Karl Simrock
Die Schildbürger
Karl Simrock

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Neuntes Kapitel

Wie die Schildbürger ihr Rathhaus aufgeführt und die Fenster vergessen haben.

Nachdem das Bauholz gemeldetermaßen herbeigeführt und gezimmert worden, auch Alles zu ihrem Rathhaus noch ferner Gehörige, als Stein, Sand, Kalk und dergleichen vorhanden und in Bereitschaft war, fingen die Schildbürger ihren Bau einhelliglich mit solchem Eifer an, daß, wer es nur immer sah, sagen mußte, daß es ihr bitterer Ernst wäre. Hatten also in wenig Tagen, seit sie nach der Narrheit Verlangen getragen, die drei Hauptmauern (indem sie etwas Besonderes haben und das Haus dreieckig bauen wollten) aus dem Grunde heraufgeführt, die Balken gelegt und so weit Alles vollendet. An einer Seite hatten sie ein großes Thor gelassen, um das Heu, welches der Gemeinde zuständig war, und sie insgemein zu vertrinken hatten, hinein zu führen. Welches denn ihrem Herrn, dem Schultheißen, wiewohl sie darauf nicht bedacht gewesen, auch wohl bekam; indem er, wäre solche Luke nicht da gewesen, wenn er in den Rath gehen wollen, sammt seinen Gerichts- und Rathsherren übers Dache hätte einsteigen müssen; welches zwar ihrer Narrheit gemäß genug, und wegen der Juppen, die sie darüber zerrissen hätten, deßgleichen auch wegen der Beine, so sie gelegentlich abfallen mögen (sonderlich, wenn sie den nächtigen Schlemm oder Trunk noch nicht verdaut und ausgeschlafen), sehr schädlich gewesen wäre. Demnächst gaben sie sich an das Dach, welches nach des Baues dreien Ecken abgetheilt war, und setzten den Dachstuhl auf die Mauern, vermeinend, hiemit das ganze Werk, bis auf das Decken, vollendet zu haben. Worauf sie wohlgemuth in das Haus zogen, wo der Wirth den Arm mit einem grünen Kranz herausstreckt und die Gäste oft uneingeseift schiert, und aufs gemeine Gut hin, dieweil es ein gemeines Werk, abermals tapfer einschenken ließen, in Absicht, das Dach, ob sie schon noch Zeit genug dazu gehabt hätten, folgendes Tages zu decken, damit sie wieder ein gemeines Werk und somit ein gemeines Gefräß bekämen. »Wirth, schenk ein, der Schildbürger trinkt, der Schildbürger trinkt!«

Folgendes Tages, als mit der Glocke das Zeichen gegeben worden, vor welchem Niemand kommen und arbeiten durfte, kamen sie insgemein wieder zusammen, stiegen auf den Dachstuhl und fingen an, das Rathhaus zu decken. Zu dem Ende stunden sie Alle hintereinander, etliche zu oberst auf dem Dach, andere besser hinab, auch noch auf den Latten, etliche auf der Erde zunächst an der Leiter, andere weiter davon, und sofort an bis zum Ziegelhaufen, welchen einen guten Steinwurf weit vom Rathhaus war. Solchergestalt ging jeder Ziegel durch aller Schildbürger Hände, vom Erste, der ihn aufhob, bis zum Letzten, der ihn auf seine Statt legte, damit ein Dach daraus würde. Da gings nicht anders als bei den Ameisen, wenn sie im Sommer die Winterspeis eintragen.

Weil man aber willige Rosse nicht übertreiben soll, hatten sie angeordnet, daß zu gewisser Stunde die Glocken geläutet würden, zum Zeichen des Abzugs von dem Werk und des Einzugs ins Weinhaus. Als mithin der, welcher der Nächste beim Ziegelhaufen war, den ersten Schlag der Glocke gehört hatte, ließ er den Ziegel, den er schon aufgehoben, wieder fallen, und läufst du nicht, so gewinnst du nichts, dem Wirthshaus zu. Deßgleichen thaten auch die andern Alle, bis auf den Letzten, liefen Alle einander nach, wie die Schneegänse, wenn sie fliegen, damit Keiner etwa um einen Trunk versäumte. Da geschah es, daß die, welche zuletzt ans Werk gegangen waren, die ersten im Wirthshaus und die obersten hinterm Tisch wurden, welches sie darum thaten, damit sie, von den andern am Aufstehen behindert, auch die letzten beim Aufbruch wären. So machten es auch die Zimmerleute, denn als ihrer Einer den ersten Glockenschlag gehört und die Axt zum Streich schon aufgehoben hatte, that er denselben nicht, sondern nahm die Axt auf die Achsel und läufst du nicht, so trinkst du nicht. Warum thaten sie aber das, warum eilten sie so vom Werke? damit sie desto früher wieder dazu kämen? oder damit sie desto länger bei Tisch säßen? letzteres ist glaublicher.

Nach vollbrachtem Werk wollten die Schildbürger in ihr Rathhaus gehen, solches zur Ehre aller Stultorum einzuweihen und dann in aller Narren Namen zu versuchen, wie es sich darin würde rathen lassen. Also sie aber in aller Ehrbarkeit hineingetreten kommen, ecce vide, schau, los, guck, sieh, lug, potz Velten, videte, – da war es ganz und gar finster, und so finster, daß Einer den Andern auch kaum hören konnte, ob welchem Handel sie nicht wenig erschraken und sich nicht genug verwundern konnten, was doch die Ursache sein möchte, ob vielleicht etwas im Bauen verfehlt worden, wodurch das Licht verschlagen und aufgehalten würde.

Also gingen sie zu ihrem Heuthor wieder hinaus, um zu sehen, wo der Fehler stecke, fanden aber die drei Mauern völlig und ganz, und das Dach fein ordentlich darauf gestellt, also daß draußen, wo es Licht genug war, nichts mangelte. Da gingen sie wieder hinein, um auch dort nachzusehen, wo doch der Mangel wäre; wo sie denn noch viel weniger sehen konnten, wegen Mangel des Lichts. Was sage ich nur viel? Die Ursache blieb ihnen unbekannt und verborgen und ließ sich weder finden noch errathen, wie sehr sie auch ihre närrischen Köpfe darob zerbrachen. Darum stunden sie in großen Ängsten und schlugen zur Förderung der Sachen einen allgemeinen Rathstag ein.


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