Karl Simrock
Die Schildbürger
Karl Simrock

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundvierzigstes Kapitel

Eine merkliche Geschichte, so sich mit einem Krebs zu Schilde zugetragen.

Ein unschuldiger, armer Krebs hat sich auf eine Zeit irre gegangen, und als er vermeinte in ein Loch zu kriechen, kam er zu allem Unglück zu Schilde in das Dorf. Als ihn etliche gesehen hatten, daß er so viele Füße hatte und hinter sich und vor sich gehen konnte und was dergleichen Tugenden mehr ein ehrlicher, redlicher Krebs an sich hat, erschraken sie über die Maßen sehr darüber, indem sie vormals nie einen gesehen, schlugen deßwegen Sturm und kamen Alle über das ungeheure Thier zusammen und zerriethen sich, was es doch sein möchte? Niemand konnte es wissen, bis zuletzt der Schultheiß sagte: Es werde gewißlich ein Schneider sein, dieweil es zwo Scheren bei sich habe. Solches zu erkundigen, legten ihn die Bauern auf ein Stück lündisch Tuch, woraus die Bauern ihre Wölfe (Röcke) machen, und wie der Krebs darauf hin und her kroch, da schnitt ihm Einer mit der Schere hinten nach. Denn sie vermeinten nicht anders, denn der Krebs, als ein rechtschaffener Meisterschneider, entwerfe das Muster eines neuen Kleides, welches sie, wie unsere Schildbürger heut zu Tag auch thun, nachäffen wollten. Also zerschnitten sie endlich das Tuch ganz, daß es zu nichts mehr nütze war.

Als sie nun sahen, daß sie sich selbst betrogen hatten, da trag Einer unter ihnen auf und sprach: Er habe einen sehr wohlerfahrenen Sohn, der sei in drei Tagen zwo Meilen Weges weit und breit gewandert, habe viel gesehen und erfahren, ohne Zweifel werde der ihrer mehr gesehen haben und wissen, was es sei. Also ward der Sohn berufen: derselbe besah das Thier lang, hinten und vorn, wußte nicht, wo er es angreifen sollte oder wo es den Kopf hatte. Denn wenn der Krebs hinter sich kroch, so meinte er, er hätte den Kopf beim Schwanz, konnte sich also gar nicht drein finden und sprach endlich: »Nun hab ich doch mein Tage hin und her viel Wunders gesehen; aber dergleichen ist mir noch nicht vorgekommen. Doch, wenn ich sagen soll, was es für ein Thier sei, so sprech ich nach meinem hohen Verstande: Wenn es nicht eine Taube ist oder ein Storch, so ist es gewißlich ein Hirsch: unter diesen muß es Eins sein.«

Die Schildbürger wußten jetzt eben so viel als vorher, und als ihn Einer angreifen wollte, erwischte ihn der Krebs mit der Schere dermaßen, daß er anfing, um Hülfe zu rufen und zu schreien: Es ist ein Mörder, ein Mörder! Als Solches die Andern vernommen, hatten sie schon genug: besetzten darum alsobald gleich auf der Stelle ohne Verzug von Stund an eilends allda am selbigen Ort auf dem Platz, da der Bauer gebissen worden, das Gericht und ließen ein Urtheil über den Krebs ergehen, das lautete ohngefähr folgendermaßen: Sintemal Niemand wisse, was dieses für ein Thier sei, sich jetzt aber befinde, dieweil es sie betrogen, indem es sich für einen Schneider ausgegeben und es doch nicht sei, daß es ein leutebetrügendes und schädliches Thier sei, ja ein Mörder: also erkennten sie, daß es solle gerichtet werden, als ein Leutebetrüger und Mörder, mit dem Wasser und was dazu gehört.

Solchem Urtheil Statt zu geben ward Einem unter ihnen befohlen. Derselbe nahm den Krebs auf ein Brett und trug ihn dem Wasser zu. – Die ganze Gemeinde zu Schilde ging mit: da ward er in Beisein und im Angesicht eines Jeglichen hineingeworfen. Als der Krebs in das Wasser kam und sich wiederum empfand, zappelte er und kroch hinter sich. Solches ersahen die Bauern: da fingen ihrer Etliche an zu weinen und sprachen: »Nun sollt Einer wohl fromm sein: schaut doch, wie thut der Tod so wehe!«


 << zurück weiter >>