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Tito.

Die Geschichte einer Präriewölfin.

I.

Ein Regentropfen kann den Blitz ablenken, ein Haar die Vernichtung eines Reiches herbeiführen, so gut wie ein Spinnwebe einst die Ursache war, daß das Geschick Schottlands eine andere Wendung nahm, und ohne einen kleinen Kieselstein hätte sich vielleicht auch diese Geschichte von Tito, die ich jetzt erzählen will, nie zugetragen.

Dieser Kiesel lag auf einer Wagenspur in dem Ödland Dakotas und nahm in einer heißen dunklen Nacht seinen Aufenthalt in dem Hufe eines Pferdes, das von einem trunkenen Cowboy geritten wurde. Wie er es gewöhnlich tat, stieg der Mann ab, um zu sehen, warum sein Pferd lahme. Doch er ließ die Zügel, statt sie mit sich herunterzunehmen, auf dem Nacken des Pferdes, und das Tier, das sich dieses technische Versehen zunutze machte, rannte in der Dunkelheit davon. Da war dem Cowboy klar, daß er zu Fuß war, und er legte sich in eine Vertiefung unter ein paar Büffelsträucher und schlief den lähmenden Schlaf des Berauschten.

Als die goldenen Strahlen der frühen Sommersonne in den wunderbaren Bergrippen des Ödlands von einer Kuppe zur andern sprangen, hätte man eine alte Präriewölfin auf der Fährte am Garnerscreek entlang trotten sehen können; sie trug ein Kaninchen im Maule, das ihrer Familie zum Frühstück dienen sollte.

Grimmige Fehde hatte schon lange Zeit in der Grafschaft Billings zwischen dem Geschlecht der Präriewölfe und den Rinderhirten geherrscht. Falle, Büchse, Gift und Hunde hatten die Zahl der Wölfe fast auf Null gebracht, und die wenigen Überlebenden hatten erfahren, wie bitter nötig es sei, bei jedem Schritte Vorsicht walten zu lassen. Aber die Menschen zeigten sich so erfinderisch im Vernichtungskampfe, daß der Tiere immer noch weniger wurden.

Sehr bald verließ die alte Wölfin den Pfad, denn für ihresgleichen ist alles, was der Mensch gemacht hat, gefährlich. Sie strich einen niedrigen Erdrücken entlang, dann quer durch eine kleine Senkung, wo ein paar Büffelsträucher wuchsen, und nachdem sie gründlich an einer schon sehr alten Menschenfährte geschnüffelt hatte, ging sie über einen zweiten unweit gelegenen Rücken, auf dessen Sonnenseite sich das Lager ihrer Brut befand. Wieder machte sie einen vorsichtigen Bogen, äugte nach allen Seiten und schnüffelte. Da sie aber kein Zeichen von Gefahr entdeckte, so lief sie hinunter zum Eingang ihrer Höhle und ließ ein tiefes: Wuf, wuf hören. Sofort kam aus der Höhle an einem Salbeistrauch vorbei ein Haufe kleiner Präriewölfe, lustig übereinander purzelnd. Dann fielen sie mit leisem Gebell und Geheul über den Schmaus her, den ihnen die Mutter bereitet hatte, und schlangen und balgten sich abwechselnd, während sie zuschaute und sich ihres munteren Spieles freute.

Wolfjakob, der Cowboy, war um Sonnenaufgang aus seinem frostigen Schlummer erwacht und hatte eben noch einen Blick auf die hinter dem Rücken verschwindende Präriewölfin werfen können. Sobald sie außer Sicht war, rappelte er sich auf und ging bis an die nächste Ecke, wo er ein Zeuge des reizenden Schauspiels des Familienfrühstücks wurde, das sich ein paar Meter von ihm abspielte, ohne daß die Schauspieler eine Ahnung von Gefahr hatten.

In ihm rief aber der Anblick keinen andern Gedanken wach, als den an den Preis, der auf jeden erlegten Präriewolf ausgesetzt war. So zog er seinen mächtigen Revolver heraus, nahm die Mutter aufs Korn, die gerade eines der Jungen nach genossenem Frühstück liebkoste, und schoß sie trotz seiner infolge der Trunkenheit noch etwas zitternden Hand auf der Stelle tot.

Die erschreckten Jungen flohen in die Höhle, und Jakob, der bei einem zweiten Schuß fehlte, kam herbei geeilt, verbaute den Eingang zur Höhle mit Steinen und machte sich, auf sein treuloses Pferd fluchend, zu Fuß auf den Weg nach der nächsten Farm, während seine sieben Gefangenen sich quiekend und heulend am äußersten Ende der Höhle zusammendrängten.

Am Nachmittag kehrte er mit seinem Pferde und mit Werkzeug zum Graben zurück. Die Jungen waren den ganzen Tag in dem dunklen Loche zusammengekauert liegen geblieben; sie wunderten sich, daß ihre Mutter nicht kam, sie zu füttern, daß es so dunkel und alles so verändert war. Aber spät am Nachmittage hörten sie etwas am Eingange; dann kam Tageslicht herein, und schon liefen ein paar von den weniger vorsichtigen Jungen hin, ihrer Mutter entgegen. Aber ihre Mutter war nicht da, sondern nur zwei große, gefährlich aussehende lange Tiere, die anfingen, ihre Höhle aufzureißen.

Nach einer Stunde kamen die beiden bis ans Ende der Höhlung und stießen hier auf die wolligen, helläugigen Jungen, die sich im äußersten Winkel in einen Knäuel zusammengedrängt hatten. Doch ihre unschuldigen Kindergesichter machten auf den grimmigen Feind keinen Eindruck. Eins nach dem andern packten sie – ein scharfer Schlag, und eine zuckende, widerstandslose Masse wurde in einen Sack geworfen, um dann zur nächsten Behörde getragen zu werden, die zur Auszahlung der Wolfsprämie berechtigt war.

Sogar in diesem zarten Alter zeigten die Jungen bereits eine gewisse Charakterindividualität. Ein paar winselten, und andere heulten, als man sie vorzerrte. Einige versuchten zu beißen. Dem einen war die Ahnung einer Gefahr am spätesten aufgegangen, es lief zuletzt davon, war daher den Verfolgern am nächsten und wurde so dem Tode zuerst überliefert. Eines hatte zuerst die Gefahr begriffen, war zuerst davongekrochen und befand sich zu unterst von allen Wölflein. Kalten Blutes und erbarmungslos wurden die andern Stück für Stück umgebracht, und dann bemerkte man das kluge Junge als letztes Überbleibsel der ganzen Familie. Es lag vollständig regungslos, auch als man es anfaßte, und seine Augen waren halb geschlossen, da es, vom Instinkt getrieben, die Feinde durch seinen Scheintod zu täuschen versuchte. Als es einer von den Männern aufhob, gab es keinen Ton von sich und sträubte sich nicht im geringsten. Da sagte der Wolfjakob, der selten eine Gelegenheit versäumte, sich mit seinem Dienstherrn gut zu stellen: »Wissen Sie, woll'n eins für die Kinder aufheben.« So wurde das letzte Mitglied der Familie lebendig in denselben Sack mit seinen toten Brüdern geworfen und lag dort, geschunden und erschreckt, sehr still, ohne etwas von dem, was vorging, zu verstehen. Nur das eine wurde ihm klar, daß es nach einer langen Zeit großen Lärms und grausamen Schüttelns durch einen neuen Griff am Nacken wieder halb erwürgt und herausgezogen wurde in einem Raum, wo sich ein ganzer Haufe solcher Geschöpfe wie die beiden, die in ihre Höhle eingedrungen waren, befand.

Dies waren die Bewohner der Kamin-Ranch, die als Wahrzeichen ihrem Vieh einen breiten Pfeil aufzubrennen pflegten, und unter ihnen befanden sich auch die Kinder, denen man den kleinen Wolf mitgebracht hatte. Unschwer ließ sich der Wolfjakob von seinem Dienstherrn bewegen, den Dollar anzunehmen, den ihm der kleine Präriewolf als Prämie eingetragen hätte, worauf das Geschenk den Kindern überreicht wurde. Auf ihre Frage, was für ein Tier das sei, antwortete ein zufällig anwesender mexikanischer Viehhirte: »Ein Coyotito ,« was so viel bedeutet wie kleiner Coyote oder Präriewolf, und daraus entstand dann durch Abkürzung der dauernde Name des kleinen Gefangenen: Tito.

II.

Tito war ein hübsches kleines Geschöpf mit wolligem Körper, einem unschuldigen Ausdruck, wie ihn alle jungen Tiere zeigen, und einem Kopf, der zwischen den Ohren auffallend groß war.

Aber als Kinderspielzeug war sie – denn es stellte sich heraus, daß es ein weibliches Junges sei – nicht recht zu brauchen, denn sie blieb ängstlich und scheu. Sie fraß, was man ihr bot, und schien gesund zu sein, aber nie ging sie auf eine freundliche Annäherung ein, nie lernte sie aus ihrer Bude herauszukommen, wenn man sie rief. Wahrscheinlich lag das daran, daß die Freundlichkeit der kleinen Kinder durch die rauhe Behandlung der Männer und Knaben, die sie ohne weiteres an der Kette aus ihrem Häuschen zogen, wenn sie sie sehen wollten, wettgemacht wurde. Bei solchen Gelegenheiten duldete sie alles schweigend, indem sie sich tot stellte, denn das schien ihr das vorteilhafteste zu sein. Aber sobald man sie gehen ließ, zog sie sich sofort in den dunkelsten Winkel des Häuschens zurück und beobachtete ihre Peiniger mit Augen, die, unterm richtigen Winkel gesehen, bedeutsam grün schillerten.

Unter den Kindern der Farmbesitzer befand sich auch ein dreizehnjähriger Knabe. Obwohl er später einmal seinem Vater, einem freundlichen, kräftigen und überlegsamen Mann, gleichen sollte, so hinderte dies doch nicht, daß er damals ein unverschämter, roher Bursche war.

Wie alle Knaben in jener Gegend übte er sich im Lassowerfen, um einmal ein rechter Cowboy zu werden. Pfähle und Pfosten dabei zu fangen, machte keinen Spaß; die kleinen Geschwister standen unter dem besonderen Schutz des Hausherrn und der Hausfrau; die Hunde liefen weit fort, wenn sie ihn mit dem Strick in den Händen kommen sahen. So blieb als einziges Übungsziel die unglückliche Coyotito. Bald sah sie ein, Ruhe könne sie nur dann zu finden hoffen, wenn sie sich in ihrer Hütte verstecke, oder, falls sie draußen überrascht würde, wenn sie sich flach auf den Boden lege. So lehrte Lincoln wider seinen Willen die Präriewölfin, welche Gefahren vom Lasso drohen, und wie man ihnen entgehen kann, und war insofern ihr verkappter Wohltäter – aber ein sehr verkappter. Als die Wölfin gründlich gelernt hatte, wie man dem Lasso trotzt, ersann der Junge einen neuen Spaß. Er verschaffte sich eine große Falle. Diese bedeckte er mit Staub, wie er es seinen Vater hatte tun sehen, und bestreute sie sodann mit kleinen Fleischstückchen. Nach einer Weile kam Tito, von dem Fleischduft angezogen, heraus, kroch hungrig darauf zu und fing sich fast augenblicklich mit einem Fuß in der Falle. Aus einem nahen Versteck hatte sie der Junge beobachtet. Er stieß vor Entzücken ein wildes Indianergeheul aus und stürzte dann vorwärts, um die Präriewölfin, die sich in ihre Hütte zurückgezogen hatte, herauszuziehen. Nach einigen weiteren Jauchzern beförderte er seinen Lasso über Titos Körper, und mit Hilfe eines jüngeren Bruders, eines sehr gelehrigen Schülers, gelang es ihm, die Wölfin aus der Falle freizubekommen, ehe die Großen hinter diesen neuen »Spaß« gekommen waren. Mehrere Erfahrungen dieser Art brachten Tito einen tödlichen Schrecken vor Fallen bei. Es dauerte nicht lange, so kannte sie den Stahlgeruch genau und war imstande, dieses Metall zu entdecken und zu vermeiden, so geschickt auch Lincoln sein Eisen im Staube versenken mochte, während der jüngere Bruder seinen Rock vor Titos Hütte hielt, damit sie nicht sehen könnte, wo die Falle vergraben würde.

Eines Tages löste sich die Befestigung der Kette; Tito ging fort, ohne zu wissen, wohin sie sich eigentlich wenden sollte, und schleppte die Kette hinter sich nach. Aber sie wurde von einem der Männer gesehen, der eine Schrotladung auf sie abschoß. Das Brennen und Stechen und die Überraschung über die unbegreiflichen Begebnisse veranlaßten sie, sich an den einzigen Fleck, den sie kannte, zurückzuziehen, nämlich in ihre eigene Hütte. Man machte die Kette wieder fest, und in Titos Geist prägte sich lebhaft eine neue Vorstellung: ein Abscheu und Schrecken vor Büchsen und dem Pulvergeruch und dazu der weitere Gedanke ein, die einzige Sicherheit biete das Ducken.

Noch weitere barbarische Erfahrungen sollte die Gefangene machen.

Ein täglicher Gegenstand der Unterhaltung war in der Farm das Giftlegen für Wölfe: so konnte man sich nicht wundern, daß Lincoln private Experimente mit der jungen Präriewölfin vornahm. Das todbringende Strychnin verwahrte man zu gut, als daß er es hätte erreichen können. So tat der Knabe etwas Rattengift in ein Stück Fleisch, warf es dem Häftling vor und setzte sich daneben, den Erfolg abzuwarten, so froh gelaunt und so reinen Gewissens, wie ein Professor der Chemie, der ein neues Experiment macht.

Tito beroch das Fleisch, denn alles mußte bei ihr die Nasenprobe bestehen. In diesem Falle war das Urteil ihrer Nase zweifelhaft. Neben dem guten Fleischgeruch war da noch ein bekannter, aber unangenehmer Geruch von menschlichen Händen und dazu kam ein sonderbarer neuer; da dies aber kein Fallengeruch war, so verschlang sie den Bissen. Nach wenigen Minuten empfand sie fürchterliche Schmerzen im Magen, worauf Krämpfe eintraten. Nun herrscht in der Wolfssippe instinktiv die Gewohnheit, alles, was ihnen zuwider ist, von sich zu geben, und so suchte auch die Präriewölfin auf diese weise Erleichterung; um doppelt sicher zu gehen, verschluckte sie hastig ein paar Grashalme, und es dauerte keine Stunde, so befand sie sich wieder ganz wohl.

Lincoln hatte Gift genug hineingetan, um zwölf Wölfe umzubringen. Hätte er weniger genommen, so hätte sie die Pein erst gefühlt, wenn es zu spät gewesen wäre. So erholte sie sich wieder, vergaß aber in ihrem ganzen Leben den eigentümlichen Geruch nicht mehr, der so schreckliche Schmerzen nach sich zieht. Dazu war sie hinfort geneigt, sogleich die Kräuterkur, die von der Natur überall geboten wird, anzuwenden. Ein derartiger Instinkt entwickelt sich, wenn ihm einmal Folge geleistet wird, sehr schnell. Erst nach minutenlangem Leiden hatte Tito nach dem Linderungsmittel gegriffen; von nun an, da sie es erprobt hatte, war es ihr erster Gedanke, sobald sie Schmerzen empfand. In der Tat gelang es dem kleinen Unhold, sie dazu zu bringen, daß sie noch einen Köder mit einer kleinen Gabe Gift schluckte, aber jetzt wußte sie, was sie zu tun hatte, und empfand daher fast gar keine Schmerzen.

Später schickte ein Verwandter dem Knaben einen Bullterrier, und dessen Ankunft war eine neue Quelle des Vergnügens für den Knaben und der Qual für die Wölfin. Ihr drängte sich vor allem wieder die große Lehre auf, sich zu ducken, das heißt, sich ruhig, unanstößig zu verhalten und, wenn Gefahr in Sicht war, sich zu verstecken. Als sie es merkten, griffen die Großen ein, die Verfolgungen mußten aufhören, und der Terrier durfte nicht mehr den kleinen Hof betreten, wo die Präriewölfin angekettet lag.

Man darf sich nicht vorstellen, daß hierbei Tito immer das untadelige, unschuldige Opfer darstellte. Sie hatte beißen gelernt; sie hatte, indem sie sich schlafend stellte, verschiedene Küchlein gefangen und getötet, die innerhalb des Kreisbogens ihrer Kette Futter zu suchen wagten. Auch konnte ihr die Neigung, ein Morgen- und Abendlied zu singen, nicht ausgetrieben werden, was ihr manchen Schlag eintrug. Aber sie lernte still zu sein, sobald nach den einleitenden Tönen ein Knarren von Türen oder Fenstern hörbar wurde, denn diesen Beweisen menschlicher Nähe folgte sehr häufig ein Knall und eine Schrotladung, die zwar keinen ernstlichen Schaden tat, aber doch das Fell recht empfindlich jucken ließ. Und alle diese Erfahrungen trugen dazu bei, ihren Abscheu vor Feuergewehren und allen, die sie trugen, noch zu steigern. Was eigentlich der Zweck dieser musikalischen Ergüsse war, ließ sich schwer sagen. Gewöhnlich erfolgten sie zur Zeit der Abend- und Morgendämmerung, aber manchmal wurden sie auch durch irgendein lautes Geräusch bei Vollmond hervorgerufen. Der Gesangsvortrag bestand in einer Flucht kurzabgebrochener bellender Töne mit eingestreuten gemütvollen Seufzern, die nie verfehlten, die Hunde in Aufruhr zu bringen und zu einem Echo zu veranlassen, und hin und wieder eine ferne Antwort von einer wilden Schwester oder einem wilden Bruder in den Hügeln hervorriefen.

Eine kleine Eigenart hatte sie entwickelt, die rein instinktiver Natur, das heißt, eine ererbte Gewohnheit war. Im Hintergrunde ihrer Hütte hatte sie ein kleines Versteck für Knochen angelegt, und sie wußte genau, wo ein paar Fetzen unschmackhaften Fleisches innerhalb des Bereichs der Kette verscharrt waren. Näherte sich einer diesen verborgenen Schätzen, so folgte sie ihm mit ängstlichen Augen, unterließ aber jede weitere Kundgebung. Sah sie, daß dem Fremden ihre Plätze bekannt waren, so nahm sie die erste Gelegenheit wahr, die Schätze anderswo unterzubringen.

Nach Jahresfrist war Tito voll ausgewachsen und hatte in der geschilderten Weise vieles gelernt, was ihre wilden verwandten nicht hätten lernen können, ohne dabei ihr Leben zu verlieren. Sie kannte die Fallen und fürchtete sie; sie hatte gelernt, sich vor Giftködern zu hüten, und kannte die Gegenmittel, die im Falle versehentlicher Ausnahme anzuwenden waren. Sie wußte, was Gewehre sind; sie hatte gelernt, ihr Morgen- und Abendlied kurz abzumachen; sie hatte die Hunde so weit kennen gelernt, daß sie alle haßte und allen mißtraute. Vor allem aber hatte sie das eine erkannt: wenn Gefahr droht, so ist das beste Mittel, ihr zu entgehen, daß man sich duckt, sich sehr still verhält und nichts tut, die Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht enthielt das kleine Gehirn, das aus den wechselvoll blickenden gelben Augen schaute, noch weit mehr Kunde von den Menschen, aber worin diese des weiteren bestand, das ließ sich nicht ergründen.

Unsere Präriewölfin war völlig ausgewachsen, als der Farmbesitzer ein paar echte Windhunde – es waren wundervolle Renner – erstand. Mit ihrer Hilfe hoffte er die noch übrigen Präriewölfe, die hin und wieder ein Schaf oder ein Kalb erbeuteten, völlig auszurotten; zugleich sollte ihm der Sport der Wolfsjagd zum Vergnügen dienen. Die Wölfin im Hofe hatte er satt; so beschloß er, sie zum Trainieren der Hunde zu verwenden, ließ sie in einen Sack stecken, vierhundert Meter weit forttragen und dann hinauswerfen. Zugleich führte man die Windhunde hinaus und hetzte sie auf das Wild. Fort sprangen sie in ihrem unvergleichlichen Tempo, dem kein vierbeiniges Tier gleichkommen konnte, und fort lief auch die Wölfin, erschreckt durch den Lärm der Leute, wie auch durch die eigene Freiheit. Ihr Vorsprung von vierhundert Metern schwand bald auf die Hälfte zusammen, bald auf hundert Meter, und immer noch stürmten die Windhunde mit unverminderter Schnelligkeit vorwärts. Offenbar gab es für Tito keine Rettung, näher und immer näher kamen die beiden heran, in der nächsten Minute war sie verloren – kein Zweifel. Aber auf einmal machte sie halt, wandte sich und ging, munter mit dem Schwanze in der Luft wedelnd und die Ohren in entschieden freundschaftlicher Weise aufrichtend, auf die Hunde zu. Windhunde sind darin eigentümlich, daß sie alles, was davonläuft, fangen und womöglich töten wollen; was ihnen dagegen ruhig entgegentritt, hört sofort auf, für sie ein Gegner zu sein. Sie sprangen über die Wölfin hinüber und an ihr vorbei, ehe sie ihr Ungestüm brechen konnten, und kehrten dann ganz verblüfft wieder um. Vielleicht erkannten sie auch die Präriewölfin aus dem Hofe wieder, als sie schweifwedelnd vor ihnen stand. Nicht minder verblüfft waren auch die Männer und konnten sich nicht eines Gefühls des Fehlschlags und Mißerfolgs erwehren; der wirkliche Sieger war offenbar die unerschrockene kleine Präriewölfin.

Die Windhunde wollten ein Tier nicht angreifen, das mit dem Schwanze wedelte und nicht davonlief; und die Leute nahmen, da die Wölfin sich gehend so weit von ihnen entfernt hielt, daß sie sie mit den Händen nicht greifen konnten, ihre Lassos vor und machten sie bald wieder zur Gefangenen.

Tito in der Gefangenschaft.

Am nächsten Tage beschlossen sie, den Versuch zu wiederholen, gesellten aber den beiden Windhunden noch den Bullterrier bei. Die Wölfin verfuhr wie am Tage zuvor. Wieder weigerten sich die Windhunde, einen Angriff auf einen so milden und freundlich gesinnten Bekannten zu machen. Der Bullterrier aber, der jappend und keuchend drei Minuten später auf dem Schauplatz erschien, teilte diese Bedenken nicht. Er war nicht so groß, aber schwerer als die Wölfin, und indem er sie an ihrem wollbedeckten Halse packte, schüttelte er sie, bis sie nach erstaunlich kurzer Zeit starr und leblos dalag. Dies schien den Beifall der Männer zu finden, und sie lobten den Terrier, während die Windhunde ganz betroffen und unruhig sich hin und her bewegten.

Ein Teilnehmer an der Jagd, ein erst vor kurzem gelandeter Engländer, fragte, ob er die Rute – den Schwanz, setzte er hinzu – haben könnte, und als man ihm sagte, er möge sich keinen Zwang antun, hob er das Opfer am Schwanz in die Höhe, und mit einem scheußlichen Ruck seines Messers schnitt er ihn in der Mitte durch, worauf die Wölfin zu Boden fiel, aber dabei ein schrilles Schmerzgeheul ausstieß. Sie war in Wahrheit nicht tot, sondern stellte sich nur so, und sprang nun auf einmal auf und rannte in ein nahes Dickicht von Kaktus und Salbei.

Für die Windhunde war dies das Signal, ihrerseits die Jagd wiederaufzunehmen, und so rannten die beiden Langbeinigen und auch der Weiße mit der breiten Brust hinter der flüchtigen Wölfin her. Aber quer über ihren Weg kreuzte zum guten Glück wie der Blitz ein brauner Körper, auf dem ein schneeiges Ringelschwänzchen saß, die sichtbare, aber schnell verschwindende Erscheinung eines Präriehasen. Die Wölfin war jetzt nicht in Sicht, wohl aber der Hase; so flogen die Hunde diesem nach, der sich das Loch eines Präriehundbaues zunutze machte und an dem Busen der Mutter Erde sein Heil suchte. Aber auch die Wölfin konnte sich retten.

Freilich hatte ihr die rauhe Behandlung durch den Terrier arg zugesetzt, und ihr verstümmelter Schwanz schmerzte sie; sonst aber war sie Herrin ihrer Kräfte; lief, immer in Senkungen Deckung suchend und leicht ausgreifend, davon und entging so ihren Feinden, um ein neues Leben unter den Präriewölfen des Kleinen Missouri zu beginnen.

Moses war von den Ägyptern beschützt worden, bis er die gefährliche Periode überstanden und von ihnen genug gelernt hatte, um der Beschützer seines Volkes diesen selben Ägyptern gegenüber zu werden. So wurde auch die gestutzte Präriewölfin nicht nur vom Menschen gerettet und in der gefährlichen Lebenszeit vor ernstlichem Schaden bewahrt, sondern er lehrte sie auch, ohne es zu wissen und zu wollen, wie sie sich gegen Fallen, Gifte, Lassos, Gewehre und Hunde, die so lange einen Vernichtungskrieg gegen das Wolfsgeschlecht geführt hatten, wehren könnte.

III.

Auf diese Weise entfloh Tito aus der Gefangenschaft und den Händen des Menschen, und vor ihr stand zum erstenmal die ganze Schwierigkeit des Lebens.

Für ein wildes Tier gibt es drei Quellen des Wissens:

Erstens, die Erfahrung seiner Vorfahren als Instinkt, der nichts anderes ist als angeborene Kenntnis, die der Rasse während langer, langer Zeiträume auf dem Wege der Zuchtwahl und der Bedrängnis wie mit Hammerschlägen eingeprägt wird. Diese Quelle ist die wichtigste, weil sie dem Tiere, und zwar jedem normalen Tiere vom Augenblick seiner Geburt an zum Schutze dient.

Zweitens, die Erfahrung seiner Eltern und Kameraden, die hauptsächlich durch das Beispiel wirkt. Diese Quelle wird besonders ergiebig, sobald das Junge laufen kann.

Drittens, die persönliche Erfahrung des Tieres selbst, die immer wichtiger wird, je mehr das Tier an Alter zunimmt.

Der Wert der ersten Erkenntnisquelle wird durch ihre Starrheit beeinträchtigt; sie kann sich nur schwer und langsam veränderten Verhältnissen anpassen. Die zweite Quelle leidet unter der Unfähigkeit des freien Gedankenaustausches mittels der Sprache. Die dritte endlich kann nur unter mehr oder minder großer Gefahr des Leibes und Lebens erworben werden, Aber alle drei zusammen bilden einen starken Strom.

Nun lag für Tito die Sache ganz eigenartig. Vielleicht war noch nie zuvor ein Präriewolf dem Ernst des Lebens mit so außergewöhnlichen Vorzügen in der dritten Beziehung entgegengetreten, während die zweite Quelle ganz versiegt gewesen und die erste noch wenig geweckt war.

Schnell entfernte sich Tito von den Farmern, indem sie sich immer außer Sicht hielt und von Zeit zu Zeit ihren verwundeten Schwanzstumpf leckte. Schließlich gelangte sie zu einer Kolonie von Präriehunden. Von den Insassen waren viele draußen, die den Eindringling anbellten, aber sämtlich in der Versenkung verschwanden, sobald er näherkam. Ihr Instinkt lehrte Tito, nach den Nagetieren zu laufen, um eins zu fangen, aber nachdem sie es eine Weile vergebens versucht hatte, gab sie es auf. Sie hätte an diesem Tage hungrig zu Bett gehen müssen, hätte sie nicht in dem langen Gras am Fluß ein paar Mäuse gefunden. Keine Mutter hatte sie jagen gelehrt, aber der Instinkt tat es, und der Umstand, daß sie eine ungewöhnlich gute Auffassungsgabe besaß, ließ sie schnell aus ihrer Erfahrung Gewinn ziehen.

In den nächsten Tagen hatte sie bald gelernt, ihren Lebensunterhalt zu erwerben, denn an Mäusen, Erdhörnchen, Präriehunden, Kaninchen, Hasen und Eidechsen war kein Mangel, und viele davon ließen sich in offener Jagd erhaschen. Aber offene Jagd und möglichst nahes Heranschleichen, bevor die offene Jagd anfing, führte naturgemäß zu langsamem Vorwärtsschreiten als Einleitung zu einem großen Sprung auf die ahnungslose Beute. Und ehe der Mond gewechselt hatte, verstand es unsere Wölfin aufs beste, sich reichliche Nahrung zu verschaffen.

Mehrmals sah sie die Männer mit den Windhunden aus der Ferne auf sie zukommen. Unter diesen Umständen würden vielleicht die meisten Präriewölfe herausfordernd gebellt haben oder auf einen hochgelegenen Punkt gelaufen sein, von wo aus sie den Feind beobachten könnten, aber Tito handelte nicht so töricht. Wäre sie gelaufen, so wäre ihre sich fortbewegende Gestalt von den Windhunden bemerkt worden, und dann war ihr Schicksal besiegelt. Sie ließ sich, wo sie stand, auf den Boden fallen und blieb ausgestreckt liegen, bis die Gefahr vorüber war. So kam ihr gut zupaß, was sie im Farmhofe gelernt hatte, und es erwies sich, daß ihre Schwäche zur Stärke, wurde. Das Geschlecht der Präriewölfe war so lange durch seine Schnelligkeit berühmt gewesen und hatte so lange gelernt, sich auf seine eiligen Beine zu verlassen, daß ihnen auch nicht einmal im Traum einfiel, es könne ein Geschöpf kommen, das ihnen an Geschwindigkeit überlegen wäre. Sie waren gewöhnt, mit ihren Verfolgern zu spielen, und hatten so selten Gelegenheit, die schnellen Füße der Windhunde kennen zu lernen, bis es zu spät war. Jedoch Tito, die am Ende einer Kette aufgewachsen war, war nur eine schlechte Läuferin; sie hatte keine Veranlassung, sich auf ihre Beine zu verlassen, sie verließ sich lieber auf ihre Schlauheit und blieb so am Leben.

Den Sommer hindurch weilte sie am Kleinen Missouri und lernte alle Feinheiten und Kniffe der kleinen Jagd, die sie schon vor dem ersten Zahnwechsel hätte lernen sollen, und nahm dabei an Körperkraft und Schnelligkeit zu. Immer hielt sie sich weit ab von den Farmhäusern, versteckte sich beim Anblick eines Menschen oder eines ihr unbekannten Tieres und verbrachte so den Sommer allein. Den Tag aber fühlte sie sich nicht einsam, aber wenn die Sonne zur Rüste ging, dann fühlte sie sich gedrungen, den barbarischen Gesang des wilden Westens anzustimmen, der für die Präriewölfe so bedeutungsvoll ist.

Denn dieser Gesang ist nicht die Erfindung eines einzelnen Tieres oder einer einzelnen Zeit, sondern entwickelte sich allmählich aus dem Empfindungsleben aller Präriewölfe in allen Geschlechtern. Er ist ein Ausdruck ihrer Natur und der weiten Hochflächen, die ihre Natur bedingten. Fängt einer an, so nehmen es die andern auf, wie die Pfeifer- und Trommlerchöre bei den Soldaten oder wie beim Ki-Ji-Kriegsgesang die Indianer. Sie antworten, wie die Glasglocke es tut, sobald ein bestimmter Ton angeschlagen ist, mit dem gleichen und keinem andern Ton. So muß auch der Präriewolf, ganz gleich, ob in der Freiheit oder in der Gefangenschaft aufgewachsen, auf das Abendlied der Prärien widerhallen, denn es läßt eine Saite in seinem Innern erklingen.

Sie singen das Lied nach Sonnenuntergang als Sammelruf für das Wolfsgeschlecht und als freundlichen Anruf für den Nachbar; sie singen es, wie im Walde ein Junge den andern anhallot, um auszudrücken: »Alles in Ordnung. Ich bin hier, wo bist du?« Eine Art dient dazu, den aufgehenden Mond anzusingen, denn dann ist die beste Zeit zum Jagen. Sie singen oder, was die Sache genauer bezeichnet, sie heulen auch beim Anblick eines neuen Lagerfeuers aus demselben Grunde, aus dem ein Hund einen Fremden anbellt. Doch einen anderen Wehgesang stimmen sie an vor Tagesgrauen, ehe sie sich still aus der offenen Ebene vor dem Lager wegstehlen – eine wilde wehmütige, die Sinne aufregende, eintönige . Melodie:

Wau – wau – wau – wau – wau – wa–u w–a–u–u–uh ...,

die sich immer wiederholt. Zweifellos enthalten ihre musikalischen Ergüsse noch manche Variationen, die der Mensch so wenig unterscheiden kann, wie der Präriewolf die Worte eines fluchenden Cowboys.

Instinktiv stimmte Tito ihre Musik zur rechten Zeit an. Aber traurige Erfahrungen hatten sie gelehrt, sich kurz zu fassen und nicht zu laut zu werden. Ein paarmal kam aus der Ferne von einem ihrer Artgenossen ein Echo zurück, dann schwieg sie sofort und entfernte sich furchterfüllt aus der Nachbarschaft.

Eines Tages, als sie sich am Oberlauf von Garnerscreek befand, kam sie auf eine Fährte, auf der ein Stück Fleisch fortgeschleift worden war. Es war ein merkwürdig lockender Duft, und sie folgte ihm, zum Teil auch aus Neugierde. Jetzt stieß sie aus das Fleisch selbst. Sofort fühlte sie Hunger, wie es jetzt eigentlich immer der Fall war, und obwohl das Fleisch noch einen ganz besonderen Geruch hatte, war es doch zu verführerisch, und sie verschlang es. Nach einigen Minuten spürte sie einen entsetzlichen Schmerz. Da die Erinnerung an den vergifteten Brocken, den ihr der Knabe vorgeworfen hatte, noch frisch war, faßte sie mit ihren bebenden schäumenden Kiefern ein paar Grashalme, worauf ihr Magen das Fleisch wieder von sich gab; aber doch fiel sie, von Krämpfen ergriffen, zu Boden.

Die Fleischfährte und der vergiftete Köder waren am Tage zuvor vom Wolfjakob gelegt worden, und als er jetzt am Morgen der breiten Schleifspur nachritt, um zu sehen, ob ein Wolf angebissen habe, bemerkte er in weiter Entfernung vor sich Tito, wie sie sich auf der Erde wälzte. Er wußte natürlich sofort, daß dies nur die Wirkung des Giftes war, und kam schnell herbeigeritten; aber so schnell, wie sie gekommen, ließen auch die Krämpfe nach. Mit einer gewaltigen Anstrengung richtete sich die Wölfin beim Klang des sich nähernden Hufschlags auf ihre Vorderfüße. Jakob zog seinen Revolver und feuerte einen Schuß auf sie ab, aber das hatte nur zur Folge, Titos Unruhe und Angst zu steigern. Sie versuchte zu laufen, aber ihre Hinterfüße waren gelähmt; sie setzte alle ihre Kraft daran, die versagenden Gliedmaßen nachzuziehen, und jetzt, wo das Gift nicht mehr im Magen war und wirkte, vermochte die Willenskraft viel. Hätte sie liegen bleiben dürfen, sie wäre in fünf Minuten tot gewesen; aber die Revolverschüsse und das Nahen des Mannes trieben sie zu energischem Handeln. Wie toll strengte sie sich immer wieder an, die Hinterfüße zu selbständiger Bewegung zu bringen, alle Kraft, die die Verzweiflung verleiht, kam zur Anwendung. Es war, als würde die Nervenflüssigkeit mit verzehnfachter Gewalt durch die verstopften Kanälchen getrieben, als sich Tito mit unbegreiflicher Schnelligkeit den Hügel hinunterschleppte. Was ist der Nerv anderes als Wille? Die toten elektrischen Drähte ihrer Hinterbeine erglühten beim Andrang dieser neuen Kraft, die vervielfacht in sie hineingeflößt, geschleudert wurde. Sie mußten nachgeben, und Tito fühlte, wie sie wieder von Leben vibrierten. Jeder ins Blaue gefeuerte Revolverschuß verlieh neue Lebenskraft. Noch ein unbändiger Ruck, und schon folgte das eine Hinterbein dem Ruf der Pflicht, noch ein paar Sätze, und auch das andere kam zupaß. Dann ging es flott dahin zwischen den Erdwellen der endlosen Ebene trotz des tödlichen Krampfes, der innerlich noch fortdauerte.

Hätte Jakob jetzt von der Verfolgung abgelassen, so würde sie sich doch noch niedergelegt haben und wäre verendet; aber er folgte ihr und schoß von Zeit zu Zeit darauf los, bis sie nach weiteren zwei Kilometern frei von Schmerzen weitersprang, errettet vor ihrem Feinde durch ihn selbst. Denn er hatte sie gezwungen, die einzige Kur, die sie retten konnte, anzuwenden.

Und die eine gute Lehre erwuchs für sie aus den schmerzlichen Erfahrungen dieses Tages: jener sonderbare Geruch, der dem Fleische noch anhaftete, bedeutet Todesnot. Laß es sein! Und nie vergaß sie es, sie kannte es fortan – das Strychnin.

Glücklicherweise kann man nicht zugleich mit Hunden, Fallen und Strychnin Krieg führen, denn die Hunde können ebensogut wie die Präriewölfe in die Fallen geraten oder vergiftet werden. Wäre an jenem Tage nur ein einziger Hund dabei gewesen, so hätte Titos Geschichte hier ihr Ende gefunden.

IV.

Als die Witterung gegen Ende des Herbstes kühler wurde, hatte Tito schon zum großen Teile ausgeglichen, was in ihrer ersten Lebenszeit in der Ausbildung ihrer natürlichen Gaben versäumt worden war. Sie glich in ihren Gewohnheiten jetzt schon mehr den anderen Präriewölfen und war auch mehr geneigt, wie die andern ihr Abendlied aus voller Kehle zu singen.

Eines Abends, als sie eine Antwort erhielt, gab sie dem Drange nach, wieder einzustimmen, und bald darauf tauchte ein großer dunkler Präriewolf auf. Schon die Tatsache, daß er hier lebte, war ein Beweis für seine ungewöhnliche Begabung, denn die Viehzüchter führten, wie gesagt, einen erbarmungslosen Krieg gegen sein ganzes Geschlecht, und nur die allerschlauesten und allerkräftigsten Tiere konnten der Vernichtung entgehen. Vorsichtig kam er näher; und Titos Haare sträubten sich unter dem Eindruck der gemischten Gefühle, den der Anblick eines Artgenossen auf sie machte. Sie duckte sich flach nieder und wartete.

Sie schlossen Bekanntschaft miteinander.

Der Fremde kam mit der Nase am Wind steifbeinig vorwärts und näherte sich ihr immer am Winde. Dann schritt er im Kreise herum, daß auch sie ihn wittern könne, dabei erhob er seinen Schweif und ließ ihn freundlich wedeln. Seine ersten Schritte bedeuteten bewaffnete Neutralität, aber der letzte war ein zweifellos freundschaftliches Zeichen. Dann trat er heran, und sie erhob sich mit einem Ruck zu ihrer vollen Höhe, um sich beriechen zu lassen. Dann wedelte sie mit ihrem Schwanzstumpf, und damit war die Bekanntschaft geschlossen.

Der Ankömmling war ein sehr großer Präriewolf, um die Hälfte höher als Tito, und der dunkle Fleck um seine Schultern war so ausgedehnt und so lebhaft gefärbt, daß die Cowboys dem Wolfe, als sie ihn kennen lernten, den Namen Sattelrücken gaben. Von dieser Zeit an blieben die beiden fast unzertrennlich, das heißt, sie waren nicht immer dicht beieinander, oft lagen tagsüber viele Kilometer zwischen ihnen, aber abends stieg der eine oder der andere auf eine hohe offene Stelle und sang sein lautes: »Jap – jap – jap – wau – wau – wau – wau – wau,« und bald waren sie zu einem Plauderstündchen beisammen oder verabredeten einen gemeinsamen Raubzug.

Körperlich war Sattelrücken dem Gefährten überlegen, aber die größere Schlauheit war auf seiten Titos, und so übernahm sie immer mehr die führende Rolle. Ehe ein Monat vorüber war, hatte sich ein neuer Präriewolf eingestellt und war ebenfalls ein Mitglied dieser lose verbundenen Brüderschaft geworden, und später kamen noch zwei dazu, denn nichts zieht mehr an als der Erfolg. Die kleine stutzschwänzige Wölfin hatte den seltenen Vorzug genossen, gerade in der Beziehung, wo es die andern am meisten fehlen ließen, ausgebildet zu werden: sie kannte die Absichten und das Verfahren der Menschen. Zwar konnte sie nicht mit Worten aufklären, aber sie vermochte manches mittels weniger Zeichen anzudeuten und wirkte insbesondere durch ihr Beispiel. Bald zeigte es sich, daß die Methoden, die sie beim Jagen anwandte, erfolgreich waren, während die Wölfe, wenn sie ohne sie gingen, oft Unglück hatten.

Ein Viehzüchter in der Boxfelder-Ranch hatte zwanzig Schafe, denn da es eine Rindviehfarm war, durfte er nach den Vorschriften in jener Grafschaft höchstens so viele Schafe besitzen. Zum Schutz der Tiere hielt er sich einen großen und bissigen Collie. An einem Wintertage wollten zwei von den Präriewölfen diese Herde überfallen, aber sie holten sich nichts als zerzauste Felle. Einige Tage darauf kamen die Wölfe in der Abenddämmerung wieder. Wie Tito das Unternehmen einleitete, läßt sich nicht genau sagen. Man kann nur vermuten, wie sie jedem einzelnen seine Rolle übertrug; sicher ist nur, daß die Wölfe folgendermaßen verfuhren: Sie versteckten sich im Weidengebüsch, dann wandte sich Sattelrücken, der Kühne und Schnelle, offen den Schafen zu und ließ ein trotziges Bellen hören. Mit gesträubter Mähne und wütendem Heulen sprang der Collie auf; dann, als er den Feind sah, stürzte er gerade auf ihn zu. Jetzt galt es, den festen Nerv und die unermüdlichen Glieder zu zeigen. Sattelrücken ließ den Schäferhund nahe genug kommen, daß er ihn beinahe packte, und führte ihn auf diese Weise weit ab in den Wald, während die anderen Präriewölfe unter Titos Führung die Schafe in zwanzig Richtungen auseinanderjagten; dann nahmen sie die am weitesten getriebenen aufs Korn, bissen einige tot und ließen sie im Schnee liegen.

In der Abenddämmerung mühten sich der Hund und sein Herr, die blökenden Schafe, die noch am Leben geblieben waren, zu sammeln, aber am nächsten Morgen mußten sie sich davon überzeugen, daß vier weit fortgetrieben und umgebracht worden waren und die Präriewölfe einen Festschmaus gehalten hatten.

Der Schäfer vergiftete, was übrig gelassen war, und ließ die Körper liegen. In der nächsten Nacht kamen die Präriewölfe wieder. Tito beroch das nun gefrorene Fleisch, entdeckte das Gift, stieß ein warnendes Geheul aus und streute Unrat darüber, damit niemand von ihrem Rudel die gefährliche Nahrung anrühre. Ein voreiliges törichtes Wölflein jedoch ließ sich durch Titos Warnen nicht abschrecken und lag bald vergiftet tot im Schnee.

V.

Jetzt kamen Jakob von allen Seiten Klagen zu Ohren, die Präriewölfe trieben es ärger als je. So machte er sich mit vielen Fallen und vielem Gift ans Werk, die Wölfe am Garnerscreek zu verderben, während er selbst in kurzen Zwischenräumen mit den Hunden die Gegend am Kleinen Missouri und im Osten von der Kamin-Ranch absuchte; denn in Gegenden, wo Fallen und Gift gelegt waren, durfte man natürlich mit Hunden nicht jagen gehen. In dieser vielgeschäftigen Weise arbeitete er den ganzen Winter hindurch und hatte auch zweifellos einigen Erfolg. Er brachte einige Graue Wölfe zur Strecke, wie es hieß, die letzten ihres Geschlechts, und auch ein paar Präriewölfe, von denen einer oder der andere zu Titos Rudel gehört hatte, offenbar die am wenigsten gewandten und gewitzigten Tiere.

Dennoch verzeichnete man in diesem Winter eine ganze Reihe von Untaten, die von Präriewölfen ausgeführt worden waren, und meist ließ sich aus der Fährte oder aus den Berichten von Augenzeugen feststellen, daß ein kleiner Wolf mit gestutztem Schwanze der leitende Geist des Ganzen gewesen war.

Ein Vorfall wurde von Farmern wie Jägern viel besprochen. Kurz nach Sonnenuntergang ließ sich das herausfordernde Bellen der Präriewölfe vor den Toren der Kamin-Ranch hören. Ein Dutzend Hundestimmen antwortete wie gewöhnlich darauf. Aber nur der Bullterrier stürzte vorwärts, der Stelle zu, von der die Herausforderung der Präriewölfe ausgegangen war, und zwar darum, weil er allein nicht angekettet war. Sein Jagen war umsonst, und ärgerlich knurrend kam er wieder zurück. Zwanzig Minuten später erhob sich von neuem das herausfordernde Bellen der Präriewölfe, und zwar diesmal ganz in der Nähe. Fort flog der Terrier wie das erstemal, und nach einer Minute hatte er, wie man aus seinem leidenschaftlichen Belfern entnehmen konnte, sein Wild in Sicht bekommen, und die Jagd ging in voller Eile an. Sein wütendes Gebell verlor sich immer mehr in der Ferne und ward nie wieder gehört. Am nächsten Morgen konnten die Männer aus den Schneefährten herauslesen, wie sich die Sache zugetragen hatte. Der erste Kriegsruf der Präriewölfe sollte dazu dienen, festzustellen, ob alle Hunde los seien; als sie dann ausgefunden hatten, daß alle außer dem einen an der Kette lagen, machten sie einen Plan. Fünf von ihnen versteckten sich längs der Fährte; einer ging näher und bellte, bis er den Terrier herausgelockt hatte, und führte ihn direkt in den Hinterhalt. Was konnte er gegen sechs ausrichten? Sie zerrissen und verschlangen ihn ohne Erbarmen. Und am nächsten Morgen kamen die Männer und sahen, daß das Ganze planmäßig angelegt und ausgeführt worden war, und zwar unter der Leitung einer schlauen kleinen Wölfin mit gestutztem Schwanze.

Die Männer ärgerten sich, und Lincoln war wütend; aber Jakob bemerkte: »Nun, ich denke, der Stutzschwanz ist wiedergekommen und hat seine Rechnung mit dem Terrier glatt gemacht.«

VI.

Mit dem Nahen des Frühlings kam auch für die Präriewölfe wie alle Jahre die Zeit der Liebe. Sattelrücken und Tito waren den ganzen Winter über nur wie gute Kameraden beieinander gewesen, jetzt aber wurde ein neues Gefühl mächtig. Von Werben war nicht viel die Rede, Sattelrücken wies einfach allen, die etwa seine Nebenbuhler sein konnten, die Zähne. Auch Zeremonien sparten sie sich. Monatelang waren sie Freunde gewesen, und jetzt schlossen sie sich ohne weiteres auf Grund der neuen Gefühle naturgemäß noch enger aneinander und bildeten ein Paar. Namen, wie die Menschen, geben die Präriewölfe einander nicht, aber sie haben einen besonderen Ton – es ist ein abgebrochenes Heulen –, das im Anruf so viel bedeutet wie Mann oder Frau.

Jetzt löste sich die lose Jagdbrüderschaft der Präriewölfe auf, denn andere Paare sonderten sich ebenfalls ab, und da das wiederkehrende warme Wetter die Präriehunde und das kleine Wild herauslockte, so war man weniger auf gemeinsame Jagdzüge angewiesen.

Für gewöhnlich schlafen die Präriewölfe nicht in Höhlen oder an bestimmten Plätzen. Die ganze Nacht, während es kühl ist, streifen sie herum, und dann schlafen sie am Tage ein paar Stunden in der Sonne auf einem stillen Berghang, von wo aus sie auch gut Umschau halten können. In der Paarungszeit ändert sich diese Gewohnheit etwas.

Als die Witterung wärmer wurde, machten sich Tito und Sattelrücken daran, eine Höhle für den erwarteten Familienzuwachs herzurichten. In einem warmen kleinen Tal säuberten, vergrößerten und vertieften sie einen alten Dachsbau. Blätter und Gras wurden in ziemlicher Menge eingetragen und ein nach Wolfsbegriffen äußerst bequemes Lager hergerichtet. Der trockene, sonnige Winkel zwischen den Hügeln, auf den die Höhle führte, lag fast einen Kilometer westlich vom Kleinen Missouri. Nur dreißig Meter entfernt fand sich ein Erdrücken, der einen weiten Blick über die grasigen Abhänge und das Baumwollgestrüpp am Flusse gewährte. Die Menschen würden es eine sehr schöne Gegend genannt haben, es ist aber ziemlich sicher, daß die Präriewölfe für diese Anschauung nichts übrig hatten.

Tito wurde jetzt schon viel von den ihrer harrenden Pflichten in Anspruch genommen. Ohne sich viel zu bewegen, blieb sie in der Nähe der Höhle und nährte sich von dem, was ihr Sattelrücken brachte oder sie selbst leicht ergattern konnte, wie auch von den kleinen Vorräten, die sie in der guten Zeit verscharrt hatte. Jeden Präriehundsbau in der Runde kannte sie und ebenso auch die Stellen, wo es die meisten Mäuse oder Kaninchen gab.

Unweit der Höhle lag derselbe große Präriehundsbau, den sie an jenem unvergeßlichen Tage gekreuzt hatte, als sie ihre Freiheit gewann und die Hälfte ihres Schwanzes einbüßte. Wenn sie auf jene Zeit zurückzublicken vermochte, so mußte sie sicher über sich selbst lachen bei dem Gedanken an ihre damalige Torheit. Wie ganz anders verfuhr sie jetzt!

Etwas abseits von den übrigen hatte ein Präriehund seine Höhle nach allerbestem Muster angelegt, und jetzt, als Tito die Kolonie musterte, ließ er sich eben, etwa zehn Meter von der Tür seines Hauses, das Gras schmecken. Natürlich läßt sich ein Präriehund, der von den andern entfernt ist, viel leichter fangen, als einer mitten im Bau, denn für jenen ist nur ein paar Augen beflissen, Umschau zu halten; darum hatte es Tito gerade auf diesen einen abgesehen und ging stracks auf ihn zu. wie konnte sie dies aber tun, wenn keinerlei Deckung da war, nichts als niedriges Gras und ein paar Kräuter? Der Eisbär weiß die Robbe aus dem offenen Eise zu beschleichen und der Indianer an den grasenden Hirsch auf Treffweite heranzukommen. Tito verstand sich auf denselben Kunstgriff, und obgleich ein paar von den mit den Präriehunden gemeinsam den Bau bewohnenden Eulen mit warnendem Gekicher vorüberflogen, verfolgte Tito unbeirrt ihren Plan. Ein Präriehund kann nur dann gut sehen, wenn er aufrecht auf seinen Hinterfüßen sitzt, dagegen sind ihm seine Augen von geringem Nutzen, wenn er seine Nase ins Gras steckt, und das wußte Tito. Sodann ist ein gelbbraunes Tier in einer gelbgrauen Landschaft unsichtbar, solange es sich nicht bewegt. Auch das schien Tito zu wissen. So ging sie, ohne einen Versuch, zu kriechen oder sich zu verstecken, langsam gegen den Wind auf den Präriehund zu. Gegen den Wind – nicht um den Präriehund zu hindern, sie zu wittern, sondern um ihrerseits ihn im Geruch zu behalten, was allerdings in der praktischen Folge auf dasselbe herauskommt. Sobald sich der Präriehund mit einem Grashalm in der Pfote aufsetzte, wurde Tito starr wie eine Bildsäule; sobald er wieder seine Nase ins Gras steckte, ging sie stetig näher, ohne ihn einen Moment aus den Augen zu verlieren, um sich sofort wieder regungslos verhalten zu können, wenn er sich etwa aufsetzen und sich umsehen sollte, warum seine Brüder so bellten. Mehrmals schienen ihn die Warnungsrufe der andern in Unruhe zu versetzen, aber er sah nichts und graste ruhig weiter. Bald hatte Tito die fünfzig Meter auf zehn und die zehn Meter auf fünf hinuntergebracht und noch war sie nicht bemerkt worden. Als sich jetzt der Präriehund wieder ins Gras duckte, machte sie rasch einen sicheren Satz und trug das zappelnde und quiekende Nagetier als gute Beute fort. So schlägt der Würgeengel leichter die, die sich, achtlos und gleichgültig gegen die Vorteile der Gesellschaft, absondern und nur der eigenen Kraft vertrauen.

VII.

Manchmal lief es nicht so gut für Tito ab. Einmal war sie nahe daran, ein Antilopenjunges abzufangen, da erschien im letzten Augenblick die Mutter und versetzte der Verfolgerin einen so schmerzhaften Stich an der einen Seite des Kopfes, daß sie an diesem Tage nicht mehr auf die Jagd ging. Diesen Fehler beging Tito nicht wieder, denn sie hatte ein vorzügliches Gedächtnis. Mehrmals konnte sie sich nur durch einen Seitensprung vor dem Biß einer Klapperschlange retten. Öfters schossen auch Jäger mit langen Büchsen nach ihr, und dazu mußte sie sich auch immer mehr vor den schrecklichen Grauen Wölfen hüten. Der Graue Wolf ist bekanntlich weit größer und stärker als der Präriewolf, aber dieser hat den Vorteil der größeren Schnelligkeit und kann sich auf offenem Felde stets retten. Nur muß er sich vorsehen, daß er nicht in eine Sackgasse gerät. Gewöhnlich gehen die Präriewölfe, wenn sie einen Wolf heulen hören, ruhig an einer anderen Stelle ihren eigenen Geschäften nach.

Tito hatte eine merkwürdige Sucht, die man öfters bei Wölfen und Präriewölfen beobachten kann, in ihrem Maule meilenweit Gegenstände zu tragen, die nicht eßbar waren, aber die doch aus irgendeinem Grunde reizten. Manchmal hätte man sie weite Strecken mit einem alten Büffelhorn oder mit einem verlorenen Hufeisen laufen sehen können, Schätze, die sie sofort fallen ließ und durch anderes dergleichen ersetzte, was ihr vor Augen kam. Diese Eigentümlichkeit erklären sich die Cowboys, denen sie ausfällt, auf verschiedene sonderbare Weisen; so sagen sie, es geschehe, um die Kiefer zu strecken oder sie in Übung zu halten, ähnlich wie ein Athlet zu seiner Übung Gewichte stemme.

Wie die Hunde und die Wölfe haben auch die Präriewölfe die Gewohnheit, an gewissen Punkten ihrer gewöhnlichen Wechsel sich einzustellen und zum Zeichen ihrer Anwesenheit ein Andenken zu hinterlassen. Diese Punkte – man kann sie geradezu Stationen nennen – sind Steine, Bäume, Pfähle, ein alter Büffelschädel oder dergleichen, und jeder neue Präriewolf, der dort anlangt oder halt macht, kann aus dem Geruch und der Spur des letzten Besuchers vor ihm erkennen, wer dieser Besucher war, woher er gekommen und wohin er gegangen ist. Das ganze Land ist mit einem Netz solcher Poststationen bedeckt.

Nun kommt es oft vor, daß ein Präriewolf, der sonst nicht viel zu tun hat, einen gebleichten Knochen oder sonst etwas Unnützes im Maul trägt, wenn er aber den – sagen wir – Briefkasten erblickt, so begibt er sich dorthin, um die letzten Neuigkeiten zu erfahren und als Gegendienst selbst »einen Brief zu schreiben«. Dabei legt er wohl den Knochen oder was er sonst trägt, beiseite und vergißt, ihn nachher wieder aufzunehmen. So pflegt an diesen Poststationen im Laufe der Zeit noch eine Sammlung von allerhand Kuriositäten zu entstehen.

Diese sonderbare Gewohnheit war die Ursache, daß die Wolfshunde der Kaminfarm ein unseliges Verhängnis ereilte und den Präriewölfen in ihrem Kampfe mit den Menschen und Hunden ein entsprechender Gewinn erwuchs. Jakob hatte auf dem westlichen Ufer eine Reihe vergifteter Brocken gelegt. Tito wußte, war diese Fleischstücke zu bedeuten hätten, und verschmähte sie wie gewöhnlich; als sie aber dann noch mehr fand, nahm sie drei oder vier auf und kreuzte damit den Kleinen Missouri nach dem Ranchhause zu. Dieses umkreiste sie in sicherer Entfernung; als aber die Hundemeute aus irgendeinem Grunde in lautes Bellen ausbrach, ließ sie die Brocken fallen. Als man dann am nächsten Morgen die Hunde hinausließ, fanden sie und verschlangen die vergifteten Fleischstücke, so daß in zehn Minuten die Windhunde, die vierhundert Dollars gekostet hatten, verendet dalagen. Dieser Schadenfall gab die Veranlassung zu einer Verordnung, durch die im ganzen Bezirk das Legen vergifteter Fleischstücke verboten wurde, was natürlich für die Präriewölfe ein großer Gewinn war.

Bald hatte Tito gelernt, daß man nicht nur jeder Wildart in besonderer Weise nachstellen müsse, sondern daß man vorteilhafterweise manchmal auch bei verschiedenen Individuen derselben Art verschiedene Methoden anzuwenden habe. Jener Präriehund, der seinen Bau abseits der großen Kolonie hatte, war in der Tat eine leichte Beute geworden, aber nachdem er weggeholt war, bildete die übrige Bewohnerschaft eine zusammenhängende Bevölkerung. Fast im Mittelpunkt der ganzen Niederlassung wohnte ein schöner großer, fetter Präriehund, das reine Bild eines wohlgenährten Ratsherrn, den Tito schon mehrmals vergebens zu erschnappen versucht hatte. Das einemal hatte sie sich schon beinahe bis auf Sprungweite herangeschlichen, als das zornige Bis-s-s einer Klapperschlange gefahrdrohend hörbar wurde. Nicht als ob die Schlange hätte dem Präriehund helfen wollen, sie wollte nur selbst nicht in ihrer Ruhe gestört werden, und Tito, von instinktiver Furcht vor dem Reptil erfüllt, mußte die Jagd aufgeben.

Ein wildaussehendes Reptil.

Sich offen an den Ratsherrn heranzupirschen, wie sie es vorher bei dem Einsiedler getan hatte, erwies sich als völlig aussichtslos, denn infolge der zentralen Lage seines Baues diente ihm jeder Bewohner der Stadt als Schildwache; aber es war ein zu lockendes Ziel, als daß es Tito fertiggebracht hätte, ihn ganz aufzugeben; darum wartete sie, bis die Umstände die Anwendung einer neuen Methode erlaubten.

Älteren Präriewölfen ist es eigen, daß sie von einer hochgelegenen Warte aus beobachten, ob sich etwas auf den Straßen fortbewegt. Ist es vorüber, so gehen sie hinunter und untersuchen die Fährte. Auch Tito hatte diese Gewohnheit, trug aber dabei stets Sorge, daß sie selbst außer Sicht blieb.

Eines Tages fuhr ein Wagen vorüber nach Süden zu. Sofort legte sich Tito nieder, beobachtete das Gefährt und sah, daß etwas herunterfiel. Als dann der Wagen außer Sicht war, schlich sie hinab, um zuerst die Spur ihrer Gewohnheit nach zu beriechen und sodann zu sehen, was zu Boden gefallen war. Es war in Wirklichkeit ein Apfel; aber Tito sah nur einen wenig anziehenden runden Gegenstand, der einem Kaktusblatt ohne Stacheln glich und einen sonderbaren Geruch hatte. Sie beschnüffelte ihn, nahm ihn nicht an und wollte schon weitergehen; aber die Sonne schien so hell darauf, und er rollte so merkwürdig, als sie ihn mit der Pfote anstieß, daß sie ihn doch ganz mechanisch ins Maul nahm und über die Schwellung zurücktrottete, hinter der sich die Niederlassung der Präriehunde befand. Gerade zu dieser Zeit erschienen zwei große Präriehabichte, wie Seeräuber über die Ebene streifend. Sobald sie den Präriehunden zu Gesicht kamen, brachen diese in ein heftiges stoßweises Gebell aus, indem sie bei jedem Anbellen krampfhaft mit den Schwänzen zuckten, und verschwanden in der Unterwelt. Als alle fort waren, ging Tito zu dem Loch des Dicken, Fetten, dessen Körper ganz besonders ihre Sehnsucht erregte, und indem sie den Apfel einen Meter von dem Rand des Kraters, der in den ratsherrlichen Palast führte, auf den Boden fallen ließ, fuhr sie mit der Nase nach unten, um sich an dem köstlichen Geruch des Präriehundsfettes zu weiden. Schon der Duft von der Höhle des Dickwanstes stach mehr in die Nase als der von den andern. Dann entfernte sie sich ruhig hinter einen Fettholzbusch an einer etwas tieferen Stelle, etliche zwanzig Meter entfernt, und legte sich flach nieder. Nach ein paar Sekunden lugte ein neugieriger Präriehund heraus, und da er nichts sah, so rief er bellend: »Alles in Ordnung!« Einer nach dem andern kam heraus, und in zwanzig Minuten war die Ansiedlung so belebt wie vorher. Unter den letzten, die sich herauswagten, war unser fetter alter Ratsherr, der immer sehr besorgt um seine wertvolle Person war. Vorsichtig spähte er ein paarmal umher und kroch dann behäbig auf seinen Lugaus. Die Löcher des Präriehundes sind nämlich wie ein gerade nach unten verlaufender Trichter. Um seinen oberen Teil wird ein hoher Rand errichtet, der als Lugaus dient und auch die Sicherheit gewährt, daß der Bewohner, ganz gleich, wie er in der Eile ausgleitet, bestimmt in den Trichter rutscht und von der allbehütenden Erde aufgenommen wird. Nach außen fällt der Boden langsam nach allen Seiten ab. Als nun der Ratsherr das sonderbare runde Ding nicht weit von seiner Schwelle sah, so fürchtete er sich zuerst; eine zweite Besichtigung ließ ihn glauben, es sei doch nichts Gefährliches, wahrscheinlich etwas Unterhaltendes.

Der Ratsherr und der Apfel.

Vorsichtig näherte er sich, beroch es und versuchte, daran zu nagen; aber der Apfel rollte fort, denn er war rund und der Boden glatt und abschüssig. Der Präriehund folgte ihm und machte einen kleinen Biß, der ihm die angenehme Überzeugung gab, daß der merkwürdige Gegenstand gut zu essen sei. Aber jedesmal, wenn er anbiß, rollte der Apfel weiter fort. Das Feld schien klar, alle andern Präriehunde waren draußen, so trug der fette Herr kein Bedenken, dem bald hierhin, bald dorthin ein Stückchen rollenden Apfel nachzufolgen.

Auf den Zickzackwegen, welche die Frucht machte, hüpfte das Nagetier nach. Natürlich ging es immer mehr der Senkung zu, wo der Fettholzbusch stand, Die kleinen Stückchen, die der Dicke abbeißen konnte, reizten nur immer mehr seinen Appetit, und so kam er Fuß um Fuß weiter weg von seinem Loch, dem alten bekannten Busch zu, und seine Gedanken waren ausschließlich von der Lust des Fressens in Anspruch genommen. Und Tito zog sich zusammen und spannte ihre sehnigen Füße an und maß die noch verbleibende Entfernung, bis sie sich auf nicht mehr als drei gute Sätze verkürzt hatte; dann auf und wie ein Pfeil vorwärts auf den vor plötzlichem Schrecken sich nicht regenden Fettwanst, den sie packte und fortschleppte.

Er schießt über die Lichtung wie ein Pfeil.

Ob es nun Zufall oder Absicht war, was den Apfel hatte hinlegen lassen, wird man niemals entscheiden können, jedenfalls erwies es sich als bedeutungsvoll, und wenn dergleichen einem klugen Präriewolf ein- oder zweimal begegnet – und meist sind es die klugen, an die so etwas kommt –, so kann sich daraus leicht eine neue Jagdlist entwickeln.

Nach einem herzhaften Mahl verscharrte Tito den Rest, nicht um ihn loszuwerden, sondern um ihn für den künftigen Notfall aufzuheben, und als sie bald darauf zu schwach wurde, um viel jagen zu können, kamen ihr die verschiedenen Vorräte dieser Art sehr zupasse. Allerdings war das Fleisch dann nichts weniger als wohlriechend geworden; aber Tito war nicht heikel. Furcht vor Mikroben und Mikrobentheorien waren ihr unbekannt, und so schadeten sie ihr auch nichts.

VIII.

Der liebliche Frühling der Hiawatha, des indianischen Mädchens aus der Fremde, war erschienen und legte seine Hand auf alles in dem jetzt feenhaften Ödland. Ach, warum nennt man es Ödland?

Wenn die Natur am achten Schöpfungstage sich absichtlich niederließ, um zu ruhen, und sprach: »Die Arbeit ist getan, nun laßt uns spielen! Laßt uns eine Stelle schaffen, die alles Vollkommene und Wundervolle und Schöne in sich schließt – ein Paradies für Mensch und Tier und Vögel,« da hat sie sicher diese wilden, phantastischen, von Leben strotzenden Hügel, strahlend von den buntesten Blumen, voll abwechslungsreicher waldiger Grotten, weiter Präriestriche und schäumender Flüsse und Seen ins Leben gerufen. Hier im Vordergrund vor unseren Augen, dort, wo weithin die Ebene sich ergießt, und weiterhin auf den fernen Hügeln, deren Bild bei jedem Schritte wechselt, sehen wir die reichen Gaben der Natur in üppiger Fülle verschwenderisch ausgestreut, die sie in anderen Ländern so sparsam wie Gold darbietet, mit farbenreichem Himmel oben und farbenreichem Land unten und dem fernen Abschluß durch künstlerisch gemodelte Zinnen und Berge aus kostbaren Steinen und Erzen und gefärbt wie von immerwährendem, unaussprechlichem Sonnenuntergang. Und doch, für dieses ganze zehnfach prächtige und verzauberte Wunderland hat der blinde Mensch keinen anderen Namen gefunden als Ödland?

Die kleine Niederung im Westen der Kaminzinne war mit frischem Gras bestanden. Auch die gefährlich aussehenden Spanischen Bajonette, die im Winter mit allen lebenden Wesen Krieg zu führen schienen, steuerten nun ihren Beitrag zu dem friedevollen Triumph des Lenzes in Gestalt von Blumen, die selbst die kühlen Männer der Wissenschaft verlockt haben, sie Gloriosa zu nennen. Und die Kakteen, diese giftigen Kräuter, die von allen Pflanzen am meisten den Reptilien ähneln, setzten die Welt durch glänzende Blüten in Erstaunen, die ihnen so wenig gleichsehen, wie die Perle ihrem Mutterfisch. Salbei und Fettholzbusch liehen ihr Gold, und die Sandanemone färbte die Ödlandhügel, daß sie aussahen wie bläulicher Schnee. Und in der Luft, aus der Ebene und den Hügeln ruhte, wie man fühlte, der fruchtverheißende Segen des Frühlings! Winterliches Darben hatte nun ein Ende, der Festschmaus des Sommers begann, und dies war auch die von der Allmutter gesetzte Zeit, zu der die kleinen Präriewölfe zuerst das Licht des Tages sehen sollten.

Eine Mutter braucht nicht erst die Liebe zu ihrer hilflosen zappelnden Brut zu lernen. Sie bringt die Liebe mit sich, nicht viel oder wenig, nicht meßbare, sondern vollkommene Liebe. Und in dem schwach erleuchteten, warmen Raume, wo ihre Sprößlinge zur Welt kamen, liebkoste sie sie und leckte und hegte sie mit einer herzlichen Wärme der Zärtlichkeit, die in ihrem eigenen Leben nicht minder eine neue Epoche bedeutete, als in dem der Jungen.

Tito und ihre Jungen.

Aber ebenso voll wie der Becher der Freude und Liebe zu den Jungen war der der Besorgnis um ihre Sicherheit. Alles, was sie in ihrer merkwürdigen Jugendzeit gelernt, alles, was sie seitdem in sich aufgenommen hatte, das mußte bisher dem einen Hauptziel ihrer Selbsterhaltung dienen. Jetzt hatte ihre Brut sich zwischen sie und ihren Egoismus gedrängt. Ihre Hauptsorge ging nun dahin, ihre Höhle nicht entdeckt werden zu lassen, und dies war zuerst nicht schwer, denn sie ging nur fort, wenn ihre eigenen Bedürfnisse sie dazu zwangen.

Mit großer Vorsicht kam sie und ging sie, und das nur, nachdem sie das ganze Gelände ringsum gemustert hatte, so daß niemand sehen und ausfinden konnte, wo ihr Hort verborgen war. Hätte man die Vorstellung, die die Jungen von ihrer Mutter hatten, mit der der Cowboys vergleichen können, so würde sich herausgestellt haben, daß sie in keinem Punkte übereinstimmten, obwohl beide in ihrer Art recht hatten. Für die Hirten war die Wölfin nichts als ein Paar abscheuliche, grausame Kiefer über zwei Paar unermüdlichen Beinen, geleitet von einem reichen Maß Schlauheit und gefolgt von einer Spur der Zerstörung. Dagegen erschien sie den Jungen als eine liebevolle, freundliche, mächtige Beschützerin. Für sie war ihre Brust weich und warm und unendlich zart. Sie fütterte und wärmte sie; sie war ihre kluge und wachsame Wärterin. Immer bot sie ihnen Nahrung, wenn sie hungerten, immer war sie so klug, die Schlauheit der Feinde zunichte zu machen, und immer führte ihr mutiges Herz die Pläne, die sie zum Besten der Jungen gefaßt hatte, zu erfolgreichem Ende.

Ein neugeborener Präriewolf ist eine formlose, vernunftlose, zappelnde und – für jeden außer der Mutter – höchst uninteressante Masse. Aber wenn sich die Augen geöffnet, wenn sich die Beine entwickelt haben, wenn das Wölflein gelernt hat, in der Sonne mit seinen Brüdern zu spielen, oder auf den freundlichen Ruf der Mutter, die ihm zur Fütterung Jagdbeute heimbringt, zu hören, da wird der junge Präriewolf einer der schlauesten, süßesten kleinen Schelme von der Welt. Und als die neun, die Titos Brut ausmachten, diese Stufe erreicht hatten, da bedurfte es nicht mehr der verklärenden Mutterliebe, um sie als sehr reizvolle Geschöpfe erscheinen zu lassen.

Jetzt war der Sommer vor der Tür, die Jungen fingen an, Fleisch zu essen, und Tito, einigermaßen von Sattelrücken unterstützt, hatte sich fleißig zu rühren, um den eigenen Bedarf und den der Brut herbeizuschaffen. Manchmal brachte sie ihnen einen Präriehund, ein andermal kam sie wieder mit einem Maul voll gestreifter Präriehörnchen und Mäuse heim, und hin und wieder glückte es ihr, einen großen Hasen für die Kleinen zu ergattern.

Nach dem Schmause pflegten sie eine Weile in der Sonne herumzuliegen. Tito stieg als Schildwache auf einen Vorsprung und ließ ihr scharfes, ehernes Auge über die Erde und durch die Luft schweifen, damit kein gefahrbringender Feind ihr glückliches Tal finde. Und die munteren Jungen spielten Haschen oder jagten Schmetterlingen nach oder rauften offenbar ganz verzweifelt miteinander oder zerrten und rissen an Knochen und Federn, die jetzt um die Schwelle ihres Heims herumlagen. Eines, das am wenigsten entwickelte – denn gewöhnlich findet sich ein zurückgebliebenes –, stand unweit der Mutter und kroch ihr auf den Rücken oder zupfte sie am Schwanze. Sie boten, wie sie spielten, ein liebliches Bild, und die raufende Gruppe schien der Mittelpunkt des Ganzen zu sein. Doch bei schärferem Hinsehen würde des Beschauers Blick an der Mutter hängen geblieben sein, wie sie ruhig, wachsam, nicht ohne Besorgnis, aber vor allem mit einem Ausdruck mütterlicher Zärtlichkeit dastand. Oh, sie war so stolz und glücklich, und sie saß dort und bewachte ihre Sprößlinge mit stiller Liebe zu ihnen im Herzen, bis es Zeit war, heimzugehen, oder bis sich irgendeine Spur heranziehender Gefahr zeigte. Dann gab sie durch leises Heulen das Zeichen, und im Augenblick waren alle außer Sicht, worauf sie sich ausmachte, der Gefahr entgegenzutreten und sie abzuwenden oder aufs neue auf die Jagd zu gehen.

IX.

Dem Wolfsjakob schwebten verschiedene Pläne vor, wie er sein Glück machen wollte, aber er gab einen nach dem andern wieder auf, sobald er sah, daß man dabei arbeiten müsse. Mindestens einmal in ihrem Leben pflegen Leute dieser Art ihr Heil in der Geflügelzucht zu sehen. Sie stellen sich die Sache in ihrer Phantasie so vor, als tue dann eigentlich das Geflügel die ganze Arbeit. Und ohne sich wegen der Einzelheiten den Kopf zu zerbrechen, verwandte Jakob einen zufälligen kleinen Dollarregen auf den Ankauf von einem Dutzend Truthühner, um seinen jüngsten Plan auszuführen. Die Truthühner wurden in einem Verschlage in Jakobs Hütte eingestellt, so daß sie vor Nachstellungen gesichert zu sein schienen. Einige Tage hindurch schenkte er ihnen auch das größte Interesse und versorgte sie – in der Tat nur zu gut. Aber schon am dritten Tage war der Reiz der Neuheit gewichen, und Jakob hatte für seine Geflügelfarm nur noch wenig Eifer, der bald ganz wich und nicht einmal mehr den Schein zu retten suchte. Denn erstens hatte er jetzt bald Gelegenheit, in der fernen Stadt Feste mitzufeiern, und sodann gewann die alte Neigung, müßige Stunden auf der Höhe der Gebirgswände hinzubringen, wie die lockende Erinnerung an die Gastfreundschaft, die er bei anderen Viehzüchtern zu genießen pflegte, aufs neue Macht über ihn. Die armen Truthühner hatten nicht mehr die geringste Pflege, mußten selbst zusehen, wie sie zu Futter kamen, und jedesmal, wenn Jakob nach ein paar Tagen Abwesenheit in seine wenig einladende Hütte zurückkehrte, fand er, daß die Zahl kleiner geworden war, bis schließlich nur der alte Hahn übrig blieb.

Jakob fragte im Grunde wenig nach dem Verlust, aber er war wütend über den Dieb.

Inzwischen war Jakob auch als Wolfsjäger für den Distrikt zugelassen, das heißt, man lieferte ihm Gift, Fallen und Pferde, und er hatte Anspruch auf die ausgesetzten Wolfsprämien. Für einen zuverlässigen Mann hätte diese Stellung noch manchen Nebenverdienst eingetragen, denn die Viehzüchter sind keine Knauser, aber Jakob war eben nicht zuverlässig.

Wie jedem Wolfsjäger bekannt ist, zeigt sein Geschäft je nach der Jahreszeit ganz bestimmte Züge. Am Ende des Winters und im Anfang des Frühlings – der Paarungszeit der Wölfe – jagen die Hunde keine Wölfin. Sie verlassen dann die Spur eines männlichen Wolfes und nehmen die der Wölfin auf, aber wenn sie die Fliehende eingeholt haben, tun sie ihr regelmäßig aus irgendeinem sentimentalen Beweggrunde kein Leid. Im August und September fangen die jungen Präriewölfe an, allein zu laufen, und lassen sich dann leicht in Fallen fangen und vergiften. Etwa einen Monat später haben die Überlebenden besser gelernt, sich vor Schaden zu bewahren, aber im Anfang des Sommers gibt es, wie jeder Wolfsjäger weiß, überall in den Bergen Höhlen voll kleiner Wölfe. In jeder befinden sich fünf bis fünfzehn Stück, und die einzige Schwierigkeit liegt darin, die Örtlichkeit dieser Wolfskinderstuben ausfindig zu machen.

Eine Methode, die Höhlen aufzufinden, besteht darin, daß man auf irgendeinem hohen Felsenvorsprung Wache hält, bis man einen Präriewolf bemerkt, der seiner Brut Nahrung zuträgt. Da diese Art der Wolfsjagd viel Veranlassung zu müßigem Stilliegen gibt, so paßte sie unserm Jakob ausgezeichnet. So verwandte er denn, von Bezirks wegen mit einem Pferde versehen und mit einem Feldstecher ausgerüstet, Woche um Woche auf das Aufsuchen von Wolfshöhlen, das heißt, er legte sich an einem Punkte schlafen, von wo aus er gelegentlich, wenn ihm das Stillliegen zu langweilig wurde, die umliegende Landschaft bequem überschauen konnte.

Aber die Präriewölfe hatten gelernt, die ungedeckten Wechsel zu meiden, und wählten meist gedeckte Senkungen für den Heimweg. Immer freilich ließ sich dies nicht machen, und so bemerkte Jakob eines Tages, als er seinem sauren Tagewerk in dem Lande westlich von der Kaminhöhle oblag, durch sein Glas einen dunklen Punkt, der sich offen am Hang des Hügels fortbewegte. Er war grau und sah aus, wie die nebenstehende Figur zeigt: und sogar Jakob wußte, daß dies einen Präriewolf bedeutete. Wäre es ein Grauer Wolf gewesen, so hätte es so ausgesehen: mit hochgehaltenem Schweif. Ein Fuchs hätte folgendes Bild gegeben: das die langen Ohren, der Schweif und die gelbe Farbe gekennzeichnet hätten: und ein Hirsch hätte sich so dargestellt:

Der dunkle Schatten, der vom vorderen Ende niederging, besagte, daß er etwas im Maule trug – wahrscheinlich dem Lager zu – und das deutete auf eine Höhle, voll von Jungen.

Sorgfältig prägte er sich die Stelle ein und kehrte dann am nächsten Tage zu weiterer Beobachtung zurück, wählte aber diesmal zu seiner Warte eine hochragende Felszinne unweit des Punktes, wo er den Präriewolf hatte seine Beute forttragen sehen. Je doch der ganze nächste Tag verging, ohne daß er etwas zu Gesicht bekam. Aber am nächsten Tage erspähte er einen dunklen Präriewolf – es war unser alter Bekannter Sattelrücken –, der einen großen Vogel trug, und mit Hilfe seines Fernglases stellte Jakob fest, daß es ein Truthahn war. Da wußte er sofort, daß sein Geflügelhof jetzt ganz leer war. Zugleich ging ihm ein Licht darüber auf, wo die neun vorher Gestohlenen geblieben waren, und er schwur fürchterliche Rache, wenn er die Höhle finden sollte. Soweit er konnte, folgte er Sattelrücken mit den Augen, und das war keine große Strecke, und stieg dann herunter, um den Versuch zu machen, der Fährte weiter zu folgen; er fand aber keine Merkzeichen und kam auch zufällig nicht in die kleine Senkung, die den Spielplatz für Titos Brut bildete.

Inzwischen war Sattelrücken schon dort angekommen und ließ den leisen Lockruf ertönen, der stets die ungebärdige Schar der neun Wildfänge aus der Erde beschwor. In wildem Durcheinander stürzten sie sich auf den Truthahn und zerrten und zausten, bis er ganz zerrissen war. Jedes, das ein Stück weg hatte, lief für sich beiseite und machte sich still ans Verzehren, nahm aber sofort alles ins Maul, wenn ihm ein anderes zu nahe kam, und heulte mit seinem dünnen Stimmchen, während das Bräunlich-Weiße der Augen sichtbar wurde bei dem Bemühen, den Eindringling nicht aus dem Blick zu verlieren. Diejenigen, welche die weicheren Stücke des Puters ergatterten, waren gut daran. Aber die drei andern mußten alle ihre Energie an das Gestell des alten Tieres wenden, und darüber wogte eine grimmige Schlacht. Hierhin und dorthin zogen und schoben sie, rissen hin und wieder ein Stückchen ab, hinderten einander aber in Wahrheit am Fressen, bis Tito eingriff und den Truthahn mir nichts, dir nichts in drei, vier Stück teilte. Nun machte sich jedes mit seinem Preis davon und saß darüber und kaute und schmatzte mit den Lippen und stemmte seinen Kopf nach unten und seitlich, um die hintersten Zähne zur Anwendung zu bringen, während das zurückgebliebene Muttersöhnchen in die Höhle kroch, triumphierend seinen Anteil mit sich schleppend – den malerischen Kopf und den Hals des Truthahns.

X.

Jakob hatte die Empfindung, es sei ihm von dem Präriewolf, der ihm die Truthühner gestohlen hatte, bitteres Unrecht angetan, ja er sei von ihm geradezu ruiniert worden. Bei lebendigem Leibe wollte er, so gelobte er sich, den Jungen, wenn er sie fände, das Fell abziehen. Sattelrückens Spur zu folgen, war ihm nicht geglückt, und all sein Suchen nach der Höhle war vergebens, aber er hatte sich auf alles vorbereitet. Für den Fall, daß er die Höhle fand, hatte er Hacke und Schaufel mit sich gebracht, wo nicht, so wollte er mittels einer lebendigen weißen Henne, die er bei sich hatte, zum Ziele kommen.

Diese Henne brachte er nun auf einen offenen Platz, nicht weit von der Stelle, wo er Sattelrücken gesehen hatte, und dort band er sie an ein Stück Holz, das sie nur mit Mühe fortziehen konnte. Dann machte er es sich unfern auf einem Beobachtungsposten bequem und legte sich nieder, um aufzupassen. Natürlich lief die Henne so weit, als der Strick es zuließ, und lag dann auf dem Boden, sinnlos mit den Flügeln schlagend. Jetzt gab das Holz ein wenig nach, so daß die Schnur nicht mehr so straff gespannt war, worauf sich die Henne mehr zufällig nach einer andern Richtung, wandte und nun eine Weile aufstand, um sich umzusehen.

Langsam ging der Tag dahin, und Jakob streckte sich gemächlich auf seiner Decke. Gegen Abend kam Tito, die auf Beute ausging, vorüber. Dies war nicht auffallend, denn die Höhle war keinen Kilometer entfernt. Unter anderen Regeln hatte Tito auch die gelernt: »Laß dich nie am Horizont sehen!« Früher pflegten die Präriewölfe auf den Hügelrücken entlangzutrotten, um so nach beiden Seiten Ausschau halten zu können. Aber ihre Erfahrungen mit Menschen und deren Gewehren hatten Tito gelehrt, daß man sich auf diese Weise als sichere Zielscheibe biete. Daher machte sie es sich zur Vorschrift, ein wenig unterhalb des Rückens zu laufen und von Zeit zu Zeit nach der anderen Seite hinüberzuspähen.

So machte sie es auch an diesem Abend, als sie ausging, um ihren Kindern ein Nachtessen zu besorgen, und ihre scharfen Augen fielen auf die weiße Henne, die unsinnig hin und her ging. Tito wußte nicht, woran sie war. Das war etwas Neues. Es sah aus wie eine gute Beute, aber sie fürchtete eine Gefahr dahinter. Sie ging um den ganzen Platz im Kreise herum, immer auf möglichst vollständige Deckung bedacht, dann beschloß sie, was es auch sein möchte, lieber ihre Pfoten davon zu lassen. Als sie weiterlief, erregte ein schwacher Rauch ihre Aufmerksamkeit. Vorsichtig ging sie ihm nach, und unterhalb einer Felsenrippe, weit weg von der Henne, fand sie Jakobs Lager. Da war sein Bett, sein angeseiltes Pferd, und über dem glimmenden Feuer befand sich ein Topf, der einen ihr von den Lagern der Menschen her wohlbekannten Geruch ausströmte – den Geruch von Kaffee. Diese sicheren Zeichen von der Anwesenheit eines Menschen in dieser Gegend erfüllten sie mit Unruhe, aber sie ging ruhig ihrem Jagdgewerbe nach und hielt sich immer möglichst gedeckt, so daß Jakob überhaupt nichts von ihr bemerkte.

Um Sonnenuntergang nahm der Wolfsjäger seinen Lockvogel heim, da zahlreiche Eulen umherschwirrten, und begab sich zurück zu seinem Lager.

XI.

Am nächsten Tage wurde die Henne wieder als Köder ausgeworfen, und am späten Nachmittage dieses Tages kam Sattelrücken vorbeigetrottet. Sobald sein Auge auf die weiße Henne fiel, machte er halt, stand mit seitwärts gerichtetem Kopfe da und lugte. Dann schlug er einen Bogen, um den Wind zu bekommen, und kam vorsichtig schleichend näher, sehr vorsichtig und etwas verblüfft, bis ihn ein Hauch erreichte, der die Erinnerung an den Platz, wo er die Truthühner gefunden hatte, wachrief. Von Angst ergriffen, wollte die Henne fortlaufen, aber Sattelrücken stürzte auf sie los und ergriff sie mit solcher Heftigkeit, daß die Schnur riß, worauf er mit der Beute dem heimischen Tal zueilte.

Jakob war eingeschlafen, aber das Aufkreischen der Henne erweckte ihn, und als er sich aufrichtete, konnte er eben noch sehen, wie Sattelrücken sie zwischen seinen Kinnbacken davontrug.

Sobald der Räuber mit seiner Beute außer Sicht war, nahm Jakob die Spur der weißen Federn auf. Zuerst war leicht zu folgen, denn die Henne hatte bei ihrem verzweifelten Sträuben viele Federn gelassen, dann aber, als sie totgebissen zwischen Sattelrückens Kiefern lag, waren nur noch wenige Federn gefallen, außer wo der Weg durch Gebüsch führte. Aber Jakob folgte ruhig und seiner Sache gewiß, denn Sattelrücken war mit der gefährlichen, verräterischen Beute fast in gerader Linie heimwärts zu seinen Jungen gegangen. Nur ein paarmal wußte Jakob nicht sofort weiter, wenn der Wolf seine Richtung ein wenig geändert hatte oder über eine offene Strecke gegangen war; aber eine einzige weiße Feder genügte für fünfzig Meter, und als das Tageslicht verschwunden war, befand sich Jakob nicht mehr zweihundert Meter von der Höhle, in der die neun jungen Wölflein gerade in diesem Augenblick eine köstliche Freude an der Henne hatten, die sie in Stücke rissen, fressend und heulend, die weißen Zedern von ihren Nasen schnäuzend und aus ihren Kehlen forthustend.

Wäre der Wind von ihnen nach Jakob zu gegangen, so hätte ein Luftzug einen Schwarm weißer Federn oder sogar den munteren Lärm der kleinen Unbändigen dem Jäger zuführen können, und die Höhle wäre sofort entdeckt gewesen. Aber das Glück wollte es, daß um diese Zeit gerade die abendliche Windstille eingesetzt hatte und alle entfernteren Geräusche in dem krachenden Lärm untergingen, den Jakob bei dem Versuch machte, durch das letzte Dickicht zu brechen.

Zu derselben Zeit etwa kehrte Tito mit einer Elster heim, die sie lange belauert und endlich gepackt hatte, als sie eben ihre Atzung zwischen den Rippen eines toten Pferdes suchen wollte. Auf dem Rückweg kam sie auf Jakobs Fährte. Nun ist ein Mann zu Fuß in dieser Gegend schon an und für sich eine bedenkliche Erscheinung. Sie folgte der Spur eine Strecke, um zu sehen, wohin sie führe, und erkannte dies auch bald aus dem Geruche. Wie das möglich ist, kann niemand sagen, und doch ist allen Jägern die Tatsache bekannt. Und Tito merkte, daß die Fährte direkt auf ihre Höhle zuführe. Von neuer Furcht ergriffen, versteckte sie den Vogel, den sie gefangen hatte, und folgte der Spur des Mannes. Nach wenigen Minuten hörte sie ihn durch das Gebüsch brechen und sah nun die drohende Gefahr in ihrer vollen Größe. 5chnell und lautlos eilte sie im Bogen um den Jäger herum der Höhle zu und traf hier die achtlosen kleinen Vagabunden, nachdem sie den Lockruf ausgestoßen hatte, damit sie nicht etwa bei ihrem unerwarteten Anblick zu laut würden; aber sicher gab es ihr einen Stich ins Herz, als sie sah, wie leicht kenntlich und auffindbar jetzt die Höhle und das ganze kleine Tal waren, da überall Federn weiß wie Schnee in Fülle herumlagen. Da gab sie das Gefahrsignal, das alle in der Erde verschwinden ließ, und die kleine Schlucht lag still und einsam da.

Da für Tito selbst die Nase ein so zuverlässiger und steter Führer war, so wird sie vielleicht nicht einmal die Federn für so verräterisch gehalten haben; aber so viel war ihr jetzt ganz klar, daß ein Mann, und zwar einer, den sie von jeher als einen heimtückischen Charakter kannte, einer, dessen Geruch regelmäßig Unheil für sie bedeutet, der bei allen ihren Nöten mitgewirkt hatte und die Ursache fast all ihrer verzweifelten Gefahren gewesen war, daß dieser Mann ganz dicht bei ihren Lieblingen weilte, daß er ihrer Spur folgte, daß er sie voraussichtlich in wenigen Minuten in seiner erbarmungslosen Gewalt haben würde.

Oh, der Jammer für das Mutterherz, wenn sie an all das dachte, was sie schon voraussah! Aber die Wärme der Mutterliebe erweckte ihren Mutterwitz zu doppelter Kraft. Nachdem sie die Kleinen beiseite gebracht und Sattelrücken mittels Zeichen von ihrer Beunruhigung verständigt hatte, kam sie schnell zu dem Mann zurück, dann kreuzte sie vor ihm, indem sie in ihrer halbvernünftigen Art dachte, der Mann könnte gar nicht anders als einem Fußgeruch folgen, gerade wie sie es selbst getan hätte, er müsse aber natürlich der schärferen Spur nachgehen, die sie eben legte. Daß das Schwinden des Tageslichts einen Unterschied mache, kam ihr gar nicht in den Sinn. Dann trottete sie auf eine Seite, und um ihre Verfolgung mit doppelter Sicherheit herbeizuführen, gab sie die grimmigste Ausforderung von sich, die sie in der Kehle hatte, gerade so, wie sie es damals getan hatte, um die Hunde auf ihre Fährte zu ziehen:

Grrr – wau – wau – we–e–e–eh ...!

Jetzt stand sie still. Darauf rannte sie näher und wiederholte ihre Herausforderung, und dann noch viel näher und bellte noch einmal, so fest war sie entschlossen, den Jäger auf ihre eigene Fährte zu nötigen.

Natürlich konnte der Wolfjakob nichts mehr von Tito sehen, denn schon sank der Schatten hernieder. Auf keinen Zoll konnte er jetzt die Jagd fortsetzen. Wenn er nun auch im einzelnen die Dinge völlig anders auffaßte, als es die Wolfsmutter tat, so kam es am Ende doch auf dasselbe heraus. Es war ihm klar, daß das Wolfsgeheul die Stimme der bekümmerten Mutter darstellte, die ihn weglocken wollte. Daraus schloß er, die Brut müsse ganz nahe sein, und alles, was er noch zu tun hatte, war, am Morgen zurückzukehren und die Nachforschung zu Ende zu führen. So kehrte er zunächst zum Lager zurück.

XII.

Sattelrücken dachte, sie hätten die Schlacht gewonnen. Er war seiner Sache sicher, denn, meinte er, der Fußgeruch, dem der Mann gefolgt war, werde am nächsten Morgen verweht sein. Tito freilich fühlte sich nicht so siegesgewiß. Diese zweibeinige Bestie war dicht bei ihrem Heim und ihren Kleinen, sie war mit Not und Mühe abgelenkt worden; vielleicht kam sie aber wieder!

Der Wolfsjäger tränkte sein Pferd und seilte es wieder an, fachte sein Feuer zu frischer Lohe, kochte sich Kaffee und verzehrte sein Abendessen; dann rauchte er eine Weile, ehe er sich niederlegte, und dachte dabei von Zeit zu Zeit an die kleinen wollenen Skalpe, die er sich am nächsten Morgen zu holen gedachte.

Ihr Abendlied.

Als er sich in seine Decke rollen wollte, drang aus der finsteren Ferne das Abendlied der Präriewölfe an sein Ohr, die dröhnende Herausforderung aus mehr als einer Kehle. Mit teuflischer Freude grinsend, sagte Jakob bei diesem Klange: »Ihr kommt mir schon recht. Heult nur zu! Morgen früh sehn wir uns wieder.«

Es war das gewöhnliche Lagergeheul der Präriewölfe. Und nachdem es einmal angeschlagen war, versank alles wieder in tote Ruhe. Jakob vergaß es bald in seinem benommenen Schlafe.

Das Geheul ging aus von Tito und Sattelrücken und war kein bloßer Schall. Es hatte einen bestimmten Zweck, nämlich den, sicher zu erfahren, ob der Feind Hunde bei sich habe; und da kein Antwortsgebell erfolgte, so wußte Tito, daß keine Hunde da waren.

Dann wartete Tito eine Stunde oder länger, bis das flackernde Feuer erloschen war und der einzige lebendige Ton um das Lager herum von dem knuppernden Geräusch des grasenden Pferdes herrührte. Tito kroch leise näher, so leise, daß das Pferd sie erst merkte, als sie nur noch sechs Meter entfernt war. Dann machte es einen Ruck, daß das angespannte Seil in die Luft flog, und wieherte leise. Tito kam ruhig vorwärts, öffnete ihren langen Rachen, nahm das Seil darein, fast bis unter ihrer Ohren, zwischen die großen Hinterzähne, scharf wie Scheren, und kaute ein paar Sekunden daran. Die Fibern lösten sich rasch, und unter der Beihilfe des mit aller Macht zerrenden Pferdes gaben die letzten Strähnen nach, und das Tier war frei. Sehr beängstigt war übrigens das Pferd nicht; es kannte ja den Geruch der Präriewölfe, und nachdem es drei Sätze und doppelt so viel Schritte gemacht hatte, blieb es stehen.

Der dumpfe Ton der Hufschläge auf dem harten Prärieboden erweckte den Schläfer. Er blickte auf; da er aber das Pferd oder vielmehr dessen schwache Umrisse ruhig an einem Orte weilen sah, drehte er sich um und schlief wieder ein, in der Meinung, es sei alles in Ordnung.

Tito war weggeschlichen, kam aber jetzt wie ein Schatten zurück, umging den Schläfer, kroch ans ausgebrannte Feuer, beschnüffelte den Kaffee und staunte dann eine verzinnte Kanne an, während Sattelrücken die Backpfanne voll »Lagerzwieback« untersuchte und dann die Pfanne wie den Zwieback verunreinigte. Auf niederem Gebüsch hingen die Zügel; ohne zu wissen, was es war, zerbissen sie die Präriewölfe zu ihrem guten Glück in Stücke. Dann nahmen sie die Beutel, in denen Jakob seinen Speck und sein Mehl verwahrte, trugen sie weit weg und verscharrten sie im Sand.

Schönes Wild.

Nachdem sie so möglichst viel Unheil angerichtet hatten, machte sich Tito mit ihrem Gefährten nach einer waldigen Schlucht auf, die verschiedene Kilometer entfernt war. Hier befand sich ein Loch, das zuerst von einem gestreiften Präriehörnchen angelegt, aber dann von verschiedenen Tieren erweitert worden war, darunter auch von einem Fuchs, der versucht hatte, die ersten Bewohner auszugraben. Tito machte halt und entschloß sich, nachdem sie noch mehrere andere Stellen in Betracht gezogen hatte, für diese. Dann fing sie an zu graben. Sattelrücken war ihr gefolgt, ohne ihre Absicht voll zu verstehen, bis er sah, was sie machte. Als sie dann, müde vom Graben, herauskam, kroch er ins Loch, und nachdem er herumgeschnüffelt hatte, fuhr er mit der Arbeit fort, die Erde mit den Hinterfüßen hinauswerfend; als sie dann hinter ihm aufgehäuft war, kam er heraus und schob sie noch weiter fort.

Und so arbeiteten sie stundenlang, ohne einen Ton von sich zu geben und doch mit genügendem Verständnis für das vorschwebende Ziel, um einander bei der Arbeit abzulösen. Als dann der Morgen dämmerte, hatten sie eine Höhle fertig, die ihren Bedürfnissen genügte, falls sie umziehen mußten, wenn sie auch mit der in dem Grastal keinen Vergleich aushielt.

XIII.

Erst kurz vor Sonnenaufgang erwachte der Wolfjakob. Mit dem echten Instinkt eines Präriemenschen wandte er seinen ersten Blick seinem Pferde zu. Es war fort. Was das Schiff für den Seemann, der Flügel für den Vogel, das Geld für den Kaufmann, das ist für den Präriebewohner sein Roß. Ohne Pferd ist er hilflos, gescheitert, flügellahm, geschäftsunfähig. Zu Fuß auf der Prärie, das ist die Höhe des irdischen Schreckens. Sogar Jakob konnte sich dieser Erkenntnis nicht verschließen; noch ehe aber sein schwerfälliger Geist ganz die Größe seines Mißgeschicks erfaßt hatte, gewahrte er die Stute, die, in der Ferne ruhig grasend, sich immer weiter vom Lager entfernte. Ein zweiter Blick belehrte ihn, daß das Pferd seinen Strick hinter sich herzog. Wäre das Tier ohne Strick gewesen, so hätte Jakob gewußt, daß nicht die geringste Hoffnung aus Wiederergreifung bestehe. Da aber der Strick nachschleifte, war die Aussicht, das Pferd einzufangen, nicht gering; dann konnte er auch die Höhle auffinden und an den Wölflein sein Mütchen kühlen; so machte sich Jakob auf, seinem grasenden Pferde nach.

Nun gibt es kaum etwas Peinlicheres, als wenn man sein durchgegangenes Pferd beinahe, aber nicht völlig fangen kann. Was er auch anstellte, Jakob konnte nicht nahe genug heran, den kurzen Strick zu fassen; das Pferd führte ihn weiter und immer weiter, bis sie wieder beide auf dem Heimweg waren.

Nun war Jakob sowieso zu Fuß, und da er keinen besseren Plan zu fassen wußte, so folgte er dem Tiere einfach nach der Ranch zurück.

Als sie aber etwa zwölf Kilometer hinter sich hatten, gelang es Jakob, den Strick zu fassen. Nun legte er auf dem ungesattelten Pferderücken die noch fehlenden fünf Kilometer bis zur Schlafranch in fünfzehn Minuten zurück und ließ dabei seinen lange zurückgehaltenen Unmut in grausamer Weise an dem Pferde aus, das er mit einem dornigen Stecken mißhandelte. Natürlich konnte das zu nichts Gutem führen, und das wußte er auch, aber gemäß seiner rohen Gesinnung wollte er sich diese »Genugtuung« nicht versagen.

Auf der Ranch erhielt Jakob ein ordentliches Mahl; er lieh sich einen Sattel und einen Hund von unbestimmter Rasse, der ein guter Spürhund war, und ritt am späten Nachmittage zurück, um die Höhle vollends aufzufinden. Hätte er es gewußt, er hätte sie jetzt ohne Hilfe des Köters auffinden können; denn er war, wie bereits erwähnt, nicht mehr weit davon, als er die Federspur da wieder aufnahm, wo er sie verlassen hatte. Nach weniger als hundert Meter stieg er zur Kante eines kleinen Hügelrückens empor; als er dann diesen überstieg, sah er sich fast Auge in Auge einem Präriewolf gegenüber, der ein großes Kaninchen im Maule trug. Der Präriewolf machte gerade in dem Augenblick einen Sprung, als Jakob seinen Revolver abfeuerte. Zugleich brach der Hund in grimmiges Bellen aus und stürzte hinter dem Flüchtling drein, während Jakob einmal über das anderemal losknallte, ohne jedoch zu treffen, und sich des Todes verwunderte, daß die Präriewölfin – eine solche war es offenbar – nicht das Kaninchen fallen ließ, während sie doch in Todesnot vor dem wütend bellenden Hunde davonrannte. Jakob folgte, soweit er vermochte, und schoß bei jeder Gelegenheit darauf los, ohne einen Treffer zu tun. Als die beiden Tiere dann zwischen den Felsrippen verschwunden waren, überließ er den Hund seinem weiteren Schicksal, während er zur Höhle zurückkehren wollte, die jetzt offen genug da lag. Junge waren noch drin, das wußte er. Hatte er nicht eben noch gesehen, daß ihnen die Mutter ein Kaninchen brachte?

So arbeitete er denn den ganzen Tag hindurch mit Hacke und Spaten. An Zeichen, daß die Höhle noch bewohnt war, fehlte es nicht. Dies gab ihm Mut, und er grub weiter. Nach stundenlanger, schwerer Arbeit, wie er sie kaum je in seinem Leben getan hatte, gelangte er endlich an das Ende der Höhle – doch nur, um sie leer zu finden. Nachdem er im ersten Anfall der Wut sein Mißgeschick verflucht hatte, zog er sich starke Lederhandschuhe an und griff in dem aufgewühlten Erdreich des Wolfsnestes umher. Er fühlte etwas Festes und zog es heraus: es war der Kopf und Hals seines eigenen stolzen Truthahns, und das war alles, was ihm für all seine Mühe zuteil wurde.

XIV.

Tito war in der Zeit, wo der Feind mit seinem Pferde Haschen spielte, nicht müßig gewesen. Ganz gleich, was Sattelrücken tun wollte, Tito hatte keine Neigung, sich betören zu lassen. Nach Vollendung der neuen Höhle trottete sie zu dem kleinen, jetzt mit weißen Federn geschmückten Tale zurück, und das erste Junge, das sie am Eingang der Höhle traf, war ein Dickkopf, der ihr sehr ähnlich sah. Sie packte ihn am Nacken und lief zurück, indem sie ihn mehr als drei Kilometer weit quer durch das Gelände zur neuen Höhle trug. Immer wieder mußte sie nach kurzer Zeit ihren Sprößling absetzen, damit er sich verschnaufte. So ging's nur langsam vorwärts, und der Transport der Wölflein nahm den ganzen Tag in Anspruch, denn Sattelrücken durfte keines tragen, wahrscheinlich, weil er zu rauh anpackte.

Mit dem Größten und Gescheitesten hatte sie den Anfang gemacht und alle der Reihe nach einzeln hinübergetragen, bis spät am Nachmittage nur noch das kleine Unglückswürmchen übrig war. So hatte Tito nicht nur während der ganzen Nacht schwere Grabarbeit getan, sondern war dann auch noch den Tag über fünfzig Kilometer weit gelaufen, und zwar die Hälfte des Weges noch dazu mit einem schweren Jungen im Maule. Aber für sie gab es kein Rasten. Eben kam sie aus der Höhle mit ihrem Jüngsten im Maule, als gerade über dem Talrand der Mischhund auftauchte und ein kleines Stück hinter ihm der Wolfjakob.

Fort jagte Tito, ohne ihr Jüngstes loszulassen, und fort fegte der Hund hinter ihr drein.

Paff! Paff! Paff! knallte der Revolver.

Aber kein Schuß traf. Dann ging die wilde Jagd über den Hügelrücken herüber, wo sie der Revolver nicht erreichen konnte, und eilig über eine ebene Fläche, vorn die ermüdete Wölfin mit ihrem Baby und der dicke, grimmige Hund hinter ihr, der seine weitesten Sätze machte, wäre sie frisch und unbeschwert gewesen, so hätte sie den plumpen Köter bald hinter sich gelassen, der jetzt mir wütendem Gebell ihr nachsetzte und bei dem Wettlauf eher gewann als verlor. Aber nun kam sie wieder ins Offene, und der Jäger, der sich weit hinten abmühte, Schritt zu halten, bekam sie zu Gesicht und feuerte immer wieder seinen Revolver ab, jagte aber nur den Staub auf. Dennoch zwang sie das Schießen zum Zickzacklaufen, wodurch sie Zeit verlor, und spornte auch den Hund noch mehr an. Der Jäger sah, wie die Präriewölfin, seine alte Bekannte mit dem gestutzten Schwanz, noch immer das Kaninchen, wie er meinte, im Rachen trug, das sie ihrer Brut hatte bringen wollen. »Warum läßt sie die Last nicht fallen, wenn sie in Todesnot flieht?« Aber rastlos lief sie weiter und trug wacker ihre Bürde, während der Mann fluchte, daß er sein Pferd nicht mitgenommen hatte, und der Mischhund ihr mit tödlichem Ernst nur noch um zehn Meter zurück nachsetzte. Da gähnte plötzlich vor ihr eine kleine Schlucht. Ermüdet und von dem Jungen beschwert, wagte sie nicht, den Sprung zu tun, sie machte lieber den kleinen Umweg. Aber der Hund war noch frisch; er setzte unschwer darüber weg, und die arme Mutter hatte noch die Hälfte ihres letzten Vorsprungs verloren.

Titos Lauf um Leben und Tod.

Trotzdem lief sie rastlos weiter und mühte sich dabei, ihr Junges so hoch zu halten, daß die Dornbüsche und die gefährlichen Bajonettdornen es nicht zerkratzen konnten. In diesem Bemühen jedoch faßte sie das hilflose Junge zu fest, das im Maule der Mutter zu ersticken drohte. Sie mußte es entweder niederlegen oder erwürgen; mit diesem Gewicht konnte sie sowieso nicht länger aus dem Bereich des Verfolgers bleiben. Vergeblich wollte sie um Hilfe heulen, ihre Stimme war durch das Junge erstickt, das jetzt nach Atem rang, und als sie es etwas weniger fest packen wollte, fiel es ihr infolge einer plötzlichen Zuckung aus dem Maul ins Gras – in die Gewalt des unbarmherzigen Hundes. Tito war viel kleiner als der Hund; unter gewöhnlichen Verhältnissen würde sie vor ihm Angst gehabt haben; aber ihr Kleines war jetzt ihr einziger Gedanke, und als das rohe Geschöpf vorwärtssprang, um es zwischen seinen Kinnbacken zu zerreißen, fuhr sie dazwischen und stand ihm mit gesträubter Mähne und gefletschten Zähnen gegenüber, offenbar entschlossen, ihr Junges um jeden Preis zu retten. Der Hund war nicht sonderlich mutig und verließ sich nur auf seine überlegene Größe und den Mann hinter ihm. Aber der Mann war weit weg, und bei seinem ersten Angriff auf das bebende Wölflein, das sich im Gras zu verstecken suchte, zurückgewiesen, zauderte der Köter einen Augenblick, und Tito brach in einen gedehnten Hilferuf aus:

Jap – jap – jap – jah – jah–h–hhh,
Jap – jap – jap – jah – jah–h–hhh,

so daß die Felswände ringsum widerhallten und Jakob nicht wußte, von wo das Gebell kam; aber es war ein anderer da, der es hörte und auch wußte, woher es erschallte. Dem Hund erwachte der Mut von neuem, als er etwas wie einen fernen Schrei hörte. Wieder sprang er auf das Kleine los, aber wieder hemmte ihn die Mutter mit ihrem eigenen Leibe, und nun packten sie sich in tödlichem Ringen. »Oh, käme doch nur Sattelrücken!« Aber es kam keiner, und nun hatte sie keine Gelegenheit mehr, noch einmal um Hilfe zu rufen. Bei engem Ringen ist das Gewicht alles, und Tito kam bald zu Boden, zwar tapfer bis zuletzt kämpfend, aber doch offenbar den kürzeren ziehend; andererseits wuchs der Mut des Hundes mit der Aussicht auf Sieg, und jetzt setzte er alles daran, es mit ihr auszumachen und dann das hilflose Kleine ebenfalls umzubringen. Für nichts anderes hatte er Augen oder Ohren, bis plötzlich aus dem nächsten Salbeistrauch ein graues Etwas hervorblitzte, und in einem Augenblick war der lärmende Bramarbas von einem Gegner, fast ebenso schwer wie er selbst, mit zerschundener Schulter beiseite geschleudert. Ritsch, ratsch sprang der ehrenfeste Sattelrücken noch einmal auf ihn los. Tito raffte sich wieder auf, und beide machten sich nun über den Köter her. Sofort schwand dem Dicken der Mut, als er sah, wie jetzt die Sache stand, und nun war sein einziges Streben, seinen beiden furchtbaren Gegnern, Sattelrücken, der so schnell war wie der Wind, und Tito, für die das Leben ihres Lieblings auf dem Spiele stand, heil zu entkommen. Nur zwanzig Sätze weit kam er, auch seinen fernen Herrn konnte er nicht mehr um Hilfe anrufen, und so wurde er, nicht fünfzehn Meter weit von dem Kleinen, das er hatte zerreißen wollen, selbst zerbissen.

Und Tito hob das gerettete Junge auf, und indem sie so schnell weiterging, als es ihre durch den heißen Kampf äußerst erschöpften Kräfte gestatteten, erreichten sie die neubereitete Höhle. Dort war nun die Familie wieder glücklich vereinigt, fern von jeder Gefahr durch den Wolfjakob und seinesgleichen.

Und dort lebten sie in Frieden, bis die Mutter das Werk ihrer Aufzucht vollendet hatte, und jedes von den neun wuchs auf und war erfüllt nicht nur von dem alten Instinkt, den das frühere Prärieleben gezeitigt, sondern auch von der neuen Erkenntnis, die ihre Mutter in ihrer Jugend wie in ihrem späteren Kampfe mit den menschlichen und tierischen Verfolgern in sich aufgenommen hatte, und nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder und Kindeskinder.

Verschwunden sind die Büffelherden, eine Beute der Jägerbüchsen. So gut wie verschwunden sind die Antilopen; Hunde und Blei waren für sie zuviel. Axt und Zaun ließen die Rudel der Schwarzschweifhirsche hinschwinden. Wie der Schnee sind die alten Bewohner des »Ödlands« unter den neuen Bedingungen zusammengeschmolzen; daß aber die Präriewölfe aussterben, ist nicht zu befürchten. Ihr Abend- und ihr Morgenlied tönt immer noch von den Felsenrippen der westlichen Prärien wie ehemals, als alles dort von Wild wimmelte. Sie haben sich das tödliche Geheimnis der Fallen und Giftbrocken erworben; sie wissen, wie sie dem Jäger und seinem Hund entgehen, ihre Schlauheit nimmt um die Wette zu mit der der Jäger. Sie haben gelernt, in einem Lande zu gedeihen, das voll ist von Produkten aus Menschenhand, trotz des Schlimmsten, das ihnen der Mensch antun kann, und Tito war es, die ihre Sippe dies gelehrt hat.


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