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Pfeffer weiß sich zu helfen

Genoveva, höchste Neugier in den durch Belladonna erweiterten Pupillen, freute sich des würdevollen Schwankens ihres Federhutes. »Wie sieht er denn aus?«

»Er besitzt einen roten Knebelbart, pechschwarze, bläulich schimmernde Haare und weder Augenbrauen noch Wimpern. Deshalb sagte ich mir sofort, als ich ihn vor einigen Wochen kennen lernte: der Mann ist nicht ohne.«

Genoveva wirbelte leicht der Kopf. »Verstehe ich nicht.«

»Wenn man schon einen Beruf ausübt«, Pfeffer wieherte geübt, »muß man unter allen Umständen auffallen. Als Arzt ganz besonders. Da nun alle Ärzte an der Hand von meterlangen Bärten und ähnlichen patriarchalischen Requisiten es auf abgrundtiefe Vertrauenswirkung abgesehen haben, ist es einfach großartig, als Arzt sich eine Halunkenfresse anzuschaffen.«

Genoveva, immerhin ergötzt, begann sich zu pudern. »Hat man denn aber auch wirklich Vertrauen?«

»Zu Maxe?« Pfeffer gluckste originell. »Wollte sagen zu Dr. Edelmaier. Ha! Er hat mir seine Anfänge erzählt. Naturgemäß hatte kein Mensch Vertrauen zu ihm. Als er aber einmal einen günstigen harmlosen Fall in die Finger bekam, richtete er ihn, ohne dem Kranken dabei zu schaden, sich zu einem allerschwersten her. Man hatte nicht den Mut, ihn wegzuschicken, da er nächtelang am Bett des also Zugerichteten blieb. Als die ganze Familie zwei Tage lang geweint hatte und bereits an Trauerkleidern nähte, rettete er den Kunden innerhalb von vier Stunden durch eine kleine Scheinoperation mit riesigem äußeren Aufwand. Von diesem halsbrecherischen Erfolg an datiert seine Praxis. Heute ist dieser Pfiffikus steinreich.«

»Er kann also doch etwas.«

»Obwohl mir dieses ›Doch‹ imponiert – nicht viel. Er weiß sich der wirklich gefährlichen Fälle stets sehr geschickt zu entledigen und behandelt nur die einfachen, die er sich eben zu schwierigen gestaltet.«

Genoveva, deren innere Ausgeglichenheit nun doch auseinanderstob, verschüttete Puder auf ihren Busen. »Bist du deshalb allein sein Freund?«

»Nein.« Pfeffer säuberte sie, etwas zu gewissenhaft. Dann ließ er seine gut entjüdelte Stimme ins Lyrische hinüber: »Dieser Herr mit der gräßlichsten Gaunervisage, die ich je gesehen habe, und mit der unerschütterlichsten Vertrauensstellung, die ich je behohnlächelt habe, dieser Herr ist einer der gefährlichsten Verbrecher, die ich je gekannt habe.«

Genoveva wurde rot vor Angst und Neugier. »Was macht er denn?«

»Reiche krank.« Pfeffer, saftig schnalzend, reinigte seine Fingernägel vermittels einer Stecknadel. »Niemand denkt auch nur daran, seine Diagnosen anzuzweifeln und sich für gesund zu halten. Aber das ist nicht alles. Spitz deine Hörer! Seine Diagnosen sind so überaus genau, daß er seine Einbrüche fast wie Besuche macht. Nachher heilt er den Geschädigten, nimmt manchmal sogar in Anbetracht des finanziellen Ruins kein Honorar. Neuer Ruhm. Neues Vertrauen. Neue Einbrüche.«

»O!« Genoveva genoß zitternd die Aufregungen kommender Sensationen. »Und was willst du jetzt bei ihm?«

»Dich erkranken lassen, Vevi.«

»Mich? ...« Genoveva tanzte es vor den Augen.

Pfeffer griff ihr lange unter die Achseln ...

Obwohl die Sprechstunde Dr. Edelmaiers erst um drei Uhr begann, war sein Wartezimmer bereits halb vor drei überfüllt. Pfeffer aber wurde, als er seinen Namen durch eine Nebentür lispelte, sofort eingelassen.

»Det also is deine Zieje?« Dr. Edelmaier tätschelte Genoveva ab wie einen kranken Gaul. »Macht se imma Knixe?«

»Nur vor dir«, versicherte Pfeffer stimmungsvoll.

Dr. Edelmaier spie in eine Aluminiumpfanne. »Wem soll ik se ordinieren?«

Pfeffer grunzte bedeutungsvoll. »Professor Hanseborg soll ihr das Leben retten.«

»Nachdem ik ihr uffjejeben habe, wat?« Dr. Edelmaier rieb sich mit dem Handballen seine grauenerregende Nase. »Is det Meechen im Bilde?«

»Sie ist es.« Pfeffer klappte den Operationsstuhl nieder und winkte Genoveva einladend mit der Hand.

»Ziehn Se sich aus«, kommandierte Dr. Edelmaier dumpf, während er Pfeffer zur Tür hinausdrängelte.

Nach einer überaus minutiösen Untersuchung, die dazu dienen sollte, die am leichtesten produzierbare Diagnose festzustellen, wurde der am Schlüsselloch harrende Pfeffer wieder eingelassen.

Er kam, mit eiergroßen Blicken die noch halb Entkleidete umspülend, händereibend näher. »Hanseborg ist nicht nur schwerreich, Maxe, sondern ... sondern sogar homosexuell.«

»Pfefferchen, biste meschugge?«

»Mir macht es auch manchmal den Eindruck.« Genoveva, welcher die allzu intensive Art der stattgehabten Untersuchung bereits keimende Bedenken keineswegs zu zerstreuen vermocht hatte, strengte sich, da ihre Hände den Rock hielten, vergebens an, ihren linken Busen, den Dr. Edelmaier wie versehentlich immer noch in der Hand hielt, freizubekommen.

»Macht es, macht es ...« höhnte Pfeffer beweglich. »Mädchen haben zu schweigen, wenn von ihrem Glück die Rede ist.«

»Pfeffa, du bist een würdjer Sohn deines ... Ui!« Dr. Edelmaier schrie plötzlich schrill auf.

Genoveva hatte mit dem Fuß gegen ein Schienbein ihres Peinigers gestoßen und so ihren Busen befreit.

Pfeffer versetzte ihr, die Gelegenheit nützend, aber sehr indigniert mehrere leichte Hiebe auf Schulter und Arm. »Setz dich, Vevi! Also die Sache wird gemacht, wie projektiert. Du, Maxe, stellst die Diagnose.«

»Wanderniere«, fletschte Dr. Edelmaier.

»Da kann er lange suchen.«

»Natierlich.« Dr. Edelmaier untersuchte seine fetten roten Hände.

»Gut.« Pfeffer liebkoste seinen Bauch. »Hanseborg muß also den Fall übernehmen. Ich überrasche die beiden in einer stattlich geschlechtsverkehrten Situation. In dieser Hinsicht glaube ich mich auf Vevis Eingebungen verlassen zu können. Hanseborg wird, wegen Mißbrauchs der Berufsgewalt, ein Prozeß an den Hals gehetzt. Er wird einerseits sehr glücklich sein, einen guten Zeugen gefunden zu haben, mit dem er dem Gerücht von seinen abnormalen Neigungen wirkungsvoll entgegentreten kann; andererseits aber wird er für seine Professur und seine soziale Stellung mit Recht schwere Besorgnisse hegen. Es wird ihm nun vorgeschlagen, dafür zu bezahlen, daß man ihn den Prozeß gewinnen läßt, indem ja Vevi die Aussage machen könnte, sie habe sich ihrem Lebensretter in unwiderstehlichem Drang hingegeben. Hanseborg wird den Braten riechen, aber seinen Vorteil nicht verkennen.«

»Wat, jloobste, wird er bezahlen?« Dr. Edelmaier biß sich nachdenklich in seinen roten Knebelbart.

Pfeffer bekreuzigte sich. »Ich denke an hunderttausend Emmchen.«

»Det is nett von dich.«

»Jeder kriegt ein Drittel.«

»Möchte ich schriftlich haben«, rief Genoveva dreimal.

»Kriegste!« Pfeffer suchte seinen Hut. »Übermorgen.«

Dr. Edelmaier rannte sehr unruhig umher. »Och und ik habe die janze Bude voll von Erkrankten!«

»Ha!« schrie Pfeffer. Hierauf hatte es den Anschein, als überlege er délirant. »Ha! Hanseborg wird nach dem Prozeß Wert darauf legen, Vevi noch einige Zeit herumzuzeigen. Herrliche Gelegenheit für uns, bei ihm einzubrechen. Hab ich Ideen?«

Dr. Edelmaiers abscheuliche Äuglein lohten nur so. »Pfeffa, du bist een würdjer Sohn deines jottjefälljen Volksstamms ... Und nu jeht mal, Kinder! Klingl mir an, hörste?«

Pfeffer, der Genovevas beleidigenden Äußerungen auf der Treppe wortlos standgehalten hatte, wurde unterm Haustor, als sie ihn bereits gewisser Vergehen und Verbrechen zu zeihen begann, welche ihm ein Strafausmaß von mehreren Menschenaltern zuzuziehen geeignet gewesen wären, sozusagen rabiat: »Halts's Maul, oder ich laß dich verhungern!«

»Du schnappst wirklich noch einmal über.«

»Das wäre ein ehrenvoller Abschluß meiner Biographie.«

»Saujud miserabler, dreckiger!«

Pfeffer lächelte wonnig. »Vevi, willst du ein Schnitzel?«

Dieser Vorschlag erschütterte Genoveva für Sekunden so sehr, daß Pfeffer Zeit fand, ihr zu sagen, der ganze Auftritt bei Dr. Edelmaier wäre von A bis Z – »gestellt« gewesen, um den durch einen anonymen Brief hinter die Seitentür des Ordinationszimmers gelockten Staatsanwalt zu einer Anklage zu veranlassen, die ihm seine Existenz kosten würde, Dr. Edelmaier einen öffentlichen Lacher und beiweitem weniger als die Reklame in Hotels, Kurorten und Fachzeitschriften. »Ich erhalte nach dem Freispruch zehntausend Mark, du fünftausend.«

Genoveva haschte mit beiden Händen nach der Hauswand. Als sie Halt hinter sich fühlte, versuchte sie, endlich mit Erfolg, ihre immer noch umhertaumelnden Augen einzufangen und auf Pfeffer zu richten. »Also ist kein Wort von all dem wahr?«

»Keine Silbe!«

»Warum hast du mich denn aber nicht eingeweiht?«

Pfeffer kniff sie, irgendwo. »Du bist eine sehr gute Schauspielerin, Vevi. Wie alle unwiderstehlichen Mädchen. Aber in solch einem immensen Fall ist es sicherer, auf echt zu arbeiten.«

Genoveva war alsbald nicht nur völlig versöhnt, sondern versprach Pfeffer, der nun wirklich Effekt gemacht hatte, spontan die nächste Nacht und den heißesten Dank.

Unmittelbar nach dessen Abstattung, während Pfeffer eben den noch dampfenden Leib sich wusch, fragte Genoveva: »Hast du dem Edelmaier schon telefoniert?«

»Was? ... Ach so ... Nein.« Pfeffer setzte sich auf den Fußboden.

»Ja, warum denn nicht ...?«

»Die Sache ist doch aus.« Pfeffer bearbeitete sich den Rücken mit grimmigen Handtuchschlägen.

»Wieso aus. Sie fängt doch erst an.«

»Nebbich. Das Ganze war gestellt.« Pfeffer befühlte einen seiner hohlen Zähne.

Genoveva rutschte langsam aus dem Bett. Ihrem Mund entrangen sich unbeschreibbar qualvolle Laute, bevor sie zu stammeln vermochte: »Bitte sag mir ... was ... ich ...«

»Gewiß.« Pfeffers behaarter Körper machte geschmeidige Wendungen. »Maxe ist nicht der Dr. Edelmaier, sondern sein Faktotum. Er ist, wie du ja bemerkt haben wirst, zu häßlich, um auf schöne Mädchen folgenschweren Eindruck zu machen. Deshalb ging er auf meine Stellungen ein, die ihm die Möglichkeit geben, sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade zufriedenzustellen. Und die auch mich zufriedenstellen. Denn mit einem Kerl, höchst unromantischen Äußerns wie ich, schläft ein Mädchen von deinen körperlichen Qualitäten nur nach reichlicher psychologischer Bearbeitung.«

Genoveva warf sich mit einem unartikulierten Aufschrei auf Pfeffer und verprügelte ihn mit ihren kleinen Fäusten, bespie ihn, kratzte und biß. Minutenlang. Endlich hielt sie erschöpft inne. Beim Anblick Pfeffers aber packte sie von neuem die Wut. Abermals stürzte sie sich auf ihn und verhaute ihn erbärmlich.

Da, mit einem Mal, stutzte sie. Sie hatte ein Stöhnen vernommen, das ihr sonderbar geklungen hatte.

Von einem unbestimmten Verdacht erfaßt, neigte sie sich über ihr Opfer und mußte zu ihrem Entsetzen erkennen, daß der Unhold in mühsam unterdrückten Krämpfen äußersten Entzückens sich wand.

Genoveva erblaßte gänzlich. Also auch um ihre Rache sah sie sich betrogen. Wie irrsinnig torkelte sie auf ein Fauteuil zu, in dem ihre Kleider lagen, stolperte dabei über einen kleinen Teppich und taumelte an die Wand, die bei ihrem Anprall dumpf widerhallte. »Was ist das? Ist das eine Tür? Hier ist doch das Haus zu Ende!«

Und schon suchte sie fieberhaft, von einer fürchterlichen Ahnung geschüttelt, nach der Klinke oder dem geheimen Knopf. Sie fand einen kurzen Strick, zog an ihm und fuhr aufkreischend zurück:

Hinter der aufgesprungenen Tapetentür stand, die scheußlichen Züge lustverzerrt, Maxe, Speichel in den Mundwinkeln. Und zwar halbnackt. Und in einem unwiedergebbaren Zustand.

Genoveva fiel in Ohnmacht ...

Als sie erwachte, saß vor ihr ein schöner Herr in Gehrock und hellroter Krawatte, der aussah wie ein Veteran des Heiratsschwindels, und schlug ihr, ölig lächelnd, langsam vor, in diesem Zimmer und in seinem Hause verbleiben zu wollen; der Klient, der sie hergebracht hätte, zahle so unpünktlich, auch sei seine Spezialität zu geräuschvoll und hätte schon gelegentlich zu Mißhelligkeiten mit der Polizei geführt; sie solle die Gelegenheit ergreifen und ihrem Ärger, der ja nur zu verständlich sei, mit einem »Ende gut, alles gut« etc. etc.

Genoveva erraffte noch so viel Besinnung, sich wortlos anzukleiden und mit ihren Siebensachen die Treppe und die Straße zu gewinnen. Ihren Federhut, dessen Pleurosen geknickt waren, trug sie in der Hand. Ihre Augen hatten, mangels Belladonna, jeden Glanz eingebüßt.

Seit diesem Abenteuer ist Genoveva Antisemitin, Männerfeindin und überhaupt gegen den Geschlechtsverkehr. Gegenwärtig sieht sie wegen Verführung minderjähriger Mädchen einer längeren Gefängnisstrafe entgegen. Aber durchaus hochmütigen Herzens.


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