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Überkombiniert

»Die Sache entwickelt sich einfacher, als ich für möglich gehalten hätte.« Passi seifte sich, die Lippen leckend, Brust und Arme ein. »Ich habe eben einen großen Vorteil vor allen Herren meines Metiers: den, überzukombinieren.«

Georgettas lange Wimpern fielen tief herab. Sie begann, mit ihrem Schminkstift allerlei Gliedmaßen sich auf die nackten Oberschenkel zu malen.

Passi rieb sich seine schäumende Brust. »Meine Pläne sind sehr oft zu weit gespannt. Die Leute, gegen die ich manövriere, stellen sich als weitaus ungefährlicher heraus und die Sache kommt an, fast als hätte ich gar nichts gestartet. Noch vor drei Tagen hätte ich es nicht für möglich gehalten, daß Wannemakers Psychologie von solcher Ärmlichkeit ist.« Er fühlte, daß er ins Übertreiben geraten war, und wurde ärgerlich. »Freilich kann ich nicht mit letzter Gewißheit urteilen. Es könnte ja auch sein, daß diese Haltung sein Manöver ist.«

Georgetta kratzte sich unter der Achsel. »Ein schlankes Männerprofil!« Und meinte, es mit dem Hemd sich vom Bauch wischend: »Du überkombinierst schon wieder.« Sie erhob sich träge, achtete aber sorgfältig darauf, graziös aufzutreten, um die Übung, ihren Akt voll zur Geltung zu bringen, nicht zu verlieren. »Wannemaker ist trotz seiner achtunddreißig Jahre ein dummer Junge. Wer anders ließe sich denn vier Abende lang besuchen, stundenlang zurückweisen und immer wieder hinhalten?«

»Hm.« Passi schnupperte an einem Finger. Ganz undeutlich war es ihm, als entziehe sich etwas seiner Kenntnis. »Auch Aliette benimmt sich anders, als ich erwartet hatte. Sie scheint es für listiger zu halten, sich nicht neben dir zu zeigen. Vielleicht, um mich öfter ins Bett zu bekommen und gegenüber Wannemaker sich leichter zu behaupten.«

Georgetta sang: »Möglich.« Dann machte sie sich schimpfend daran, ihren Kimono zu suchen.

»Weißt du, daß Wannemaker seit zwei Tagen mit Aliette schläft?«

»Nein.« Georgetta beobachtete interessiert ihr weißes Kätzchen, das sich mit der Zunge wusch. »Aber es wundert mich, daß du es mir erst jetzt sagst. Übrigens glaube ich es nicht.«

»Ich weiß es erst seit vier Stunden. Es beweist, daß Wannemaker doch kein so dummer Junge ist und den peinlichen Zustand, in dem du ihn stets zurückläßt, sich von Aliette beseitigen läßt.«

»Wann holst du das Halsband?« Georgetta spie ihrem Kätzchen auf den Kopf und jauchzte, als es sich heftig puddelte.

Passi zuckte mit der Stirn, nahm ein Wasserglas und fing an zu gurgeln ...

Die auf den Diebstahl des Perlenhalsbands folgende Woche war für beide eine schwere Geduldsprobe. Wannemaker kam unter dem Vorwand, den Verdacht endgültig abzulenken, allabendlich; aber auch Aliette, die einen Tag lang in Untersuchungshaft gewesen und nur durch Wannemakers Eingreifen freigelassen worden war. Sie bekundete eine nichts Gutes verheißende Schweigsamkeit, da sie nicht mehr daran glaubte, daß Georgetta von dem Diebstahl nichts wisse und es nach der ganzen Sachlage ein Fehler wäre, jetzt schon mit ihr zu brechen. Sie besaß jedoch, außer Wannemakers jüngsten Liebenswürdigkeiten für Georgetta, nicht den kleinsten Anhaltspunkt und vermochte Passis Absichten nicht zu durchschauen.

Da Passi weiterhin mit ihr schlief und Wannemaker allem Anschein nach blind war vor Liebe zu Georgetta, wäre die ganze Angelegenheit wohl wunschgemäß in jenes Stadium gekommen, in dem Passi mit Georgetta hätte still verschwinden können. Da aber geschah etwas ganz Unerwartetes.

Aliette kam eines Abends angerast und meldete zitternd, man habe Tiller, ihren Freund, verhaftet. Es läge ihr ja weiter nichts mehr an ihm, erklärte sie sofort Passi, der nur mühsam schwerste Besorgnisse hinter lächelnder Verwunderung verbarg, aber er hätte sie ohnedies im Verdacht, daß sie mit ihm, Passi, nicht nur des Geldes halber schlafe, und wenn er nun von ihrem Abenteuer mit Wannemaker erfahre, das sie ihm dummer Weise verschwiegen habe, wäre er imstande, das Tollste zu erfinden, um sich zu rächen.

Die Situation wurde noch um vieles kritischer, als Wannemaker, der inzwischen erschienen war, von der eifrigen Konversation, in der Passi und Aliette begriffen waren, zu profitieren sich beeilte, indem er Georgetta gegenüber allerlei versteckte Zärtlichkeiten sich herausnahm, die diese vergeblich zu verhindern trachtete.

So geschah es, daß Aliette plötzlich Wannemakers Hand in Georgettas Decolleté verschwinden sah.

Es war Aliette, als fiele eine dünne Wand vor ihr ein. Sie erbleichte bis auf die Stirn.

Passi bemerkte es. Ein Blick in die Augen Aliettes, die sich mit einem feuchten weißen Schimmer überzogen, und in die Georgettas, die groß und warnend auf ihn gerichtet waren, orientierte ihn sofort. Er wußte, daß es galt, augenblicklich zu handeln. Schnell packte er Aliettes Finger und so fest, daß der Schreck ihr die Stimme verschlug, und raunte ihr scharf ins Ohr: »Du gehst mit mir auf den Balkon! Sofort! Vorwärts!«

Draußen setzte Passi sie in einen Korbsessel, pflanzte sich vor ihr auf, die Hände über der Brust gekreuzt, und musterte sie schweigend.

Aliette faßte sich schneller, als ihm lieb war: »Ah, wie konnte ich nur so dumm sein, das nicht früher bemerkt zu haben! Aber ich habe es geahnt.«

»Was denn.« Passi, an seinem Handrücken schnuppernd, versuchte, irreführend zu lächeln.

»Ah, ich durchschaue dich jetzt!« In Aliettes Augen zuckte es haßerfüllt. »Georgetta war der Köder, nicht ich. Mit Georgetta allein war dir die Sache bloß nicht sicher genug. Du brauchtest zwei Hennen. Durch mich sollte Wannemaker sich dir gegenüber gedeckt glauben. Durch mich wolltest du Georgetta und dich gegen die Polizei decken. Und durch Tiller. Du hast gewußt, daß er mein Freund ist. Jetzt ist mir alles klar ... Ah, Georgetta hat ja schon mit Wannemaker geschlafen. Denn ich habe nicht mit ihm geschlafen. Ah, jetzt begreife ich erst die idiotische Haltung dieses schlanken Männerprofils ... Bewundernswert! Ich sollte Georgettas Besuche verschleiern. Wir haben ja beide fast dieselbe Gestalt. Ah, das ist, das ist ...«

Passi war, als das »schlanke Männerprofil« wiederkehrte, stutzig geworden. Die Wahrscheinlichkeit, Georgetta könnte bereits mit Wannemaker geschlafen haben, deuchte ihn mit einem Mal sehr groß. Aber er rührte sich gleichwohl nicht, hoffend, er werde noch Genaueres erfahren.

»Passi, sag mir, hast du den Schmuck gestohlen, während ich bei Wannemaker war oder während sie bei ihm war? ... Ah, es war sicherlich sie! Sicherlich!« Aliette zerriß ihr Seidentaschentuch zwischen den Zähnen.

Passi säuberte sich mit der Zunge das Zahnfleisch. »Und selbst wenn es so gewesen wäre. Wäre das nicht sehr unwichtig?« Es war seine Spezialität, in den kritischesten Momenten, auch wenn er durchaus nicht wußte, wie er sich aus der Affaire ziehen konnte, am sichersten zu erscheinen.

Aliette weinte. Ihre Stimme aber klang trotzdem gefährlich. »Wenn du dir einbildest, daß ich für diesen niederträchtigen Verrat meinen Hans verhängen lasse ... für dieses Dreckschwein ... dann irrst du. Du hast diese Verhaftung kalkuliert, kein Zweifel, und vielleicht sogar direkt besorgt ... Nein, nein, so billig setzt man Aliette nicht vor die Tür und auf den Sand!« Sie schneuzte sich entschlossen.

Passi, immer noch nicht im Klaren, was er am besten täte, sagte, wohl wissend, daß er unter allen Umständen sich halten müsse: »Du bist eine dumme Gans.« Er lächelte innerlich über den Kontrast: Aliette, die sich zwar teilweise irrte, hatte dennoch unerwartet viel Scharfsinn bewiesen.

Eigenartiger Weise aber wirkte diese Beschimpfung sichtlich beruhigend auf Aliette. Sie hob das Köpfchen und betrachtete Passi, mehr neugierig prüfend als zornig.

Passi wunderte sich. Da aber erinnerte er sich daran, daß Aliette ihn ja eigentlich liebe; und daß Georgetta ihn vielleicht doch betrogen haben könnte. Und augenblicklich stand sein Plan in der Hauptsache fest. »Ich wollte zwar, aus sehr bestimmten Gründen, noch einige Tage warten. Da ich aber sehe, daß du infolge des blödsinnigen Zustandes, in dem du dich jetzt befindest, imstande bist, die rasendste Dummheit zu machen ... Ja, es ist schon gut! Komm mit! Du wirst einsehen, wer in dieser Affaire die dupe ist, du oder – Georgetta.«

Aliette traute ihren Ohren nicht. Ein Lächeln, das bis hinter die Haare floß, überquoll ihr Gesicht. Sie ließ sich willenlos von Passi an der Hand ins Zimmer zurückführen.

Passi hätte es nun lediglich mit einigen Worten vermeiden können, die von ihm geplante, immerhin nicht ganz unriskante Szene aufzuführen. Aliette hätte ihm trotzdem wieder geglaubt. Aber er war neugierig, zu sehen, wie Georgetta sich verhielte.

Er trat schnell auf das Paar zu und sagte leise, aber mit einem gut gemeisterten Zittern in der Stimme, zu Wannemaker: »Mein Herr, ich hatte soeben Gelegenheit, Sie ein wenig zu beobachten. Ich hoffe, Sie werden Ihre Beziehungen zu meiner Frau dadurch vereinfachen, daß Sie sie in einer Stunde von hier abholen.«

Wannemaker starrte sekundenlang steif auf einen Paravent. Dann küßte er Georgettas Hände, verneigte sich gemessen gegen Passi: »Ich werde in einer Stunde meinen Wagen schicken«, und ging.

Kaum hatte die Tür sich hinter ihm geschlossen, als Passi auf Georgetta zusprang, sie brutal zu Boden schleuderte und mit den Füßen gegen die Wimmernde stieß: »Du Dreckschwein!«

Georgetta, die Passis Absicht, Aliette zu beruhigen und andererseits Wannemaker gegenüber eine schnelle Abreise zu motivieren, sofort begriffen hatte, kroch stöhnend zu Passis Füßen, küßte seine Schuhe und schluchzte herzzerbrechend.

Passi stieß sie, von ihrem verständigen Verhalten irgendwie enttäuscht, von sich und ging mit Aliette, die leise triumphierend lachte, ins Vestibül des Hotels.

Nach einer Weile sehr genußreichen schweigenden Nebeneinandersitzens füllte Passi Aliettes kleine Hände in die seinen. »Nun, weshalb wollte ich mit Georgetta nicht früher brechen? Um sie bei der ersten Gelegenheit Wannemaker an den Hals zu werfen. Hätte diese Gelegenheit sich nicht geboten, hätte ich sie eben herbeigeführt. Sollte er bereits mit Georgetta geschlafen haben, so wird er sie sich unfehlbar holen. Er ist ja Amerikaner. Und sollte er noch nicht mit ihr geschlafen haben, so wird er sie sich erst recht holen. Er ist ja Amerikaner. Auf jeden Fall aber bin ich beide los. Und das Halsband gehört gefahr- und komplikationslos uns. Noch heute nacht reisen wir, Aliette.«

»Ist Georgetta denn nicht deine Frau?«

»Nein. Eine gewöhnliche Kokotte, die ich aus einer peinlichen Situation befreite, in der Absicht, mir ihre Dankbarkeit dienstbar zu machen. Daß du in Griffnähe warst, konnte ich nicht wissen.«

Aliette machte vor Glück ein ganz strenges Gesicht. Hierauf versprach sie, in zwei Stunden mit ihren Koffern an der Ecke vorzufahren ...

Als Passi ins Zimmer tänzelte, küßte Georgetta ihr Kätzchen auf die Schnauze. »Wo ist dieses Häufchen Unglück von einem dummen Luder?«

»Sie kommt in zwei Stunden wieder, um sich zu überzeugen, daß wir beide abgereist sind. Aber weshalb packst du nicht längst? Ich nahm an, du hättest alles begriffen. Wir müssen sogleich fort. Weit fort.« Passi, sich außerordentlich bewundernd, trällerte ausgelassen. »Dieses schlanke Männerprofil ist wirklich ein dummer Junge. Nicht einmal mit Aliette hat er geschlafen.« Plötzlich aber wurde er neuerdings mißtrauisch. »Vielleicht aber doch mit dir ...?«

»Du überkombinierst schon wieder.« Georgetta begann sich hastig umzukleiden. »Wannemaker wird mir zwar seinen Wagen schicken, aber zu einem einigermaßen anderen Zweck.«

Passis Mund klappte auf und blieb offen.

»Er verlangt nämlich, daß ich ihm endlich zuwillen sei, widrigenfalls er uns verhaften ließe. Wenn ich drei Wochen lang täte, was er wolle, gehöre der Schmuck uns.«

Passi schnappte. »Kein dummer Junge!«

»Finde ich auch.«

»Leider etwas spät. Er hat also doch mit Aliette geschlafen!«

»Glaube ich nicht.«

»Wie aber sollte er sich die Gewißheit verschafft haben, daß ich es war, der das Halsband stahl?«

»Seine Psychologie ist doch nicht von solcher Ärmlichkeit, mir das auf die Nase zu binden.«

»Diese Haltung war also doch sein Manöver. Daß ich das nicht früher ... Ja, selbstverständlich, seine Unverschämtheiten dir gegenüber vor Aliette waren zwischen euch abgekartet. Wie überhaupt alles. Denn er hat doch mit dir geschlafen ... Ja, selbstverständlich!«

»Es wundert mich, daß du nicht bemerkst, wie gleichgültig das alles ist – angesichts des Zwangs, den Wannemaker ausübt.« Georgetta warf ihr Kätzchen in eine Hutschachtel.

»Du lügst. Aber schließlich habe ich ja das Halsband.«

»Und Aliette.« Georgetta, eine verdächtig süße Mattigkeit auf den Lippen, schminkte sich unbekümmert weiter.

Als Wannemakers herrlicher Mercedes-Wagen mit Georgetta die Rampe des Hotels hinunterglitt, hatte Passi, der am Fenster stand, das peinliche Gefühl, daß sie nicht zurückkehren würde. Nicht ohne Grund.


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