William Shakespeare
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William Shakespeare

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Sechste Scene.

Der Kerkermeister, Claudio, Juliette, und Stadtbediente.

Lucio, und zwey Edelleute.

Claudio. Guter Freund, warum führst du mich so zur Schau herum? führe mich in das Gefängniß, wohin ich verurtheilet bin.

Kerkermeister. Ich thu es nicht aus bösem Willen, sondern auf ausdrüklichen Befehl des Herrn Stadthalters.

Claudio. So kan der Halbgott, Authorität, uns das volle Gewicht unsrer Uebertretungen bezahlen machen. So sind die Urtheile des Himmels; wem er verzeihen will, dem will er; wem er nicht will, will er nicht, und ist doch immer gerecht.

Lucio. Wie, was ist dieses, Claudio? Warum befindet ihr euch in solchen Umständen? Was ist euer Verbrechen?

Claudio. Nur davon zu reden, würde ein neues Verbrechen seyn.

Lucio. Wie, ist es eine Mordthat?

Claudio. Nein.

Lucio. Unzucht?

Claudio. Wenn ihr es so nennen wollt.

Kerkermeister. Fort, mein Herr, ihr müßt gehen.

Claudio. Nur ein Wort, guter Freund Lucio, ein Wort mit euch.

Lucio. Hundert, wenn sie euch etwas nüzen können; wird Unzucht so hart angesehen?

Claudio. Diß ist mein Fall: Auf ein beydseitiges Eheversprechen hin nahm ich Besiz von Juliettens Bette; (ihr kennet sie;) sie ist mein wahres Eheweib, ausser daß uns die Ceremonien mangeln, wodurch unsre Heurath öffentlich gemacht worden wäre. Die einzige Ursache warum wir sie unterliessen, war ein Erbe, das noch in den Kisten ihrer Verwandten ligt, denen wir unsre Liebe noch so lange zu verbergen gedachten, bis die Zeit sie uns günstiger gemacht haben würde. Allein das Unglük wollte, daß das Geheimniß unsrer Vertraulichkeit vor der Zeit verrathen würde – – es ist mit zu grossen Buchstaben an Julietten geschrieben.

Lucio. Mit einem Kind, vielleicht?

Claudio. Leider! und der neue Stadthalter des Herzogs (ob es daher kommt, daß der Staatskörper ein Pferd ist, welches der Stadthalter zureiten soll, und dem er, das erste mal, die Sporren stärker zu fühlen giebt, damit es wisse, daß er seiner meister ist; oder ob die Tyranney in dem Plaz oder in demjenigen ist, der ihn einnimmt? kan ich nicht entscheiden:) Kurz, der neue Stadthalter erwekt bey meinem Anlas alle die veralteten Straffen, die gleich einer ungepuzten Rüstung, so lange an der Wand gehangen, bis neunzehn Zodiaci sich umgewälzt haben, ohne daß sie in einem einzigen gebraucht worden; und um eines Namens willen, wekt er das vergeßne tiefeingeschlafne Gesez wider mich auf; in der That, um eines Namens willen.

Lucio. Du hast recht, es ist nicht anders; und dein Kopf steht so schwach auf deinen Schultern, daß ihn ein verliebtes Milchmädchen wegseufzen könnte. Schikt dem Herzog nach, und appellirt an ihn.

Claudio. Ich hab es gethan; aber man kan ihn nirgends finden. Ich bitte dich, Lucio, thu mir diesen Liebesdienst; ich hab eine Schwester im Kloster, die an diesem Tag ihre Probzeit enden soll. Gieb ihr Nachricht von der Gefahr worinn ich bin; bitte sie in meinem Namen, daß sie Freunde an den strengen Stadthalter schike; bitte sie, daß sie in eigner Person einen Anfall auf ihn thue; von dem leztern macht' ich mir die meiste Hoffnung. Eine junge Person wie sie, hat eine Art von sprachloser Beredsamkeit, der die Männer selten widerstehen können; und ausserdem, so ist sie auch geschikt genug, wenn sie durch Gründe und Vorstellungen überreden will.

Lucio. Ich wünsche, daß sie es könne; sowol zum Trost Aller die sich in ähnlichen Umständen befinden, als um deines Lebens willen; es würde mich sehr verdriessen, wenn es wegen eines Spiels Trictrak so närrischer Weise verlohren gehen sollte. Ich will zu ihr.

Claudio. Habe Dank, mein guter Freund, Lucio.

Lucio. Binnen zwo Stunden – –

Claudio. Kommt, Kerkermeister, wir wollen gehen.

(Sie gehen ab.)


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