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Russisches Geistesleben

Wieviel die Wissenschaften unter der Regierung Katharinas der Zweiten und vorzüglich durch ihre Aufmunterung und Unterstützung gewonnen haben, ist aus den Bemühungen der Petersburger Akademie für mehrere Zweige derselben jedem auswärtigen Gelehrten hinlänglich bekannt. Es sind nicht mehr bloß Fremde, die durch ihre Verdienste in diesem Fache glänzen: obgleich auch diese, wenn der Geist wahrer Wissenschaft auf ihnen ruht, in Rußland noch immer Pflege und Achtung finden. Wer kennt nicht Pallas', Nicolais, Klingers und mehrerer andern Wert, die nahe am Pole zu einer Vollkommenheit gediehen, wie man sie jenseits der Alpen selten findet? Die Nation fängt jetzt selbst an sich mit ihren Nachbarn auf gleichen wissenschaftlichen Fuß zu setzen. Man begnügt sich nicht mehr mit den Übersetzungen kleiner Arbeiten der Deutschen und Franzosen, ob man gleich noch immer fortfährt jedes wissenschaftliche Werk oder vorzügliche Produkt des Geistes und Geschmacks beider Nationen den Russen in ihrer Sprache zu geben. Die Meisterwerke der alten Literatur werden glücklich bearbeitet. Unter Cheraskows und Petrows Feder sind Homer und Vergil der Nation selbst klassisch geworden, und wahre Kenner, die nicht Ursache haben, den Hyperboreern zu schmeicheln, versichern, daß Cheraskows Arbeit der Popeschen an Dichterwert nichts nachgibt und sie an Richtigkeit übertrifft. Die Deutschen, welche seit der letzten Hälfte des Jahrhunderts stolz auf geschmackvolle Philologie sind, haben vielleicht noch kein Werk dieser Art, das sie Petrows Aeneide sicher entgegenstellen können. Beide Männer sind Nationaldichter in ebenso hohem Grade, wie unser Voß und Stolberg. Lomonossow hatte die Bahn gebrochen und hat schon Nachfolger gehabt, die an Dichtergeist nicht unter ihm stehen und durch Korrektheit und Grazie der Sprache sich über ihn erheben. Vielleicht lächelt mancher Leser, wenn er von der Grazie der russischen Sprache hört. Der Verfasser, der nicht ganz Fremdling in dem Studium der alten und neuen Sprache ist, kann auf Gewissen versichern, daß er nach der griechischen keine Sprache kennt, die mehr Bestimmtheit und sonorischen Wohllaut hätte als die russische. Die mit ihr verwandten slavonischen Dialekte sind für sie eine unerschöpfliche Quelle. Sumorokow, dessen glänzendste Periode noch in die Regierung Katharinens fiel, lebte und starb allgemein hochgeachtet, in Ansehen und von der Kaiserin belohnt, in Moskau. Dershawin ist ein Mann, dessen Kredit als Staatsmann ebenso begründet ist als sein literarischer Ruf. Ob er gleich ein tatarischer Mursa von Geburt ist, darf man ihn doch billig unter die Nationalrussen zählen, da er seine ganze Bildung von Jugend auf in Rußland erhalten hat. Knjaschnins Theaterstücke haben alle den Stempel des wahren kaustischen Genies und liefern die Nationalsitten mit aller gutmütigen Jovialität des gemeinen Lebens und aller lächerlichen Karikatur der nachgeäfften großen Welt der Halbgebildeten, deren es in der Nation keine geringe Anzahl gibt. Als ein Beispiel des Charakteristischen in der russischen Sprache führe ich nur den Titel seines Großprahlers an. Er heißt im Russischen Chwastun. Dieses Wort, gewöhnlich recht stark durch den hohlen Gaumen ausgesprochen, gibt fast schon allein den ganzen Begriff eines gewaltigen Gaskonadenschneiders. Cheraskows Rossiade ist ein Heldengedicht, dessen Gegenstand vornehmlich der erste türkische Krieg von 1770 bis 1774 ist, und die Taten Romanzow Sadunaiskys mit seinen braven Kriegern sind in dem würdigsten Stil, ohne Schwulst, mit wahrem Dichtergeist besungen. Auch seine Schlacht bei Tschesme, wo Orlow die türkische Flotte verbrannte, bleibt in jeder Rücksicht ein Monument für den Dichter und den Nationalruhm. Wo haben die Deutschen, Gleims Kriegslieder abgerechnet, wo doch oft der Grenadier noch die Sprache eines Soldaten des Hyder Ali spricht, wo haben wir etwas in unserer Geschichte diesem entgegenzustellen? Aber wir haben noch keine Nationaltaten, wie der Russe seit Peter dem Ersten. Kein Deutscher wird besingen sollen und wollen, wie mutig und tapfer sich Deutsche mit Deutschen schlugen. Schtscherebatow in seiner Geschichte darf sich vielleicht mit Robertson messen, und dürfen wir nicht bei diesen Fortschritten bald einen Gibbon und Hume erwarten?


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