Samuel Smiles
Selbsthilfe
Samuel Smiles

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Achtes Kapitel.

Energie und Mut.

»A coeur vaillant rien d'impossible. –

Jacques Coeur.

»Dem Mutigen gehört die Welt.« –

Deutsches Sprichwort.

»Denn alles Thun, das er anfing,– – –
– – –das that er von ganzem Herzen;
darum hatte er auch Glück.« –

II. Chron. XXXI, 21.

Ein alter Norweger that den folgenden berühmten Ausspruch, der das Wesen des teutonischen Volksstammes charakterisiert: »Ich glaube weder an Götterbilder noch an Dämonen, sondern setze meine Zuversicht allein auf die Kraft meines Körpers und Geistes.« Die auf dem Helm der alten Spitzaxt angebrachte Devise: »Ich finde einen Weg oder schaffe ihn mir« – war ein Ausdruck derselben trotzigen Freiheitsliebe, welche den Nachkommen der alten Normannen noch heute eigen ist. Nichts kennzeichnet den Geist der nordischen Mythologie besser als der Umstand, daß darin ein Gott mit einem Hammer vorkommt. Der Charakter der Menschen offenbart sich oft in kleinen Dingen; und selbst nach der Art, wie ein Mann seinen Hammer schwingt, kann man – so geringfügig dies Merkmal auch erscheinen mag – einigermaßen die Stärke seiner Energie taxieren. So kennzeichnete ein geistvoller Franzose mit einem kurzen Ausspruch die charakteristischen Eigenschaften der Bewohner eines bestimmten Distrikts, in welchem einer seiner Freunde sich niederzulassen und anzukaufen gedachte. »Hüte dich davor, dort einen Kauf abzuschließen,« sagte er, »ich kenne die Leute aus jenem Departement! Die Schüler, welche von daher auf unsere Pariser Tierarzeneischule kommen, schlagen nicht kräftig auf den Amboß – es fehlt ihnen an Energie, und ein Kapital, das du dort anlegst, wird sich nicht in erwünschter Weise verzinsen.« Das ist eine scharfe und richtige Charakterzeichnung, welche den denkenden Beobachter verrät und in treffender Weise die Thatsache veranschaulicht, daß es die Energie des Individuums ist, welche einem Staate Kraft giebt und sogar dem Boden, den die Bewohner bebauen, einen höheren Wert verleiht. Es ist so, wie das französische Sprichwort sagt: »Tant vaut l'homme, tant vaut sa terre.«

Die Pflege der Energie ist von größter Wichtigkeit: denn feste Entschlossenheit in der Verfolgung würdiger Ziele ist die Grundlage aller wahren Charaktergröße. Thatkräftiges Streben Verleiht dem Manne die Fähigkeit, sich über die öde Plackerei einer niedrigen Beschäftigung zu erheben, und trägt ihn in jeder Lebensstellung vorwärts und empor. Es leistet mehr als das Genie und bringt nicht die Hälfte der Enttäuschung und Gefahr. Um auf irgend einem Gebiet Erfolg zu haben, bedarf man weniger eines hervorragenden Talents als eines festen Vorsatzes – nicht nur der Fähigkeit, sondern auch des entschlossenen und beharrlichen Willens zur Arbeit. Man könnte daher sagen, daß die Energie des Willens die Centraltraft des männlichen Charakters – mit einem Wort: den Mann selber – darstelle. Sie ist es, die jeder Handlung Nachdruck, jeder Anstrengung eine lebendige Wirkung verleiht. Sogar die Hoffnung beruht darauf; und diese bedeutet den Lebensodem unserer Existenz. Auf einem zerbrochenen Wappen in der Abtei zu Battle ist eine schöne heraldische Devise zu lesen; sie lautet »L'espoir est ma force« und diese Worte sollte sich jeder Mann zu seinem Wahlspruch nehmen. »Wehe den Verzagten!« sagt Jesus Sirach – und mit vollem Recht; denn es giebt in Wahrheit keinen größeren Segen als ein unerschrockenes Herz. Selbst wenn ein Mensch in seinen Bemühungen keinen Erfolg hat, so wird ihm doch das Bewußtsein, sein Bestes geleistet zu haben, eine gewisse Befriedigung gewähren. In bescheidenen Verhältnissen giebt es keinen erfreulicheren und schöneren Anblick als einen Mann, der das Leiden mit Geduld bekämpft, unerschütterlich an seiner Redlichkeit festhält und seinen Weg mutig fortsetzt, ob auch seine Füße bluten und seine Glieder ermatten.

Bloßes Wünschen und Verlangen, das sich nicht rasch in Thaten und Handlungen verkörpert, erzeugt in jugendlichen Gemütern nur eine Art bleichsüchtiger Schlaffheit. Es nützt nichts, daß man einfach wartet, »bis Blücher anrückt,« sondern man muß unterdessen selbst beharrlich weiter kämpfen, wie es Wellington that. Der einmal gefaßte Vorsatz muß unverzüglich und unentwegt ausgeführt werden. In den meisten Lebenslagen gilt es, Mühe und Plage als, die beste und heilsamste Zucht mit Heiterkeit zu ertragen. »Jede Frucht, die das Leben uns bringen soll,« sagt Ary Scheffer, »müssen wir uns durch körperliche oder geistige Arbeit verdienen. Kämpfen und nochmals kämpfen – das ist unser Leben; und in dieser Beziehung ist das meinige vollkommen gewesen. Doch darf ich mit gerechtem Stolze sagen, daß nichts meinen Mut erschüttert hat. Mit einem starken Herzen und einem edlen Ziel vermögen wir in moralischer Beziehung alles, was wir wollen.«

Nach Hugh Millers Behauptung war die einzige Schule, in welcher er wirklichen Unterricht erhalten hatte, »die große Schule des Lebens, worin Arbeit und Mühsal die strengen, aber edlen Lehrer sind.« Wer in seinem Fleiße nachläßt oder seine Aufgabe unter nichtigen Vorwänden versäumt, befindet sich auf dem sicheren Wege zum Mißerfolg. Wenn wir alles, was wir unternehmen, als etwas unbedingt Notwendiges betrachten, so werden wir es auch behende und fröhlich vollbringen! Karl IX. von Schweden glaubte fest an die Kraft des Willens, selbst bei jungen Menschen. Als er seinen jüngsten Sohn mit einer schwierigen Aufgabe beschäftigt sah, rief er, indem er ihm die Hand auf den Scheitel legte: »Er bringt es fertig! Er bringt es fertig!« Die Gewohnheit des Fleißes wird dem Menschen mit der Zeit so leicht wie jede andere Gewohnheit. Daher vermögen Personen von mittelmäßiger Begabung viel zu vollbringen, wenn sie sich ganz und unermüdlich einer einzigen Sache widmen. Fowell Buxton hatte das meiste Vertrauen zu Menschen von gewöhnlichen Gaben und außergewöhnlicher Gewissenhaftigkeit – eingedenk der biblischen Ermahnung: »Was du zu thun hast, das thue mit allem Fleiß;« und er selbst schrieb seinen Erfolg im Leben dem Umstand zu, daß er »allemal nur eine Sache zu einer Zeit betrieben und seine ganze Persönlichkeit darangesetzt.«

Nichts wirklich Wertvolles kann ohne ein rüstiges Schaffen vollbracht werden. Der Mensch verdankt sein Vorwärtskommen hauptsächlich jenem thatkräftigen Wollen, jenem Bekämpfen von Hindernissen, welchem wir den Namen »Anstrengung« geben: und es ist erstaunlich, wie viele anscheinend unerreichbare Resultate auf solche Weise möglich wurden. Das intensive Verlangen allein schon macht die Möglichkeit zur Wirklichkeit; unsere Wünsche sind meistens nur Vorahnungen der Dinge, die wir zu vollbringen vermögen. Anderseits ist für furchtsame und unentschlossene Gemüter alles unausführbar, weil es ihnen so erscheint. Man erzählt von einem jungen französischen Offizier, daß er in seinem Zimmer auf und ab zu gehen und dabei auszurufen pflegte: »Ich will Marschall von Frankreich und ein großer General werden!« – Dieser feurige Wunsch war der Vorbote seines Erfolgs, denn der junge Offizier wurde ein ausgezeichneter Feldherr und starb als Marschall von Frankreich.

Herr Walker, der das Buch: »Das Original« verfaßt hat, glaubte so fest an die Wirkung des Willens, daß er sagte, er habe bei einer Gelegenheit den Entschluß gefaßt, gesund zu sein; und es sei ihm gelungen. Das mag in einem Fall angehen: aber wenn dies Rezept auch besser ist als manche ärztliche Vorschrift, so wird es doch nicht immer helfen. Der Geist hat ohne Zweifel eine große Gewalt über den Körper; doch wenn er die Zügel seiner Herrschaft zu straff anzieht, bricht die physische Kraft darunter zusammen. Das beweist der Bericht, den man uns über den Tod Muley Molucs, des maurischen Feldherrn, giebt. Während er krank, fast aufgerieben durch ein unheilbares Leiden, daniederlag, fand eine Schlacht zwischen seinen Truppen und den Portugiesen statt. Da sprang er plötzlich im entscheidenden Augenblick von seinem Lager auf, sammelte sein Heer und führte es zum Siege, um selbst unmittelbar darauf erschöpft zu Boden zu sinken und zu sterben.

Der Wille – der kraftvolle Entschluß – ist es, der den Menschen befähigt, dasjenige zu werden oder zu vollbringen, worauf er seinen Sinn gesetzt hat. Ein frommer Mann pflegte zu sagen: »Wir sind, was wir sein wollen; denn so groß ist die Kraft unseres Willens – wenn er sich mit dem göttlichen Willen vermählt – daß wir alles zu werden vermögen, was wir ernstlich und aufrichtig zu sein wünschen. Jeder, der das eifrige Verlangen hat, ergeben, geduldig, bescheiden und edel zu sein, kann dies Ziel erreichen.« Von einem Zimmergesellen erzählt man folgendes: derselbe hatte eine Ratsherrnbank zu reparieren und behobelte sie mit besonderer Sorgfalt. Als jemand ihn fragte, warum er das thäte, entgegnete er: »Ich will sie recht glatt machen, weil ich selbst einmal darauf zu sitzen gedenke.« Und merkwürdig genug! der Mann wurde thatsächlich später Ratsherr und saß auf derselben Bank.

Zu was für theoretischen Schlüssen die Logiker auch hinsichtlich der Freiheit des Willens gekommen sein mögen, so fühlt doch jedes Individuum, daß es frei zwischen dem Guten und Bösen wählen darf – daß es nicht ein bloßer Strohhalm ist, der, auf dem Wasser treibend, die Richtung der Strömung andeutet, sondern daß ihm selbst die Kraft eines starten Schwimmers innewohnt, der sich mit kräftigen Stößen vorwärts treibt, mit den Wogen ringt und sich seinen Kurs in der Hauptsache nach eigenem Wunsche wählt. Es giebt keine absolute Herrschaft, der unser Wille unterthan wäre: wir fühlen und wissen, daß wir in unserem Handeln nicht wie durch einen Zauber gebunden sind. Der Gedanke, daß es sich anders verhielte, müßte jedes edle Streben lahm legen Alle Geschäfte und Obliegenheiten des Lebens – die häuslichen Pflichten, die gesellschaftlichen Beziehungen und die Staatsgesetze – beruhen auf der Voraussetzung, daß der Wille frei ist. Wäre dem nicht so – wo bliebe dann die Verantwortlichkeit? und was würde alles Lehren, Raten, Predigen, Tadeln und Ermahnen nützen? Welchen Zweck hätten die Gesetze, wenn man nicht allgemein an die universelle Thatsache glaubte, daß der Mensch sie nach freier Wahl befolgen oder übertreten kann? In jedem Augenblick unseres Lebens erinnert uns das Gewissen daran, daß unser Wille frei ist. Er ist das einzige Eigentum, das uns uneingeschränkt gehört; und bei uns allein steht es, ihm eine gute oder schlechte Richtung zu geben. Unsere Gewohnheiten und Versuchungen sind nicht unsere Herren; sondern wir herrschen über sie. Wo wir ihnen nachgeben, sagt uns das Gewissen, daß wir wohl zu widerstehen vermöchten; und daß der Entschluß und die Kraft, sie zu besiegen, durchaus in unserer Macht liegt. »Sie sind nun in dem Alter, wo Sie eine Entscheidung treffen müssen,« sagte Lamennais einst zu einem jungen, leichtsinnigen Menschen. »Wenn Sie es noch eine Weile so forttreiben, so werden Sie vielleicht Ihr ganzes Leben in dem Grabe verseufzen müssen, in das Sie sich selbst hineingelegt – ohne doch die Kraft zu besitzen, den Stein hinwegzuwälzen. Was uns am leichtesten zur Gewohnheit wird, ist der Wille. Darum lernen Sie ernstlich und nachdrücklich »wollen«! Geben Sie Ihrem schwankenden Leben auf solche Weise einen Halt und lassen Sie sich fortan nicht mehr wie ein welkes Blatt von jedem Winde hin und her treiben!«

Buxton war überzeugt, daß ein junger Mann so ziemlich alles werden könnte, was er wollte – vorausgesetzt, daß er fähig wäre, einen ernstlichen Entschluß zu fassen und auch danach zu handeln. In einem Briefe an einen seiner Söhne äußerte er: »Du befindest dich jetzt in jenem Lebensstadium, in welchem du dich entscheiden mußt, ob du dich zur Rechten oder zur Linken wenden willst. Es handelt sich nunmehr darum, ob du Grundsätze, Entschlossenheit und Charakterstärke beweisen, oder ob du in Trägheit versinken und, die Gewohnheiten und den Charakter eines wankelmütigen, untüchtigen jungen Menschen annehmen willst; sinkst du erst einmal auf dies letztere Niveau, so wird es dir schwer werden, dich wieder emporzuarbeiten. Ich bin der Meinung, daß ein junger Mann so ziemlich alles werden kann, was er will. In meinem eigenen Fall war es so. – – – Mein Glück und meinen Erfolg im Leben verdanke ich zum großen Teil der Entscheidung, die ich in deinen Jahren traf. Wenn du dir ernstlich vornimmst, energisch und fleißig zu sein, so kannst du dich darauf verlassen, daß du dich dein ganzes Leben hindurch darüber wirst freuen dürfen, daß du weise genug warst, einen solchen Entschluß zu fassen und festzuhalten.«

Da der Wille – ohne Rücksicht auf seine Richtung – einzig in Beständigkeit, Festigkeit und Beharrlichkeit besteht, so ist es klar, daß alles davon abhängt, ihm die rechte Richtung und edle Triebfedern zu geben. Wenn ein starker Wille sich ausschließlich auf die Befriedigung der Sinne lenkt, so kann er ein Dämon werden, der den Geist zu einem elenden Sklaven erniedrigt: wenn er sich aber edlen Zielen zuwendet, so gleicht er einem Könige, der durch den Geist als seinem Minister, dem Menschen das höchste Wohlergehen bereitet.

»Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg,« sagt ein altes und wahres Sprichwort. Ein starker Entschluß ist gewissermaßen eine Sturmleiter, mit der die hemmende Mauer erstiegen und der Sieg gewonnen wird. Der Gedanke der Möglichkeit kommt fast der Erfüllung gleich: und der Entschluß der That ist fast die That selber. Daher hat es in vielen Fällen den Anschein gehabt, als ob dem festen Vorsatz etwas von dem Wesen der Allmacht innewohnte. Suwarows Charaktergröße lag in seiner Willenskraft, und gleich den meisten entschlossenen Männern glaubte er daran wie an ein Dogma. »Ihr könnt nur halb gewollt haben,« pflegte er zu Leuten zu sagen, denen etwas mißlungen war. Gleich Richelieu und Napoleon wollte er das Wort »unmöglich« aus seinem Wörterbuch streichen. »Ich weiß nicht,« »ich kann nicht« und »unmöglich« – das waren Worte, die er außerordentlich verabscheute. »Lernt es!« »thut es!« »versucht es!« pflegte er darauf zu erwidern. Sein Biograph sagt von ihm, seine Laufbahn habe in merkwürdiger Weise gezeigt, was eine energische Ausbildung und Übung der Fähigkeiten, deren Keime in jedem Menschenherzen vorkommen, zu leisten vermag.

Ein Wahlspruch Napoleons lautete: »Die beste Weisheit ist ein mannhafter Entschluß.« Sein Leben zeigt so klar wie kaum ein anderes die Macht eines starken und rücksichtslosen Willens. Er setzte seine ganze Persönlichkeit – seinen Körper und seinen Geist – an die Ausführung seines Werkes. Unfähige Herrscher samt den von ihnen regierten Völkern kamen nacheinander vor ihm zu Fall. Man sagte ihm, daß die Alpen seinen Heeren, den Weg versperrten. »Sie sollen uns nicht im Wege stehen!« erwiderte er; und alsbald ward eine Heerstraße über den zuvor fast unzugänglichen Simplon gebaut. »Das Wort »unmöglich«,« sagte er, »findet sich nur in dem Wörterbuch der Narren!« Er war ein Mann von unerschöpflicher Arbeitskraft, mit dem oft vier Sekretäre auf einmal nicht gleichen Schritt halten konnten. Er schonte niemand, auch sich selber nicht. Sein Beispiel begeisterte andere Männer und hauchte ihnen ein neues Leben ein, »Ich habe meine Generäle aus Erdklumpen gemacht,« pflegte er zu sagen. Aber das alles nützte nichts, Napoleons ungeheuere Selbstsucht war sein Verderben und auch das Verderben Frankreichs, welches er der Anarchie überlieferte. Sein Leben verkündigte der Welt die große Wahrheit, daß auch eine kraftvoll geübte Herrschaft dem Gebieter samt den Unterthanen zum Fluche wird, wenn ihr nicht die Barmherzigkeit zur Seite steht; und daß selbst die vollkommenste Erkenntnis ohne Güte nur das verkörperte Princip des Bösen darstellt.

Dagegen war unser Wellington ein viel größerer Mann – ebenso entschlossen, fest und beharrlich wie der Korse; aber selbstverleugnender, gewissenhafter und vaterlandsliebender. Napoleons Ziel war »der Ruhm«; Wellington hatte sich gleich Nelson »die Pflicht« als Losungswort erwählt. Das erstgenannte Wort kommt wie man sagt, in seinen Depeschen nicht ein einziges Mal vor; das letztere aber recht häufig, doch nie in Begleitung hochtrabender Phrasen. Wellington konnte selbst durch die größten Schwierigkeiten nicht verwirrt oder entmutigt werden; seine Energie stieg allemal in demselben Maße, als sich die zu überwindenden Hindernisse mehrten. Die Geduld, die Festigkeit und Entschlossenheit, womit er die fürchterlichen Beschwerden und riesenhaften Anstrengungen des spanisch-portugiesischen Befreiungskrieges ertrug, gehören zu den leuchtendsten Beispielen der Weltgeschichte. In Spanien hat Wellington nicht nur das Genie des Feldherrn, sondern auch die einsichtsvolle Weisheit des Staatsmannes bewiesen. Obwohl sein Temperament von Natur heftig war, wußte er es doch durch sein hohes Pflichtgefühl zu zügeln; und seiner Umgebung gegenüber erschien seine Geduld unerschöpflich. Seinen großen Charakter befleckte weder Ehrgeiz noch Habsucht oder sonst eine niedrige Leidenschaft. Trotz kraftvoller Eigenart zeigte er eine große Mannigfaltigkeit der Begabung, In seiner Feldherrnkunst war er Napoleon ebenbürtig, und Elive glich er in seiner Schnelligkeit, Kraft und Kühnheit. In seiner Staatsweisheit erinnerte er an Cromwell; in seiner Reinheit und Hochherzigkeit an Washington. Mit Wellingtons Namen verbindet sich ein dauernder Ruhm, gegründet auf glorreiche Feldzüge, die er durch kluge Taktik, unerschöpfliche Kraft, erhabenen Mut und vielleicht noch erhabenere Geduld gewann.

Die Energie offenbart sich gewöhnlich in Schnelligkeit und Entschlossenheit. Als der Reisende Ledyard von der »afrikanischen Gesellschaft« gefragt wurde, wann er bereit sein würde, nach Afrika abzureisen, gab er alsbald zur Antwort: »Morgen früh!« Blüchers Ungestüm erwarb ihm in der preußischen Armee den Beinamen des »Marschall Vorwärts.« John Jervis, der spätere Graf St. Vincent, gab auf die Frage, wann er an Bord seines Schiffes zu gehen gedenke, die Antwort: »Sogleich!« Und als man sich bei dem zum Befehlshaber der indischen Armee ernannten Sir Colin Campbell erkundigte, wann er aufbrechen würde, erwiderte er: »Morgen!« – womit er gewissermaßen eine Bürgschaft seines künftigen Erfolges gab. Denn was den Sieg verleiht, ist in den meisten Fallen ein rascher Entschluß und eine entsprechende Schnelligkeit im Handeln, die sich jeden Fehler des Feindes augenblicklich zu nutze macht. »Bei Arcole,« äußerte Napoleon, »gewann ich die Schlacht mit fünfundzwanzig Reitern. Ich benutzte einen Augenblick der Ermüdung auf Seiten der Feinde, gab jedem meiner Leute eine Trompete und gewann den Sieg mit dieser Handvoll Menschen. Zwei Armeen sind zwei Gegner, die sich gegenseitig bedrohen und einander einzuschüchtern suchen. Sobald bei der einen Partei ein Augenblick der Panik eintritt, muß die andere Partei diesen Augenblick ergreifen und zu ihrem Vorteil ausnutzen.« Ein andermal sagte er: »Jeder verlorene Augenblick ist eine Chance für das Unheil:« und er behauptete, er habe die Österreicher nur darum schlagen können, weil sie den Wert der Zeit nicht zu schätzen gewußt – während sie dieselbe vertrödelten, habe er sie überrumpelt. – In dem letzten Jahrhundert hat sich die Energie der Engländer in hohem Maße in Indien bethätigen können. Die indische Regierung und die indischen Kriege weisen eine lange und ehrenvolle Reihe ausgezeichneter Namen auf, von Clive bis auf Havelock und Clyde – Namen wie Wellesley, Metcalfe, Outram, Edwardes und Lawrence. Ein ebenfalls großer, aber nicht unbefleckter Name ist der des Warren Hastings, eines Mannes von unerschütterlichem Willen und unermüdlicher Arbeitskraft. Er gehörte einer alten und berühmten Familie an; dieselbe war aber durch Vermögensverluste und durch ihre übel belohnte Treue gegen die Stuarts in solche Armut geraten, daß ihr Stammgut zu Daylesford, dessen Schloß Hunderte von Jahren in ihrem Besitz gewesen, in andere Hände überging. Der letzte Hastings von Daylesford hatte jedoch seinem zweiten Sohn die Pfarre geschenkt; und in dem Pfarrhause kam viele Jahre später jener Warren Hastings – sein Großsohn – zur Welt. Der Knabe lernte in der Dorfschule lesen und schreiben und saß dort auf derselben Bank mit den Kindern der Bauern und Tagelöhner. Er spielte auf den Feldern, die seinen Vätern gehört hatten; und vor seinem geistigen Auge schwebte beständig das Bild der alten königstreuen und tapfern Hastings von Daylesford. Dadurch wurde sein jugendlicher Ehrgeiz entflammt; und als der damals erst siebenjährige Knabe an einem Sommertage – so erzählt man – an dem Ufer des Flusses lag, der die Besitzung durchströmte, reifte in ihm der Entschluß, das alte Familiengut wieder in seine Hände zu bringen. Es war der romantische Traum eines Knaben; aber er hat ihn zur Wirklichkeit gemacht. Die Idee wurde in ihm zu einer Leidenschaft, die sein ganzes Leben beherrschte. Sein Entschluß begleitete ihn aus der Jugend ins Mannesalter; und er hielt daran mit jener ruhigen, aber unbezwinglichen Willenskraft fest, die ein hervorragendes Merkmal seines Charakters bildete. Aus dem verwaisten Knaben wurde einer der mächtigsten Männer seiner Zeit. Er gewann das Vermögen der Familie zurück, brachte das alte Erbgut seines Hauses wieder in seinen Besitz und baute das Stammschloß von neuem auf. »Als er unter einer tropischen Sonne fünfzig Millionen Asiaten beherrschte,« sagt Macaulay, »wies seine Hoffnung inmitten aller Sorgen, die ihm der Krieg, die Verwaltung der Finanzen oder die Regierung bereitete, doch – ähnlich der Magnetnadel – nur nach einer Richtung: nach Daylesford. Und als er sein langes staatsmännisches Wirken, in welchem sich Gutes und Böses, Ruhm und Unehre so seltsam paarten, für immer beschloß, zog er sich nach Daylesford zurück, um dort zu sterben.«

Auch Charles Napier, ein anderer Heerführer aus den indischen Kämpfen, war ein Mann von außerordentlicher Tapferkeit und Entschlossenheit. Er selbst sagte einmal in Bezug auf die Schwierigkeiten, welche er auf einem seiner Feldzüge überwinden mußte: »Sie befähigen mich nur, noch nachdrücklicher aufzutreten.« Sein Sieg bei Miani war eine der außerordentlichsten Leistungen, von welchen die Weltgeschichte berichtet. Mit 2000 Mann, unter denen sich nur 400 Europäer befanden, griff er ein Heer von 35,000 kräftigen und wohlbewaffneten Belutschen an. Es war dies offenbar ein äußerst verwegenes Unternehmen; aber der General vertraute auf sich selber und auch auf seine Leute. Er versuchte das Centrum der Belutschen, das sich auf einem hohen Berge verschanzt hatte, zu erstürmen; und drei schreckliche Stunden hindurch tobte die Schlacht. Endlich mußten die Belutschen, obwohl sie zwanzig gegen einen waren, sich zurückziehen; doch blieben ihre Gesichter dem Feinde zugekehrt. Solche Tapferkeit, Zähigkeit und entschlossene Beharrlichkeit siegt im kriegerischen wie in jedem anderen Kampfe. Eine Kopfeslänge mehr gewinnt beim Rennen den Preis und beweist das Vollblut; ein Marsch mehr gewinnt den Feldzug; fünf weitere Minuten mutiger Ausdauer erringen den Sieg. Wenn du auch schwächer bist als dein Gegner, so vermagst du ihm doch gleichzukommen und ihn zu überwinden, wenn du länger beharrst und deine Kraft mehr konzentrierst. Als sich ein junger Spartaner bei seinem Vater beklagte, daß sein Schwert zu kurz wäre, antwortete der Alte: »So mache einen Schritt mehr!« Und das gilt auch für uns in allen Lagen des Lebens.

Napier verstand es vortrefflich, seinen Leuten seinen eigenen Heldengeist einzuflößen. Er ertrug dieselben Beschwerden wie die gemeinen Soldaten. »Das Geheimnis der Feldherrnkunst,« sagte er, »besteht darin, daß man an den Strapazen des Krieges seinen vollen Anteil nimmt. Wer an der Spitze eines Heeres steht, kann nur Erfolg haben, wenn er alle Kräfte seines Geistes auf seine Aufgabe richtet. Je größer die Schwierigkeiten sind, desto mehr Eifer muß gezeigt werden; je drohender die Gefahr erscheint, desto unerschrockener muß der Mut sein, der nicht eher rasten darf, als bis er sie überwunden hat.«

Ein junger Offizier, der unter Napier den Feldzug in dem Bergland von Cutch mitmachte, äußerte einmal: »Wie könnte ich junger und starker Mensch träge sein, wenn ich jenen alten Mann dort unermüdlich auf seinem Pferde sitzen sehe?! Ich würde mich einer geladenen Kanone entgegenwerfen, wenn er es mir geböte.« Als man Napier diese Worte wiederholte, sagte er, er fühle sich dadurch reichlich für alle Mühe belohnt. Die Anekdote, welche man von seiner Begegnung mit einem indischen Gaukler erzählt, kennzeichnet in treffender Weise sowohl seine Kaltblütigkeit, als auch die merkwürdige Harmlosigkeit und Redlichkeit seines Charakters. Nach Beendigung der indischen Kämpfe kam einst ein berühmter Gaukler in das englische Lager, um vor dem General, seiner Familie und seinem Stabe allerlei Kunststücke zu zeigen. Unter anderem hieb der Inder mit einem Streich seines Schwertes eine Limone oder Citrone entzwei, die sich in der Hand seines Gehilfen befand. Napier war der Ansicht, daß eine geheime Verabredung zwischen dem Gaukler und seinem Begleiter bestehe. Es erschien ihm unmöglich, daß man durch einen Schwertstreich einen so kleinen Gegenstand in der Hand eines Menschen zerteilen könne, ohne die Hand selbst zu berühren – obwohl Scott in seinem »Talismann« etwas Ähnliches erzählt. Um der Sache auf den Grund zu kommen, bot der General seine eigene Hand zu dem Experiment an und streckte den rechten Arm aus. Der Gaukler betrachtete aufmerksam die dargebotene Hand und sagte dann, daß er die Probe nicht machen wolle. »Aha! ich habe Euch durchschaut!« rief Napier. »Aber halt!« fuhr der andere fort; »zeigen Sie mir Ihre linke Hand!« Die Linke wurde ihm dargereicht; und der Mann sagte mit fester Stimme: »Wenn Sie den Arm steif halten, will ich das Kunststück ausführen.« – »Aber warum mit der linken Hand und nicht mit der rechten?« – »Weil Ihre rechte Hand in der Mitte vertieft ist, sodaß ich riskieren würde, Ihnen den Daumen abzuhauen. Die linke ist erhaben und daher die Gefahr minder groß.« Napier war bestürzt. »Ich erschrak,« sagte er; »denn ich sah nun, daß es sich hier wirklich um eine meisterhafte Führung des Schwertes handelte; und ich gestehe es ehrlich: hätte ich nicht zuvor den Mann im Angesicht meines Stabes geschmäht und selbst zu der Probe herausgefordert, so hätte ich jetzt gern auf das Kunststück verzichtet. Indessen nahm ich die Limone in die Hand und streckte den Arm steif aus. Der Gaukler wiegte sich in den Hüften und schlug dann mit einem raschen Streich die Limone in zwei Teile. Ich fühlte die Berührung der Schneide, als ob ein kalter Faden über meine Hand gezogen würde. So viel (fügte er hinzu) sei über die tapferen Krieger Indiens gesagt, die durch unsere wackeren Jungen bei Miani geschlagen wurden.«

Die jüngsten schrecklichen Kämpfe in Indien haben vielleicht mehr als irgend ein anderes Ereignis unserer Geschichte die entschlossene Energie und das hohe Selbstvertrauen des englischen Nationalcharakters hervortreten lassen. Obgleich die britische Regierung oft in thörichter Verblendung große Irrtümer beging, so hat die Nation es doch meistens durch einen nahezu erhabenen Heldenmut fertig gebracht, sich von den bösen Folgen derselben zu befreien. Als im Mai 1857 der indische Aufstand wie ein plötzlich eintretendes Gewitter losbrach, waren die britischen Streitkräfte auf ihr äußerstes Minimum herabgesetzt und standen, über ein ausgedehntes Gebiet verstreut, zum Teil in weit entlegenen Cantonnements.

Von den bengalischen Regimentern empörte sich eins nach dem anderen gegen seine Offiziere, um zu entweichen und auf Delhi loszurücken. Eine Provinz nach der anderen schloß sich der Meuterei und Empörung an; und von der Ost- bis zur Westgrenze erscholl ein allgemeiner Hilferuf. Überall befanden sich die Engländer in äußerster Bedrängnis – belagert und umringt, augenscheinlich unfähig, lange zu widerstehen. Ihre schließliche Niederlage erschien unvermeidlich: und die britische Herrschaft in Indien war dem Anschein nach so unrettbar verloren, daß man wie ehedem hätte sagen können: »Diese Engländer wissen niemals, wann sie geschlagen sind.« Menschlicher Berechnung nach hätten sie damals einem unvermeidlichen Geschick unterliegen müssen. Während der Ausgang des Aufstandes noch zweifelhaft erschien, befragte Holkar – einer der einheimischen Fürsten – einen Astrologen um die Zukunft. Die Antwort lautete: »Wenn alle Europäer bis auf einen erschlagen wären, so würde dieser eine bleiben und kämpfend das Land zurückerobern.« In dem dunkelsten Augenblick jenes Kampfes – als sich zu Lucknow eine Handvoll britischer Soldaten nebst etlichen Beamten und Frauen gegen eine empörte Stadt und Provinz zu behaupten suchte – selbst damals hörte man kein Wort der Verzweiflung, kam keinem der Gedanke an eine Übergabe. Obwohl die Bedrängten auf Monate von jeder Verbindung mit ihren Freunden abgeschnitten waren und nicht wußten, ob die Engländer Indien räumten oder behaupteten, so wurden sie doch keinen Augenblick in ihrem Glauben an den Mut und die Aufopferung ihrer Landsleute wankend. Sie wußten es, so lange in Indien noch eine unzersprengte Schar Engländer stand, würde man sie in ihrer Not nicht ohne Hilfe lassen. Sie dachten an keinen anderen Ausgang als eine Befreiung ans ihrer bedrängten Lage und einen schließlichen Sieg der englischen Sache. Und falls es zum Schlimmsten kommen sollte, so verlangten sie nichts Besseres, als auf ihrem Posten zu fallen und in der Ausübung ihrer Pflicht zu sterben. Brauchen wir den Leser an die Namen Havelock, Inglis, Neill und Outram zu erinnern? – an jene Männer von wahrhaftem Heldenmut, von deren jedem man mit Recht sagen könnte, daß er das Herz eines Helden, die Seele eines Gläubigen und die Geduld eines Märtyrers besessen? Montalembert sagte von ihnen, daß sie »der Menschheit alle Ehre machten.« Aber in jener schrecklichen Prüfungszeit bewiesen fast alle die gleiche Charaktergröße – die Frauen, die Beamten und Soldaten – vom General bis herunter zum Gemeinen und Trompeter. Es waren keine auserlesenen Truppen, sie setzten sich aus dem gewöhnlichen Volk zusammen, wie wir es täglich daheim auf den Straßen, in den Werkstätten, auf den Feldern und in den Wirtshäusern antreffen. Aber als das Unglück plötzlich über sie hereinbrach, zeigte jeder von ihnen eine Fülle persönlicher Fähigkeiten und Kräfte und verwandelte sich gleichsam in einen individuellen Helden.

»Nicht einer von ihnen,« sagt Montalembert, »erschrak oder erbebte – alle, das Militär und die Beamten, die Jungen und die Alten, die Feldherren und die Soldaten – leisteten Widerstand, kämpften und starben mit einer unerschütterlichen Fassung und Unerschrockenheit. In diesem Umstand offenbart sich der ungeheuere Wert einer tüchtigen Volkserziehung; denn durch eine solche werden die Engländer von Jugend auf daran gewöhnt, ihre Kraft und Freiheit zu gebrauchen, sich aneinander zu schließen, dem Feind zu widerstehen, nichts zu fürchten, über nichts zu erschrecken und sich durch eigene Kraft auch aus den schlimmsten Lebenslagen zu befreien.«

Wie man sagt, hat der individuelle Charakter des Sir John Lawrence die Eroberung Delhis und die Zurückgewinnung, Indiens bewirkt. Schon allein der Name »Lawrence« bedeutete in den nordwestlichen Provinzen eine Macht. Der Träger desselben stellte an sich selbst in Bezug auf Pflichttreue, Fleiß und persönliche Anstrengung die höchsten Anforderungen; und auf jeden, der unter ihm diente, schien etwas von seinem Geist überzugehen. Man sagte von ihm, daß sein Charakter allein so viel wert sei als eine Armee. Dasselbe hätte man von seinem Bruder, dem Sir Henry, sagen können, welcher die Pendschab-Armee organisierte, die bei der Erstürmung Delhis eine so hervorragende Rolle spielte. Beide Brüder flößten ihrer Umgebung das höchste Maß von Liebe und Vertrauen ein. Beide bewiesen jene zarte Rücksichtnahme, welche ein Grundelement des heroischen Charakters bildet. Beide lebten mitten unter ihren Leuten und übten den trefflichsten Einfluß auf sie aus. Vor allem aber – wie Col. Edwardes sagt – »gaben sie der männlichen Jugend ein Beispiel, welches von dieser in den verschiedensten Berufsarten nachgeahmt wurde. Sie schufen eine Religion und bildeten Jünger heran, die noch heutigen Tages leben.« Sir John Lawrence hatte neben sich Männer wie Montgomery, Nicholson, Cotton und Edwardes, die ebenso energisch, entschlossen und hochherzig waren wie er selbst. John Nicholson war einer der schönsten, tapfersten und edelsten Männer – »jeder Zoll ein ›Hakim‹,« wie die Eingeborenen sagten; »ein Turm der Kraft,« wie ihn Lord Dalhousie charakterisierte. In welcher Eigenschaft er auch auftrat, immer war er groß, weil er stets mit ganzer Seele und ganzer Kraft bei der Sache war. Eine Gesellschaft von Fakiren begann – von ihrer enthusiastischen Bewunderung für diesen Mann hingerissen – den großen »Niktil-Seyn« als Heiligen zu verehren; und obwohl er einige von ihnen für diese Thorheit bestrafte, vermochte er sie doch nicht davon zu heilen. Einen Beweis seiner unerschütterlichen Energie und Beharrlichkeit gab er bei der Verfolgung des meuterischen 55. Seapoy- (Sipahi-) Regiments, bei welcher er zwanzig Stunden hintereinander im Sattel saß und mehr als siebzig Meilen zurücklegte. Als die Feinde ihr Banner in Delhi aufpflanzten, strengten Lawrence und Montgomery – auf die Unterstützung der Pendschabbewohner rechnend, deren Bewunderung und Vertrauen sie zu gewinnen wußten – jeden Nerv an, um ihre eigene Provinz in vollkommener Ordnung zu erhalten; während sie alle brauchbaren Soldaten – Europäer und Sikhs – gegen die Stadt entsandten. Sir John schrieb dem Oberbefehlshaber der vor Delhi stehenden Truppen, er möchte »den Rebellen so dicht als möglich auf den Hals rücken« – indes sich in Eilmärschen das Hilfsheer unter Nicholson näherte, »dessen Schlachtroß mit seinen Hufschlägen das Nahen des Feldherrn schon auf Meilen voraus verkündete« – wie später ein rauher Sikhkrieger weinend an seinem Grabe versicherte. Die Belagerung und Erstürmung Delhis ist eines der berühmtesten Ereignisse dieses Riesenkampfes – obwohl die Berennung Lucknows, bei welcher sich das bloße Skelett eines britischen Regiments (des zweiunddreißigsten) unter dem heldenmütigen Inglis sechs Monate hindurch gegen zweihunderttausend bewaffnete Feinde verteidigte, vielleicht ein noch lebhafteres Interesse in Anspruch nimmt. Auch bei Delhi waren die Briten – wenn auch dem Namen nach die Belagerer – doch in Wirklichkeit die Belagerten. Sie waren nur eine Handvoll Leute im offenen Felde – aus Europäern und Eingeborenen bestehend – nicht mehr als 3700 Bajonette stark; und sie wurden täglich von einem Rebellenheer angegriffen, das zu einer Zeit 75,000 Mann zählte, die von englischen Offizieren an europäische Disciplin gewöhnt waren und fast unerschöpfliche Kriegsvorräte besaßen. Die heldenhafte kleine Schar lagerte sich vor der Stadt unter den sengenden Strahlen der tropischen Sonne. Weder die Schrecken des Todes noch Verwundungen oder Fieber konnten diese mutigen Männer in ihrem Entschluß wankend machen. Dreißigmal wurden sie von einer gewaltigen Übermacht angegriffen; und dreißigmal trieben sie die Feinde in ihre Verschanzungen zurück. Der Kapitän Hodson – einer der Tapfersten aus jenem Kampfe – sagte: »Ich wage zu behaupten, daß keine andere Nation der Welt hier standgehalten haben oder einer Niederlage entgangen sein würde, wenn sie den Versuch gemacht hätte.« Nicht einen Augenblick verzagten diese Helden an ihrer Aufgabe, mit erhabener Ausdauer hielten sie daran fest, kämpften weiter und ruhten nicht eher, als bis sie durch die »todbringende Bresche« als Sieger in die Stadt drangen und das englische Banner von neuem auf Delhis Mauern entfalteten. Alle zeigten sich hier groß – die Gemeinen, die Offiziere, die Feldherren. Einfache Soldaten, die an ein mühevolles Leben gewöhnt, und junge Offiziere, die im Luxus aufgewachsen waren, sie alle erwiesen sich hier als echte Männer und gingen aus der schrecklichen Prüfung mit gleichen Ehren hervor. Die natürliche Kraft und Tüchtigkeit des englischen Volkscharakters, der englischen Volkserziehung und Mannszucht hat sich nie glänzender bewährt als hier, wo der deutliche Beweis geliefert wurde, daß Englands größte Produkte noch immer seine Männer sind. Jenes ruhmreiche Kapitel unserer Geschichte hat zwar einen ungeheueren Preis gekostet; aber wenn die Überlebenden und die nach uns Kommenden sich daran eine Lehre und ein Beispiel nehmen, so ist der Preis nicht zu hoch gewesen.

Indessen haben in Indien und anderen Ländern des Orients Männer aus verschiedenen Nationen ebensoviel Energie und Mut auch in anderen Berufsarten bewiesen, die friedlicher und wohlthätiger waren als das Kriegsgewerbe. Während man die Helden des Schwertes feiert, darf man die Helden des Evangeliums nicht vergessen. Von Xaver bis auf Martyn und Williams giebt es eine lange Reihe berühmter Missionare, die sich mit erhabener Selbstverleugnung ihrer Aufgabe widmeten – ohne einen Gedanken an weltliche Ehre – einzig von dem Wunsche beseelt, ihre verlorenen und gefallenen Brüder zu suchen und zu retten. Voll unerschütterlichen Mutes und unerschöpflicher Geduld haben sie allen Entbehrungen, Gefahren und Seuchen getrotzt – haben Mühen, Beschwerden und Leiden ertragen und dabei frohlockend ihren Weg fortgesetzt, um selbst den Märtyrertod mit Freuden zu begrüßen. Einer der ersten und berühmtesten dieser Männer war Franz Xaver. Von vornehmer Geburt – in der Lage, Vergnügen, Macht und Ehre zu genießen – bewies er doch durch sein Leben, daß es ein höheres Ziel giebt als eine hervorragende Stellung und edlere Bestrebungen als die Jagd nach Reichtümern. Er war in seinem Benehmen und in seiner Gesinnung ein echter Edelmann – tapfer, ehrenhaft, großmütig; leicht lenkbar und doch fähig, selbst zu regieren; leicht zu entflammen und doch imstande, andere mit sich fortzureißen; im höchsten Grade geduldig, entschlossen und energisch. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren erwarb er seinen Unterhalt als Magister der Philosophie an der Universität zu Paris. Dort wurde er der vertraute Freund und Genosse Loyolas; und bald danach führte er die erste kleine Proselytenschar auf ihrer Pilgerschaft nach Rom an.

Als Johann III. in den seiner Herrschaft unterworfenen indischen Gebieten das Christentum einzuführen beschloß, wurde zuerst Bovadilla als Missionar erwählt; da derselbe jedoch erkrankte, mußte man eine andere Wahl treffen und verfiel nun auf Xaver. Nachdem dieser seine zerrissene Soutane ausgebessert, machte er sich mit keinem anderen Gepäck als seinem Brevier auf den Weg nach Lissabon und schiffte sich dort nach dem Orient ein. Das Fahrzeug, mit welchem er nach Goa absegelte, hatte den Gouverneur an Bord – nebst einer Verstärkung von tausend Mann für die Garnison jener Stadt. Obgleich man Xaver eine Kabine zur Verfügung gestellt hatte, schlief er doch während der ganzen Reise auf dem Verdeck, wobei sein Haupt auf einem zusammengerollten Tau ruhte; auch teilte er die Mahlzeiten der Matrosen. Da er sich um ihre geistige und körperliche Pflege kümmerte, unschuldige Vergnügungen für sie erfand und sie bei Krankheitsfällen pflegte, gewann er sich ihre Herzen und wurde von ihnen mit Verehrung betrachtet.

Bei seiner Ankunft in Goa erschrak Xaver über die Sittenlosigkeit der Einwohner – sowohl der Ansiedler als auch der Eingeborenen. Denn die Europäer hatten, ungehindert durch die Schranken der Civilisation, ihre Laster in die Kolonie eingeführt, und die Inder waren nur zu sehr geneigt gewesen, das schlechte Beispiel nachzuahmen. Mit einem Glöckchen läutend, durchwanderte Xaver die Straßen der Stadt und beschwor die Menschen, ihre Kinder von ihm unterrichten zu lassen. Es gelang ihm in kurzer Zeit, eine große Schülerschar um sich zu sammeln, die er Tag für Tag sorgfältig unterwies; wobei er doch nicht versäumte, die Kranken, die Aussätzigen und die Elenden aller Stände regelmäßig zu besuchen, um ihre Leiden zu lindern und ihnen die göttliche Wahrheit zu verkündigen. Kein Schrei menschlichen Jammers, der sein Ohr erreichte, blieb unbeachtet. Als er von der Armut und sittlichen Erniedrigung der Perlfischer von Manaar hörte, begab er sich sogleich zu ihnen; und sein Glöckchen erscholl wiederum als ein Ruf der Gnade. Er taufte und lehrte – letzteres mit Hilfe von Dolmetschern. Aber sein wirksamster Unterricht war die Barmherzigkeit, mit welcher er der Not und dem Elend der Unglücklichen abhalf.

Mit seinem Glöckchen in der Hand wanderte er die Küste von Komorin entlang und rief in den Städten und Dörfern, den Tempeln und Bazaren die Eingeborenen zusammen, um ihnen Unterricht zu erteilen. Er hatte den Katechismus, das apostolische Glaubensbekenntnis, die Gebote, das Vaterunser und etliche Kirchenlitaneien ins Indische übersetzt und beschloß nun, dies alles dem Gedächtnis der Eingeborenen einzuprägen. Er sprach den Kindern die heiligen Worte in ihrer Muttersprache so lange vor, bis sie dieselben auswendig wußten; dann entließ er sie mit der Weisung, das Gelernte daheim auch den Eltern und Nachbarn mitzuteilen. Am Kap Komorin erwählte er dreißig Lehrer, welche unter seiner Leitung dreißig christlichen Kirchen vorstanden, die freilich ein äußerst bescheidenes Aussehen hatten und in den meisten Fällen nur Hütten waren, auf deren Dach man ein Kreuz aufgerichtet. Von dort ging er nach Travancore, in jedem Dorfe sein Glöckchen schwingend; überall die Menschen taufend, bis ihm die Hände vor Müdigkeit herabsanken; unaufhörlich seine Formeln wiederholend, bis ihm die Stimme den Dienst versagte. Nach seinem eigenen Bericht übertraf der Erfolg seiner Mission seine höchsten Erwartungen. Sein reines, ernstes, schönes Leben und die unwiderstehliche Beredsamkeit seiner Thaten erweckten ihm Jünger, wo er auch hinkam; und durch die bloße Wirkung der Sympathie ging auf diejenigen, die ihn sahen oder ihm lauschten, unmerklich ein Teil seines Eifers über.

Bedrückt durch das Wort: »Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter« – segelte Xaver zunächst nach Malakka und Japan, wo er ganz neue Menschenrassen antraf, die unbekannte Sprachen redeten. Das Beste, was er hier zu thun vermochte, war zu weinen und zu beten, den Kranken die Pfühle zu glätten und bei ihnen zu wachen – wobei er zuweilen den Ärmel seines Chorhemds in Wasser tauchte, um ein paar Tropfen herauszupressen und die Sterbenden damit zu taufen. Alles erhoffend, nichts fürchtend, wurde dieser wackere Kämpe der Wahrheit durch Glauben und Energie aufrecht erhalten und auf seinem Wege weitergeführt. »Welche Form des Todes oder der Tortur mich auch erwartet,« sagte er, »ich bin bereit, eins wie das andere zehntausendmal zu erdulden, wenn ich dadurch eine einzige Seele erretten kann.« Er kämpfte mit Hunger, Durst, Entbehrungen und Gefahren aller Art, indem er rastlos und unermüdlich seine Mission der Liebe erfüllte. Endlich starb nach elfjährigem Wirken dieser große und vortreffliche Mann – während er sich auf der Reise nach China befand – auf der Insel Sancian an einem bösartigen Fieber und erwarb sich so die Märtyrerkrone. Einen Helden, der edler, reiner, selbstverleugnender und mutiger gewesen wäre, hat unsere Erde wohl nie getragen.

Andere Missionare sind Xaver auf demselben Arbeitsfelde nachgefolgt – z. B. Schwartz, Carey und Marshman in Indien; Gützlaff und Morrison in China; Williams in der Südsee: Campbell, Moffatt und Livingstone in Afrika. John Williams, der Märtyrer von Erromanga, war ursprünglich Lehrling in einem Eisen- und Klempnergeschäft. Obgleich er als Knabe für unbegabt galt, war er in seinem Gewerbe flink und brauchbar, sodaß ihm sein Lehrherr jede Arbeit anvertraute, die eine mehr als gewöhnliche Geschicklichkeit erforderte. Es machte ihm auch Vergnügen, Klingelzüge anzubringen und andere Geschäfte zu besorgen, die ihn nicht an den Laden fesselten. Das zufällige Anhören einer Predigt gab seinem Geist eine ernste Richtung, und er wurde Lehrer an einer Sonntagsschule. Als bei einer seiner religiösen Versammlungen die Frage der Mission zur Sprache kam, beschloß er, sich selbst dieser Aufgabe zu widmen. Die Londoner Missionsgesellschaft war bereit, ihn in ihre Dienste zu nehmen; und auf seinen Wunsch entließ ihn sein Prinzipal vor Ablauf der Lehrzeit aus dem Geschäft. Die Inseln des Stillen Oceans waren der Hauptschauplatz seiner Thätigkeit – besonders Huahine im Tahiti-Archipel, sowie Raiatea und Rarotonga. Gleich den Aposteln ernährte er sich durch seiner Hände Arbeit – als Schmied, Gärtner und Schiffszimmermann; und während er die Insulaner in den Wahrheiten der Religion unterrichtete, bemühte er sich gleichzeitig, sie die Kunstfertigkeiten der civilisierten Völker zu lehren. Mitten in seinem rastlosen Schaffen wurde er – als einer der würdigsten Gewinner der Märtyrerkrone – von den Wilden am Strande von Erromanga erschlagen.

Einer der interessantesten Lebensläufe ist der des Dr. Livingstone. Er selbst hat ihn in jener bescheidenen und anspruchslosen Weise beschrieben, die eine hervorragende Eigentümlichkeit seines Charakters bildet. Seine Vorfahren waren arme, aber redliche Hochlandbewohner; und von einem derselben, der in seiner Gegend wegen seiner Weisheit und Erfahrung berühmt war, erzählt man, daß er, auf seinem Sterbebette liegend, alle seine Kinder um sich versammelte, um ihnen als einziges Vermächtnis Worte der Weisheit zu hinterlassen. »Während meines Lebens,« sagte er, »habe ich eifrig nach alten Überlieferungen unserer Familie geforscht; und ich habe unter unseren Vorfahren nicht einen einzigen unredlichen Mann entdecken können. Wenn also einer von euch oder euren Nachkommen auf böse Wege geraten sollte, so ist das nicht ein Erbteil unseres Blutes; denn die Unredlichkeit liegt nicht in unserer Art. Ich hinterlasse euch daher diese Mahnung: Seid rechtschaffen!«

Mit zehn Jahren kam Livingstone als »Ansetzer« in eine Baumwollenspinnerei bei Glasgow. Mit einem Teil seines ersten Wochenlohns kaufte er sich eine lateinische Grammatik; und dann warf er sich auf das Studium dieser Sprache, das er in einer Nachtschule jahrelang fortsetzte. Um sich seine Lektionen einzuprägen, saß er abends bis zwölf Uhr und wohl noch länger auf; aber oft schickte ihn seine Mutter früher zu Bett; denn er mußte um sechs Uhr morgens schon wieder in der Fabrik und bei der Arbeit sein. Auf solche Weise bewältigte er seinen Virgil und Horaz und las auch – mit Ausnahme von Romanen – mit großer Gründlichkeit alle Bücher, die ihm in die Hände kamen – besonders wissenschaftliche Werte und Reisebeschreibungen. Seine sparsam bemessene Mußezeit füllte er mit botanischen Studien aus, indem er die Nachbarschaft durchstreifte und Pflanzen sammelte.

Er brachte es sogar fertig, inmitten des sausenden Lärms der Maschinen zu lesen. Er legte zu dem Zweck das Buch so auf den Spinnstuhl, daß er bei der Bedienung desselben Satz um Satz überfliegen konnte. Auf solche Art erwarb sich der fleißige Knabe viele nützliche Kenntnisse; und als er älter wurde, ergriff ihn das lebhafte Verlangen, ein Apostel der Heiden zu werden. In dieser Absicht suchte er sich auch medizinisches Wissen anzueignen, um für den ersehnten Beruf geschickter zu sein. Er machte Ersparnisse von seinem Lohn und brachte so viel Geld zusammen, daß er davon mehrere Winter hindurch leben konnte – während welcher Zeit er den medizinischen, griechischen und theologischen Vorlesungen an der Glasgower Universität beiwohnte. In den übrigen Monaten des Jahres dagegen arbeitete er als Baumwollenspinner. So hat er sich während seines Universitätsstudiums vollkommen selbständig durch seine Fabrikarbeit unterhalten und nie einen Heller Unterstützung von irgend einer Seite empfangen. »Wenn ich jetzt auf jene arbeitsreiche Zeit zurückblicke,« sagt er mit vollkommener Aufrichtigkeit, »so kann ich nur Befriedigung darüber empfinden, daß sie einen so wesentlichen Anteil an meiner Jugenderziehung hatte. Und wäre es möglich, daß ich mein Leben noch einmal von vorne anfangen könnte, so möchte ich es in derselben niedrigen Sphäre beginnen und dieselbe harte Schule zum zweitenmal durchmachen.« Endlich war er mit seinem medizinischen Studium fertig, schrieb seine lateinischen Thesen, bestand die Prüfungen und wurde als Licentiat zu der Fakultät der Ärzte und Wundärzte zugelassen. Zuerst dachte er daran, nach China zu gehen; aber der Krieg, den England damals mit jenem Lande führte, hielt ihn von der Ausführung seines Planes zurück. Als er dann seine Dienste der Londoner Missionsgesellschaft anbot, wurde er von derselben nach Afrika geschickt, welches er im Jahre 1840 erreichte. Er hatte die beabsichtigte Reise nach China aus eigenen Mitteln machen wollen und sagt, es sei ihm peinlich gewesen, auf Kosten der Londoner Missionsgesellschaft nach Afrika zu reisen, »weil er bisher einen Stolz darein gesetzt, allein für sich zu sorgen und von keinem anderen abhängig zu sein.« Sobald er in Afrika angekommen war, ging er mit großem Eifer an sein Werk. Er konnte den Gedanken, daß er nur einfach die Arbeiten anderer Missionare aufnehmen und weiterführen sollte, nicht ertragen und schuf sich daher einen großen, selbständigen Wirkungskreis, auf welchen er sich dadurch vorbereitete, daß er sich nicht nur im Lehren, sondern auch im Häuserbau und anderen handwerksmäßigen Beschäftigungen übte, die ihn – nach seinen eigenen Worten – »gewöhnlich ebenso müde machten und ihm das abendliche Studium ebenso sehr erschwerten als dies ehedem seine Arbeit in der Baumwollenspinnerei gethan.« Während er als Missionar unter den Betschuanen wirkte; grub er Kanäle, baute Häuser, bestellte Felder, zog Vieh auf und unterrichtete die Eingeborenen sowohl in der Arbeit als auch in der Religion. Als er einst mit einer Betschuanenschar eine lange Fußreise antrat, hörte er zufällig, wie seine Begleiter sich über ihn unterhielten und über sein Aussehen und seine Körperkräfte urteilten. »Er ist nicht stark,« sagten sie; »er ist ganz hager und sieht nur so kräftig aus, weil er in jenen Säcken (Hosen) steckt. Er wird bald zusammenbrechen.« Diese Worte machten das Blut des Missionars aus dem Hochlande wallen, sodaß er aller Anstrengungen spottete und es tagelang an Schnelligkeit und Ausdauer allen zuvorthat – bis er hörte, daß sie von seinen Fußgängerleistungen mit gebührender Achtung redeten. Was er in Afrika vollbracht, und wie er dort gearbeitet, erfahren wir durch seine »Missionsreisen,« eins der anziehendsten derartigen Bücher, die je der Öffentlichkeit übergeben worden sind. Eine seiner jüngsten Thaten kennzeichnet den ganzen Mann. Da der Versuch mit dem Dampfboot »Birkenhead,« das er nach Afrika herübergebracht, mißlungen war, so bestellte er in der Heimat einen neuen Dampfer zum Preise von 2000 Pfund. Diese Summe gedachte er von dem Gelde zu bezahlen, welches er für seine Reisebeschreibungen eingenommen und ursprünglich für seine Kinder zurückgelegt hatte. »Die Kinder müssen sich schon selber durchbringen,« schrieb er, als er den Seinigen mitteilte, zu welchem Zweck das Geld verwendet werden sollte.

Die Laufbahn John Howards veranschaulicht in gleicher Weise die Macht eines beharrlichen Willens. Sein erhabenes Leben hat bewiesen, daß selbst ein physisch schwacher Mensch Berge zu versetzen vermag, wenn er ein durch die Pflicht gestecktes Ziel verfolgt. Der Wunsch, die Lage der Gefangenen zu verbessern, beherrschte alle seine Gedanken mit der Gewalt einer Leidenschaft; und weder Mühen noch Gefahren oder körperlichen Leiden konnten ihn von dieser großen Aufgabe seines Lebens abziehen. Obgleich er kein Genie war und nur eine mittelmäßige Begabung besaß, so war sein Herz doch rein und sein Wille stark. Schon bei Lebzeiten hatte er bedeutende Erfolge; und sein Einfluß starb nicht mit ihm, sondern dauerte fort bis auf den heutigen Tag und hat nicht nur auf die Gesetzgebung Englands, sondern auch auf die aller anderen civilisierten Völker mächtig eingewirkt.

Auch Jonas Hanway gehört zu den vielen geduldigen und fleißigen Männern, welche England zu dem gemacht haben, was es ist – zu jenen Männern, die sich daran genügen ließen, die ihnen zuerteilte Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen; und die sich dankbar zur Ruhe legten, wenn dieselbe vollbracht war –

»Als einzig Denkmal lassend eine Welt,
Gebessert durch ihr Leben.«– – –

Er wurde im Jahre 1712 zu Portsmouth geboren. Der Vater – einer der Lageraufseher des Seemagazins – kam durch einen unglücklichen Zufall ums Leben, als der Sohn noch sehr jung war. Die Mutter begab sich darauf mit ihren Kindern nach London, wo sie dieselben zur Schule schickte und sich schwer abmühte, um sie anständig erziehen zu können. Mit siebzehn Jahren wurde Jonas nach Lissabon geschickt und in einem Geschäft untergebracht, wo er sich durch seine kaufmännische Genauigkeit, Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Rechtschaffenheit bald die Achtung und das Vertrauen aller derer erwarb, die mit ihm bekannt wurden. Als er im Jahre 1743 nach London zurückkehrte, bot ihm ein englisches Kaufmannshaus in St. Petersburg, das sich um den damals noch in den Kinderschuhen steckenden kaspischen Handel bemühte, eine Association mit der Firma an, auf welche Hanway auch einging. In der Absicht, das Geschäft zu erweitern, begab er sich nach Rußland; und bald nach seiner Ankunft in der Hauptstadt des Zarenreichs brach er mit einer Karawane, die zwanzig Wagenladungen englischer Tuchballen mit sich führte, nach Persien auf. Von Astrachan segelte er nach Astrabad an der südöstlichen Küste des Kaspischen Meeres. Kaum aber hatte er seine Ballen an Land gebracht, so brach ein Aufruhr aus, bei welchem ihm seine Waren geraubt wurden. Zwar erlangte er den größten Teil derselben später zurück, aber der Erfolg seines Unternehmens war unter diesen Umständen nur gering. Da er Kenntnis von einer Verschwörung erhielt, durch die man sich seiner Person und seiner Begleiter bemächtigen wollte, so ging er zu Schiff und erreichte nach Überstehung großer Gefahren glücklich die persische Provinz Ghilan. Diese Rettung ließ ihn zum erstenmal an die Worte denken, die er danach zum Wahlspruch seines Lebens machte: »Verzweifle nie!« Später lebte er fünf Jahre in St. Petersburg, wo er ein blühendes Geschäft betrieb. Da er aber von einem Verwandten etwas erbte, und da auch seine eigenen Mittel sich beträchtlich vermehrt hatten, so verließ er Rußland und kehrte im Jahre 1750 in sein Vaterland zurück. Sein Zweck dabei war – wie er sich selbst ausdrückte – »seine Gesundheit zu berücksichtigen (die außerordentlich zart war) und sich und anderen möglichst viel Gutes zu erzeigen.« Während seines übrigen Lebens wirkte er in thätiger Weise zum Wohl und Nutzen seiner Mitmenschen. Eine der nützlichen Einrichtungen, an deren Zustandekommen er Anteil hatte, war die Ausbesserung der in die Hauptstadt mündenden Landstraßen, die er zum großen Teil durchsetzte. Als sich im Jahre 1755 das Gerücht von einem bevorstehenden Einfall der Franzosen verbreitete, überlegte Hanway, auf welche Weise man am besten die Marinetruppen vollzählig erhalten könnte. Er bewirkte eine Zusammenkunft von Kaufleuten und Schiffseigentümern auf der »königlichen Börse« und schlug denselben dort vor, sich zu einer Gesellschaft zu konstituieren, welche Freiwillige der Landarmee und junge Burschen so ausrüstete, daß sie an Bord der königlichen Schiffe gehen könnten. Sein Vorschlag wurde mit Enthusiasmus aufgenommen, es bildete sich eine derartige Gesellschaft; es wurden Offiziere ernannt, und Herr Hanway erhielt die Oberleitung des ganzen Unternehmens. So entstand im Jahre 1756 die Marinegesellschaft – ein Institut, das der Nation großen Vorteil gebracht hat und ihr noch bis auf den heutigen Tag von wesentlichem Nutzen ist. Schon in den ersten sechs Jahren nach ihrer Gründung wurden 5451 Schiffsjungen und 4787 Freiwillige von der Gesellschaft für den Seedienst ausgebildet und ausgestattet, und noch heute ist sie in voller Thätigkeit, indem sie jährlich etwa 600 arme Knaben durch eine sorgfältige Erziehung zu Seeleuten heranbildet, die größtenteils auf Kauffahrteischiffen Verwendung finden.

Den übrigen Teil seiner freien Zeit füllte Herr Hanway damit aus, daß er wichtige öffentliche Einrichtungen in der Hauptstadt veranlaßte oder die bestehenden verbessern half. Von jeher interessierte er sich lebhaft für das vor vielen Jahren von Thomas Coram gegründete Findelhaus, welches leidet dadurch, daß es viele gewissenlose Eltern ermutigte, ihre Kinder der öffentlichen Wohlthätigkeit zu überlassen, mehr Schaden als Nutzen zu stiften drohte. Hanway beschloß, diesem Übel zu steuern, und stellte sich dadurch in einen schroffen Gegensatz zu der damals gerade in Mode stehenden Art von Philantropie. Indem er konsequent an seinem Vorsatz festhielt, gelang es ihm endlich, die Wohlthätigkeit auf ihr richtiges Maß zu beschränken, und Zeit und Erfahrung haben gelehrt, daß er daran wohlgethan. Das Magdalenen-Hospital wurde hauptsächlich durch seine Bemühungen gegründet. Aber am thätigsten und dauerndsten wirkte er für die Kinder der Stadtarmen. Das Elend und die Vernachlässigung, worin diese Kleinen aufwuchsen, und die unter ihnen herrschende Sterblichkeit waren schreckenerregend, und doch machte sich durchaus nicht – wie im Fall der Findelkinder – in den tonangebenden Kreisen eine Bewegung zur Abhilfe ihrer Leiden bemerkbar. Jonas Hanway aber widmete sich der Aufgabe mit seiner ganzen Energie. Allein und ohne Beistand stellte er, zunächst durch persönliche Untersuchungen den Umfang des Übels fest. Er besichtigte die Wohnungen der ärmsten Klassen der Londoner Bevölkerung, besuchte die Pflegebefohlenen der Hospitäler und orientierte sich genau über die Einrichtung aller Arbeitshäuser in und bei London. Darauf bereiste er Frankreich und Holland und sah sich auch dort die Armenhäuser an, um etwaige Verbesserungen kennen zu lernen und sie später in der Heimat einzuführen. Hiermit beschäftigte er sich fünf Jahre, und als er nach England zurückkehrte, veröffentlichte er die Resultate seiner Forschungen. Die Folge davon war, daß viele Arbeitshäuser umgestaltet und verbessert wurden. Im Jahre 1761 veranlaßte er eine Parlamentsakte, durch die jedes Londoner Kirchspiel angehalten wurde, ein Jahresregister aller aufgenommenen, ausgeschiedenen und verstorbenen Kinder zu führen, und er trug selbst dafür Sorge, daß diese Akte auch durchgeführt wurde, indem er scharf und unermüdlich die betreffenden Beamten kontrollierte. Des Morgens ging er aus einem Arbeitshause in das andere, am Nachmittag von einem Parlamentsmitglied zum anderen, und das that er Tag für Tag, Jahr für Jahr, indem er geduldig jede Zurückweisung ertrug, jedem Einwand begegnete und sich jeder Laune anpaßte. Endlich erwirkte er durch eine Beharrlichkeit ohnegleichen und eine fast zehnjährige Bemühung unter pekuniären Opfern eine neue Akte, welche bestimmte, daß alle Kinder von Gemeindearmen, die zu Kirchspielen mit besonders großer Sterblichkeit gehörten, bis zu ihrem sechsten Lebensjahre nicht in Arbeits- oder Armenhäusern, sondern in einer gewissen Entfernung von London auf dem Lande aufgezogen werden sollten – und zwar unter der Aufsicht einer alle drei Jahre wechselnden Vormundschaft. Die armen Leute nannten dies Gesetz »die Akte der Kinderrettung;« und eine Vergleichung der Kirchenregister der folgenden Jahre mit denen der vorausgehenden Zeit bewies, daß Tausende von Leben durch die verständige Fürsorge dieses trefflichen und gefühlvollen Mannes erhalten worden waren.

Wo es sich in London um ein menschenfreundliches Werk handelte, war auch Jonas Hanways Hand sicherlich dabei thätig. Eins der ersten Gesetze, die zum Schutz der Schornsteinfeger-Lehrlinge erlassen wurden, ist auf seinen Einfluß zurückzuführen. Ein verheerendes Feuer, das in Montreal, und ein anderes, das in Bridgetown auf Barbados wütete, veranlaßte ihn, zu rechter Zeit eine Subskription zu Gunsten der Geschädigten zu veranstalten. Sein Name stand auf jeder Sammelliste, und seine Uneigennützigkeit und Aufrichtigkeit wurden allgemein anerkannt. Aber man wollte ihn nicht sein ganzes ohnehin kleines Vermögen im Dienste seiner Mitmenschen verbrauchen lassen. Fünf angesehene Londoner Bürger, an deren Spitze der Banquier Hoare stand, machten ohne Hanways Vorwissen in corpore dem damaligen Premierminister – dem Lord Bute – ihre Aufwartung und baten im Namen ihrer Mitbürger, daß die Regierung von den uneigennützigen Diensten, die der treffliche Mann dem Vaterlande geleistet, Notiz nehmen möchte. Das Resultat dieser Unterredung war, daß Herr Hanway einen Kommissärposten am Proviantamt der Marine erhielt.

In seinen letzten Lebensjahren war Jonas Hanway sehr kränklich; aber obwohl er es für nötig erachtete, seine Stelle am Proviantamt aufzugeben, so mochte er doch nicht müßig sein, sondern wirkte für die Einrichtung von Sonntagsschulen, die damals noch wenig verbreitet waren – oder für die Unterstützung armer Neger, von denen viele vollkommen mittellos die Straßen der Hauptstadt durchwanderten – oder für die Linderung der Leiden irgend einer vernachlässigten und im Elend lebenden Gesellschaftsklasse. Wenngleich mit menschlichem Jammer in allen seinen Gestalten vertraut, war er doch einer der fröhlichsten Menschen, und ohne diese Fröhlichkeit wäre er bei seinem schwachen Körper wohl kaum imstande gewesen, ein so großes Maß freiwillig übernommener Arbeit zu bewältigen. Er fürchtete nichts so sehr als die Unthätigkeit. Trotz seiner Schwächlichkeit war er kühn und standhaft und besaß einen hohen moralischen Mut. Man wird uns vielleicht für kleinlich halten, wenn wir erwähnen, daß er der erste Engländer war, der mit einem aufgespannten Regenschirm durch die Straßen Londons zu gehen wagte. Aber möge es doch heute irgend ein Londoner Kaufmann versuchen, mit einem spitzen chinesischen Hut auf dem Kopfe Cornhill zu passieren! Er würde dabei sicherlich die Entdeckung machen, daß die Ausführung eines solchen Unternehmens keinen geringen moralischen Mut erfordert. Nach dreißigjähriger Benutzung seines Regenschirms erlebte es Herr Hanway schließlich, daß der Artikel allgemein in Aufnahme kam. Hanway war ein Mann von strengster Ehrenhaftigkeit, Wahrheitsliebe und Rechtschaffenheit; auf sein Wort konnte man sich jederzeit verlassen. Für den Charakter redlicher Kaufleute empfand er eine an Ehrfurcht grenzende Hochachtung und wurde dadurch zuweilen zu Lobsprüchen veranlaßt, mit denen er sonst sehr sparsam war. Er handelte aber auch nach seinen Grundsätzen und war als Kaufmann wie auch später als Proviantkommissär tadellos in seiner Führung. Er nahm von seiten der Lieferanten nicht die geringste Gunst an. Sandte man ihm ein Geschenk auf das Proviantamt, so pflegte er es höflichst mit dem Bemerken zurückzuweisen, »er hätte es sich zur Regel gemacht, von Personen, die mit dem Proviantamt in Verbindung ständen, nicht das Geringste anzunehmen.« Als es mit seinen Kräften zu Ende ging, bereitete er sich auf seinen Tod mit solch einer Heiterkeit vor, als ob es sich um eine Reise über Land handelte. Er schickte zu allen Krämern und Kaufleuten, denen er etwas schuldete, und ließ sein Konto begleichen; er nahm Abschied von seinen Freunden, ordnete seine Angelegenheiten, bestimmte alles Nähere über sein Begräbnis und verschied dann heiter und friedlich in seinem vierundsiebzigsten Jahre. Das Vermögen, welches er hinterließ, belief sich noch nicht auf zweitausend Pfund, und da er keine bedürftigen Verwandten besaß, so wurde es nach seinem letzten Willen unter mehrere Waisenkinder und arme Leute verteilt, mit denen er sich bei seinen Lebzeiten befreundet hatte. Dies ist die kurzgefaßte Biographie Jonas Hanways – eines der redlichsten, thatkräftigsten, arbeitsamsten und hochherzigsten Männer, die je gelebt.

Das Leben Granville Sharps ist ein ebenso frappantes Beispiel für die Macht, welche der individuellen Energie innewohnt – eine Macht, die sich in diesem Falle auf jene edle Schar von Männern übertrug, die bei der Abschaffung des Sklavenhandels thätig waren, und zu deren hervorragendsten Mitgliedern Clarkson, Wilberforce, Buxton und Brougham gehörten. Aber wieviel diese Männer auch für die große Sache gethan, Granville Sharp ging ihnen voran und hat sie wohl auch an Beharrlichkeit, Energie und Unerschrockenheit übertroffen. Er begann seine Laufbahn als Lehrling in einem Leinwandladen am Towerhill; aber nach Ablauf seiner Lehrzeit verließ er das Geschäft und nahm eine Schreiberstelle am Zeughaus an. Während er diesen bescheidenen Posten bekleidete, arbeitete er in seinen Mußestunden an dem Werk der Negeremancipation. Schon als Lehrling war er schnell bereit, sich jeder freiwilligen Arbeit zu unterziehen, die einen guten Zweck hatte. Während er das Leinwandgeschäft erlernte, hatte er mit einem anderen Lehrling, der in demselben Hause wohnte und Unitarier war, häufig wiederkehrende Debatten über religiöse Fragen. Der junge Unitarier behauptete, daß Granvilles trinitarische Mißdeutung verschiedener Bibelstellen von seiner Unkenntnis der griechischen Sprache herrühre. Das hatte zur Folge, daß Granville sich in seinen Abendstunden sogleich an die Erlernung der genannten Sprache machte, in welcher er sich gründliche Kenntnisse erwarb. Mit einem anderen Lehrling seines Geschäfts, der ein Jude war, hatte er einen ähnlichen Streit über die Auslegung der biblischen Weissagungen – wodurch er veranlaßt wurde, auch die schwierige hebräische Sprache zu erlernen.

Aber die Haupttriebfeder seiner Handlungen und seines Wirkens lag in seiner Großmut und Wohlthätigkeit. Sein Bruder William – ein Wundarzt aus der Mincing-Lane – behandelte die Armen unentgeltlich: und unter seinen zahlreichen Patienten befand sich auch ein armer Neger, Namens Jonathan Strong. Wie es scheint, war dieser Afrikaner durch Mißhandlungen von seiten seines Herrn – eines damals sich in London aufhaltenden Rechtsanwalts aus Barbados – nicht nur lahm, sondern auch halbblind und vollkommen arbeitsunfähig geworden – weshalb sein grausamer Eigentümer ihn wie ein unbrauchbar gewordenes Haustier zum Verhungern auf die Straße hinausjagte. Dieser, arme Mensch – ein wahrer Lazarus – unterhielt sich eine Zeitlang durch Betteln, bis er eines Tages den Weg zu William Sharp fand, welcher ihm eine Medizin gab und ihm bald danach Aufnahme im St. Bartholomäushospital verschaffte, wo er geheilt wurde. Als der Neger aus dem Hospital entlassen wurde, unterstützten ihn die beiden Brüder, um ihm das Betteln zu ersparen: aber sie hatten damals nicht den geringsten Argwohn, daß irgend jemand auf seine Person Anspruch machen könnte. Sie verschafften Strong sogar eine Stelle bei einem Apotheker, in dessen Diensten er zwei Jahre blieb. Als er eines Tages hinter seiner Herrin auf dem Trittbrett einer Mietskutsche stand, wurde er von seinem früheren Besitzer – dem Rechtsanwalt aus Barbados – erkannt; und dieser beschloß sogleich, sich des Sklaven zu bemächtigen, welcher durch die Wiederherstellung seiner Gesundheit von neuem brauchbar geworden war. Der Rechtsanwalt bewirkte durch zwei städtische Polizeibeamte die Ergreifung des Negers, welcher bis zu seiner Einschiffung nach Westindien in dem »Compter« (Gefängnis) untergebracht wurde. In seiner Gefangenschaft erinnerte sich der Unglückliche an die Wohlthaten, die ihm Granville Sharp vor etlichen Jahren in seiner großen Not erwiesen: und brieflich erbat er sich auch jetzt seine Hilfe. Sharp hatte Strongs Namen vergessen: aber er ließ durch einen Boten Erkundigungen einziehen; und dieser kam mit der Nachricht wieder, daß die Gefangenwärter einen derartigen Menschen nicht in ihrem Gewahrsam zu haben behaupteten. Nun wurde Sharps Argwohn rege; er ging selbst in das Gefängnis und bestand darauf, Jonathan Strong zu sehen. Er wurde auch wirklich zu ihm gelassen und erkannte den Neger, welcher sich jetzt als ein entlaufener und wieder eingefangener Sklave in Gewahrsam befand. Herr Sharp ersuchte den Gefängnisaufseher, er möge – auf seine Verantwortung – Strong an niemand ausliefern, bis derselbe dem Lordmayor vorgestellt sei. Zu diesem begab sich Sharp unverzüglich und erwirkte von ihm, daß er jene Personen, welche Strong ohne Vollmacht festgenommen und eingekerkert hatten, vor sein Forum citierte. Die Parteien erschienen demgemäß vor dem Lordmayor; und es ergab sich aus den Verhandlungen, daß Strong von seinem früheren Herrn bereits an einen anderen Besitzer abgetreten worden war, welcher den Kaufkontrakt vorzeigte und den Neger als sein Eigentum reklamierte. Da Strong keines besonderen Verbrechens angeklagt war, und da der Lordmayor sich inkompetent fühlte, eine gesetzliche Entscheidung hinsichtlich der Freiheit des Negers zu treffen, so wurde der letztere entlassen und ging mit seinem Wohlthäter aus dem Gerichtsgebäude, ohne daß jemand ihn zurückzuhalten wagte. Doch benachrichtigte sein Eigentümer Herrn Sharp sogleich, daß er gegen ihn auf Rückgabe seines ihm widerrechtlich vorenthaltenen Sklaven klagen würde.

Um jene Zeit (1767) war die in der Theorie so hochgehaltene persönliche Freiheit der Engländer in Wirklichkeit traurigen Eingriffen ausgesetzt, die fast täglich vorkamen. Daß man Leute für den Seedienst »preßte.« war etwas ganz Gewöhnliches; und neben den sogenannten »Preßgängen« gab es in London und allen großen Städten des Königreichs regelrecht organisierte Banden von Seelenverkäufern, welche ihre Opfer mit List oder Gewalt in die Dienste der ostindischen Compagnie brachten. Wenn aber die Leute nicht in Indien gebraucht wurden, so führte man sie zu Schiff nach Amerika und überlieferte sie dort den Pflanzern der Kolonien. Negersklaven wurden in den Londoner und Liverpooler Zeitungen ganz öffentlich zum Verkauf ausgeboten. Für die Ergreifung, und sichere Überführung flüchtiger Sklaven auf näher bezeichnete, im Flusse liegende Schiffe wurden Belohnungen ausgesetzt. Die Stellung eines mutmaßlichen Sklaven war in England sehr unbestimmt und zweifelhaft. Die von den Gerichtshöfen gefällten Urteilssprüche waren schwankend und wenig übereinstimmend, da sie sich auf keine feststehenden Rechtsprincipien gründeten. Obgleich es eine volkstümliche Vorstellung war, daß es in England keine Sklaven geben dürfe, so hatten sich hervorragende Rechtsgelehrte doch in einem ganz entgegengesetzten Sinn ausgesprochen. Die Anwälte, welche Herr Sharp zum Zweck seiner Verteidigung in der Sache des Jonathan Strong konsultierte, schlossen sich sämtlich dem Urteil ihrer Kollegen an; und der Eigentümer des Jonathan Strong teilte ihm mit, daß der ausgezeichnete Lordoberrichter Mansfield samt dem ganzen Richterkollegium entschieden der Ansicht wäre, daß Sklaven durch ihr Herüberkommen nach England nicht frei würden, sondern gesetzlich gezwungen werden könnten, auf die Plantagen zurückzukehren. Jeden anderen, minder mutigen und entschlossenen Mann hätten solche Mitteilungen von seinem Vorhaben abgeschreckt; Sharp aber wurde dadurch nur in seinem Entschluß bestärkt, die Befreiung der Neger wenigstens in England durchzusetzen. »Von meinen berufsmäßigen Verteidigern verlassen,« erzählt er, »sah ich mich in Ermangelung eines regelrechten gesetzlichen Beistandes gezwungen, einen hoffnungslosen Versuch in der Selbstverteidigung zu machen, obwohl ich nicht nur mit der Anwendung, sondern auch mit den Grundbegriffen der Rechtswissenschaft vollkommen unbekannt war. Denn bis zu dieser Zeit, wo ich mich mit großem Widerstreben an das Studium einer Sammlung von juristischen Werken machte, die mein Buchhändler gekauft, hatte ich noch nie in meinem Leben ein anderes Gesetzbuch als die Bibel in der Hand gehabt.« Den ganzen Tag über war er in dem Bureau des Zeughauses beschäftigt, wo er gerade den mühevollsten Posten bekleidete. So war er gezwungen, seine neuen Studien entweder spät in der Nacht oder am frühen Morgen zu betreiben; und er bekannte, daß er sich schon selbst fast wie ein Sklave vorkomme. In einem Briefe an einen geistlichen Freund entschuldigte er sich wegen der späten Beantwortung eines Briefes mit diesen Worten: »Ich gestehe, daß ich mich ganz unfähig fühle, eine litterarische Korrespondenz zu unterhalten. Die geringe Zeit, welche ich mir nachts oder früh am Morgen vom Schlafe absparen konnte, habe ich notwendigerweise der Prüfung einiger gesetzlichen Fragen widmen müssen, die keinen Aufschub duldeten und doch die fleißigsten Forschungen und Studien erforderten.«

Während der nächsten zwei Jahre widmete Herr Sharp jeden freien Augenblick dem emsigen Studium derjenigen englischen Gesetze, welche sich auf die persönliche Freiheit bezogen. Dabei arbeitete er sich durch eine große Menge trockener und wenig anziehender Schriftwerke durch und machte sich aus den wichtigsten Parlamentsakten, gerichtlichen Entscheidungen und Aussprüchen berühmter Rechtsgelehrten fortlaufende Auszüge. Bei dieser langweiligen und langwierigen Arbeit hatte er keinen Lehrer, keinen Gehilfen, keinen Ratgeber. Er konnte nicht einen einzigen Rechtsanwalt finden, dessen Meinung seinem Unternehmen günstig gewesen wäre. Die Resultate seiner Forschungen waren jedoch ebenso befriedigend für ihn selbst als überraschend für die Herren Rechtsgelehrten. »Gott sei Dank!« schrieb er, »in keinem englischen Gesetz oder Statut habe ich eine Bestimmung entdecken können, welche einem Menschen das Recht gäbe, den anderen zu seinem Sklaven zu machen.« Jetzt hatte er festen Grund unter den Füßen und zweifelte nicht mehr an seinem Erfolg. Nun stellte er die Resultate seiner Untersuchungen in summarischer Form zusammen. Es war eine freimütige, klare und kühne Schrift, die den Titel führte: »Über die der Gerechtigkeit hohnsprechende Duldung der Sklaverei in England;« und zahlreiche, von ihm selbst gefertigte Kopien jener Schrift schickte er an die hervorragendsten Rechtsgelehrten jener Zeit. Als Strongs Eigentümer merkte, daß der Mann, mit welchem er es zu thun hatte, das gerichtliche Verfahren unter verschiedenen Vormunden zu verzögern suchte, bot er schließlich einen Vergleich an, der aber zurückgewiesen wurde. Granville ließ nun seine handschriftliche Broschüre unter den Rechtsanwälten so lange cirkulieren bis diejenigen, welche gegen Jonathan Strong engagiert waren, nicht weiter gegen ihn vorzugehen wagten; und dies hatte zur Folge, daß der Kläger seine Klage zurückziehen und dreifache Kosten bezahlen mußte. Die Broschüre aber wurde im Jahre 1769 gedruckt.

Mittlerweile war es in London mehrfach vorgekommen, daß Neger Seelenverkäufern in die Hände gerieten und nach Westindien zum Verkauf eingeschifft wurden. Allemal, wenn Sharp einen solchen Fall entdeckte, traf er sogleich Anstalten zur Befreiung des Negers. Als die Frau eines Afrikaners Namens Hylas auf ein Schiff geschleppt und nach Barbados gebracht worden war, strengte Sharp im Namen des Gatten eine Klage gegen den Menschenräuber an und erwirkte einen Urteilsspruch, kraft dessen Hylas sein Weib mit Schadenersatz zurückerhielt.

Eine andere gewaltsame und mit großer Grausamkeit bewerkstelligte Entführung eines Negers fand im Jahre 1770 statt; und wiederum machte sich Sharp ohne Zögern an die Verfolgung der Übelthäter. Ein Afrikaner, Namens Lewis, wurde in einer dunkeln Nacht von zwei Schiffern, die von seinem angeblichen Herrn gedungen waren, ergriffen, ans Wasser geschleppt, in ein Boot geworfen und darin geknebelt und gebunden. Darauf ruderten seine Peiniger das Boot den Fluß hinunter und brachten ihn an Bord eines Schiffes, das für Jamaika gefruchtet hatte, wo er bei seiner Ankunft als Sklave verkauft werden sollte. Aber das Geschrei des armen Negers hatte die Aufmerksamkeit einiger Nachbarn erregt: und einer derselben begab sich sogleich zu Herrn Granville Sharp, dem allbekannten Negerfreund, um ihn von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen. Mit einer Vollmacht versehen, kraft deren er die Herausgabe des Negers verlangen konnte, begab sich Sharp sogleich nach Gravesend, erfuhr dort aber, daß das Schiff bereits nach den »Downs« abgesegelt war. Nunmehr verschaffte er sich einen Freilassungsbefehl, den er nach Spithead sandte: und ehe das Fahrzeug die englische Küste verlassen konnte, wurde der Befehl vollzogen. Man fand den Sklaven an dem Mittelmast des Schiffes angekettet, von wo aus er – in Thränen gebadet – kummervolle Blicke auf das Land richtete, von dem er fortgeführt werden sollte. Er wurde alsbald in Freiheit gesetzt und nach London zurückgebracht, während gleichzeitig ein Haftbefehl gegen den Urheber des Vergehens erlassen wurde. Die Schnelligkeit im Denken, Fühlen und Handeln, die Herr Sharp bei dieser Gelegenheit bewies, hätte kaum übertroffen werden können; und doch klagte er sich selbst der Langsamkeit an. Der Fall kam vor Lord Mansfield zur Verhandlung – dessen Ansicht, wie man sich erinnern wird, derjenigen des Herrn Sharp geradeswegs zuwiderlief. Der Richter vermied es jedoch, die Sache zum Austrag zu bringen; er riskierte es auch nicht, eine juristische Meinung über die persönliche Freiheit des Negers zu äußern, sondern sprach denselben auf Grund dessen frei, daß der Kläger auch nicht einmal ein nominelles Eigentumsrecht auf Lewis nachzuweisen vermochte.

Die Frage der persönlichen Freiheit der sich in England aufhaltenden Neger war also noch immer ungelöst. Aber mittlerweile setzte Herr Sharp unverdrossen seine menschenfreundlichen Bemühungen fort; und infolge seiner unermüdlichen Anstrengungen und seiner Energie im Handeln kamen noch viele zu der Zahl der Geretteten hinzu. Endlich ereignete sich der wichtige Fall des James Sommerset – ein Fall, der, wie man sagt, auf den gemeinsamen Wunsch des Lord Mansfield und des Herrn Sharp dazu ausersehen wurde, diese wichtige Frage zu einer klaren gesetzlichen Entscheidung zu bringen. Sommerset war von seinem Herrn nach England gebracht und dort zurückgelassen worden. Später aber suchte sein Herr sich seiner wieder zu bemächtigen, um ihn zum Verkauf nach Jamaika zu schicken. Wie gewöhnlich nahm sich Herr Sharp sogleich der Sache des Negers an und engagierte einen Rechtsanwalt zu seiner Verteidigung. Lord Mansfield erklärte, der Fall hätte ein so allgemeines Interesse, daß er die Meinung aller Richter darüber einholen wolle; und Herr Sharp begriff nun, daß er mit dem ganzen Aufgebot der feindlichen Macht zu kämpfen haben würde; das konnte aber seinen Entschluß nicht erschüttern. Es war in diesem schweren Kampfe für ihn ein Glück, daß seine bisherigen Anstrengungen schon einige Früchte getragen, man begann sich immer lebhafter für die Frage zu interessieren; und viele hervorragende Rechtsgelehrte standen bereits offen auf seiner Seite.

Die Sache der nunmehr in Frage stehenden persönlichen Freiheit wurde vor Lord Mansfield und den drei beisitzenden Richtern regelrecht verhandelt und geprüft – und zwar nach dem allgemeinen Princip, daß jeder in England lebende Mensch das wichtige, durch die Verfassung gesicherte Recht der freien Verfügung über seine Person besitze, wofern er dasselbe nicht durch eine ungesetzliche Handlung eingebüßt. Es ist überflüssig, auf diese großartige Untersuchung genauer einzugehen. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge; die Sache wurde auf einen anderen Termin vertagt, um dann wiederum aufgeschoben und nochmals aufgeschoben zu werden, – bis Lord Mansfield endlich das Urteil fällte. In dem mächtigen Geist dieses Mannes hatte sich allmählich eine Wandlung vollzogen – und zwar infolge der Argumente des Verteidigers, die hauptsächlich auf Granville Sharps Broschüre basierten. Der Lord erklärte nun, daß der Gerichtshof so vollkommen einer Meinung sei, daß eine Verweisung des Falls an die zwölf Richter unterbleiben könne. Sodann fällte er die Entscheidung, daß das Recht des Sklavenbesitzes niemals anerkannt werden dürfe, da es in England nie existiert habe und auch nie gesetzlich festgestellt worden sei. Demzufolge wurde James Sommerset in Freiheit gesetzt. Durch Erwirkung dieses Urteils schaffte Granville Sharp den bisher auf den Straßen Liverpools und Londons offen betriebenen Sklavenhandel thatsächlich ab. Aber er erreichte auch, daß jenes herrliche Wort, nach welchem jeder Sklave frei wird, sobald sein Fuß den englischen Boden berührt, zu einer feststehenden Wahrheit wurde – wie es auch keinem Zweifel unterliegen kann, daß Lord Mansfields Entscheidung in erster Linie durch die Festigkeit, Entschlossenheit und Unerschrockenheit herbeigeführt wurde, mit welcher Herr Sharp diese Sache von Anfang bis zu Ende betrieb.

Es bleibt nur noch wenig über die Laufbahn Granville Sharps zu berichten. Er beteiligte sich auch ferner an allen gemeinnützigen Werken – so z. B. an der Gründung der Kolonie auf der Küste Sierra Leone, welche ein Zufluchtsort für befreite Negersklaven werden sollte. Er bemühte sich um die Verbesserung der Lage der Indianer in den amerikanischen Kolonien. Er regte die Ausdehnung und Erweiterung der politischen Rechte des englischen Volkes an und suchte einen Parlamentsbeschluß zu erwirken, welcher die »Preßgänge« abschaffte. Granville war der Ansicht, daß der britische Seemann ebenso gut ein Recht auf den Schutz der Gesetze habe als der afrikanische Neger; und daß er durch die Wahl des Seefahrerberufs sich in keiner Weise seiner Rechte und Privilegien als Engländer begeben habe, als deren vornehmstes er die persönliche Freiheit betrachtete. Auch war Herr Sharp – freilich ohne Erfolg – bemüht, die guten Beziehungen zwischen England und dessen amerikanischen Kolonien wiederherzustellen; und als die brudermörderischen Kämpfe des Amerikanischen Befreiungskrieges ausbrachen, gab Sharp seinen Posten am Zeughaus auf, weil es seiner Gewissenhaftigkeit und Redlichkeit widerstrebte, in irgend einer Weise an einem so unnatürlichen Vorgange beteiligt zu sein.

Bis an sein Ende hielt er an dem großen Ziel seines Lebens – der Abschaffung des Sklavenhandels – fest. Um dieses Werk auszuführen und die Bestrebungen der immer zahlreicher werdenden Freunde der guten Sache planmäßig zu organisieren, wurde die »Gesellschaft zur Bekämpfung des Sklavenhandels« gegründet, und Sharp fand immer neue Anhänger, die sich an seinem Beispiel und seiner Thatkraft begeisterten. Seine Energie übertrug sich auf diese Männer, und der opfermutige Eifer, mit welchem er so lange ohne Beistand gearbeitet, teilte sich endlich der Nation mit. Sein Mantel fiel auf Clarkson, Wilberforce, Brougham und Buxton, welche das von ihm begonnene Werk mit der gleichen Energie und Stetigkeit fortsetzten, bis endlich die Sklaverei in allen britischen Landen abgeschafft wurde. Aber wenn man auch die letztgenannten Namen am häufigsten mit dem Triumph dieser großen Sache in Verbindung bringt, so gehört das Hauptverdienst doch unzweifelhaft Herrn Granville Sharp. Er wurde von keinem Hochruf begrüßt, als er sein Werk anfing. Er stand mit seiner Ansicht vollkommen vereinzelt da – im Widerspruch mit der Meinung der tüchtigsten Rechtsanwälte und den am tiefsten eingewurzelten Vorurteilen der Zeit, und allein – aus eigener Kraft und auf eigene Kosten – hat er zu Gunsten der Verfassung dieses Landes und der Freiheit der britischen Unterthanen den denkwürdigsten Kampf ausgefochten, von welchem die neuere Zeit zu berichten weiß. Was danach kam, war in der Hauptsache eine Folge seiner unermüdlichen Beharrlichkeit. Er zündete die Fackel an, durch die andere Geister erleuchtet wurden, und die so lange von Hand zu Hand ging, bis die Aufklärung allgemein ward.

Schon vor Granville Sharps Tode hatte sich Clarksons Aufmerksamkeit dem Sklavenhandel zugewandt. Er wählte diesen Gegenstand sogar zum Thema einer Universitätsarbeit, und sein Geist beschäftigte sich damit so unausgesetzt, daß er kaum an etwas anderes zu denken vermochte. Man zeigt noch heute bei Wades-Mill in Hertfordshire die Stelle, wo er eines Tages vom Pferde sprang und sich trostlos an dem grasbewachsenen Rande des Weges niederließ, um nach längerem Nachdenken den Entschluß zu fassen, sich ganz und gar der großen Sache zu widmen. Er übersetzte seine Arbeit aus dem Lateinischen ins Englische, brachte neue Beispiele darin an und übergab sie dann der Öffentlichkeit. Nun fand er bald Mitarbeiter. Ohne daß er es wußte, hatte sich bereits die »Gesellschaft zur Bekämpfung des Sklavenhandels« gebildet, und als er davon hörte, schloß auch er sich derselben an. Um der guten Sache dienen zu können, opferte er seine Carrière. Wilberforce wurde dazu ausersehen, das Interesse der Feinde des Sklavenhandels im Parlament zu vertreten; aber Clarkson wurde fast ausschließlich mit der Aufgabe betraut, das ungeheuere Beweismaterial zu sammeln und zu ordnen, welches die Anträge jener Partei unterstützen sollte. Wir wollen hier ein merkwürdiges Beispiel von Clarksons Beharrlichkeit erwähnen, die fast der eines Schweißhundes glich. Die Freunde des Sklavenhandels führten zur Verteidigung desselben an, daß nur solche Neger als Sklaven verkauft würden, welche man in der Schlacht gefangen genommen, und denen, falls man sie nicht verkaufte, in ihrer Heimat ein noch viel schrecklicheres Schicksal bevorstände. Clarkson hatte Kenntnis von den Sklavenjagden, welche von den Sklavenhändlern veranstaltet wurden: er konnte aber keine Beweise oder Zeugen dafür beibringen. Wo sollte er welche finden? Auf einer seiner Reisen traf er zufällig mit einem Herrn zusammen, der ihm erzählte, daß ein junger Seemann, in dessen Gesellschaft er sich vor etwa einem Jahre befunden, thatsächlich an einer solchen Sklavenjagd teilgenommen. Der Herr kannte den Namen des Seemanns nicht und konnte auch nur eine ungenaue Beschreibung seiner Person geben. Hinsichtlich seines Aufenthalts vermochte er nur mitzuteilen, daß er zu einem aufgelegten (im Hafen liegenden) Kriegsschiff gehöre; aber wie der betreffende Hafen hieß, war ihm nicht bewußt. Trotz dieser höchst ungenauen Angaben war Clarkson sofort entschlossen, den betreffenden Mann als Zeugen herbeizuschaffen. Er besuchte persönlich alle Seehäfen, in denen abgetakelte Schiffe lagen; ging an Bord jedes einzigen und stellte Nachforschungen an – immer vergeblich, bis er endlich in dem allerletzten Hafen den ersehnten jungen Mann auf dem allerletzten Schiff fand, das noch zu untersuchen war. Dieser junge Seemann erwies sich in der Folge als einer seiner wertvollsten und wirksamsten Zeugen.

Mehrere Jahre hindurch korrespondierte Clarkson mit ungefähr vierhundert Personen, während seine gleichzeitigen, zum Zweck von Nachforschungen unternommenen Reisen eine Gesamtlänge von mehr als 35,000 Meilen betrugen. Diese beständigen Anstrengungen machten ihn endlich krank und erschöpften seine Körperkräfte: aber er wurde nicht eher vom Schlachtfelde getragen, als bis sein Eifer den Gemeinsinn völlig wachgerufen und die wärmsten Sympathien aller guten Menschen auf die Seite der Sklaven gelenkt hatte.

Nach vieljährigen, heftigen Kämpfen wurde der Sklavenhandel endlich abgeschafft. Aber noch ein anderes großes Ziel mußte erreicht werden, die Abschaffung der Sklaverei selbst in allen britischen Landen. Und auch hier gewann entschlossene Energie den Sieg. Unter den Führern dieser Bewegung that sich keiner mehr hervor als Fowell Buxton, welcher im Unterhause dieselbe Stellung einnahm, die ehedem Wilberforce innehatte. Buxton war als Knabe stumpf und schwerfällig und nur durch einen starten Eigenwillen ausgezeichnet, der sich zunächst in einer heftigen, herrschsüchtigen und widerspenstigen Halsstarrigkeit offenbarte. Schon als Kind verlor er seinen Vater; aber zum Glück hatte er eine verständige Mutter, die seinen Willen sorgfältig zügelte – indem sie ihn an Gehorsam gewöhnte, ihn aber ermutigte, in Angelegenheiten, die ihm ohne Gefahr überlassen werden konnten, selbständig zu entscheiden und zu handeln. Diese Mutter war nämlich der Ansicht, daß ein starker Wille, der auf würdige Ziele gelenkt und richtig geleitet würde, eine wertvolle männliche Tugend sei, und sie handelte demgemäß. Wenn Leute aus ihrer Bekanntschaft den Eigensinn des Knaben tadelten, so pflegte sie bloß zu erwidern: »Lassen Sie ihn nur! Er ist jetzt eigenwillig – aber Sie werden sehen, schließlich wird alles gut werden!« Fowell lernte in der Schule nur wenig und genoß dort den Ruf eines Dummkopfs und Faulpelzes. Er ließ sich seine Aufgaben von anderen Knaben machen und tobte und tollte derweil umher. Mit fünfzehn Jahren kehrte er nach Hause zurück – ein großer, hochaufgeschossener, ungeschickter Bursche, dem nichts Spaß machte als Bootfahren. Schießen, Reiten und Jagen, und der den größten Teil seiner Zeit in der Gesellschaft des Wildhüters verbrachte – eines gutherzigen Menschen und scharfen Beobachters des Lebens und der Natur, der jedoch weder lesen noch schreiben konnte. Buxton war aus gutem Stoff geschaffen, aber nicht genügend gebildet, erzogen und entwickelt. Zu dieser Zeit seines Lebens, wo seine Neigungen zu guten oder bösen Gewohnheiten erstarken mußten, kam er zu seinem Glück mit der Familie Gurney in Berührung, die sich ebensosehr durch ihre seinen gesellschaftlichen Formen als durch ihre geistige Bildung und hochherzige Menschenfreundlichkeit auszeichnete. Nach seiner eigenen Aussage bestimmte dieser Verkehr mit den Gurneys die Richtung seines Lebens. Sie ermutigten ihn in seinen Bildungsbestrebungen, und als er die Dubliner Universität besuchte und dort hohe Ehren errang, war es – wie er selber sagte – »sein brennender Wunsch, zu ihren Füßen die Preise niederzulegen, zu deren Gewinnung sie ihm den Antrieb und die Befähigung gegeben.« Er heiratete eine der Töchter dieser Familie und begann seine Laufbahn als Buchhalter und Gehilfe bei seinen Oheimen Hanbury, den Londoner Brauern. Jetzt bildete seine Willenskraft, infolge deren er als Knabe so schwer zu behandeln gewesen, den Rückgrat seines Charakters und machte ihn außerordentlich beharrlich und energisch in allen seinen Unternehmungen. Er warf sich mit seiner ganzen Körper- und Geisteskraft auf seine Arbeit, und der große Riese – »der Elephant Buxton,« wie man ihn in Anbetracht seiner stattlichen Länge von sechs Fuß vier Zoll nannte – wurde einer der thatkräftigsten und praktischsten Menschen. »Ich konnte,« berichtet er, »in der einen Stunde brauen, in der nächsten rechnen und wieder in der nächsten schießen – und bei jeder dieser Beschäftigungen war ich mit Leib und Seele.« In allem, was er that, bewies er eine unbesiegliche Energie und Entschlossenheit. Nachdem er Teilhaber der Firma geworden, nahm er thätigen Anteil an der Leitung des Geschäfts, das seinen Einfluß bald in allen Beziehungen zu spüren begann und sich weit blühender gestaltete als bisher. Dabei gestattete er seinem Geist nicht, brachzulegen, sondern widmete sich in den Abendstunden eifrig seiner Fortbildung, indem er Blackstone, Montesquieu und tüchtige, auf die englischen Gesetze bezügliche juristische Werke las und in sich aufnahm. Seine Wahlsprüche hinsichtlich der Lektüre lauteten: »Fange nie ein Buch an, ohne es zu Ende zu lesen;« »glaube nie mit einem Buche fertig zu sein, ehe du seinen Inhalt verstanden hast;« »sei mit all deinen Gedanken bei dem Gegenstand deiner Lektüre!« –

Mit zweiunddreißig Jahren kam Buxton ins Parlament und erlangte darin sogleich die einflußreiche Stellung, deren jeder rechtschaffene, ernsthafte und wohlunterrichtete Mann, der in jene, aus den besten Männern des Landes gebildete Versammlung eintritt, sicher sein darf. Die Hauptaufgabe, der er sich widmete, war die vollständige Befreiung der Negersklaven in den britischen Kolonien. Er selbst schrieb das Interesse, welches er schon früh für diese Frage empfand, dem Einfluß eines Mitgliedes der Earlhamer Familie, der Priscilla Gurney, zu – einer Frau von scharfem Verstand und warmem Herzen die an hohen Tugenden reich war. Als sie im Jahre 1821 auf ihrem Sterbebette lag, berief sie Buxton wiederholt zu sich und beschwor ihn, »die Sache der Sklaven zu dem großen Zweck seines Lebens zu machen.« Sie verschied bei dem vergeblichen Versuch, ihre feierliche Mahnung noch einmal zu wiederholen. Buxton vergaß ihren Rat nie. Er benannte nach ihr eine seiner Töchter, und als die junge Priscilla am 1. August 1834 – dem Tage der Sklavenbefreiung – heiratete und nach dem Abschied von den Ihrigen in Gesellschaft ihres Gatten das Haus verließ, setzte sich Buxton hin und schrieb an einen Freund: »Die junge Frau ist abgereist; alles ist nach Wunsch gegangen, und es giebt jetzt keinen Sklaven mehr in den britischen Kolonien!«

Buxton war kein Genie – kein großer geistiger Vorkämpfer oder Entdecker: wohl aber ein durch und durch ernsthafter, gerader, entschlossener und thatkräftiger Mann. Sein ganzer Charakter offenbart sich am deutlichsten in den folgenden, von ihm selbst ausgesprochenen Worten, die sich jeder junge Mann ins Herz prägen sollte: »Je länger ich lebe,« sagte er, »um so mehr wird es mir zur Gewißheit, daß der Hauptunterschied zwischen den Menschen – den schwachen und den mächtigen – den großen und den unbedeutenden – in der Energie, dem unbesieglichen Willen, dem festen Vorsatz und dem Entschluß, zu siegen oder zu sterben, liegt! Mit solchen Eigenschaften läßt sich alles in der Welt vollbringen, und ohne sie vermögen keine Talente, keine günstigen Umstände oder Gelegenheiten aus einem zweibeinigen Geschöpf einen Mann zu machen,«


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