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Katharina II. und Paul I.

Sie glauben, daß ich nach meinen Verhältnissen Rußland vorzüglich kennen müsse, und wollen meine Meinung über die neuen Phänomene in dieser Region hören. Wäre das Erste, so hätten Sie zu dem Zweiten sehr gegründete Ursache. Aber Rußland ist wegen seiner ungeheuern Ausdehnung nach allen Weltgegenden, der größten Verschiedenheit der Nationen, die dieses kolossale Reich bilden, der unbestimmten Norm, nach welcher es regiert wird, und wegen der wenigen Publizität, die in Rücksicht der öffentlichen Geschäfte ausschließlich dort stattfindet, so schwer zu kennen, daß selbst Männer, die am Ruder sitzen, oft kaum bestimmt sagen können: so ist dieses, und jenes war so. In Rußland ist fast alles, was sich auf den Staat bezieht, bloß Meinung und nicht Wissenschaft, und diese Meinung, die mehr als irgendwo einem Wetterhahn gleicht, wird selten laut, als insofern sie ukasmäßig ist. Ich selbst kenne dieses Reich und seine inneren Verhältnisse sehr unvollkommen: und wenn Sie etwas von mir verlangen, so kann ich weiter nichts, als mit Ihnen aus etwas mehr Einsicht in die dortigen Dinge philosophieren, insofern man über Gegenstände dieser Art philosophieren kann und darf. Leider hat man immer die Philosophie auf diesem Gebiete zu den traurigen Quidditäten der Schule verbannen wollen: aber sie hat sich nach und nach mit ihrer Allgewalt selbst wieder in ihre Rechte eingesetzt, indem sie nach ihrem Befugnis Herz und Kopf zugleich in Beschlag nimmt. Nur ein alter vernunftlahmer Aktenritter kann noch vom juristischen und philosophischen Naturrecht sprechen: denn wenn das Naturrecht nicht ganz philosophisch ist, so kann es gar nicht juristisch sein. Dieses Kriterion sollte eigentlich auch bei jedem positiven Gesetz für bürgerliche Rechtsfälle Gültigkeit haben; man mag nachsehen, wie weit es wirklich Gültigkeit hat.

Schlimm genug ist es, daß man meistens außer den Grenzen eines Reiches sein muß, um über dieses Reich vernünftig, freimütig sprechen und schreiben zu dürfen, und daß die Ängstlichkeit der meisten Regierungen so groß ist, daß jede Berührung einer öffentlichen Sache und ihre gründliche Untersuchung verdächtig wird. Der Probierstein der Wahrheit in jeder Rücksicht ist Fähigkeit der Publizität, und ich zweifle, daß es Wahrheiten gebe, die man zum Wohl der Menschheit geheimhalten müsse. Freilich muß man dahin sehen, daß diese Wahrheiten völlig verstanden werden, welches sehr leicht ist; denn jede Wahrheit ist leicht: aber der größte Teil arbeitet dahin, daß sie entweder gar nicht oder, was noch schlimmer ist, falsch verstanden werden. Das sehen wir täglich in der Religionslehre, der Moral, dem Staatsrecht, dem bürgerlichen Recht und der Philosophie überhaupt: wo die Menge durch die gefärbten Gläser ihrer Leidenschaften sieht und nach der Richtung der Privatwünsche handelt. Die absolute Wahrheit ist Asträens Schwester: beide sind in den Himmel zurückgekehrt, und beide kommen nur Hand in Hand wieder. Die Männer sind Schutzgeister ihres Geschlechts, die sie zu uns herabrufen und ihre Altäre wieder bei uns aufbauen helfen: aber Gefahr ist, daß nicht anstatt Asträens Nemesis und anstatt der Wahrheit das Chaos der Vernunft in Trümmern erscheine. Der Mensch muß bloß menschlich beurteilt und behandelt werden: wir haben für ihn keinen andern Maßstab. Aber was ist rein menschlich? Das war die Frage vor Jahrtausenden, und noch hat keiner befriedigend geantwortet. Ich verliere mich in Rhapsodien: wir wollen zurück zu den Russen, von denen Sie hören wollen..

»Rußland ist das Land der Möglichkeiten«, sagt ein neuer französischer Schriftsteller, und will damit sagen, daß große, sonst ungewöhnliche, unerwartete Veränderungen mit Sachen und Personen in diesem Reiche nichts Ungewöhnliches sind. Die ganze Geschichte dieser Nation gibt Belege zu dieser Bemerkung. Wir dürfen nur die Phänomene derselben in diesem Jahrhundert nehmen, um uns zu überzeugen, wie wahr sie ist. Vor einiger Zeit hatte man Ursache zu glauben, Rußland würde mit dem Tode der Kaiserin Katharina der Zweiten aufhören ausschließlich das Land der Möglichkeiten zu sein, da unter ihrer Regierung alles von innen und von außen eine so feste Konsistenz zu gewinnen schien. Die Einrichtung der Staatsgeschäfte, des Militärs und der Justiz hatte angefangen einen so einförmigen, verhältnismäßig so guten Weg zu nehmen, daß es das Ansehen hatte, es dürften nur streng die vorhandenen Gesetze befolgt werden, um bald zu einer merklichen Vollkommenheit zu gedeihen.

Der Charakter Katharinens wird von den verschiedenen Parteigängern aus so verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, daß die eine Hälfte des europäischen Publikums sie als ein Muster der Regenten aufstellt und die andere sie als das Nonplusultra eines bösen Weibes verschreit. Selbst in Rußland fehlt es nicht an Stimmen für die letzte Meinung: versteht sich, daß man nur ihr Lob laut sagt und bittern Tadel mit vielen Gemeinsprüchen von Gerechtigkeit, Humanität und Eifer für Menschenwohl überzieht. Man stellt wider sie auf: ihre Thronbesteigung, ihre Kriege, ihre Eingriffe in die Rechte der Provinzen, ihre Eigenmächtigkeit von innen und außen. Ich bin zu nichts weniger verbunden und nichts weniger gesonnen, als ihr Verteidiger ohne Einschränkung zu sein; aber leicht ließe sich darstellen, daß in der ersten fürchterliche Kollision war, in welche sie sich nicht selbst gesetzt hatte, und in dem übrigen Konsequenz und folglich wenigstens nach ihrem Plan und nach ihrer Absicht für das Wohl ihrer Untertanen keine Ungerechtigkeit. Die Ursachen, Beschaffenheit und Verkettung ihrer Kriege kann ich hier nicht ausführlich behandeln. Sie sind freilich nicht so gut, als sie in ihren Manifesten sein sollen, aber auch nicht so schlecht als in den Schmähungen ihrer Feinde: und manchmal war es bloß der Fehler ihrer Minister, daß sie auch nicht bessere Manifeste machten, da sie doch bessere Gründe hatten. Man hält sich überall noch zu sehr an den Bombast der Diplomatik und des Kanzleistils, um dem Ganzen ein recht feierliches, kanonisches Ansehen zu geben, ohne zu erwägen, daß Dunkelheit und Unverständlichkeit wohl eine gute Sache schlimm, aber keine schlimme Sache gut machen können, außer bei Leuten, denen der Rauch die Sehnerven beizte, und die folglich blindlings glauben. Ihre Einrichtungen im Innern waren, wenn auch nicht vollkommen, doch musterhaft für einen Staat auf der Stufe der Kultur, auf welcher Rußland steht, und der herrliche Anfang zum kühnen Fortschreiten in jedem Felde der Humanität. Wem dieses bei einigen Phänomenen unter ihrer Regierung widersprechend scheint, der unterscheidet nicht das, was sie tat und tun wollte, und das, was durch niedrige Eigenmacht, Herrschsucht, Kabale, Geldgeiz und Leidenschaften aller Art von den Ausführern ihrer Entwürfe vereitelt wurde. Wie oft wird ein Monarch mit dem hellsten Beobachtungsgeist und dem tätigsten Eifer für seine Pflichten und das Wohl seiner Länder hintergangen! und Katharina war nur ein Weib, die, bei allen großen Eigenschaften ihres Charakters, doch in vielen Fällen immer nur sehen konnte, wie man sie sehen lassen wollte. Auf ihrer Reise nach Cherson hatte man plötzlich am Wege ungewöhnliche Wohlhabenheit geschaffen; es war auf Potemkins Wort schnell eine neue Schöpfung entstanden, und selbst sonst öde Gegenden wimmelten von glücklich scheinenden Menschen. Hätte sie nur fünfzig Werste links oder rechts abwärts von der Heerstraße gemacht, mit welcher Empfindung würde sie die wahre Gestalt des Landes gesehen haben, die man ihr verbergen wollte! Was sie tun konnte, hat sie getan. Die großen Wohltaten, die sie mehr als dreißig Jahre ihren Nationen zu erweisen gesucht und wirklich erwiesen hat, müssen ihre Fehler zugedeckt haben. Der Verfasser der hyberboreischen Briefe nennt sie im heiligen Enthusiasmus für Humanität a great bad woman; ich weiß nicht, mit welchen Gründen der Mann seinen Ausspruch beweisen will. Das Buch hat den Vorteil eines guten Stils und einer angenehmen Erzählung; aber wider den Inhalt dürften Sachkundige in mehreren Punkten mit Recht ihren Protest einlegen. Die Nachwelt wird gewiß der Frau die Gerechtigkeit widerfahren lassen, die sie verdient: sie höchstwahrscheinlich nicht zum vollkommenen Regentenmuster aufstellen, aber sie doch von den Anklagen und Schmähungen lossprechen, mit welchen der gleichzeitige Parteigeist jeden ihrer Schritte verfolgte.

Ich kann weder ihr Panegyrist, noch ihr Geschichtsschreiber sein; aber ich muß einiges von ihr erwähnen, ehe ich mit Ihnen über mehrere Maßregeln des jetzigen Kaisers spreche, die den ihrigen geradezu entgegengesetzt zu sein scheinen. Jedermann weiß, wieviel Publizität und Liberalität des Denkens unter Katharina der Zweiten in Rußland gewonnen haben, wieviel sie durch Nationalerziehung auf Nationalbildung zu wirken suchte und in der Tat wirkte, mit wie vielem Eifer sie dem Chaos der russischen Justiz durch Einführung der Gouvernements und guter Dikasterien einige Gestalt zu geben wußte. Das Wohltätige der Verordnungen wurde überall verspürt, und man tröstete sich billig, daß die Zeit das noch Mangelhafte verbessern würde. Freilich schrie der livländische Adel über Beeinträchtigung seiner Privilegien und suchte anfangs die Verordnungen der Monarchin in dem gehässigsten Lichte darzustellen. Es wurde ihm dadurch die uneingeschränkte eigenmächtige Jurisdiktion über seine Leibeigenen aus den Händen gewunden, oder sie wurden wenigstens der Aufsicht des Gouvernements nähergestellt, da die Regierung Sorge trug, daß der Landmann wenigstens dem Namen nach als Person, und nicht mehr als Sache, behandelt wurde. Man murrte, weil man bei jeder Neuerung fürchtet: aber bald schwiegen alle Stimmen zum Vorteil der neuen Ordnung der Dinge still; und nur hier und da wurmte es noch einige alte hochmeisterliche Familien, die nun nicht mehr, wie vorher, das Magnatenwesen treiben, die übrigen als Klienten um sich her versammeln und durch ihren Einfluß den größten Teil der Provinz von sich abhängig machen konnten. Der Adel verlor zwar die Ritterschaftsgüter; aber die Einkünfte dieser Güter wurden zur Besoldung der neuen Dikasterien verwandt, und diese Besoldung kostete der Regierung doppelt die Summe dieser Einkünfte. Wenn die Justiz deswegen zuweilen nicht besser ging und ihre wächserne Nase noch immer nach allen Angeln gedreht wurde, so war die Monarchin zu bedauern, daß ihre wohlgemeinten Absichten durch Bosheit, Kabale und Kastengeist oft so sehr vereitelt wurden. Der Adel selbst gewann, wenigstens der ärmere Teil desselben, beträchtlich, und der angesehenere verlor bloß seine Bassawürde. Die Stellen waren zwar nur mäßig besoldet; aber ihre Anzahl war groß, und eine Menge junger Edelleute ohne Vermögen von Hause gewannen dadurch eine ehrenvolle Aussicht auf das Leben. Durch ganz Rußland hatte die Einrichtung bei weniger Schwierigkeiten den nämlichen Vorteil; denn der russische Adel konnte keine solchen ausschließlichen Privilegien prätendieren und war, als Hauptnation betrachtet, nach der alten Verfassung des Reichs unbedingter dem Willen des Monarchen unterworfen. Wenn die neue Justizverfassung der Kaiserin nicht absolute Vollkommenheit hatte, so war sie, was jede menschliche Verordnung ist, und die Ursache ihrer Mängel lagen mehr in den Gesetzen als der Verfassung, mehr in den Verbrechen der Verwalter als der Verwaltung. Sie war nicht unbedingt gut; aber sie war doch die beste, die in den Umständen möglich war, und folglich die beste für Rußland, und sie enthielt den Grund, wenn man darauf fortgebaut hätte, zu einem herrlichen Gebäude für wahre Gerechtigkeit und Humanität. Freilich wäre dem Adelssinn und Kastengeist dadurch nicht sehr geraten gewesen: aber ist es denn nicht eben dieser Adelssinn und Kastengeist, der die meisten Staaten, soviel ihrer die Menschengeschichte nennt, so lange niederdrückte und zerrüttete, bis endlich die Maschine eines natürlichen oder gewaltsamen Todes durch innerliche oder äußerliche Ursachen starb?

Paul der Erste ließ es seine erste Sorge sein, diese neue, aber schon zur Festigkeit gediehene Ordnung wieder zu ändern und den alten Gang der Geschäfte herzustellen. Ich weiß nicht, ob diese Veränderung durch ganz Rußland geht, aber in Kurland, wo sie kaum angefangen hatte, und Livland und Estland ist sie gewiß. Die Veränderung ist gewiß; es fragt sich nun, ob auch die Verbesserung? Daß der Monarch Verbesserung gewünscht und gewollt hat, ist kein Zweifel: denn es wäre Unsinn, ihm eine andere Absicht unterzuschieben, da in allen menschlichen Verhältnissen keinem Manne auf Gottes Erdboden mehr daran gelegen sein muß; Gutes zu wirken oder wenigstens den guten Willen der Nation, über die er gebietet, zu gewinnen. Und dieses gewinnt man nur, indem man ihr wahres Glück zu befördern sucht. Nichts ist gefährlicher, als Despot zu sein; eine Wahrheit, welche die Geschichte mit hundert blutigen Beispielen belegen kann! Und doch arbeiten so viele in großen und kleinen Sphären auf Despotismus hin: vielleicht ohne alle Absicht, weil sie die Menschen und ihre Verhältnisse, ihre Tugenden und ihre Schwachheiten und alle ihre Leidenschaften nicht genug in Erwägung ziehen. Wenn der Kaiser Paul bei seiner Regierung die Absicht hat, unbegreiflich wie die Gottheit zu sein, so hat er bis jetzt in vielen Dingen die Absicht erreicht. Sein Charakter war anerkannt von jeher strenge Gerechtigkeit, Ordnungsliebe und Unparteilichkeit. Ein Monarch hat selten öffentliche Feinde, aber desto mehr Widersacher im stillen: und selbst diese und alle diejenigen, die unter seinen bisherigen Verfügungen litten und seine Maßregeln mißzustellen suchen, sind genötigt, diesen Charakter zu unterschreiben. Aber mit diesem Charakter kann doch vieles gegen denselben geschehen, ohne daß er beleidigt würde, und ich fürchte fast, daß dieses in mancher Rücksicht, sowie in dieser, der Fall sei. Es ist eine Krankheit der meisten neuen Regierungen, in allem das Gegenteil der alten zu tun, so sehr, daß es in allen Sprachen zum Sprichwort geworden ist.

In Petersburg hat man zu dieser alten Bemerkung ganz neue Belege. Der Kaiser hat die von seiner Mutter festgesetzte Justizverfassung in gedachten Provinzen wieder aufgehoben und die alten Privilegien wieder hergestellt. Das klingt schön, und es ist nur zu bestimmen, ob es gut ist. Unstreitig haben einige Männer von Gewicht oder Gunst, welches oft gleichviel ist, welche neue Aspekten auf das alte Magnatenwesen haben, dem Monarchen vorgestellt, daß doch das Versprechen Peters des Großen, die Vorrechte der Provinzen zu schützen, verletzt sei, und daß man solche Verfügungen allerdings noch etwas bitter empfinden müsse, und der Monarch würde sogleich bei dem Antritte seiner Regierung die enthusiastische Liebe dieser Provinzen durch Rückgabe dieser Privilegien erwerben. Die Maßregel war sehr leicht und der Preis sehr schmeichelhaft. Ein Federstrich kassierte, was eine lange mühsame Arbeit gebaut hatte. Was ward nun dadurch gewonnen und verloren? Gewonnen ward wohl vorzüglich die ausschließliche Zufriedenheit der vornehmsten, parteiführenden, reichen Familien, die nun durch ihre Sippschaft die Staatsämter wieder in ihre Disposition bekommen; gewonnen ward der Überschuß der Kosten zu der Einrichtung unter Katharina der Zweiten; gewonnen ward die Bedingung, welche jetzt hinzugefügt wurde, daß die Provinzen im erforderlichen Falle Rekruten stellen sollten: eine Bedingung, die sich bei gesunden Begriffen vom Staatsrecht von selbst versteht! Die Provinzen blieben von der Rekrutierung verschont wegen der Verheerungen zu Ende des vorigen und Anfang des jetzigen Jahrhunderts durch Krieg und Pest. Daß sie sich bei ihrer natürlichen Fruchtbarkeit leider noch nicht außerordentlich erholt haben, spricht nicht sehr zum Vorteil ihrer Kultur und der Humanität ihrer Besitzer. Dieses, ward gewonnen; aber der Verlust ist von der andern Seite wohl nicht geringer als der Gewinn. Es wurden durch die schnelle Veränderung eine Menge leidlich glücklicher Familien in Mangel, vielleicht oft in den drückendsten Mangel versetzt. Männer, welche dem Staat dreißig und mehr Jahre mit Rechtschaffenheit und unermüdetem Eifer gedient hatten, wurden auf einmal als nicht existierend angesehen und wurden in den Provinzen, denen sie ihre Kräfte geopfert hatten, auf deren Dank im Alter sie gerechten Anspruch machen durften, ein Gegenstand des öffentlichen Mitleids, und noch dazu vielleicht oft eines Mitleids ohne Wirkung. Ohne ein Quartalgehalt wurden Männer mit Familien den Sorgen der Nahrung überlassen, deren ganzer Reichtum eben der Ertrag ihrer Stellen oft zur kleinen Belohnung für beschwerliche Kriegsdienste gewesen war. Der neuen Ämter sind nun weniger; also ist die Hoffnung zu Stellen geringer. Der Adel wird gewiß nicht mehr zur Verwaltung der öffentlichen Geschäfte ausgeben, als die zurückgegebenen Ritterschaftsgüter Einkünfte bringen. Zu fürchten ist, daß eben deswegen die Justiz, die leider in Rußland zuvor noch sehr nachlässig war, desto schlimmer gehen werde, da sie zumal nun nicht mehr unter der ganz nahen Aufsicht der Regierung stehen wird. Welchen Gang wird die Gerechtigkeit haben, wenn sich der Senat mit der Appellation in jeder kleinen Privatsache beschäftigen soll, da bisher schon Prozesse von der größten Wichtigkeit auf die lange Bank geschoben wurden? Nun kommt es darauf an, ob der Oberlandrichter, oder wer sonst der Matador in der Provinz sein wird, ein Mann von Grundsätzen, Entschlossenheit, Mut und Eifer ist, und wehe dem ärmeren Teile der Rechtenden, wenn dieses dem Zufalle überlassen bleibt! Aber höchst wahrscheinlich wird es noch schlimmer sein. Der Adel ist nun ganz wieder allein Person in den Provinzen. Unter Justiz versteht er, was zur Feststellung oder wohl gar Erweiterung seiner sogenannten Privilegien dient. Er wird immer einen Mann wählen, der mit Mut und Klugheit diese Vorrechte des Adels zu verteidigen bereit ist. Jedermann weiß, was die Rechte des Adels in den meisten Ländern bedeuten, und was sie in Livland und den angrenzenden Ländern zu sagen haben, davon hat die Humanität der meisten übrigen Länder keinen Begriff. Snell und Merkel haben die Sache nicht übertrieben, selbst nach dem Geständnisse der Vernünftigern aus der Gesellschaft der Unterdrücker nicht übertrieben. Jeder Reisende, der in den Provinzen nur etwas rechts und links von der Poststraße abgewandelt ist, kann in einer Woche Szenen genug sammeln, um sein ganzes Leben bei der Erinnerung Herzdrücken zu haben: auch wohl die Poststraße selbst kann ihm solche empörende Beispiele zeigen. Merkel spricht von den Letten in Livland: ihre unglücklichen Brüder in Kurland liegen unter einer noch härteren Geißel, je weniger sich der kurländische Adel bisher um seine schwachfüßige Regierung bekümmerte. Ein jeder spielte nach Gefallen den Wohltäter oder den Verderber, den Vater oder den Tyrannen in seinem Gebiet. Natürlich, daß der kurländische Adel die neuen russischen Einrichtungen gar nicht nach seinem Geschmacke fand, und daß der General Palen als Ordnungsstifter in Mitau, wenn auch nach Weltsitte viel freundliche Gesichter, doch wenig freundliche Gesinnungen zur Erreichung der Zwecke der Monarchin antraf. Die Esten bei und über Dorpat sind nicht besser daran, nur daß sie noch etwas mehr Nationalenergie haben; und ihre wahre Schilderung könnte ein Gemälde machen, das dem Merkelschen von den Letten nichts nachgeben würde. Alle diese armen Leute hatten die Hoffnung, nach und nach durch Unterstützung der Regierung in ein vernünftiges, menschliches Verhältnis im Staate zu treten. Die Monarchin würdigte sie ihrer Sorgfalt. Das klingt seltsam; ein Monarch würdigt eine seiner Nationen seiner Sorgfalt, als ob das nicht seine Pflicht wäre, deren Vernachlässigung sich zuweilen fürchterlich rächt: aber leider waren sie über ein ganzes Jahrhundert gar keiner Sorgfalt gewürdigt worden. Nun sind sie nach Aufhebung der Statthalterschaftsregierung wieder ihren Gewaltigen auf gänzliche Diskretion übergeben. Der Adel ist wieder ausschließend in seiner eigenen Sache Richter, Vollstrecker und Machthaber: das nulle pactum ist wieder da, auf einer Seite lauter Rechte und keine Pflichten, auf der andern lauter Pflichten und keine Rechte. Denn Rechte, die ich nicht behaupten, und Pflichten, deren Erfüllung ich nicht erzwingen kann, sind, solange dieser Zustand dauert, so gut als nicht existierend. Über Gerechtigkeit, Menschenliebe und Humanität wird nirgends mehr deklamiert als in jenen Provinzen selbst von denen, die Antipoden derselben sind, und die durch ihren Zungenbeitrag die Pflichten selbst quittiert zu haben glauben. Der Kaiser Paul hat gewiß nicht erwogen, und man hat sich gehütet, es ihn ahnen zu lassen, daß der Wolf nie ein guter Hirte werden wird, auch wenn er seine ganze Haut zum Unterpfande setzte. Es sei fern von mir zu glauben, daß nicht eine Menge Individuen der Genossenschaft recht menschliche Geschöpfe sind! Aber eben diese werden schwerlich die Verwalter der Gesetze werden: und was ist das unter so viele? Bonis non scriptae leges, und die Schlimmen, für welche sie eigentlich sind, erhalten Mittel, sich durchzubrechen oder durchzuschleichen. Die Einförmigkeit der Justizverwaltung, einer der größten Vorzüge eines Reichs, wird gestört. Die leidigen Privilegien waren gestorben und vergessen; jetzt sind sie wieder zum Leben erweckt worden: wird aber ihr Leben Segen oder Fluch verbreiten? Schon in dem Worte Privilegien, ein Überrest aus dem alten römischen Sauerteige, liegt, nach geläuterten Begriffen des Staatsrechts, eine Ungerechtigkeit, ein Widerspruch. Eine Ausnahme vom Gesetz auf einzelne Individuen oder Gesellschaften ist eine Beleidigung der Übrigen, die dem Gesetz Untertan sind. Zugegeben, daß es Fälle gibt, wo dergleichen Ausnahmen durch Not und Klugheit geboten und also entschuldigt werden, so ist die Staatsverfassung gewiß nicht weise, wo dergleichen Fälle vervielfältigt erscheinen, und diejenige ist die vernünftigste, wo die wenigsten sind. Der Monarch ist allen seinen Provinzen und jedem Gliede derselben gleiche Sorgfalt für ihr Glück und ihre Wohlfahrt schuldig. Wenn die Privilegien konsequent in einer gesunden Politik und in einem gereinigten Staatsrecht gegründet liegen, sind sie überflüssig, denn sie sind des Monarchen Pflicht; sind sie dieses nicht, so sind sie ungültig, denn sie sind, wie die Juristen zu reden pflegen, contra jus in thesi, das heißt hier: wider die Vernunft, die Absicht der Gesellschaft. Wo viele Privilegien sind, ist es ebenso bedenklich, als wo viele Gesetze sind: und meistens ist beides verbunden. Wenn man sich immer die Mühe geben will nachzudenken, so wird man jederzeit finden, daß ein Teil die Privilegien des andern bitter entgelten muß. Jedes Privilegium ist ein Kollisionsfall, wo eine kleine Ungerechtigkeit auch für das Ganze einen großen Vorteil erreichen soll: wenn der Vorteil aber gar nicht für das Ganze und bloß für einzelne Individuen ist, so ist das Privilegium Unsinn, dergleichen wir freilich in unserer moralischen Welt vielen haben. Soviel von der Veränderung der Justizverfassung! Mich deucht, jeder sieht ein, wie mißlich das Unternehmen ist und welche unglücklichen Folgen es für die Provinzen haben kann, die nun ganz wieder der Willkür des Adels überlassen werden. Sonst konnte freilich der Bauer nur sehr schwerlich Recht gegen seine Peiniger erhalten; nun wird es fast unmöglich sein. Jedes Land hat noch etwas von diesem alten Sauerteig, und überall sucht der Adel noch gern sich in ausschließlichen Besitz der wichtigsten Richterstellen zu erhalten; aber nirgends hat er doch ohne Ausnahme gesetzlich die ganze Jurisdiktion, wie er sie sich in diesen für die niedern Volksklassen so unglücklichen Provinzen angemaßt hat. Es fing an sich eine Idee von Volk zu bilden, welche nach, und nach zur Kultur hätte leiten können: nun wird selbst diese Idee verschwinden, und Jahrhunderte werden sie nur mit Mühe wieder herbeiführen können.

Ein zweiter zwar minder wichtiger, aber doch nicht unwichtiger Punkt, in welchem der Kaiser Paul sogleich neue Verordnungen ergehen ließ, ist die Zensur und das Bücherwesen. Unter Katharina der Zweiten herrschte anfangs in dieser Rücksicht eine völlige Freiheit. Die allgemeinen vernünftigen Bedingungen verstehen sich von selbst, nach welchen wider gute Sitten, öffentliche Religion und Staat nicht geschrieben werden durfte. Der Mißbrauch dieser Freiheit führte zwar die Zensur ein; aber sie war doch durchaus sehr liberal und nur in Ansehung der Bücher in russischer Sprache etwas behutsamer. Man erstaunt in Deutschland billig über die Freimütigkeit der Schriften, die in Petersburg geschrieben, gedruckt und verkauft wurden. Niemand hielt sie für gefährlich, weil sie es in einer wohlgeordneten Regierung nicht waren. Wahrheit ist immer nützlich, und Kalumnie wird verachtet und stirbt. Man las Spottgedichte auf die Monarchin in der Peripherie des Hofes, und sie nahm sich nicht die Mühe, deswegen eine Inquisition anzustellen. Sie ließ schmähen und handelte; ihre Taten blieben, und von den Schmähungen weiß niemand etwas mehr, wenn sie auch damals das gärende Hirn einiger Witzlinge kitzelten. Die ausländischen Bücher waren ausländische Waren, von welchen jeder nahm, was nach seinem Geschmack war. Wo die gewöhnliche Klugheit einige Behutsamkeit erforderte, verbannte man wenigstens alle Ängstlichkeit. Es wurden in Rußland Bücher und Zeitschriften öffentlich gelesen, die in Deutschland schwer verpönt waren: und niemand war deswegen mit der Regierung unzufrieden. Jeder aß und trank, sagte sein Bonmot glücklich oder unglücklich und ging in das Kontor, das Gericht oder auf den Exerzierplatz. Er hatte nicht zu klagen, und diejenigen, welche vielleicht zu klagen gehabt hätten, lasen überhaupt gar keine Bücher und werden wohl in einem Jahrhunderte noch keine lesen. Fremde wunderten sich, in Rußland so liberale Gesinnungen in dieser Rücksicht bei der Regierung zu finden. Der Franzose, der Engländer, der Deutsche fanden ihre klassischen Landsleute wieder und in größern Ehren als zuhause. Nun erscheint auf einmal ein strenges Zensuredikt, um den neuen Sauerteig auszufegen, damit er ein alter Teig werde. Die Absicht des Monarchen dabei ist gewiß höchst heilsam; es fragt sich aber, ob sie durch das Mittel erreicht wird. Dem Fortrücken einer Nation in ihrer Bildung auf diese Art Grenzen zu setzen, ist bei der jetzigen Publizität etwas schwer. Es wird konfisziert und verbrannt, was man konfiszieren und verbrennen kann: unstreitig weit mehr, als der Wille des Monarchen und des Ministeriums ist. Es ist nur schade, daß oft gleichgültige Bücher durch diese Kriminalprozedur erst ein Interesse gewinnen und gesucht werden, daß man dann erst anfängt sie zu studieren, zu verstehen oder mißzuverstehen und das etwaige Gift herauszusaugen. Ein. verbranntes Buch wirkt nur stärker durch das Feuer, und eine Menge Bücher würden nicht so viel Kredit erhalten haben, wenn sie nicht verbrannt worden wären. Es ist wohl eigentlich eine ziemlich gleichgültige Sache, ob man den deutschen Merkur in Riga konfisziert und den Genius der Zeit verbrennt oder nicht; aber gewiß gewinnen beide Produkte nur desto mehr die Aufmerksamkeit des nordischen Publikums, wenn es auch nur aus Neugierde und bloßem Spieltrieb wäre, und ein einziges verborgenes Exemplar wird mehr gelesen als sonst fünfzig. Das Zensuredikt ist freilich nicht mehr und nicht weniger strenge als in den meisten übrigen Ländern; aber bei dem ungeheuern Geschäftskreise in Rußland haben die Zensoren ausgebreitete Macht, willkürlich ihr Autodafé über jedes Buch zu halten, das irgendeine Ketzermiene trägt. Es werden dazu nicht immer Männer von liberaler Sinnesart genommen, aber wohl Männer von Gewissenhaftigkeit im theologischen und politischen Verstande, die dann freilich den Spaniern wenig nachgeben werden. Die Geistlichkeit hat dabei Gelegenheit, den Rest ihres kanonischen Ansehns zu retten, und die kleinliche Engbrüstigkeit der Gerichtsleute spricht Anathema über alles, was auf irgendeine Weise eine etablierte Ehrenkaste beleidigt oder ihre Befugnisse mit der Sonde der Vernunft zu berühren scheint. Man tut, glaub' ich, den Büchern und Bücherschreibern zuviel Ehre, wenn man so große kosmische Wirkungen auf ihre Rechnung setzt, obgleich ihr mittelbarer Einfluß auf Nationalangelegenheiten nicht ganz zu verkennen ist. Die Wahrheit dringt endlich ohne Buch durch, und Glaukome halten sich in den besten Schriften in die Länge nicht. Das meiste Gute und Böse ist ohne Bücher geschahen, und das mit Recht; denn es geschah aus der menschlichen Natur nach Ursachen, die tiefer liegen als auf Papier und Pergament. Die Römer hatten keine Bücher, als ihre Plebejer auf den heiligen Berg gingen und sich ihre Tribunen ertrotzten. Die Griechen hatten außer ihrem Homer und Hesiod, die nichts weniger als Freigeister waren, kein Buch, als sie bei Marathon schlugen und ihren Schriftstellern durch ihre Taten erst Stoff zur Geschichte gaben. Weder Rousseau, noch Voltaire, noch Mercier haben die französische Revolution bewirkt; wenigstens ist ihre Mitwirkung wie ein Regentropfen, der in den Ozean fällt. Wäre der Adel in Frankreich in der Behandlung seiner Untertanen nicht noch so ostgotisch und die Geistlichkeit nicht gedankenlos sybaritisch gewesen; hätte die Regierung nicht das Mark der Nation verschwendet, um dann an ihren Knochen zu nagen; hätten alle zusammen etwas mehr auf die wahre Natur des Menschen kalkuliert, so hätte Voltaire spotten und Rousseau predigen, Voltaire zehn Mahomeds und Rousseau zehn bürgerliche Verträge schreiben mögen: die Franzosen hätten sie gelobt und getadelt und wären ruhig geblieben. Um eine Nation zu verführen, muß die Nation unzufrieden sein, und diese ist es nie bei einer guten Regierung. Die französische Regierung hat sich selbst gestürzt; die Nation hat Rousseaus Kontrakt erst spät nachher zu ihrem Katechismus gemacht. Ob es gleich das wichtigste Werk des Mannes ist, so nannte man es doch kaum unter seinen Meisterstücken, und la loi naturelle, die größte Arbeit Voltaires, wird neben seinem Mädchen und seinen prächtigen Theaterstücken und philosophischen Rhapsodien kaum bemerkt. Hat Aretin durch seinen Spott den italienischen Fürsten großes Leid zugefügt? Er wurde die Geißel der Fürsten genannt; aber keiner ist von seiner Geißel gestorben, noch durch ihn um eine Mahlzeit ärmer geworden. In Rom beförderte die griechische Philosophie des Karneades und Konsorten wohl vielleicht die Despotie; aber Brutus konnte mit der ganzen Stoa das alte Staatsgebäude nicht retten: und keine philosophische Sekte war doch eine so große Stütze der Freiheit als die Stoa. Die Revolutionen wurden immer durch innere Krankheiten verursacht. Wo die Könige fielen, haben sie durch ihre bösen oder übel berechneten Anschläge ihr Urteil selbst geschrieben. Wie will ein Mann über Menschen herrschen, der die Menschen nicht kennt? Durch Liberalität ist noch keine Regierung gestürzt worden, aber wohl durch engbrüstige despotische Einschränkung. Nie hat wohl ein Mann willkürlicher regiert als Friedrich der Zweite; aber er war ein Mann in dem echten Sinne des Wortes, und in keinen Staaten herrschte größere Freiheit des Kopfes als in den seinigen. Wo die Grundlage der Regierung Gerechtigkeit, Volkswohl und Humanität ist, hat niemand etwas Besseres zu wünschen, und die Machinationen der Übelgesinnten zerstieben wie schlimme Dünste in einem strengen Morgenwinde.

Die Bücherkommissionen in Petersburg, Moskau und Riga bestehen meistens aus Russen, einem Geistlichen, einem sogenannten Gelehrten und einer Zivilperson. Die Engbrüstigkeit der Geistlichkeit kennt man an allen Orten, und nirgend ist im Durchschnitt diese Menschenklasse alt-rechtgläubiger, das heißt vernunftleerer als in Rußland. Es gibt Ausnahmen; aber selten sind die Ausnahmen Bücherzensoren: und selbst freimütige Denker ihres Standes gewinnen durch das Furchtbare ihres Auftrags eine gewisse Angst, in welcher sie gern die Vernunft gefangennehmen unter den Gehorsam der Ordonnanzen. Wenn man nun auch alle neuen Broschüren unterdrückt, konfisziert und verbrennt, kann man denn auch die klassischen Werke der gebildeten Nationen vernichten, die in jedermanns Händen sind, ohne zu befehlen: Es soll alte Barbarei sein? Kann man alle Rousseaus und Voltaires und Raynals, alle Shaftsburys und Bolingbrokes auf den Scheiterhaufen tragen? Und gesetzt, dieses wäre möglich, so darf unter schwerer Verpönung niemand den Cicero und Plato in die Hand nehmen, niemand den Livius, Thacydides und Plutarch lesen, der nicht von dem bösen Enthusiasmus des Altertums angesteckt sein will. Die Krankheit der Freiheit ist bei ihnen etwas heftiger epidemisch und etwas weniger vernünftig als vielleicht bei den meisten Neuern. Die Regierungen mögen nur sorgen, daß sie selbst gut seien, gut werden und gut bleiben, das Volk wird gewiß nicht böse sein. Es ist eine glückliche gutmütige Schwachheit des Volks, daß es sich führen läßt, solange man es nur leidlich führt. Die Minister, welche laut das Gegenteil schreien, sind vermutlich keine guten Führer, oder sie traten schon in unleidliche Verhältnisse. Ich kann und mag hier nicht untersuchen, inwiefern gänzliche Pressefreiheit dem Staate gefährlich werden könne; aber daß die Eingeschränktheit der politischen und religiösen Bonzen recht eigentlich dazu gemacht ist, alles Emporstreben des Geistes zuerst niederzudrücken und dann durch den Druck emporzuheben, ist eine Wahrheit, die jetzt wohl niemand mehr leugnet, niemand mehr zu bekennen Bedenken trägt. Es leiden unter der Veranstaltung nicht bloß einige Buchhändler und Liebhaber; diese können sich leicht trösten, oder ihre Klagen sind von keiner Wichtigkeit. Aber man macht die Menge mißtrauisch und flößt ihnen den Gedanken ein, die Regierung verrate Furcht. Furcht ist überall ein schlimmes Zeichen, am allermeisten bei Männern, die am Ruder sitzen. Die Klugheit muß, wenn sie konsequent mit sich selbst handeln will, nicht den Strom zu dämmen, sondern ihn abzuleiten suchen, sonst geht es vielleicht wie mit dem schlecht berechneten rigischen Wasserbau an der Düna: die Flut bricht durch und wirft wenigstens Sandbänke in das Fahrwasser, welche sehr hinderlich sind.


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