George R. Sims (1847 - 1922)
Die junge Frau Kaudel
George R. Sims (1847 - 1922)

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Was eine Schriftstellersfrau durchzumachen hat.

Nachschrift von der jungen Frau Kaudel selbst.

Ich habe meinen lieben Schwestern, dem »Komitee«, wie Herr Kaudel sie abgeschmackterweise aus unverständlichen Gründen zu bezeichnen pflegt, aufs Ernstlichste eingeschärft, daß, wenn sie heiraten — und sie sind so hübsch und so liebenswürdig, daß sie ohne Zweifel heiraten werden — sie nur einen Mann nehmen sollen, der seinen Beruf oder sein Geschäft außer dem Hause betreibt, nach dem Frühstück fortgeht, zu Tisch nach Hause kommt und den Abend frei hat, um sich seiner Frau zu widmen.

Hätte ich gewußt, daß ein Schriftsteller den ganzen Tag zu Hause ist, falls er nicht in seinen Klub geht oder »beruflich« auszugehen hat, wobei er die Frau nicht mitnehmen kann, so würde ich Wilfrid Kaudels Antrag nie und nimmer angenommen haben.

Ich frage jedes junge Mädchen, das ein glückliches Heim hat und fröhliche Schwestern und einen Vater, der um fünf Uhr nach Hause kommt, um den Abend mit seiner Familie zuzubringen, wie es ihr passen würde, Tag für Tag mit einem Mann eingemauert zu sein, der sein Leben in folgender Weise einrichtet?

Frühstück um neun Uhr, dazu ein Berg von Briefen, wovon keiner die geringste Bedeutung für mich hat, und wovon einige ihn zu Äußerungen veranlassen, denen ich mein Ohr verschließe.

Ferner ein halbes Dutzend Zeitungen, die seine Aufmerksamkeit für eine halbe Stunde vollständig in Anspruch nehmen, und zwar in einer Weise, daß ich mitangesehen habe, wie er seinen Kaffee mit dem Buttermesser umrührte und Speck mit Eiern mit dem Tischvorlegebesteck zu essen versuchte. Die ganze Zeit über kein Wort für mich. Höchstens reicht er mir mit Gönnermiene das Beiblatt der Daily Mail. »Für unsere Frauen« und erwartet, daß ich damit die Öde in meinem Herzen ausfülle.

Nach dem Frühstück geht er sofort in sein Arbeitszimmer, um die Briefe zu beantworten und sich an seine »Arbeit« zu machen, und ich bekomme nichts mehr von ihm zu sehen bis gegen ein Uhr, wo er den Hut aufsetzt und wie ein gefangener Tiger in der Halle hin und her rast, falls ich nämlich noch nicht ganz zum Ausgehen bereit bin. Dabei erklärt er dann, es sei kein Wunder, daß er an schlechter Verdauung leide, da er ja durch meine Saumseligkeit nie zu seinem richtigen Maß von Bewegung vor dem zweiten Frühstück komme.

Nun gehen wir also spazieren. Aber wie! Keine Rede von einem gemütlichen Bummel durch die Straßen, um die Läden anzusehen, sondern im Dauerlauf durch den öffentlichen Park, wo um diese Zeit keine andre Seele zu sehen ist, als ein paar greuliche Vagabunden, die im nassen Gras herumliegen, und wo man, was Anzeichen der Zivilisation betrifft, ebensogut in Südafrika sein könnte.

Hat er im Beruf Widerwärtigkeiten, hat ihn jemand geärgert, so spricht er jetzt, das heißt, er erzählt mir alles Unangenehme und erklärt mir, weshalb er so verstimmt sei. Irgend ein Grund zur Verstimmung ist für Wilfrid Kaudel immer vorhanden. Wenn’s regnet, so verstimmt ihn die Feuchtigkeit, ist es schön und warm, so leidet er unter der Hitze, und diese geht ihm auf die Nerven, ist es kalt und windig, so fürchtet er für seine Gesundheit und ist deshalb in gedrückter Stimmung. Läßt sich am Wetter einmal ganz und gar nichts aussetzen, so hat er irgendwelchen Verdruß im Beruf, und ist auch dort alles im Lot, so gehe ich ihm auf die Nerven.

Das zweite Frühstück nehmen wir zu einer lächerlichen Zeit, um zwei oder halb drei Uhr, und nicht ein Frühstück wie andre Leute, sondern eine schwere Mahlzeit, weil es eine Schrulle von ihm ist, daß ein Mann, der, wie er sich ausdrückt, Gehirnarbeit verrichtet, um die Mitte des Tags ordentlich essen müsse. Nach dieser Mahlzeit geht er dann wieder in sein Zimmer, raucht und liest Bücher. Er sagt, er müsse Bücher lesen, denn wie sollte er sonst mit der Zeit Schritt halten? Dann kommt eine Ausfahrt mit mir, das heißt, ich darf ihn bis an seinen Klub begleiten, ihn dort absetzen, eine Stunde lang allein fahren, wohin ich will, und ihn schließlich wieder abholen. Er sagt, er müsse in den Klub gehen, um Leute zu treffen — wie solle er wissen, was in der Welt vorgeht, wenn er mit niemand verkehre?

Dann mit mir nach Hause, wieder in sein Zimmer, um nachzusehen, ob Briefe eingetroffen sind, und darauf Tee. Aber keinen netten kleinen Tee, sondern mit Fisch und Eiern und derlei Sachen, namentlich mit gebackener Seezunge, die mir zum Tee ganz unausstehlich ist, die Herr Kaudel aber zu brauchen behauptet, weil Fisch das Gehirn ernähre. Ich sage, daß ich gar nicht so viel Gehirn nötig habe, weil ich ja doch nicht meinen Unterhalt damit verdiene, und nehme nur Gebäck zum Tee, denn ich bin in einem glücklichen Heim aufgewachsen, wo man Mahlzeiten hatte wie die übrige Menschheit und die Hauptmahlzeit um sieben Uhr.

Darum nehme ich dann um neun Uhr noch etwas, was ich Abendbrot nenne, dabei bin ich dann aber mutterseelenallein, weil sich Herr Kaudel um sieben Uhr an seinen Schreibtisch setzt und bis elf oder zwölf Uhr arbeitet. Und wenn ich in sein Zimmer gehe, um mit ihm zu plaudern, oder mich auch nur mit einem Buch zu ihm setzen will, sagt er, daß ich den Fluß seiner Gedanken unterbreche und seine Zukunft vernichte. Selbst, wenn er dann nach Mitternacht zu mir ins Wohnzimmer kommt, will er weder ein Spiel machen noch plaudern, denn er hat ja noch den »Standard« und eine französische Zeitung zu lesen. So muß ich denn, nachdem ich stundenlang den Mund nicht aufgetan habe, abermals still dasitzen und dann mich höchstens mit Patience legen vergnügen. Klavier spielen kann ich nicht, denn das hört er in seinem Arbeitszimmer, und er sagt, wie in aller Welt ein Mensch ein Buch schreiben solle, wenn man ihm die Ohren voll trommele?

Natürlich führt er mich zuweilen ins Theater, so alle vier Wochen einmal, dann will er aber im zweiten Parkett sitzen und schleppt mich dorthin. Er sagt, er gehe nicht ins Theater um Toilette zu machen, und deshalb kann er keinen Logenplatz nehmen. Auch behauptet er, eine Vorliebe für Parkettplätze zu haben, auf denen man die Aufführungen viel besser genießen könne. Das ist aber nicht mein Fall. Ich ziehe mich gern hübsch an, wenn ich ins Theater gehe, und will einen angenehmen Platz haben, wie sich’s gehört. Es hat für mich nicht den geringsten Reiz, eng mit Leuten zusammengepackt zu sitzen, von denen man rein nichts weiß, und die häufig nasse Regenschirme haben, denn so oft wir ins Theater gehen, regnet es sicherlich. Wilfrid geht nämlich mit Vorliebe an Regenabenden hin, weil man, wie er sagt, dann nicht so früh zu gehen brauche, um einen Platz zu bekommen, und das Gedränge nicht so groß sei.

Wenn er sich aber ums Theater drücken und dafür in einen Tingeltangel gehen kann, so tut er’s. Er sagt, diese seien ihm lieber, weil er dort rauchen könne, als ob ein Mann, der den lieben langen Tag raucht, nicht alle paar Wochen einmal ohne Zigarre im Mund mit seiner Frau ausgehen könnte! Ich habe auch nichts gegen die Tingeltangel, namentlich wenn sich’s um die Alhambra oder das Empire oder das Palace handelt, wo man ungefähr dieselben Leute trifft, die in der Oper in den Logen sitzen, nur den Rauch mag ich nicht. Wenn ich mich so setze, daß mir nicht bei jedem Zug der Rauch von Kaudels Zigarre ins Gesicht kommt, so setzt sich ganz gewiß ein anderer Herr so, daß dafür ich dessen Rauch in den Hals kriege. Wenn ich schon Rauch im Gesicht haben muß, dann ist mir natürlich der von meinem Mann noch lieber, als der von einem Fremden.

Noch mit etwas anderm habe ich mich abzufinden, und das ist Kaudels vollständiger Mangel an Lebenskenntnis, die er als Schriftsteller doch haben sollte. Ich habe Besprechungen seiner Sachen gelesen, worin der Kritiker gerade Wilfrids Lebenskenntnis als etwas Wunderbares hervorhob — dazu kann ich nur lächeln. Als Frau eines Schriftstellers habe ich die Erfahrung gemacht, daß diese Herren weniger vorn Leben wissen, als jeder andre Mensch.

Auf den Klub, den Rennplatz, die Kneipen und eine gewisse Sorte von Menschen mögen sie sich ja verstehen, aber vom wirklichen Leben, dem richtigen häuslichen Leben, haben sie keine Ahnung, wenigstens Wilfrid nicht. Er hat zum Beispiel gar keinen Begriff von dem, was die weibliche Toilette kostet, und seine Vorstellungen von Haushaltungsausgaben sind geradezu kindlich.

Ich glaube, es war ein Mann, der das abgeschmackte Buch geschrieben hat: »Die Kunst, sich mit fünfzehn Pfund gut zu kleiden.« Das ist so ungefähr der Begriff, den mein Mann davon hat. Als ich einmal einen entzückenden Hut hatte, einen Hut, auf den ich mir wirklich etwas einbildete und den ich für vier Pfund sehr preiswert fand, da sah er ihn auffallend lang an, und in der Idee, daß auch er entzückt davon sei, fragte ich: »Ist der Hut nicht bezaubernd? Was meinst du, daß ich dafür bezahlt habe?« und er sagte: »Gewiß hat man dich damit angeschmiert und dir ein Pfund dafür abgenommen.«

Mich angeschmiert und mir ein Pfund abgenommen! Über die Niedrigkeit dieser Ausdrucksweise könnte ich mich hinwegsetzen, aber vor diesem Abgrund von Unwissenheit schauderte ich zurück!

Was Kleider betrifft, so steht er auf einem Standpunkt, der nur bei einem Südseeinsulaner, dessen Frau sich mit einigen Muscheln und Haifischzähnen um den Hals angezogen vorkommt, verzeihlich ist. Er hat sich tatsächlich eingebildet, daß die Preise, die man in den Schaufenstern der Warenhäuser an fertige Sachen angeheftet sieht, die Preise seien, die man einer eleganten Schneiderin für die neueste Pariser Mode bezahlt.

Als ich ihm sagte, daß zwanzig Pfund ein sehr bescheidener Preis für ein Gesellschaftskleid sei, riß er die Augen so weit auf, wie ich’s ihm gar nicht zugetraut hätte, und rief aus: »Was! Ich habe doch in den Schaufenstern von Smith und Jones auf der Oxfordstraße ganz reizende Gesellschaftskleider um viereinhalb Pfund gesehen!«

Und der arme Mann bildet sich etwas ein auf seine wunderbare Lebenskenntnis!

Natürlich ruft seine Unwissenheit Verstimmungen hervor, so oft ich ihm eine Rechnung aufs Pult lege, daß er sie bezahle. Anfangs gab ich sie ihm beim Frühstück, das tue ich aber längst nicht mehr, denn da wurde er rasend. Ich habe jetzt eine viel bessere Methode — ich lege die Rechnung unter das Lineal auf seiner Schreibunterlage, und wenn er dann heraufgestürmt kommt, bin ich nicht um den Weg. Findet er mich doch und macht er abgeschmackte Bemerkungen über Verschwendungssucht, Bankrott und Armenhaus, so bleibe ich ganz ruhig.

»Ganz richtig,« sage ich, »aber laß dich doch nicht in der Arbeit stören. Geh du ruhig zu deinem Roman zurück, mein lieber Junge, und schreibe weiter. Du hast mir ja oft genug gesagt, daß ein vergeudeter Vormittag für dich einen Verlust von Hunderten bedeute.«

Dann geht er die Treppe hinunter und bezahlt vermutlich die Rechnungen, wenigstens kommen sie nie zum zweiten Mal, worüber ich sehr froh bin. Einmal kam eine zum zweiten Mal, dann sprach ich mich aber aus. Ich hatte zufällig an diesem nämlichen Morgen die Rechnung seines Schneiders und eine andre über Zigarren gesehen. Sarkastisch zu sein, ist sonst nicht meine Art, bei dieser Gelegenheit aber ließ ich’s an beißenden Bemerkungen nicht fehlen. Er schloß seine Schneider- und die Zigarrenrechnung in einer Schublade ein und schickte meiner Schneiderin postwendend einen Scheck.

Wenn die Männer nicht so viel Geld vergeudeten für Kleider, Zigarren, Klubs und andre unnötige Dinge, die nur für sie selbst Wert haben, so könnten sie die Rechnungen für ihre Frauen ohne jede Verstimmung und Übellaunigkeit bezahlen. Wenn man sie hört, könnte man wirklich denken, es sei ein Verbrechen, sich ein Kleid zu bestellen, eine Art von Erpressung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Ich will gar nicht sagen, daß Wilfrid in solchen Dingen schlimmer sei als andre Ehemänner, nur schreiben andre nicht des Geldes wegen Geschichten über ihre Frauen und machen dann noch ein Geschrei über die Kosten für das bißchen Putz, worin sie ihnen gefallen will.

Ich glaube, den Fall gegen Wilfrid Kaudel klar und gerecht dargestellt zu haben — viel gerechter, als er gegen mich ist. Aber Frauen sind eben immer milder im Urteil als Männer.


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