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7

Auf dem weiten Viereck des Kasernenhofes herrschte emsiger Betrieb. Das ganze Regiment war bei der Arbeit, sich für den kommenden Krieg zu rüsten. In den Schwadronskammern wurde die neue feldgraue Uniform ausgegeben. Es ging dabei zu wie bei einer jener Maschinen in den Gewehrfabriken, die vorne einen rohen Holzklotz in die Greifzangen nahm und am anderen Ende einen fertigen Flintenschaft ablieferte. In langer Reihe schoben sich die Dragoner zur Kammertür herein. Am ersten der riesigen Regale stand der Herr Sergeant persönlich. Ein Griff, der Kerl hatte seinen natürlich schon längst vorher verpaßten Rock. Am nächsten Regal kriegte er aus der Hand eines Gefreiten die lederbesetzten Hosen, ein paar Schritte weiter die neuen Stiefel nebst rohledernem Koppel, und so fort bis zu den leinenen Unterbeinkleidern und der grauen Halsbinde. Eine Stunde später wimmelten alle Stuben und Gänge von funkelnagelneu gekleideten Soldaten.

Im Parolebefehl war bekanntgegeben worden, das Dragonerregiment Graf Schmettau gehörte nunmehr auch zu den Truppenteilen, bei denen die für den Ernstfall bestimmte neue Uniform durch längeres Tragen auf ihre Gebrauchsfähigkeit hin ausprobiert werden sollte. Dazu schmunzelten die Kerls nur, ein Teil von ihnen las ja die Zeitungen. Aber auch ohne Zeitungen wußten sie, wie es an der Grenze aussah. Und jeder einzelne trug im innersten Herzen die Überzeugung, daß den Russen drüben für lange Zeit das freche Maul gestopft werden müßte. Jedem von ihnen lag in der näheren oder weiteren Umgebung des Städtchens ein Stück Erde, das er mit seinem Schweiß gedüngt hatte, und auf dem er mal in angemessener Zeit als Erbe zu stehen gedachte. Da brauchte einem nicht gesagt zu werden, worum es ging und weshalb in der Waffenmeisterei die Säbel scharf geschliffen wurden …

Die fünfte Schwadron war wieder einmal als die erste von allen mit dem Sachenempfang fertig, zum offenbaren Leid der vier anderen. Der Teufel allein mochte wissen, wie der Rittmeister von Foucar es anstellte, daß seine Kerls zu jedem Dienst erheblich weniger Zeit brauchten als die anderen und hinterher immer belobt wurden, es habe alles »in der Vollendung geklappt«. Wie er's schaffte, war wohl sein Geheimnis. Die fünfte Schwadron hatte die geringste Zahl von Strafen, die Unteroffiziere brüllten nicht, und jeder seiner Kerls trug überheblich die Nase hoch, wenn er am frühen Abend schon mit der Zigarre im Mund über den Kasernenhof schlenderte oder sich am Tor die weißen Handschuhe anzog zu einem kurzen Bummel ins Städtchen.

Auch heute stand die Schwadron schon längst zum Pferdeappell im Schatten des Reitstalles, indessen die anderen noch immer auf den Kammern beim Sachenempfang murksten. Jeder Dragoner stand im Schmuck der neuen Uniform, den blankgeputzten und sorgfältig gestriegelten Gaul am Zügel. Der Rittmeister kam mit dem Roßarzt und dem Wachtmeister Kegler über den sonnenbeschienenen Kasernenhof. Der Vize schrie: »Stillgestanden … richt euch …« Der Herr Rittmeister winkte ab: »Lassen Sie rühren.« Er brauchte gar nicht erst nachzusehen, er wußte auch so, daß bei seiner Schwadron die Richtung stimmte.

Und dann kam die Musterung. Der Flügelmann trat als erster sechs Schritte vor, sein sauber gewaschenes Gesicht war ebenso blank wie sein Gaul. Unwillkürlich drückte er die Knie noch fester durch als sonst, denn er fühlte ordentlich, wie der scharfe Blick seines Vorgesetzten ihn von Kopf bis zu Füßen absuchte, gleich danach seinen Gaul. Kaum zwanzig Sekunden dauerte das Geschäft, ein freundliches Nicken folgte: »Gut.« Der zweite Mann stand schon da. Eine knappe Stunde war vergangen, als der letzte an die Reihe kam. Der Rittmeister von Foucar trat vor die Mitte der Front.

»Stillgestanden! Ich bin mit der Schwadron bis auf ein paar Kleinigkeiten wieder einmal zufrieden. Die Gäule sind nach wie vor in gutem Stande, ein Zeichen für euren braven Reitergeist. Ein ordentlicher Reiter denkt zuerst an seinen Gaul und dann an sich selbst, weil er weiß, daß er ohne den nur ein halber Soldat ist. In acht Tagen ungefähr rückt das Regiment auf den Truppenplatz Arys zu Übungen im größeren Verbande. Wachtmeister Kegler, teilen Sie nach dieser Maßgabe die Leute ein, daß sie alle reihum einen ganzen Tag Heimatsurlaub haben. Guten Morgen, fünfte Schwadron!«

»Guten Morgen, Herr Rittmeister!« schrie es wie aus einer einzigen Kehle zurück, und hundertzwanzig Augenpaare blänkerten in freudigen Gesichtern. Mit einem gewissen Stolz und herzlicher Dankbarkeit sahen sie ihrem Führer nach, der wieder einmal in besonderer Weise für sie gesorgt hatte. Was nämlich das »Ausrücken auf den Truppenübungsplatz Arys« zu bedeuten hatte, konnten sie sich ungefähr denken. Und da gab er ihnen Zeit, vorher noch einmal Vater und Mutter und dem Mädel Lebewohl zu sagen … Abschied vielleicht für immer zu nehmen. Denn mancher von ihnen kam nicht zurück. Sie hatten die Russen ja oft genug auf ein paar hundert Schritte bei der Arbeit gesehen. An preußische Kavallerie kamen die natürlich nicht 'ran, wer da aber sich großsprecherisch vermaß, ein halbes Dutzend von ihnen zum Frühstück zu verspeisen, konnte sich an dem Gericht vielleicht für immer verschlucken und den Magen verderben …

Der Rittmeister von Foucar schlenderte langsam über den sonnenbeschienenen Exerzierplatz zum Kasernentor hinaus. Sein Dienst war für heute zu Ende, aber es eilte ihm nicht mit dem Nachhausegehen. In dem kleinen Häuschen vor der Stadt, bei seinem lieben blonden Weib und dem Jungen, der schon zu krähen anfing, wenn er an die Wiege trat, überfielen ihn die Sorgen noch stärker als sonst. Dann sah er die Gefahr, die sich um die beiden zusammenzog, ganz deutlich herannahen. Er aber war nicht bei ihnen, sie zu schützen, denn seine Pflicht rief ihn ins Feld. Das verbitterte ihm die letzten Abschiedstage, die er als das Köstlichste seines Lebens zu genießen gedacht hatte. Der Krieg war die Krönung des Soldatenberufes, ihn sehnte jeder herbei, der sich dem König gelobt hatte. Und nach schwerem Abschied ritt man mit leichtem Herzen. Weib und Kind waren versorgt, fiel man vorm Feind, dann erzog das junge Mütterlein den Sohn im Sinne des Vaters. Lehrte ihn ein vergilbtes Bild und ein Eisenkreuz mit Ehrfurcht betrachten: »Das da, mein Junge, war dein Vater, und das Kreuz hat er sich in heißer Feldschlacht erobert.« Man selbst aber schlief ruhig den langen Schlaf irgendwo in russischer Erde, nachdem man das Herrlichste genossen hatte, was diese Welt einem aufrechten Kriegsmanne zu geben hatte, die Liebe einer reinen Frau und den raschen Tod in der Schlacht … Er aber nahm ein sorgenbeschwertes Herz mit ins Feld. Unablässig kreisten seine Gedanken um das kleine Haus unter fruchtbehangenen Apfelbäumen. Denn er kannte die Gefahr, die irgendwoher aus dem Dunkel kam, wenn er den Rücken wandte. Den ersten Angriff hatte er abgeschlagen. Jetzt aber rückte sie von neuem an, richtete ihre Pfeile gegen seinen teuersten Besitz …

Vor drei Wochen hatte er's auf die leichte Achsel genommen, als die kleine Landratsfrau ihm erzählte, ihre Freundin Frau Josepha Rheinthaler könne sich über seinen Verlust noch immer nicht trösten. Das waren billige Redensarten. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Frau, die nach dem Tode ihres Mannes von jeder Fessel frei war, nicht neue Zerstreuungen gefunden haben sollte. Einen Tag später wußte er durch den Oberst von Wegener, daß sie ihm in dem verflossenen Jahr nur eine Art von Schonzeit gewährt hatte, um ihn dann um so schwerer zu treffen, weil er nicht mehr allein war … Der Brief, der einem alten Manne das letzte Restchen reiner Erinnerung vergiftete, schlug zugleich alle mit ihm Verbundenen. So ungeheuerlich war die Gemeinheit, die diese Fälschung ausgebrütet hatte, daß ein geradedenkender Mann sich nicht vorstellen konnte, sie wäre von Menschenhänden verübt worden. Ein in unbewachter Stunde der Hölle entsprungener Teufel war da am Werk gewesen und focht mit Waffen, gegen die es keine Abwehr gab …

Kurze Zeit, nachdem er den Obersten zur Bahn gebracht hatte, war der Rittmeister von Foucar an einem dienstfreien Nachmittag nach Kalinzinnen gefahren. Der alte Herr war nicht zu sprechen gewesen. Auf eine telephonische Anfrage danach hatte er durch den Diener Feyerabend erwidern lassen, er sei so leidend, daß er bitten müsse, den Besuch zu verschieben, bis es ihm besser gehe. Einmal aber kam doch der Tag, an dem Annemarie mit diesen Vertröstungen nicht mehr zufrieden war, endlich die Wahrheit wissen wollte … Sollte er ihr da sagen: »Der alte Mann in Kalinzinnen, den du als deinen Vater verehrst, hat sich von dir geschieden? Weil ihm eine Schlange ins Ohr geträufelt hat, du seiest nicht sein Kind?« …

Er stand vor dem Eisenwarenladen der Gebrüder Ogurrek in der Hauptstraße, musterte mit zerstreutem Blick die Auslagen des Schaufensters, und mitten in allen beklommenen Sorgen mußte er denken, daß ihm für den Feldgebrauch ein derbes Taschenmesser fehlte. Als er sich anschickte, die niedrige, zum Laden führende Treppe zu besteigen, hielt eine helle Frauenstimme ihn auf:

»Guten Tag, Herr Foucar!«

Er wandte den Kopf über die Schulter und mußte im nächsten Augenblick sich auf das Treppengeländer stützen. Neben der kleinen Landratsfrau stand die, an die er in dieser ganzen Zeit mit Haß und Erbitterung gedacht hatte. Stand da in ruhiger Gelassenheit und sah zu ihm auf …

Frau von Döhlau lachte wie ein Schulmädel, dem ein lustiger Streich gelungen war.

»Na, ist das nicht 'ne nette Überraschung? Und jetzt lassen Sie mich vorbei, ich habe da drinnen ein paar kleine Besorgungen zu machen!« Sie schlüpfte an ihm vorüber und war sogleich hinter der Ladentür verschwunden.

Der Rittmeister von Foucar nahm sich zusammen, nur seine Stimme klang ein wenig heiser. Ein jäh aufsteigender Zorn würgte ihn am Halse, und er sprach ohne Überlegung los, als müsse die Frau da wissen, was er – kaum eine Minute war es her – gedacht hatte:

»Meine Gnädigste, es ist ein bißchen unvorsichtig von Ihnen, schon jetzt zu kommen. Sie hätten damit warten sollen, bis ich fort war! Heute liegt die Sache anders als vor einem Jahr. Vielleicht glauben Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ich nach dieser letzten Niederträchtigkeit zum Äußersten entschlossen bin. Also haben Sie die Güte, meinem Schwiegervater zu erklären, daß der ihm in die Hände gespielte Brief eine bösartige Fälschung ist, und so schnell wie möglich wieder abzureisen!«

Die Baronin Nadanyi stand im Schatten ihres roten Sonnenschirms. In ihren Augen war mehr Erstaunen als Erschrecken.

»Herr von Foucar, ich verstehe von alledem kein Wort. Der einzige Vorwurf, den Sie gegen mich erheben können, liegt in der Vergangenheit. Nach dem – Gott sei Dank – vereitelten Anschlag, den eine gegen Sie ausführte, die mich mehr liebt als ein eigenes Kind … ja, also, damals hätte ich Ihnen schreiben müssen, daß ich daran keinen Teil hatte. Ich war so geschlagen, so gedemütigt und stumpf, daß ich's unterließ. Wenn Sie aber heute von einer neuen Niederträchtigkeit sprechen, so muß ich Ihnen sagen, davon weiß ich nichts. Auf mein Wort!«

Das klang so, daß es ihn verwirrte. Er sah ihr in das vom Widerschein des Sonnenschirmes mit weichem Schimmer bestrahlte Gesicht, keine Spur von Falschheit war darin zu lesen. Eher ein aufrichtiges Bedauern …

»Weshalb sind Sie denn überhaupt hierher gekommen?« fragte er unsicher.

»Weshalb?«

Um ihren vollen Mund flog ein schmerzliches Lächeln.

»Weil ich ein Narr bin! Ein sentimentaler Narr … Es gibt ja genug Leut', die auf den Kirchhof gehen, wo was von ihnen begraben liegt …« Sie wandte das Gesicht zur Seite, und – weiß Gott – an ihren langen, dunklen Wimpern hingen ein paar klare Tränen. Ihm aber regte sich etwas wie Mitleid im Herzen, er versuchte sich dagegen zu wehren. Komödie war das alles, nichts anderes. Sie besaß wohl noch immer die Kunst, richtige Tränen zu weinen, wenn die Rolle es gerade verlangte …

»Gnädige Frau, ich gebe zu, ich habe mich damals nicht ganz einwandfrei benommen, aber das war doch noch lange kein Grund …«

Sie schnitt ihm mit einer leidenschaftlichen Bewegung die Rede ab.

»Einwandfrei, das is auch so an preuß'sches Wort! Zu Boden hast du mich g'schlagen, zertreten und vernichtet! Und warum nur, warum? … Ich sitz' da in Not und Verzweiflung und wart' auf ein einziges liebes Wort. Statt dessen kommt eine kalte Absag'. Die militärische Karriere müßtest du wegen meiner aufgeben, und das könntest du nicht, also, gnädige Frau, leben Sie wohl!«

Er sah sich ratlos um. Da drüben, auf der Schattenseite der Hauptstraße, gingen ein paar Herren vom Ordensburger Infanterieregiment, grüßten und drehten sich interessiert nach der eleganten Frauenerscheinung um.

»Frau Josepha, es geht wirklich nicht, daß wir hier auf offenem Markt eine Aufführung veranstalten. Noch ein paar Minuten, und alle Fenster ringsum sind von Zuschauern besetzt! Also, wenn ich bitten darf?« Er wies auf die spärlichen Anlagen von kurzgeschorenen Hecken und kugelförmig geschnittenen Linden, die den Platz zwischen Kriegerdenkmal und Kirchenportal einnahmen.

Sie folgte gehorsam und trocknete sich unterwegs verstohlen die Tränenspuren von den Wangen. Eine Weile lang gingen sie schweigend zwischen den vom Straßenstaub graugefärbten Büschen einher, endlich nahm er sich mit einem heftigen Ruck zusammen. Der lächerlichen Komödie mußte ein Ende gemacht werden, so oder so. Seine Stimme klang hart.

»Gnädige Frau, wollen Sie die Güte haben, mir ein paar Augenblicke zuzuhören, ohne mich zu unterbrechen?«

Sie nickte schweigend.

»Nun denn, ich hatte bisher immer die Gepflogenheit, mein Leben nach klaren Erwägungen zu richten. Einmal bin ich von diesem Grundsatz abgewichen, das hat mir schweres Leid gebracht. Ich hab' mich, Gott sei Dank, wieder zurechtgefunden, mein Leben ist in Ordnung, und ich möchte auch weiter klare Bahn haben. Deshalb muß ich Ihnen ein paar Rücksichtslosigkeiten sagen, die ich sonst nie und nimmer einer Frau gegenüber auf die Lippen gebracht hätte. Aber mit Tränen, Achselzucken und weichmütigem Beschönigen kommen wir nicht weiter. Vor allen Dingen nicht zu dem scharfen Strich, den es nun doch mal zwischen uns geben muß!

Also, was zwischen uns geschehen ist, stellt sich so dar: von meiner Seite aus, natürlich. Ich fiel Ihnen eines Tages auf, Sie benutzten die Vermittlung des inzwischen durch Selbstmord geendeten Herrn von Wodersen, mich Ihnen vorstellen zu lassen. Einige Mitteilungen, die er mir über Sie machte, erregten mein sympathisches Interesse. Einige Wochen später traf ich Sie zufällig in einem Balllokal. Ich war überarbeitet, meine Nerven durch ungewohnten Alkoholgenuß aufgepeitscht. Sie befanden sich in einer unwürdigen Situation, die mein Mitleid und meinen Zorn erregte, ich gelobte, Sie mit Einsatz der eigenen Persönlichkeit daraus zu befreien. Am nächsten Tage schon reute mich dieses Versprechen so, daß ich beinahe …«

Frau Josepha hob die Hand. Ihr bewegliches Gesicht war plötzlich starr geworden.

»Es ist gut! Nachdem ich weiß, daß Sie schon damals gelogen haben … also es ist gut! Und nachher kam der Herr von Wodersen, hat Ihnen gesagt, so eine Person wie mich könnt' ein preußischer Offizier nicht einmal aus Mitleid heiraten?«

»Gnädige Frau, dies … das letzte … das hätte ich Ihnen nie ins Gesicht gesagt, selbst wenn die bündigsten Beweise in meiner Hand gewesen wären. Und heute wiederhole ich Ihnen: ich wäre auch darüber hinweggekommen, wenn ich für Sie diejenige Liebe empfunden hätte, die das Schwerste vergibt. Das war nicht der Fall … und schließlich war es doch auch nicht unbedingt nötig, daß ich die Verfehlung einer unbesonnenen Stunde mit meinem Leben bezahlte. So oder so …«

Frau Josepha nickte mit bitterem Lächeln.

»Nein, das war nicht nötig! Und – entschuldigen Sie, Herr von Foucar – ich hab' natürlich alles auch nur immer von meinem Standpunkt aus gesehen! Nämlich, was Herr von Wodersen Ihnen erzählt hat, war nicht wahr …«

»Er wollte mir Zeitungsberichte darüber schicken.«

»Die Zeitungen können S' jetzt auch noch haben! Ich saß als Schauspielerin in dem kleinen österreichischen Nest, zu stolz, von Vater oder Mutter Unterstützung zu bitten, da kam der Schuft – Sie haben ihn ja in meinem Haus kennengelernt –, also er kam her: ›Arm's Hascherl, so geht's net weiter mit dir, man muß a Reklam' für dich machen‹, und da hat er die Notizen geschrieben. Hernach, wie ich verheiratet war, hat er mich damit erpreßt … das ist alles …«

Sie schluchzte leicht auf und führte das spitzenbesetzte Taschentuch von neuem an die Augen. Er stand ratlos da, das Mitleid quoll ihm im Herzen. Wenn er eine Frau weinen sah, war er wehrlos. Aber die Affäre da mußte doch endlich einen Abschluß haben. Und er sagte natürlich das Banalste, was in einem solchen Augenblick denkbar war:

»Gnädige Frau, wir müssen zu einem Resultat kommen! Mißverständnisse gibt es wohl überall … sehr bedauerlich, wenn sie Menschenschicksale kosten. Und jetzt bitte ich Sie … ich habe hier das ganz große Glück gefunden, das ein Mann sich wünschen kann. Ich lebe in bescheidenem Kreise, Sie in der großen Welt. Da muß es doch möglich sein, einen Menschen wie mich zu vergessen …« Und weil sie hartnäckig schwieg, fuhr er fort: »Wie denken Sie sich das überhaupt? Irgendwann muß doch ein Zusammentreffen zwischen Ihnen und meiner Frau stattfinden …«

Frau Josepha richtete sich auf.

»Glauben Sie denn, ich hätt' nötig, vor Ihrer Frau die Augen niederzuschlagen?«

Da zuckte er mit den Achseln. Es fiel ihm nicht leicht, aber einmal mußte der Schnitt vollzogen werden …

»Gnädige Frau – es ist nicht meine Schuld – wir kommen vom Wesentlichen immer ins Nebensächliche. Daß Sie sich hier in diesem Städtchen aufhalten, kann ich Ihnen nicht verwehren. Frau von Döhlau ist Ihre Freundin, die können Sie besuchen, solang' und sooft Sie wollen. Um mein Haus aber ziehe ich einen Zaun. Ich habe nicht die geringste Lust, meine junge Frau Begegnungen mit Damen auszusetzen, die in hysterischer Verstiegenheit sich dem Manne, der sie einmal verlassen hat, immer von neuem antragen.«

Er hob grüßend die Hand an den Mützenschirm, wandte sich auf dem Absatze und ging mit klirrenden Sporen einen der kiesbestreuten Wege entlang, die aus den verstaubten Anlagen auf den Markt führten. Hinter sich vernahm er einen ächzenden Wehlaut, aber er sah sich nicht um. Gott sei Dank, daß er endlich die Kraft gefunden hatte zu sprechen, wie es ihm ums Herz war! Jetzt brauchte er wenigstens bei neuen Feindseligkeiten keine schwächlichen Rücksichten mehr zu nehmen.

Er schritt trotz der drückenden Vormittagsschwüle eilig aus, es drängte ihn, nach Haus zu kommen. Wie die Ahnung eines nahenden Unheils lag es ihm auf der Brust …

Der große Vorgarten war leer, das Häuschen wie ausgestorben. Erst in dem kleinen Hintergarten entdeckte er die Amme, die sich im Schatten eines Fliederstrauches auf die bloße Erde gelegt hatte und mit offenem Munde schnarchte wie ein Dragoner. Mit drei langen Schritten war er neben dem Kinderwagen – Gott sei Dank, sein Junge schlief friedlich hinter den herabgelassenen Vorhängen, die kleinen Fäuste gegen das Näschen gestemmt.

Er rüttelte das derbe Masurenmädel an der Schulter. Es dauerte eine ganze Weile, bis es munter wurde.

»Sochia, wo ist die gnädige Frau?«

Sie sprang erschreckt auf, als sie ihren Herrn erkannte:

»O Jususche, Panie Rittmeister, is erste Mall, wo ich hab' geschlaffen, aber weil kleine junge Herr die Nacht war so h'unruhig …«

»Schon gut! Also wo ist meine Frau?«

»Gnädige Frau? Ist gefahren nach Kalinzinnen. Schon vor h'eine Stunde oder anderthalb. Sie hat noch getelephoniert zu Kaserne, aber kam Bescheid, Pan Rittmeister bei H'Appell. Da ist so gefahren!«

»Und sie hat nichts für mich hinterlassen?«

»Nei! Bloß vorher, eh' wie sie ist gefahren, sind zwei Damen gekommen. Eine war neie Frau Landrat, h'andere ich hab' nich gekannt.«

»Mit 'nem roten Sonnenschirm?«

» Tak, tak! Und in Gesicht angemalen … weiß und rott. Gnädige Frau aber war noch im Morgenrock, auch wegen kleine junge Herr, weil sie ihm eben hatte gebaden. Die Damen mußten warten, und ich habe gezeigt meine Panie. Frau Landrat ihm gar nich hat angesehen, aber h'andere Dame war ganz verrickt zu ihm! Wär' schönste Kind, wo sie gesehen, als sie ihm aber hat kissen gewollt, junge Herr hat angefangen zu schreien. Und da hat Dame auch geweint.«

»Ach, Unsinn …«

»Aber, Panie Rittmeister, ich hab' genau gesehen, auch wie sie nachher hat Nase geschnaubt!«

Seine Stimme klang unwillkürlich ein wenig heiser: »Na und weiter?«

»Weiter ist gnädige Frau gekommen in gute Hauskleid, ich bin mit junge Herr in Garten, und nachher sind auch Damen gegangen. Auf einmal ist gnädige Frau bei mir gestanden, ganz blaß, hat geflogen an ganze Körper: ›Sochia, du mußt helfen anspannen, ich muß sofort nach Kalinzinnen fahren.‹ Sag' ich: »Aber gnädige Frau, ich mach' schon ganz h'allein? Und ich hab' angespannt große Braunen an Einspänner, weil Burschen doch sind beide zu H'Appell mit neue Uniform, und gnädige Frau ist gefahren.«

»Und sie hat mir wirklich gar nichts sagen lassen? Auch nichts aufgeschrieben?«

»Nei!«

Gaston schritt langsam ins Haus zurück, die Glieder waren ihm schwer wie Blei. Irgendeine neue Niedertracht war im Gange, und er stand wehrlos da, konnte sie nicht aufhalten. In seiner Ratlosigkeit kam ihm der Einfall, nach Kalinzinnen zu telephonieren. Er rief das Amt an, die Herstellung des Anschlusses dauerte eine kleine Ewigkeit. Endlich meldete sich drüben der alte Diener.

»Feyerabend, ist meine Frau schon bei Ihnen?«

»Jawohl, Herr Rittmeister.«

»Sie möchte mal sofort an den Apparat kommen.«

»Ich will's versuchen, sie zu holen. Der gnädige Herr wollte sich erst verleugnen lassen, aber gnädige Frau haben so energisch darauf bestanden … also da sind sie zusammen in den Park gegangen.«

»Schön, ich werde warten.«

Eine Viertelstunde verging, aus Kalinzinnen kam keine Antwort. Da hängte er den Hörer wieder an und ging ruhelos in seinem Schreibzimmer auf und ab. Die Sorge fraß ihn fast auf: Was für ein Gift mochte diese Natter seinem jungen Weib wohl beigebracht haben, daß es ohne Besinnen fortfuhr? Nicht erst wartete, bis er vom Dienst nach Hause kam, um sich mit ihm auszusprechen? Und mit einem Male lachte er auf. Komisch, daß man an dem, was zu allernächst lag, immer vorbeilief, bis man endlich darüber stolperte. Von Annemaries Mutter war die Rede gewesen bei dem kurzen Besuch, in irgendeiner sorgfältig überlegten Form, die harmlos klang und nirgends die böse Absicht zeigte, zu verwunden. Da schüttelte ihn der Zorn. Er lief ruhelos in den engen Stuben auf und ab und spähte wohl hundertmal auf die Straße hinaus, auf der seine Frau zurückkehren mußte.

*

Der Leutnant Karl von Gorski war früher aus dem Schlaf geweckt worden, als er befohlen hatte. Schon gegen elf Uhr fuhr er aus dem zerwühlten Bett in die Höhe. Irgendein infamer Kerl hämmerte mit der Faust gegen die Haustür; wenn er sich von dieser Arbeit verschnaufte, riß er an dem Klingelzug. Und Herr Matthias Heurich, der Bursche, saß wieder mal auf seinen Ohren oder war bei einer seiner vielen Bräute in der Nachbarschaft. Da entschloß Karlchen Gorski sich nach einigem Zögern, den Störer seiner Nachtruhe persönlich anzubrüllen, fuhr in die weichen Pantoffeln und schritt barbeinig zu dem Guckloch in der Tür. Nachdem er aber hindurchgesehen hatte, sagte er vergnügt: »Edler Mister, warten Sie gefälligst noch ein paar Minuten, ich mache dann sofort auf.« Da draußen stand nämlich der englische Reitknecht, der gestern die drei Damen begleitet hatte, und hielt einen mächtigen Rosenstrauß in der Linken.

Nach fünf Minuten hatte Karlchen Gorski sich, so gut es die schorfbedeckte Wunde in der linken Wange zuließ, gewaschen und in Uniform geworfen. Er öffnete die Tür: »Na, mein Freund, was ist nu eigentlich los, daß Sie hier so 'n Spektakel aufführen?«

Der englische Reitknecht präsentierte mit unbeweglichem Gesicht den großen Strauß Marschall-Niel-Rosen und einen Brief, ungefähr in dem Formate einer mäßigen Aktenmappe.

» With compliments from Miss Eberle! And she is waiting for answer.«

»Danke, ist gut«, sagte Karlchen und drückte ihm einen harten Taler in die Hand. Nur unter dem Gesichtspunkte, durch das reichliche Trinkgeld der englischen Nation einen richtiggehenden Begriff von der Lebensführung eines preußischen Leutnants beizubringen. Der Kerl aber blieb stehen.

» Thank You, Sir, but Miss Eberle is waiting for answer!«

»Ach so! Antwort wollen Sie haben? Mannchen, das hätten Sie doch gleich sagen können!«

» Yes, Sir!«

Karlchen Gorski öffnete das gewaltige Schreiben. Auf dem großen Bogen aus dickem Leinenpapier standen in schlanker, steiler Schrift nur ein paar Zeilen. In französischer Sprache, mit der er selbst noch beim Fähnrichsexamen auf recht gespanntem Fuße gestanden hatte; Polnisch und Russisch sprach er dafür flüssig wie Wasser. Die Überschrift lautete: » Mon petit héros.« Dann aber kam doch einiges, was man besser für sich allein mit Hilfe des Lexikons las … Er nickte mit Würde.

» Bon, mon cher! Empfehlen Sie mich dem gnädigen Fräulein, ich werde die Antwort persönlich überbringen.«

Der Reitknecht machte schweigend kehrt, schien also verstanden zu haben. Nach einigen Schritten aber kam er zurück: » Excuse, Sir …«

»Na, was is noch los?«

Der glattrasierte Bursch kraute sich den Kopf und stand dann plötzlich stramm wie ein preußischer Soldat.

»Verzeih'n Se jietigst, Herr Leutnant, jibt et nu wirklich Kriech, oder löst sich det Janze wieder in Wohljefallen uff?«

Karlchen Gorski fühlte deutlich, wie ihm vor Erstaunen ein paar Augenblicke lang der Mund offen stand.

»Entschuldigen Sie, aber ich hatte gedacht, Sie sind Engländer?«

»Jott bewahre, Herr Leutnant, Berliner. Det Englisch is aus Hoppejarten, wo ick drei Jahre bei'n Trehner in de Lehre war!«

»Und da lassen Sie, verdammter Himmelhund, mich hier Rebusse raten? Und haben gestern wie der steinerne Gast dabeigesessen, wie ich mich mit dem Russen herumbalgte?«

Der glattrasierte Bursche fingerte in einiger Verlegenheit an der Hosennaht.

»Jott, Herr Leutnant, wejen det Englische … Schon in Berlin, in 'nen besseren Stall, wenn Se da nich for'n Hundelohn arbeeten wollen, missen Se Engländer sein. In' Auslande erst recht. Da kooft man sich denn in' Bouillonkeller 'ne englische Flebbe, und fertich! John Bigmore from Liverpool! Aber wenn't nu wirklich losjehn sollt', möcht' man doch dabei sein. Ick hab' nämlich meine drei Jahre bei den Brandenburg'schen Kürassieren jedient!«

»Na schön, und sehr lobenswert, mein Sohn! Aber da finde ich's doppelt gemein, daß Sie sich als alter preußischer Soldat gestern so passiv verhielten. Die Sache mit dem Russen hätte doch auch leicht schief ablaufen können!«

Der Glattrasierte atmete auf.

»Dann – dadruff können Herr Leutnant sich nu bestimmt verlassen – wär' ick dazwischenjefahren! Bloß, wat meine Frau Baronin is … aber da müßt' ick Herrn Leutnant jehorsamst vorher um Diskretion bitten …«

Karl von Gorski machte eine kurze Bewegung.

»Nee, mein Jungchen! Klatsch – nicht zu machen! Aber wenn Sie mir was dienstlich zu melden haben sollten?«

»Na denn, Herr Leutnant,« – er schluckte erst noch einmal auf – »und schließlich, een Vaterland hat man doch nur, Stellungen aber jibt's jenuch in der Welt … also ick halte die Frau Baronin Nadanyi for 'ne janz jefährliche Spionin!«

Karlchen Gorski mußte sich setzen.

»Ach nee! Wieso denn?«

»Na erstens hatte se mir jestern, wie Herr Leutnant gegen die beiden Russen losjingen, mit 'nen kurzen Wink verboten, mich einzumischen, und dann vorher in det kleene polnische Städtchen … den Namen ha'ck vagessen …«

»Grajewo?«

»Janz recht! Also da hat se 'ne janze Weile lang mit 'nen russischen Jardeoffizier verhandelt. Die Frau Landrat und det Fräulein Eberle saßen in't Kasino, ick hielt draußen de Pferde. Da kam se mit den Jrafen 'raus – Adlerberg hieß er –, um den Dunkelfuchs anzusehen. Det nahm mir nu weiter nich wunder, denn der Charlie is wirklich 'ne Sehenswürdigkeit for'n Pferdekenner … hat vor 'nem halben Jahr auf 'ne Auktion in Londoner Tattersall fufzehnhundert Guinees jekostet. Also janz erste Klasse und als Damenpferd bei den schwersten Hunting Races eingesprungen. Na, der Jraf bewundert den Jaul denn nu auf alle Jangarten. Dann fragt er auf französ'sch: › Quelque chose de nouveau, chère baronne?‹ Und sie darauf: ›Sprechen Sie deutsch, Jraf. Mein Reitknecht ist zwar Stockengländer, aber ich bin doch nicht ganz sicher, ob er in Paris nicht 'n paar Brocken Französ'sch aufgeschnappt hat!‹ Ick denk', ick soll aus'n Sattel fallen, beherrsch' mir aber und zuck' nich mit 'ne Wimper. Na, und da packten se denn ooch janz jemütlich allerhand aus, taten dabei immer so, als wenn se sich ooch de beiden anderen Jäule anseh'n würden. Der Jraf sagt: ›Haben Se denn nu det Jut janz fest jekooft, jnädigste Baronin?‹ Und sie dadruff: ›Schon vor dem Notar. In den nächsten Tagen ziehe ich ein.‹ Na und nu jing det hin und her. Er meente, se sollt' sich beeilen, von Königsberch her wär' de Leitung schon fertich, nur der letzte Anschluß würd' noch fehlen, weil im Grenzbezirk die Deutschen zu sehr uffpaßten. Sie ieberlejte denn 'n Momang und sagte, dann könnt' ja ihre alte Ursula in't Schloß Orlowen einziehen, det würd' nich uffallen. Sie aber müßte mindestens noch 'n paar Tage in't Landratsamt bleiben, um keenen Verdacht nich zu erregen. Und er meente dadruff, et dürft' aber ooch nich zu lang dauern, denn et jinge bald los. Und sie brauchte sich for ihre Person jar nich zu beunruhigen – een paar Strohhaufen würden de Kosaken ja ansengen, damit et ooch bei ihr 'n bißken nach Kriech aussehen täte, in iebrigen wäre aber allerstrengster Befehl gegeben, det Schloß und de Bewohner wie Freunde zu behandeln.

Dann kam die Frau Landrat und det Fräulein aus'n Kasino, wir ritten ab. Uff eenmal aber ruft mich doch dieser Jraf janz hinterlistig uff deutsch an: ›He, Sie, Reitknecht, warten Sie einen Augenblick, eine von Ihren Damen hat 'nen Handschuh verloren!‹ Jott sei Dank, ick fiel uff die Jemeinheit ja nich rin, ritt janz ruhig weiter. Ick hatt' mir nämlich den Jrafen vorher janz jenau anjesehen, 'n Jesicht hatt' er wie een mit alle Salben Jesalbter. Da sagt' ick mir, Justav, paß uff, der wird doch sicher versuchen, dir reinzulegen! Na, dann rief er uff englisch: › Hallo, footman, wait a moment!‹ Da hielt ick an, die Damen ooch. Er kam nach: › Do you understand german?‹ Und ick dadruff: › No Sir, only some words: Mädchen give me eine kiss, denn ich dir lieben sehr.‹ Da lachten die Damen, der Jraf lachte ooch. Mir aber lief et janz kalt übern Rücken, denn mir wurde klar, wenn ick mir verraten hätte, wär' ick doch janz glatt verloren jewesen. Erst wie wir wieder uff preuß'schem Jrund und Boden waren, atmete ick uff.«

Karl von Gorski hatte gespannt zugehört, jetzt mußte er plötzlich auflachen.

»Na, Sie scheinen mir ja auch ein ganz Gehängter zu sein!«

Der Glattrasierte zuckte mit den Achseln:

»Jott, Herr Leutnant, wenn man sich immer unter det fremde Gesindel 'rumtreiben muß? Da lernt man uff'n Qui vive sein! In Paris haben mich die anderen Stallmenschen sojar 'n paarmal aus 'n Schlaf geweckt, um 'raus zu kriejen, ob ick wirklich 'n Engländer wär'! Aus Konkurrenzneid, weil die Frau Baronin mich in' Dienst sehr bevorzugte!«

»So so, na schön! Und wie heißen Sie nun in Wirklichkeit, mein Lieber?«

»Justav Daberkow aus Pankow bei Berlin. Und ick kann mir jederzeit ausweisen, meine richt'gen Papiere liegen bei meiner Mutter in Berlin.«

Karl von Gorski stand auf.

»Es ist gut, Daberkow! Wir beide können vielleicht im Augenblick noch nicht ermessen, wie wichtig der Dienst ist, den Sie in Ihrer Ehrlichkeit dem Vaterlande geleistet haben. Jedenfalls ist da eine gottverruchte Schweinerei im Werke. Um aber die Klappe mit der nötigen Geräuschlosigkeit zumachen zu können, wird es nötig sein, daß Sie auch weiterhin sich nicht zu erkennen geben, wie mein alter Geschäftsfreund Abramek sagen würde.«

»Sehr wohl, Herr Leutnant! Aber wenn nu der Krieg ausbricht, wie soll ich da zu meinem Regiment nach Brandenburg kommen?«

»Na, so schnell geht's wohl noch nicht los. Und wenn Sie als gewesener Kürassier nicht durchaus darauf bestehen, die Russen mit 'nem Pallasch zu verdreschen …«

»Meinetwejen mit 'ner Wagenrunge! Wenn ick bloß mit dabei sein darf!«

»Schön, dann verbürge ich mich dafür, daß Sie in der fünften Schwadron eingestellt werden. Fixe Kerle wie Sie kann ich gebrauchen. Ich gedenke nämlich – wenn mir nicht gleich zu Anfang das Lebenslicht ausgeblasen wird – aus meinem Zug 'ne ganz besondere Rasselbande zu machen!«

Der Reitknecht reckte sich heraus, in seine Augen trat ein Leuchten.

»Mach' ick mit, Herr Leutnant! Und Herr Leutnant dürfen nich schlecht von mir denken, det ick Sie det alles erzählt habe. Ick wär' ooch beinahe wieder wechjejangen ohne eenen Ton, denn die Frau Baronin is immer jut und freundlich zu mir jewesen. Aber wie ick det nu jestern jesehen hatte mit die beiden Russen und mir heute sagte: ›Justav, du sollst det Maul halten bei eene solche Verräterei? Wejen achtzig Mark Monatslohn sollen vielleicht tausend von deine alte Kameraden hinjemacht werden?‹ Und weil der Herr Leutnant so … so zu mich waren, wie een richt'jer Herr Leutnant, halb jemütlich, halb jrob, da is mich das wie 'ne Art Heimweh jewesen! Und ick packte aus.«

Karl von Gorski legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Brav, mein Junge! Wenn wir erst in Rußland Patrouille reiten, werd' ich Ihnen mal gelegentlich erklären, daß es eine höhere Treue gibt als die um das bißchen tägliche Brot. Vorläufig aber tun Sie Ihren Dienst weiter, nur Sie müßten dafür sorgen, daß wir unauffällig in Verbindung bleiben.«

Gustav Daberkow lachte.

»Det dürfte nich schwer sein! Und wenn Herr Leutnant mir das nich übelnehmen …«

»Nee, man schon los!«

»Na denn, det kleene Fräulein Eberlé scheint nach die Russenaffäre ja nu mächtlich Feuer jefangen zu haben. Die Zofe Lisette erzählte mir, et hätt' sojar mit der Frau Landrat Krach jejeben, und heute hat det jnä' Fräulein mich mit det Billjett und die Rosen erst wechjeschickt, wie die beiden anderen Damen in de Stadt jejangen waren, Besuche machen.«

Karlchen Gorski betrachtete ein paar Augenblicke lang tiefsinnig seine Fingernägel.

»Hm, hm … so so! Na ja … aber eine Frage: Ist Ihnen aufgefallen, daß Frau von Döhlau und ihre Kusine bei dem Besuch in Grajewo mit Ihrer Frau Baronin irgendwie im Einverständnis waren?«

»In Jegenteil, Herr Leutnant! Die beiden Damen wollten zuerst an de Jrenze jlatt umkehren. Und ick hab' bloß verjessen zu erzählen, det der Jraf und meine Frau Baronin bei det Pferdebesichtigen ooch davon jesprochen haben. Er fragte mit 'ne Handbewegung nach 'n Kasino rüber: ›Haben die beeden dadrinnen 'ne Ahnung?‹ Und sie dadruff: ›Um Jottes willen, keene Spur! Ihre Schwärmerei for de Franzosen, det is bloß 'ne Art von Modesache. Wenn man diese kleene Lothringer Mächen kratzt, bin ich nich sicher, det nich plötzlich 'ne jute Deutsche unter de Pelle 'rauskiekt! Et jeht se zu jut unter de deutsche Herrschaft, und de sojenannte Revangsche sieht sich uff eenmal janz anders an, wenn se unter Umständen 'nen jefüllten Geldsack kostet!‹«

»Hm,« sagte Karl von Gorski, »das klingt verdammt echt! Namentlich wenn man's aus Ihrem Berlinischen ins Deutsche übersetzt. Na, dann Gott befohlen, Herr Daberkow, ich werde dafür sorgen, daß die Sache in aller Stille, aber energisch in die Hand genommen wird.«

Der Reitknecht machte stramm kehrt, daß die Sporen klirrten: »Befehl, Herr Leutnant!« … Karlchen Gorski aber schüttelte ein paarmal mit dem Kopf, ehe er sich an die Übersetzung des Briefes begab. Sie ging rascher vonstatten, als er gedacht hatte; nur an einigen Stellen brauchte er das Lexikon zu wälzen. Fräulein Françoise schrieb ihm, sie habe in der Nacht wenig geschlafen, aus Angst, seine Wunde könne sich verschlimmern. Und wie sehr sie heute bedauere, den Mut der preußischen Offiziere in Zweifel gezogen zu haben. Darüber möchte sie ihm einiges sagen, wenn er die Liebenswürdigkeit haben wolle, sie zu besuchen. Bis ein Uhr sei sie allein, weil sie wegen heftiger Kopfschmerzen abgelehnt habe, ihre Kusine und die Baronin Nadanyi auf einer Besuchstour ins Städtchen zu begleiten …

»Donnerwetter,« sagte er halblaut, »das sieht beinahe so aus, als hätte der auf englisch frisierte Berliner recht gehabt …« Er steckte sich eine Zigarette an und besah sich eine ganze Weile lang im Spiegel. Er fand sich noch weniger verführerisch als sonst, wie ein Maurergeselle nach Keilerei und Tanzvergnügen sah er aus. Auf der Wunde, die er gestern natürlich nur oberflächlich gereinigt hatte, saß frischer Schorf, das rechte Auge fing an, sich braun und grün zu färben, und im Gesicht standen ein paar Kratzer, die er sich wohl geholt hatte, als der lange Russe ihn aus dem Sattel riß … Er zuckte mit den Achseln: na schön, vielleicht gefiel ihr auch das … die Meinungen, wie ein »kleiner Held« aussehen mußte, waren ja wohl verschieden.

Er zog sich langsam den besten Überrock an, bürstete sich sorgfältig das Schnurrbärtchen, wußte aber immer noch nicht, ob es geraten war, der Einladung da zu folgen oder daheim zu bleiben. Wenn er ging, schied er sich von allem, was bisher seines Lebens bester Inhalt gewesen war. Aber das hatte er ja schon gestern verraten, als er dem lothringischen Mädel tief in die Augen sah … Und daheim war der hausbackene, graue Alltag, draußen aber lockte das bunte, abenteuerfrohe Fremde … ein Reichtum, der keine Sorgen mehr kannte und vielleicht so groß war, daß er unter die Lieben in Groß-Heinrichsdorf wie ein Erbonkel aus Amerika treten konnte mit der dicken Brieftasche: »Da, Kleinchen, hast du deinen heimlich verehrten Leutnant von der Infanterie, und du, lieber Bruder, kannst jetzt wieder aus dem vollen wirtschaften, wie ein Grandseigneur … Das Kommandeurstöchterlein aber wird sich trösten und einsehen, daß du der Würdigere bist …«

Er schleuderte die Zigarette in eine Ecke; sie schmeckte genau so schlecht auf der Zunge wie all die Beschönigungen, die er sich für seine Untreue ausklügelte. Er wußte genau, die kleine Ilse kam nicht drüber weg, aber er konnte ihr und sich nicht helfen. In ihm brannte ein Feuer, das von keinem Wasser mehr zu löschen war … Und er war jung, in acht Tagen gab es Krieg. Da nahm man mit gieriger Hand, was sich einem bot, warf vor dem Ausrücken alles rückwärts über die Schulter wie das letzte geleerte Glas …

Ein Ende vor dem Hauptportal des Landratsamtes erwartete ihn ein freundliches Zöfchen und führte ihn mit vertraulichem Lächeln durch das kleine Türchen in der roten Ziegelmauer in den schattigen, neben dem Hause liegenden Garten. Als wenn sie schon eine gewisse Übung hätte in solchen verschwiegenen Diensten, mußte er unwillkürlich denken …

Fräulein Françoise saß in einem bequemen Korbstuhl unter einer breitästigen Linde und las in einem schmalen Buche mit kostbarem Einbande. Als sie auf dem Gartenkies Schritte vernahm, warf sie das Buch auf den Rasen, sprang elastisch in die Höhe. Und plötzlich lachte sie auf.

»O la la, sehen Sie aber komisch aus, Herr Leutnant!« Da lachte er mit.

»Nicht wahr, wie ein geschundener Raubritter? Aber man lernt bekanntlich nie aus im Leben. Es bringt selten eine Steigerung. Gestern sahen Sie mich in einem romantischen Zwielicht, meine Gnädigste. Ich hätte es vermeiden sollen, mich Ihnen am hellen Tage zu präsentieren. Sommersprossen habe ich nämlich auch noch.«

Sie schüttelte ihm, leicht verlegen, die Hand.

»Es war sehr häßlich von mir, verzeihen Sie! Aber jetzt setzen Sie sich mal dort hin und berichten Sie: was hat der Arzt zu Ihrer Verwundung gesagt?«

»Gar nichts, mein Fräulein. Ich hatte nämlich weder Zeit noch Lust, unseren Medizinmann unnütz zu strapazieren. Solche kleinen Schmarren heilen am besten, wenn man sie sich selbst überläßt.«

Sie nickte mit sachlichem Ernst.

»Es scheint fast so. Jedenfalls wäre es ganz verfehlt, den durch ein Blutgerinnsel fest verschlossenen Riß durch irgendeinen Eingriff neu zu beunruhigen.«

Sie ließ sich in ihren Korbsessel nieder: »Na und jetzt erzählen Sie, Herr Leutnant! Hatten Sie gestern abend noch Dienst?«

»I bewahre, ich hatte nur zuviel zu denken. Und da mir diese ungewohnte Tätigkeit auf die Dauer über wurde, ging ich hin, um mir eine neue Weltanschauung anzutrinken!«

Fräulein Françoise lehnte sich ein wenig zurück und sah unter halb geschlossenen Augenlidern zu ihm hinüber.

»Und hat es geholfen?«

»Leider nein! Ich bin noch genau so töricht wie gestern abend. Ein kleiner Blutfleck hat es mir angetan, den ein fremdes Mädel an der Hand hatte und nicht wieder abwischte, ehe sie in den Sattel stieg.«

Eine feine Röte flog ihr über Hals und Wangen, sie blickte zu Boden.

»Er ist nicht mehr da. Als das fremde Mädel allein war, hat sie ihn geküßt, und da ist er verschwunden!«

Sie schloß die Augen und erwartete ihn mit halbgeöffnetem Munde. Da sprang er auf, sie schlug die Arme um seinen Hals, küßte und biß ihn fast. Er nahm ihren schlanken Körper in seine starken Hände, zog sie empor und stand mit ihr Mund an Mund wie in einer lodernden Flamme von Leidenschaft … Ein wahnwitziges Begehren hob sich in seinem Blute. Sie erschauerte leicht, schob ihn zurück.

»Da, artig wieder hinsetzen, sonst lauf' ich sofort weg …«

Er folgte gehorsam, nur seine Augen umfingen sie noch mit bettelndem Blick. Da kam sie zu ihm, drückte seine Hände sanft auf die Stuhllehne und küßte ihn leise auf Mund und Augen: » Mais maintenant assez, mon petit Charlemagne!«

Sie ließ sich in ihren Sessel fallen und strich sich eine Haarsträhne aus dem heißen Gesicht. Und erst nach einer langen Pause sprach sie, mehr zu sich selbst:

»Ich hab' es gewußt, ich würde hier mein Schicksal finden. Schon, als Marion mir die Einladung schickte. Sie schrieb zuviel von dir. Ich vermutete fast, sie selbst hätte ein bißchen Feuer gefangen. Von einem romantischen Duell schrieb sie; wegen einer Frau, die dich nichts anging, nur um einem Freund vor der sicheren Kugel des anderen das Leben zu retten. Und man wisse nicht, sollte man über dich lachen oder sich in dich verlieben. Da wurde ich neugierig und beschloß, mir diese seltsame Mischung aus Bajazzo und Held näher anzusehen. Entschuldige das Wort, es stammt nicht von mir, und heute bin ich darüber empört.«

Er lachte kurz auf.

»Wieso? Das stimmt doch! Weshalb soll ein Hanswurst nicht zuweilen ein Held sein und ein Held manchmal ein Hanswurst? Namentlich, wenn er sich in eine junge Dame verliebt und ihn befallen, gleich meinem großen Ahnherrn Simson, die Zweifel, ob er ihr nicht bloß ein kurzer Zeitvertreib ist?«

In ihre braunen Augen trat ein zorniger Schein.

»Wie kommst du zu so häßlichen Worten? Wird ein Gefühl darum echter oder ehrlicher, wenn man erst vier Wochen sich ziert und so tut, als empfinde man nichts? Und warum kränkst du mich so, daß du glaubst, ich könnte mit dem Besten, was in mir ist, ein Spiel treiben?«

»Verzeih!« sagte er und küßte ihr reumütig die Hand. Als er aber ihren Mund suchte, schob sie ihn sanft wieder zurück.

»Nachher! Jetzt – ich weiß nicht, wie lange wir noch ungestört sein werden – ein paar ernsthafte Worte über unsere Zukunft. Ich habe den ganzen Morgen darüber nachgedacht. Am besten ist es, ich fahre morgen nach Hause zurück – mein lieber Papa wird erst die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, daß ich ihm einen Prussien als Schwiegersohn bringe, dann aber ja sagen, denn er tut alles, was ich will. Ich depeschiere dir, und du kommst nach, aber vorher mußt du dich entschließen, deinen Dienst zu quittieren. Einer der beiden Schwiegersöhne muß nämlich die Leitung unserer Fabriken übernehmen, und da sich meine ältere Schwester Geneviève mit einem französischen Offizier verlobt hat, einem Vetter von uns, mit dem sie nach Nancy zieht …«

Er unterbrach sie.

»Verzeih einen Augenblick, aber weshalb übernimmt der nicht die Leitung eurer Fabriken?«

Sie richtete sich unwillkürlich auf.

»Aber das ist ganz unmöglich! Er ist ein glühender Patriot, und das Vaterland braucht jeden Arm!«

Karlchen Gorski stand langsam auf. Um seine Augen flog ein Zwinkern, halb betrübt, halb lustig. Er klappte die Hacken zusammen und griff nach seinem Helm.

»Na dann empfehl' ich mich gehorsamst, mein gnädiges Fräulein …«

Sie sprang erschreckt auf die Füße.

»Um Himmels willen, was ist denn passiert?«

»Ach Gott, nichts Besonderes! Nur, es wäre vielleicht besser gewesen, wir hätten uns mehr an die gute alte Mode gehalten: sich zuerst aussprechen und dann erst verloben. Auf dem umgekehrten Wege gehen die Sachen manchmal wieder auseinander.«

Sie trat dicht vor ihn hin und sah ihm erschreckt in die Augen.

»Ja, hast du mich denn nicht lieb?«

»Lieb? Mein kleines Tierchen, ich hab' dich so lieb … also ich bin kein Freund von geschwollenen Redensarten, ich hab' dich mehr lieb, als für mich gut ist. Einen Verrat hab' ich schon um dich auf dem Gewissen, aber das da hier …« Er faßte sie bei der Schulter. »Mädel, fühlst du denn nicht, was du mir da zumutest? Und wie du dich damit selbst erniedrigst? Deine Schwester darf 'nen anständigen Kerl heiraten, und du würdest mit 'nem Lumpen zufrieden sein?«

Sie hatte ihn nicht verstanden.

»Aber es geht doch nicht anders. Mein Vorschlag … also das ist die einzige Möglichkeit! Es wird ohnedies eine ganze Menge von Bitten und Tränen kosten!«

Er zuckte mit den Achseln.

»Dann ist's wohl besser, Sie bemühen sich erst gar nicht, mein Fräulein. Selbst wenn Ihr Herr Papa einverstanden sein sollte – ich müßte ablehnen!«

In ihre Stirn trat eine kleine zornige Falte.

»Ja, weshalb nur? Weißt du denn auch, was du ausschlägst? Es gibt in ganz Lothringen nur noch ein Mädchen, das ebenso reich ist wie ich: meine Schwester Geneviève!«

Da faßte auch ihn der Zorn.

»Auf deinen Reichtum pfeif' ich, mein Kind! Dich will ich, dich allein! Ich geh' ja rum wie ein Verrückter, keinen anderen Gedanken als dich … na schön! Aber will's in dein Köpfchen nicht hinein, wie schimpflich das ist, was du mir zumutest? Was hat unsereins denn in seinem kümmerlichen Leben als das bißchen Stolz auf den Rock da, daß man ihn in Ehren tragen darf? Und den soll ich wegwerfen wie einen verschlissenen Kittel? Fahnenflüchtig werden in einem Augenblick, wo mein Vaterland mich braucht? Ah, pfui Deuwel noch mal, da wär' ich ja nicht wert, von einer deutschen Mutter geboren zu sein!«

Sie schluchzte leicht auf, halb in Zorn, halb in Weh.

»Was soll denn nun aber werden?«

»Na sehr einfach, du wirst 'ne kleine Leutnantsfrau! Die reizendste und entzückendste natürlich, die es je gegeben hat. Und sollst mal sehen, wie nett und gemütlich wir's uns hier einrichten werden. Wie im Himmel!«

Sie schürzte verächtlich die Lippe, indes ihr ein paar klare Tränen über die Wangen rollten.

»Hier in diesem Nest? Wo die Leute auf der Straße stehenbleiben und einen anglotzen wie ein Fabeltier? Und mit den Frauen soll ich verkehren, die im Vorübergehen die Nase rümpfen, nur weil man eine bessere Toilette anhat? Die sich moralisch unendlich erhaben über uns dünken, weil sie aus Sparsamkeit Wolle tragen und wir – o welche sündhafte Leichtfertigkeit! – Seide und Spitzen?«

»Du, Kleines,« sagte er warnend, »unter den Frauen, von denen du sprichst, befinden sich auch meine Schwestern! Aber das ist ja alles Unsinn … Natürlich sind unsere Damen hier ein bißchen verfroren und hochmütig einer neuen Erscheinung gegenüber, und das mit Recht, denn sie stehen auf einer alten Tradition. Aber wenn ich dich anbringe, werden sie dich wohlwollend aufnehmen, und paß auf, wie gut du bei einiger Fügsamkeit dich mit ihnen einfahren wirst!«

Sie richtete sich auf und machte eine leidenschaftliche Bewegung.

» Moi, mon ami? Jamais! Jamais de la vie!«

Er griff wieder nach seinem Helm.

»Soweit ich verstanden habe, mein gnädiges Fräulein, ist das so ziemlich das entschiedenste Nein, das es auf französisch gibt. Na denn … also jetzt weiß ich auch nicht, was werden soll!«

»Oh, sehr einfach«, sagte sie zornig. »Sie heiraten eine von diesen Damen, für die Sie so schwärmen. Mit Wolle und Tradition!«

Er lächelte trübe.

»Ganz recht, meine Gnädigste, das wäre sehr gescheit gewesen, aber damit ist's für mich leider vorbei. Gestatten Sie, daß ich mich jetzt empfehle. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen alles Gute.«

Er zog ihre Hand an die Lippen und ging. Und im Vorwärtsschreiten mußte er denken, daß er nie in seinem Leben ein zierlicheres Gebilde gesehen hatte als diese Hand; wie ein kleines Kunstwerk aus rosig getöntem Elfenbein hatte es in seiner groben Faust gelegen … Unwillkürlich ging er ein wenig langsamer, vielleicht rief sie ihn doch noch einmal zurück oder kam ihm nach … Das eben konnte doch unmöglich das Ende sein? Aber nichts regte sich, kein Laut war zu vernehmen. Da lachte er kurz auf, aber unversehens wurde ein Schluchzen daraus. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre umgekehrt – er mußte sich gewaltsam zusammenreißen, denn ihm stockte schon der Fuß …

Draußen, auf der vom See ins Städtchen führenden Straße, ritt ein Zug Dragoner vorbei. Die Kerls saßen im Drillichzeug auf dem bloßen Rücken der Gäule, die sie in die Schwemme geführt hatten, und sangen aus vollem Halse. Das neue Reiterlied, das erst seit ein paar Jahren im Schwange war:

»An der Grenze fern im Osten
Hält ein Reiter still auf Posten,
Späht hinaus ins weite Feld.
Drüben fahren auf Kanonen,
Sammeln sich Schwadronen
In dem weiten, weiten Feld.

Braunes Mädchen kam gegangen,
Hob die Augen mit Verlangen:
›Reitersmann, schenk' mir die Stund'!‹
›Geh' du nur deiner Straßen,
Ich muß auf Feinde passen,
Was nutzt mich da ein roter Mund?‹

In Rußland steht ein Kiefernbaum,
Hat wohl für ein Grab noch Raum,
Fern vom lieben Elternhaus …
Die Artill'rie fängt an zu schießen,
Mein Schatz, ich tu' dich grüßen,
Such' dir 'nen andern aus …«

Der Leutnant Karl von Gorski blieb hinter der Gartenmauer stehen, bis die Dragoner vorüber waren. Das Lied war ihm wie eine Vorbedeutung, er ging still nach Hause …


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