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Ein ungewöhnlicher Handel

Tralcof griff, kaum daß er erwacht war, hastig nach dem Telefonapparat, der auf dem Nachttischchen stand, und lächelte verschmitzt, während er auf die Stimme der Beamtin wartete. »Central 46 88 ... Ja ... Die Signorina Forbena, bitte ... Ja ... Luisa? Guten Morgen. Ausgeschlafen? ... Aber das muß doch wieder einmal aufhören. Ich glaube, daß es für die Erhitzung erkalteter Beziehungen genügt, wenn man sie drei Wochen lang ... Wie? Sechs Wochen? Si. Also wenn man sie sechs Wochen lang auf den Rost eines flammenden Bruchs legt. Poetisch, nicht? ... Ja, du hast recht. Ich war stets ein sachlicher Träumer. Du glaubst mir doch hoffentlich kein Wort. Jetzt, da mich die Sehnsucht treibt ... Ja, bitte, treibt. Also jetzt kann ich es dir ja eingestehen, daß ich mit dir nur gebrochen habe, weil es so nicht mehr weiterging und weil ... Was ich eigentlich will? O, du Tiefsinnige! Erstens mich mit dir aussöhnen, um die Friedlichkeit meiner seit drei, scusate, seit sechs Wochen schwer troublierten Nächte wiederherzustellen ... Ach, ich pfeife darauf, ob du es glaubst oder nicht. Wichtig ist mir nur, daß du wiederherstellst ... Nicht? ... Wirklich nicht? Warte bitte, bevor du mir endgültig abläutest, mein Zweitens ab ... Ja, heißgeliebtes Mädchen ... Du lachst nicht einmal? Dann allerdings ist die Gefahr des Abgeläutetwerdens beträchtlich gestiegen ... Ja, ja, ja, also kurz und gut und zweitens: wie konntest du eine derart fürchterliche Dummheit machen, dich mit diesem Frauenzimmer in der Via Chiaia zu zeigen und noch dazu am hellen Mittag? ... Ob ich sie kenne? Ganz Neapel kennt diese Person. Wie konntest du nur! ... O, ich vermute, daß es ein Rückzug ist, wenn man nach solch einer feuchten Mitteilung plötzlich keine Zeit mehr hat ... Was? Um sieben Uhr? Zur Wiederherstellung? ... Nein? ... Also um sieben Uhr. Arrivederci!«

Tralcof ließ sich schmunzelnd in die Kissen zurückgleiten: er war nun sicher, daß er jene schöne Frau, die er am Tag vorher am Arm Luisas, das erste Mal in seinem Leben, gesehen hatte, in wenigen Tagen kennen würde.

Abends aß er mit Luisa im Esposito auf der Piazza S. Ferdinando.

Luisa hatte sofort, als er bei ihr eingetreten war, Frau Vercelli in leidenschaftlicher Weise zu verteidigen begonnen: sie sei die Witwe eines römischen Colonels, der in Tripolis gefallen wäre, bewohne drei Zimmer im Hotel Britannique auf dem Corso Vittorio Emanuele und verkehre überhaupt nur mit zwei Menschen, mit Lina Dini und Carlo Gelli, durch den sie zufällig ihre Bekanntschaft gemacht habe. Luisa war während dieser Verteidigungsrede geradezu aufgeregt gewesen.

So hatte Tralcof, ohne selbst auch nur ein einziges Wort gesagt zu haben, mühelos erfahren, was er zu wissen wünschte; daraufhin die Möglichkeit eingeräumt, daß er sich geirrt haben könnte, daß vielleicht eine verblüffende Ähnlichkeit vorläge, und, schnell ablenkend, Luisa eine gut disponierte Liebeserklärung gemacht, die zwar zu keinem deutlichen Ergebnis führte, aber immerhin zur Annahme der Einladung zum Diner.

Beim Dessert, dem vorzüglich gebändigte Sprachattacken und mehr oder weniger heftige Wiederannäherungsversuche auf dem Souterrain vorhergegangen waren, ließ Tralcof eine kleine Pause eintreten, um mit der erforderlichen Harmlosigkeit sagen zu können: »Nein, ich glaube doch nicht daß ich mich geirrt habe. Die Ähnlichkeit war zu groß.«

»Du mußt dich geirrt haben.« Luisa wurde augenblicklich wieder aufgeregt, so daß Tralcof verwundert aufmerksam wurde. »Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß Pina nicht ist, was sie scheint.«

Tralcof lächelte dünn. »Pina sagst du bereits? Also schon so intim? Nun, ich erinnere dich an das, was ich dir früher öfter zu bedenken gab: daß man immer nur etwas zu sein scheint und daß es deshalb lediglich darauf ankommt, herauszubekommen, ob man den frühzeitig und endgültig angenommenen Schein vor sich hat oder einen nur vorübergehend angenommenen.«

Luisa machte eine eigensinnige Handbewegung und fistelte nervös: »Laß bitte deine Erziehungsversuche! Darauf falle ich nicht mehr herein. Außerdem hat mir Pina tatsächlich bewiesen, daß sie es ehrlich mit mir meint.«

Tralcof schwieg schlauerweise und beschränkte sich darauf, als er Luisas forschenden Blick auf sich gerichtet fühlte, wie für sich hin zweifelnd den Kopf zu bewegen.

»Du kannst dich ja selbst davon überzeugen, wenn du willst.« Luisa spielte ärgerlich mit ihrer Serviette. »Ich gehe morgen mit ihr und Gelli ins Theater. Komm in die Loge! Ich stelle dich vor.«

Tralcof zuckte, sehr mit seinem Vorgehen zufrieden, leicht die Achseln und nahm seine Bestrickungstätigkeit wieder auf, die ihn denn auch nach Mitternacht in Luisas Bett brachte ...

Als er am nächsten Abend in Frau Vercellis Loge erschien, war Luisa deshalb so heiter, daß der günstige Eindruck, den er auf jene machte, noch durch die naheliegende Vermutung, er konnte diese Heiterkeit hervorgerufen haben, erhöht wurde.

Tralcof erkannte sogleich, wie vorteilhaft seine Situation sich gestaltete, und zögerte nicht, ihr kräftig nachzuhelfen: er ignorierte Frau Vercelli fast, verwickelte aber Luisa und Gelli in eine schlechthin betörend amüsante Konversation und verließ, als es ihm gelungen war, der finster abseits Sitzenden ein Lächeln zu entlocken, überraschend unvermittelt die Loge.

Am folgenden Morgen war es daher Luisa, die anklingelte, um ihn mit jenen gewissen halben Tönen heißen Stolzes zu bitten, sie abends abzuholen und ins Hotel Britannique zu begleiten.

Daselbst verursachte Tralcof mit boshafter Genugtuung ein eisiges Diner, indem er sich darauf beschränkte, mit dem Kopf zu nicken oder ihn leise zu schütteln. So daß der sonst sehr zähe Gelli es nach einigen verzweifelten Versuchen aufgab, Tralcof zum Reden zu bringen.

Umso größer war darum dessen Erfolg, als er, wahrend man noch Kaffee trank, ans Klavier ging und die reizvollsten deutschen und französischen Kabarettschlager spielte, zwischendurch sang und scherzte und schließlich die gewagtesten Späße machte, welche Frau Vercelli immer wieder vor die Wahl stellten, ihn hinauszuwerfen oder zu bewundern. Da sie selbstverständlich dieses vorzog, war es nicht weiter verwunderlich, daß sie Luisa neugierig fragte: »Ist er immer so?«

»Nein, so war er noch nie.« Luisa ahnte nicht einmal, was alles sie mit dieser Feststellung vernichtete.

Denn Frau Vercelli zweifelte nun nicht länger, wem Tralcofs Götterstimmung gelte, und erkannte, daß dessen vorhergegangene Launen bewußte, auf sie gerichtete Manöver waren.

Als Luisa und Tralcof spät nachts sich verabschiedeten, bat Frau Vercelli um Bücher. Tralcof, bereits innerlich sich als Sieger huldigend, versprach welche; Luisa, sie zu bringen.

Doch Tralcof kam ihr zuvor. Schon am andern Morgen. Und zwar um acht, überzeugt, Frau Vercelli noch im Bett anzutreffen und gleichwohl vorgelassen zu werden.

Kaum hatte das Zimmermädchen, das ihm mitgeteilt hatte, er möge ein wenig warten, den Salon verlassen, als Tralcof kurzerhand Frau Vercellis Schlafzimmer betrat.

»Giorno. Ich wußte, daß Sie nicht warten würden.« Frau Vercelli blieb, ihm nur den Kopf zuwendend, im Bett liegen.

Tralcof ließ die Bücher fallen. »Sie ... Sie ... Sie ...« keuchte er, nicht ohne effektvolle Klimax, und warf sich, nicht weniger bedacht, auf Frau Vercelli, die ihn ohne den geringsten Widerstand empfing und nach einer Stunde immer noch festhielt.

Erst als eine ganz besonders durchgearbeitete Erschöpfung stattgefunden hatte, begann sie zu sprechen. »Bist du wirklich Luisas Apoll?«

»So daneben vorbei gewesen.« Tralcofs mächtig geschwungene Brauen zuckten wie gekränkt. »Vor vielen Monaten einmal habe ich, gewiß, über ... ich fing nur deinetwegen wieder an.«

»Sie muß schon reichlich bejahrt sein, das Wesen.«

»Dreiunddreißig.«

»Si. Seit sechs Jahren.« Frau Vercelli ließ Tralcof nicht aus den Augen. »Bei diesem Leben geht es eben rasch.«

»Kokotte ist sie eigentlich nicht.«

»Doch.«

»Du willst mich aushorchen.« Tralcof zupfte mißtrauisch an ihren Achselhaaren.

»Vielleicht. Liebst du sie?«

»Wie macht man denn das?«

»Bene. Hat sie mich beschimpft?«

»Nein. Vielmehr dich heftig als anständige Frau verteidigt, als ich dich eine schwere Kavallerie-Hure nannte.«

»Was?« Frau Vercelli, deren prächtiger Oberkörper vipernähnlich aufgeschnellt war, ließ sich alsbald grinsend zurücksinken. »Übrigens weshalb, wenn man fragen darf?«

»Zur Orientierung. Sage mir, auf wen eine Frau schimpft, und ich werde dir sagen, welche von beiden vorzuziehen ist.«

»Nett. Aber sie hat mich doch nicht beschimpft.«

»Eine Frau, die eine andere verteidigt, muß schwer hineingefallen sein.«

»Bravo. Aber beobachtet sprichst du noch besser. Hör mal, willst du mit mir arbeiten?« Frau Vercelli räusperte aufmunternd.

Tralcof setzte sich auf, es mit Erfolg vermeidend, erstaunt zu sein. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß du mir in jeder Hinsicht willkommen wärst. Und wenn du mein Liebhaber bleiben wolltest, umso herzlicher.«

Frau Vercelli weidete sich, fast mit leisem Hohn, an Tralcofs gespielter Gleichgültigkeit. »Die Veränderung wäre nicht zu deinem Nachteil. Wieviel gibt dir Luisa, carissimo?«

»Sind Sie ... Bist du dessen sicher?«

»Er verspricht sich! Also doch noch ein wenig beleidigt.«

»Ich wundere mich über deine gotische Psychologie. Unnötig. Luisa gab mir gestern tausend.« Tralcof, der bloß fünfhundert erhalten hatte, ärgerte sich, nicht einen höheren Betrag genannt zu haben.

»Stimmt. Das Geld ist von mir.« Frau Vercelli küßte ihren Handrücken.

Tralcof ließ augenblicklich seine Augen träumen.

Frau Vercelli sah es, sachte schmatzend. »Ich verschaffe nämlich Kokotten, die sich der Überreife nähern, Geld. Tunlichst viel und nur gegen einen richtigen Schuldschein. Welche überreife Kokotte braucht kein Geld? Jede. Welche zahlt zurück? Keine. Das dauert also längstens zwei bis drei Jahre. Die Michés bleiben schließlich fast ganz aus und mit ihnen die Soldis. In diesem feierlichen Augenblick erscheint einer meiner Turner mit dem Schuldschein, der an ihn zediert ist, und ...« Sie hielt beiläufig inne.

Tralcof stieß ihr, süß lächelnd, sein Gesicht hin. »... und macht die dümmsten Drohungen und am Ende die Gans willig dazu ... O, das kann ich mir sehr gut vorstellen.«

»Weniger aber, daß persische, indische und chinesische Bordelle ganz unwahrscheinlich stattliche Beträge für weiße Damen zahlen, nach denen hier kein Lazzo mehr kräht. Übrigens werden diese Kühe dort wie Prinzessinnen behandelt. Ich habe Dankschreiben.« Frau Vercelli legte ihre gepflegte schöne Hand zart auf Tralcofs nackten Bauch.

»Wieviel hast du Luisa geliehen?«

»Sechstausend. Mit denen sie ja bald fertig sein wird, wenn du ...«

»... wenn ich nachhelfe.«

»Bravissimo.« In Frau Vercellis Augen blitzte es verhalten. »Ich ahnte sofort, daß du zu brauchen bist. Wie du dich mir vormanövriertest, war eine gesunde Talentprobe ... Ecco. Du mußt Luisa das Geld so rasch wie möglich wieder abnehmen. Es gehört, darüber ist nicht weiter zu reden, dir. Und mußt dich auch an andere Damen heranmachen. Aber doch lieber Genre Lina Dini, der ich viertausend geliehen habe. Diese Sache macht Gelli. Alora, va bene?«

Tralcof überhörte raffinierterweise diese Frage. »Ich kann mir aber auch vorstellen, welchen Erfolg du in diesem Metier hast, das bisher nur stinkende alte Vetteln an der Hand einiger Friseur-Beaux ausübten. Eine vornehme, sehr schöne Frau und ein neuer, wenig riskanter Truc. Meine Hochachtung! Ein ungewöhnlicher Handel!«

Frau Vercelli wartete lauernd, die Augen auf ihren rosigen Unterleib gesenkt. Dann wurde ihr Atem kürzer. »Du machst eine Bedingung?«

Tralcof lachte auf. »Wir verstehen uns ohne Hängebrücken.« Er biß, irgendwelche Schwierigkeiten markierend, in seinen Zeigefinger. »Ich möchte lediglich Präzisionen.«

»Wir machen Kontrakt. Du bekommst zwanzig Prozent des Verkaufspreises der von dir beendeten, vielmehr auf neu verfrachteten Damen, sämtliche Spesen ersetzt, wobei ich dir gerne durch die Haare sehe, und schließlich noch manches von mir, wenn du dich um mich weiterhin so verdient machst wie heute.« Frau Vercelli beklopfte zärtlich ihre Knie. »Ä, carissimo ...?«

Tralcof hielt es für zweckentsprechend, ein scharfes Gesicht zu machen, bevor er, plötzlich zu einem dummen Ausdruck übergehend, großartig sagte: »Va bene.«

Frau Vercelli, die nun überzeugt war, in ihm ein williges Werkzeug gefunden zu haben, schloß die Augen und bewegte begehrlich die Beine.

Tralcof, dieser Bewegung nachkommend, überlegte, während seine Lippen freche Zärtlichkeiten fabrizierten, wie er Frau Vercelli in seine Hand bekommen könnte.


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