William Shakespeare
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William Shakespeare

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Siebende Scene.

Ein Bote zu den Vorigen.

Herzog. Dieses ist einer von Sr. Gnaden Bedienten.

Kerkermeister. Und hier kommt Claudios Begnadigung.

Bote. Mein Gnädiger Herr überschikt euch diesen schriftlichen Befehl, und durch mich diesen mündlichen Zusaz, daß ihr nicht von dem kleinsten Theil desselben abweichen sollt, weder was die Zeit, noch die andern Umstände betrift. Guten Morgen, denn ich denke, es ist beynahe Tag.

Kerkermeister. Ich werde gehorchen.

(Der Bote geht.)

Herzog (für sich.)
Diß ist seine Begnadigung; Angelo findet billig eine Sünde zu vergeben die er selbst begeht – – Nun, mein Herr, was habt ihr Neues?

Kerkermeister. Was ich euch sagte; Angelo, der mich vermuthlich für nachläßig in meinem Dienst ansieht, erwekt mich durch dieses ungewöhnliche Betreiben; ich begreiffe nicht was es zu bedeuten hat; denn er hat es noch niemals so gemacht.

Herzog. Ich bitte euch, laßt mich's hören.

Der Kerkermeister lißt den Befehl.
»Alles was ihr auch diesem meinem Befehl widersprechendes hören möget, ungeachtet, lasset den Claudio morgen um vier Uhr hinrichten, und des Nachmittags den Bernardin; und zu meiner bessern Versicherung sorget dafür, daß mir der Kopf des Claudio um fünf Uhr zugeschikt werde. Laßt dieses gehörig vollzogen werden, und beobachtet hierinn eine noch grössere Sorgfalt als wir euch anbefohlen. Eure eigne Gefahr soll uns für die Ausübung eurer Pflicht Bürge seyn.« Was sagt ihr hiezu, mein Herr?

Herzog. Wer ist dieser Bernardin, der Nachmittags hingerichtet werden soll?

Kerkermeister. Ein gebohrner Zigeuner, der aber hier zu Lande erzogen worden, und schon neun Jahre gefangen ligt.

Herzog. Wie kam es, daß der abwesende Herzog ihn nicht entweder in Freyheit sezte, oder hinrichten ließ? Ich hörte, es sey allezeit sein Gebrauch gewesen, es so zu machen.

Kerkermeister. Seine Freunde würkten immer einen Aufschub nach dem andern aus; und in der That, kam sein Verbrechen, bis izo in der Regierung des Freyherrn Angelo, zu keinem vollständigen Beweis.

Herzog. Es ist also nun erwiesen?

Kerkermeister. Vollkommen erwiesen, und von ihm selbst nicht geläugnet.

Herzog. Wie hat er sich im Gefängniß aufgeführt? Scheint er gerührt zu seyn?

Kerkermeister. Er ist ein Mann, der sich nicht mehr vor dem Tod fürchtet, als vor einem trunknen Schlaf; ohne Reue, ohne Kummer und ohne Furcht vor irgend etwas Vergangnem, Gegenwärtigen oder Zukünftigen, unempfindlich gegen die Unsterblichkeit, und auf eine viehische Art sterblich.

Herzog. Es mangelt ihm an Unterricht.

Kerkermeister. Er nimmt keinen an; er hat im Gefängniß allezeit viel Freyheit gehabt; man könnte ihm erlauben, zu entwischen, ohne daß er es thun würde; er ist die meiste Zeit vom Tag, und oft ganze Tage hintereinander betrunken. Wir haben ihn oft aufgewekt, als ob wir ihn zur Hinrichtung führen wollten, und ihm alle Zurüstungen dazu gezeigt, ohne daß es ihn im mindesten bewegt hat.

Herzog. Hernach ein mehrers von ihm. Kerkermeister, Redlichkeit und Standhaftigkeit sind auf eure Stirne geschrieben; wenn ich nicht recht lese, so betrügt mich eine Kunst, in der ich einige Erfahrenheit habe. Ich will mich selbst auf diese gute Meynung hin wagen. Claudio, zu dessen Hinrichtung ihr hier einen Befehl habt, ist kein grösserer Sünder gegen das Gesez als Angelo, der ihn verurtheilt hat. Um euch hievon durch eine augenscheinliche Probe zu überzeugen, verlange ich nur vier Tage Zeit; für welche ich euch um eine eben so verbindliche als gefährliche Gefälligkeit ersuche.

Kerkermeister. Und worinn besteht sie, ich bitte euch.

Herzog. Den Tod des Claudio aufzuschieben.

Kerkermeister. Aber wie kan ichs, da mir die Stunde vorgeschrieben, und der ausdrükliche Befehl bey angedrohter Straffe gegeben ist, sein Haupt dem Angelo vor Augen zu bringen? Die Ueberschreitung des kleinsten Umstands könnte mir das Schiksal des Claudio zuziehen.

Herzog. Bey meinem Ordens-Gelübde, ich steh euch für alles, wenn ihr meinem Rath Gehör geben wollt. Laßt diesen Bernardin morgen hingerichtet werden, und schiket dem Angelo seinen Kopf statt Claudios.

Kerkermeister. Angelo hat beyde gesehen, und wird den Betrug entdeken.

Herzog. O! besorget das nicht, der Tod ist ein Meister im Verstellen, und ihr könnt ihm noch helfen, die Unkenntlichkeit vollkommen zu machen; scheert ihm den Kopf glatt und den Bart weg, und sagt, der arme Sünder hab' es vor seinem Ende so haben wollen; ihr wißt, daß es gewöhnlich ist. Wenn ihr irgend etwas anders davon haben werdet, als Dank und gutes Glük, so will ich, bey dem Heiligen, von dessen Familie ich bin, es mit meinem Leben von euch abwenden.

Kerkermeister. Verzeihet mir, mein guter Vater, es ist wider meinen Eid.

Herzog. Habt ihr dem Herzog geschworen, oder seinem Stadthalter?

Kerkermeister. Dem Herzog, und allen die seine Stelle vertreten würden.

Herzog. Wollt ihr glauben, daß ihr euch nicht vergehet, wenn der Herzog diese Handlung billiget?

Kerkermeister. Wie kan er das, da er abwesend ist?

Herzog. Er kan es, weil er es würklich thut; da ich sehe daß ihr so furchtsam seyd, daß weder mein Habit, noch meine Redlichkeit, noch meine Ueberredung euch bewegen können, so will ich weiter gehen, als ich im Sinn hatte, um alle Furcht in euch auszureuten. Sehet, mein Herr, hier ist des Herzogs Hand und Sigel; ihr kennt ohne Zweifel seine Hand, und das Signet wird euch auch nicht fremde seyn.

Kerkermeister. Ich erkenne beydes.

Herzog. Der Inhalt dieses Briefs ist die Wiederkunft des Herzogs. Ihr sollt ihn hernach bey Musse ganz durchlesen, ihr werdet finden, daß er binnen diesen zween Tagen hier seyn wird. Diß ist ein Umstand, den Angelo nicht weiß, denn diesen heutigen Tag erhält er Briefe von seltsamem Inhalt; vielleicht von des Herzogs Tod; vielleicht daß er in ein Kloster gegangen sey; aber, zum Glük, nichts von dem was hier geschrieben ist. Seht, der Morgen bricht schon an. Hänget der Verwundrung nicht nach, wie diese Dinge zugehen; alle Schwierigkeiten sind nur leicht, wenn man sie kennt. Ruft euern Nachrichter, und weg mit Bernardins Kopf; ich will sogleich seine Beichte hören, und ihm dann an einen bessern Ort Anweisung geben. Ich sehe daß ihr noch erstaunt seyd, aber dieses hier muß euch schlechterdings zum Entschluß bringen. Kommt mit mir, es ist schon beynahe heitrer Tag.


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