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Napoleon

Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, der der großen Nation mit zehnfachem Wucher zurückgibt, was die große Nation seine kleine seit langer Zeit hat empfinden lassen. Es war der vierzehnte Juli und ein großes Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm herzog. Früh hielt er große Parade auf dem Hofe der Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter in der Nachbarschaft die Revue passierten. Ich hatte daher Gelegenheit, zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den schönsten Männern, die man an einem Orte beisammen denken kann: nur kann ich mir in den französischen Soldaten, ich mag sie besehen, wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden. Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber vielleicht nur der Überlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch getan. Von Bonaparte sollte ich wohl lieber schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen Mann sieht man auf zweihundert Meilen vielleicht besser als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu liegen, Dir über ihn etwas zu sagen, und das will ich denn mit Offenheit tun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd; ich meine immer nur die Sache. Ich bin dem Manne von seiner ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt und habe seinen Mut, seinen Scharfblick, seine militärische und politische Größe nie verkannt. Problematisch ist er mir in seinem Charakter immer gewesen und ist es jetzt mehr als jemals, wenn man ihn nicht geradezu verdammen soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo ihn Desaix' Tod aus den republikanischen Grenzen heraushob, hat er als Republikaner im allgemeinen handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines Republikaners getan.

Als er aus Ägypten kam, trat er die Krise seines Charakters an. Wir wollen sehen, was er in Paris tut, dachte ich, und dann urteilen. Ich tadle ihn nicht, daß er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgendeinem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daß er soviel als möglich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel, diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er durchaus nichts mehr für die Republik getan, sondern alles für sich selbst – eben da er aufhören sollte, irgend etwas mehr für sich selbst zu tun, sondern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er tat, war mit herrlich berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heißt nicht die Republik befestigen. Die erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er atmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es tat mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt, der größte Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen Großen auf gleichen Fuß. Er ist größer als die Dionyse und Cromwelle; aber er ist doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren Ruhm. Daß er nicht sah, daß seine Konstitution die neue Republik zertrümmern und dem vollen Despotismus die Wege bahnen würde, das läßt sich von seinem tiefen Blick nicht denken: und über seine Absichten mag ich nicht Richter sein. Ich habe wider das Konsulat nichts, wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr republikanisch. Ich gebe zu, daß die Dauer der römischen Magistraturen von einem Jahre zu kurz war, zumal bei der Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer Gesetze de ambitu; aber die Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. Der letzte Stoß war, daß der alte Konsul wiedergewählt werden konnte. Ein Mann, der fast zehn Jahre lang eine fast grenzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müßte ein Blödsinniger oder schon ein öffentlicher, verächtlicher Bösewicht sein, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel, die Wahl zum Vorteil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik lebenslänglich sein; wenn es aber die großen sind, geht der Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so schnell gehen würde; aber auch dieses zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die Franzosen seien zur bestimmten Despotie gemacht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wut gezeigt, aber selten republikanische Vernunft. Nicht, als ob nicht hier und da einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung freilich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wut gepredigt worden, die man sich vorher nur sehr leise sagte und die so leicht nicht wieder zu vertilgen sein werden: aber die halbe und falsche Aufklärung dieser Ideen und der Mißbrauch derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. Die Republik Frankreich trägt, so wie die römische, und zwar weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine haltbarere Konstitution baut, als bis jetzt geschehen ist. Mir tut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel zugesehen und immer geglaubt und gehofft, daß aus dem wildgärenden Chaos endlich noch etwas Vernünftiges hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freiheit entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mir, als ob ich erst Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, daß eine große Republik nicht dauern könne. Wir haben an der römischen das Gegenteil gesehen, die doch, trotz ihrer gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich halte dafür, daß in einer wohlgeordneten Republik am meisten Menschenwürde, Menschenwert, allgemeine Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung weiterzuführen, würde wenig frommen und hier nicht der Ort sein. Wo nicht der Knabe, der diesen Abend in der letzten Strohhütte geboren wurde, einst rechtlich die erste Magistratur seines Vaterlandes verwalten kann, ist es Unsinn, von einer vernünftigen Republik zu sprechen. Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas teil an manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht so leicht unbefangen auseinandergesetzt werde und die Beleuchtung Publizität gewinne. In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem einzigen Machtspruch zertrümmert und glaubt nun genug getan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder einschleichen und festsetzen, und man arbeitete schon selbst dadurch für sie, daß man auf der Gegenseite ohne Schonung stürmte und zu weit ging. »Die Republik der Fische ist durch die freie Fischerei zerstört«, sagte der geistliche Herr ganz skoptisch in dem Postwagen, »und die freie Jagd gibt der Polizei genug zu tun; denn es macht allerhand Gesindel im Lande allerhand Jagd.« Muß man denn bei Abstellung der Ungebühr durchaus die Jagd freigeben? Oder ist dieses nur ein Machtbegriff? Sie kann nicht frei sein. In jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der Eigentümer, und nur der Eigentümer kann die Befugnis haben, das Wild auf seinem Grundstücke zu töten, und hat den Prozeß gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner Nachbarn nicht tut. Das Lehnsystem ist in Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen: denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach meiner Überzeugung ist die Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit in einem Staate, daß der Staat durchaus nur reine Besitzungen gibt und sichert und dafür reine Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die Rechtsverhältnisse vereinfacht und die Beeinträchtigung aller Art aufgehoben. Es entsteht daraus zwar notwendig ein Gesetz, das eine Einschränkung des Eigentumsrechts zu sein scheint; dieses ist aber nicht weiter, als insofern gar niemand ein Eigentumsrecht zum Nachteile des Staats haben kann und darf. Niemand darf nämlich die Erlaubnis haben, seine Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu vergeben, sondern muß sie durchaus rein veräußern. Nur durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der Weg versperrt, werden alle Fronverhältnisse, alle Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnsystem, und dieses ist der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur Sklaverei. Wo es noch erlaubt ist, mit Lastklauseln Grundstücke umzutauschen, kann in die Länge keine wahre Freiheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daß er sie nicht durch sich und seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und bestellen lassen kann, so hat er eben deswegen für den Staat in jeder Rücksicht schon zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so teuer, als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben: der Bürger kann niemand Pflichten schuldig sein als dem. Staate: und Bürger ist jeder, der nur einen Fuß Landes besitzt. In detrimentum reipublicae finden keine Besitzungen statt. Es versteht sich von selbst, daß dann alle Steuerkataster nach der Regeldetri gemacht werden: und die erste Realimmunität ist der erste Schritt zur Despotie. Solange unsere Staaten nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich ist kein Gesetz, das den belasteten Verkauf der Grundstücke untersagt; die Folge ist vorauszusehen. Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnsystems; das ward allgemein gefühlt: aber niemand hat die Macht, dem Allmächtigen zu widerstehen, der den Bajonetten befiehlt. Die Bajonette sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit getan. Rom fiel, sobald sie es ward. Die Geistlichkeit spricht wieder hoch und laut. Freilich wird sie nicht so schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher stand, sowenig wie der Adel. Aber das alte System wurde auch nicht in einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, daß vor einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht schuld daran war, daß die Esel keine Hörner haben, sich höchlich freute, daß nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der Mann muß in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen, sich zu machen. Man sagt, Caprara habe schon auf Wiederherstellung der Klöster angetragen, sei aber von Bonaparte zurückgewiesen worden. Bonaparte müßte nicht der kluge Mann sein, der er ist, wenn er ohne Not solche Sprünge machen wollte oder mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muß. Es ist das Glück des Adels und der Geistlichkeit, daß sie mit Modifikationen in seine Zwecke gehören. Wenn's not tut, wird sich schon alles geben. Daß die Katholizität in Frankreich noch vielen Anhang, teils aus Überzeugung, teils aus Gemächlichkeit, teils aus Politik hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich den Katholizismus zur Staatsreligion, das heißt zur herrschenden, gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so fortgeht, daß man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich selbst wurde durch die Rolle, die Bonaparte dabei spielte, gar nicht überrascht; es war seine Konsequenz: er war bei der Osterzeremonie der nämliche, welcher er in Ägypten war, wo sein Manifest anfing: »Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!« Er dachte: mundus vult – ergo –; aber das Sprichwort ist nicht wahr: und es wäre zu wünschen ..gewesen, daß er nicht so gedacht hätte. »II est un peu singe, mais il est comme il faut«, sagte der geistliche Herr im Postwagen. Wenn er Bonaparte dadurch richtig gezeichnet hat, so ist es zugleich ein gräßliches Verdammungsurteil für seine Nation. Nur die Zeit kann erleuchten. Der Mann ist von seiner Größe herabgestiegen. Es wird erzählt, er habe die Fahnen weihen wollen, sei aber durch das Gemurmel der alten Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und Petersburg entschieden republikanische Maßregeln nimmt, gilt dort mit Grund für widerrechtlich, und die Regierung verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegenteil muß aus dem nämlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich gelten: man müßte denn in der Berechnung etwas höher gehen, welches aber sodann jedem Revolutionär in utramque partem zustatten kommen würde.

Jetzt lebt er einsam und mißtrauisch, mehr als je ein Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachtparade; der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint selten und immer nur mit einer starken Wache und soll im Schauspiel in seiner Loge sogar Reverberes nach allen Seiten haben, die ihm alles zeigen, ohne daß ihn jemand sieht. Bei anderen liberaleren Maßregeln könnte er als Fremdling wie eine wohltätige Gottheit unter der Nation herumwandeln, und sein Name würde in der Weltgeschichte die Größe aller andern niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür hat er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht getan. Ich könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft großen Mann rein verehren; das kann ich nun hier wieder nicht.

Man sagt sich hier still und leise mehrere Bonmonts, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage des ägyptischen Manifestes an hat sich meine Seele über seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die Osterfeier sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabei bedeutend sagte: »Citoyen, vous entrez ici dans la chambre d'un tyran«, antwortete er mit schnellem Scharfsinn: »S'il avoit été tyran, il le seroit encore.« Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde! Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre bei einigen seiner Schritte, er möchte bedenken, erwiderte er: »Le peuple n'est rien pour qui sait le mener.« Dem Sieyès, den die Partei des Konsuls bei jeder Gelegenheit als einen flachen, sehr subalternen Kopf darstellt, soll er auf eine Erinnerung sehr skeptisch gesagt haben: »Si j'avois été roi en 1790, je le serois encore; et si j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de mème.« Ich sage Dir, was man hier und bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es niemand, weil seine lettres de cachet eben so sicher nach Bicètre führen als unter den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr unterdrücken konnte und den Verfasser, der ein angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann war, willkürlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen: »Es ist alles sehr gut, aber jetzt nur etwas zu früh.« Jedermann, der etwas weiter blickte, behauptete, es sei leider etwas zu spät. Das gesetzgebende Korps nennt man hier nur die Versammlung, durch welche er Gesetze gibt. Als ein Kommissär mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen Konsuls nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand, sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er bei dem schnellen Rapport ungeduldig mit den Fingern geknackt und gesagt haben: »Ah, je saurai les attraper«. Das hat er gehalten. Er schmiedete das Eisen schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen und Überlegungen möchte die Sache anders gegangen sein. Über die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber es ist nun geschehen.

Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, le premier consul, le grand consul, le consul vorzugsweise. Die beiden andern, die auch nur das Dritteil der Wache haben, sind neben ihm Figuranten, und ihrer wird weiter nicht gedacht als in der Form der öffentlichen Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn auch Sa Majesté, und ich stehe nicht dafür, daß es nicht Ernst wird. Auch heißt er ziemlich öffentlich empereur des Gaules; vielleicht die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert! Auf Cäsar folgte August, und so weiter.

Die Feier des Tages des Bastillensturms beschloß ein Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammengedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus und tat es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohen Magistraturen der Republik, wie sie noch heißt, in ihrem Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul ließ sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich fingen einige der vordem an zu klatschen; es folgte aber nur ein kleiner Teil der Menschen. Der Platz hielt vielleicht über Hunderttausend, und kaum der hundertste Teil gab die Ehrenbezeigung. Der Enthusiasmus war also nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen sein soll: und man sprach hier und da davon, daß die republikanischen Eeste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die Republik selbst, wie die meisten Zeichen länger währen als die Sache selbst.

 

Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit ziemlicher Neugier nach Zeitungen aus der Hauptstadt und nahm die Nachrichten immer mit sehr verschiedener Stimmung auf. Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul wiederholen: »Mais pourtant il n'est pas aimé«; besonders von Militären. Das ist begreiflich. Es gibt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen haben und die doch auch für die Republik brave Männer gewesen sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern zum General, aber nicht zum Souverän, wie es das Ansehen gewinnt. »II fait diablement de choses, ce petit corporal d'Italie; cela va loin!« sagte man, und ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war, bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck: »Bonaparte qui gloriam bene partam male perdit«. In der Gegend von Straßburg habe ich hier und da gehört, daß man bei seinem Namen knirschte und behauptete, er führe allen Unfug wieder ein, den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein einziger Mann wieder einführen kann, ist wohl eigentlich nicht abgeschafft. »Man wollte in der ersten Konstitution«, sagten sie, »dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben wir sogar einen fremden Abenteurer zum König, der willkürlicher mit uns verfährt als je ein Bourbonide: wer ihm mißfällt, ist Verbrecher, und ihm mißfällt jeder, der selbständige Freiheit und Vernunft atmet. Er weiß sich vortrefflich die ehemalige Wut und den Haß der Parteien zunutze zu machen.«

Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von Republik und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den Druck und die Malversation der Kommissäre und jammerte über die neue Freiheit. »Den Zehnten geben wir nicht mehr, den behalten wir«, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch die neun Zehnteile eine große Hyperbel sind. Ein Zeichen, daß die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen verfährt, ist nach meiner Meinung immer, wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt ausschließlich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten Militärs nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die große, stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose Rechtlichkeit, seine Mäßigung und Humanität gepriesen hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der Ehrenlegion zu werden, die soeben errichtet werden soll, und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man tut ihm vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall ziemlich laut erzählt. Seine Parteigänger, die weniger Mäßigung haben als er selbst, wünschten ihn hier und da laut am Ruder und sagten bedeutend nur: Moreau grand consul, zogen aber die Worte so sonderbar, daß es klang wie Mort au grand consul. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, hinter welche sich die Parteisucht versteckt.

Das System des Konsuls liegt nun wohl ziemlich am Tage und leidet keine Mißdeutung. Alles ist gekommen, wie vorherzusehen war, nur mit etwas schnelleren Schritten. Das Buch » Napoleon Bonaparte und das französische Volk« gibt den Gang der Dinge ziemlich richtig an, wenn man nur die Vehemenz gegen die Person und einige unwichtige Irrtümer und gleichgültige Personalitäten abrechnet. Die Zeichnung der Nation ist in demselben, trotz der klassischen Gelehrsamkeit, zu grell, und jedes andere Volk würde in den nämlichen Umständen höchst wahrscheinlich das nämliche sein. Die Briten, als die entgegengesetzteste Nation, haben es bei ihrer Revolution auch bewiesen. Bonaparte ist unstreitig der vollendetste Mann seiner Art; die Geschichte hat bis jetzt keinen größern. Er erschöpft ganz den griechischen Sinn des griechischen Worts. Traurig ist es für den geläuterten Menschensinn, daß solche Erscheinungen bei unserm gepriesenen Lichte noch möglich sind: aber zermalmend für alle bessern Hoffnungen, daß man sie sogar als notwendig annehmen muß. Alles, was zur Grundlage einer vernünftigen Freiheit und Gerechtigkeit dienen konnte, ist wieder zerstört. Die militärische Regierung ist mit dem eisernsten, Zwange wieder eingeführt; alle Wahlen sind so gut als aufgehoben, die Juries als das letzte Palladium der Freiheit sind vernichtet: und damit die emporstrebende Vernunft der Despotie keine Streiche spiele, ist durch eine gemessene Erziehung sehr klug jeder liberale Forschergeist in Philosophie und Naturrecht verbannt. Ob Bonaparte mit seinem Anhang dabei die menschliche Natur ganz richtig berechnet habe, ist sehr zu bezweifeln. Mir selbst ist es ziemlich klar, daß er auf diesem Wege das alte Herrschersystem mit seinem ganzen Unwesen wieder gründen wird oder eine neue Revolution notwendig macht. Tertium non datur. Die Folge für die Humanität ist dabei leicht zu berechnen. Er hätte ein Heiland eines großen Teils der Menschheit werden können und begnügt sich, der erste wiedergeborne Sohn der römischen Kirche zu sein. Er läßt sich halten, wo er hätte stehen können. Er hat eine lichtvolle Ewigkeit gegen das glänzende Meteor eines Herbstabends, Ehre gegen Ruhm ausgetauscht.

Die beiden letzten Jahrzehnte scheinen dazu geeignet zu sein, dem aufmerksamen Beobachter eine Synopse der Menschengeschichte zu geben; so glänzend und so göttlich, und so unsinnig und verächtlich erscheint unser Geschlecht in der nämlichen Periode! Die neapolitanischen Greuel, die Wassertaufen und der Schandfleck bei Rastatt mit den letzten Missionsniederträchtigkeiten sind Erscheinungen, die nur an Größe des Umfangs hinter der Bartholomäusnacht und den Riesenverbrechen der römischen Triumvirn zurückbleiben, und die einem rechtlichen Manne eine momentane Scham abzwingen, daß er ein menschliches Gesicht trägt. Man schwor ehedem sogar in Rußland bei Pichegrus Namen: und welcher ehrliche Mann wollte den letzten Teil seines Lebens gelebt haben, hätte auch der erste noch zehnmal mehr Glanz und Größe? Mir ist es allemal mehr um den Charakter eines Mannes zu tun, als um sein Schicksal. Hat er diesen verloren, so wird dieses höchst gleichgültig. Nemesis schlage jeden mit ihrer Rute! Leider möchte man bei einem Blick über die Sache der Menschheit halb frenetisch ausrufen: Heiliger Aristides, bitte für uns! Ach, der große Moment fand nur ein kleines Geschlecht.

 


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