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2. Einige andere Personen und unangenehme Bilder.

Später, ungefähr nach einer Stunde, kam Rzepa mit dem Zimmermann Lukasch auf einem herrschaftlichen Wagen aus dem Walde gefahren.

Rzepa war ein fleißiger, kräftiger Bauer, schlank wie eine Tanne, wie mit der Axt zugehauen. Er mußte jeden Tag in den Wald fahren, weil der Gutsbesitzer einen Teil des Waldes, worauf keine Servituten lasteten, den Juden verkauft, und nun wurden die Bäume gefällt. Rzepa hatte sehr viel verdient, denn er war ein tüchtiger Arbeiter. Wenn er, die Hände mit Speichel benetzt, die Axt ergreift, ausholt, so erzittert der Baum beim Dreinschlagen, daß die Späne ringsherum fliegen. Wurden die Stämme aufgeladen, war er ebenfalls der erste. Die Juden, die mit dem Zollstock im Walde hin und her spazierten, die Gipfel der Bäume betrachteten, als ob sie Krähennester suchten, staunten über seine Kräfte. Der reiche Kaufmann Drißl aus Eselsfeld sagte immer: »Rzepa, Dich soll der Teufel holen. Hier hast Du sechs Groschen auf Branntwein … nein, warte, hier hast Du fünf Groschen auf Branntwein.«

Rzepa zuckt mit den Achseln, hebt die Axt und läßt sie fallen, daß es kracht, mitunter läßt er auch zum Vergnügen im Walde seine Stimme ertönen: »Hoh! Hop!« Er hört seine Stimme als Echo wieder. Dann hört man nur noch den Schlag von der Axt, und die Tannen flüstern sich rauschend zu, was der Wald sagt. Mitunter, wenn die Holzhauer ein Lied anstimmen, ist Rzepa immer der erste, er hat sie auch das Lied gelehrt:

Etwas im Walde schallt?
      Buuu!
So, daß es schrecklich wiederhallt?
      Buuu!
Von der Eiche fiel die Mücke,
      Buuu!
Ach, sie brach Arm und Genicke
      Buuu!
Die arme Fliege klagt,
      Buuu!
Die arme Mücke eiligst fragt:
      Buuu!
Bedarfst Du eines Doktors?
      Buuu!
O, es bedarf keines Doktors.
      Buuu!
Auch keiner Apotheke?
      Buuu!
Nichts als Spaten und Hacke.
      Buuu!

In der Schenke war Rzepa auch immer der erste, nur liebte er den Schnaps und suchte Händel, wenn er angetrunken war. Einem herrschaftlichen Knechte hatte er sogar ein Loch in den Kopf geschlagen und zwar so, daß man durch dasselbe die Seele hätte sehen können. Früher einmal, er war noch nicht siebzehn Jahre, führte er im Gasthause eine Prügelei mit beurlaubten Soldaten aus. Herr Skorabiewski, der damals noch die Jurisdiktion ausübte, schickte ihn in die Kanzlei, schlug ihn öfter hinters Ohr, natürlich nur aus Scherz, und fragte ihn dann mit freundlichem Ton:

»Rzepa, fürchte Gott! Wie konntest Du mit so vielen fertig werden, es waren doch sieben?«

»Hm, gnädiger Herr,« erwiderte Rzepa, »ihre Beine sind vom vielen Laufen so ermüdet, daß, wenn man sie anrührt, sie gleich zusammenfallen.«

Herr Skorabiewski beglich die Sache. Er hatte schon früher Rzepa sehr gern gehabt, die Weiber erzählten sich im geheimen, daß Rzepa sein Sohn wäre: »Man sieht's ja gleich, daß der Hundsfott die Gelüste eines Szlachciz hat.«

Vielleicht beruhte das aber nicht auf Wahrheit, denn alle kannten Rzepas Mutter, nur den Vater nicht. Rzepa selbst saß als Mieter in einer Hütte und auf drei Morgen Grund, die er später sein eigen nannte. Nun arbeitete er schon auf seinem Grundstück, und da er fleißig war, ging es so ziemlich vom Flecke. Er hat eine Frau geheiratet, wie man sie nicht besser finden kann, und hätte infolgedessen ein gutes Leben führen können, wenn er sich nicht so dem Trunke ergeben hätte. Aber da war guter Rat teuer. Wenn ihm jemand darüber Vorwürfe machte, antwortete er gleich: »Schön, ich trinke von meinem Geld, was geht Euch das an?«

Im Dorfe fürchtete er sich vor niemand, nur hatte er Ehrfurcht vor dem Schreiber. Sah er von der Ferne die grüne Mütze, die aufgestülpte Nase und das Bocksbärtchen auf langen Beinen die Straße herunterkommen, griff er sofort nach der Mütze. Der Schreiber war auf Rzepa nicht gut zu sprechen. Rzepa hatte man in einer stürmischen Zeit gewisse Papiere irgendwohin bringen lassen, er hatte es gethan. Was wußte er sonst? Damals war er erst fünfzehn Jahre und mußte die Gänse und das Borstenvieh hüten. Erst später kam ihm der Gedanke, daß er vielleicht die Besorgung der Papiere zu verantworten haben wird, deshalb fürchtete er den Schreiber.

Als nun Rzepa heut aus dem Walde kam und in seine Hütte trat, eilte seine Frau ihm weinend entgegen und rief: »Meine Augen werden Dich nicht mehr lange ansehen, für Dich werde ich nicht mehr lange kochen und waschen, und Du wirst noch ans Ende der Welt gehen müssen!«

»Hast Du Bilsenkraut gegessen,« fragte Rzepa ganz erschrocken, »oder hat Dich eine Biene gestochen?«

»Ich habe weder Bilsenkraut gegessen, noch hat mich eine Biene gestochen, aber der Schreiber war da und sagte, daß Du zu den Soldaten mußt … O weh! Du kommst ans Ende der Welt.«

Nun fing er an sie auszufragen, und sie erzählte ihm, nur die Courmacherei des Schreibers brachte sie nicht in Erwähnung. Sie ängstigte sich, daß Rzepa dem Schreiber etwas vorhalten würde, oder aber sich aus ihn werfen und damit die Angelegenheit erst recht verfahren möchte.

»Was heulst Du?« sagte Rzepa endlich, »ich werde nicht mehr zum Militär genommen, »ich bin schon darüber hinaus, dann habe ich doch die Hütte, mein Grundstück, dazu noch Dich und den Schreihals. Du Närrin!«

Bei seinen letzten Worten zeigte er auf die Wiege, in der ein ein Jahr altes Kind mit den Beinchen zappelte und heftig schrie, daß einem die Ohren gellten.

Die Frau trocknete mit der Schürze die Augen und sagte: »Das nützt alles nichts. Er wird wohl wissen, daß Du die Papiere von Wald zu Wald geschleppt hast.«

Rzepa kratzte sich am Kopfe: »Freilich weiß er das. Ich werde noch mit ihm reden, vielleicht hat das nichts zu sagen.«

»Geh, geh,« sagte die Frau, »und nimm einen Rubel mit Dir. Ohne Rubel darf man ihm nicht nahe kommen.«

Rzepa nahm einen Rubel aus dem Kasten und ging zum Schreiber.

Herr Zolzikiewicz, welcher Junggeselle war, wohnte in einem gemauerten Häuschen in der Nähe des Teiches, wo er zwei Stübchen bewohnte. Das große Zimmer war leer, nur ein Paar Schuhe und etwas Stroh lagen da. Das zweite Zimmer stellte einen Salon und ein Schlafzimmer dar. Darin befand sich ein Bett, wo alles bunt durcheinander lag, die zwei Polster hatten keinen Überzug, und die Bettfedern flogen in allen Richtungen herum. An der Seite stand ein Tisch, darauf ein Tintenfaß, Federn, Bücher, einige Hefte von »Isabella von Spanien«, von Herrn Breslauer herausgegeben, zwei unsaubere englische Halskragen, eine Pomadenbüchse, Hülsen für Cigaretten und endlich in einem Blechleuchter ein Talglicht mit einem roten Dochte und einem Fliegenkranze, der, im Talge eingeschmolzen, den Docht umgab. Ein großer Spiegel hing am Fenster, und gegenüber stand eine Kommode, auf der sich die elegante Toilette des Herrn Schreibers befand, Hosen verschiedener Art, Westen von allerhand Farben, Halsbinden, Handschuhe, Lackstiefeletten, sogar ein Cylinderhut, den der Herr Schreiber aufsetzte, wenn er die Bezirksstadt Eselsfeld besuchen mußte. Außerdem lag gerade jetzt auf einem Sessel am Bette der Nankinganzug des Herrn Schreibers; er ruhte noch in seinem Bett und las ein Heft der »Isabella von Spanien«, Ausgabe des Herrn Breslauer.

Die Lage des Herrn Schreibers war eine schreckliche, und zwar so schrecklich, daß die Diktion Viktor Hugos dazu gehörte, diese schreckliche Lage zu schildern. Er fühlte einen furchtbaren Schmerz in der Wunde. Die Lektüre Isabellas war für ihn früher die angenehmste Unterhaltung und die größte Zerstreuung, jetzt vermehrte sie nicht allein seinen Schmerz, sondern die Erbitterung, die ihn nach dem Vorfalle mit dem Kruczek quälte.

Er erkrankte am Wundfieber und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Manchmal marterten ihn schreckliche Phantasiegebilde. Soeben hatte er gelesen, wie der junge Serrano in den Eskorial einzieht, nach einem glorreichen Siege über die Karlisten, mit Wunden bedeckt. Sehr bleich und gerührt empfängt ihn die junge Isabella. Der Musselin hebt sich gar lebhaft auf ihrem Busen.

»General, Du bist verwundet?« fragt sie Serrano mit zitternder Stimme.

Hier scheint es dem unglücklichen Zolzikiewicz, daß er thatsächlich Serrano sei.

»O weh, o weh! Ich bin verwundet!« wiederholt er mit leiser Stimme. »Vergieb, o Königin! Möge die erlauchteste …«

»Ruhe aus, General! Setze Dich! Erzähle mir Deine Heldenthaten.«

»Erzählen kann ich wohl, aber mich niedersetzen auf keinen Fall,« ruft Serrano verzweifelt aus … »O weh! … Vergieb, o Königin! Dieser vermaledeite Kruczek … ich wollte sagen: Don Jose … O weh, o weh!«

Die Traumgebilde zerstreute der wirkliche Schmerz. Serrano blickt um sich, am Tische brennt und spritzt das Licht, denn die Flamme hat gerade eine im Talge eingeschmolzene Fliege entzündet; auf den Wänden kriechen lebende Fliegen herum … Er befindet sich also in seiner Wohnung, aber nicht im Eskorial? Es ist keine Königin Isabella da? Nun kommt Herr Zolzikiewicz zum Bewußtsein; er richtet sich im Bette auf, befeuchtet in einem unter der Bettstelle stehenden Wasserkrug ein Tuch und wechselt den Umschlag.

Nun dreht er sich gegen die Wand, schlummert ein und fängt halb schlafend, halb wachend zu phantasieren an und reist mit Extrapost in den Eskorial.

»Teurer Serrano, mein Geliebter! Ich selbst verbinde Deine Wunden …« flüsterte die Königin.

Serrano sträuben sich die Haare auf dem Kopfe. Er fühlt, daß seine Lage schrecklich ist. Sollte er der Königin gehorchen und einen besonderen Körperteil zum Verbande anbieten? Seine Stirn bedeckte ein kalter Schweiß, als plötzlich …

Die Königin war verschwunden, knarrend öffnete sich die Thür, und auf der Stelle steht nicht mehr, nicht weniger als Don Jose, der hartnäckige Feind Serranos.

»Wer bist Du? Was willst Du hier?« ruft Serrano aus.

»Ich bin's, Rzepa!« erwidert finster Don Jose.

Zolzikiewicz erwacht zum zweitenmal, der Eskorial wird wieder zur prosaischen Stube, das Licht brennt, die Fliege am Dochte spritzt und prasselt mit bläulichen Pünktchen, an der Thür steht Rzepa und hinter ihm … die Feder fällt mir aus der Hand … steckt durch die halbangelehnte Thüre Kruczek, der ominöse Hund, die Schnauze mit Genick herein.

Das Tier hat seine Augen auf den Schreiber gerichtet und scheint zu lächeln.

Ein kalter Schweiß bedeckt Herrn Zolzikiewicz' Gesicht, und es kommt ihm der Gedanke in den Kopf: »Rzepa kommt mir die Knochen entzweischlagen, und von der anderen Seite wird Kruczek …«

»Was wollt ihr beide hier?« ruft er mit ängstlicher Stimme.

Rzepa legt einen Rubel auf den Tisch und erwidert ruhig: »Gnädigster Herr Schreiber! Ich komme wegen der … Rekrutierung.«

»Marsch, marsch, marsch!« schrie jetzt Zolzikiewicz, dem mit einem Male die Courage gewachsen war.

In einem Anfalle von Wut wollte er sich jetzt auf Rzepa stürzen, da fing aber seine karlistische Wunde heftig zu schmerzen an, er fiel auf die Polster zurück, nur ein Stöhnen gab er von sich: »O weh, o weh!«


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