Samuel Smiles
Selbsthilfe
Samuel Smiles

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Viertes Kapitel

Fleiß und Beharrlichkeit

» Der Fleiß beherrscht die Zeit; drum ist er reich!
Und ob ihr auch das Stundenglas entfalle:
Die Körnlein Sandes schätzt er Sternen gleich
Und rastet nicht, bis er gesammelt alle.«

D'Avenant

Allez en avant, et la foi vous viendra!

D'Alembert

Die größten Resultate im Leben werden meistens durch einfache Mittel und die Anwendung gewöhnlicher Fähigkeiten erzielt. Das Alltagsleben mit seinen Sorgen, Bedürfnissen und Pflichten bietet uns reichlich Gelegenheit, Erfahrung der besten Art zu gewinnen, und auf seinen ausgetretensten Pfaden findet der, welcher sich treulich müht, genug Spielraum zur Anstrengung und Selbstvervollkommnung. Der Weg des menschlichen Glücks ist die altbekannte Landstraße der strengen Rechtschaffenheit, und den meisten Erfolg haben im allgemeinen diejenigen aufzuweisen, welche am beharrlichsten und pflichteifrigsten sind.

Man hat das Glück oft »blind« genannt; aber seine Blindheit ist minder groß als die der Menschen. Wer sich im praktischen Leben umschaut, der wird finden, daß das Glück gewöhnlich auf Seiten des Fleißigen steht – wie Wellen und Wind sich auf die Seite der besten Seeleute stellen. Auch auf den edelsten Gebieten menschlichen Strebens erweisen sich die einfacheren Tugenden – Verständigkeit, Aufmerksamkeit, Fleiß und Beharrlichkeit – von höchstem Nutzen.

Nicht jeder braucht ein Genie zu sein: aber selbst der größte Genius darf nicht die Übung jener alltäglichen Tugenden verschmähen. Die bedeutendsten Männer haben am wenigsten an die Macht des Genies geglaubt und sind genau so weltklug und beharrlich gewesen wie hervorragende Persönlichkeiten einfacherer Art. Einige haben das Genie nur als einen »verschärften gesunden Menschenverstand« bezeichnet. Ein vorzüglicher Lehrer und Leiter eines Kollegiums nannte es die Kraft, Anstrengungen zu machen. John Foster meinte, es wäre die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft zu begeistern. Buffon aber sagte: »Genie ist Geduld.«

Newton war ohne Zweifel einer der hervorragendsten Geister, und doch antwortete er, als man ihn fragte, durch welche Mittel er zu seinen außerordentlichen Entdeckungen gelangt sei, mit Bescheidenheit: »Dadurch, daß ich beständig darüber nachdachte.« Ein andermal sagte er über die Art seines Studierens: »Ich halte mir meinen Gegenstand fortwährend vor Augen und warte, bis endlich aus dem ersten Aufdämmern das volle, klare Licht der Erkenntnis entsteht.« Newton erwarb sich wie jeder andere große Mann seinen hohen Ruhm nur durch dauernde Emsigkeit und Beharrlichkeit. Selbst seine Muße war nur eine andere Art des Studiums, wobei er einen Gegenstand fallen ließ, um einen anderen dafür aufzunehmen. Gegen Dr. Bentley äußerte er einmal: »Wenn ich der Welt irgend einen Dienst geleistet habe, so ist es durch Fleiß und geduldiges Nachdenken geschehen.« Kepler, ein anderer großer Philosoph, sprach sich über seine Studien und Erfolge in folgender Weise aus: »Wie Virgil sagt: ›Fama modilitate viget, vires acquirit eundo‹ – so verhielt es sich auch mit mir; denn das fleißige Nachdenken über diese Dinge erzeugte immer neue Gedanken, bis ich zuletzt mit der ganzen Kraft meines Geistes über den Gegenstand nachsann.«

Die außerordentlichen Resultate, welche oft durch bloßen Fleiß und dauernde Bemühung erzielt wurden, haben in vielen vortrefflichen Männern den Zweifel erregt, ob das Genie wirklich eine so exceptionelle Gabe sei, wie gewöhnlich angenommen wird. So behauptete Voltaire, es gebe nur eine schmale Scheidelinie zwischen dem Genie und gewöhnlichen Geistern. Beccaria meinte sogar, es könnte jeder ein Dichter und Redner sein; und Reynolds war der Ansicht, daß alle Menschen sich zu Malern und Bildhauern qualifizierten. Wenn dies sich wirklich so verhielte, so dürfte niemand über jenen Engländer lächeln, der beim Tode Canovas dessen Bruder fragte, ob »er die Absicht habe, das Geschäft fortzusetzen.« Locke, Helvetius und Diderot schrieben allen Menschen eine gleiche geniale Beanlagung zu und nahmen an, daß alles, was der eine nach den die Geistesthätigkeit regelnden Gesetzen zu leisten vermöchte, auch von jedem anderen vollbracht werden könnte, der sich unter den gleichen Umständen, den gleichen Bestrebungen zuwendete. Aber wenn man die wundervollen Erfolge der Arbeit auch im weitesten Umfange anerkennt und sich ebensowenig der Thatsache verschließt, daß die größten Geister allezeit die unermüdlichsten Arbeiter, gewesen sind, so scheint es doch trotz alledem klar genug erwiesen, daß ohne die natürlichen Herzens- und Geistesgaben keine noch so große und emsige Arbeit einen Shakespeare, Newton, Beethoven oder Michel Angelo hätte schaffen können.

Der Chemiker Dalton verschmähte es, sich einen Genius nennen zu lassen, da er alle seine Erfolge ausschließlich dem Fleiß und der beharrlichen Forschung zuschrieb. John Hunter sagte über sich selbst: »Mein Geist gleicht einem Bienenkorb: er ist voll Gesummes und anscheinender Verwirrung: aber dennoch findet sich darin Ordnung und Regelmäßigkeit und reiche Nahrung, die aus den besten Vorratskammern der Natur mit unermüdlichem Fleiße zusammengetragen worden ist.« Ein Blick in die Biographien großer Männer zeigt uns, daß die ausgezeichnetsten Erfinder, Künstler, Denker und Arbeiter aller Art ihren Erfolg hauptsächlich ihrem unentwegten Fleiß und Arbeitseifer verdankten. Es hat Männer gegeben, die alles – selbst die Zeit – in Gold verwandelten. Der jüngere Disraeli meinte, das Geheimnis des Erfolgs bestehe darin, daß man seinen Gegenstand bemeistere, und diese Meisterschaft lasse sich nur durch beharrlichen Fleiß und unermüdliches Studium erreichen. Daher kommt es, daß diejenigen, welche die Welt am stärksten erschüttert haben, weniger Männer von eigentlichem Genie als vielmehr solche von verstärkten mittelmäßigen Fähigkeiten und ausdauernder Beharrlichkeit gewesen sind; nicht sowohl Männer von glänzender, in die Augen fallender Begabung als vielmehr solche, die sich mit Eifer ihren Zielen widmeten, auf welchem Gebiet dieselben auch liegen mochten. »Ach,« seufzte eine Witwe mit Bezug auf ihren talentvollen, aber leichtsinnigen Sohn, »ihm fehlt die Gabe der Ausdauer!« – Solche haltlosen Naturen werden infolge ihres Mangels an Beharrlichkeit auf der Rennbahn des Lebens von den Fleißigen, oft sogar von den Dummen überholt. Ein italienisches Sprichwort sagt: »Che va piano, va longano: Wer langsam geht, geht lange und geht weit.«

Es ist daher eine große Hauptsache, daß man »arbeiten« lernt. Wenn das der Fall ist, wird die Lebensaufgabe verhältnismäßig leicht sein. Wir müssen wiederholen und immer von neuem wiederholen; denn Gewandtheit kommt nur durch Übung. Ohne die letztere wird auch die leichteste Kunst unmöglich; aber wie viele Schwierigkeiten können nicht mit ihrer Hilfe überwunden werden! Durch frühzeitige Übung und Wiederholung bildete der verstorbene Sir Robert Peel jene merkwürdigen und doch ursprünglich mittelmäßigen Fähigkeiten aus, die ihn schließlich zu einer so berühmten Zierde des britischen Senates machten. Als er noch als Knabe auf dem Schloß Drayton lebte, gewöhnte ihn sein Vater daran, bei Tische aus dem Stegreif Reden zu halten; und ebenso mußte er sich schon früh darin üben, die Sonntagspredigt – so gut er's vermochte – aus dem Gedächtnis zu wiederholen. Zuerst waren die Fortschritte nur gering, aber durch stete Bemühung wurde die Fähigkeit des Aufmerkens so gestärkt, daß er die Predigt zuletzt fast wörtlich wiedergeben konnte. Wenn er später die Argumente seiner parlamentarischen Gegner Punkt für Punkt widerlegte – eine Kunst, in der er unübertroffen war – so hatten wohl die wenigsten eine Ahnung davon, daß er die außerordentliche Gedächtnisschärfe, welche er bei solchen Gelegenheiten zeigte, in erster Linie der Anleitung seines Vaters in der Dorfkirche zu Drayton verdankte.

Es ist in der Thai wunderbar, was ein beharrlicher Fleiß bei den alltäglichsten Dingen zustande bringen kann. Es erscheint einfach und leicht, eine Geige zu spielen; aber was für einer langen und mühsamen Übungszeit bedarf es, um darin Meister zu werden! Giardini antwortete einst einem jungen Manne, der ihn fragte, wie lange er wohl daran zu lernen hätte: »Zwanzig Jahre hindurch täglich zwölf Stunden!« – »Der Fleiß,« sagt der Franzose, »fait l'ours danser.« Die arme Figurantin muß Jahre unaufhörlicher Arbeit ihrer undankbaren Aufgabe opfern, ehe sie darin glänzen kann. Wenn sich die Taglioni auf ihre Abendvorstellung vorbereitete, so pflegte sie nach einer zweistündigen strengen Lektion von seiten ihres Vaters erschöpft und vollkommen bewußtlos zusammenzubrechen, sodaß man sie entkleiden und durch kalte Abreibungen wieder zum Leben erwecken mußte. Die Gelenkigkeit und die eleganten Entrechats, mit denen sie abends die Zuschauer entzückte, wurden nur um diesen Preis erkauft.

Auf den edelsten Gebieten schreitet man indes nur verhältnismäßig langsam vor. Große Resultate lassen sich nicht plötzlich erzielen, und wir müssen zufrieden sein, wenn wir im Leben auch nur schrittweise vorwärts kommen. Nach De Maistres Worten »besteht das große Geheimnis des Erfolgs darin, daß man zu warten weiß.« Die Saat muß der Ernte vorangehen, und oft müssen wir lange warten und uns an der Hoffnung genügen lassen! denn gerade diejenigen Früchte, die am meisten des Wartens wert sind, reifen am langsamsten. »Doch Zeit und Geduld verwandeln« – wie ein orientalisches Sprichwort sagt, »das Maulbeerblatt in Atlas.«

Um aber geduldig warten zu können, muß man fröhlich arbeiten. Die Heiterkeit ist eine vortreffliche Arbeitertugend, welche dem Charakter eine große Spannkraft verleiht. Wenn nach den Worten eines Bischofs »die Sanftmut neun Zehntel des Christentums ausmacht,« so stellen Heiterkeit und Fleiß neun Zehntel der praktischen Weisheit dar. Sie sind Leben und Seele des Erfolgs wie des Glückes; und die höchste Freude, die diese Erde uns gewährt, entspringt vielleicht aus klarer, frischer, zielbewußter Arbeit, womit Energie, Selbstvertrauen und alle anderen guten Eigenschaften in enger Verbindung stehen. Als Sydney Smith zu Foston-le-Clay in Yorkshire das Amt eines Dorfgeistlichen versah – das nach seiner Meinung nicht ganz seinen Fähigkeiten entsprach – ging er fröhlich und mit dem festen Vorsatz ans Werk, sein Bestes zu leisten. »Ich bin entschlossen,« sagte er, »mein Amt zu lieben und mich damit auszusöhnen – was mir männlicher erscheint, als wenn ich mich darüber erhaben dünken und mit der Post Klagen in die Welt senden wollte – des Inhalts, daß ich mich hier nicht am Platze, oder daß ich mich elend fühle, und was dergleichen Redensarten mehr sind.«

So äußerte auch Dr. Hook, als er Leeds verließ und in einen neuen Wirkungskreis eintrat: »Was ich auch sei, ich werde mit Gottes Hilfe die mir zugewiesene Arbeit nach besten Kräften verrichten, und wenn ich keine Arbeit vorfinde, so werde ich mir welche schaffen.«

Diejenigen, welche für das Gemeinwohl wirken, müssen besonders lange und geduldig arbeiten – oft ohne die ermutigende Aussicht auf unmittelbaren Lohn oder Erfolg. Die Saat, welche sie ausstreuen, liegt zuweilen lange unter dem Schnee des Winters verborgen, und ehe der Frühling kommt, muß der Sämann vielleicht zur ewigen Ruhe eingehen. Nicht jeder Förderer der Volkswohlfahrt sieht wie Rowland Hill schon bei seinen Lebzeiten seine großen Ideen Frucht bringen. Adam Smith streute an jener schmutzigen, alten Universität zu Glasgow die Saat einer großen socialen Reform aus und begann dort, wo er so lange wirkte, sein Wert über den »Wohlstand der Völker« ( »Wealth of Nationes«), aber es gingen zwanzig Jahre ins Land, bis sein Werk wahrnehmbare Früchte trug, und noch heute sind dieselben nicht alle eingesammelt. Nichts kann den Menschen für den Verlust der Hoffnung entschädigen; derselbe verwandelt den ganzen Charakter. »Wie kann ich arbeiten – wie kann ich fröhlich sein,« sagte ein großer, aber unglücklicher Denker, »wenn ich alle Hoffnung verloren habe?« Der Missionar Carey war infolge seiner Hoffnungsfreudigkeit einer der heitersten und mutigsten Arbeiter. Als er in Indien war, kam es nicht selten vor, daß er während eines Tages mehr leistete als die drei Brahminen, die ihm als Schreiber dienten; denn die Muße war bei ihm nur ein Arbeitswechsel. Carey, der Sohn eines Schuhmachers, wurde in seinen Bestrebungen von Ward, dem Sohne eines Zimmermanns, und Marsham, dem Sohne eines Webers, unterstützt. Durch ihre Bemühungen entstand in Serampore eine prächtige Schule; auch wurden sechzehn blühende Stationen angelegt. Außerdem ward die Bibel in sechzehn Sprachen übersetzt und die Saat einer wohlthätigen moralischen Umgestaltung im britischen Indien ausgestreut. Carey schämte sich zu keiner Zeit seiner ärmlichen Herkunft. Als er einst bei dem Generalgouverneur zu Tische geladen war, hörte er, wie ein ihm gegenüber sitzender Offizier einen anderen mit vernehmlicher Stimme fragte, ob Carey nicht vordem ein Schuster gewesen sei. »Nein, mein Herr,« rief Carey sogleich, »nur ein Schuhflicker!« – Die Beharrlichkeit, welche er schon als Knabe bewies, wird in hervorragender Weise durch folgende Anekdote illustriert: Als er eines Tages auf einen Baum kletterte, glitt sein Fuß aus und er fiel zu Boden, wobei er ein Bein brach. Er mußte wochenlang zu Bett liegen: aber als er wieder gesund war und ohne Unterstützung gehen konnte, war es sein Erstes, von neuem auf jenen Baum zu klettern. Carey bedurfte dieses unerschrockenen Mutes, um das große Missionswerk seines Lebens zu vollbringen, das er so edel und entschlossen ausführte.

Dr. Young, der Philosoph, hatte den Grundsatz: »Jeder kann thun, was ein anderer gethan hat.« und es steht fest, daß er nie vor einer der Proben zurückgewichen ist, die er sich selbst auferlegte. Wie man erzählt, befand er sich, als er zum erstenmal ein Pferd bestieg, in der Gesellschaft des Enkels des Herrn Barclay aus Ury, jenes wohlbekannten Sportsmans. Ein voraussprengender Reiter setzte über eine hohe Umzäunung; Young wollte es ihm gleichthun, fiel aber dabei vom Pferde. Ohne ein Wort zu sagen, stieg er von neuem auf und machte einen zweiten Versuch mit demselben Mißerfolg; doch fiel er diesmal nur auf den Hals des Pferdes, an dem er sich festhielt. Der dritte Versuch endlich glückte – der Reiter nahm das Hindernis.

Die Geschichte von dem Tatarenfürsten Timur, der im Unglück von einer Spinne Geduld lernte, ist wohlbekannt. Nicht minder interessant ist die Anekdote, die der amerikanische Ornithologe Audubon von sich selbst erzählt. »Ein Unfall, von welchem zweihundert meiner Originalzeichnungen betroffen wurden,« so berichtet er, »hätte beinahe meinen ornithologischen Forschungen ein Ziel gesetzt. Ich will die Sache mitteilen, nur um zu zeigen, wie der Enthusiasmus – denn keinen anderen Namen kann ich meiner Beharrlichkeit geben – einen Naturforscher befähigen kann, die betrübendsten Mißhelligkeiten zu überwinden. Ich verließ das am Ohio gelegene Dorf Henderson in Kentucky, wo ich während mehrerer Jahre wohnte, um in Geschäftsangelegenheiten nach Philadelphia zu reisen. Ehe ich aufbrach, sah ich meine Zeichnungen durch und legte sie sorgfältig in eine Holzkiste, die ich einem Verwandten mit der dringenden Bitte übergab, darauf zu achten, daß sie nicht zu Schaden käme. Meine Abwesenheit dauerte mehrere Monate, und als ich mich nach meiner Heimkehr ein paar Tage den Freuden der Häuslichkeit gewidmet, fragte ich nach meiner Kiste und ihrem Inhalt, den ich scherzweise »meinen Schatz« nannte. Die Kiste wurde hervorgeholt und geöffnet; aber, Leser, stelle dir mein Entsetzen vor: ein Lemmingspaar hatte sich darin häuslich niedergelassen und seine Jungen inmitten der Fetzen des zernagten Papiers großgezogen, auf welchem noch vor einem Monat fast tausend Bewohner der Luft im Bilde zu sehen waren! Die brennende Hitze, die ich augenblicklich im Hirn verspürte, war zu groß, als daß sie nicht mein ganzes Nervensystem hätte erschüttern sollen. Ich verschlief jetzt nicht nur die Nächte, sondern auch mehrere Tage gingen mir wie im Traum vorüber, bis endlich meine starke Konstitution die animalischen Kräfte wieder wach rief. Nun nahm ich meine Flinte, mein Notizbuch und meine Bleistifte und ging so heiter in die Wälder, als wenn nichts passiert wäre. Ich freute mich, daß ich nun besser zeichnen würde als vorher, und ehe drei Jahre vorüber waren, hatte sich meine Mappe schon wieder gefüllt,«

Die zufällige Vernichtung von Sir Newtons Papieren durch sein Hündchen »Diamant,« welches eine brennende Kerze auf seinem Schreibtisch umwarf und so die mühsamen Berechnungen vieler Jahre in einem Augenblick zunichte machte, ist zu bekannt, als daß darüber genauer berichtet zu werden brauchte. Wie man sagt, verursachte dieser Verlust dem Philosophen einen derartigen Kummer, daß seine Gesundheit ernstlich dadurch geschädigt wurde, und daß sogar sein Verstand darunter litt. Ein Unfall ähnlicher Art traf das Manuskript des ersten Bandes von Herrn Carlyles »Französischer Revolution.« Er hatte dasselbe einem sich gleichfalls mit der Litteratur befassenden Nachbar zum Durchlesen gegeben. Durch irgend einen unglücklichen Zufall blieb es auf dem Fußboden des Wohnzimmers liegen und wurde vergessen. Darüber vergingen Wochen, und der Historiker sandte endlich nach seiner Arbeit, da die Drucker bereits ungestüm danach verlangten. Man stellte nun Nachforschungen an, und es ergab sich schließlich, daß das »Mädchen für alles« einen – wie sie meinte – unnützen Haufen Papier am Boden liegen gesehen und daraus Fidibusse gemacht hatte, mit denen sie das Feuer im Küchenherd und in dem Ofen der Wohnstube ansteckte! Das war die Antwort, die Herr Carlyle erhielt; was er dabei empfand, kann man sich denken. Es war hier aber nichts zu machen, als entschlossen ans Wert zu gehen und das Buch zum zweitenmal zu schreiben, was er auch that. Er hatte kein Konzept und war daher gezwungen, sich Thatsachen, Ideen und Ausdrücke wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, die ihm längst entschwunden waren. Die Abfassung des Buches war im ersten Fall ein Vergnügen gewesen; im zweiten war sie eine unglaublich mühselige und qualvolle Arbeit. Daß er unter solchen Umständen den Band weiterschrieb und vollendete, war ein Beweis von Willenskraft, der wohl selten übertroffen worden ist.

Das Leben großer Erfinder illustriert in hervorragender Weise dieselbe Tugend der Beharrlichkeit. Wenn George Stephensen mit jungen Leuten redete, pflegte er seinen besten Rat für sie in das kurze Wort zusammenzufassen: »Machen Sie es wie ich – beweisen Sie Ausdauer!« Er arbeitete etwa fünfzehn Jahre an der Vervollkommnung seiner Lokomotive, bis er endlich zu Rainhill einen entscheidenden Sieg errang, und Watt beschäftigte sich mit seinem Kondensator dreißig Jahre, bevor es ihm gelang, der Maschine ihre richtige Gestalt zu geben. Indes lassen sich ebenso schlagende Beispiele von Beharrlichkeit auch in allen anderen Zweigen der Wissenschaft. Kunst und Industrie finden. Eines der interessantesten ist vielleicht die Ausgrabung der Baudenkmäler von Ninive und die Entzifferung der längst vergessenen Keilschrift, mit der sie beschrieben sind – einer Schriftart, deren Kenntnis schon zur Zeit der Eroberung Persiens durch die Macedonier verloren ging.

Ein intelligenter Avantageur der ostindischen Compagnie, der in Kermanschah in Persien stationiert war, studierte eifrig die Keilschrift auf den alten Baudenkmälern der Umgegend, über die es keinerlei historische Kunde mehr gab. Unter den Inschriften, die er kopierte, befand sich auch diejenige des berühmten Felsens von Behistun – einer Bergwand, die steil, fast senkrecht bis zu einer Höhe von etwa 1700 Fuß aus der Ebene emporsteigt und an ihrem unteren Teil in einer Ausdehnung von circa 300 Fuß mit Inschriften in persischer, scythischer und assyrischer Sprache bedeckt ist. Durch Vergleichung des Bekannten mit dem Unbekannten – der lebenden Sprache mit der toten – gelang es dem Avantageur, sich eine teilweise Kenntnis der Keilschrift zu erwerben und sogar ein Alphabet davon zusammenzustellen. Herr (später Sir) Henry Rawlinson sandte seine Kopien zur Begutachtung in die Heimat. Damals wußte noch kein Universitätsprofessor etwas über die Keilschrift; aber ein ehemaliger Buchhalter der ostindischen Compagnie – ein bescheidener, unbekannter Mann, Namens Norris – hatte sich dies noch unerforschte Gebiet zu seinem Studium erwählt, und ihm legte man die Kopien vor. Seine Kenntnisse in diesem Fache waren so genau, daß er – obwohl er den Felsen von Behistun nie mit Augen gesehen – doch sogleich behauptete, der Avantageur habe die rätselhafte Inschrift nicht ganz richtig abgebildet. Rawlinson, der sich noch immer in der Nähe des Felsens aufhielt, verglich seine Kopie mit dem Original und fand, daß Norris recht hatte, worauf er durch weitere Vergleichung und sorgfältiges Studium immer tiefer in die Kenntnis der Keilschrift eindrang. Um aber die Gelehrsamkeit dieser beiden Autodidakten praktisch nutzbar zu machen, bedurfte es noch eines dritten Arbeiters, der ihnen das nötige Material zur Ausübung ihrer Kunst lieferte. Ein solcher bot sich ihnen in der Person Austen Layards dar, der vordem als Schreiber in dem Bureau eines Londoner Rechtsanwalts fungiert hatte. Man hätte kaum denken sollen, daß diese drei Männer – ein Avantageur, ein Buchhalter der ostindischen Compagnie und ein Schreiber aus dem Bureau eines Rechtsanwalts – die Entdecker einer vergessenen Sprache und der begrabenen Denkmäler Babylons werden würden, und doch war dem so. Layard bereiste als Jüngling von zweiundzwanzig Jahren den Orient, getrieben von dem Wunsche, in die Regionen jenseits des Euphrats einzudringen. Mit »einem einzigen Begleiter passierte er – dem Schutz seines Armes und mehr noch seiner Heiterkeit, Höflichkeit und Ritterlichkeit vertrauend – das Gebiet von Stämmen, die miteinander in tödlicher Fehde lebten, und nach Verlauf vieler Jahre gelang es ihm, mit verhältnismäßig kleinen Mitteln, aber mit großer Emsigkeit und Beharrlichkeit, entschlossener Willenskraft und fast erhabener Geduld – unter dem Antrieb eines leidenschaftlichen Forschungs- und Entdeckungseifers – eine Menge historischer Schätze bloßzulegen und auszugraben, wie sie wohl noch nie zuvor durch den Fleiß irgend eines Menschen gesammelt worden. Layard förderte Basreliefs zu Tage, die eine Strecke von zwei Meilen bedeckten. Die Sammlung dieser wertvollen Altertümer, die sich gegenwärtig in dem Britischen Museum befindet, bildete zu den schriftlichen Berichten von Ereignissen, die sich vor mehr als 3000 Jahren zutrugen, einen so merkwürdigen Kommentar, daß sie der Welt fast wie eine neue Offenbarung erschienen. Und die Geschichte der Ausgrabung dieser großartigen Überreste, die Herr Layard selbst in seinem Buch von den »Denkmälern Ninives« erzählt, wird immer als eine der anziehendsten und lebensvollsten Schilderungen gelten, die je von individueller Unternehmungslust, Emsigkeit und Energie entworfen worden sind.

Die Laufbahn des Grafen Buffon ist ein anderes merkwürdiges Beispiel von der Macht des geduldigen Fleißes und gleichzeitig eine Erläuterung seines eigenen Ausspruchs, der das Genie mit der Geduld identifiziert. Trotz der großen Erfolge, die Buffon später als Naturforscher erzielte, galt er als Knabe für nur mittelmäßig begabt. Sein Geist entwickelte sich langsam und vermochte das, was er erfaßte, nur schwerfällig wiederzugeben. Seiner Konstitution zufolge neigte er zur Bequemlichkeit, und da er von Hause aus reich war, so schien man zu der Annahme berechtigt, daß er sich dem Wohlleben und der Weichlichkeit ergeben würde. Statt dessen aber faßte er schon frühe den Entschluß, dem Vergnügen zu entsagen und sich dem Studium und der Selbsterziehung zu widmen. Da er die Zeit als einen Schatz von beschränktem Umfang betrachtete, so meinte er, durch spätes Aufstehen würden täglich viele Stunden verloren, weshalb er sich dieser Gewohnheit entschlagen wollte. Er kämpfte eine Zeitlang ernstlich mit seiner Trägheit, war aber außerstande, sich zu der beabsichtigten Stunde zu erheben. Nun rief er seinen Diener Joseph zu Hilfe und versprach ihm für jedesmal, wo er ihn vor sechs Uhr aus dem Bett befördern würde, eine Krone zur Belohnung. Zuerst wollte Buffon nicht aufstehen, wenn er geweckt wurde; er schützte Unwohlsein vor oder stellte sich ärgerlich über die Störung, und wenn der Graf sich schließlich erhob, so erntete Joseph nur Vorwürfe, weil er seinen Herrn gegen dessen ausdrücklichen Befehl so lange hatte zu Bett liegen lassen. Endlich war der Diener fest entschlossen, sich seine Krone zu verschaffen, und wieder und immer wieder drängte er Buffon zum Aufstehen, so sehr dieser auch bat, schalt oder gar mit augenblicklicher Dienstentlassung drohte. Als Buffon eines Morgens besonders eigensinnig war, griff Joseph zu der außerordentlichen Maßregel, ihm eine Schale eiskalten Wassers unter die Bettdecke zu gießen – womit er einen augenblicklichen Erfolg erzielte. Durch konsequente Anwendung solcher Mittel besiegte Buffon zuletzt seine üble Gewohnheit und pflegte später gern zu sagen, daß er seinem Joseph drei oder vier Bände seiner Naturgeschichte verdanke.

Vierzig Jahre seines Lebens arbeitete Buffon täglich von neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags und dann wieder von fünf bis neun des Abends an seinem Schreibtisch, Sein Fleiß war so anhaltend und regelmäßig, daß er ihm zur Gewohnheit wurde. Sein Biograph sagt von ihm: »Die Arbeit war ihm eine Notwendigkeit; seine Studien waren der Reiz seines Lebens, und gegen das Ende seiner glorreichen Laufbahn äußerte er häufig, er hoffe denselben noch einige Jahre widmen zu können.« Er arbeitete höchst gewissenhaft und war immer beflissen, dem Leser seine besten Gedanken in der besten Form darzubieten. Er wurde niemals müde, an seinen Werken zu feilen, sodaß der Stil derselben als nahezu vollkommen bezeichnet werden muß. Er schrieb die »Époques de la Nature« nicht weniger als elfmal um, ehe er mit ihnen zufrieden war, und dennoch hatte er über das Werk fünfzig, Jahre lang nachgedacht. Er war durch und durch praktisch und in jeder Beziehung sehr ordnungsliebend; er pflegte zu sagen, das Genie verliere drei Viertel seiner Bedeutung, wenn es nicht mit Ordnung verbunden sei. Sein großer schriftstellerischer Erfolg war hauptsächlich das Resultat seiner gewissenhaften Arbeit und seines eifrigen Fleißes. Nach Madame Neckers Bericht erzählte Buffon, »er habe – in der festen Überzeugung, daß das Genie das Resultat einer eingehenden, auf einen bestimmten Gegenstand gerichteten Aufmerksamkeit sei – trotz der Ermüdung, die er nach Abfassung seiner ersten Werke empfunden, sich immer wieder gezwungen, dieselben zur Hand zu nehmen und von neuem durchzulesen, selbst wenn er sie schon zu einer gewissen Vollendung gebracht zu haben meinte, und zuletzt habe diese lange und gründliche Korrektur ihn nicht mehr ermüdet, sondern ergötzt.« Man muß noch, hinzufügen, daß Buffon alle seine großen Werke schrieb und veröffentlichte, während er von einem der schmerzhaftesten Leiden geplagt war, denen der menschliche Körper ausgesetzt ist.

Das literarische Leben bietet uns zahlreiche Beispiele einer ähnlichen Beharrlichkeit, und vielleicht ist in dieser Beziehung kein Lebenslauf lehrreicher als der des Sir Walter Scott. Seine bewunderungswürdige Arbeitskraft wurde in dem Bureau eines Rechtsanwalts ausgebildet, wo er jahrelang eine Art Frohndienst verrichtete, der sich wenig über die Arbeit eines Kopisten erhob. Sein ödes Tagewerk machte ihm die Abende, die ihm gehörten, um so lieber, und er widmete sie gewöhnlich der Lektüre und dem Studium. Er selbst meinte, daß er jene Gewohnheit des emsigen, nüchternen Fleißes, an der es den ausschließlich literarisch beschäftigten Personen so häufig fehlt, in erster Linie seiner prosaischen Berufsthätigkeit verdanke. Als Kopist empfing er für jede Seite, die eine bestimmte Anzahl von Wörtern enthielt, drei Pence. Zuweilen wurde es ihm durch Extraarbeit möglich, in vierundzwanzig Stunden 120 Seiten abzuschreiben und somit 30 Schillinge zu verdienen: alsdann war er imstande, sich gelegentlich ein Buch zu kaufen, wozu andernfalls seine Mittel nicht ausgereicht hätten.

Während seines späteren Lebens spielte sich Scott gern als Geschäftsmann auf und behauptete im Gegensatz zu dem »Gewäsch der Dichterlinge« (wie er sich ausdrückte), daß das Genie keineswegs unbedingt mit einer Abneigung gegen die Pflichten des Alltagslebens oder gar mit einer Verachtung derselben verbunden sein müsse. Er war im Gegenteil der Ansicht, daß es den höheren geistigen Fähigkeiten schließlich zum Nutzen gereiche, wenn man einen ansehnlichen Teil des Tages irgend einer praktischen Beschäftigung widme. Während er später als Aktuar an dem Gerichtshof von Edinburg fungierte, schrieb er an seinen literarischen Arbeiten hauptsächlich vor dem Frühstück, während er tagsüber auf dem Gericht beschäftigt war, wo er Urkunden und Schriftstücke der verschiedensten Art zu beglaubigen hatte. »Überhaupt,« sagt Lockhart, »ist es ein merkwürdiger Zug in seiner Lebensgeschichte, daß er während der thätigsten Periode seiner litterarischen Laufbahn – zum mindesten in der einen Hälfte des Jahres – einen großen Teil seiner Zeit der gewissenhaften Erledigung seiner Berufspflichten geopfert haben muß.« Er machte es sich zum Princip, seinen Lebensunterhalt durch das Geschäft, nicht aber durch die Schriftstellerei zu verdienen. Er sagte gelegentlich einmal: »Ich beschloß, daß die Litteratur mein Stab, nicht aber meine Krücke sein sollte, und daß ich die Erträge meiner litterarischen Arbeiten – so erwünscht sie mir auch wären – doch nie, wenn es irgend anginge, zur Bestreitung meiner gewöhnlichen Ausgaben verwenden wollte.«

Die Pünktlichkeit war eine bei ihm besonders stark ausgebildete Gewohnheit – sonst wäre es ihm unmöglich gewesen, eine so ungeheuere litterarische Arbeitslast zu bewältigen. Er machte es sich zur Regel, jeden Brief, den er empfing, sofort zu beantworten, falls es dazu keiner weiteren Erkundigungen und Erwägungen bedürfte. Auf keine andere Weise hätte er der Flut schriftlicher Mitteilungen standhalten können, die von allen Seiten auf ihn eindrang und seine Gutmütigkeit oft auf die härteste Probe stellte. Er hatte die Gewohnheit, um fünf Uhr aufzustehen und selbst sein Kaminfeuer anzumachen. Dann rasierte er sich, zog sich gemächlich an und saß um sechs Uhr vor seinem Schreibtisch und seinen sorgfältig geordneten Papieren. Auf dem Fußboden reihten sich seine Nachschlagebücher rund um ihn her, und hinter denselben lag wenigstens einer seiner Lieblingshunde, ihn mit aufmerksamem Blick beobachtend. Wenn sich zwischen neun und zehn Uhr die Familie zum Frühstück versammelte, hatte Scott – um seine eigenen Worte zu gebrauchen – »bereits genug gethan, um seinem Tagewerk das Genick zu brechen.« Aber trotz seines emsigen und unermüdlichen Fleißes, trotz seiner großen Gelehrsamkeit, die das Resultat einer vieljährigen geduldigen Arbeit war, sprach Scott doch stets mit der größten Bescheidenheit von seinen eigenen Fähigkeiten. Bei einer Gelegenheit äußerte er: »Zu jeder Zeit meines Lebens habe ich mich von meiner eigenen Unwissenheit bedrückt und gehindert gefühlt.«

Das ist die wahre Weisheit und Demut; denn je mehr ein Mensch wirklich weiß, um so weniger selbstbewußt wird er sein. Jener Student des Trinitatis-Kollegiums, der sich von seinem Professor mit der Äußerung verabschiedete, daß er »mit seinem Studium fertig sei,« wurde von dem Gelehrten gebührend mit den Worten beschämt: »Wirklich? ich habe nur eben mit dem meinigen angefangen!« – Der oberflächliche Mensch, der sich eine teilweise Kenntnis von vielen Dingen angeeignet hat und doch nichts gründlich weiß, mag sich seiner Gaben rühmen; aber der Weise wird demütig bekennen, daß die Summe seines Wissens die Erkenntnis seiner Unwissenheit sei; oder er wird mit Newton eingestehen, daß er nur Muscheln am Meeresstrande gesammelt habe, während der große Ocean der Wahrheit noch unerforscht vor ihm liege.

Auch das Leben der minder hervorragenden Schriftsteller liefert uns merkwürdige Beispiele von der Macht der Beharrlichkeit. Der verstorbene John Britton, der Verfasser des Buches: »The Beauties of England and Wales« und vieler wertvoller Werke über Architektur, wurde zu Kingston in Wiltshire in einer elenden Hütte geboren. Sein Vater war Bäcker und Mälzer gewesen, hatte aber Bankerott gemacht und den Verstand verloren, als Britton noch ein Kind war. Bei geringem Schulunterricht empfing der Knabe ein schlechtes Beispiel von seiner Umgebung, das ihn aber zum Glück nicht verdarb. Er wurde frühe zu einem Onkel – einem Schankwirt in Clerkenwell – in Dienst gegeben, bei welchem er während einer Zeit von mehr als fünf Jahren damit beschäftigt war, Wein abzufüllen und danach die Flaschen zu verkorken und in den Keller zu tragen. Als er kränklich wurde, steckte ihm sein Onkel zwei Guineen als den Lohn seiner fünfjährigen Arbeit in die Tasche und jagte ihn dann in die Welt hinaus. Während der folgenden sieben Jahre seines Lebens machte er mannigfache Wechselfälle und Beschwerden durch. Trotzdem erzählt er in seiner Selbstbiographie: »In meiner armseligen, dunkeln Kammer, welche 18 Pence die Woche kostete, habe ich studiert und oft an den Winterabenden im Bett gelesen, weil ich mir kein Feuer gönnen konnte.« Nachdem er zu Fuß bis Bath gereist war, fand er dort eine Stelle als Kellner; aber bald danach treffen wir ihn wieder in der Landeshauptstadt, fast ohne einen Pfennig, ohne Schuhe und ohne Hemd. Es gelang ihm jedoch, als Kellerknecht in der »London Tavern« Beschäftigung zu finden, woselbst er von sieben Uhr morgens bis abends um elf im Keller sein mußte. Seine Gesundheit litt durch den langen Aufenthalt in dem dunkeln, feuchten Raum und durch die ihm dort obliegende schwere Arbeit. Daher trat er gegen ein wöchentliches Salair von 15 Schillingen bei einem Rechtsanwalt in Dienst – denn er hatte sich in den wenigen freien Augenblicken, die er sein eigen nennen durfte, fleißig im Schreiben geübt. Während er sich in dieser Stellung befand, verwendete er seine Muße hauptsächlich auf die Besichtigung der Bücherstände der Antiquare, wobei er Werke, die er nicht kaufen konnte, bruchstückweise las und sich so eine Menge unzusammenhängender Kenntnisse aneignete. Dann trat er mit einem bis auf zwanzig Schilling erhöhten Wochenlohn in ein anderes Bureau ein und fuhr auch jetzt fort, in seiner Mußezeit zu lesen und zu lernen. Mit achtundzwanzig Jahren war er imstande, ein Buch zu schreiben, welches er unter dem Titel: »Die kühnen Abenteuer Pizarros« drucken ließ, und von dieser Zeit ab bis zu seinem Tode – während einer Periode von etwa fünfundfünfzig Jahren – war Britton emsig mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Die Zahl der von ihm herausgegebenen Werke beträgt nicht weniger als siebenundachtzig; das wichtigste darunter ist sein Buch über die »kirchlichen Altertümer Englands« – ein prächtiges Wert in vierzehn Bänden, welches das beste Denkmal von John Brittons unermüdlichem Fleiße darstellt.

Der Landschaftsgärtner London war ein Mann von ähnlichem Charakter und gleichfalls im Besitz einer außerordentlichen Arbeitskraft. Als Sohn eines in der Nähe von Edinburg lebenden Farmers wurde er früh mit der Arbeit vertraut. Seine Geschicklichkeit im Planzeichnen und Skizzieren von Landschaften bewog seinen Vater, ihn zum Landschaftsgärtner ausbilden zu lassen. Während seiner Lehrzeit blieb er jede Woche zwei Nächte hindurch auf und studierte, und doch arbeitete er am Tage eifriger als ein Tagelöhner. Durch seine nächtlichen Studien erlernte er die französische Sprache, und ehe er noch achtzehn Jahre alt war, übersetzte er eine Lebensgeschichte Abälards für eine Encyklopädie. Er war so eifrig darauf bedacht, im Leben vorwärts zu kommen, daß er mit erst zwanzig Jahren, während er als Gärtner in England arbeitete, die Worte in sein Tagebuch schrieb: »Ich bin jetzt zwanzig Jahre alt; ein Drittel meines Lebens liegt vielleicht hinter mir – und was habe ich für das Wohl meiner Mitmenschen gethan?« Das ist für einen erst zwanzigjährigen Jüngling gewiß eine ungewöhnliche Reflexion. Vom Französischen ging er zum Deutschen über und eignete sich die Kenntnis dieser Sprache auch bald an. Er übernahm nun ein großes Landgut in der Absicht, den Ackerbau nach einer verbesserten, schottischen Methode zu betreiben; und es gelang ihm wirklich, in kurzer Zeit bedeutende Erträge zu erzielen. Da nach Beendigung des Krieges der Kontinent den Reisenden offen stand, so ging er hinüber, um die Systeme des Garten- und Ackerbaues anderer Länder kennen zu lernen. Er wiederholte seine Reisen zweimal und veröffentlichte ihre Resultate in seinen Encyklopädien, die zu den merkwürdigsten Werken ihrer Art gehören und sich durch die ungeheuere Fülle des in ihnen enthaltenen Materials auszeichnen, das mit einem Fleiße und einer Arbeitskraft zusammengetragen ist, wie sie sich wohl selten in gleichem Maße vorfindet.

Die Lebensgeschichte Samuel Drews ist nicht minder merkwürdig als diejenige irgend eines der von uns angeführten Männer. Sein Vater war ein schwer arbeitender Tagelöhner aus dem Kirchspiel St. Austell in Cornwall. Trotz seiner Armut machte er es möglich, seine beiden Söhne in eine Schule in der Nachbarschaft zu schicken, wo das Schulgeld einen Penny die Woche betrug. Jabez, der ältere Sohn, lernte gern und machte gute Fortschritte in seinen Lektionen: aber Samuel, der jüngere, war ein Faulpelz und dazu ein notorischer Unheilstifter und Schulschwänzer. Mit acht Jahren mußte er in Arbeit gehen und verdiente sich täglich drei halbe Pence als Grubenjunge in einem Zinnbergwerk. Mit zehn Jahren kam er zu einem Schuhmacher in die Lehre und erduldete hier manche Mühsal, indem er – nach seinen eigenen Worten – »wie eine Kröte unter einer Egge« lebte. »Er dachte oft daran, wegzulaufen und Seeräuber oder etwas Ähnliches zu werden; überhaupt scheint er damals ebensosehr an Leichtsinn als an Alter zugenommen zu haben. Beim Plündern der Obstgärten pflegte er der Anführer zu sein; und als er älter wurde, war es ihm ein Hauptvergnügen, zu wildern oder zu schmuggeln. Mit ungefähr siebzehn Jahren – noch vor Beendigung seiner Lehrzeit – lief er weg, um an Bord eines Kriegsschiffes zu gehen; aber eine Nachtruhe auf einer abgemähten Wiese dämpfte seinen Enthusiasmus ein wenig, und er kehrte zu seinem Handwerk zurück.

Danach zog Drew in die Umgegend von Plymouth, um dort sein Schuhmachergewerbe fortzusetzen, und während er sich in Cawsand aufhielt, gewann er einen Preis im Knüttelspiel, worin er Meister gewesen zu sein scheint. In eben jener Gegend hätte er fast sein Leben bei einem Schmuggelgeschäft eingebüßt, an dem er halb aus Abenteuerlust, halb aus Gewinnsucht teilnahm, da sein regelmäßiger Wochenlohn nicht mehr als acht Schillinge betrug. Eines Nachts verbreitete sich in Crafthole die Kunde, daß ein Schmugglerschiff in der Nähe der Küste kreuze, um womöglich seine Ladung zu bergen, worauf die männliche Bevölkerung des Ortes – zum größten Teil aus Schmugglern bestehend – sich an den Strand begab. Ein Teil der Leute blieb auf den Uferfelsen zurück, um Signale zu geben und die gelandeten Güter in Sicherheit zu bringen, die anderen – unter denen sich auch Drew befand – bemannten die Boote. Die Nacht war außerordentlich finster; und man hatte erst wenig von der Ladung bergen können, als sich ein heftiger Wind und eine »schwere See« erhob. Die Männer in den Böten waren jedoch entschlossen, auszuharren, und fuhren mehrmals zwischen dem nun weiter in See liegenden Schmugglerschiff und der Küste hin und her. Einem der Leute aus dem Boot, in welchem sich Drew befand, wurde der Hut vom Kopfe geweht; und durch den Versuch, ihn wieder zu erhaschen, brachte er das Boot zum Kentern. Drei der Insassen ertranken augenblicklich; die anderen hielten sich eine Zeitlang an dem Boote fest, als sie aber merkten, daß es in die See hinaustrieb, ließen sie los und versuchten ans Ufer zu schwimmen. Sie waren zwei Meilen vom Lande entfernt, und die Nacht war rabenfinster. Nachdem Drew etwa drei Stunden geschwommen, erreichte er eine Klippe in der Nähe des Strandes und hielt hier mit ein oder zwei anderen – starr vor Kälte – bis zum Morgen aus, wo er samt seinen Gefährten entdeckt und mehr tot als lebendig fortgeschafft wurde. Nun brachte man ein Branntweinfaß von der eben ausgeschifften Ladung herbei, schlug den Deckel desselben mit einer Axt ein und bot einen Becher des Getränks den Geretteten dar – wodurch Drew so gestärkt wurde, daß er bald darauf den zwei Meilen langen Weg nach Hause durch tiefen Schnee zurücklegen konnte.

Dies war kein vielversprechender Lebensanfang, und dennoch überwand eben derselbe Drew – der Taugenichts, Obstdieb, Schuster und Knüttelspieler – den Leichtsinn seiner Jugend und wurde ein ausgezeichneter Verkündiger des Evangeliums und ein Verfasser guter Bücher. Denn zum Glück lenkte die ihm eigentümliche Energie noch beizeiten in bessere Bahnen ein und ließ ihn nun ebenso hervorragend in guten Werken werden, als er es ehedem in der Gottlosigkeit gewesen war. Sein Vater nahm ihn wieder nach St. Austell zurück und verschaffte ihm Arbeit als Schuhmachergeselle. Vielleicht hatte die erst kürzlich empfundene Nähe des Todes den jungen Mann ernster gemacht; denn wir finden ihn bald danach unter den eifrigen Hörern der eindringlichen Predigten des Dr. Adam Clarke, eines Pastors der Wesleyanischen Methodisten. Der um dieselbe Zeit eintretende Tod seines Bruders vertiefte noch seinen Ernst, und von nun an war er ein anderer Mensch. Er fing das Werk seiner Erziehung von neuem an; denn er hatte das Lesen und Schreiben fast ganz verlernt, und noch nach mehrjähriger Übung verglich ein Freund seine Schrift mit den Spuren, die eine in Tinte getauchte und auf ein Stück Papier gesetzte Spinne beim Umherkriechen darauf zurücklassen würde. Drew selbst sagt über seinen damaligen Bildungszustand: »Je mehr ich las, um so mehr fühlte ich meine Unwissenheit, und je mehr ich meine Unwissenheit fühlte, um so fester wurde mein Entschluß, sie zu überwinden. Jeder freie Augenblick wurde nun von mir dazu angewandt, irgend etwas zu lesen. Da ich mich durch die Arbeit meiner Hände unterhalten mußte, so hatte ich für Lektüre wenig Zeit übrig, und um diesen Nachteil zu überwinden, pflegte ich beim Essen ein Buch vor mir liegen zu haben und bei jeder Mahlzeit fünf oder sechs Seiten zu lesen.« Durch die Bekanntschaft mit Lockes »Untersuchung über den Verstand« erhielt sein Geist eine metaphysische Richtung. »Ich wurde dadurch,« erzählt er, »aus meinem Stumpfsinn aufgerüttelt und zu dem Entschluß gebracht, mich von meinen bisherigen niedrigen Anschauungen loszusagen.«

Drew fing nun an, sein Geschäft auf eigene Rechnung zu betreiben – obwohl er nur über ein Kapital von wenigen Schillingen verfügte; aber er galt bereits für so tüchtig, daß ein benachbarter Müller ihm ein Darlehn anbot, welches er auch annahm, und da der Erfolg seinen Fleiß belohnte, so wurde die Schuld am Ende des Jahres abgezahlt. Alsbald faßte er den Entschluß, »keinem Menschen etwas schuldig zu sein;« und er blieb demselben unter vielen Entbehrungen treu. Oft ging er ohne Abendbrot zu Bett, um nicht mit Schulden aufzustehen. Es war sein Ehrgeiz, sich durch Fleiß und Sparsamkeit unabhängig zu machen; und dies gelang ihm auch allmählich. Trotz unaufhörlicher Arbeit war er emsig bemüht, seinen Geist durch das Studium der Astronomie, Geschichte und Metaphysik zu bilden. Zur Beschäftigung mit der letztgenannten Wissenschaft veranlaßte ihn hauptsächlich der Umstand, daß er dazu nicht so viele Bücher brauchte wie zu irgend einem anderen Studium. »Es schien mir ein dorniger Pfad zu sein,« sagte er, »aber ich entschloß mich trotzdem, darauf vorzudringen, und betrat ihn demgemäß.«

Drew beschäftigte sich aber nicht nur mit seiner Schusterei und seinen metaphysischen Studien, sondern wurde auch Lokalprediger und Leiter einer Sonntagsschule. Er nahm ein lebhaftes Interesse an der Politik; und seine Werkstätte wurde ein beliebter Sammelplatz der Dorfpolitiker. Wenn diese nicht zu ihm kamen, so suchte er sie auf, um mit ihnen über öffentliche Angelegenheiten zu sprechen. Dies kostete ihm so viel Zeit, daß er es zuweilen nötig fand, bis Mitternacht zu arbeiten, um die verlorenen Tagesstunden zu ersetzen. Sein politischer Eifer wurde bald zum Dorfgespräch.

Als er eines Abends spät an einer Schuhsohle hämmerte, legte ein kleiner Junge, welcher durch das Licht in der Werkstätte angelockt war, seinen Mund an das Schlüsselloch der Thür und rief mit schriller Stimme: »Schuster. Schuster! arbeite du nur bei Nacht und renne am Tage umher!« Ein Freund, dem Drew diese Geschichte später erzählte, fragte ihn: »Bist du denn dem Jungen nicht nachgelaufen und hast ihn durchgewichst?« – »Nein, nein!« war die Antwort, »wäre eine Pistole dicht an meinem Ohr abgefeuert worden, so hätte mich das nicht mehr erschrecken und verwirren können. Wahr, sehr wahr! sagte ich zu mir selbst, indem ich meine Arbeit fallen ließ, aber du sollst mir das nie wieder sagen dürfen. Jener Ruf erschien mir wie die Stimme Gottes und war für mich ein Wort zur rechten Zeit, welches mein ganzes Lehen durchklang. Ich lernte daraus, die Arbeit von heute nie auf morgen zu verschieben – und nie zu faulenzen, wenn ich arbeiten sollte.«

Von jenem Augenblick an entsagte Drew der Politik und widmete sich seiner Arbeit. In seinen freien Stunden las und studierte er; wenn aber diese letztere Beschäftigung auch häufig seine Ruhe schmälerte, so gestattete er ihr doch nie, sein Geschäft zu beeinträchtigen. Er verheiratete sich und dachte daran, nach Amerika auszuwandern, blieb jedoch schließlich im Lande und arbeitete weiter. Seine litterarischen Neigungen wandten sich zuerst poetischen Schöpfungen zu; und einige Bruchstücke, die uns erhalten geblieben sind, scheinen zu beweisen, daß seine Anschauungen über das Geistesleben und die Unsterblichkeit der Seele in seinem poetischen Empfinden wurzelten. Sein Studierzimmer war die Küche, wo der Blasebalg, dessen sich sonst seine Frau bediente, ihm die Stelle eines Schreibpults vertrat; und wo er inmitten des Kindergeschreis und des Knarrens der Wiege sich mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigte. Als Paines »Zeitalter der Vernunft« erschien und viel Aufsehen erregte, veröffentlichte er eine Flugschrift, in welcher er die Behauptungen jenes Buches widerlegte. Er sagte später häufig, daß das »Zeitalter der Vernunft« ihn zum Schriftsteller gemacht habe. Bald danach erschienen verschiedene Flugschriften aus seiner Feder in rascher Reihenfolge; und einige Jahre später – wahrend er noch als Schuster arbeitete – schrieb und veröffentlichte er seine bewunderungswürdige »Untersuchung über die Unkörperlichkeit und die Unsterblichkeit der Seele,« welche er für zwanzig Pfund – eine ihm damals groß erscheinende Summe – verkaufte. Das Buch erlebte viele Auflagen und wird noch heute geschätzt.

Drew wurde durch seine Erfolge nicht eitel gemacht, wie das sonst bei vielen jungen Autoren der Fall ist, sondern als er längst ein berühmter Schriftsteller war, konnte man ihn noch häufig die Straße vor seinem Hause fegen oder mit seinen Lehrlingen die Winterkohlen hereintragen sehen. Auch dauerte es eine ganze Weile, ehe er sich daran gewöhnte, die Litteratur als Lebensberuf zu betrachten. Seine erste Sorge war, sich durch sein Handwerk ein anständiges Auskommen zu sichern und in »die Lotterie des litterarischen Erfolgs« – wie er sich ausdrückte – nur den Überschuß seiner Zeit zu setzen. Endlich jedoch widmete er sich ganz der Litteratur, allerdings hauptsächlich im Interesse der Wesleyanischen Sekte – indem er ihre Zeitschriften herausgab und den Verlag mehrerer ihrer religiösen Schriften besorgte. Er war auch Mitarbeiter der » Eclectic Review« und schrieb und veröffentlichte außer zahlreichen anderen Werken auch eine wertvolle Geschichte der Grafschaft Cornwall – seiner Heimat. Gegen das Ende seines Lebens äußerte er einmal über sich selbst: »Aus einer der niedrigsten Gesellschaftsklassen hervorgehend, bin ich lebenslänglich bemüht gewesen, meiner Familie durch redlichen Fleiß, Einfachheit und hohe moralische Selbstachtung zu einer angesehenen Stellung zu verhelfen. Die göttliche Vorsehung hat auf meine Bemühungen freundlich herabgeschaut und meine Wünsche mit Erfolg gekrönt.« –

Der verstorbene Joseph Hume verfolgte eine ganz andere Laufbahn, bewies aber in seinen Bestrebungen eine ebenso große Ausdauer. Er war ein Mann von bescheidenen Talenten, aber von großem Fleiß und unantastbarer Redlichkeit des Willens. Das Motto seines Lebens hieß: »Beharrlichkeit«; und damit stimmte seine Handlungsweise überein. Noch im Kindesalter stehend, verlor er seinen Vater; worauf seine Mutter einen kleinen Kramladen in Montrose eröffnete und sich schwer abplagte, um ihre Kinder unterhalten und anständig erziehen zu können. Ihren Joseph übergab sie einem Wundarzt, damit er für den ärztlichen Beruf vorbereitet würde. Nachdem er sein Diplom erhalten, machte er als SchiffsarztEs charakterisiert Herrn Hume, daß er – während er in seinem Beruf zwischen England und Indien hin- und herreiste – sich in seiner freien Zeit eingehend mit nautischen Studien beschäftigte, was ihm viele Jahre später in bemerkenswerter Weise zu statten kam. Als er im Jahre 1825 auf einer Segelschmacke von London nach Leith fuhr, erhob sich –nachdem das Fahrzeug kaum die Themsemündung verlassen – ein plötzlicher Sturm, der das Schiff aus seinem Kurs trieb und es in der Dunkelheit der Nacht auf die unter dem Namen der »Goodwins« bekannten Sandbänke geraten ließ. Da der Kapitän seine Geistesgegenwart verloren hatte und außer stände zu sein schien, zusammenhängende Befehle zu erteilen, so wäre das Schiff wahrscheinlich ein völliges Wrack geworden, wenn nicht einer der Passagiere plötzlich das Kommando ergriffen und die notwendige» Arbeiten geleitet hätte – wobei er selbst das Steuer regierte, bis die Gefahr vorüber war. Auf solche Weise wurde das Fahrzeug gerettet – und der Retter war Herr Hume. mehrere Reisen nach Indien und trat später als Avantageur in den Dienst der ostindischen Compagnie. Keiner konnte eifriger arbeiten oder mäßiger leben als er, und da er sich durch seine Pflichttreue das Vertrauen seiner Vorgesetzten erwarb, so wurde er allmählich zu immer höheren Stellungen befördert. Im Jahre 1803 nahm er mit der Division des Generals Powell am Mahrattenkriege teil, und als der Dolmetscher starb, trat Hume, der unterdessen die einheimischen Sprachen studiert und erlernt hatte, an seine Stelle. Bald danach wurde er zum Chef des Sanitätscorps ernannt; aber als ob dies noch keine genügende Beschäftigung seiner Arbeitskraft gewesen wäre, übernahm er gleichzeitig die Pflichten eines Zahlmeisters und Postdirektors und erfüllte dieselben gleichfalls in befriedigender Weise. Außerdem ließ er sich die Lieferungen für das Kommissariat übertragen, was der Armee und ihm selbst zum Vorteil gereichte. Nach etwa zehnjähriger, unermüdlicher Arbeit kehrte er mit einem beträchtlichen Vermögen nach England zurück, wo es seine erste Sorge war, die ärmeren Mitglieder seiner Familie zu unterstützen.

Aber Joseph Hume war nicht der Mann dazu, die Früchte seines Fleißes in träger Ruhe zu genießen. Arbeit und Beschäftigung gehörten zu seinem Behagen und Glück. Um sich mit dem thatsächlichen Zustande seines Vaterlandes und der Lage der Bevölkerung bekannt zu machen, besuchte er jede Stadt des Königreichs, die sich eines gewissen industriellen Rufes erfreute. Danach reiste er ins Ausland, um sich auch über fremde Staaten zu unterrichten. Nach England zurückgekehrt, trat er im Jahre 1812 ins Parlament ein, dem er mit kurzer Unterbrechung während eines Zeitraums von vierunddreißig Jahren angehörte. Die erste Rede, die von ihm bekannt geworden ist, behandelte das Thema der Volkserziehung, und während seiner langen und ehrenvollen Laufbahn nahm er ein lebhaftes und ernstliches Interesse an dieser und jeder anderen Frage, die sich auf die Förderung und Hebung des Volkswohls bezog. Solche Fragen waren: Abänderung der Strafgesetze; Sparkassenwesen; Freihandel; Sparsamkeit und Einschränkung der öffentlichen Ausgaben: Erweiterung der Volksvertretung und ähnliche Maßregeln, die alle in ihm einen unermüdlichen Fürsprecher fanden. Was er unternahm, betrieb er mit redlichstem Eifer. Er war kein hervorragender Redner; aber von allem, was er sagte, durfte man überzeugt sein, daß es von den Lippen eines ehrlichen, treuherzigen und tüchtigen Mannes kam. Wenn Shaftesbury mit jenem Ausspruch recht hat, wonach die Lächerlichkeit die Probe der Wahrheit ist: so hat Joseph Hume diese Probe gut bestanden. Über keinen Menschen ist wohl je mehr gelacht worden als über ihn, und dennoch stand er beharrlich und buchstäblich »auf seinem Posten.« Er wurde gewöhnlich mit seinem Anhang geschlagen, aber sein Einfluß machte sich trotzdem bemerklich, und manche wichtige finanzielle Reform wurde indirekt durch ihn veranlaßt, obwohl man direkt gegen ihn stimmte. Die große Arbeitslast, die er bewältigte, muß Bewunderung erregen. Er stand um sechs Uhr auf, schrieb Briefe und ordnete seine Papiere für das Parlament; dann – nach dem Frühstück – empfing er geschäftliche Besuche, oft zwanzig an einem Vormittag. Das Haus trat selten ohne ihn zusammen, und wenn die Debatten auch bis zwei oder drei Uhr morgens dauerten, so fehlte sein Name doch selten unter den Mitgliedern seiner Partei. Kurz – es muß als eins der merkwürdigsten biographischen Beispiele von der Macht menschlicher Ausdauer gelten, daß dieser Mann eine so unausgesetzte Arbeit, die sich über einen so langen Zeitraum erstreckte und unter so vielfach wechselnden Ministerien stattfand, Woche für Woche, Jahr für Jahr vollbrachte, daß er – obwohl oft überstimmt, besiegt, verlacht und bei vielen Gelegenheiten fast allein dastehend – dennoch angesichts aller Schwierigkeiten standhaft blieb, sich die Heiterkeit seines Geistes bewahrte, nie in seiner Energie oder Hoffnung schwankend wurde und es schließlich erlebte, daß der größte Teil seiner Vorschläge mit Einstimmigkeit angenommen ward.


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