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P. L. M.

»Minouche, kanntest du Adette, diese Hure, eine sehr begabte Jüdin ...? O, es ist wirklich grotesk, wie sehr die Hallermünde ihr in vielem gleicht! Dieselbe israelitische Art, die unbekanntesten Dinge beim Namen zu nennen, von durchaus Unerklärbarem wie von einer Aktie zu reden und die Mundwinkel arbeiten zu lassen, als wäre, mit ihr verglichen, der Kaiser von China ein Insekt. Ich muß gestehen, daß mir das, allerdings gleichsam als Jugenderinnerung, sehr gefallen hat. Es erinnerte mich an meine ersten Arbeits-Versuche, die ich mit einem entgleisten deutschen Rittmeister in Deauville machte. Er war ein begeisterter Judenverehrer und deshalb Antisemit bester Marke. Er hatte den rührenden Ehrgeiz, tunlichst nur Juden hineinzulegen. Wer eben einmal Soldat war, überschätzt den Lorbeer. Eine Schwäche. Man hat in dieser Hinsicht völlig in Absehung seiner persönlichen Lustwünsche zu fixen. Von diesem Herrn lernte ich, pekuniär unverständliche Situationen zu heben. Und bei all dem hatte er die berüchtigte tête carrée. Aber ich behaupte: hätte der gute Junge nicht die Chance gehabt, einen riesigen Spielverlust nicht anders als mit einer Dame vom Berliner Palais de danse decken zu können, wäre er sein Leben lang der idiotische Schrittdriller geblieben, der er in Potsdam bei den Husaren Jahre hindurch gewesen war. Wenn er von den Genüssen sprach, die ihm die Situation verschaffte, als kaiserlich deutscher Rittmeister der Mec einer großen Hure zu sein, wurde er geradezu sentimental. O, wir genossen damals beide sehr. Durch ihn verlernte ich bereits mit neunzehn Jahren mein sogenanntes Vaterland. Er hat mir einmal (wir arbeiteten drei Jahre zusammen) das Leben gerettet, indem er im richtigen Augenblick den Einfall hatte, ein gewisses Telephongespräch zu mimen. Ein exakt ahnender Junge! Er wurde in London nachts auf der Straße von einem Polizeiagenten, der ihn für einen lange gesuchten Einbrecher hielt, niedergeschossen. Einer jener unwahrscheinlichen Zufälle, vor denen unsereiner allein Furcht hat. Und, es ist wirklich ergötzlich, das festzustellen: die Hallermünde hat bei all ihrer preußischen (oder auch jüdischen) Sicherheit immer einen kleinen Zug um die Augen, der vor diesen unwahrscheinlichen Zufällen auf der Lauer zu liegen scheint. Als ich deshalb plötzlich mit jenem Damenhandschuh, den ich unserem Mister Holger wegstibitzt hatte, zu spielen begann, machte sie denn auch ein Gesicht, als würde sie ein Fernbeben verspüren, verlor den frech, aber virtuos gesponnenen Faden ihrer Konversion und bat mich, ohne auch nur zu versuchen, mich mit irgendwelchen Geschicklichkeiten einzufangen, kurzerhand – diskret zu sein. Enorm! sage ich. Hat das Frauenzimmer die Stirn, an meine Vertrauenswürdigkeit zu appellieren. Grandios! Das ist der Typ, der mit dem Telephon schießt, mit einem ›petit bleu‹ erdrosselt, eine ganze Bank durch ein plötzliches Lachen platzen machen und einen Minister seriös hochgehen lassen kann, indem er ihn ganz unerwartet in einer schlechtweg genial ausgesuchten Situation – duzt. Grandios! sage ich. Enorm! Man lernt. Unsere Arbeit ist, dieser vis-à-vis, stümperhaft. Dieses juvenile Schießen! Dieses fossile Schimpfen! Verzeih, Minouche, ich dachte wahrhaftig nicht daran, dich zu verletzen. Nicht nur nicht, als ich kürzlich auf dich danebenschoß (welche unverzeihliche Träumerei!), sondern auch jetzt nicht, da ich ja doch mich selbst damit herabsetzen müßte. Denn auch ich schimpfe zu viel. Ich bin eben Halbfranzose und habe, vermutlich von meinem ... von meinen Vätern her, die schöne Geste, die Grazie der Trichage im Blut. Aber sie ist im Vergleich mit der Hallermündschen Stirn das, was ein Theaterschuß gegenüber einer in die Kulissen gebrachten Visitkarte ist, auf welcher der Star zu lesen bekommt, daß sein Hündchen überfahren wurde. Die Folgen kann man sich entwerfen. Und das Gesicht dessen, der dadurch irgendwie Tausende einkassiert, ebenfalls ... Ja so, die Hallermünde. Nun, ich versprach ihr, diskret zu sein, bat sie aber sogleich, mir für diesen Herrn ein Empfehlungsschreiben zu geben, da ich eine kleine, ganz abseits liegende Gefälligkeit von ihm erbitten möchte. Die Biene begriff sofort!!! O, es ist erstaunlich! Erstaunlich!! Erstaunlich!!! Das Ganze war eine der schönst aufgeholten, seltenst balancierten Erpressungskomödien ... das illusterste Lied, das ich jemals solch ein Tierchen singen ließ, nicht einen Flügel in den Fingern, nicht ein Beinchen ... Es war wunderbar, rührend, erlesen ... Enfin, bath! Denn so holte ich mir – nicht von Mister Holger, sondern von einem gewissen Herrn von Stötvink, einem edlen Dänen, zweitausend Francs. Vermutlich hat die Hallermünde dieselben Handschuhe wie Mister Holgers zur Zeit amtierende Katze. Es könnte aber auch sein, daß sich beim Anblick des fraglichen Kleidungsstückes lediglich das böse Gewissen der Hallermünde erfolgreich regte. Nur, sei dem, wie ihm wolle: jedenfalls dachte Stötvink gar nicht daran, ein Gespräch vorzusenden. Zweifellos bereits telephonisch avisiert, wünschte er, ganz nett gelangweilt, die Höhe des Betrages zu kennen. Ich sagte mir sofort, unter zweitausend dürfte er sich nicht inkommodieren. Und da ich keine Zeit hatte, eventuelle Inkommodierungen zu bearbeiten, verlangte ich nicht mehr. Das heißt man glattes Arbeiten. Ja, es ist mein bester Erfahrungssatz: Mensch, sei unter allen Umständen von absolut größtmöglicher Frechheit; das weckt stets das böse Gewissen auch der edelsten Naturen ... Minouche, ich fühle mich sehr, verspreche dir aber, es dich entgelten zu lassen ... Daß Mister Holger mir entschlüpfte, war nicht mein Fehler. Das heißt, bis zu einem gewissen Grade vielleicht doch. Du weißt ja, wie ich mich bei der Hallermünde eingestellt hatte: meine Karte und die mündlich dem Boy mitgegebene Mitteilung, wenn ich störte, käme ich gern ein andermal. Das hört sich fast albern an, ist aber in diesem Milieu etwas außerordentlich Raffiniertes. Als ich dann vor ihr stand, sagte ich, noch bevor sie ihr Wiedererkennungsentsetzen zu Ende gespielt hatte: ›Madame la comtesse, was ich mir bei Rumpelmayer leistete, besaß die einzige Chance, Ihre Aufmerksamkeit wirksam zu erregen. Sie hören tagaus tagein nichts als Gewäsch ödester Durchseifung, so daß ein wohlgezielter zynischer Platzregen Sie nur erfrischen konnte. Seien Sie nicht undankbar!‹ Was begann? Nach mehreren zarten Kampfesstellungen eine heftig tastende Unterhaltung, voll kontinuierlicher Arrangements, bis ich eben plötzlich – den Handschuh zückte. Das tat ich selbstverständlich im ungeeignetsten Augenblick: nämlich, als sie sich gerade fest ins Recht gesetzt hatte. Übrigens, während sie langsam aus ihrem Sitz rutschte, sagte ich etwas sehr Holdes, das sie vermutlich innerlich gänzlich herunterstieß, und zwar, bitte: ›Recht, madame, ist die Geschwindigkeit, den anderen ins Unrecht zu setzen‹ ... Minouche, was soll das heißen? Ich prahle, dich genießend, empfinde mich durch deine bloße Anwesenheit wie mit sieben multipliziert, und du reagierst mit keiner Zügellosigkeit? ... Du sitzt schlecht? Nimm doch den Luftpolster hinters Kreuz! ... Mein Fehler war dann aber, daß ich, noch voll von den schweren Erheiterungen dieser Affaire, mit Mister Holger unwillkürlich ein wenig zu – sagen wir zu duftig sprach. Wäre ich richtig seriös geblieben, so hätte mein vortrefflicher Vortrag über Fruchtabtreibung vom Abend vorher eventuell noch einige Tausend eingetragen. Einmal aber das Mißtrauen geweckt: und die Erinnerung an jenen erquicklichen Speech machte es sofort unheimlich steigen. Zu spät erkannte ich meinen Fehler, der aber im Grunde doch keiner war. Auch die stärksten Naturen können die einmal erregte Nervenvibrations-Richtung nicht von einer Minute auf die andere umstellen. Ich hätte zumindest einige Stunden warten müssen, bevor ich mir diesen Insulaner vornahm. Das konnte ich aber nicht. Wir mußten abreisen, da der ›Rappel‹ unsere blöde Schußaffaire bereits in den Klauen hatte. Ein weiterer alter Erfahrungssatz, der leider aber nicht immer durchführbar ist, wenn die Ereignisse sich hetzen: langsam arbeiten, sehr langsam arbeiten. Die Nerven sind eben keine Maschinenbestandteile. Man müßte ein Umschaltungspulver für momentan unverwendbare Nervenvibrationen entdecken. So könnte man vielleicht jedes Malheur vermeiden. Und sicherlich das Genießen auf noch ungeahnte Weise heben ... Ha, Minouche, es ist Gold wert, tatsächlich Gold wert, wenn man vor einer Gestalt, deren Augen allein schon Gold wert sind, Reden halten kann. Das treibt den inneren Dampf ins Haupt, man gerät, wie sage ich's nur gleich sehr berückend – je nun, in Wallung, und es begeben sich fruktifizierbare Einfälle. Zudem ist es ein nicht zu unterschätzendes hygienisches Palliativ, luftig causieren zu können. Man erscheint kühl vor dem Feind, und es fällt nicht mehr schwer, die Zunge still zu drücken. Das ist der Papstfehler aller Anfänger: daß sie, weil im Pyjama ohne würdiges Gegenüber, zu viel sich selber bemerken wollen, zu viel des Persönlichen tun, des besten Schlechten, zu viel des ... Ich merke, daß mein über alle Zweifel soignierter Wortschatz sich vergaloppiert, zu sehr sich selbst gefällt ... Minouche, heilige Ménilmonteuse, ich rase gelinde, schwelge fast irr, zaudere süß ... doch nur an dir und um dich ... O, segne mich mit einem Pfiff! ... Merci. O, wie sie lacht! ... Aber auch ... aber auch das Eisenbahnfahren besorgt Wichtiges an diesem Rederausch. Man bekommt ja den Takt gleichsam in den Leib gestampft. Und er, der Takt, und es, das Tempo: voilà, das Allerwichtigste! Was ist Tempo? Arrangierte Bewegung. Und da Reden gleichfalls eine derartige Bewegung ist, nur kontrollierter, ist der Takt dazu nicht ohne Bedeutung. Ich bin gegen Leute, die nur im Sitzen und bei großer Ruhe auf Ideen kommen, nicht einmal mehr mißtrauisch. Da bin ich überhaupt nicht. Das sind keine Begabungen. Das sind Sitz-Gelegenheiten. Sie haben schließlich auch nur Ideen, diese Leute. Und fallen deshalb sofort hinein, wenn sie sich in Bewegung setzen. Unsereiner hat Einfälle. Das Wort schon enthält Bewegung. Die besten Einfälle hat man übrigens im Fallen. Deshalb sind die gefallenen Mädchen so erfinderisch vor dem Zwang, sich irgendwie – aufzuhalten. Und die gelandeten Fische nicht faul und überhaupt auf der Höhe, auf der sie nicht verweilen, weil dort die Geschäfte zu schlecht gehen. Aber die Höhe ins Betriebsleben verpflanzt: und das große Geschäft beginnt. Minouche, du bist auf der Höhe. Ich kannte dich kaum zwei Tage, als ich mir bereits mit äußerster Lebhaftigkeit dich in den Armen eines sogar hübschen jungen Mannes vorzustellen vermochte, wie du, eine Zigarette liebkosend zwischen den Lippen und die Augen in einem Lehrbuch über praktische Astrologie, plötzlich auf deine Armbanduhr siehst und lakonisch meldest: ›Mein Herr, wenn Sie weitermachen wollen, müssen Sie nachzahlen.‹ Auf diese phantastische Höhe, die nicht nur ein übernatürlicher Einfall ist, sollst du von der Bewegung, die ich dir machen werde, dereinst noch gebracht werden. Denn dirigiert läufst du großartig ... Minouche, bitte deine Augen! ... Du bist meine tag- und abend- und nachtfüllende Bewegung. So wie ich die deine bin. Und zusammen und bewegt, wie wir es von einander sind, werden wir den höchsten Dampf entknüpfen, den allerhöchsten. O, Minouche, ich bin, ich bin ... Viens, ma gosse, machen wir uns Bewegung! In diesem Hängebett wird es eine doppelte sein und im Coupé eine dreifache. Wenn aber der Geist, der ach so lasterhaft ist, mich dabei überkommt und Sentenzen zischen läßt, so hast du mich zu stören ... zu schimpfen ... wenn ich nicht hören will ... zu zählen ... wenn ich nicht ... zu reden ... wenn ich nicht ... von den Geheimnissen deiner Berechnungen ... von den Gepflogenheiten deiner Überlegungen ... von den Bedürfnissen deiner Beendungen ... von ... den ...«

»Wep, par ici!«

»O, Minouche, Minouche ... Minouche ... o ...«

Nach einer Stunde hielt der Nacht-Rapide Paris-Lyon-Mediterranee in Nizza.


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