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10

Karlchen Gorski schlenderte über den Kasernenhof und steckte sich nach schwerer Arbeit die erste Zigarette an. Er hatte die Reserveschwadron im Fußdienst exerziert und sich selbst dabei gründlich hergenommen. Es war gut gegangen, weil den Kerlen allen ein besonderer Eifer in den Knochen steckte. Morgen kriegte jeder von ihnen einen Gaul zwischen die Beine und war wieder ein ganzer Kavallerist. Es war ihm eine große Freude gewesen, daß die Leute alle noch ebenso an ihm hingen wie zu der Zeit, da er sie aus Rekruten zu brauchbaren Mitgliedern der militärischen Gesellschaft gedrillt hatte. Als er vor die Front trat, lief durch die lange Reihe der Gesichter ein vergnügtes Schmunzeln, als wenn sie sich eine lustige Unterhaltung erwarteten. Er hob den rechten Zeigefinger an den Mützenschirm.

»Tag, Reserve!«

»Guten Tag, Herr Leutnant!« schrie es aus einer einzigen Kehle zurück.

»Heißen Dank! Und habt ihr nu 'ne Ahnung, weshalb ihr zu der Übung einberufen seid?«

Allgemeines Schweigen.

Er fischte sich einen der Reservisten, dem die Drillichjacke zum Platzen gespannt über dem runden Bäuchlein saß.

»Na, Sie zum Beispiel, Kowalski! Es ist zwar sonst nicht Ihre Gepflogenheit, aber ich schätze, Sie werden sich ausnahmsweise doch was dabei gedacht haben?«

»Wegen Russen, Herr Leutnant!«

»Ach nee, mein Freundchen, sondern wegen Speck! Der muß wieder runter, sonst geht die Militärverwaltung an Ihnen pleite. In 'nem Jahr brauchen Sie 'ne Säbelkoppel wie 'ne Longeleine, und so viel Geld haben wir nicht!«

Durch die Front lief ein brausendes Gelächter. Karl von Gorski hob wieder den Zeigefinger an den Mützenschirm.

»Ich sehe, Sie haben begriffen, meine Herren. Und jetzt wollen wir ein Weilchen exerzieren, bis ich die Überzeugung gewonnen habe, daß Sie wieder Ordensburger Dragoner sind! Wie lange dieses Weilchen dauern soll, wird ganz von Ihnen abhängen!« Und plötzlich stieg seine Stimme steil an, das Kommando flog in die Truppe wie ein heller Schlag.

»Stillgestanden! Eskadron – marsch!«

Wie mit einem einzigen Hieb flogen die linken Beine vor. Das erste Niederschlagen der Füße auf dem harten Boden des Kasernenhofes ergab einen einhelligen Gleichklang.

»Ausgezeichnet! Eskadron mit Gruppen rechts schwenkt – marsch … Tete – geradeaus … sehr nett, aber wenn ihr nu den Größenwahn kriegt, ihr wäret schon ausgelernte Infanteristen, seid ihr auf dem Holzweg …« So ging das eine Stunde lang fort, bis den Kerls der Schweiß in Strömen über die krebsroten Gesichter floß. Danach gab es Karabinerexerzieren, Bewegungen in Schützenlinie, gruppenweisen Angriff, zum Schluß einen Sturmanlauf mit Hurra über die ganze Länge des Kasernenhofes, der Leutnant von Gorski voran. Er schickte den Säbel mit einem kurzen Ruck in die Scheide zurück.

»So, Kinderchen, für die erste Begrüßung war es genug, und wir werden ja noch öfter das Vergnügen miteinander haben! Ich sehe zu meiner innigen Freude, unser Kollege Kowalski ist schlank geworben wie ein Aal … Noch mehr Spaß aber macht's mir, daß ich wieder zu euch sagen kann: Dragoner! Guten Abend, Dragoner!«

»Guten Abend, Herr Leutnant!« klang es stolz zurück. Die harte und ungewohnte Anstrengung war vergessen. Die Schwadron löste sich auf, zog ins Quartier oder in die Kantine, ein Teil schwärmte ins Städtchen, alte Bekanntschaft am Haustor aufzufrischen oder neue zu schließen. Nur der Führer wußte nicht, wo er mit sich hin sollte … In der kärglichen Bude daheim bekrochen ihn die Gedanken wie ekle Spinnen, in der Kneipe gab es leeres Geschwätz. Wenn er die anderen nicht aufmöbelte, saßen sie stumpf da oder simpelten Krieg. Und keiner konnte ihm helfen in seinen Gewissensnöten … Wenn er den dicken Uhlenburg gefragt hätte: »Sie, Tönnchen, wenn Sie die Wahl hätten, Leutnant zu bleiben mit fünfzig Mark Zulage monatlich oder Schwiegersohn bei 'nem Riesenfabrikbesitzer zu werden mit ungezählten Däusern im Jahr, was würden Sie da machend«

»Na natürlich immer 'rin in die Millionen!«

»Auch wenn Sie dafür, jetzt vorm Krieg, den Abschied nehmen müßten?«

»Nee, Bauer, das wär' natürlich ganz was anderes! Dann laufen lassen, dickes Bier trinken und die ganze Sache sich möglichst rasch aus dem Kopf schlagen!«

»Aber wenn Sie vor Liebe zu dem Mädel halb verrückt sind, die Nächte nicht schlafen können und bei Tag wie im Fieber herumgehen?«

»Ja, lieber Freund, gegen so was hilft freilich nur der Pistolenkasten! Prompt, schmerzlos und billig. Na adieu, Karlchen, und, wenn Sie Zeit haben, schreiben Sie mal von oben 'ne Ansichtskarte …«

Mit dem Rat war ihm nicht geholfen. Die Pistole hatte er in diesen Tagen ein paarmal in der Hand gehabt und wieder fortgelegt. Eine Russenkugel tat schließlich genau dieselben Dienste … Aber wer bürgte ihm dafür, daß damit alles zu Ende war? Zurückgekommen war ja noch keiner, der da hätte sagen können, ob in dem dunklen Lande drüben alles ausgelöscht war an Sehnsucht, Qual und – Reue … Reue über den Schmerz, den er der anderen hatte zufügen müssen … Mitten im glutheißen Sommerabend flog ihm ein eisiger Schauer über den Rücken … er sah sich leibhaftig im weißen Totenhemd, zwei junge Mädchen standen an seinem Lager. Die eine weinte, die andere aber lachte: »Wozu diesen Aufwand? Ein kleines Opfer an Stolz und Ehrgefühl, und alles wäre anders gekommen.«

Er schreckte unwillkürlich zusammen. Aus dem offenen Fenster des Regimentsbüros rief ihn eine helle Stimme an:

»He, Sie, Karlchen, famos, daß Sie gerade vorbeiländern, Sie ersparen mir in diesen knappen Zeiten eine Ordonnanz! Der Herr Oberstleutnant hat befohlen, Sie möchten ihn sofort nach Dienstschluß in seiner Kanzlei besuchen!«

Er blickte nach oben.

»Haben Sie 'ne Ahnung, Zinnow, weshalb?«

»Keinen Schimmer! Vielleicht will er Ihnen wegen hervorragender Tüchtigkeit im Auffinden feindlicher Telegraphenleitungen den Kabelorden mit Eichenlaub und Schwertern umhängen. Im übrigen, wenn Sie's interessiert: Ihre schöne Spionin hat es vorgezogen, sich nach der Vernehmung durch den Landrat zu empfehlen. Vermittels Jift in ein besseres Jenseits. Jetzt tobt halb Ordensburg vor dem Landratsamt und will ihr die ältere Donna mit 'nem Strick um den Hals nachschicken.«

»Um Gottes willen, da müßte doch etwas geschehen, um die Döhlauschen Damen …«

»Beruhigen Sie sich, Kleiner, ist leider schon gemacht. Diesen hochnäsigen, halb fremdländischen Puten hätte eine kleine Portion Angst nichts geschadet. Aber es ist schon ein Halbzug Infanterie da, und unser Stadthaupt hält Ansprachen an seine Untertanen …«

Karl von Gorski stieg langsam die Kanzleitreppe empor. Vor der Tür des Kommandeurs blieb er stehen, schöpfte einen Augenblick lang Atem: Das Herz schlug ihm bis in den Hals. Er glaubte zu wissen, weshalb der Oberstleutnant ihn zu sprechen wünschte. Mit Schweigen und Aus-dem-Wege-gehen schaffte man keinen Treuschwur aus der Welt …

Er trat über die Schwelle und klappte mit militärischer Verneigung die Sporen aneinander.

»Herr Oberstleutnant haben befohlen?«

Der Kommandeur, in leichter Litewka, stand elastisch hinter dem langen Schreibtische auf. Über sein gebräuntes Gesicht flog eine dunkle Zornwelle, seine Stimme klang hart.

»Ich habe Sie leider nur ersuchen dürfen als Privatmann! Und als Vater meines Mädels zu einer gütigen Auskunft. Also, bitte, haben Sie die Liebenswürdigkeit, mir zu erklären: in welchem Verhältnis stehen Sie zu meiner Tochter?«

Er blickte zu Boden.

»Verzeihung, Herr Oberstleutnant, wenn ich bitte, zur Beantwortung dieser Frage ein wenig weiter ausholen zu dürfen …«

»Nein! Auf eine klare Frage muß es doch wohl auch eine klare Antwort geben?«

»Nun denn« – er schluckte auf – »ich war mit Fräulein Ilse heimlich verlobt und habe ihr in infamer Weise die Treue gebrochen!«

»Na, das ist wenigstens ehrlich!«

Der Kommandeur ging mit auf dem Rücken ineinandergeschlagenen Händen eine Weile lang auf und ab. Als er wieder zu sprechen begann, klang es ein wenig milder …

»Herr, ich hatte Sie doch seinerzeit dringend und deutlich genug ersucht, das Kind in Frieden zu lassen?«

Er zuckte mit den Achseln.

»Gott, Herr Oberstleutnant … solche Verbote … Am Abend des Regimentsjubiläums fanden Fräulein Ilse und ich den Weg, es zu umgehen.«

»Mein Mädel hat es mir gebeichtet, unter anderen Umständen hätte ich herzlich darüber gelacht. Na und weiter?«

»Wir verlobten uns und beschlossen, trotz aller Ungunst der äußeren Verhältnisse beieinander auszuharren, bis bessere Zeiten kämen.«

»Na schön! Und da geht meine Frau neulich gegen Mittag nach dem Landratsamt, den Besuch der Döhlauschen Damen zu erwidern. Im Hause wird sie nach dem Garten gewiesen, und da bietet sich ihr ein werkwürdiger Anblick. Sie, Herr von Gorski, in heftiger Umarmung mit der Kusine der Landrätin. Meine Gattin zog sich diskret zurück, und schimmerlos, wie Mütter anscheinend sind in Herzensangelegenheiten ihrer Töchter, erzählt sie das kleine Erlebnis beim Mittagessen. Mit der lobenden Note, daß Sie, Herr von Gorski, es mit List und Tücke verstanden hätten, diesen millionenschweren Goldfisch für sich und das Regiment zu kapern. Mein Mädelchen steht auf, will zur Tür gehen, mitten im Weg fällt sie lautlos um. Große Aufregung, unendliche Tränenströme, Bekenntnis.«

Der Kommandeur nahm seinen Gang wieder auf, es entstand eine lange Pause des Schweigens. Endlich fing Karl von Gorski zu sprechen an. Aber er würgte an jedem einzelnen Wort:

»Also … damit Herr Oberstleutnant mich nicht … also mich nicht für einen ganz kompletten Lumpen halten … ich hab's verflucht ehrlich gemeint, als ich um Ihre Fräulein Tochter warb. Und das jetzt …« Er mußte sich auf den Stuhl stützen, die Nerven ließen ihn im Stich, und seine Stimme geriet ins Schwanken. »Also, es sprang mich an wie eine Krankheit. Alles, was vorher gewesen war, ausgelöscht, nur ein einziges Begehren in der Brust, und jetzt …« Er brach ab und starrte mit schwimmenden Augen zum Fenster hinaus.

Der Oberstleutnant Harbrecht blieb vor ihm stehen:

»Na und?«

»Jetzt ist's dahin gekommen, daß ich nicht mehr weiter weiß. Das Fräulein hat mir als Preis für ihre Hand die Zumutung gestellt, den Dienst zu quittieren. Vor ein paar Tagen wies ich's entrüstet zurück, heute ist mir's auf Grund meiner eigentlichen Gesinnung nicht mehr klar, ob ich noch das Recht habe, den Rock hier in Ehren weiterzutragen. Ich hatte ihn ein paarmal schon innerlich verraten in diesen Stunden … verraten wie alles übrige aus der Zeit, da ich noch ein unbekümmerter, anständiger Kerl war …«

Der Oberstleutnant legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Na na na, mein Junge, man bloß nicht gleich den Kandarenbügel zwischen die Zähne und heidi los! Neben dem erzürnten Vater bin ich doch ein ganzes Ende lang Ihr Kommandeur. Und weil ich auch einmal Leutnant gewesen bin, prophezeie ich Ihnen von meiner jetzigen höheren Warte, auch solche heftigen Sachen verbluten sich nach und nach … Namentlich, wo wir in einer Zeit leben, die der Betrachtung des eigenen bejammernswerten Schicksalchens nicht günstig ist! Heute noch, eine Stunde nach Mitternacht, reiten wir!«

Karl von Gorski atmete tief auf.

»Herr Oberstleutnant, wahrhaftig … ist es soweit?«

»Ja, Gott sei Dank! Vor einer Viertelstunde ist der Befehl gekommen. Das Regiment besetzt die Grenze von Prostken bis Sawadden. Lange werden wir sie natürlich nicht halten können, aber ist egal. Wo der Soldat hingestellt wird, steht er, bis er fällt oder Gegenorder kriegt. Na denn, Gott befohlen, Herr von Gorski, ich hab' noch reichlich zu arbeiten.«

»Sehr wohl, Herr Oberstleutnant, nur wenn ich noch gehorsamst bitten dürfte, einen Augenblick …«

»Also vorwärts!«

»Herr Oberstleutnant hatten mir seinerzeit einmal versprochen … freilich unter anderen Verhältnissen … wenn es wirklich losgehen sollte, daß ich die Spitze …«

»Glauben Sie etwa, ich hätte das vergessen?«

»Nein, nur ich dachte…«

Der Regimentskommandeur richtete sich auf.

»Na was? Sind Sie in den letzten Tagen vielleicht ein schlechterer Soldat geworden? Aber bei unserer Aufgabe diesmal ist's ziemlich egal, wer vorne reitet oder ein Ende weiter hinten im Schwarm … Ich glaube nicht, daß von dem braven Regiment Schmettau viel übrig sein wird, sagen wir mal, in acht Tagen. Das ist natürlich nur meine ganz persönliche Ansicht, immerhin aber dürfte es sich für jeden von uns empfehlen, vor dem Ausreiten seine alten Rechnungen zu begleichen. Und wenn Sie mir da einen ganz persönlichen Gefallen tun wollten, Herr von Gorski …«

»Herr Oberstleutnant haben nur zu befehlen …«

»Unsinn, es ist wirklich nur eine Bitte. Nämlich … also … mein kleines Mädel … gestern noch hatte ich geglaubt, es wäre eine Kinderei, aber die Sache hatte doch Wohl tiefer gehakt … also es hat einen gänzlichen Zusammenbruch gegeben. Der Medizinmann sagte was von Nerven, kritischem Alter und noch mehr solchem Kram, gab ihr allerhand Beruhigungsmittel, aber es half nichts. Sie weint immerfort vor sich hin, liegt mit dem Gesicht gegen die Wand. Und da möchte ich Sie bitten, ob Sie's nicht über sich gewinnen könnten, so was wie 'n Erklärungsbrief … Knüppeldicke Lügen, je dicker, desto besser! Augenblickliche Sinnesverblendung, der Wunsch, sich für Ihre Geschwister zu opfern, um die Millionen der jungen Dame da aus dem Westen, aber bessere Erkenntnis … Wiedersehen nach dem Feldzug … Das soll um Himmels willen kein Versprechen sein, sondern nur so 'ne Art von Schlafmittel …« Und da der Leutnant von Gorski schweigend stand, schüttelte der Kommandeur ihn an der Schulter:

»Herr, meinem armen Kind hat sich das Köpfchen verwirrt über Ihren Treubruch, und wo Sie so gewandt gewesen sind im Wechsel Ihrer Anschauungen, wird es Ihnen doch nicht schwer fallen, ein Phantasiegebilde von zwanzig Zeilen …«

Karl von Gorski sah starr geradeaus. Über seine gebräunten Wangen rannen ein paar dicke Tränen.

»Herr Oberstleutnant, ich zögerte nur … also ich hielt mich nicht einmal für wert, an Ihre Fräulein Tochter denken zu dürfen! Das Reinste, Bravste, Kindlichste, was in einem deutschen Haus gewachsen ist, und ich hab' das … na schön! Der Brief wird in einer Stunde besorgt sein!«

Er richtete sich auf, trocknete das Gesicht mit dem Taschentücher

»Wenn Herr Oberstleutnant jetzt weiter keine Befehle für mich haben sollten, möchte ich gehorsamst bitten …«

Der Regimentskommandeur schüttelte schweigend den Kopf und wandte sich mit dem Gesicht zum Fenster. Der Leutnant von Gorski aber ging still aus dem Zimmer, drückte sich durch den leeren Kasinogarten und schlug einen weiten Bogen ums Städtchen, um ohne lästige Begegnungen seine Wohnung zu erreichen …

Auf seinem Schreibtische fand er einen Brief von dem Riesenformat, das er schon kannte. Als er ihn aufriß, fiel ihm ein kleiner Anhänger in die Hand, ein kunstvoll geschliffener Bergkristall, der in seinem Innern ein winziges goldenes Rädchen zeigte.

»Ordensburg, eine Viertelstunde vor der Abreise.

Mein lieber Herr Leutnant, die schrecklichen Ereignisse des heutigen Tages haben meiner Kusine Marion den Entschluß eingegeben, für einige Zeit in ihr Elternhaus zurückzukehren. Ihr Mann kann sie wegen seines Pflichtgefühls nicht begleiten, es nötigte ihn – glaube ich –, seine Aktenschränke gegen die Russen zu verteidigen. Auch für mich ist es gut, daß wir schon heute reisen. Ich fing an, in dieser seltsamen Umgebung zu romantischen Träumen zu neigen. Zum Glück fand ich mein Lachen wieder, als ich daran dachte, ich sollte ein braves deutsches Gretchen werden. Es geht wirklich nicht, mein armer kleiner Freund!

Das kleine Sankt-Katharinen-Rad ist von Seiner Eminenz dem Herrn Bischof von Louvain geweiht, ich habe es seit meiner Firmelung getragen, und von jetzt an soll es Ihnen ein Talisman sein. Wenn Sie an ihn glauben, wird er Sie in allen Gefahren beschützen. Ich küsse Ihre furchtlosen Augen, mein tapferer kleiner Held. Die Minute, in der ich Ihnen nach glorreichem Kampfe Samariterin sein durfte, nehme ich als köstliche Erinnerung mit. Als Erinnerung an den Augenblick, in dem unsere Gefühle noch frei waren von dem schrecklichen Wort, das ihnen die Flügel gebrochen hat. Adieu, mein Freund, und denken Sie in all Ihren Pflichten zuweilen an Ihre tiefbetrübte

Françoise.«

Als er den Brief zu Ende gelesen hatte, lachte er bitterlich auf, zerriß ihn in tausend Fetzen. Von allem, um das er sein Bestes verraten hatte, war nichts übriggeblieben als brennende Reue und der Glassplitter da, den er in der Hand hielt. Und plötzlich übermannte ihn der Zorn. Er schleuderte das zierliche Schmuckstück zu Boden und hieb mit dem schweren Stiefelabsatz darauf, bis es zu weißlichem Pulver zermahlen war. Das war sinnlos und lächerlich, er wußte es. Aber ihm war zumute, als dürfte er sonst nicht eine Zeile des Briefes schreiben, den er dem Oberstleutnant Harbrecht versprochen hatte …


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