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Das sicherste Spiel

Reinac betrat, seit einigen Stunden erst in Genua, gegen elf Uhr nachts einen geheimen Spielklub in einem Neubau auf dem Corso Andrea Podestà. Die Adresse besaß er von dem beflissenen Portier seines Hotels.

Es wurde Bac gespielt. Reinac verlor sechshundert Lire und brachte es über sich, aufzuhören.

In der Bar machte er die Bekanntschaft des jungen Baron Cavarri, der mit seiner Maitresse, einer zierlichen Französin aus Avignon, so meisterhaft die Bar beherrschte, daß sein erster Eindruck gewesen war: »Der Junge macht das als Nebenverdienst.«

Nach wenigen Worten wurde er jedoch an dieser Auffassung irre. Er nahm, sein Interesse hinter witzigen Äußerungen verbergend, allerlei über die Vermögensverhältnisse Cavarris wahr, das ihm in solchem Maße bemerkenswert erschien, daß er das Paar für den nächsten Abend zum Diner lud, um in einem sicheren Spiel sich zu versuchen ...

Es war ein Uhr nachts, als Reinac auf die Straße trat. Vom Wein und Spielverlust erregt und bereits eine Kombination erwägend, winkte er einem Taxi und fuhr in die Via Caffaro.

Huguette, im Nachthemd, flog ihm mit einem Aufschrei an den Hals. Es dauerte länger als eine Viertelstunde, bis sie so weit zu Atem kam, um zusammenhängend sprechen zu können.

Plötzlich bemerkte sie, während sie Reinac noch durch feuchte Schleier hindurch betrachtete, was eine Frau sonst augenblicklich fühlt. Sie jubelte: »O, meiner süßer kleiner Bébert, komm her zu mir!« Und schon riß sie ihn, dem sie lediglich zuvorkam, an sich und wälzte sich mit ihm auf die Ottomane ...

Nachher weckte sie ihre Zofe, ließ ein frugales Souper auftragen und gebärdete sich närrisch vor Vergnügen. »Et Spielmann? Was er macht der ganzer Zeit?«

Reinac trank belustigt. »Der hat sich schwer verkühlt bei jener Reise.«

»Va, gouchat que t'es! Spiel nicht der Schwierigen!«

»Er singt in Marseille.«

»Singt?«

»Noch drei Jahre.«

Huguette senkte ein paar Sekunden ihr hold zerwühltes Köpfchen.

»Pardon, das ich es machte nur aus der Gewohnheit ... O, und er sagte solcher entzückender Witze. Wie du, fast. Du dich erinnerst, wie er hat an Marie empfohlen, sie soll nicht lassen so oft sich dividieren, das marschiert dann auf einen Bruch hinauf ... hinab ... hinaus? Et Georges? Ça biche bien?«

»Ah, das ist ganz schrecklich!«

»Er hat vielleicht einen magasin?«

»Schlimmer. Eine erotische Wäscherei.«

»Erotique?« Huguette zerfurchte erfolglos ihre kleine Stirn. »Je n'y vois pas d'inconvénient.«

Reinac hielt sich, als träume er, die Wangen. Dann wimmerte er: »Er soll in Meran verheiratet sein.«

»Filons!« Huguette schmatzte schmerzerfüllt. »Mais toi, toi, Bébert! Woher du kommst? Wo du gehst hin? Was hast du bei ... mit ... vor? Eh bien, was du hast hinter dich?«

»Ma chère Guette ...«

»Chiqué! Du liebst schon mir noch. Dis pas non! Du mich hast immer geliebt, Bébert. Und zwar heiß.«

»Ein Wiedersehen nach langer Zeit macht stets so erregt und neugierig, daß man diesen Zustand gerne mit Liebe verwechselt.«

Huguette machte reizvoll böse Augen. »O, ich wiedererkenne. Ich habe immer gesagt, daß du bist einer mit der esprit. O, meiner süßer kleiner Bébert ... Aber das ist Unsinn!«

»Meine Belobung!« Reinac schmunzelte, ein wenig zu selbstgefällig. »Liebe ist wirklich ein Unsinn. Es sei denn, man übt ihn aus.«

»C'est kif kif. Wir haben doch sogleich geübt.« Huguette gab ihren schwarzen Augen einen gewissen Ausdruck von Stupidität, den Reinac und auch sie selbst sehr kleidsam fand.

Reinac sah auf seine Armbanduhr. »Guette, ich muß gehen. Es ist schon drei.«

Huguette betrachtete ihn halb prüfend, halb lauernd.

Reinac fuhr ihr mit der Hand geschwind übers Gesicht. »Selbstverständlich habe ich eine Frau bei mir«, log er, ihren Blick erratend, aber auch aus Überlegung. »Ebenso wie du zweifellos hier irgendwo einen süßen Jungen sitzen hast. Das soll mich aber nicht hindern, dich gelegentlich zu besuchen, und dich nicht ...« Er hielt inne, zu einem bestimmten Vorgehen entschlossen. »... morgen abend bei mir im Hotel zu dinieren. Acht Uhr. D'accord?«

Huguette war es und erschien andern Abends pünktlich und in strahlender Toilette.

Reinac weidete sich an den stürmischen Abklopfungsversuchen, welche die beiden Frauen, kaum daß sie einander vorgestellt waren, vornahmen, und an der dabei aufgebotenen Technik, die, da auf beiden Seiten von ihm mit Absicht in keiner Weise dirigiert worden war, die persönlichen Talente in voller Pracht entfaltete.

Huguette, die nur nach außen hin sich Zwang aufzuerlegen für gut fand, bewahrte durchaus die dem Ort angemessene Haltung, sprach aber in sehr lockerer Art und erzählte amüsante Geschichten, die sie mit Reinac zusammen erlebt haben wollte; teils in der Absicht, Reinacs Eigenliebe zu wecken und ihn wieder an sich zu ziehen, teils um ihre Gegnerin zu ärgern. Sie hielt nämlich Germaine, die Maitresse Cavarris, für Reinacs Kumpanin und Cavarri für das Opfer.

Germaine vermied es immer deutlicher, in Huguettes lockeren Ton mit einzustimmen, und parierte auch damit, daß sie die noch Unerfahrene spielte. Sie zeigte durch sehr schlau gestellte naive Fragen eine schmeichelhafte und zugleich lächerliche Neugierde, ergriff aber zwischendurch jede Gelegenheit, über die engeren Beziehungen Reinacs zu Huguette sich zu informieren.

Als Reinac, mit Cavarri am Arm, den beiden Frauen, die er allein gelassen hatte, sobald er bemerkte, wie vorzüglich das Spiel begann, sich wieder näherte, waren diese auf dem Punkt Freundschaft zu schließen, so sehr haßten sie einander bereits.

Cavarri, der die immerhin ungewöhnliche Einladung Reinacs nur angenommen hatte, weil er von dessen Witz angezogen worden war, war bald auch von Huguette entzückt, die er ebendeshalb geflissentlich mied, umsomehr als Reinac, sachte scherzend, ihn vor ihr gewarnt hatte. Gegen Mitternacht konnte er aber doch nicht umhin, sich ihr zu nähern.

Unterdessen rückte Reinac Germaine näher, faßte sie so um die Taille, daß nur Huguette es sehen konnte, und bat sie harmlosen Gesichts, unter allen Umständen Cavarri an sich zu fesseln. Einmal fest in dessen Federn, ließe sich ein ausgezeichneter Coup machen. Er denke an nichts Geringeres als eine notarielle Schenkung zu ihren und selbstverständlich auch zu seinen Gunsten. Näheres würde er ihr mitteilen, wenn sie überhaupt für die Sache sich interessiere.

Germaine, welche der Ehrgeiz, über Huguette zu triumphieren, mehr beherrschte als etwa eine plötzliche Leidenschaft für Reinac, bekundete augenblicklich dieses Interesse; und umso lieber, als Cavarri sie ihrer Meinung nach für ihre Leistungen viel zu knapp honorierte. Reinac, danküberströmten Auges, vereinbarte ein Rendez-vous für den nächsten Nachmittag.

Aber auch Cavarri hatte ein Rendez-vous erreicht, gleichfalls für den folgenden Nachmittag. Huguette hatte sofort erkannt, daß sie Chance habe, und alle ihre Reize abgeprotzt, um einen doppelten Sieg sich zu holen.

Am Abend darauf dinierten Reinac und Huguette in dem luxuriös eingerichteten Appartement Cavarris.

Das Diner verlief in eisigem Schweigen, da inzwischen allerlei sich zugetragen hatte.

Germaine, der nachträglich Reinacs Absichten nicht geheuer vorkamen, hatte es nämlich für schlauer gehalten, Cavarri das Vorgefallene mitzuteilen. Worauf man unter beiderseitigen Empörungsanfällen übereingekommen war, den Hochstapler zu entlarven.

Dennoch aber hatte Cavarri, von ihrer Schönheit machtvoll herbeigetrieben, zum Rendez-vous mit Huguette sich eingefunden. Und da er nicht den kleinsten Anhaltspunkt für ihre Teilhaberschaft zu finden vermochte (ihre amüsanten Geschichten hielt er für naiv erlogen und deshalb für den Hauptbeweis ihrer Unschuld), gelang es ihm mühelos, sich einzureden, daß er sie vor Reinac warnen müsse.

Huguette nun hatte, nachdem Cavarri zur Gänze verheert worden war, dessen Warnung mit der Aufklärung beantwortet, daß Reinac der heimliche Freund Germaines sei und zweifellos allerhand gegen ihn plane. Sie hoffte, durch diesen Schachzug Cavarri sich zu verpflichten, Germaine abzusägen und Reinac endgültig für sich zu gewinnen, indem sie ihm eine weitaus bessere, über sie hin zu führende Sache vorschlug, die überdies den Vorteil hätte, sicherer zu sein.

Reinac hatte länger als eine halbe Stunde auf Germaine warten müssen, die so unpünktlich erschien, weil sie, durch Cavarris Nervosität mißtrauisch geworden, ihm gefolgt war und ihn an der Seite Huguettes ein Absteige-Quartier hatte aufsuchen sehen. Sie schäumte vor Rachelust, vergaß alle Bedenken und erklärte sich zu allem bereit. Reinac legte sie auf den Rasen und, nachdem er sich emsig betätigt hatte, ihr ans Herz, Cavarri ja nicht merken zu lassen, was sie wisse. Hierauf entwickelte er ihr einen Plan zu Cavarris Dupierung, der ebenso unausführbar war wie verlockend.

Beim Dessert endlich hob Cavarri, der das Diner nicht durch den unausweichlich schrecklichen Eclat sich hatte verderben lassen wollen, langsam den Kopf und schnarrte: »Herr Reinac, Sie sind ein Hochstapler.«

Reinac aß gemächlich weiter. »Beweisen Sie es.«

Cavarri bewies es in einer viertelstündigen Rede, voll der gräulichsten Injurien.

»Ihr Beweis enthält vor allem einen Irrtum, den ich berichtigen möchte.« Reinac hämmerte mit seinem Obstmesserchen auf den Teller, um die Stimmung noch gereizter zu machen. »Ich bin zwar tatsächlich der Freund Ihrer Maitresse, aber erst seit heute nachmittag vier Uhr zehn.«

Huguettes Lider röteten sich. Ihre Öhrchen desgleichen. »Quoi? ... Est-ce vrai, Germaine? ... Tu m'as empilé, chien que t'es!« Sie nahm in ihrer Wut an, Reinac hätte ihr gegenüber behauptet, Germaine sei seine Freundin.

Reinac schwang kokett sein Obstmesserchen sich um die Nase. »Ich habe allerdings, ma chère Guette, seit vorgestern unsere mehr als ein Jahr hindurch unterbrochen gewesenen intimen Beziehungen wieder aufgenommen. Das ist aber doch wohl schwerlich ein Grund, mich als Hochstapler zu verleumden. Und keineswegs ein Gegenbeweis dafür, daß Guette Ihnen, Herr Baron, heute nachmittag intensiv ihre Gunst geschenkt hat.«

Cavarri strich sich den Schweiß von der Stirn. »Was soll das alles bedeuten? Germaine, hast du wirklich heute nachmittag ...?«

Germaine kannte sich einfach nicht mehr aus und machte eine irrsinnige Handbewegung.

Huguette steckte zwei Finger in den Mund und biß sie erbarmungslos.

»Bitte keine weiteren Inkommodierungen mehr, Herr Baron.« Reinac warf sein Obstmesserchen wie ermattet auf den Tisch. »Sie haben mich zur selben Zeit fast wie ich Sie hintergangen. Wir sind quitt. Ebenso die beiden Damen. Und da die freundschaftlichen Beziehungen eines Vierecks stets so lange von der Furcht gegenseitigen Betrugs getrübt bleiben, als diese Furcht nicht endlich begründet wird, besteht nunmehr die größte Hoffnung, daß unsere so frisch und freundlich begonnene Geselligkeit sich so angenehm gestalten wird, wie dies in Anbetracht der beteiligten Personen nur zu wünschen ist.«

Die Folge dieser Auseinandersetzung war die Verabschiedung Germaines, der Hinauswurf Huguettes und die dickste Freundschaft zwischen Reinac und Cavarri, der, nachdem er von jenem um zehntausend Lire geprellt worden war, sich nächtelang darüber ärgerte, daß er ihn nicht rechtzeitig durchschaut hatte und im Grunde immer noch nicht recht durchschaute.

Huguette, die Reinac eine Stunde vor seiner Abreise noch einmal besucht hatte, fragte ihn, vielleicht zum hundertsten Mal: »Und du hast keinen Plan gehabt, vraiment?«

Und Reinac, ein Auge eingekniffen gegen den Rauch seiner Zigarette, antwortete wie immer: »Ich hatte den, die anderen Pläne machen zu lassen.«

»Ferme ça! Das ist doch nicht sicher. Unsinn.«

»Du irrst. Das ist das sicherste Spiel. Wo mehr als drei beisammen sind, und darunter wenigstens eine Dame, wird unausbleiblich gespielt. Man spiele nur selbst ein bißchen mit. Wie, das ist fast gleichgültig. Am Ende hat man, wenn man nur aufpaßt, das As in der Hand und die Damen aus dem Spiel.« Reinac flatterte mit den Fingern, einen leichten Cäsarenanfall dergestalt überwindend.

»Va!« Huguette schwippte sich, unklar empört, auf die Sofalehne. »Also ich bin herausgeschoben, soi-disant, Mademoiselle Huguette ...«

»Denke an Spielmann! Man soll sich nicht so oft dividieren lassen.«

»Voyou que t'es! Der Bruch, das ist die fünfhundert lächerlichen Lire, welche du mir hast übergeben.« Huguette segelte bleich durchs Zimmer.

»Die hat ja doch schon dein süßer Junge. Ich wette.«

»Wieso du weißt das?« Huguette schnaufte wütend.

»Ich habe es soeben von dir erfahren.«

»Espèce de crapule!« Huguette biß sich in die Hand.

»Ich dich hören singen schon auch in Marseille.«

»Ma chère Guette ...«

»Va-z-y, idiot! Du fängst immer so an, wenn du wirst sehr gemein.« Huguettes Augen bekamen einen gewissen Ausdruck von Stupidität.

Als Reinac ihnen einen Tausendlire-Schein zeigte, begannen sie zu glänzen.


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