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Der Lehrling Labesehr hatte nun bloß noch Ladenhüter zu verkaufen, die kein Mensch haben wollte. So kam dann ein Hausierer vorgefahren und holte das Letzte weg. Die Jalousien waren nun heruntergelassen. Der Laden war geschlossen.

Peines hatten ihre Wohnung am Markt ganz neu eingerichtet.

Da gab es nun ein Sofa mit Umbau, ein Büfett mit Kristallschalen, auch eine Kredenz und einen Bücherschrank, in dessen Seitenteilen hinter grünen Gardinen Wally ihre Wäsche untergebracht hatte.

»Es ist kaukasisch Nußbaum«, sagte Frau Schowe zu jedem. Sie spekulierte darauf, die Wohnung im ersten Stock für sich zu nehmen, aber da wohnte ein Arzt, der vorläufig noch Kontrakt hatte. Auch war Herr Schowe noch nicht zu einem Umzug zu bewegen.

»Ich bin im Kolk zu Hause«, sagte er, »und damit gut.«

Er ließ sich alle paar Tage am Markt sehen, brachte für Wally stets ein kleines Geschenk mit und liebte es dann, am Fenster zu sitzen und das Treiben auf dem Marktplatz zu betrachten.

Frau Schowe hatte sich in dem Eckzimmer einlogiert. Herr Peine war damit einverstanden. Er fand es gut, daß Wally in ihrem Zustand, wie er sagte, nun ständig die Mutter um sich hätte. Auch Schowe hatte sich darein gefunden.

»Ich muß sehen, wie ich als Strohwitwer fertig werde«, meinte er, »aber es ist schon richtig, zuerst kommt Wally.«

Im stillen dachte er wohl, daß es seiner Frau nichts ausmachen würde, sich um die Wohnung im Kolk zu kümmern und Wally jeden Tag zu besuchen. ›Sie kann ja meinetwegen von morgens bis abends da sein‹, dachte er, ›aber ein bißchen könnte sie auch ein Auge auf meine Bequemlichkeit haben.‹

So ärgerte er sich manchmal, doch dann gab es wieder Tage, an denen ihm das Alleinsein gefiel, wo er froh war, seine Ruhe zu haben und nicht zu jeder Mahlzeit eine neue Idee vorgesetzt zu bekommen.

Es war auch nichts gegen Frau Schowe zu sagen. Sie kümmerte sich schon um ihn. Alle zwei Tage erschien eine Portierfrau vom Markt, die ein paar Stunden lang mit Schrubber und Besen durch die Wohnung im Kolk rumorte.

Eines Tages hatte zu aller Überraschung Albert gekündigt.

Er sollte nun, wo es galt, das Geschäft am Markt würdig zu repräsentieren, eine Livree tragen. Das ging Albert gegen den Strich, und wenn er auch gern seiner Stellung zuliebe oft nachgab, so hätte ihn doch kein Mensch dazu bewegen können, in dem cremefarbenen Rock mit den roten Aufschlägen, wie Frau Schowe es ausgesucht hatte, herumzulaufen.

Herr Peine war außer sich über diesen Widerstand.

Frau Schowe sagte: »Was die Leute sich heutzutage einbilden. Sie vergessen ganz, wer sie sind. Soll er doch gehen. Wir werden schon einen finden, der gern mit dem halben Lohn zufrieden ist.«

Als der Schneider die Livree brachte, geriet sie noch einmal in Aufregung. »Ich weiß nicht, was der Mensch dagegen hat. Es sieht adrett und geschmackvoll aus. Jedenfalls anständiger als sein schäbiger Anzug.«

Albert ging zu Herrn Schowe und beklagte sich. »Früher auf dem Acker hat kein Mensch nachgefragt, was man anhat«, meinte er.

»Du sprichst da eben vom Acker«, sagte Schowe, »ich habe schon daran gedacht, ihn wieder selber zu bewirtschaften. Wie wär's, wenn wir uns daran machten. Dann müssen wir der Zuckerfabrik sagen, daß sie die Pferde nicht mehr bekommen kann. Wir brauchen sie dann selbst.«

Zu Alberts Kündigung äußerte er sich gar nicht, doch war er insgeheim ärgerlich auf seinen Schwiegersohn und vor allem auch auf seine Frau, denn er wußte, daß Peine alles, was das Geschäft betraf, mit ihr besprach. Sie besaßen beide einen großen Ehrgeiz, während Wally träger den Geschehnissen zusah.

So zog Albert wieder in die Kammer am Kolk.

Ein paar Tage darauf rumpelte der Ackerwagen aus dem Haus. Der Pflug war hinten angebunden und die Egge. Vorn auf dem Wagen, die Beine lang herunter, saßen Schowe und Albert. Schowe hatte eine alte grüne Joppe an, und Albert hielt die Leine. Sie fuhren mit lautem Zuruf an Uhlig vorbei, der vor dem Torbogen stand. Sie blieben den ganzen Tag auf dem Feld, sie kamen gegen Abend todmüde nach Haus.

*

So löste ein Ereignis im Kolk das andere ab, und man hatte genug zu tun, jedes einzelne zu erörtern.

Olkers konnte mit seinen Berichten über Klaras Besuch nicht zu Ende kommen.

»Sie ist wie eine Furie aufgetreten«, sagte er, »sie hat uns schöne Dinge angehängt. Es ist ein arges Stück, der eigenen Schwester solch bösen Leumund zu geben. Wir haben uns ehrbar gehalten! Manchmal, wenn das Reißen kam, hat sie mir Umschläge gemacht. Warm Wasser und Kleie. Das war aber auch alles. Jeder kann's bezeugen! Bin ich ein Komplimentenschneider, so nennt man das doch wohl, der hinter jedem Rock her ist? Aber natürlich ist man kein Grobian, und eine Frau könnte schon mit unsereinem gut auskommen, aber ich sage immer, eine Ehe, das ist wie vierzehn Handwerke und fünfzehn Unglücke.«

Ein andermal nahm er Uhlig beiseite:

»Was hältst du eigentlich davon? Du scheinst ja nun auch daran zu denken. Ich glaube, wenn man älter wird, ist ein warmes Tuch nicht zu verachten. Ich kann wohl sagen, ich hab mein Leben lang immer mutterseelenallein gehaust. Frieda ist schon in den Dreißigern gestorben. Sie hatte es mit der Lunge, aber es war eine gute Frau, und in den vier Jahren sind wir gut miteinander ausgekommen. Was recht ist, muß recht bleiben. Ich kann mich ja nicht beklagen. Ich sitze da ganz warm unterm Dach. Aber die Treppe rauf, das wird mir doch oft verdammt schwer. Es wäre schon besser, man wohnte parterre. Das sind hübsche Zimmer da unten. Wenn ich mir denke, daß man es sich da bequem machen könnte, aber ich weiß nicht, wie sich Barbe Wiel zu einem Antrag stellt? Besonders, wo ihre Schwester solch Gerede gemacht hat. Vielleicht kannst du ihr mal auf den Zahn fühlen.«

Dazu war nun Uhlig wenig geschickt, doch brachte er vor Barbe Wiel mehrmals die Rede auf Olkers' lahmes Bein, und wie es ihm schwer fiele, die Treppe zu klettern. Auch wäre es wohl gut, wenn er jemand auf seine alten Tage hätte.

Barbe Wiel sagte: »Er kann sich nicht beklagen. Er sitzt warm wie die Made im Speck. Wenn er mal einen Umschlag braucht gegen's Reißen, mach ich's ihm immer gern.«

Sie verstand nicht, worauf Uhlig hinaus wollte. Vielleicht wollte sie es auch nicht verstehen. Wenn sie zusammen saßen, sagte Olkers neben ihr jetzt oft: »Wir beiden alten Leute.«

»Er tut gerade, als wäre ich siebzig«, grollte Barbe Wiel.

Zu Uhlig meinte sie: »Ich weiß nicht, was er hat. Er streicht mir immer um die Schürze rum. Sein Johannes muß doch schon vorüber sein.«

Olkers war mürrisch, daß Uhlig ihm auch nicht helfen konnte.

»Es wäre schon ganz gut«, meinte er, »wenn sie Vernunft annähme und wir heirateten. Sie wird auch mal froh sein, wenn sie einen hat, der ihr die Augen zudrückt.«

Er ging zu Daniel Timm und trug ihm die Angelegenheit vor.

Timm freute sich, daß jemand kam, der seinen Rat hören wollte. Seit Atze Uhlig im Torbogen den Laden eröffnet hatte, war er mehr in den Hintergrund gedrängt worden. Wenn man zusammen saß, war so viel vom Geschäft zu sprechen, zu überlegen und zu beratschlagen, daß er gar nicht mehr dazu kam, in friedlichen Abendstunden seine frommen Geschichten auszulegen. Hatte man einmal ein Ohr auf ihn, so tauchte doch mitten darin plötzlich eine alltägliche Frage auf, etwa, daß die Zuckerhüte morgen von der Fabrik abgeholt werden müßten, weil der Schiffer Brose am Abend abzufahren gedächte. So trieb eine Flut von Kisten, Fässern, Säcken und Kannen gegen den stillen Strand seiner heiligen Insel.

Oft hatte Daniel Timm schon Bedenken gehabt, ob es Gott gefiele, daß er sich wieder an so viel Weltlichkeit gehangen habe, und manchmal erschrak er voll Bestürzung, dem lieben Gott die Predigtbänke gestohlen zu haben.

So war aus Daniel Timm, der sein Herz bisher mit Sicherheit gerüstet hatte, ein Zweifler geworden, nicht an den seligen Offenbarungen, aber an der Zuverlässigkeit seiner eigenen Seele.

Da war er nun froh, den Invaliden vor sich zu haben und ihm in langer Rede Gottes Weltplan auseinanderzusetzen, ihm die Prophezeiungen alter Bücher klar zu machen, kurzum, alle Fragen zu lösen, die wohl das Herz eines Christenmenschen bewegen.

Auf die Frage aber, die Anton Olkers an ihn gestellt hatte, ob es wohl anginge, zwei alte Pferde vor einen Wagen zu spannen, wußte auch er keinen rechten Entscheid. Er sagte »ja« und »nein«, und »wenn du meinst, Olkers, daß es das richtige ist, aber das muß schließlich jeder selbst wissen und vor allem mußt du auch in Erfahrung bringen, wie Barbe Wiel darüber denkt – also wie gesagt – ja und nein – und ich kann nichts dazu tun.«

Olkers ließ nicht locker. »Ich hatte gedacht, daß du mal mit ihr sprichst. Bei dir muß sie ja in Grenzen bleiben. Man kann nie wissen, woran man bei Frauen ist. Aber wenn du denkst, daß es sich nicht für dich schickt, dann will ich dich nicht weiter bemühen.«

Er ging niedergeschlagen fort.

Daniel Timm dachte: ›Er ist zu mir wie zu einem Seelsorger gekommen, und ich habe ihn abgewiesen, das dürfte nicht recht sein.‹

Er ging also am Abend zu Barbe Wiel, gerade als Olkers bei ihr saß und seine Mehlsuppe schlürfte.

»Es ist gut, daß ich euch zusammen treffe. So können wir gleich darüber sprechen.«

Olkers machte ihm hinter Barbe Wiels Rücken abwehrende Zeichen. Als Daniel Timm darauf nicht acht gab, wollte sich Olkers aus der Türe drücken, aber Timm hielt ihn fest und sagte:

»Setz dich da hin und laß uns reden.«

Nun saß Anton ganz und gar Barbe Wiel gegenüber. Sie hatte diese Einleitung mit Kopfschütteln verfolgt. Nun sagte Daniel Timm:

»Du hast mich gefragt, Anton Olkers, ob es wohl anginge, zwei alte Pferde vor einen Wagen zu spannen?«

»Was hat er gefragt?« fuhr Barbe Wiel dazwischen.

Olkers trat Timm auf den Fuß, aber Timm wiederholte seine Worte.

»Was meint er damit?« erkundigte sich Barbe Wiel.

Olkers kam jetzt vor Verlegenheit ins Husten. Er konnte Timm auch nicht mehr auf den Fuß treten, weil der seine Füße weit unter den Stuhl zurückgezogen hatte. So saß Olkers ganz hilflos da.

Daniel Timm sagte: »Anton Olkers wollte wohl damit sagen, ob es gut täte, in seinem Alter noch in den Ehestand zu treten.«

»Wenn er eine Dumme findet, warum nicht?« sagte Barbe Wiel barsch.

»Es ist gut, Timm«, haspelte Olkers, »lassen wir's.«

Aber nun war Barbe Wiel obenauf.

»Also heiraten will er! Sieh einer an, er braucht wohl 'ne Wickelfrau.«

»So wird es nicht gemeint sein«, versuchte Daniel Timm zu beschwichtigen.

Barbe Wiel erwiderte: »Ich bin nicht seit gestern, daß ich nichts merke. Da müßte man ja leer im Kopf sein. Das geht nun schon so seine Zeit. Er druckst und druckst und richtet bloß Geschwätz an. Wohnt er oben in seiner Stube nicht gut und billig? Ich meine, er kann zufrieden sein.«

Nun wurde Olkers falsch. ›Sie macht gerade, als läge man ihr auf der Tasche‹, denkt er, ›Olkers will nichts geschenkt haben. Die Stube oben hat ihren regulären Preis.‹ – Und laut sagt er:

»Du tust, als bezahlte ich mit Bettstroh. Darüber kann sich keiner beklagen. Schowe hat auch immer seine Miete bekommen. Ich will keinen über den Löffel barbieren.«

Daniel Timm sagte: »Darum handelt es sich nicht, Anton Olkers. Du bist zu mir gekommen und aus deinen Worten habe ich entnommen, daß ich Barbe Wiel fragen soll, ob sie auch ihrerseits geneigt wäre.«

»Was sagt der Mensch dazu?« rief Barbe Wiel. »Aller Welt liegt er mit seiner Duselei im Ohr.«

»Bringe ich nicht jede Woche pünktlich meinen Taler?« sagte Olkers noch immer. »Neulich habe ich ihr auch Zwiebeln vom Markt mitgebracht. Ich dachte, willst ihr mal 'ne Freude machen. Sie waren aus Ägypten.«

»Weich sind sie gewesen und mulsch«, zankte Barbe Wiel.

»Seid doch verständig«, bat Daniel Timm.

Anton Olkers lachte auf. »Weich und mulsch«, plapperte er, »weich und mulsch! Hör einer an! Hart wie die Uhrkapsel. Dreißig Pfennig haben sie gekostet.«

Barbe Wiel tat, als müßte sie sich ausschütten vor Lachen.

»Du bist ein Daus im Aufschneiden«, rief sie.

»Fünfundzwanzig bestimmt«, beharrte Olkers, »es waren ägyptische Zwiebeln.«

Daniel Timm erhob sich seufzend.

»Ich war um anderes gekommen als um deine Einkäufe, Anton Olkers.«

Als er gegangen war, saßen Barbe Wiel und Olkers noch ein Weilchen sich gegenüber.

»Er hat's gut gemeint,« sagte Anton Olkers.

Er tat so, als wäre die ganze Geschichte durch Daniel Timm gekommen.

»Ich wußte schon, daß es mal wieder was geben würde«, sagte Barbe Wiel. »Ich hab letzte Nacht von den grauen Hühnern geträumt. Das ist immer schon ein Zeichen.«

Tags darauf wußte sie, daß dieser Traum eine größere Bedeutung hatte. Es wurde ihr die Mitteilung, daß ihre Schwester Klara plötzlich gestorben war.

›Hätte das einer voraussagen können? Vor ein paar Wochen ist sie noch hier gewesen, forsch und resolut. Man hat seinen Ärger mit ihr gehabt und man ist im Ärger geschieden. Nun auf einmal das. Wer hätte auch daran denken können.‹

Barbe Wiel war wie vor den Kopf geschlagen. Olkers sagte:

»Deine Schwester war eine, die sich um alle Hühner kümmert.«

Er wollte wohl damit Barbe Wiel trösten, aber sie fuhr ihn an und tat so, als hätte er kein Herz.

Dann saßen sie wieder zusammen und überlegten, wie man es mit der Reise halten müßte. Barbe Wiel wollte zur Beerdigung.

»Das bin ich ihr schuldig.«

Sie fürchtete sich aber vor der Fahrt. Es war umständlich mit dem dreimal Umsteigen, Hauptbahn und Kleinbahn. Auch gab es überall nur ein paar Minuten Aufenthalt. Uhlig hatte sich genau nach den Zügen erkundigt.

»Ach Gott, ach Gott«, jammerte sie.

»Das ist so, wenn eine Frau alleinsteht«, sagte Olkers, »in den vier Wänden geht's. Da ist sie zu Haus, aber darüber weg verliert sie den Kopf. Die vier Pfähle sind nicht die Welt.«

Er wunderte sich, daß Barbe Wiel auf diese Anzapfung zugänglicher war. Es lag wohl daran, daß ihr kleines Reich durcheinander geschüttet wurde.

»Ich würde doch meine Rente verlieren, wenn ich heirate«, meinte sie. »Oder meinst du, die Schifffahrtgesellschaft sorgt für zwei?«

»Man hat ja auch sein Regelmäßiges«, warf Olkers ein.

»Das ist was Rechtes«, antwortete Barbe Wiel.

Dann sprachen sie wieder von der Beerdigung.

Zu aller Erstaunen bestand Anton Olkers plötzlich darauf, mitzufahren.

»Ich kann sie doch nicht allein in die Welt schicken«, sagte er, »es wird auch noch mehr zu regeln sein. Nicht bloß das Begräbnis.«

Jetzt erst fiel es Barbe Wiel ein, daß Klara ein kleines Haus besessen hatte, und daß es ihr wohl nun zufallen würde.

»Das gäbe also eine Erbschaft«, meinte Anton Olkers.

Sie mußten am nächsten Morgen schon fahren, um rechtzeitig einzutreffen. Man hatte sie nach zwei Tagen zurück erwartet, aber sie blieben eine ganze Woche fort. Sie kamen auch untergehakt zurück.

Anton Olkers sagte zu Uhlig:

»Wir wollen nun auf die Rente der Schiffahrt verzichten. Es ist ein besonderer Fall eingetreten. Klaras Haus hat ein Fabrikbesitzer gekauft. Er will sich da ein Sommerhaus bauen. Er hat es gut bezahlt. Alles was recht ist.«

Olkers neigte sich zu Uhlig und flüsterte: »Du brauchst es ihr nicht zu sagen, daß ich's dir verraten habe, aber wir haben im Schubfach noch einen Strumpf gefunden. Da hatte sie noch etwas Ersparnisse drin. Hier soll sie getan haben, als müßte sie verhungern. Nun ist sie über alles weg gestorben. Es war ihr was im Magen gewachsen, aber sie hatte das nicht beachtet, sagen die Leute.«

Man war einigermaßen verwundert im Kolk, daß Barbe Wiel sich nun doch zu der Heirat entschlossen hatte. Über den wirklichen Grund sprach sie nicht. Sie war eigentlich aus Peinlichkeit dazu gekommen.

Als sie mit Anton Olkers in dem Dorfe eintraf, hatten die Nachbarn schon alles im Trauerhause hergerichtet. Sie beide waren gerade im letzten Augenblick gekommen.

Barbe Wiel kannte noch einige Anwesende von früher her. Es war eine Frau darunter, die ein spitzes Maulwerk hatte. Sie fragte:

»Das ist wohl der Veteran?«

Da wußte Barbe Wiel, daß Klara auch in ihrem Heimatdorfe solch ein Geschwätz aufgebracht hatte. Sie genierte sich unter den Blicken der anderen. Sie wandte sich um und rief Olkers herbei.

»Er ist mein Bräutigam«, sagte sie, »wir heiraten zu Pfingsten.«

Olkers stand sprachlos dabei. Als er schließlich begriff, fuhr er mit der Hand über die Oberlippe, an der ein dünner, grauer Bart hing.

»Das soll sein«, sagte er.

Als die Tote dann in die Erde gesenkt war, saß man noch bei Kaffee und Kuchen zusammen. Die Nachbarin hatte alles bereitet und Barbe Wiel erstattete ihr die Auslagen. Anton Olkers forderte alle auf, zuzugreifen und sich nicht so bescheiden zu machen. Er sorgte auch für Branntwein und Zigarren und fühlte sich überhaupt als Herr im Haus.

Erst am Abend gingen die Trauergäste. Einige von ihnen sangen.

Ein Nachbar hatte auch auf das Brautpaar angestoßen. So war also die Sache perfekt.

Als sie nun in den Kolk zurückkamen, brachte man ihnen Blumen, eine rote und eine blaue Hyazinthe, denn es war deren Zeit.

Olkers hielt sich jetzt mit einer gewissen Würde. Er tat auch so, als hätte er noch alle Hände voll zu tun bis zur Hochzeit, für die man den dritten Pfingsttag ausersehen hatte. Er ließ sich von Uhlig eine Anzahl leerer Blechbüchsen geben, besorgte alle möglichen Farben und wollte nun daran gehen, das Haus zu renovieren. Doch da stieß er auf den entschiedenen Widerstand Barbe Wiels, besonders als sie einmal die Schürze voll Farbe hatte.

»Es ist pure Schlemmkreide«, besänftigte sie Olkers, »es ist gut gemischt und gibt ein schönes Grün.«

Er hatte auch Kalk besorgt. »Kalk muß alt sein«, behauptete er. »Auch muß ein Hauswirt ihn stets zur Hand haben.«

Er hatte nun auch eine Maurerkelle und ein Richtbrett und pütjerte an den Wänden herum.

»Es wird die höchste Zeit, daß sich ein Mann der Sache annimmt«, sagte er zu Uhlig, »von außen sieht das Haus noch ganz leidlich aus, aber wenn, man näher hinsieht, sind doch hier und da Reparaturen. Nun, ich versteh mich drauf und so kostet's Barbe Wiel kein Geld.«

In diesen Monaten war Uhlig glücklich und zufrieden. Es stand bei ihm fest, daß er Tina heiraten würde, sobald ihre Angelegenheit mit Stam Öffgen erledigt wäre. Sie hatten auch schon über die Zukunft gesprochen. Dabei war es Uhlig, der dieses und jenes ausmalte, während Tina sich in seinen Schilderungen hinschaukeln ließ, alles gut fand und schön, sich auch Mühe gab, an alles das zu glauben, aber doch immer wieder nach solchen Gesprächen mit einem wehen Gesicht dasaß, wenn sie an Köppje dachte.

»Vielleicht können wir es durchsetzen, daß er dir zugesprochen wird«, meinte Uhlig.

Er war jetzt öfter bei einem Rechtsanwalt, doch konnte man nichts mit Sicherheit voraussagen. Es war zu bedenken, daß Stam Öffgen Gegengründe geltend machen würde, die das Gericht in Erwägung ziehen müßte.

Uhlig versuchte, diese Auskunft so zu mildern, daß Tina vielleicht einen Trost fände.

»Wir haben ein reines Gewissen«, sagte er, »es war eine Klatscherei und nichts weiter. Das Gericht wird uns schon glauben. Das können wir beschwören.«

Tina merkte jedoch daraus, daß die Sache nicht so einfach wäre, und es dauerte dann wieder ein paar Tage, bis man sie lachen sah.

Uhlig sprach über diese Angelegenheit oft mit Schowe. Er hatte das Bedürfnis, einen Menschen, dem man eine gewisse Lebenserfahrung nicht absprechen konnte, in diesen schwierigen Fall einzuweihen. Bei Daniel Timm fürchtete er nicht ohne Ermahnungen und große Redensarten wegzukommen. Es schien überhaupt so, als wäre Timm gegen die Scheidung.

»Der Mensch hat in allen Prüfungen auszuharren und von sich aus nichts zu tun, diese Prüfungszeit abzukürzen.« Das war seine Ansicht.

Schowe dachte anders darüber, und in einer vertraulichen Stunde äußerte er zu Uhlig: »Man hätte es auch so machen sollen. Einfach auf und davon gehen. Nun sitze ich in einem schönen Hexenkessel.«

Bei seinem letzten Besuch in dem Haus am Markt hatte Frau Schowe ihm einen großen Tanz gemacht. Es war ihr zu Ohren gekommen, daß ihr Mann jetzt wieder aufs Feld fuhr. Auch Herr Peine war aufgeregt darüber gewesen.

»Es schadet unserer Reputation. Wir sind dabei, aufzusteigen, und mein Herr Schwiegerpapa läßt es sich nicht nehmen, den Dung eigenhändig zu fahren.«

Schowe war mißgelaunt zurückgekommen.

»Ich werde ihr Haus nicht wieder betreten«, schwur er. Aber dann ließ ihm die Sehnsucht nach Wally keine Ruhe. So machte er sich nach ein paar Tagen wieder auf den Weg. Er hatte Glück gehabt und Wally allein gesprochen.

»Sie will mich am Sonnabend besuchen«, sagte er erfreut zu Uhlig. »Ich habe mir übrigens jetzt jemand zur Hilfe angenommen. Es ist richtig, man ist die Plackerei doch nicht mehr so gewohnt. Er soll nun mit Albert aufs Feld fahren. Ich tu's aber nicht etwa Peines wegen«, setzte er noch hinzu.

Am Sonnabend kam Wally. Sie aß viel Kuchen, Schlagsahne und schwatzte unaufhörlich. Schowe lachte zu jedem Wort. Er sagte:

»Es ist schön, daß wir beide mal allein zusammen sind. Weißt du noch, wie ich dir Puppen aus Kienäpfeln gemacht habe?«

»Ja«, sagte Wally, »sie hatten ein Taschentuch an als Kleid und du konntest sie zappeln lassen.«

»Das habe ich schon als Junge gekonnt«, sagte Schowe, »als ich in der Quarta war, haben wir Puppentheater gespielt. Das war auf der höheren Schule.«

Er hatte diese Tatsache in langen Jahren vergessen. Auf einmal fiel es ihm ein. Er hatte eine bunte Schülermütze getragen, und es wäre eigentlich einmal nachzuprüfen, ob Herr Peine überhaupt eine gleiche gehabt hat. Man sprach immer nur vom Heute und vom Morgen, aber man hatte nur selten vom Gestern gesprochen.

Nun erzählte Herr Schowe Wally davon.

»Sei mal still«, sagte er und überlegte, aber es fielen ihm nur drei Brocken Französisch ein und vom Englischen wußte er noch weniger.

»Wie sich das verlernt«, meinte er betrübt.

Sie gingen dann zusammen über den Kolk. Da kam also Wally, Frau Wally Peine aus dem großen Haus am Markt. Aber wie sie jetzt so neben ihrem Vater durch die Regenpfützen patschte, war sie wohl doch die dicke Wally Schowe, die rosa Kleider trug und Klavierstunde nehmen mußte und sich heimlicherweise Zuckerbonbons aus Uhligs Laden holte. Nein, es ist doch nicht Wally Schowe, es ist eine liebe runde Frau, die behutsam am Arm geht Welche glückselige Ungeschicktheit im Schritt, welches vorsichtige Sichhintragen. Welche mütterliche Achtsamkeit auf jede Bewegung. Aber das alles ist noch neu und ungewohnt, es ist auch viel Verwunderung darin und eine errötende Scheu.

Da gehst du nun langsam den Kolk entlang, junge runde Frau.

Auf einmal geht Gitti neben ihr. Die kleine Gitti Öffgen.

Früher ist sie Wally aus dem Wege gegangen. Nun ist sie da und plaudert in einem fort. Sie trägt ein Marktnetz in der Hand und tut wichtig mit ihren Einkäufen.

Seit Köppjes Verschwinden ist Gitti ein Mensch geworden, der ganz für sich steht. Sie hat gefühlt, daß ihre Mutter nur an den Verlorenen denkt. Allzuoft hat sie in diesen schweren Tagen zu Gitti gesagt: »Sei still«, oder »Laß mich in Ruh«, beinahe war es so gewesen, als ob Gitti für alles büßen sollte. Tina hatte sich selbst deswegen oft Vorwürfe gemacht, erschrocken über ihre eigene Härte. Vielleicht wäre es ein Trost gewesen, Gitti im Arm zu halten und sich neben dem Kinde auszuweinen. Aber Gitti war immer so vernünftig, daß man keine Ängstlichkeit um sie aufzubringen brauchte. Sie hatte es nicht nötig, betreut und belehrt zu werden. So war sie eigentlich nie ein Kind. Darum vermißte Tina Köppje um so mehr, Köppje, bei dessen Wildheit man sich bangen mußte, um dessen Einfälle man sich sorgte. Nun wo er fort war, sind viele liebe Mühen aus Tinas Leben weggenommen worden. Wenn Gitti unselbständiger gewesen wäre, würde Tina sie wohl liebevoller ans Herz gedrückt haben. Aber Gitti begann ihren eigenen Weg zu gehen und sich Mühe zu geben, ihrer Mutter so wenig wie möglich beschwerlich zu fallen.

»Ich will sehen, daß ich nachmittags eine Stellung bekomme«, sagt Gitti, »ich hab Kinder gern und ich würde gern so einen Kleinen spazierenfahren.«

»Da können wir später mal drüber reden«, sagt Schowe – »es ist ein vernünftiges Kind, wie solche kleine Alte«, sagt er zu Wally, als Gitti fort ist.

Sie stehen nun bei Uhlig im Laden.

»Du mußt ihm guten Tag sagen, Wally«, hatte Schowe gebeten, »wo du dich hier so selten sehen läßt.«

»Ich werde wohl nun öfter mal kommen«, verspricht Wally, und Schowe ist ganz glücklich.

»Sie will's dir nachmachen«, lacht er und zeigt auf Barbe Wiel, die dabei ist, Uhligs Laden zu säubern. Es ist Sonnabendabend und da muß alles blank sein.

»Nun müssen wir auch was kaufen«, sagt Schowe, »der Schornstein muß rauchen. Aber was?«

Uhlig weiß schon Bescheid. Er hat eine Tüte genommen und ein großes Bonbonglas geöffnet.

»Die waren es doch wohl immer?« sagt er zu Wally.

»Sieh einer an«, amüsiert sich Schowe.

»Ja, die hat sich Fräulein Wally immer geholt, als ich noch den Laden bei Ihnen hatte«, antwortet Uhlig.

Schowe sagt: »Nun steht der Laden leer. Neulich wollte schon ein Schuster rein, aber für den ist er ja zu groß. Es ist schade drum.«

Er will wohl noch mehr sagen, aber er merkt, daß Barbe Wiel ärgerlich herumhantiert. Sie fährt ihm sogar mit dem Besen gegen den Schuh.

»So geht's immer«, brummelt sie. Schowe hört dann auch noch etwas wie »zu hoch hinaus«. So schweigt er lieber.

Als er dann aber Wally ein Stück gebracht hat und zurückkommt, sieht er Uhlig allein im Laden. Er macht sich ein Gewerbe und geht hinein. Sie reden allerhand. Ganz zum Schluß meint Schowe so nebenbei:

»Sie sollten sich das mal überlegen mit dem Laden.«

Er hatte auch noch eine andere Idee, die er am nächsten Tage bei Barbe Wiel während der Mahlzeit zum besten gab.

Seit einiger Zeit kochte Barbe Wiel für ihn, weil es ihm zu unbequem geworden war, jeden Mittag in den Gasthof zu gehen. Man mußte sich dazu einen anderen Rock anziehen, und die Abwechslungen, die man im Gespräch mit den einkehrenden Landleuten fand, wogen nicht die Umständlichkeit des Weges auf.

Einige Zeit war es ihm interessant gewesen, dort zu sitzen und dieses oder jenes zu hören, aber nach und nach hatte er sie alle kennengelernt, den Kaufmann Küper aus dem Nachbardorf, den Landwirt Magel im Ausbau, den Steinsetzmeister Ladekopf, den Maler Steinbeiß, den Blechschmied Seeger und wie sie alle hießen, die ihre Häuser hier am Rande der Stadt, an der Chaussee oder im Felde hatten.

Schließlich waren es immer die gleichen Geschichten, die sie erzählten. Er hatte nun schon ein dutzendmal gehört, wie dem Blechschmied Seeger die Uhrfeder gegen die Nasenspitze geflogen war, als er einmal daran ging, dem Uhrmacher Legel ins Handwerk zu pfuschen. Er wußte nun auch, daß man dem Steinsetzmeister Ladekopf keine weißblühende Kalla ins Haus bringen durfte, weil Frau Ladekopf behauptete, diese Blume bedeute Unglück. Er hatte auch schon oft seine Anerkennung darüber ausgesprochen, daß der Maler Steinbeiß um Haaresbreite Schützenkönig geworden wäre. Diese Geschichten hätte nun auch Schowe in allen Einzelheiten wiederholen können.

Es hatte sich dann ergeben, daß er bei Barbe Wiel sein Mittagessen einnehmen konnte. Jeden Tag punkt zwölf stellte er sich dort ein. Er kam als Nachbar und es machte ihm keine großen Umstände.

Hier also, bei Barbe Wiel, sprach er zum erstenmal von seinem Vorhaben.

Aus dem Feldstück, darauf er Runkelrüben hatte säen lassen, sollte ein Garten erstehen, sobald die Rüben auf die Äcker ausgepflanzt waren.

»Ein Gemüsegarten und ein Blumengarten, da haben wir gleich Salat und Bohnen bei der Hand. Der Blumengarten soll für Wally sein. Sie kann dann, wenn's soweit ist, im Sommer mit dem Kinde hin. In der Stadt schluckt es bloß Staub und Dreck. Solch Kind muß im Grünen aufwachsen. Wir wollen uns schönen Blumensamen schicken lassen, und in den Gemüsegarten soll auch Pastinak rein. Der ist für alles mögliche gesund.«

Barbe Wiel stimmte ihm zu. Sie kannte die Heilkraft dieser langen, weißen Möhren und wunderte sich, daß man diese Pflanze nicht öfter in den Gärten sah.

Dieser Feldgarten war jetzt für alle die Hauptsache geworden. Das brachliegende Stück wurde umgegraben. Man mußte sich auch beeilen, denn es ging immerhin schon auf Ende April.

Schowe grub, harkte und säte den ganzen Tag. Das war ein kleiner Ersatz für die Arbeit auf dem Acker, von der er sich jetzt zurückhielt.

Auch Anton Olkers half ihm, wenn er auch manche Verwirrung anstiftete und mit gutem Willen vielerlei durcheinanderpflanzte, im Glauben, daß es zuträglich und dem Sommer zur Freude sein würde. Als ein paar graue Regentage dann vorbei waren, ging man an den Bau einer Laube.

Wally fand alles wunderhübsch und entzückend und Schowe spendierte in seiner Freude eine Flasche Wein.

Das Wetter war noch nicht so, um gemütlich im Freien zu sitzen, aber an diesem Tage ließ man es sich nicht nehmen, in der nackten Laube wie Hühner nebeneinander zu hocken, in Mantel und Rockkragen eingeplustert und ab und zu mit einem wärmenden Reiben der Knie. Doch war man deswegen nicht sauertöpfisch, sondern tat so, als wäre es mitten im Juli, als blühten Aurikel und Balsaminen und als wären da Salatköpfe, blank, hellgrün und saftig.

Die jungen Rübenpflanzen waren nun soweit, daß man sie in den Acker bringen konnte. Der Regen hatte das Land vorbereitet, und so zog man eines Tages hinaus. Jede Pflanze mußte etwa zwei Spannen breit von der anderen gesetzt werden. Das war eine mühselige Arbeit, die krumme Rücken machte und lahme Hände.

Schowe hatte einige Leute dazu angenommen, Männer und Frauen, die nun in langer Reihe gebückt auf dem Acker wirtschafteten.

Es waren Menschen, die bisher in ihrem Leben nicht viel mit Erde zu tun gehabt hatten, denn in den Städten ist das Landvolk rar. Arbeitslose Dreher und Schlosser waren es, die mit ihren Frauen den Verdienst mitnehmen wollten. Sie hatten bisher in einer Maschinenfabrik gearbeitet, aber dieser Betrieb war stillgelegt worden, und da mußten sie untätig zu Hause sitzen. So waren sie nun aus dem Maschinenraum heraus auf einmal mitten auf ein Feld gestellt worden. Schowe zeigte jedem, wie er es machen mußte. Sie merkten bald, daß es bei gutem Willen ging.

Sie gehen im Pflanzen Schritt für Schritt weiter, gebückt, denn es hat keinen Zweck, sich erst jedesmal aufzurichten. Manchmal rufen sie ihrem Nachbar ein Wort zu.

Sie haben im Krieg in den Schützengräben nebeneinander gelegen. Damals mußten sie Wunden in die Erde reißen, um einen Unterschlupf gegen den Tod zu haben. Sie hatten den Mutterboden aufschneiden und aufwühlen müssen. Er war unter ihren Händen kahl und leer geworden. Nun knieten sie zu friedlichem Tun nebeneinander. Sie haben den Krieg erlebt und in den Jahren darauf viel Wildes und Wunderliches über sich ergehen lassen müssen. Nun sind sie Pflanzer geworden und erobern die Erde zurück. Sie haben in Körben vor sich die zarten und doch kräftigen Gewächse, und sie sind bemüht, daß ein jedes an seinen richtigen Fleck kommt. Es ist ein Ungewohntes, die Rücken schmerzen und die Arme, aber sie sind guten Mutes und haben die Hände oft tief in der Erde. Wenn sie ihre Hände herausziehen, hängt die Erde klumpig daran.

Als das Auspflanzen der Runkelrüben beendet war, gab es ein gemeinschaftliches Mahl in der Waschküche auf Schowes Hof. »Eigentlich brauche ich ihnen bloß den ausgemachten Lohn zu geben«, sagt Schowe, »aber mein Vater hat es früher auch so gehalten.«

Da sitzen nun die Männer und Frauen auf langer Holzbank. Barbe Wiel hatte inzwischen für alle das Essen bereitet, und Tina füllte ihnen die Teller.

An diesem Nachmittage erzählte Olkers, daß sie sich bereits mit dem Standesamt in Verbindung gesetzt hätten.

»Es sind vielerlei Papiere beizubringen, und es ist bloß gut, daß die selige Frieda alles in einem Kasten verwahrt hatte. Ich wußte schon gar nicht mehr, was in der Kassette drin war. Der Schlüssel ist vor Jahren mal abgebrochen, aber nun haben wir sie mit einer Schere aufgedrückt. Da lag alles geordnet drin, was Geburt anbetrifft, Impfung, Taufe und Konfirmation.«

An diesem Tage sagte Uhlig auch zu Schowe, daß er sich entschlossen hätte, den früheren Laden wieder zu übernehmen.

»Die Ladenstube im Torbogen wird doch mit der Zeit zu klein, und da die Räumlichkeit bei Ihnen sowieso leer steht, scheint es mir das beste. Man will ja vorwärtskommen. Es ist jetzt auch nicht bloß meinetwegen. Ich denke doch, daß die Sache mit Stam Öffgen nun bald zum guten Ende kommt. Schon Tinas wegen wäre es gut, wenn sie bald wüßte, wohin sie gehört.«

Schowe lobte Uhligs Entschluß. Man sah ihm an, wie glücklich er war, daß nun eine dumme Geschichte ein für allemal ausgelöscht werden sollte.

»Sie sollen den Laden pikfein bekommen«, versprach er. »Ich will morgen gleich mit Frommhold sprechen, damit er seine Gesellen schickt. Es soll alles noch einmal neu gestrichen werden.«

›Das ist nun beinah alles wieder wie damals. Der Maler Frommhold ist da, und man steht dabei und gibt seine Anweisungen‹, denkt Schowe. ›Und es ist doch nicht dasselbe. Damals stand man dabei, mißmutig und knauserig, weil das, was man angegeben hatte, nicht von einem selber gekommen war, sondern weil man für andere der Handlanger sein mußte. Da kommandierte Frau Schowe, und Herr Peine stolzierte wie ein Feldherr auf und ab, den Federhalter hinterm Ohr und das Metermaß wie einen Marschallstab.‹

›Sie hatten mich an die Wand gedrückt‹, denkt Schowe und ärgert sich in Gedanken daran, ›ich mußte alles ausbaden. Olkers raussetzen und Uhlig raussetzen. Man kam sich ja vor wie ein Halsabschneider.‹ Aber jetzt ist man fidel, klopft Frommhold auf den Rücken und fragt: »Na, Meister, hält die Ölfarbe?«

Man nimmt Uhlig bei der Schulter und zeigt ihm, wie fein die Ladentür lackiert ist. »Eichenmaserung«, sagt man, »mit dem flachen breiten Pinsel gestrichen. Das ist nicht einfach.«

Manchmal sagt man jetzt auch schon du zu Uhlig. »Kannst es glauben. Peines Laden am Markt sieht auch nicht komfortabler aus. Na schön, er ist nochmal so groß, aber der Gehalt macht's. So ist es doch wohl.«

»Ich denke, wir werden in ein paar Wochen soweit sein«, meint Uhlig, »da könnten wir vielleicht zu Pfingsten eröffnen.«

Er sagt »wir«, denn es ist wohl so, daß sie alle mit dem Wohl und Wehe des Ladens zu tun haben werden, Barbe Wiel und Olkers, Tina und Schowe. Bloß Daniel Timm nicht. Er ist endgültig zu seinem Lumpenhandel zurückgekehrt.

»Der Mensch soll nicht hoffärtig sein«, sagt er, »ich hätte mein Herz beinah wieder an andere Dinge gehängt.«

Er ist froh, daß die Ladenstube im Torbogen wieder frei wird. Vielleicht verwirklicht sich sein Gedanke mit dem Vortragssaal doch noch einmal. Jede Nacht könnte es sein, daß Gottes Stimme zu ihm spräche.

Nun ist die kleine Stube im Torbogen ganz leer. Regal, Schrank, Ladentisch und Bank, das alles hat Uhlig mit hinübergenommen.

Daniel Timm geht jetzt oft in dem leeren Raum auf und ab. Drei Schritte sind es zwischen Wand und Wand, aber wenn man stundenlang auf und ab wandelt, ist es doch eine Wanderung. Oh, es ist eine Wanderung über alle Höhen und Tiefen des Lebens. Es sind viele Wege in unsere Gedanken gelegt. Wenn wir den rechten nicht erkennen, werden wir uns im Dickicht verlieren. Was tut es, wo die Füße wandeln. Ob sie zehn Meilen und mehr durch das schöne Land laufen, oder ob sie über knarrende Dielen hinschreiten, drei Schritte vor, drei Schritte zurück, denn wir alle warten eines neuen Himmels.

Wenn Daniel Timm durch die leere Stube wandelt, ist jeder Fußbreit eine Stufe Tempel. Nicht im Allerheiligsten wird sich Gott offenbaren, an schmaler grauer Wand wird er stehen, unerkannt und von jedem bemitleidet. Er wird die Hand ausstrecken und sagen: Da bin ich. Sie aber werden vorübergehen, und ihre Augen werden ihn nicht anschauen mögen. Vielleicht heben sie gar ihre Gewänder auf und lassen ihre Füße eiliger zuschreiten. Daniel Timm wird unter ihnen gehen, aber er wird plötzlich aufschauen, stehenbleiben und sagen: Da bist du. Und in diesem Augenblicke wird Gottes grauer Mantel zu leuchten anfangen, und die Wand hinter ihm wird helle sein, und Daniel Timm wird niederknien und sagen: »Hosianna«. Aber die anderen, die Eiligen, werden das alles nicht bemerken. Sie werden Daniel Timm stoßen und treten und werden sagen: »Was liegst du da im Staube. Wir sehen nichts, was du anbeten könntest.« Und sie werden weitergehen, sich umwenden und lachen: Sehet, welch ein Narr.

Wenn Daniel Timm durch die leere Stube wandelt, denkt er sich aus, wie es sein würde, wenn Gott plötzlich hereinträte. Vielleicht würden die Wände zu tönen anfangen, vielleicht würde ein unsichtbares Singen sein. Oh, eine solche Erwartung lohnt schon, Nächte zu durchwachen. Nächtelang brennt ein Licht in der leeren Stube im Torbogen.

Daniel Timm wartet, daß Gottes Stimme um ihn ist, aber noch immer schweigt Gott, und es ist nichts da als eines armen Mannes tiefer Glaube.

Manchmal hat Daniel Timm ganz kindliche Einfälle. Vielleicht müßte man ihn mit Lobgesang empfangen. Vielleicht würde er, wenn man nachts die Türe auftäte und in heiliger Musik zu ihm hinspräche, nicht vorüberziehen.

So kommt es, daß Daniel Timm mit dem Gedanken umgeht, ein Harmonium zu kaufen. Das soll in der leeren Stube im Torbogen stehen. Es soll nichts darin sein als dies Harmonium.

Daniel Timm zählt oft seine Barschaft. Aber da fehlt noch manches. Schließlich, eines Tages, hat er irgendwo eine alte Geige gekauft. Keine Geige, deren Alter voll Wohlklang ist, eine rohe, rauhe, eine krächzende Geige. Man muß schon viel verstehen, um auf ihr spielen zu können. Was Daniel Timm auf ihr hervorbringt, sind Raben, die durch die leere Stube schwirren.

Ob wohl jemand verstünde, ihr eine bessere Stimme zu geben? Man müßte mit ihm sprechen.

So ging Daniel Timm zu dem Geigenbauer Sebastian Schur. Sie kannten sich schon lange. Manches Buch hatten sie gegenseitig ausgetauscht. Sebastian war ein langer dürrer Mensch. Wenn er ging, schien es, als wollte sein Kopf woanders hin als seine Beine. Es war eigentlich verwunderlich, daß Sebastian trotzdem an das rechte Ziel kam. Ein paarmal hatte er Daniel Timm besucht, aber sie wohnten zu weit auseinander, und der Geigenbauer war ein Mensch, der nicht gern straßauf und straßab lief. Nun kam Timm zu ihm mit der Geige, die eine neue Stimme bekommen sollte.

Von diesem Tage an waren sie öfter zusammen. Sebastian Schur beklagte sich, daß der Wirt mehr Miete gefordert hatte. So kam es wohl, daß er eines Nachmittags Daniel besuchte und sich die Stube im Torbogen ansah.

»Es würde als Werkstatt genügen«, sagte er.

Daniel Timm war über diese Äußerung erschrocken. Er hatte gar nicht daran gedacht, diese Stube an einen anderen zu vermieten. Nur einmal, so im Gespräch, hatte er erzählt, daß Uhlig ausgezogen wäre.

Nun kam da ein Mensch und verfügte ganz von sich aus über den Raum. Er sagte: »Es würde genügen.«

Wer hatte ihn dazu aufgefordert? Wer hatte ihn angeregt, zu Daniel Timm zu gehen und diese Stube abzuschätzen?

»Hier kann ich die Geigen unterbringen«, sagt Sebastian Schur, »hier kämen die Mandolinen hin, die Zithern, Guitarren, und hier wäre noch ein Plätzchen für das Harmonium.«

»Harmonium?« fragte Daniel Timm.

»Du hast es nicht gesehen«, antwortete der Geigenbauer, »weil es in der Ecke hinter dem Geräteschrank steht. Es ist ein heiliges Instrument, und es soll mir nicht jeder darauf herumklimpern, der in meine Werkstatt kommt.«

»Also ein Harmonium«, wiederholte Daniel Timm. Es lag viel Andacht darin, als er es so sagte.

»Du kannst die Stube haben, ich vermiete sie dir gerne.«

Sie besprachen, was noch zu bereden war. Dann ging Sebastian.

»Es wird ein Harmonium hier stehen«, sagte Daniel Timm. Da lag schon ein frohes Entzücken darin, als er es so sagte.

*


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