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Kosciuzko

Es sei mir erlaubt, auch noch etwas über Kosciuszko zu sagen! Da der Mann dieses Jahr eine so merkwürdige Rolle gespielt hat und von Verschiedenen so verschieden beurteilt, von einigen als Held und Heiliger erhoben und fast angebetet und von andern als Bösewicht verdammt wird, so können ein paar Worte von einem unparteiischen Manne, der seine Demarchen zuweilen in der Nähe beobachtet hat, nicht unangenehm sein. Personen, die ihn in der Jugend gekannt haben, sagten mir von seinem exzentrischen Genie in seinen Knabenjahren schon vieles. Er habe in der Schule beständig einsam mit sich gelebt, nur wenig und immer bestimmt gesprochen, vorzüglich Geschichte und Mathematik studiert und in der Geographie schon damals eine seltene Stärke besessen. Das letzte hat er in dem letzten Feldzuge nicht ganz gezeigt; denn welches Land sollte ihm billig wohl besser bekannt gewesen sein als sein Vaterland? Die Geschichten von Czechoczin und Maczewicza zeugen aber nicht von dieser vollkommenen Kenntnis, wenigstens nicht von dem Vorteil, den ein General daraus ziehen mußte. In Amerika soll er bei mehreren Gelegenheiten mit viel Kenntnis und Mut zu Werke gegangen sein, und in der Belagerung von Ninety-Six läßt ihm der amerikanische Geschichtsschreiber vieles Lob widerfahren. In dem ersten Feldzuge gegen die Russen unter Kochowsky ist er, nach Übereinstimmung aller Polen und Russen, der einzige, der den letzten noch einigen Widerstand geleistet hat, und die Aktion bei Dubenko, wo der russische Obrist Palmbach blieb, ist, nach Aussage der russischen Offiziere selbst, sehr zu seinem Ruhme. Er hielt sich daselbst mit ungefähr 4000 Mann gegen 16 000 Russen sechs Stunden auf einem Posten, den zu befestigen er nur 24 Stunden Zeit gehabt hatte, und zog sich, nachdem er den Russen außerordentlichen Schaden zugefügt hatte, ohne großen Verlust von seiner Seite zurück, indem er nur sechs Kanonen verlor. Es war natürlich, daß die Revolutionäre ihn zu ihrem Anführer wählten. Die Sache war für Rußland und Preußen gefährlich genug und hätte weit gefährlicher, vielleicht schrecklich, werden können, wenn der Plan gehörig angelegt und ausgeführt worden wäre, und wenn ihn nicht die übereilte Hitze des Madalinsky und einiger andern Hitzköpfe verdorben hätte. Als dieser voreilig losgebrochen war, blieb Kosciuszko weiter nichts übrig, als entweder die Sache aufzugeben oder sie zu nehmen, wie sie war. Soviel auch seine Landsleute von seiner Klugheit und Mäßigung sprachen, konnte ich doch gleich anfangs beides nicht in seinem Betragen finden. Sein Manifest gegen die Kaiserin und den König war so heftig, so anzüglich, so beleidigend, so rebütant selbst für Mäßiggesinnte, daß ich nicht begreifen kann, wie ein sonst so vernünftiger Mann dergleichen Dinge schreiben konnte. Vermutlich hoffte er durch dergleichen mehr als bittere Personalitäten auf das Volk zu wirken; er wirkte aber fanatisch: und Fanatismus hält nie Stich. Man muß seinem Feinde sein Unrecht zeigen, mit kalter Vernunft sprechen und selbst in der Wärme wenigstens nie die Grenzen des konventionellen Sittlichen überschreiten und nicht Dinge einflechten, die nicht zu dieser Sache gehören; man muß ihn schlagen und ihn nicht schimpfen. Wo ich Schimpfworte höre, es sei wo es wolle, gehe ich immer voll Mißtrauen zurück. Es fehlte Kosciuszko nicht an Anhängern in den neuen preußischen und russischen Provinzen; seine Heftigkeit schreckte sie billig alle ab und machte sie mißtrauisch. Den Nutzen seiner Sensenträger hat noch kein Militär gehörig einsehen können. Die Pike ist eine fürchterliche Waffe und, wenn sie gut und zweckmäßig gebraucht wird, von schrecklicher Wirkung. Man hat, glaub' ich, nicht ganz richtig gerechnet, daß man sie seit dem spanischen Sukzessionskriege völlig außer Gebrauch gesetzt hat. Aber Kosciuszko bediente sich ihrer augenscheinlich nicht mit dem besten Vorteil, den er daraus ziehen konnte. Er ließ die Pikenträger durch das feindliche Feuer an der Spitze avancieren; natürlich prallten die Neulinge, die noch kein Feuer gewohnt waren und selbst weder Feuerwaffen hatten, noch durch dieselben gehörig unterstützt wurden, meistens zurück, und das feindliche Feuergewehr wütete sodann fürchterlich unter ihnen. Nach meiner Meinung hätte er sie beständig kräftig durch Feuer unterstützen oder sie zur Resource ins zweite Treffen oder in kleinere Intervallen stellen können, wie er, nach dem, was ich von dem Gefechte zwischen ihm und Tormasow bei Krakau gehört und gelesen habe, daselbst mit Vorteil getan hatte. Bei Czechoczin ist mir kaum begreiflich, wie er nicht wußte, daß die Russen und Preußen sich vereinigt hatten. Hat er es gewußt und seinen Soldaten verschwiegen, so weiß ich keinen Grund zu diesem Benehmen, aber wohl manchen dagegen; wußte er es nicht, so war es augenscheinlich die größte Vernachlässigung, zumal da in der dortigen Gegend die Gemüter so gestimmt waren, daß jeder Bauer gern Nachricht gab. Sein Rapport war, daß man schließen muß, er habe die Vereinigung nicht gewußt. Auf alle Fälle konnte sie aber doch höchstwahrscheinlich vermutet werden, und der Soldat mußte daher mit der größten Aufmerksamkeit darauf vorbereitet sein, damit ihn nichts Neues, nichts Unerwartetes und Vergrößertes in Schrecken setzte, wie das nach seinem eigenen Rapport an den Nationalrat der Fall war. Seine Verteidigung unter Warschau ist, nach dem Urteil aller Kenner, meisterhaft. Daß ihn Fersen nach dem Übergang über die Weichsel hinterging, war leicht zu entschuldigen, da Fersen den ganzen Strom aufwärts in seiner Gewalt hatte; aber daß er sich, als er ihm folgte, in einer so unglücklichen Stellung überfallen ließ, als Eingeborener nicht weit von der Residenz überfallen ließ, ist gewiß unverzeihlich. In einem solchen Falle ist keine Entschuldigung gültig, daß man den Feind nicht so nahe geglaubt habe; man muß vielmehr glauben, daß der Feind fliegen könne, wenn man Maßregeln zu seiner Sicherheit nimmt. Der Ausgang hat gelehrt, was zu fürchten war. Auf Poninsky war nicht sicher zu rechnen; denn mancherlei Hindernisse konnten ihn zurückhalten, auch ohne daß er ein Verräter war. Bei allem dem bleibt Kosciuszko immer ein Mann, der Achtung verdient, ein ehrlicher, rechtschaffener, braver Mann, den nur Not, heißer Patriotismus und falsche, aber doch noch wahrscheinliche Hoffnungen zu einem Schritte brachten, der seiner Nation letal wurde. Diejenigen tun ihm augenscheinlich unrecht, welche in seinem Kopfe eine Cromwelliade suchten: ob er gleich vielleicht in manchen Fällen besser getan hätte, nicht so eigenmächtig zu handeln. Man hatte vermutlich ziemlich sicher auf auswärtige Unterstützung gerechnet, und ich glaube, es ist selbst die Schuld der Polen, daß diese nicht erfolgte. Eine gut eingeleitete, geschickte Verhandlung hätte in dieser Lage fast mathematisch berechnet wirken müssen; aber unter allen Polen scheint bei der ganzen Geschichte kein echt politischer Kopf gewesen zu sein. Vorbeigelassene Momente kehren nicht zurück. Boscamp war nach mehrerer Meinung der Mann, dem man in diesen Konjunkturen verzeihen mußte und dessen Einsicht und Talente man benutzen konnte, da man für seine Treue Sicherheit in den Händen hatte, indem seine Familie und Güter in Warschau waren, und endlich wäre ja weiter nichts verloren gewesen, wenn er auch Verräter geworden wäre. Es war durch ihn nichts zu verlieren, aber wohl sehr viel zu gewinnen. Das Schicksal beschloß es anders. Kosciuszko ward gefangengenommen; der neue Generalissimus Wawreczewsky war ein Mann von sehr wenigem Militärgeist, und der Aufstand ging zu Ende. Einer meiner Freunde, der bei Kosciuszko, welcher im russischen Lager als Gefangener war, die Ordonnanz hatte, hat ihn oft zu bemerken Gelegenheit gehabt und versichert, er habe sein Betragen immer voll Würde gefunden. Einmal war ein hartnäckiges Gefecht, das lange zweifelhaft blieb. Kosciuszko saß an dem Tisch, stumm und tiefsinnig, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, bis ein Offizier die Nachricht brachte, die Russen seien endlich mit dem Bajonette durchgedrungen. »Gott! Gott!« sprang er auf und schlug sich vor die Stirne, »warum habe ich bei meiner Sache nicht solche Soldaten gehabt!« Man lärmt und schimpft über ihn, und die Manifeste nennen ihn Rebellen. Es kommt nicht darauf an, was Zeitungen und Parteigänger sagen, sondern was der vernünftige unparteiische Beobachter denkt und was die vorurteilsfreie Nachricht von ihm sprechen wird, und diese wird ihm bei allen seinen Fehlern, die er vor und während dem Feldzuge gemacht hat, bei allen seinen Irrtümern im Rechnen, seiner Rechtschaffenheit und seinem Patriotismus doch immer Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihn Polens Phokion nennen, so wenig wie sie im Gegenteil bei den Konjunkturen die benachbarten Mächte verdammen wird, daß sie ihm entgegenarbeiteten und ihm seine Pläne vernichteten. Der polnischen Nation hat es nie an großen, mutigen und entschlossenen Männern gefehlt: die Geschichte stellt Beispiele auf, vor denen andere Nationen mit Ehrfurcht stehen. Auch unter den letzten Konjunkturen haben sich dann und wann Männer mit einem Mut betragen, den man in andern Verhältnissen Heroismus nennen würde.

 


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