George R. Sims (1847 - 1922)
Die junge Frau Kaudel
George R. Sims (1847 - 1922)

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Bei Kaudels wird »besichtigt«.

Nachdem die junge Frau Kaudel ihren Kopf durchgesetzt hatte, und die Wohnung in die Hand eines Agenten gegeben worden war, machte Kaudel vorsichtigerweise diesem ehrenwerten Herrn noch einen Privatbesuch und setzte ihm auseinander, wie viel er auf die Wohnung verwendet habe, und daß er von dem neuen Mieter dafür eine Entschädigung verlangen müsse, wogegen er diesem alle Neuanschaffungen überlassen würde.

Des weiteren machte er dem Herrn klar, daß er ein sehr beschäftigter Mann, und daß sein Haus seine Burg sei, er also nicht ertragen konnte, Leute aus müßiger Neugier darin umherspazieren zu sehen. Konnten die Agenten Leute finden, denen das Haus und der geforderte Preis passe, schön und gut, in diesem Fall sei er entschlossen, den Gelüsten seiner Frau nach Gartenarbeit Rechnung zu tragen. Als völlig zwecklos aber würde er es betrachten, Leute herzuschicken, die etwa sechzehn Schlafzimmer brauchten, denn es seien nur vier vorhanden, oder solche, die keinen Stall wünschten, da der Stall ein wesentlicher Charakterzug dieser Wohnung sei.

Der Agent verbeugte sich und versicherte, ihn vollständig verstanden zu haben, worauf Kaudel in verhältnismäßig zufriedener Stimmung von dannen ging. Vollkommen war sein Glück übrigens nicht, denn er stieß auf die größten Schwierigkeiten, wenn er seiner Frau begreiflich machen wollte, daß, so bezaubernd die Häuser auch sein mochten, in die sie sich im Verlauf ihrer Entdeckungsreisen verliebte, kein bindender Entschluß möglich sei, ehe das jetzt von ihnen bewohnte einen neuen Mieter hätte. In einem Winkel von Kaudels Herzen keimte die Hoffnung, daß die von ihm geforderte Entschädigungssumme alle Wohnungsjäger verscheuchen und er noch geraume Zeit in friedlichem Besitz der altvertrauten Räume bleiben werde.

Die junge Frau Kaudel fuhr indes unentwegt fort, alle Wohnungsagenten in einem Umkreis von vier Meilen um Sharing Croß heimzusuchen. Mit deren Karten bewaffnet, drang sie darauf in die Schlösser der Großen und die Hütten der Kleinen ein. Bei Tisch erging sie sich dann in begeisterten Schilderungen etwa eines Wohnhauses mit zwanzig Schlafzimmern und entsprechendem Garten, das zuletzt als Nervenheilanstalt gedient hatte, oder sie schwärmte für eine vier Meilen von einer Eisenbahnstation gelegene entzückende Villa, die nur hundert Pfund im Jahr kostete, weil die letzten Bewohner von Einbrechern ermordet worden waren. Anfangs wurde Kaudel auch auf eine oder die andre Rundfahrt zu den begehrenswerten Häusern in der Umgebung Londons mitgenommen, da ihm aber unfehlbar alle gefielen, die nicht zu vermieten waren, und er an allen mietbaren unüberwindliche Übelstände entdeckte, gab die junge Frau Kaudel ihn als hoffnungslos auf und ließ ihn im Frieden seines Arbeitszimmers.

Dieser wurde indes aufs grausamste gestört. Eines Morgens, als Kaudel eifrig vertieft am Schreibtisch saß, ging die Tür auf, und das Hausmädchen ließ eine Dame und einen Herrn eintreten. Kaudel, der seinen literarischen Arbeitskittel trug, stieß einen Ruf des Unmuts aus.

»Hoffentlich stören wir nicht,« sagte die Dame. »Wir möchten das Haus besichtigen.«

»O … ja … jawohl … ich bitte um Entschuldigung,« stammelte Kaudel.

Der Herr ging schon im Zimmer herum, beguckte Bücher, Kuriositäten und Bilder.

»Eine wahre Kunstsammlung,« bemerkte er.

»Etwas der Art,« sagte Kaudel. »Das Mädchen wird Ihnen die Zimmer zeigen.«

»Sehr freundlich,« versetzte die Dame, indem sie sich auf dem Stuhl niederließ. »Also hier schreiben Sie Ihre Bücher und Theaterstücke! Bitte, arbeiten Sie doch weiter — ich habe noch nie einen Schriftsteller an einem Stück schreiben sehen, aber ich möchte es für mein Leben gern sehen!«

»Meine Frau interessiert sich ungemein für Schriftsteller, Herr Kaudel,« bemerkte der Gatte erklärend. »So oft das Haus eines solchen zu vermieten ist, verschafft sie sich eine Karte und besichtigt es.«

»Ich verstehe. Sie haben also nicht die Absicht, das Haus zu mieten … hm … Sie wollen es nur ansehen?«

»Was du für Unsinn redest!« sagte die Dame, neckisch mit dem Sonnenschirm nach ihrem Mann schlagend. »Herr Kaudel bekommt ja einen ganz falschen Begriff von uns!«

Dann setzte sie, zu dem nichts weniger als liebenswürdig dreinschauenden, verärgerten Schriftsteller gewendet, hinzu: »Wir haben allerdings die Absicht, das Haus zu mieten, wenn auch nicht für uns selbst. Meine Schwester, die nächstes Jahr aus Australien zurückkehren wird, hat mich gebeten, gelegentlich nach einer Wohnung für sie zu sehen.«

»Nächstes Jahr!« rief Kaudel. »Dann haben Sie wohl die Güte, sich nächstes Jahr wieder herzubemühen. Ist das Haus dann noch frei, so werde ich es Ihnen mit dem größten Vergnügen zeigen. Einstweilen habe ich die Absicht, es zum kommenden Quartal zu vermieten.«

Die Dame wie der Herr ergingen sich in weitschweifigen Entschuldigungen und Kaudel wünschte ihnen so eilig und so eifrig als möglich guten Tag. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, als die junge Frau Kaudel erschien.

»Wilfrid! Ich habe gehört, was du gesagt hast! Wie sollen wir das Haus je vermieten, wenn du jeden, der es ansehen will, hinauswirfst?«

»Ich habe niemand hinausgeworfen, mein Kind. Für derartige Athletenstückchen bin ich zu alt, da irrst du dich.«

»Du hast ihnen gesagt, sie sollen sich scheren.«

»Hätte ich sie bis zum nächsten Jahr hier behalten sollen?«

»Unsinn! Wenn ihnen das Haus gefallen hätte, würden sie es vielleicht für September gemietet haben. Sie hätten’s ja leer stehen lassen können, bis die Schwester kommt. In Zukunft werde ich die Leute herumführen, die zur Besichtigung kommen. Wenn sie dich zuerst sehen, vermieten wir nie!«

»Du kannst soviel Menschen im Haus herumführen, als dein Herz verlangt, Mabel, aber bringe sie nicht in mein Zimmer, wenn ich an der Arbeit bin. Das geht denn doch übers Bohnenlied. Ich lasse mich nicht von jedem hergelaufenen Kerl angaffen wie ein wildes Tier.«

»Dein Arbeitszimmer ist das schönste im Haus — du hast dir ja natürlich den besten Raum ausgesucht — und wer auch immer kommt, muß dieses Zimmer sehen. Mach also keine lächerlichen Geschichten, wenn ich bitten darf.«

Die junge Frau Kaudel segelte zum Zimmer hinaus, und Kaudel, dem der Faden seiner Geschichte vollständig abgerissen war, starrte an die Zimmerdecke und kaute in finsterer Wut an seinem Federhalter.

Ein paar Tage hatte er Frieden, dann kam abermals eine »Partei«, um das Haus zu besichtigen, und diese kam zu höchst unpassender Zeit, zur Essensstunde.

Als das Mädchen mit der Karte des Agenten hereinkam, rief denn auch Kaudel aufs Entschiedenste: »Unmöglich! Weisen Sie die Leute ab!«

»Nein,« befahl Frau Kaudel. »Führen Sie die Herrschaften herein!«

»Aber, Mabel, wir sind ja bei Tisch!«

»Woher sollen sie das wissen? Da es dir beliebt, um sechs Uhr zu speisen wie ein Hinterwäldler, während kein zivilisierter Mensch in London vor sieben oder acht Uhr speist, mußt du die Folgen auf dich nehmen. Führen Sie die Herrschaften herein, Marie!«

In der Halle ließen sich Stimmen vernehmen.

»Wir möchten zuerst das Eßzimmer sehen.«

Die Türe ging auf und es erschien ein hochgewachsener, militärisch aussehender Herr in Begleitung einer noch höher gewachsenen, noch militärischer aussehenden Dame. Offenbar erstaunt, den Hausherrn um diese Stunde einem gedämpften Huhn gegenüber sitzen zu sehen, stießen beide einen Laut der Überraschung aus.

»Bedaure, Sie zu stören,« sagte der Herr. »Das Haus zu vermieten, Besichtigung zu jeder Zeit, sagte der Agent. Wir hatten keine Ahnung, daß Sie bei Tisch sind.«

»Nur beim zweiten Frühstück,« versetzte Kaudel mit einem Blick auf seine Frau. »Wir pflegen spät aufzustehen.«

Die militärische Dame sah den Sprecher abweisend an.

»Wir brauchen nicht weiter zu gehen,« sagte sie zu ihrem Mann. »Das Eßzimmer ist ja viel zu klein.«

Sie beglückte die junge Frau Kaudel mit einer Verbeugung, sagte mit einer Stimme, die zum Befehlen geschaffen war, zu ihrem Gatten: »Komm!« und der Gatte kam, vielmehr er ging.

»Wilfrid!« rief die junge Frau Kaudel. »Du bringst mich in die tödlichste Verlegenheit! Die Leute werden dich für einen Narren halten! Zu behaupten, daß wir am Frühstück seien!«

»Du hattest mir gerade vorher gesagt, daß nur Hinterwäldler um sechs Uhr speisten; ich glaubte also die Sache gut zu machen, indem ich unsre Mahlzeit für ein Frühstück ausgab.«

»Du kannst einen zur Verzweiflung bringen! Wir werden das Haus nie vermieten, solange du drin bist.«

»Sperre mich doch in den Kohlenkeller, bis du einen Mieter gefunden hast! Du kannst mir ja ein Bierfaß als Schreibtisch geben und eine Kerze auf einen Kohlensack stellen.«

»Solange du solchen Unsinn vorbringst, kann man nicht mit dir streiten, aber ich weiß, was ich tun werde. Ich werde ganz einfach ein andres Haus mieten. Da du keine Lust hast, doppelten Mietzins zu zahlen, wirst du es dann wohl aufgeben, die Mieter für dieses Haus zu verscheuchen.«

»Nein,« versetzte Kaudel stöhnend, »und wenn ich noch länger in dieser ruchlosen Weise gequält und am Arbeiten verhindert werde, kann ich überhaupt keine Hausmiete mehr aufbringen.«

Die Drohung der jungen Frau Kaudel tat nichtsdestoweniger ihre Schuldigkeit, denn Kaudels Haltung gegen Menschen, die das Haus besichtigten, wurde weniger feindselig.

Einmal geriet er in große Angst, der Umzug, wovor er zitterte, könne zur Ausführung kommen. Eine Dame und ein Herr besahen die Wohnung und erklärten, daß sie ihnen sehr gut gefalle. Nach acht Tagen kamen sie wieder, um auch die Nebenräume eingehend zu besichtigen. Sie verweilten über eine Stunde im Haus, steckten ihre Nasen in alle Wandschränke und gingen in den Souterrain, den sie auf Feuchtigkeit untersuchen wollten. Dort hielten sie sich recht lang auf, was ziemlich aufregend war, denn es befanden sich dort drei Hunde, die vom Mädchen am Halsband gehalten werden mußten, bis die Besucher wieder fort waren. Kaudels Hunde waren zwar nicht bösartig, aber es waren Bulldoggen, und wenn Fremde in den Souterrain kamen, so beschnüffelten sie deren Beine in einer Weise, die manche zu einem eiligen Rückzug veranlaßte. Nichts aber reizt auch den harmlosesten Hund so zum Anpacken, als ein hastig entweichendes Menschenbein. Als die Besichtigung zu Ende war, erklärten die Fremden, sie würden das Weitere mit dem Agenten besprechen. Zwei Tage darauf teilte dieser Kaudel ihren Brief mit. Sie wären bereit, das Haus zu dem von Kaudel bezahlten Mietzins zu übernehmen. Die Verbesserungen, die Kaudel hatte machen lassen, die Badeeinrichtung und so weiter sagten ihnen nicht zu, sie wollten daher auch keine Entschädigung dafür bezahlen, und da sie keine Pferde hielten, hatten sie auch keinen Stall nötig, und so sollte Kaudel die Miete für den Stall von der des Hauses abziehen.

Nachdem Kaudel das Schriftstück gelesen hatte, klingelte er heftig nach seiner Hausfrau.

»Wenn noch jemand das Haus sehen will,« sagte er, »so sage den Leuten, ein verrückter Menschenfresser wohne darin und schlage ihnen die Tür vor der Nase zu.«

»Du wirst nichts Derartiges tun,« erklärte die junge Frau Kaudel. »Das Haus ist zu vermieten und muß vermietet werden. Ich werde ausziehen. Es war eine Ruchlosigkeit von dir, ein Mädchen zu heiraten, um es zeitlebens in ein Haus ohne Garten und mit nur zwei Schlafzimmern zu sperren. Du hast mich aus einem Haus weggeholt, wo wir acht Schlafzimmer hatten und unser Gemüse selbst zogen, überdies war mein Vater im Begriff umzuziehen, weil er ein Warmhaus haben wollte, um Tomaten zu pflanzen.«

Was Kaudel darauf über seines Schwiegervaters Tomaten äußerte, braucht nicht wiederholt zu werden.


»Das Haus wurde noch von verschiedenen ›Parteien‹ besichtigt,« schreibt Kaudel, »und ich wurde schließlich so nervös, daß ich, so oft an die Haustür gepocht wurde, eilends hinaufging und mich in der Rumpelkammer versteckte. Aber nicht einmal dort war ich sicher, denn als ich eines Tags, den Kopf in den Händen vergraben und wilde Wut im Herzen, auf einem alten Koffer saß, ging die Türe auf und meine Frau erschien mit einer Amerikanerin und deren zwei reizenden Töchtern, die das Haus besichtigten, weil sie sich in London niederlassen wollten.

»Mein Mann,« stammelte meine Frau, mich mit einem Blick durchbohrend, der mir durch Mark und Bein ging.

»Die Amerikanerinnen starrten mich einen Augenblick verwundert an und brachen dann in herzhaftes Gelächter aus. Ich konnte ihnen nicht böse sein. Der Anblick des Hausherrn, der sich in die Rumpelkammer verkriecht, indes Fremde in all seinen Räumen aus und ein gehen, muß entschieden komisch wirken. Unglücklicherweise begriff meine Frau den Humor der Sache nicht und so hatte ich nach Abgang der Damen eine böse halbe Stunde durchzumachen.«

Aber das Haus ist immer noch: »Zu vermieten.«


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