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Briefe

An Gleim

9. Juni 1798

... Die französischen Geschichten werden leider nicht geschlossen sein, wenn auch der Friede wirklich geschlossen wird. Wenn auch alle Parteien bona fide gutes Vernehmen wünschen und wollen, so liegt die Unmöglichkeit der Dauer in der Sache selbst. Die beiderseitigen Grundsätze sind heterogen, sie heben sich notwendig auf. Die Franzosen haben sehr gute Grundsätze; die Ausführung ist meistens schlecht und die Anwendung das Gegenteil. Indessen hat doch ihre Wahrheit schon so viele tiefe Wurzeln, daß sie schwerlich werden ausgerottet werden. Sie beruhen auf Vernunft, und nur gänzliche Anarchie könnte sie wieder austilgen. Es ist mehr als Masaniello und Cromwell, mehr als Athen und Rom, deswegen war der Prodrom (Vorbote) so furchtbar. Nicht ihre Waffen, sondern ihr Geist hat uns geschlagen, Und wenn sie ganz vernünftig werden, so sind sie die Diktatoren der übrigen, wozu aber der Anschein jetzt noch nicht ist. Ihre Nachbarn wollen noch immer nicht begreifen, was ihnen so das Übergewicht gegeben hat. Die französischen Geschichten haben Greuel ohne Beispiel; aber diese heben das Gute nicht auf. Warum könnte, sollte man nicht dieses nützen, eben um jenes zu verhüten? Ohne Humanität und ein Prototyp von allgemeiner Gerechtigkeit wird keine Staatsverfassung feststehen, und erlauben Sie mir ein offenherziges Geständnis; ich finde von beiden in Deutschland sehr wenig. In den preußischen Provinzen ist unstreitig davon noch am meisten; aber es ist überall noch alter Sauerteig genug. Bei uns werden, wie mir neulich ein ehrlicher Bürger vorgerechnet hat, die Sohlen elfmal verakziset, ehe sie auf die Schuhe genäht werden. Der arme Häusler auf dem Lande kann das Schweinchen, das er mit Mühe gefüttert hat, nicht schlachten für seine Familie, weil er den starken Zeddel (Schlachtesteuer) nicht lösen kann. Der Städter darf seine Pflaumen nicht eher vom Baume nehmen, als bis er den Visitator bezahlt hat. In Sachsen kostet das Personal der Akzise monatlich sechsundreißigtausend Täler, davon werden ehemalige Schuhputzer oder Kuppler genährt, die nun noch stehlen, um satt zu werden, da man sie nicht genug füttern kann. Das salus populi suprema lex gehört unter diejenigen Weissprüche, bei deren Erwähnung fast allemal die Humanität einen Nasenstüber mehr bekommt. Die Franzosen, deren Verehrer ich eben nicht bin, haben doch einige sehr gute Lektionen im Staatsrecht gegeben, die man wohl beherzigen sollte, wenn man tun will, was zum Frieden dient.

Sie finden aber höchstwahrscheinlich meine Äußerungen etwas gewagt; sie sind aber meine Überzeugung, und ich bin ein ehrlicher offener Mann. Jedem möchte ich sie nicht sagen, um nicht mißdeutet zu werden, würde sie aber selbst dem Könige freimütig offen sagen, wenn ich etwas Gutes dadurch zu wirken hoffen könnte. Die Zeit ist vorbei, wo wir Milch trinken mußten; wir müssen nun gesunde, starke, reine Speise haben, wenn man uns nicht vielleicht mit einem üblen Surrogate vergiften soll. Als die Hunnen bei Merseburg waren, war vieles gut und vieles schlimm; jetzt ist vieles besser und vieles schlimmer, und Kaiser Heinrich würde sich wundern über die tolle Konsequenz unsrer Systeme ...

*

Grimma, 6. 11. 1800

... Ich kann mir nicht helfen; mein Leben ist jetzt wie ein arithmetisches Exempel nach der Regeldetri. Des Genusses habe ich eben nicht viel, aber was ich habe, ruht philosophisch sicher genug. Ich weiß nicht, ob das Gesundheit oder Krankheit der Seele, Stärke oder Schwäche ist; aber das Resultat ist ein Wohlbefinden, mit dem irgend ein Erdensohn wohl zufrieden sein kann. Gegen Meinung und Achtung der Welt werde ich freilich nicht empfänglicher, als ich längst war, wenn beides nicht von Männern kommt, die wie Sie Kopf und Herz in einer Harmonie haben, welche überzeugend an sich zieht. Ich kann nun einmal keine Ungerechtigkeit und keine Lügen im Charakter leiden, und sollte man mir noch heute den Schädel gegen eine Marmorwand stoßen. Es ist gar nicht nötig, daß ich Glück mache, nicht einmal nötig, daß ich lebe; aber wenn ich lebe, ist es höchst nötig, daß ich ein ehrlicher, offener, freier Mann sei und diesen Stempel nie verleugne.

Nach Italien zu gehen bin ich doch gesonnen, wäre es auch nur, um einige Oden des Horaz unter seinem Himmel zu lesen. Mir das Zwerchfell etwas auseinander zu wandeln dürfte auch nicht übel sein. Leben Sie nur noch so lange, bis ich Ihnen erzähle, wie sich Theokrit in der Nähe der Arethusa liest, wenn ich auch die Quelle nicht finde.

*

Grimma, 20. VI. 1800

Ich nehme ein großes Blatt, und Sie müssen diesmal wohl vorzüglich mit mir Geduld haben; denn Ihr letzter, kurzer Brief will doch wohl eine etwas längere Expektoration zu meiner Rechtfertigung. – Daß Suworow in Augsburg nicht war, wie er sollte, tut mir seinet- und meinet- und vor allem der Augsburger wegen sehr leid. Ich habe davon gehört, aber nichts davon gelesen, kann also nicht urteilen, da ich keine Tatsachen weiß; denn von allgemeinen Gerüchten wage ich auf keiner Seite viel zu sagen. Ich habe den Mann geschildert, wie ich ihn kannte, wie kompetente Männer mir von ihm sprachen, und wie ich mir ihn so konsequent dachte. Von vielen barocken Grillen habe ich ihn nicht freigesprochen, die zuweilen einen sehr närrischen Anstrich gewinnen mögen. Ich habe sogar gedacht, daß seine Feinde in der Armee eben die Meinung von ihm haben, die das größte deutsche Publikum von ihm hat. Er ist nun, wie man sagt, gewiß tot, und auch vorher konnte ich keine Ursache haben, mit Schmeicheleien, gegen die große Meinung, für einen Mann aufzutreten, den ich vielleicht nie wieder sehen würde, von dem ich nie etwas hoffen konnte und dem gegenüber ich durchaus keine Verbindlichkeit hatte. Aber ich konnte die Ungerechtigkeit nicht leiden, mit der man ihn zum Vandalen macht. Deswegen bin ich gar nicht sein Lobredner, wie Matthisson geglaubt hat. Er hatte das Unglück, immer das Instrument in sehr blutigen Geschichten zu sein. Sie werden sagen, daß eben seine Wahl dazu schon nicht für seine Humanität spricht. Auf diese Weise würde aber alle Energie, die im Kriege nie ohne Blut sein kann, dem Militär zum Vorwurf. Mich deucht, ich habe geschichtsmäßig und philosophisch dort darüber gesprochen. Wenn ich mich dennoch sollte geirrt haben, welches ich bis jetzt noch nicht glaube, so werde ich künftig mit meinem Urteil gewiß auf keine Weise mehr ins Publikum treten, aber deswegen nicht aufhören mit meiner alten Unparteilichkeit zu beobachten. Es ärgert mich, etwas von Geschichte zu hören, da alles, alles so sehr entstellt wird und der nämliche Mann sich nicht schämt, jetzt der Lobredner, jetzt der Pasquillant einer und derselben Sache zu sein, und zwar ziemlich öffentlich, da er sie doch gleich anfangs in ihrem ganzen Werte wußte. Sollte die Eifersucht und die allgemeine Meinung über die Lage der Dinge Suworow nicht Schaden getan haben? Aber es spricht ein Augenzeuge und ein Wahrheit liebender Mann. Dann weiß ich freilich nicht zu antworten, als daß man untersuche, wie viel auf die Umstände, wie viel auf die Sonderbarkeiten und wie viel auf den eigentlichen Charakter des Mannes kommt.

Ich habe vor einigen Jahren zwei Piècen geschrieben: »Über Katharina II. mit Wahrheit und Unparteilichkeit« und »Zwei Briefe über die neuesten Veränderungen in Rußland«. Ich weiß nicht, ob sie Ihnen zu Gesicht gekommen sind. Darin habe ich über die öffentlichen Männer in Rußland manches gesagt, was mich dort eben nicht empfehlen würde, ebensowenig als hier, aber Leute. von Wahrheit haben gefunden, es sei wahr, ohne mich zu kennen, und andere Pamphletenmacher haben zu mehreren Seiten herausgeschrieben, ohne die Quellen zu nennen, ob das Plagiat gleich an den verschiedenen Stempel erkannt und bezeichnet wurde. Dort habe ich noch manches über Suworow gesagt.

Eine ganz neue Anekdote, sehr zu seinem Vorteil, die höchst wahrscheinlich weder Zeitungen noch Journale liefern werden, die mir auch von einem Wahrheit liebenden Mann, der es wissen müßte, erzählt wurde, ist folgende: Bei einer der letzten Aktionen auf dem Rückzuge aus Italien kommandierte der Prinz Konstantin ein Korps und hatte Befehl, zu halten, bis er neue Order zum Angriff erhielte. Der junge Mann war heftig und unaufhaltsam, obgleich der alte Suworow noch einen Adjutanten schickte und seinen Befehl wiederholen ließ. Er griff an und, was der Alte befürchtete, geriet zwischen die französischen Kartätschen und wurde fürchterlich zurückgeschickt. Dies verdarb den Russen den Tag. Nach dem Rückzug auf einen neuen Posten sprach der Feldmarschall mit dem Prinzen in seiner gewöhnlichen Sprache: »Sie sind hierher geschickt worden, um Ordnung und Gehorsam zu lernen, und haben heute eine schlechte Probe davon gegeben. Wenn Sie Ihr Leben nicht achten, sind Sie befugt, so viele brave Soldaten ohne Not aufzuopfern, die Ihr Herr Vater und das Vaterland mir anvertraut haben? Sie sind der Sohn des Monarchen; aber Sie sollten nicht unbesonnen und willkürlich über das Leben vieler braver Russen schalten.«

Dies geschah vor der ganzen Versammlung und soll Ursache der letzten Mißstimmung zwischen ihm und dem Hofe gewesen sein. Kann wohl Grausamkeit in dem Charakter eines solchen Mannes liegen? Es wird dem Manne ja vieles aufgebürdet und ihm so vieles gemißdeutet.

Auch die neuen Memoiren über Rußland enthalten ein Gemisch von Wahrheit und Irrtum; das weiß ich als Augenzeuge und sage es als ehrlicher Mann. Das Buch ist hier etwas schwer verpönt, und ich habe es nur im Fluge durchblättert, aber der Irrtümer, seien sie absichtlich vorgetragen oder nicht, sind eine Menge. Ich kann nur von den Tatsachen urteilen, die das damalige Polen betreffen. Ich habe freilich auch anders von Paul gehofft, als es gekommen ist. Es ist schlimm genug, daß es so ist; man muß nicht noch schwärzer malen. Der Schreiber sagt, man habe den König Poniatowski eingesperrt und ihn durch Hunger gezwungen, nach Grodno zu gehen. Daß er sich hat zwingen lassen, eine sehr unwürdige Rolle zu spielen, ist bekannt genug. Aber Hunger und Einsperrung hatte man nicht nötig. Es ist kein Russe in das Schloß gekommen als zur Cour, freilich eine erbärmliche Äfferei, oder als Abgeschickter der Unterhandlung. Der König hatte seine Garden bis zum ersten Kartätschenschuß der Aktion am Grünen Donnerstag, in einer Periode, wo alles Politische längst abgemacht war, und in seinem Haushalt hat sich niemand anders als durch Spionieren gemischt, um zu erfahren, was er mache, und sich noch mehr zu überzeugen, daß man von ihm nichts zu befürchten habe. Das habe ich gesehen, ohne teil daran zu haben; denn zu dergleichen Dingen bin ich verdorben. Der General Igelström hat mir nur einmal so etwas zugemutet, oder vielmehr nur meine Gesinnung darüber erforscht, und mich sodann in Ruhe gelassen, da ich ihm zu erkennen gab, ich würde lieber mit Kanonen gehen und hätte zu dieser Art Diplomatie keine Talente.

Der Memoirist teilt sogar hier und da seine Rollen falsch aus. Einige der Spielenden sind mir sogar, was man Freunde nennt, und haben sicher nicht getan, was er sie tun läßt, ob ich gleich nicht behaupten wollte, daß sie etwas Besseres getan haben. Übrigens ist in Leipzig die Sage, der Kaiser Paul habe Kotzebue hinrichten lassen, weil er ein Übersetzer des Buches sei: eine üble Geschichte, die ich aus Humanität der Umstände wegen zur Ehre des Kaisers noch nicht glauben will.

Wenn man so in der Welt herumläuft, kann man doch gelegentlich manches berichtigen: ich finde aber nicht, daß man sich besser dabei hat, und daß man überhaupt jemand einen Dienst mit der Berichtigung tut.

Mir ist es genug, wenn nur Sie meiner Wahrheitsliebe, Unparteilichkeit und Unbefangenheit Gerechtigkeit widerfahren lassen. In der Mitte liegt die Wahrheit, und diesen Weg suche ich immer zu halten. Verzeihen Sie, wo ich irrte, denn es sündigt doch nur aus Gutmütigkeit Ihr guter, ehrlicher, treuer

Seume.

An Böttiger

(Grimma, Anfang Juni 1799)

... Was würde es helfen, wenn ich Ihnen einen Aufsatz von und über Suworow schickte? Es würde doch so sein, daß Sie Anstand nehmen müßten, davon Gebrauch zu machen. Und wenn er erst auf der Kapelle der Zensur geläutert und amalgamiert werden soll, so kommt doch auf alle Fälle etwas Kombabusiertes hervor. Daß ich mit der Preßbeschränkung wie mit vielen anderen Dingen nicht zufrieden bin, können Sie wohl erraten, obgleich damit eben so wenig gebessert wird. Jeder schreibe, was er schreiben will, aber er sei mit seinem Namen auf alle Fälle verantwortlich für sein Geschriebenes. Die Menschheit liegt jetzt in der entsetzlichsten Gärung. Diese oder jene Partei mag siegen, so sehe ich viel Trauriges im Hintergrunde. Wenn ich mir nur das verdammte Denken und Empfinden abgewöhnen könnte! ...

*

(ohne Datum)

Ich weiß, daß es bei Ihnen nicht Neugierde ist, sondern wahre humane Teilnahme, wenn Sie meine Entschließungen über mich selbst wissen wollen. Eigentlich ist noch nichts beschlossen, denn Entschluß und Ausführung ist vermutlich bei mir sodann eins. Nach Wien gehe ich nicht, und wenn ich dort könnte als Oberst angestellt werden. Ich kann kein Heuchler sein: Glück machen, wie man es nennt, ist bei mir ein sehr untergeordneter Gedanke. Ich bin nun Mann, ich will mich durch den Zufall nicht mehr so launisch werfen lassen, als da ich Jüngling war. Damals mochte es sein Gutes haben, und mein Charakter hat hoffentlich nicht darunter gelitten. Damals entschuldigten mich meine Jahre, jetzt würden mich meine Jahre richten. Doch traue ich Ihnen zu, Sie würden auch in meinem bisherigen Leben humane Konsequenz finden, wenn ich Sie am Faden der innern wahren Bestimmung von Anfang bis jetzt heraufführe. Meine Verhältnisse waren für meine Denkungsart immer sehr grell: jetzt muß ich endlich meine Verhältnisse, soweit der Mensch darf, selbst machen können. Am liebsten bliebe ich freilich in einer leidlichen und anständigen Lage in meinem Vaterlande; es ist aber wohl nicht möglich, so viel ich mich umgesehen habe. Ein entschiedener Streich würde sein, mein Bündel zu nehmen, hinzugehen und gegen Suworow zu schlagen. Ich verehre den Mann unendlich; aber ich hasse das System seiner Nation, und glauben Sie mir, ich kenne die abscheuliche Energie, mit der es durchgeführt wird. Ich könnte Ihnen Data anführen, wo junge Leute der Nation, die aber durch ihre Verhältnisse großen Einfluß gewinnen müßten, mit beispielloser Unverschämtheit sprachen und handelten. Dieser Geist ist ein Verderber. Soviel das Lucanische causa diis victrix placuit, sed victa Catoni Bombast enthalten mag, so liegt doch dem Ganzen ein göttlicher Sinn unter. Das französische Benehmen ist oft eben so traurig als das ihrer Feinde, aber ihr System hat Humanität; sehr schlimm, wenn es inhuman befolgt wird. Auf alle Fälle also nicht zu den Österreichern und Russen, soviel ich da auch Aussichten haben könnte. In Preußen gefällt es mir sehr; es herrscht da viel schöne Liberalität, und der Grund ist noch immer vernünftige Freiheit. Unter einer Alpenarmee könnte ich mit Ehren an jeder Stelle fechten; unter den preußischen Truppen kann ich das nicht. Darüber rechtfertigt mich Montesquieu, wie Sie wissen. Es wird schwerhalten in Berlin, so wie ich es wünschen darf, angestellt zu werden. Sie werden das konsequent finden: wenn ich auch am Ticino als gemeiner Soldat fechten könnte, so möchte ich doch an der Spree nicht anders sein als nach dem Grade, den meine Papiere weisen. Meine Jahre machen schon das sogenannte Glückmachen unmöglich, aber so sehr bin ich nicht in Brotverlegenheit, daß ich Zurücksetzung nehmen müßte. Überhaupt kann ein Mann nie in Verlegenheit kommen, wenn er etwas mit Vernunft bestimmt und fest will. Ich werde Ihren Rat sehr dankbar annehmen. Wie weit meine öffentliche Bekanntschaft mich empfehlen kann, weiß ich nicht. Aus meinen damaligen Dienstverhältnissen habe ich Zeugnisse von Männern, deren Charakter in jeder Hinsicht ihrem Worte Gewicht geben kann.

*

(Leipzig, Anfang Nov. 1805)

Sie haben durch unsern Freund Carus ein Ansinnen an mich gestellt, das Ihrem Herzen Ehre macht und Ihr Zutrauen zu dem meinigen beweist; aber es tut mir leid, daß ich ihm nicht entsprechen kann, denn in meiner Seele ist durchaus nicht, was Sie darin suchen. Mich deucht, der Gemeingeist, den Sie wünschen und zu erwecken gesonnen sind, ist wenigstens als Nationalsache nicht möglich. Wir sind nun einmal keine Nation in dem höheren politischen Sinne des Wortes, haben vielleicht nicht Ursache zu wünschen, es je zu werden: und in unsern alten halbpolitischen, halbbarbarischen Einrichtungen ist so wenig von dem, was ich mir unter Gerechtigkeit und Freiheit denke, daß wenigstens ein Mensch, wie ich bin, keinen Enthusiasmus für eine Sache haben kann, die seiner Seele fremd ist. Die Franzosen schlagen uns noch mit dem Guten, das die Revolution zutage gefördert hat. Ihr Geist besiegt den unsrigen, weil, so sehr sie auch von der eigenen, mächtigen Willkür eines Usurpators leiden, doch mehr Gerechtigkeit und Vernunft im Staate und folglich auch mehr Gemeingeist bei ihnen ist. Ob sich das lange halten wird, ist eine andere Frage. Bei ihnen berechnet man alle Kontributionen nach dem Verhältnis der Besitzungen durch die Regeldetri. Was alle noch gleich tragen, tragen alle noch mit Kraft. Sie haben wenigstens noch etwas von der Base eines guten Staats. Ich bin eben kein Gegner der Monarchie, werde aber bis zum letzten Atemzuge Gegner sein der Ungerechtigkeiten und Bedrückungen und Freiheiten und Privilegien und des ganzen Unfugs der Unvernunft, mit welchem wir überschüttet sind. Daß es noch schlimmer sein könnte, ist vielleicht wahr; daß es aber schlimm genug ist, kann nur der Blödsinn oder der weggeworfene Eigennutz übersehen. Der Landmann soll nun fechten. Für wen denn? Schlägt er für sich? Wird ihm der Sieger nicht noch mehr aufbürden? Ein Grenadier soll sich in die Bajonette stürzen, dessen Schwester oder Geliebte zu Hause bei dem gnädigen Krautjunker jährlich für acht Gulden zu Zwange dient; dessen Mutter oder alte Muhme, die selten satt Brot und Salz hat, ihre halbblinden Augen noch damit verderben muß, daß sie zur Frone für den Hof ihre nicht kleine Quantität Garn abspinnt; dessen kleiner Bruder für einen Groschen von der Herrschaft wöchentlich einige Male Boten gejagt wird? – Nun kommt der Krieg. Mein Gott, der Adel wird ja nichts geben, er ist ja befreit von Auflagen. Solange der Landmann noch ziehen und fahren kann, wird sich doch auf dem Edelhof kein Rad rühren. Wenn die Leute bei solchen Umständen noch gut und redlich sind und beitragen und fechten, so beweist das von der einen Seite das Göttliche und von der andern das Eselhafte in unserer Natur. Ein Deutscher soll schlagen, damit ihm, wenn er nicht in der Schlacht bleibt, sodann der Edelmann wieder hübsch fronmäßig in der Zucht habe. Dafür hat er denn von einem Jahrhundert in das andre die dumme Ehre, der einzige Lastträger des Staates zu sein. Wo nicht Gerechtigkeit ist, kann kein Mut sein.

Und ich soll singen? Haben Sie je gehört, daß etwas aus mir herausgekommen wäre, was nicht rein in mir lag? Der Mensch kann nur Enthusiasmus für Freiheit und Gerechtigkeit haben, nämlich haltenden; alles übrige sind momentane krampfhafte Anstrengungen kleinlicher Leidenschaften. Das Schicksal hat mich hierher und dorthin geworfen: haben Sie je gehört, daß ich als Hesse oder Russe ein Kriegslied gemacht habe? Als deutscher Vaterlandsbürger will ich schlagen, wenn es sein muß, solange mein letzter Knochen hält, das halte ich für die eiserne Pflicht, die ich eisern erfülle. Aber singen? Da widersteht mir der Menschensinn. Sobald ich sehe, daß unsere Machthaber gerecht und großmütig würden, daß der Adel die Sottise des Menschenverstandes einigermaßen durch hohen Sinn für reinere Zwecke entschuldigte, dann möchte vielleicht das Zutrauen warm werden und von der Zunge strömen. Bonaparte mißbraucht gewiß das Göttlichste zu bösen Absichten, wir aber tun mehr, wir stehen von allen Seiten engbrüstig Schildwache, damit nichts Göttliches emporkeime. Ich sehe soviel als möglich ruhig dem Kampfe zu. Furcht ist nie der ausgezeichnete Charakter meines Wesens gewesen, sie soll sich nun nicht erst einnisten, da der Bart zu grauen anfängt. Ich möchte singen können, denn, bei Gott, dann wäre es besser, wenigstens bessere Hoffnung. Ich sehe leider nicht, daß etwas Gutes aus dem Wirrwarr kommen wird, wende sich der Sieg wohin er wolle. Wo hatten wir nur einen Funken von Isonomie, diesem einzigen Göttlichen, das aus dem Chaos der griechischen Halbvernunft zur Begründung eines Besseren hervorflammt? Sie begreifen also leicht, daß ich nicht singen kann. Man würde mir bei der zweiten Strophe die Leier zerschlagen. Kann ich mich nicht erheben oder nicht herabstimmen? Krieche ich zu sehr an der Erde, oder fliege ich zu hoch in den Sphären? Das letzte ist gewiß nicht der Fall. Wo man den Landmann als Halbsklaven und den kleinen Bürger als Lasttier ansieht und behandelt, da habe ich weder etwas zu sprechen noch zu singen. The post of honour is a private station. Was Sie übrigens fordern, daß kein Name genannt werde, ist schon ganz richtig in der Ästhetik des Liedes begründet. Aber sind nicht auch die Beziehungen zu vermeiden? Dann würde es recht hübsch glatt, fein, gefällig und – kraftlos sein, und alle Privilegiaten würden es loben, und ich wäre gar so glücklich, einmal einhundertfünfzig Taler Pension dafür zu erhalten. Dafür lieber die kleinen runden Tröster an der Wand, ehe ich so aus meinem Charakter falle. Dann doch noch lieber einen großen Despoten mit seinem Harpyiengefolge als die Myriaden gesetzlich geprägter blutsaugender kleiner. Nicht wahr, Sie sehen nun lieber, daß ich schweige? Das tue ich auch, denn ich verliere nicht gern meinen Atem in Narrheit. Übrigens verberge ich meine Gesinnung mit ihren Gründen, wo es sein muß, gar nicht. Ich fürchte nicht den großen Ölgötzen dort drüben, ich werde mich auch durch die kleinen Afterlinge unserer Dörfer und Ämter nicht aus der Lage bringen lassen.

Entschuldigen Sie meine rauhe Sprache; die Sache erlaubt nicht, sie glatt zu machen. Dank und Gruß der Freundschaft.

*

(Leipzig, Mitte Dezember 1805)

... Nach dem, was ich sehe, geht es uns in kurzem wie Österreich, muß es uns so gehen, weil wir es ebenso anfangen: und unsertwegen wird sich sodann schwerlich ein Gamaschenknopf in Bewegung setzen. Es ist eine allgemeine Ehrlosigkeit ohne Beispiel; nirgends ein Funke von wahrem, reinem Natursinn. Fast möchte man sich freuen, wenn die Harpyie aus der Fremde recht berechnet taktmäßig in unsern Eingeweiden wühlt. Wir sind die Polen von Anno 64–94. Unsere Fürsten wollen uns zu Grabe läuten, um die Kammerherren eines fremden Abenteurers zu werden. Das Schicksal, das allgewaltige, walzt uns in unserm Blödsinn zu Boden! Die Schicksalsphilosophen scheinen ebensowohl auf den Fürstenstühlen zu sitzen als auf den Kathedern.

Niemand begreift, daß nur Freiheit und Gerechtigkeit Nationalkraft geben können. Wer nicht groß handeln kann, mag klein bleiben. Ich sterbe gern unter den Trümmern der Nation, wenn es sein muß; aber ich will nicht sterben ohne mein Testament! Noch bin ich nicht so kalt, als nötig ist ...

*

(Etwa August 1806)

Sie sehen aus meiner Saumseligkeit, daß ich nun schon nicht in die gewöhnlichen Formen tauge. Ich danke Ihnen gewiß recht herzlich für Ihre gütige Meinung und den freundschaftlichen Rat. Es ist besser, daß ich den Weg gehe, den ich für den richtigen halte. Es würde ja erbärmlich sein, wenn die Grundsätze nur so lange Geltung hätten, bis eine Kollision da ist. Ob das Vaterland mit seinen Observanzen recht hat, ist nicht meine Sache, aber wohl ist es meine Sache, nach meiner Überzeugung zu handeln auf alle Fälle. Der Gewinn hat weiter nichts Reizendes, und das Gute kann man außerdem auch tun und desto unbefangener. Über die Wirkung des Guten habe ich so meine eigenen Gedanken, die nur selten mit unsern öffentlichen Einrichtungen in Übereinstimmung gebracht werden können. Das Kandidatenwesen hat die griechische Freiheit getötet und die römische. Meine Gesetze, Gesetze de ambitu, würde ich alle mit Blut schreiben, noch mehr als drakonisch. – Ich bin also nicht von dieser Welt? Gut, so bin ich von einer andern und bessern. Denn wenn der Himmel alle seine Welten so närrisch gemacht hat wie unsere, so möchte ich wohl in vollem Ernst der Advokat des Teufels werden. Es ist doch eine traurige Krankheit, wenn man keine Ungerechtigkeit vertragen kann. Mir geschieht nicht unrecht; denn für mich ist Rat; aber bei weitem die wenigsten haben meine herausgerissene Bestimmtheit und werden darum die Beute der Harpyien.

Wenn ich mich so umsehe, so kommt es mir durchaus vor, als ob die Menschen von jeder Tugend überall nur das Minimum haben müßten, um in ihre Fugen zu passen. Große Laster, sogar große Verbrechen sind zu gebrauchen, aber nicht große Tugenden. Ins Tollhaus oder auf den Rabenstein mit diesen!

Doch nein, gar so arg mag es doch wohl noch nicht sein. Ich meine nur, es ist sehr schlimm, intra muros et extra.

Der Himmel erhalte Sie wohl und gesund! Ich lebe unter den Toten recht herrlich. Gruß und Freundschaft! Wie immer der Ihrige

Seume.

 

(Böttiger hatte ihm die englische Lektorenstelle in Leipzig verschaffen wollen, doch Seume sagte grundsätzlich ab.)

 

(März 1808)

Ihr Glycipikron von Brief ist mir bei dem allem sehr angenehm gewesen. Was die Berliner tun und getan haben, davon weiß ich sehr wenig. Die Leute dort machen es schlecht preußisch, und ich wünschte es gut deutsch zu machen. Wenn man auf das Vergangene schilt, so ist die Absicht jedes vernünftigen Mannes, daß das Künftige besser werde.

In den Berliner Charakteren scheint mir viel Wahrheit und viel Bosheit zu sein, die Halbwahres und Unwahres mischt. Ich will kein Wort mehr über unsere deutsche Unvernunft sagen; meine Beichte liegt ohne Zurückhaltung in meiner kleinen Vorrede, die, wie ich erfahre, niemand drucken will. Auch gut; jeder tut seine Schuldigkeit nach seiner Überzeugung. Wieland hat mir vor einiger Zeit in einem Briefe die Ehre gegeben, mich für den einzigen achtbaren Zyniker seiner Zeit zu halten, und ich will seiner Meinung keine Schande machen.

Meine Hoffnung ist nur Zerstörung, und mir wird lange nicht genug zerstört, gedrückt, gequetscht, gepeitscht usw. Die Deutschen können nun einmal nur mit dreifach sublimiertem Höllenstein zur Vernunft gebeizt werden. Schreiben Sie noch ein zehnfaches Oxymoron, mich bekehren Sie nicht. Was am blutigsten eingreift, ist am wohltätigsten.

Der Mann von Ufenau würde jetzt eine noch ganz andre Sprache führen als damals, wenn er wiederkäme. Über das Schicksal meiner Bücher wie meiner Person bin ich sehr gleichgültig. Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. – Meine Mutter, die mich bis jetzt hier hielt, ist vor einigen Monaten gestorben; ich wollte, das Leben der guten Frau hielte mich noch: nun dürfte ich aber doch wohl noch fortpilgern, um nie wiederzukehren. Wenn ich nur erst einen Ort auffinde, wo ich nach meiner Weise etwas philosophischer einsiedeln kann. Meine Beschlüsse werden sogleich ausgeführt, aber ich besinne mich etwas, ehe ich sie fasse...

An Wilhelmine Röder

(Leipzig, Dezember 1795)

Diesen Abend nur wenige Worte, liebes Mädchen, denn die Finger sind mir steif von der Schreiberei, aber ich kann doch nicht zu Bette gehen, ohne Dir gute Nacht gesagt zu haben. Du hast den Wunsch recht nötig. Was magst Du machen, Wilhelmine? Mein Geist schwebt um Deine Kissen und beobachtet jede Deiner Bewegungen, jeden Deiner Atemzüge. Schnorr sagt mir, daß Du noch sehr starke Halsschmerzen hast und daß Dir das Gurgeln sehr weh tut. Armes liebes Mädchen, habe Geduld und halte aus, ich Sünder bin schuld daran: denn ich bin fest überzeugt, alles ist von der Erkältung im Garten. Du sagtest, ich fröre; siehst Du, Mädchen, ich fror nicht; aber bei Dir war es schlimmer als Frost. Schon in der Kirche mag Dir der Zugwind geschadet haben, und dann der Wind auf dem offenen Platze. Es ist nicht zu leugnen, es war damals ziemlich kalt,« und Du wirst die Füße nicht verwahrt gehabt haben. Wenn man läuft, hat es nichts zu sagen. Aber Du warst auch damals nicht ganz gesund. Ich bin an allem schuld, ich; Du solltest zürnen, und Du bist ganz Liebe, so ganz Zärtlichkeit. Mädchen, ich bin wie auf der Folter Deinetwegen, wenn ich Dich nur drei Minuten sehen könnte. Aber das geht nicht, das geht nicht. Nimm Dich ja recht in acht, teuerstes Mädchen, ich will nicht wieder Ursache Deiner Krankheit werden, und sollte ich dulden wie ein Märtyrer. Wenn man mir erlaubte, Dein Arzt zu sein, gewiß, Du solltest alle übrigen Ärzte entbehren können; davon bin ich deswegen überzeugt, weil ich selbst nie krank bin. Was bei mir ist, muß alles gesund werden, drum komm' zu mir, liebes Mädchen, oder rufe mich zu Dir. Merkst Du nicht, daß ich allemal etwas Gesundheit mitbringe? Nur dürfen wir freilich nicht stundenlang im Dezember im Garten sitzen. Ich weiß gar nicht, wo ich meine Sinne gehabt habe. Um einige Küsse kann ich Deine Gesundheit in Gefahr setzen! Vergib mir. Künftig mußt Du mir gehorchen: ich muß für Dich sorgen, da Du nicht für Dich sorgen willst, mit meiner eigenen Aufopferung muß ich für Dich sorgen. Ach, wenn Du nur erst wieder gesund wärst! Ich Armer! Nun glaube ich gar nicht, daß ich je krank werde, da ich mit Dir nicht krank werde. Aber meine Lage ist fast schlimmer, als ob ich krank wäre. Wieviel mal bin ich täglich nicht bei Schnorr, um nur auf seinem Gesicht zu lesen, wie Du Dich befinden magst. Heute abend bin ich noch einige Male unter Deinen Fenstern herumgeschlichen, als ich aus dem Konzerte kam. Ich wallfahrte dorthin in die Gegend, wie die Pilger an eine heilige Stätte. Aber die Stätte ist mir auch heilig, wo Du wohnst, mehr als Jerusalem mit all seinen Reliquien. Ich soll soviel arbeiten, und Du treibst mich herum. Heute früh lief ich hinaus, bloß um das W zu sehen, das Du in den Kastanienbaum geschnitten hast, da habe ich doch wenigstens Bewegung, und der Gang ist trotz tiefsten Schnees recht schön; ich wüßte nicht, was endlich aus meiner Existenz werden würde, ich bin wie ein Frommer, der sich täglich auf den Himmel bereitet und in der Hoffnung schon oben ist. Teures, einzig innig geliebtes Mädchen, sorge Dich Deinetwegen und noch mehr meinetwegen, mein Leben, mehr als mein Leben, meine ganze Glückseligkeit hängt an Dir. Ich küsse Dich mit süßer, banger Zärtlichkeit, meine Liebe; gib mir den Kuß bald wieder zurück, daß ich – Dich wieder küssen kann. Ewig der Deine!

*

(Winter 1795)

Dein Vater hat mir das Versprechen abgefordert, die Korrespondenz abzubrechen: ich hatte schon geschrieben, es ihm zu geben; er hatte aber nicht die Güte, den Brief, der es enthielt, anzunehmen; folglich habe ich es ihm nicht gegeben: und sein Wille ist für mich unbedingt kein Gesetz. Aber Du scheinst der nämlichen Gesinnung zu sein; und Deine Wünsche sollen mir heilig sein, bis zu meinem letzten Hauche. Fürchte nicht, daß ich Dich weiter mit Zudringlichkeiten beschweren werde. Nur das traurige Vergnügen kann ich mir nicht versagen, in diesem letzten Briefe noch einmal herzlich zu Dir zu sprechen. Ich will mich rechtfertigen vor Dir, rechtfertige Du Dich auch vor Dir selbst. Mein Herz soll und muß schweigen; ich habe Ursache zu fürchten, daß seine Sprache nicht mehr verstanden wird, und ich will seine Empfindungen nicht entweihen. Es ist seit einiger Zeit meine Beschäftigung gewesen, daß ich alle Deine Briefe mit bitterm Gefühle wiederholt durchgelesen; es ist, als ob die schöne Täuschung noch um mein Herz spielte, als ob ich nicht aus dem süßen Traum erwachen könnte. Ich kenne viele Arten des Zweifels; aber keiner gibt solche Skorpionsstiche wie der Zweifel, den Du mir gegeben hast. Ich bin glücklich gewesen, in meinem Wahn glücklich gewesen, das danke ich Dir. Du kannst stolz sein, es hat mich kein weibliches Geschöpf glücklich gemacht als Du; Du kannst sehr stolz sein, es wird mich keine wieder glücklich machen. Du bringst mich zu meiner alten Philosophie über die Weiber zurück, und noch sehr zu rechter Zeit. Wilhelmine, Du hast nicht großmütig, nicht redlich mit mir, nicht weise mit Dir selbst gehandelt. Warum hast Du mir nicht die Wahrheit gesagt? Glaubst Du, daß ich Wahrheit scheue, auch wenn sie mich zu Boden schlägt? Ich merkte Deine Veränderung gleich mit den Feiertagen: ich lief herum voll Angst wie ein Gejagter. Von Dir kam kein Gruß, keine liebreiche Erkundigung, keine Nachfrage nach einem Briefe, deren ich wohl sieben geschrieben und zerrissen habe. Meine Seele war auf der Folter; endlich sagte mir Sch., das Verhältnis müsse abgebrochen werden, das wolltest Du; Du, die mir noch vor vierzehn Tagen die heiligsten Beteuerungen schicktest: Dein Vater habe Dir alle Hoffnung benommen, Dir mit seinem Fluche gedroht. Von allem dem war nichts wahr, wie ich aus Deines Vaters Briefe sehe. Welche Partie glaubst Du denn, daß ich nach meinem Charakter nehmen konnte, als Deinem Vater nun geradezu zu schreiben, da ich nach Deiner Botschaft annehmen mußte, er wisse schon alles? Hättest Du mir die Wahrheit sagen lassen; ich hätte Dir mit einem kurzen Kampfe alles zurückgeschickt. Du klagst über meinen Stolz und nimmst Dir die Mühe, mich ganz zu demütigen. Vielleicht gelingt es Dir, vielleicht nicht. Dein Vater will keine Briefe von mir annehmen, auch Deine Mutter nicht. Du vielleicht auch nicht. Das erniedrigt mich nicht; ich finde mein Betragen ziemlich konsequent, so konsequent man in meiner Gemütsstimmung sein kann. Was soll ich nun tun? Dein, Dein eigener Antrieb war es, zu brechen. Du hättest mir und Dir und Deinen Eltern viele schmerzliche Gefühle ersparen können, wenn Du mit etwas mehr Überlegung gehandelt hättest. Es scheint, als ob Du Dir ein Vergnügen gemacht hättest, meine Empfindungen zu einer solchen Höhe zu winden, um mich dann mein Nichts fühlen zu lassen. Es ist Dir ganz gelungen. Das Mädchen, das noch kurz vorher an meinem Nacken hing und mich um meine Treue bat, hat nun nicht einmal den Mut zu sagen, daß es mich liebt. Ich bin zur Galanterie zu ernst, und Du hast Dich geirrt, wenn Du mich unter diese Rubrik gebracht hast. Wir haben einander, wie es scheint, beide nicht gekannt und dürfen also einander keine Beschuldigungen machen. Daß ich Deine Ruhe gestört habe, vergib mir; daß Du mir so schöne Hoffnungen geschaffen und vernichtet hast, daß durch Dich mein Friede zugrunde gegangen ist, das will ich Dir vergeben, meine Blödsinnigkeit anklagen und Dich zu den ganz gewöhnlichen Mädchen rechnen. Wenn ich das nur könnte, Wilhelmine, ich wäre noch glücklich genug. Mein Ernst hat Dir nicht gefallen; um ihn zu heilen, hast Du Bitterkeit hineingegossen. Deinen Eltern rechne ich nichts an; sie handeln nach ihrem Begriff der Pflicht: aber wie Du nach Deinem Begriff der Pflicht handelst, kann ich nicht einsehen. Du warst weder gegen Deinen Vater, noch gegen mich, wie Du solltest. Die Gründe, welche Dein Vater gegen mich anführt, sind alle gültig genug, da Du ihnen Gewicht gibst: ein einziger hat mich mehr als alle getroffen, er heißt die Wankelmütigkeit des Weibes. Dein Vater läßt Dir Gerechtigkeit widerfahren. Wilhelmine, Du hättest redlicher mit mir sein sollen. Ich bin nicht der Mann, der das weiche Herz eines Mädchens mißbraucht; ich fordere Dich auf, die Wahrheit zu sagen. Bin ich nicht offenherzig mit Dir gewesen? Habe ich Deine Empfindungen bestochen? Meine ganze Seele hängt noch an Dir und wird sich ewig nicht loswinden können. Wenn Du meiner unwert wärest, würde ich über Dich weinen und trauern. Sage mir nur offenherzig Deine Wünsche und traue mir Großmut genug zu, sie alle zu befriedigen, und wenn es mein Leben kostete. Wider meine Ehrlichkeit kannst Du nichts fordern. Deine Briefe solltest Du längst wiederhaben, wenn sie Dein Vater nicht verlangte. Bekommen soll er sie nicht; aber lesen soll er sie, wenn er darauf dringt, zu seiner Beruhigung und Deiner Rechtfertigung. Hast Du etwas geschrieben, was Du zu gestehen Dich schämst? Dich zu schämen Ursache hast? Mädchen, dann sind wir beide zu beklagen, Dein Vater und ich; und Du am mehrsten. Dann sollen sie zur Tilgung alles Mißtrauens vor seinen Augen vernichtet werden. Wenn ich auch das Angesicht Deines Vaters scheue, will ich mich doch vor ihm nicht schämen. Ich bin gewohnt, mir Achtung zu erzwingen, wenn ich mir auch keine Gewogenheit erwerbe. Ich kann mir vorstellen, wieviel Nachteiliges man Dir auf meine Kosten vorsagen wird; wenn Du das so geradezu ohne Sichtung glaubst, so habe ich jede Empfindung meines Herzens umsonst verschwendet. Ich bedauere Dich bei allem meinem Schmerz noch weit mehr als mich selbst: denn ich werde höchstwahrscheinlich zeitlebens Dir zum Vorwurf herumlaufen. Mein Betragen wird Deine Strafe sein. Ich versichere Dich, Liebe, ich werde Dich nicht aus meiner Seele verlieren. Ich habe mit keinem Mädchen in einer nähern Verbindung gestanden; Du bist das einzige, das sich ganz in meinem Herzen festgesetzt hat. Gehe hin, wo Du willst; ich werde Dich mit zu Grabe nehmen. Du hörst vielleicht nach dreißig Jahren von mir noch den nämlichen Ton, wenn Du Dich meiner gelegentlich erinnerst Wilhelmine, ich bitte Dich um Gottes willen, bei dem Glücke, das Du noch hoffst, sei Deiner wert; ich kann nichts Schlimmes von Deinem Herzen glauben. Sei Deines Vaters Freundin, wenn Du nicht meine Geliebte mehr bist. Wenn mein Kuß Dich nicht edler gemacht hat, bin ich ein Verworfener, oder Du ein Geschöpf ohne Sinn. Tue nichts, nichts heimlich: was ich tat, geschah Deinetwegen; sonst trete ich immer ins Licht. Meinetwegen zeige auch diesen Brief Deinen Eltern; ich werde ihnen gelegentlich nicht bergen, daß ich ihn geschrieben.

Erlaube mir noch einmal, mich in die süße Täuschung der Harmonie unserer Herzen zu setzen. Du hast ein schönes Werk zerstört, Liebe; das hättest Du nicht tun sollen, oder nicht sollen bauen helfen. Du fragst, was ich denke? und nicht, was ich fühle? Ich bin unendlich traurig, und von welcher Art meine Empfindungen sind, magst Du in Zukunft von meinem Gesichte lesen. Ich bin vielleicht nie wieder so glücklich, eine Silbe mit Dir zu sprechen; aber mein Herz wird Dich begleiten, denn ich bin unveränderlich.

Seume.

An Herrn***

Mein Herr!

Wir kennen einander nicht; aber die Unterschrift wird Ihnen sagen, daß wir einander nicht ganz fremd sind. Meine ehemaligen Verhältnisse zu Ihrer Frau können, dürfen und müssen Ihnen nicht unbekannt sein. Sie würden vielleicht nicht übel getan haben, meine Bekanntschaft früher gemacht zu haben; ich störe niemandes Glück. Ob Madame * * * gegen mich ganz gut gehandelt hat, kann ich nicht entscheiden, eben so wenig als Sie; da wir beide nicht gleichgültig sind. Ich vergebe ihr gern und wünsche ihr Glück; es war ja nie etwas anderes der Wunsch meines Herzens. Einige meiner Freunde wollen mir Glück wünschen, daß die Sache so gekommen ist; sie überzeugen fast meinen Kopf, aber mein Herz blutet bei der Überzeugung. Da Sie mich nicht kennen, dürfen Sie über mich nicht urteilen. Ich bin weder Antinous noch Aesop, und Mademoiselle * * * muß doch vorzüglich den ehrlichen, guten Mann zu sehen geglaubt haben, als sie mir sehr teure Versicherungen gab. Doch stille davon! Es geziemt mir nicht, mich zu rechtfertigen, und noch weniger, andere anzuklagen. Ich bin nicht Ihr Freund, das leiden die Verhältnisse nicht; da ich aber ein ehrlicher Mann bin, ist es für Sie so gut, als ob ich es wäre. Sie selbst, mein Herr, haben bei der Sache als ein junger, nicht ganz ernsthafter Mann gehandelt. Ich wünsche Ihnen Glück; Sie haben das nötig. Ihre Frau ist gut, ich habe sie tief beobachtet, und ich würde nicht imstande gewesen sein, mein Herz an eine Unwürdige zu verlieren. Daß zwischen uns nichts Strafbares vorgefallen ist, dafür muß Ihnen mein Charakter und meine jetzige Handlungsweise bürgen. Sie hat Fehler: sie kann hassen, verzeiht nicht leicht und ist leichtsinnig. Sie haben also keinen leichten Gang mit ihr. Sie müssen ihr manchen Fehler vergeben und selbst keinen begehen. Es ist mir daran gelegen, daß Sie beide glücklich sind; das wird Ihnen begreiflich sein, wenn Sie etwas vom Herzen des Menschen wissen und mich nicht für einen ganz gewöhnlichen Menschen halten. Ich bitte Sie bei Ihrem Glück und bei dem Rest von meiner Ruhe, noch mehr aber bei dem Glück der Person, die uns teuer sein muß, nie – nie leichtsinnig zu sein. Sie sind Mann; von Ihnen hängt alles ab.

Ich werde Ihre Frau mit meinem Willen nie wiedersehen. Wenn Sie selbst Ihre Pflichten immer erfüllen, so führen Sie ihr immer in einer ernsthaften Stunde mein Andenken wieder zu. Es kann ihr heilsam werden und soll Ihnen nicht schaden. In meiner Seele kann in diesen Verhältnissen nur Liebe oder Verachtung wohnen; ich kenne mich; die erste kann nur mit dem Stufenjahre Freundschaft werden, und der Himmel bewahre Sie und mich vor der zweiten!

Höchstwahrscheinlich kann ich Ihnen nie einen Dienst leisten, so wenig als Sie mir bei meiner Denkungsart. Sollten Sie aber je glauben, daß ich es könnte, so hätte ich in mir Ursache genug, es mit Vergnügen und Eifer zu tun.

Ich erwarte weder Antwort noch Dank; sehen Sie nur das, was ich so kalt als möglich sagte, mit meiner Seele oder nur mit gehörigem Gleichmut an, und Sie werden alles sehr natürlich finden.

Ich versichere Sie herzlich meiner völligen Achtung, und es muß Ihnen daran gelegen sein, sie zu verdienen. Leben Sie wohl und glücklich! Auch dieser Wunsch geht ganz von Herzen, ob er gleich mit etwas mehr Wehmut geschieht, als der Mann, fühlen sollte.

Grimma

Seume

An Johanna Loth

(Ende Dezember 1804)

Liebe, liebe Freundin!

Es ist das erste und höchstwahrscheinlich das letzte Mal, daß ich diese vertrauliche Sprache des Herzens zu Ihnen spreche, auf die ich mir durch meine reinsten Gesinnungen gewiß ein Recht erworben habe. Meine Entfernung aus dem Hause Ihres Vaters kann Sie über meine Seelenstimmung nicht in Ungewißheit gelassen haben: und wenn es auch nicht großmütig ist, so ist es doch sehr menschlich, daß ich mich nicht so ganz ohne freundschaftlichen Abschied von Ihnen trennte. Wenn Sie mein Benehmen überrechnen wollen, so werden Sie keinen Widerspruch finden, wenn ich Ihnen sage, daß ich seit einigen Jahren mit etwas mehr als gewöhnlicher Verehrung Ihnen im stillen gefolgt bin. Wenn ich nötig hätte, erst die Reinheit meiner Empfindung vor Ihnen zu rechtfertigen, so trüge ich mit meinem Charakter in der Welt eine schändliche Maske. Ich bin freilich bei der Sache ein etwas unbesonnener Knabe gewesen, der die Dinge rund um sich nicht überlegt hat, und ich büße die Sorglosigkeit jetzt sehr hart; aber ich kann doch nicht wünschen, daß es nicht so wäre. Ich glaubte gegen jede Empfindung dieser Art durch Vernunftkraft und noch mehr durch meinen Stolz gesichert zu sein, und am Ende hat das Herz die Vernunft und den Stolz in seine Partei gezogen. Daß Sie ein reiches junges Mädchen sind, daran habe ich leider wenig gedacht; ich empfand nur, daß Sie schön und liebenswürdig sind. Das habe ich Ihnen nie gesagt, aber es lag desto tiefer in meiner Seele, und das Gefühl ist doch wohl unwillkürlich merklich hier und da in Äußerung übergegangen. Manche, manche Meile bin ich bei nicht eben freundlichem Wetter gegangen und war belohnt, wenn ich Sie nur einige Minuten sehen konnte, und war froh wie ein Kind, wenn eine Kleinigkeit von mir Ihnen Vergnügen zu machen schien. Was hätte ich in Lauchstädt zu tun gehabt, wenn Sie nicht dort waren? Ich wollte ängstlich nicht Ihre Nähe verlieren, als die Gauner ihren glücklichen Anschlag mit mir ausführten; doch zähle ich den Tag unter meine sehr glücklichen; denn es schien mir, als ob Sie freundlicher wären. Ich hätte Ihnen vielleicht nie ein Wort von dem Innern meiner Seele gesagt, wenn nicht Umstände es erzwungen hätten. Ich bekenne meine Schwachheit: die Nachricht faßte mich bis zur Zerrüttung. Kaum konnte ich vor Betäubung meine gewöhnliche Arbeit verrichten, ich schauderte fieberhaft, der Schlaf floh meine Augen, und alle meine Bekannten bemerkten den Kampf meiner Seele. Ich habe seit dem ersten Feiertag-Abend jede Gelegenheit ängstlich vermieden, irgendwo in Gesellschaft zu sein, weil man mich in dieser Verstimmung nicht sehen soll. Ich muß mich erst einigermaßen wieder erholen und auf einen erträglicheren Standpunkt setzen. Ich kenne meinen Wert und weiß, welchen Charakter ich zu halten habe. Sie wären die Seligkeit meines Lebens gewesen, und ich bin mir durchaus bewußt, ich würde Ihnen keinen Ihrer schönen Tage verdorben haben. Ich habe Kraft und Mut zu arbeiten und würde mit Frohsinn gearbeitet haben, bis die Fingerspitzen geblutet hätten. Eine Frau hätte ich selbst ernähren können, aber freilich keine Dame, und leider sind in unserer Konvenienz die Frauen seltener als die Damen. Doch wozu leidige Äußerungen? Wenn Sie gewiß sind, daß der Mann, den Sie wählen wollen, Ihre ganze und uneingeschränkte Teilnahme verdient hat und verdient, daß Sie Ihr Glück unbedingt in seine Hände legen können, daß Sie unverrückt beständig mit zärtlicher Hingebung sich an seinem Charakter zu halten hoffen dürfen, so eilen Sie, die Verbindung zu schließen, die Ihr Herz wünscht. Fühlen Sie aber Bedenklichkeiten die der Ernst rechtfertigt, so gehen Sie behutsam und langsam, damit Sie nicht eine solche Übereilung mit dem Unglücke Ihres Lebens büßen. Sie haben nicht das Ansehen, als ob Sie sich für verlorene Freuden des Herzens und der Häuslichkeit durch Vergnügungen der Mode schadlos halten könnten. Ihre Eltern wollen gewiß das Glück ihres Kindes, und sie sind billig Ihre besten und vertrautesten Freunde; aber ich bin überzeugt, daß Sie ihrer eigenen Beruhigung wegen keinen entscheidenden Einfluß über Ihr Schicksal erlauben werden. Ich sehe Sie wahrscheinlich nie wieder. Das Gebein schaudert mir bei dem, Gedanken. Sehen Sie, wie gut es gewesen wäre, wenn meine Seele ohne allen Ton zärtlicherer Empfindung wäre? Ohne meine Mutter wäre ich lange fort, hinaus in die wildesten Elemente. Manchmal suchten Sie gütig gegen mich zurückzuhalten, und nun sind Sie doch die einzige Ursache, die mich von neuem in die Wogen hinausschickt. Wenn mich die Pflicht nicht leben ließe, würde ich den Tod suchen, einen Freund, mit dem ich nicht seit ehegestern bekannt bin. Sie begreifen, daß es in dieser Stimmung kein Verdienst ist, wenn ich Ihr Glück mit meinem Leben erkaufen will. Ich muß den Sturm in mir niederkämpfen, und das kann in Ihrer Nähe nicht geschehen. Bei allem, was Ihnen heilig ist, bitte ich Sie, bleiben Sie, wie Sie sind, und halten Sie Ihren Charakter der schönen reinen Weiblichkeit; nur dieses Bewußtsein gibt Sicherheit. Sie werden an mir auch in der Ferne eine aufmerksame Wache und einen strengen Richter haben; ich will das Heiligtum nicht entweiht wissen, wo ich anbete. Auf meine ewige Ergebenheit rechnen Sie überall. Ob ich mich gleich nicht als den Ihrigen nennen darf, so werde ich es doch wohl mehr und länger sein als irgend jemand, und wahrscheinlich bis zum letzten Hauche.

Seume.

 

(Unmittelbar nach Absendung jenes Briefes schrieb er noch die folgenden Zeilen an Johanna:)

 

Jeder Mensch hält gerne seine schönen Erinnerungen fest; sie sind am Ende der letzte Zehrpfennig unseres Lebens. Da ich doch wohl vielleicht das letzte Mal zu Ihnen spreche – der Gedanke drückt mich wie Vernichtung zusammen – so erlauben Sie mir noch Ihnen zu bemerken, wie lange mich diese Empfindung schon beherrscht. Ihr Vater wünschte ein Jahr vorher, ich möchte Ihnen einigen italienischen Unterricht geben. Ich lehnte es unter dem nicht ganz nichtigen Grunde der Unkunde ab, in der Hoffnung, er würde den Unterricht irgendwo anders finden. Die wahre Ursache war, ich trug schon damals weit mehr, als ich sollte, von dem lieblichen Mädchen in meiner Seele herum. Das Jahr darauf entschloß ich mich auf meine Gefahr, weil ich Ihnen das Vergnügen dieser Sprache für die Musik durchaus verschaffen wollte, es koste noch so viel. Ich habe selten eine so schnelle Fassungskraft gefunden als die Ihrige, und Sie wären sehr bald meine Meisterin geworden. Man fing an mein Inneres zu mutmaßen: denn Mad. Göschen meinte, als ich bei ihr nicht Kaffee trank, dazu könne mich nur Hannchen Loth bewegen, und sagte dies mit bedeutsamer Miene, die ihre Aufmerksamkeit zeigte. Ich bin fast nie mehr in Verlegenheit gewesen, als da sie von mir wissen wollte, wer die Früchte zu Ihrem Geburtstage geschickt hätte. Nie bin ich in einer sonderbareren froheren Stimmung gewesen, als da mir die Gauner in Lauchstädt meine ganze Barschaft stahlen, weil ich meine Augen zu emsig nach dem Platze richtete, den Sie eben einnahmen. An eben diesem Tage ward mir Herrn Devrients Absicht ziemlich deutlich, und ich glaube, an Weißens Begräbnistage Ihre entschiedene Parteilichkeit für ihn. Ihr Bruder hatte nicht nötig, mir mehr zu sagen. Verzeihen Sie, ich plaudere wie ein Knabe. Als Sie das L'amitié ramène schrieben, war Ihre Seele wohl recht geordnet stoisch, oder Sie würden von der meinigen nicht solche moralische Riesendinge erwartet haben. Ich Undankbarer gerate sogar in Vorwürfe. Ich muß schließen, sonst komme ich in die ganze Inkonsequenz der Leidenschaft, die denn doch meinen Jahren nicht ziemen will.

 

(Schluß in Französisch. Übersetzung nach Planer-Reißmann:)

 

Ich bin niemals Dichter gewesen; alles, was ich gesagt habe, ist immer Wahrheit gewesen, und dadurch haben meine Werke einiges Verdienst. Ich blicke mit Verachtung auf die Falschmünzer der Empfindungen, die beim dritten Schritt entdeckt sind. Lassen Sie mir die Gerechtigkeit widerfahren, selbst das geringste Wort zu glauben, das ich gesprochen und geschrieben habe. Sie, nur Sie allein beherrschen das Reich meiner Seele, und ich werde immer Kraft genug haben, mich selbst zu opfern, wenn es Ihr Lebensglück gilt. Der ist ein eitler Lügner, der dies für das Ideal nicht vermag, das er liebt und anbetet. Leben Sie wohl, teure, liebenswürdige Freundin; ich werde Ihr Andenken lieb und wert halten bis zum letzten Augenblicke, der vielleicht für mich nicht sehr entfernt ist. Möge Sie der Himmel mit den besten seiner Wohltaten überhäufen und Sie so glücklich machen, wie Sie es durch die Liebenswürdigkeit und alle Tugenden Ihres Charakters verdienen. Leben Sie wohl! Selbst ein Seufzer verrät meine Schwäche. Ich muß Mut fassen, ich habe ihn nötig; aber ich fürchte, ich werde der Ihrige sein bis zum Tode. Leben Sie wohl!

 

(Er begegnete Johanna Loth kurz nach dem Tode seiner Mutter. Auf ihr Beileidsschreiben antwortete er sogleich:)

 

Leipzig, den 17. Dezember 1807

Das Herz des Menschen ist gewöhnlich ein eigennütziges, selbstsüchtiges, geiziges, unersättliches Ding, niemals zufrieden, und immer hinausgreifend in den unendlichen Reichtum der Phantasie. Ich sollte es nicht mehr wagen, Sie mit meinem Geschreibsel zu behelligen; aber es tut mir so unendlich wohl, mit Ihnen zu reden, und ich bin mir der Reinheit meiner Empfindung so wohltätig bewußt, daß ich nicht glauben kann, daß Sie zürnen werden, wenn Sie noch einige Blätter von meiner Hand sehen. Sie haben meine Seelenstimmung durchaus nach der Ihrigen beurteilt. Die Vernunft spricht zwar in solchen Fällen Beruhigung; aber das Gefühl behauptet seine Herrschaft mit seiner traurigen Magie lange Zeit. Ich bin kaum imstande; mir meine Mutter als abwesend zu denken, so sehr war sie in alle meine Gedanken verwebt. Die Zeit wird das Ihrige tun und die Gefühle mildern; töten wird und soll sie sie nie. Ihre Freundlichkeit liegt wieder ganz in den Zügen Ihrer Schrift, und eine Träne, halb des Schmerzes und halb der süßen Rührung, zittert mir von der Wimper. Ich habe Briefe von Fürsten und Fürstinnen mit Lobsprüchen erhalten und sie ernst und kalt beiseitegelegt; aber ich habe Ihre Zeilen mit einer Innigkeit geküßt, daß ein nüchterner Zuschauer gewiß über die Entzückung des philosophischen Grämlings gelächelt haben würde. Das ist der Abstand vom Kopfe zum Herzen. Es ist sonderbar, daß ein Mensch so ganz, so einzig in seinem Gefühle lebt, den man sonst für hart und abschreckend und gefühllos hält. Ich kann dastehen kalt wie ein Marmorblock und dunkel wie eine Gewitterwolke, und in der Tiefe meiner Seele glüht und wogt ein Himmel oder eine Hölle von Gefühl. Aber fürchten Sie durchaus nichts von mir, geliebteste Freundin; der Vulkan kann in mir brennen, aber er durchbricht nie die Dämme, die ihm die eiserne Vernunftkraft der Pflicht entgegengebaut hat. Ohne mich je von den Sinnen losreißen zu wollen, werde ich nie ein gröberer Sinnling sein; dazu achte ich meine bessere Natur und die Schranken der Sittlichkeit zu sehr. Sie werden nach meiner Erscheinung bei Ihren Eltern meine Entschlüsse für sehr wankend halten und haben vielleicht in diesem Punkte nicht ganz unrecht. Aber hätte ich die Gesellschaft vermuten können, die dort war, so wäre ich wahrscheinlich nicht hingekommen, und doch war es mir wieder unendlich erfreulich, daß ich Sie dort fand. Das sind nun so Widersprüche unserer Natur, die der größte Weise selten hinlänglich erklärt. Mich deucht, Ihre freundliche Gute Nacht, als Sie sich in die Chaise setzten, war mir mehr wert, als ob mir jemand ein reiches Landgut geschenkt hätte. Gegen alle Frauen bin ich mit leidlicher Höflichkeit unbefangen artig; nur gegen Sie will mir das nie gelingen, und doch ist mir an dem Urteil der ganzen Weiberwelt nicht die Hälfte so viel gelegen als an dem Ihrigen allein. Ich fürchte mich nicht vor Bonapartes Kartätschen und Bajonetten, und ein zürnender Blick von Ihnen würde meine ganze stoische Seele in Verwirrung setzen. Ich danke Ihnen auch, daß Sie mir Mut einsprechen wollen. Liebe, gute, herrliche, angebetete Seele: wenn jemand das außer Landes hörte, daß Sie dem Spaziergänger von Syrakus Mut einsprechen, ich würde das Gelächter des Vaterlandes; aber ich danke Ihnen doch. Tun Sie das aber nicht so kalt, mathematisch, als ob Sie ein Exempel nach dem Einmaleins berechneten. Ich habe einen moralisch begründeten Anspruch auf eine etwas wärmere Teilnahme, ohne daß Sie ein Jota Ihrer Pflicht verletzen. Wohlwollen sind Sie jenem rechtlichen Manne aus strenger Menschenpflicht schuldig, das wird Ihnen Ihre Empfindung sagen und Ihr Katechismus bekräftigen. Doch ich will schon zufrieden sein in der Hoffnung, daß Ihr Herz etwas mehr geben wird, als Ihr Mund zusagt. Ob ich Ihnen Freude machen will? Mich deucht, ich habe seit langer Zeit keine Freude, als wenn ich Ihnen zuweilen ein kleines Vergnügen zu machen hoffen konnte, und ich habe nun für jede andere alle Stimmung verloren. Das geht, denke ich, natürlich lebendig genug aus dem Tone meiner Seele hervor. Wenn es mir gelungen wäre oder gelingen könnte, Ihnen irgendein großes, schönes, reines Vergnügen zu machen, so würde ich mit keinem Seraph tauschen. Die Seligkeit, die sich das Herz durch sich selbst schafft, ist doch der einzige Himmel, den es gibt. Daß ich nicht Kraft und Gleichmütigkeit genug habe, um Ihnen Ihren lieben Karl einigermaßen zu ersetzen! Vielleicht gelingt es mir noch; wenigstens kann auf Gottes weitem Erdenrund keine Seele mit so zärtlicher Innigkeit an Ihnen hängen als die meinige; dessen bin ich ganz gewiß. Warum sind Sie nicht meine Schwester oder meine Tochter? Ich würde mit unaussprechlicher Sorgfalt über Ihrem Glücke wachen. Was ich mit mir anfange, weiß ich nicht. Elend werde ich nicht sein, dafür bürgt mir meine Natur und Philosophie, und Sie würden einen wimmernden Schwächling nie schätzen können. Nie sollen Sie etwas von mir hören, was Sie für Ihren Freund schamrot machen müßte. Sobald ich vollendet elend wäre, wäre mein Wesen zerstört. Im Vaterlande ist, wenn ich meine jetzige Lage ändern will, für mich nichts Anständiges zu tun. Nach Rußland will ich nicht wieder, denn das Klima ist mir zu unfreundlich und das System zu unvernünftig. Nach Frankreich gehe ich noch weniger, denn ich mag die Schande meiner Nation nicht mit besiegeln helfen. Es wird sich finden. Vielleicht werde ich ein Märtyrer der Wahrheit, wie ich sie denke. Ich suche nicht den Tod; aber ich habe nun nicht Ursache, ihn zu scheuen. Ich bekenne es, meine Seele ist vielleicht zu enge und hat nur für wenige Platz. Achtung der Unbekannten ist kaltes Mondlicht; innige, liebreiche Teilnahme freundlich verwandter Seelen ist warme, wohltätige Maisonne. Für das Allgemeine ist unsere Ehrlichkeit und Menschlichkeit, und für das Einzelne unsere Hingebung und Liebe: das hat der Schöpfer so haben wollen.

Die Schicklichkeit wird es vielleicht fordern, daß ich Sie noch zuweilen sehe; aber selten soll es sein. Vielleicht verlasse ich die Gegend bald auf immer. Es hängt davon ab, ob ich an einem gewissen Orte ehrenvolle Bedingungen erhalte: sonst begrabe ich mich hier in meinem Griechischen. Gern nähme ich Ihr Gemälde mit mir. Aber das wäre bei allem Bewußtsein der reichsten Verehrung doch eine zu unbescheidene Bitte. Und wer würde Sie malen können mit der Glorie, die Sie in meiner Seele haben? Vor dem schönen, heitern Leben der Natur, dem verklärten Blick, dem ganzen reizenden Gewebe des lieblichen, zauberischen Antlitzes wird die Kunst zur Bettlerin. Wozu brauche ich Ihr Kunstgebild? Mit ewig frischen, glühenden Farben trage ich das Original gewiß mit mir, bis sie in die letzten Nerven meines Gedächtnisses trocken werden.

Was ich Ihnen bringe, gehört alles Ihnen, wenn Sie es nicht verschmähen. Ich kann nie etwas von Wert geben; alles gilt nur insofern etwas, als es ein Zeichen meiner innigen Verehrung ist und insofern es Ihnen vielleicht einiges Vergnügen machen kann. Das Papier ist vollgeschrieben, die Bescheidenheit längst überschritten, und doch scheint es mir, als ob ich wieder von vorn anfangen sollte. Ich habe viel auf Ihre Güte gesündigt und kann die Sünde unmöglich bereuen. Ich schaffe sonst alles fort, um in der Welt an nichts zu hängen: aber von Ihnen habe und verehre ich noch jedes Andenken wie eine Reliquie, vom ersten Taschenbuche bis zum letzten Halstuche. Das Taschenbuch ist mit mir unter den Finnen gewesen, und ich habe Ihre Geburtstagsfeier bei den Skandinaviern darin aufgezeichnet. Haben Sie meine Reise durch Schweden gelesen? Sie dürfen es. Es versteht jeder gerade so viel, als er soll, und nicht mehr. Der Hauptinhalt ist so freimütig, daß selbst der Fürst von Dessau mir durch Matthisson sagen ließ, er sei meinetwegen besorgt gewesen. Mich kümmert das wenig. Mein Charakter fordert Offenheit und Wahrheit; die Folge überlasse ich dem Lenker des Schicksals. Es beruhigt mich, wenn Sie von Ruhe sprechen, und der Himmel gebe sie Ihnen in dem vollen Maße, das Sie verdienen. Ich habe nie einen Entschluß gefaßt, den ich nicht ausgeführt habe, nie ein Wort gegeben, ohne es zu halten. Eben war ich im Begriff, Ihnen zu versprechen, Sie sollten nie etwas von meinem Herzen sehen, und ich fürchte, dieses Versprechen hätte ich nicht gehalten. Sagen Sie einige Zärtlichkeiten Ihren Kleinen auch in meinem Namen. Alle Kinder sind mir lieb, und diese sollten es nicht?

Ich küsse zufrieden Ihre liebe Hand.


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