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Am Silvesterabend kam Atze Uhlig zu Barbe Wiel. Er brachte eine Flasche Glühwein aus dem Laden mit, Mandeln und Nüsse.

»Man muß das neue Jahr begrüßen«, meinte er.

»Es soll für uns ein gutes Jahr werden«, sagte Barbe Wiel und stieß mit ihm an.

Er seufzte und hielt den Kopf etwas gesenkt, aber dann lächelte er und sagte laut:

»Viel Glück!«

Es war so, als wollte er das Glück auf sich aufmerksam machen, es hereinrufen und beschwören, nicht vorbei zu gehen. Er hatte das Fenster weit geöffnet.

»Viel Glück!« rief er in die kalte Nacht.

Auch die anderen Fenster waren aufgetan und vom Nachbarhause her schrie Herr Schowe:

»Prost Neujahr!« Man hörte Klavierspielen, und von der Stadt her läuteten die Kirchglocken.

Dann war ein Knall und über die Straße sprang ein lustiges Funkenspiel. Stam Öffgen hatte einen Leuchtfrosch abgebrannt, der nun knatternd über das Pflaster hüpfte. Dazu rief der Schiffer:

»Gute Fahrt ins neue Jahr!«

Er bemerkte Uhlig am Fenster.

»Meine Frau ist schon schlafen gegangen«, sagte er.

»Komm herein«, rief Uhlig, »es ist noch ein Gläschen da.«

Sie stießen an.

»Meine Frau ist eine schwächliche Person«, sagte Stam Öffgen, »ihr hättet sie früher sehen sollen. Da war nicht daran zu tippen.«

»Sie quält sich wacker«, antwortete Barbe Wiel, »manchmal hat sie die ganze Woche keinen Ruhetag. Sonntags näht sie für die Kinder.«

»Sie ist eine tüchtige Frau«, sagte Stam Öffgen.

»Wir wollen auf sie anstoßen«, schlug Barbe Wiel vor.

»Tina soll leben«, rief Uhlig. Der Glühwein hatte ihm einen heißen Kopf gemacht.

»Das soll sein«, antwortete Öffgen. Er setzte das Glas wieder hin. »In Hamburg sind Mädchen, die gehen ran wie Blücher«, sagte er.

»Man wird sich doch mit solchen Frauensmenschen nicht einlassen«, erschrak Barbe Wiel.

»Bewahre«, lachte Öffgen, »aber Löders hat mir da eine Geschichte erzählt, na, ich sag euch!«

Auf einmal brach für Atze Uhlig in die bescheidene Silvesterfeier ein jäher Schreck. Er sah nach der Tür, als müßte da Löders hereinkommen, schwankend und das lange Gesicht vom Punsch gerötet.

›Prost Neujahr, Atze Uhlig, du denkst wohl, ich bin ein Lump, der dich sitzen läßt. Du denkst wohl, ich bin ein Hundsfott, der seinen besten Freund betrügt.‹ – ›Nicht doch, Löders, wie werde ich so was denken? Aber ich habe ein bißchen Sorge gehabt, das muß ich schon sagen. Woher sollte ich denn das Geld nehmen, wenn du nicht wiedergekommen wärst. Dabei würde ja mein kleiner Laden draufgegangen sein. Das soll dich nicht kränken, aber man ist ein Mensch, über den manchmal schlimme Gedanken herfallen.‹ – ›Schowe ist kein Halsabschneider, Uhlig, das hast du selber gesagt. Der hätte dir schon deswegen nichts am Zeug geflickt.‹ – ›Ich habe Vertrauen zu den Menschen, Löders, ich glaub' das schon mit Schowe, aber es ist doch besser, daß du wieder da bist und die Schuld einlöst.‹

»He, Uhlig, komm zu dir«, schrie Stam Öffgen. Er stieß Barbe Wiel in die Seite und lachte. »Er ist in Gedanken unterwegs, die Stillen haben's hinter den Ohren! Was, Uhlig? ›In Hamburg an der Elbe, graderüber von Helgoland ...‹« Stam Öffgen sang mit dröhnender Stimme.

Uhlig fuhr auf. Die Türe war geschlossen geblieben. Sie saßen zu dritt in der Stube.

Barbe Wiel sah Uhlig besorgt an.

»Er ist in der letzten Woche etwas verändert«, sagte sie zu Stam Öffgen. »Was hast du denn auf dem Herzen, Uhlig? Mir könntest du's doch sagen.«

»Es ist nichts«, antwortete Uhlig. Er schenkte den Rest Glühwein aus. »Es ist wirklich nichts«, sagte er, »was sollte auch sein? Nein, nein, es ist nichts!«

»Du solltest heiraten, Uhlig«, lachte Öffgen, »da vergehen dir die Grillen!«

Er setzte das Glas hart hin, daß Barbe Wiel besorgt herübersah. Stam Öffgen nahm das Glas noch einmal hoch und betrachtete es prüfend.

»Es ist ganz geblieben«, sagte er.

»Das Glas ist noch von früher«, antwortete Barbe Wiel entschuldigend. »Wir haben uns die Gläser gekauft, als wir heirateten. Das sind so kleine Andenken. Meine Schwester hat die gleichen. Sie sind schon so ihre dreißig Jahre alt. Die Zeit vergeht.«

»Das soll sein«, sagte Stam Öffgen.

Barbe Wiel kam ins Erzählen. Sie sagte:

»Ich hatte eine Stelle nach Fehmarn angenommen und wollte sehen, ob ich meine Schwester Klara, die damals siebzehn Jahre war, nicht auch dort unterbringen könnte. Aber nun war das Boot schon abgefahren und wir liefen am Steg hin und her. Es war unsere erste Reise. Da lag noch ein zweites Boot, ein Fischerboot. Darin saßen zwei junge Männer und lachten uns aus. Es waren die beiden Brüder Wiel, Christian und Otto. Sie haben uns dann nach Fehmarn rübergebracht, aber sie haben uns bald wieder weggeholt. Christian war ein guter Mann. Nun sind sie beide schon lange unter der Erde.«

Sie erzählte oft die Geschichte ihrer Heirat. Meistens fügte sie noch hinzu:

»Ich habe mich immer gut verstanden mit Klara.«

Sie sagte das, um eine Entfremdung zwischen sich und ihrer Schwester nicht wahrhaben zu wollen. Aber im Grunde war es wohl so, daß Klara, die mit Otto Wiel in dem Fischerdorf wohnen geblieben war, ein ärmliches Leben führte, während Christian bei einer Schiffahrtsgesellschaft angestellt wurde und sein regelmäßiges Auskommen hatte. So konnte sich Barbe Wiel manches leisten, was Klara versagt blieb. Auch jetzt lebte die Schwester noch in dem kleinen Dorf und verdiente sich hier und da ihr Brot. Barbe Wiel aber bekam seit dem Tode ihres Mannes eine kleine Rente von der Schiffahrtsgesellschaft. Ab und zu, aber nur selten, schrieben sich die Schwestern. Sie hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen.

Nun, da Barbe Wiel ins Erzählen gekommen war, hätte es für sie noch bis tief in die Nacht gehen können, doch Stam Öffgen, der die meisten ihrer Geschichten schon kannte, stand auf.

»Da wäre nun also Silvester vorbei«, sagte er.

Er ging mit Uhlig nach Haus. Mit langsamer Bedächtigkeit kam der Invalide Anton Olkers angestapft.

»Ich hab' mir heute ein Gläschen geleistet«, rief er vergnügt. »Da ist nun wieder ein Jahr herum und die Welt ist nicht besser und nicht schlechter geworden. Ich denke mir, daß es wohl so bleiben wird. Was soll sich hier auch im Kolk ändern? Manchmal gibt's eine kleine Überraschung. So war ich diese Weihnachten Knecht Ruprecht. Die Kinder haben mich nicht erkannt, obwohl der Inspektor ihnen gesagt hatte, jetzt kommt der Weihnachtsmann aus dem Kolk. Er wollte mich hineinlegen, der Herr Inspektor. Aber da kennt er Anton Olkers schlecht! Entweder oder, sage ich, und dabei soll's bleiben.«

Er war ganz redselig geworden, der alte Invalide. Sie standen vor der Haustür und schwatzten. Bei Schowes klimperte noch immer das Klavier.

»Herr Peine ist da«, zwinkerte der Invalide, »wenn er sich selbständig gemacht hat, wird geheiratet.«

Es war eine klare Frostnacht mit vielen Sternen. Das Wasser war gefroren und lag wie eine blasse Straße unter dem hohen Himmel.

*

Am Neujahrstage kamen viele Menschen nach dem Kolk. Sie hatten Schlittschuhe und fuhren über die glänzende Fläche. Sie glitten auf silbernem, geflügeltem Stahl dahin, zogen Schleifen und Kreise und kunstvolle Achten. Die Möwen stoben den ganzen Tag aufgeregt hin und her. Sie begleiteten kreischend den flitzenden Lauf der Menschen. Auf der Brücke standen zwei Musikanten, Trompete und Posaune. Ehe die Menschen auf die gefrorene Bahn hinunterstiegen, drückten sie ihnen ihr Scherflein in die Hand. Die Musik rollte und polterte gegen die Häuser im Kolk. Es war ein lustiger Spektakel, der es schon wert war, daß man die Fenster trotz der Kälte im Riegel ein bißchen lockerte.

Am Nachmittag war auch Herr Peine gekommen und holte Wally auf die Eisbahn. Herr Schowe war zum Kartenspiel gegangen, doch Frau Schowe ließ es sich nicht nehmen, von der Brücke aus neben der Musik den Kindern zuzusehen. Sie trug einen schwarzen Pelzmantel aus geglätteten Fellen. »Es ist Seal«, sagte sie. Jedesmal, wenn Wally und Herr Peine unter der Brücke hindurchglitten, winkte sie ihnen zu. Sie bewegte unablässig die Füße, und als ihr dennoch von der Kälte die Zehen steif wurden, ging sie schließlich hinauf und setzte sich an das Fenster.

Herr Peine hatte eine weiße Strickmütze auf und einen dicken weißen Schal um den Hals. Er trug kurze, weitgebauschte Hosen, die dicht unter dem Knie in grau gesprenkelten Strümpfen landeten. Er hatte sich mit Wally kreuzweis angefaßt und warf immer ein Bein mit weitem Schwung von sich. Es war erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit er es wieder zurückholen und mit dem anderen Beine abwechseln konnte. Er zog Wally mit sich fort, die wie ein runder, gemütlicher Pompon über das Eis rollte. Sie bewegte dabei kaum die Füße. ›Es ist ein ansehnliches Paar‹, dachte Frau Schowe am Fenster.

Auch Stam Öffgen war auf dem Eis. Er konnte holländern und nahm wenig Rücksicht auf die anderen. Wenn hier und da einer zu Fall kam, war Stam Öffgen immer in der Nähe gewesen. Er sauste weiter, drehte sich, wirbelte und wendete, und es hätte nur noch gefehlt, daß er vor Lebensfreude seine Mütze in die Luft geworfen und bei jeder Schleife wieder aufgefangen hätte.

Auf dem Eis war auch ein derbes Mädchen in rotem Kleid. Wenn sie an Stam Öffgen vorbeiglitt, lachte sie jedesmal. Die Kreise, die sie zogen, wurden enger. Schließlich streckte Stam Öffgen seine Hände aus und sie faßte herzhaft zu. Sie sprachen kaum miteinander, aber sie trennten sich nicht mehr. Sie liefen bis zum Abend auf dem Eis hin und zurück. Sie waren die letzten, die gingen.

Es war still geworden im Kolk. Die Trompete war verstummt und die Posaune. Hier und da saß eine Möwe müde auf einem Holzpflock am Rande.

»Du kommst doch morgen wieder«, sagte Stam Öffgen zu dem Mädchen. – Sie kicherte und war fort. Als er die Treppe hinaufstieg, pfiff er vor sich hin. Er trat lachend in die Stube.

»Das war eine Person«, sagte er zu Tina, »hast du gesehen, sie lief wie der Teufel. Du solltest auch mal deine Schlittschuhe vorsuchen.«

»Ich habe doch keine«, sagte Tina.

»Ach so«, antwortete Stam Öffgen, »daran hab' ich gar nicht gedacht. Wir wollen dir morgen welche kaufen.«

»Sie haben doch dein Geld in Marseille gestohlen«, sagte Tina.

»Das ist eine dumme Geschichte«, antwortete Stam Öffgen. Er sprach nicht mehr von den Schlittschuhen.

*

Nun fiel schon tagelang Schnee. Die Musikanten waren noch ein paarmal gekommen, aber es war wärmer geworden und an einzelnen Stellen trug das Eis nicht mehr. Auch hatte man sich an die Musik gewöhnt und achtete nicht mehr darauf. Bloß die Kinder standen noch bei den Musikanten. Aber die beiden Männer wollten wohl nicht für die Kinder alleine blasen. Darum blieben sie schließlich fort.

Stam Öffgen ging jetzt oft abends aus. Eigentlich wollte er in der zweiten Januarwoche wieder abfahren, doch blieb er den ganzen Monat über.

»Ich kann im Januar auf einem Mittelmeerdampfer ankommen«, hatte er gesagt, »es soll ein gutes Schiff sein und der Kapitän ein vernünftiger Mensch.«

Die Kähne konnten des Eises wegen noch nicht fahren, Stam Öffgen hätte also die Eisenbahn benutzen müssen.

»Das Fahrgeld«, sagte er zu Tina, »und dann müßte ich auch noch einen Taler in der Tasche haben.«

Tina kramte das Schubfach aus, aber es fanden sich nur ein paar Markstücke, die nicht her und nicht hin reichten.

»Laß nur«, hatte Stam Öffgen gesagt, »ich will's mir bei Uhlig borgen. Er macht das schon.«

Aber er hatte nicht mit Atze Uhlig gesprochen und er redete auch nicht mehr von der Abreise. Wenn sie sich am Tisch gegenüber saßen, sah ihn Tina oft von der Seite an, als wollte sie ihn etwas fragen, aber sie seufzte nur und schwieg. Es fiel ihr auf, daß er einen neuen Tabaksbeutel hatte und den ganzen Tag die Pfeife nicht ausgehen ließ, doch auch dazu sagte sie nichts.

Er stand morgens zeitig auf und schippte den Schnee vor dem Hause fort. Dafür bekam er von Schowe eine Kleinigkeit. Das war auch alles, was er tat. Am Straßenrand türmte sich ein hoher Schneewall. Da spielte Köppje mit den anderen Kindern, und sie versuchten einen Schneemann aufzurichten, der ein Gesicht aus Kohlenstückchen haben sollte und eine leere Blechbüchse als Hut. Weil die Kinder mit diesem Kunstwerk nicht zu Ende kamen, bat Köppje den Vater, daran zu helfen, aber Stam Öffgen hatte keinen großen Sinn dafür. Es war am Nachmittag, und er sah oft auf die Uhr, ob es nicht später würde. Am Abend ging er dann wieder aus. Er hatte sich von Tina ein buntes Tuch geben lassen, das er um den Hals knotete. Es war ein leuchtendes Tuch und man konnte sich an dem Glanz freuen, der nun über dem schäbigen Mantel lag.

»Ich gehe nach dem Oberdamm«, sagte er, »da hört man immer was Neues.«

Es lag dort eine Kneipe, in der ein Musikautomat gröhlte und eine dicke Frau Bier und Schnaps ausschenkte.

Einmal war Tina daran vorbeigegangen, aber sie hatte ihren Mann nicht gesehen.

Als er nachts nach Hause kam und durch sein Gepolter sie aufweckte, sagte er:

»Heute war's lustig am Oberdamm.«

»Du warst da?« fragte Tina müde.

»Den ganzen Abend«, sagte er.

An jenem Abend hatte Tina gehofft, daß er in der Kneipe sein würde, sie hereinholen und ein Gläschen Bier ihr anbieten möchte. Sie war vom anderen Ende der Stadt gekommen, wo sie im Hause eines Bankbeamten bis zum Abend gewaschen hatte. Unterwegs dachte sie: ich habe etwas Geld verdient, es wird Musik am Oberdamm sein. Wir werden ein Stündchen dort sitzen und ich will heute einmal eine Flasche Karamelbier trinken. Es ist ein süßes, sämiges Bier, das schwer und dunkel aussieht und nicht berauscht.

Das hatte Tina Öffgen an jenem Abend auf dem Heimwege gedacht. Nun aber ging sie nicht mehr an der Kneipe vorbei.

Das Eis war in Bewegung gekommen, und der große Frachtkahn, der den Monat über vor der Zuckerfabrik gelegen hatte, konnte seine Fahrt antreten.

Stam Öffgen kam in diesen Tagen eines Abends früher nach Haus. Noch im Mantel rief er in die Stube hinein:

»Morgen geht's los! Eine gute Gelegenheit, ich kann mit dem Frachtkahn fahren.«

Sein Bündel lag bereit in der Ecke, denn er hatte ja schon lange abreisen wollen. Es war kaum noch etwas hinzuzutun.

Tina wollte ihm Geld mitgeben, doch nahm er nur einige Groschenstücke.

»Du brauchst das Geld selbst. Es ist alles in Ordnung.«

Am Mittag darauf ging er nach der Ladestelle an der Zuckerfabrik. Köppje und Gitti begleiteten ihn, aber er schickte sie auf halbem Wege zurück.

»Geht nach Haus«, sagte er, »eure Mutter ängstigt sich bloß.«

Später, als sich der Kahn an den Häusern am Kolk vorbeischob, stand Stam Öffgen breitbeinig auf den Planken und winkte.

Tina grüßte vom Geländer zurück und Köppje schrie aus Leibeskräften. Es war ein neuer, sauberer Kahn, der neben der Treppe ein kleines Fenster hatte, mit einem Blumenbrett davor. Jetzt im Winter war es kahl, aber es leuchtete doch in seiner grellen grünen Farbe. Für einen Augenblick war hinter diesem Fenster das Gesicht eines jungen Mädchens. Ein derbes Gesicht, das hastig hervorlugte und sofort wieder verschwand.

Tina hatte es gesehen. Das alles war nur wie ein Schatten. Sie fühlte, daß ihr Blick zitterte und sie strich über die Augen. Dann, als ihr Blick wieder klar war, sah sie nur noch Stam Öffgen, der noch immer von den Planken her winkte. Später war nichts als die verwehende Rauchfahne des Schleppdampfers sichtbar.

In den letzten Wintertagen kam Herr Peine täglich zu Schowes. Er brachte immer irgendeine Kleinigkeit mit. Ein Stück Marzipan in Silberpapier oder einen Lebkuchen in Silberpapier oder eine Tafel Schokolade in Silberpapier. Herr Peine liebte alles, was in Silberpapier eingepackt war. Wally formte große Kugeln daraus, die dann auf eine Schale gelegt wurden, die auf dem Büfett stand. Wenn das Licht darauf fiel, erstrahlten diese Kugeln, und wenn Wally dann am Klavier saß und ihre Lehrstücke herunterspielte, saß Herr Peine in der Sofaecke und sah versunken auf diese Kugeln.

»Es ist eine eigenartige Stimmung bei Ihnen, Frau Schowe«, sagte er oft. Er war ein gebildeter Mann. Sie sprachen auch über Bücher und über Ölgemälde, die bei dem Glasermeister am Unterdamm im Schaufenster hingen.

»Es ist ein prachtvolles Stück darunter«, sagte Frau Schowe. »Ein goldener Herbst, weiße Birken und welkes Laub, das über den Weg wirbelt.«

»Auf der Bank sitzt ein junges Mädchen mit einem Buch«, fuhr Herr Peine fort. »Ich habe das Bild wohl bemerkt. Es ist eine künstlerische Leistung.«

So sprachen sie über Kunst, Wally blätterte in den Noten und Herr Schowe las die Zeitung.

Frau Schowe konnte sich ihrem Manne gegenüber nicht genug tun über Herrn Peines Wohlerzogenheit. Sie achtete jetzt darauf, daß Wally im Hause nicht mehr die Schuhe ohne Absätze trug. Sie hatten ein paar Halbschuhe aus Eidechsenhaut gekauft mit fingerhohen Hacken. Darin knackte Wally über die Dielen. Herr Peine bewunderte diese Schuhe. Frau Schowe sagte:

»Ich habe als junges Mädchen hohe Knöpfstiefel getragen, so war es damals Mode. Ich muß sagen, daß sie recht elegant aussahen.«

Sie holte ein Photographiealbum herbei, das in roten Samt gebunden war und einen Schmuck aus Messingblech oben auf dem Deckel trug. Sie wendete langsam Blatt um Blatt und Herr Peine betrachtete jedes Bild. Wenn Herr Schowe dann mit seiner Zeitung fertig war, ging er an den geschnitzten Zigarrenschrank und nahm eine Kiste heraus. Es waren lange dunkle Zigarren.

»Sie sind gut und billig«, sagte er.

Herr Peine quälte sich den ganzen Abend an seiner Zigarre.

So waren die Abende.

»Ich hoffe, daß er sich bald erklärt«, sagte Frau Schowe.

»Woraufhin soll er denn heiraten?« antwortete ihr Mann. »Ich möchte ihm Wally nicht geben, ehe er nicht was Eigenes hat.«

»Er müßte ein Geschäft eröffnen«, sagte Frau Schowe. »Du müßtest ihm dabei behilflich sein. Ich halte viel von seiner Tüchtigkeit, und ich weiß, daß Wally gut bei ihm aufgehoben ist.«

»Was soll ich denn tun?« fragte Schowe. »Die ganze Stadt ist schon mit Geschäften gepflastert, so viel Publikum gibt es gar nicht.«

»Uhlig kommt doch mit seinem Geschäft gut zurecht«, sagte Frau Schowe.

»Es ist eine Pfennigbude«, warf Schowe ein.

»Man könnte es ja vergrößern und ausbauen«, sagte Frau Schowe. »Außerdem hat jeder größere Kaufmann heute einen Lieferwagen. Hier ist doch Platz genug.«

»Was denn? Du meinst, ich sollte Uhlig raussetzen?« verwunderte sich Herr Schowe. »Jeder ist sich selbst der Nächste«, antwortete Frau Schowe.

Weiter sagte sie nichts, aber sie kam jetzt öfter auf diese Angelegenheit zu sprechen.

Eines Tages suchte sie nach einem Schnittmuster alle Schrankfächer durch. Sie hatte es gut fortgelegt, weil Wally nach dieser Zeichnung eine Bluse bekommen sollte. Nun wußte Frau Schowe nicht mehr, wohin sie das Blatt getan hatte. Sie kramte auch in dem Schreibtisch herum zwischen Schowes Schriftstücken, denn es konnte ja sein, daß sich das Schnittmuster dahin verirrt hatte. So fand sie den Schuldschein von Löders und Uhligs Unterschrift darauf als Bürgschaft.

Sie studierte aufmerksam das Schriftstück, dann legte sie es an die alte Stelle zurück und erwähnte ihrem Manne gegenüber davon kein Wort.

An einem der nächsten Tage kam Frau Schowe zu Uhlig in den Laden. Meistens besorgte Wally die Einkäufe, aber von Zeit zu Zeit ließ sich auch Frau Schowe sehen. Bei Uhlig im Laden wurden alle Geschehnisse erörtert, welche die Nachbarschaft betrafen. So hörte man immer etwas Neues.

»Ich habe zwar kaum noch mit den Leuten Fühlung«, sagte Frau Schowe immer, »aber es interessiert einen doch.«

Nun sprach sie mit Barbe Wiel.

»Was ist eigentlich mit Uhligs Freund Löders?« fragte sie so nebenbei.

Sie kannte Löders nicht, aber sie tat jetzt so, als hätte sie ihn öfter auf seinem Kahn gesehen.

»Man kennt ja schließlich die Schiffer auch«, sagte sie, »wo man gut seine zwanzig Jahre dicht am Wasser wohnt.«

»Er hat sich anheuern lassen«, antwortete Barbe Wiel, »er soll auch in Amerika sein.«

Sie erzählte, was sie über ihn von Stam Öffgen wußte. »Was sagt denn Uhlig dazu?«

»Uhlig? So befreundet waren sie doch nicht.«

»Soso, ich dachte!«

»I Gott bewahre.«

Barbe Wiel schüttelte energisch den Kopf.

»Also in Amerika?« wiederholte Frau Schowe.

Am Abend kam sie beiläufig auf Uhligs Laden zu sprechen.

»Man müßte, wenn es soweit ist, die Wohnung von Olkers mit zunehmen. Die Stube schließt direkt an den Laden.«

»Da ist nicht drüber zu reden«, antwortete Schowe. »Uhlig hat noch zwei Jahre Kontrakt.«

Er schien über diese Tatsache froh zu sein.

»Es könnten besondere Umstände eintreten«, erwiderte Frau Schowe.

»Wieso?«

Herr Schowe legte das Zeitungsblatt hin.

»Löders ist durchgegangen!« Frau Schowe zupfte bei diesen Worten an den Fransen der Decke. Sie war unruhig, daß ihr Mann ihr Vorhaltungen machen würde, weil sie im Schreibtisch gekramt hatte.

Aber Schowe nahm nur die Zigarre aus dem Mund und sah seine Frau an.

»Er ist nach Amerika«, erklärte Frau Schowe. Sie berichtete, was sie von Barbe Wiel erfahren hatte. Die Fransen der Decke hingen jetzt wieder glatt und geordnet nebeneinander.

»Eine verteufelte Geschichte!« rief Schowe. Er war aufgesprungen und lief im Zimmer auf und ab.

»Du brauchst dir keine Kopfschmerzen zu machen. Du hast ja Uhligs Unterschrift«, beruhigte ihn Frau Schowe.

»Eine verteufelte Geschichte«, sagte Schowe immer noch. Er sah auf den Kalender. Es war Anfang März.

»Ich hätt' es ja nicht getan«, sagte er, »aber Uhlig hat mich herumgekriegt. Das hat er nun von seiner Leichtgläubigkeit.«

»Ich glaube gar, du regst dich darüber auf! Aber das muß ich dir doch sagen, du wirst auch noch mal an deiner Gutgläubigkeit kaputt gehen. Die Menschen verdienen das nicht. Wenn du dich diesmal nicht an Uhlig halten könntest, wäre das schöne Geld hops.«

»Ja, glaubst du denn, daß er die Summe auftreiben kann?«

»Er hat doch den Laden«, antwortete Frau Schowe.

»Ich kann ihm doch nicht den Hals zuschnüren«, rief Schowe.

Frau Schowe sagte nichts darauf. Sie ging in das Schlafzimmer.

Später im Bett fiel es Schowe ein: woher weiß die eigentlich, daß ich das Geld gegeben habe. Ich habe doch gar nicht davon gesprochen.

Er richtete sich halb auf und rief ein paarmal: »Anna!« Doch bekam er nur tiefe, schlafende Atemzüge als Antwort. Er ärgerte sich darüber. Er war ganz wach geworden und rief in die Dunkelheit:

»Du hast also im Schreibtisch gewühlt?« Er schlug mit der Faust auf die Bettdecke.

»Ich verbitte mir das, verstanden«, schrie er.

Frau Schowe rührte sich nicht. Sie schlief. Er drehte sich auf die andere Seite und lag mit offenen Augen da. In seinen Gedanken tanzte alles durcheinander. Uhligs freundliches Gesicht tauchte auf, öffnete die Lippen und sprach – Hä, fragte es verschlafen in Schowes Kopf. Der Mund sprach weiter, aber man verstand kein Wort. Das ist ja überhaupt Löders, dachte Schowe. Richtig, es war Löders' langes Gesicht. Also in Amerika! Unsinn, das war ja überhaupt Herr Peine. Herr Peine mit seinem steifen Kragen und hohen Hut. Er lächelte verbindlich. Sprechen Sie doch lauter, Herr Peine!

Schowe warf sich auf die andere Seite. Er konnte jetzt den schmalen Schein des Fensters sehen. Vollmond, dachte er. Je länger er hinsah, um so heller wurde das Fenster. Da soll einer schlafen, sagte Schowe. Er wurde ärgerlich und stieß mit dem Fuß gegen die Bettwand. Er schrie ganz laut: »Donnerwetter!«

Frau Schowe richtete sich erschrocken auf. In der Tür zum Nebenzimmer erschien verstört Wally. Sie stand im langen Nachthemd da und fragte ängstlich:

»Vater?«

Schowe hatte die Augen schnell geschlossen. Er stellte sich schlafend. Darüber schlief er ein.

Wally begriff gar nicht, daß nichts geschehen war.

Schowe pflegte in den späten Vormittagsstunden sich auf dem Hofe zu schaffen zu machen. Es war ein Knecht da, der Albert hieß, ein Mittelding zwischen einem Bauernburschen und einem Arbeiter, ein jüngerer Mann, der die Schweine fütterte, die Pferde besorgte, es aber auch verstand, die Lichtleitung, die Schowe in seine Wohnung hatte legen lassen, in Ordnung zu halten und ihren Fehlern nachzuspüren. Albert war ein Mensch, der zu allen Dingen geschickt war. Wenn Schowe in den Zeitungen über Neuerungen las, deren technischem Sinn er nicht beikommen konnte, holte er sich bei Albert Aufklärung. Es hatte sich eine Vertraulichkeit zwischen ihnen entwickelt, die es dem Knecht, denn als solcher wurde er immer in der Hausstandsliste verzeichnet, gestattete, hier und da Kritik zu üben oder gelegentlich mit Vorschlägen zu kommen.

An diesem Vormittag hatte Atze Uhlig auf einem Handwagen einige Kisten von der Bahn geholt. Als er mit seiner Fuhre auf dem Hofe anlangte, rief Albert von der Stalltüre her:

»Da kommt ja Anno Tobak!«

»Der hält noch sein Jahr aus«, sagte Atze Uhlig und lachte.

Albert half beim Abladen.

»Du solltest dir einen Lieferwagen anschaffen, sowas kriegt man heute auf Abzahlung«, schlug er vor.

»Dabei drückt einen bloß der Schuh. Es ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Schließlich gehört es einem nicht einmal.«

»Das ist heute Mode«, versuchte Albert ihn zu belehren. »Da gehen ganz andere Menschen ran als du. Wer's nicht mitmacht, hat das Nachsehen.«

»Was soll ich mit einem Lieferwagen?« fragte Uhlig belustigt.

»Dann käme Schwung in dein Geschäft. Sollst mal sehen, was das für eine Sache würde. Da brauchtest du abends nicht Groschen zu zählen, dann gab es Taler.«

»Ich bin zufrieden«, antwortete Uhlig. Er senkte ein bißchen den Kopf und setzte hinzu: »Wenn's bloß so bliebe.«

Schowe kam und stellte sich dazu. »Du willst Uhlig wohl Flausen in den Kopf setzen«, sagte er zu Albert.

»Heute muß man Schritt halten. Sie machen's richtig, Herr Schowe. Bares Geld arbeitet ganz anders.«

Der Knecht war voller Anerkennung.

Schowe tat ärgerlich. Er wünschte vor Dritten solche Vertraulichkeiten nicht.

Beim Mittagessen sagte er zu seiner Frau:

»Das sind schon Einfälle. Vorhin hat doch Albert dem Uhlig vorgeschlagen, sich einen Lieferwagen anzuschaffen.«

»Wenn's Albert gesagt hat, wirst du es wohl glauben«, antwortete Frau Schowe spitz. »Natürlich müßte ein Lieferwagen da sein, wenn Herr Peine das Geschäft übernimmt.«

»Da gehörte ein Chauffeur zu«, sagte Schowe.

»Wir haben ja Albert«, antwortete sie.

Herr Schowe verwunderte sich, wie seine Frau schon alles durchdacht hatte.

Am Vormittag war das Gespräch zwischen ihm und Atze Uhlig noch weiter gegangen.

Er hatte Uhlig im Hausflur beiseite genommen.

»Ich habe gehört, daß Löders weg ist.«

Atze Uhlig überfiel ein Zittern. Es ließ ihn kein Wort finden.

»Es ist ja noch Zeit«, sagte Schowe, »ich bin kein Unmensch, aber Sie hätten vorsichtiger sein sollen.«

Uhlig war noch immer still. Er faßte sich ins Gesicht, rieb und zupfte. Er war auf einmal wie ein Junge, dessen Freund eine Fensterscheibe zerschlagen hatte und davongelaufen war. Aber ihn hatte man gefaßt und wollte ihn zur Rechenschaft ziehen, weil er dabei gestanden hatte. Vielleicht hätte er am liebsten geweint und gesagt: ich habe keine Schuld. Es ist lächerlich, wenn ein Mann so dasteht.

Schowe ärgerte sich darüber und sagte:

»Ich kann mein Geld nicht auf die Straße werfen.«

Doch dann spürte er einen Anflug von Mitleid vor Uhligs Fassungslosigkeit und er fügte hinzu:

»Er wird schon noch von sich hören lassen.«

Herr Schowe wollte die Treppe hinauf gehen, doch jetzt hatte sich Uhlig gefaßt, riß sich zusammen und sagte mit klarer und fester Stimme:

»Ich werde für alles einstehen.«

Schowe wandte sich nicht um. Er dachte, der kleine Mann mache sich groß. Wir werden sehen, die Summe ist kein Papenstiel für ihn. Da bin ich neugierig. – »Uhlig will pünktlich zahlen«, sagte er zu seiner Frau. »Wer wird ihm heute schon Geld borgen«, antwortete Frau Schowe. Sie war ganz sicher.

In den nächsten Wochen stand Barbe Wiel oft im Laden und bediente die Kunden. Uhlig war viel unterwegs. Sie konnte sich nicht erklären, was seine Wege in die Stadt zu bedeuten hätten. Er schob diesen oder jenen Grund vor, aber sie glaubte ihm nicht. Er kam von seinen Gängen müde zurück und saß in trüber Nachdenklichkeit da. Er beteiligte sich nur noch selten an den Gesprächen im Laden. Oft kam es vor, daß die Kunden ihre Bestellung wiederholen mußten. Man fing an, sich über ihn den Kopf zu zerbrechen. Wenn der Invalide Olkers Barbe Wiel traf, sagte er jedesmal:

»Er gefällt mir nicht.«

»Ich weiß nicht, was er hat«, antwortete Barbe Wiel, »er spricht nicht darüber.«

Sie hatte es aufgegeben, in ihn zu dringen, sie sagte sich: wenn es soweit ist, wird er schon den Mund auftun. Sie fürchtete nur, daß es dann vielleicht zu spät sein könnte. Sie hatte Sorge um ihn und betreute ihn inniger als je zuvor. Sie wollte gutmachen, was von ungekannter Seite Arges in ihm angerichtet war. Sie sah nur seinen Kummer und gab sich Mühe, ihn zu trösten mit all den kleinen Freundlichkeiten, die in ihrem Bereich lagen. Er empfand jede winzige Guttat und nahm sie dankbar hin wie ein bekümmertes Kind. Es schien ihm schon zu genügen, wenn sie sagte:

»Du mußt heute den Schal umbinden. Es ist naßkaltes Wetter.«

Dann streichelte er täppisch ihre Hand, bevor er wieder in die Stadt lief.

Olkers hatte sich vorgenommen, mit ihm zu reden, aber nun hatte Frau Schowe zu ihm gesagt:

»Es ist möglich, daß wir Ihre Wohnung gebrauchen. Wir wollen es Ihnen bloß rechtzeitig sagen.«

Der Invalide begriff dies nicht. Es war eine kleine Wohnung, Stube und Küche. Sie lag hinter Uhligs Laden und hatte ihre Fenster nach dem Hof.

»Da werde ich also mein Bündel schnüren müssen«, sagte er zu Barbe Wiel. »Ich wohne hier schon fünfzehn Jahr.«

Sie wunderten sich, was Schowes mit dieser Wohnung im Sinn haben könnten.

»Ich habe immer pünktlich die Miete bezahlt«, rief Olkers. »Ich falle keinem zur Last.«

»Sie werden sich's überlegen«, tröstete Barbe Wiel, »manchmal hat die Frau solche Ideen.«

Dann trat ein Ereignis ein, das die Nachbarschaft in Atem hielt.

Herr Peine hatte sich mit Wally verlobt.

An einem Sonntag vormittag war er gekommen in schwarzem Gehrockmantel und hohem Hut. Er trug knallgelbe Handschuhe. Den rechten hatte er angezogen, während der linke um ein Blumenpaket baumelte. Er kam langsam zu Fuß den Kolk entlang. Köppje, der auf der Straße spielte, unterbrach seine Beschäftigung und ging einen halben Schritt hinter Herrn Peine her. Sein rundes Gesicht war ein bewunderndes Staunen. Er stand noch lange sprachlos vor der Haustüre, die knarrend wieder ins Schloß gegangen war.

Als Herr Peine oben klingelte, öffnete Frau Schowe. Sie trug eine kleine Schürze über ihrem Kleid. Während Herr Peine im Korridor ablegte, band sie die Schürze ab und warf sie auf die Spiegelkommode. Sie konnte trotz aller Vorbereitung ihre Unruhe nicht verbergen.

»Bitte, treten Sie näher«, sagte sie.

»Nach Ihnen«, antwortete Herr Peine und verbeugte sich.

»Bitte«, wiederholte sie.

Da ging Herr Peine zuerst in das Zimmer. Er hatte die Papierhülle von den Blumen entfernt. Es waren rote Rosen.

Herr Schowe hatte die Angewohnheit, sich die Sonntagmorgen in Hemdsärmeln gemütlich zu machen. Heute saß er im grauen Jackett da.

Herr Peine nahm auf einem Sessel Platz. Es fiel ihm ein gelesen zu haben, daß man bei solchen Besuchen den hohen Hut vor sich zwischen die Füße stellt. Aber der hohe Hut hing an dem Kleiderständer auf dem Korridor. So mußte sich Herr Peine damit begnügen, die gelben Handschuhe über dem Knie glatt zu streichen.

Frau Schowe saß auf dem Sofa und Herr Schowe drehte seinen Schreibtischstuhl um, so daß er Herrn Peine ansehen konnte.

Man schwieg ein paar Augenblicke.

Dann sagte Herr Peine:

»Sie werden ahnen, was mich zu Ihnen führt. Ich hatte den Vorzug, Ihr Fräulein Tochter kennen und lieben zu lernen.«

Herr Peine hatte an dieser Rede studiert. Er fügte, ohne zu stocken, Satz an Satz. Wenn man ihn nachts im Schlafe geweckt haben würde, wäre ihm sofort jedes Wort gewärtig gewesen. Herr Peine schloß:

»Wenn ich Sie nun um die Hand Ihrer Tochter bitte, so tue ich es mit dem Versprechen, Ihr Fräulein Tochter glücklich zu machen.«

Frau Schowe saß während dieser Ansprache steif da. Es war viel Wohlgefallen in ihren Augen. Manchmal sah sie mit einem bedeutsamen Blick zu ihrem Mann hinüber.

Herr Schowe hatte zuerst ein Bein über das andere geschlagen. Er hatte auch seine roten Hände auf die Stuhllehne gelegt. Er dachte zuerst auch: was macht dieser Mensch für ein Gerede? Ich habe Anna hinter der Haustüre gefragt und später mit ihrem Vater auf dem Feld gesprochen. Doch dann bekam er Hochachtung vor Herrn Peines Gewandtheit. Er nahm das übergeschlagene Bein herunter und schob die eine Hand in das Jackett. Die andere aber ließ er breit auf dem Knie liegen. Es war die Hand, die einen goldenen Siegelring trug.

Als Herr Peine geendet hatte, war wieder ein kurzes Schweigen. Frau Schowe sah ihren Mann auffordernd an und hüstelte. Er wußte nun, daß er zu antworten hatte.

Herr Schowe sagte:

»Ihr Antrag ehrt uns. Ich glaube, Anna, wir haben nichts dagegen. Was meinst du?«

Eigentlich hatte er sich vorgenommen, Herrn Peine zu fragen, woraufhin er denn einen eigenen Hausstand zu gründen gedenke. Doch die unerwartete Feierlichkeit verschlug ihm diese Frage.

Frau Schowe nickte auch schon freundlich und erwiderte:

»Selbstverständlich, Schowe.«

Sie nannte ihn immer beim Vatersnamen und selbst in diesem Augenblick entfuhr er ihr, obgleich sie sich eingeprägt hatte, ihn in dieser Situation bei seinem Rufnamen Berthold zu nennen.

»Selbstverständlich«, sagte Frau Schowe, »wir kennen Herrn Peine als einen Ehrenmann. Ich glaube, wenn unsere Wally Ihre Liebe erwidert, Herr Peine, wir würden wohl nichts dagegen haben. Nicht wahr, Berthold?«

Sie sagte diesen Namen mit besonderem Nachdruck.

Er war Herrn Schowe aus ihrem Munde so ungewohnt, daß er sich gar nicht angesprochen fühlte. Er schwieg und dachte nur: ich hätte ihn doch vorher danach fragen sollen.

Frau Schowe gab ihrem Mann einen kleinen Wink und stand auf. Schowe machte ein etwas verwundertes Gesicht und erhob sich ebenfalls. An der Türschwelle faßte Frau Schowe ihn am Ärmel und zog ihn hinaus.

Herr Peine war bewegungslos sitzen geblieben. Er kehrte der Tür den Rücken zu und bemerkte nicht, daß Wally hereintrat. Sie trug ein rosa Kleid und eine Knospe im Gürtel. Sie war verlegen und wußte nichts Rechtes mit sich anzufangen. Da sie einsah, daß sie nicht an der Türe hinter Herrn Peines Sessel stehenbleiben konnte, kam sie langsam zum Vorschein.

Er stand auf und hielt ihr die Rosen entgegen.

»Wally«, rief er.

Als die Eltern wieder hereinkamen, saßen die beiden auf dem Sofa. Sie hatten die Hände ineinander gelegt.

Von der Küche her zog ein Bratenduft näher. Herr Peine blieb zum Essen. Man trank Wein und duzte sich. Später, bei der Zigarre, stellte Schowe seine Frage.

»Ich würde mich gerne selbständig machen«, antwortete Herr Peine.

»Anna hat es mir schon gesagt«, meinte Herr Schowe.

Man war in guter Fahrt und es hatte keinen Sinn, jetzt noch mit irgendwelchen Überlegungen, die man schon früher angestellt hatte, hinter dem Berg zu halten. Herr Schowe sah Wallys glückliches Gesicht, und während er dem Schwiegersohn zutrank, rief er:

»Das wollen wir schon kriegen!«

Frau Schowe lachte zustimmend.

»Nun siehst du's auch ein.«

»Wally ist mein ein und alles.« Herr Schowe war aufrichtig gerührt.

Beim Nachmittagskaffee gab er schon zu, daß selbstverständlich auch ein Lieferwagen angeschafft werden müßte und daß Albert wohl geschickt genug wäre, ihn zu fahren.

»Überhaupt werden wir an Albert eine gute Kraft im Geschäft haben«, sagte er.

Er tat schon so, als würde er an dem Unternehmen seines Schwiegersohns wie an etwas Eigenem beteiligt sein.

»Ich habe Olkers bereits die Wohnung gekündigt«, sagte Frau Schowe, »nun mußt du das bloß noch mit Uhlig ins reine bringen.«

Schowe spürte ein Mißbehagen.

»Ja, da wird man wohl den richtigen Weg finden müssen«, meinte er.

»Ich glaube, es wird alles einfacher sein, als du denkst«, antwortete Frau Schowe. Sie hatte wieder die Schürze umgebunden und Herr Schowe hatte das Jackett ausgezogen.

»Ich kann's mir doch gemütlich machen?« fragte er. »Man ist froh, wenn man sonntags seine Bequemlichkeit hat.«

Herr Peine gab ihm recht. Er hatte seinen schwarzen Rock aufgeknöpft und die gelben Handschuhe lagen schon lange neben dem hohen Hut im Korridor.

Herr Peine ging erst gegen Mitternacht. Wally begleitete ihn die Treppe hinunter und sie standen noch lange vor der Haustüre. Es war kalt und windig, doch sie ließen sich dadurch nichts anhaben. Sie hielten sich umfaßt und sagten, daß sie glücklich wären.

*


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