zeigen, was jeder in höherem oder geringerem Grade seinerseits zu leisten vermöchte; er hat sich auch bemüht, seinen Hörern zu beweisen, daß naturgemäß ihr individuelles Glück und Wohlergehen im späteren Leben hauptsächlich von ihnen selbst abhängen würde – von ihrer fleißigen Selbstvervollkommnung, Selbstzucht und Selbstbeherrschung – vor allem aber von jener ehrlichen und gewissenhaften Erfüllung der individuellen Pflicht, die den Ruhm des männlichen Charakters darstellt.

Diese Ratschläge waren durchaus nicht neu oder originell; sie waren so alt wie die Sprüche Salomonis und vielleicht auch ebenso bekannt. Aber trotzdem wurden diese altmodischen Ermahnungen freundlich und dankbar aufgenommen. Die Jünglinge setzten ihre Bemühungen fort; sie arbeiteten mit Energie und Entschlossenheit; und als sie Männer geworden waren, zerstreuten sie sich nach den verschiedensten Orten der Welt, wo viele von ihnen jetzt verantwortliche und einflußreiche Stellungen einnehmen. Mehrere Jahre nach den erwähnten kleinen Begebenheiten wurde der Autor von neuem an dieselben durch den Besuch eines jungen Mannes erinnert, der – wie es schien – soeben aus einer Eisengießerei und von der Arbeit kam. Der Besucher erzählte, er sei nun selbst ein Arbeitgeber und ein wohlhabender Mann; aber er erinnere sich noch oft dankbar der guten Ratschläge, die der Autor vor vielen Jahren ihm und seinen Mitschülern gegeben, und die ihn – wie er meinte – hauptsächlich zu den Anstrengungen veranlaßt, die ihm schließlich zu seinem Erfolge verholfen.

Da sich das Interesse des Autors in solcher Weise auf den Gegenstand der Selbsthilfe gerichtet, so nahm er die Gewohnheit an, die Aufzeichnungen, die er sich einst zum Zweck seiner Vorträge gemacht, allmählich zu erweitern, indem er in seinen freien Augenblicken nach der Arbeit des Tages sich alle merkwürdigen Beweise von Selbsthilfe notierte, denen er in seiner Lektüre oder in seinen Beobachtungen und Lebenserfahrungen begegnet war. Eins der hervorragendsten Beispiele aus den erwähnten Vorträgen des Autors war das des Ingenieurs George Stephenson; und da ihm dieser Gegenstand außerordentlich interessant erschien und er selbst auch über das Leben und die Laufbahn des Herrn Stephenson besonders gut informiert war, so führte er die Biographie jenes Mannes in seinen Mußestunden genauer aus und übergab sie schließlich der Öffentlichkeit. Das vorliegende Buch ist in einem ähnlichen Geiste geschrieben und ist auch auf ähnliche Weise entstanden. Freilich sind die darin vorkommenden Charakterschilderungen weniger ausführlich – eher mit Büsten als mit Standbildern zu vergleichen. In manchen, Fällen hielt es der Verfasser für ausreichend, nur einige charakteristische Züge anzuführen – da sich ja im Leben der Individuen wie der Völker der Glanz und das Interesse oft auf wenige Punkte konzentriert. Der Autor übergiebt nun das Buch – so wie es ist – den Händen des Lesers und hofft, daß die darin enthaltenen Beispiele des Fleißes, der Beharrlichkeit und der Selbsterziehung sich nicht nur als allgemein nützlich und lehrreich, sondern auch als allgemein interessant erweisen werden.

London, im September 1859.


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