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Erzherzog Josef von der Kerenski-Offensive Anfang Juli bis Dezember 1917

Vielfach ist das Werk »Österreich-Ungarns letzter Krieg« als Quelle mitbenutzt, ohne daß es im einzelnen angegeben wurde.

Unter dem neuen Machthaber Rußlands, Kerensky, traten die Russen Anfang Juli und drei Wochen später die Rumänen zu einer neuen Offensive an, die zu wechselvollen Operationen führte. Überraschend war das Verhalten der Russen: ihre Kampfkraft versagte schnell nach kurzen Angriffserfolgen, sie erstarkte bei der Verteidigung der Reichsgrenze. Die im neuzeitlichen Angriffsverfahren geschulte rumänische Armee schlug sich unerwartet gut. Im k.u.k. Heer versagten wiederum Regimenter mit tschechischem und slowakischem, ruthenischem und serbokroatischem Ersatz. Es war also kaum noch möglich, k.u.k. Truppen mit slawischem Ersatz an der Ostfront einzusetzen.

Am 1. Juli brachen die Russen bei der k.u.k. 2. Armee in Richtung Lemberg ein. Gegenüber der Südarmee hatten sie keinen Erfolg. Die beiden O.H.Leitungen trafen Vorbereitungen zu einer Gegenoffensive im Raum der 2. Armee (Zloczow). Mitten während dieser Vorbereitungen erfolgte ein sehr viel größerer Russeneinbruch bei Stanislau, der hier die österreichische Front etwa 40 Kilometer zurückwarf. Hierdurch wurde auch der linke Flügel der Heeresfront Josef in Mitleidenschaft gezogen. Am 19. Juli begann der deutsche Durchbruch bei Zloczow. Er hatte den Einsturz der gesamten Russenfront in Galizien, nördlich der Karpaten, zur Folge. Am 25. 7. fiel Tarnopol, am 24. 7. trat auch die 7. Armee an.

In demselben Augenblick griffen die Rumänen in der südlichen Moldau an. Hier ging die 1. Rumänenarmee gegen Mackensen, die 2. Armee gegen Gerok im Becken von Soveja an. Die 2. Armee hatte gegen Gerok in den Tagen vom 22.–28. 7. nicht unerhebliche Erfolge, insbesondere mußte die Heeresfront Erzherzog Josef ihre sämtlichen Reserven, auch von der 7. Armee, nach ihrem rechten Flügel ziehen, um Gerok zu stützen. Es war ein Glück, daß infolge der Ereignisse in Galizien die Rumänen ihren Angriff einstellen mußten. Eine weitere Entlastung erhielt Gerok dadurch, daß in den ersten Augusttagen nun auch der linke Flügel der Heeresgruppe Mackensen zum Angriff antrat.

Die beiden O.H.Leitungen hatten beschlossen, durch einen Zangenangriff aus der Bukowina und über den Sereth sich in den Besitz der Moldau zu setzen. Die Heeresfront Erzherzog Josef sollte sich diesen Angriffen auf ihren beiden Flügeln sowie im Oitoztale anschließen.

3. und 7. Armee hatten inzwischen die Bukowina erobert, am 3. 8. Czernowitz genommen und die Russen über den galizischen Grenzfluß, den Zbrucz, zurückgedrängt. Nur noch der Südostteil der Bukowina und der Nordostzipfel Galiziens waren in russischer Hand.

Erzherzog Josef und mit ihm Seeckt wünschten lebhaft ein weiteres Vorgehen zur Eroberung der Moldau, um die Rumänen friedenswillig zu machen. Der Erzherzog war sogar bereit, sich hierzu Ob.Ost zu unterstellen. Dies geschah jedoch nicht, vielmehr wurde die 3. Armee der Heeresfront am 6. 9. unterstellt. Es gelang aber weder ihr Eindringen in die Moldau aus der Bukowina, noch der Angriff der Heeresgruppe Mackensen über den Sereth. Neue Kräfte konnten nicht herangeführt werden, der Nachschub an Munition und Verpflegung war bei dem mehr als 100 Kilometer hinter der Front liegenden Eisenbahnendpunkt nicht mehr ausreichend zu leisten. Da zudem im September die Offensiven gegen Riga und gegen Italien in den Vordergrund traten, begann im September wiederum der Stellungskrieg an der Ostfront. Wenn auch die Eroberung der Moldau nicht geglückt war, so waren doch Ostgalizien bis auf einen schmalen Streifen nördlich Husiantyn und die Bukowina bis auf ihren Südostzipfel vom Feinde frei.

Seeckt hatte sich ein anderes Ergebnis vorgestellt. Er dachte an eine Offensive, die den Frieden erzwingen sollte. Seeckt wollte keine Siege; er wollte die Feldzugsentscheidung. Vielmehr er hoffte darauf. Denn er hatte ja mit den nach Zahl und Güte schwachen, überdies noch durch die äußerst schwierige Nachschublage gehemmten Kräften der Heeresfront nur begrenzten Einfluß Man hat das Ergebnis der Offensive wohl ganz allgemein etwas zu günstig beurteilt. Bethmann soll bei seinem Weggang bedauert haben, es täte ihm am meisten leid, daß er nun den für den Herbst zu erwartenden günstigen Abschluß nicht mehr im Dienst erlebe.. Die Mitwirkung der Heeresfront Erzherzog Josef an diesen Kämpfen bestand in der Abwehr der russisch-rumänischen Offensive und im unmittelbaren Anschluß daran in der Teilnahme an den Offensiven der Heeresgruppe Mackensen und von Ob.Ost. Umso bemerkenswerter ist es, daß Seeckt noch bis in den Oktober hinein den Gedanken einer Wiederaufnahme einer großangelegten Offensive verfocht, obgleich die Aussichten hierfür bei der geringen Zahl und Güte der verfügbaren Truppen und der äußerst schwierigen Nachschublage reichlich gering waren.

Nach dem Übergang zum Stellungskrieg wurden weitere Kräfte der Heeresfront für andere Kriegsschauplätze entzogen. Anfang November nahm die O.K.L. sogar in Aussicht, sämtliche deutschen Truppen ihr fortzunehmen. Damit wurde die Berechtigung eines deutschen Generalstabschefs bei ihr hinfällig.

Die ersten Briefe im Juli:

»D. 2. Juli 1917 … Ich beginne meinen Brief heute, da ich nachm. kurz zu einem Armee-Kdo. muß, was mich zweimal 20 Stunden Bahnfahrt für 5 Stunden Aufenthalt kostet. Ich bliebe gern etwas länger fort und genösse etwas von den Bergen, aber es ist dringend nötig, daß ich bald wieder hier bin. Mit meinem Wagen o 128 ist ja alles unendlich einfach. Du siehst, daß hier zur Zeit etwas los ist und, wenn ich auch nicht so beteiligt bin und anscheinend beteiligt werde, wie ich es mir wünschte, so kannst Du Dir doch denken, daß die Gedanken gerade jetzt sich nicht allzu sehr auf Urlaubspläne einlassen wollen … Drängeln nützt leider beim Schicksal nichts.

Da ein Hauptmann Fortun aus meinem Stabe mir gestern Deinen Brief brachte, liegt es nah, daß ich ihn ›Fortunios Lied‹ taufe.

Si vous croyez que je vais dire
Qui j'ose aimer –
Je ne saurais pour un empire
Vous la nommer –

Nous allons chanter à la ronde
Si vous voulez –
Que je l'adore et qu'elle est blonde
Comme les blés –

Wann wirst Du mir das mal wieder vorsingen? …

Nun mal bei dieser Gelegenheit etwas Politisches. Es scheint sich jetzt die Auffassung durchzuringen, daß der U-Boot-Krieg ein Fehlschlag sei. Dafür, daß übertriebene Hoffnungen an ihn geknüpft wurden, kann niemand. Damit haben wir uns während des ganzen Feldzuges die Freude an Erfolgen verdorben. Die Marine hat seinerzeit 600+000 Tonnen monatlichen Schiffsverlust beim Feinde zugesichert, und Du wirst eingestehen müssen, daß sie das gehalten hat. Kann wirklich Jemand annehmen, daß das ohne Wirkung bleiben soll? Diese mag und wird erst sehr allmählich kommen, aber sie kommt. Man hat – nicht bei den milit. Stellen – etwas voreilige Berechnungen aufgestellt und schon den 1. August als Wendepunkt angenommen. Das mag nicht eintreten, aber der Kräfteverlust der Feinde ist dauernd so groß, daß sie dadurch in der Energie ihrer Kriegführung wesentlich beschränkt werden.

Peter und Paul haben wir nicht gefeiert; dafür war für gestern ein Bittgottesdienst um Frieden befohlen zur berechtigten Entrüstung des Erzherzogs, der überhaupt gestern abend lange und sorgenvoll mit mir sprach.

Wie immer vor der Abfahrt tausend Unterbrechungen, drum wurde mein Brief unnett und konfus …

D. 5. Juli. Heute komme ich endlich wieder zu einem Morgenbrief an Dich … Ich hatte mich zu der kleinen Reise Zur 7. Armee. ziemlich plötzlich entschlossen … Am Montag abend sah ich mir nur das von mir begründete Bahnhofsheim in Kolosvar Klausenburg. an Oberin war Schwester Ada von Sandersleben, die auch noch nach dem Kriege in freundschaftlichen Beziehungen zum Hause Seeckt blieb. … Am Vormittag hatte ich eine nicht zu lange Besprechung und widmete mich auch am Nachmittag den Etappeneinrichtungen, Magazinen, Viehzucht und vor allem den deutschen Lazaretten in Marmaros-Sziget; sah viel Gutes, aber natürlich auch manches Traurige. Als ich zurückkam, mußte ich mich in einen Tumult von Vorträgen und Fragen stürzen.

Du kannst Dir denken, daß die letzten Ereignisse in Galizien uns stark in Mitleidenschaft ziehen und eine ganz neue Lage geschaffen haben, der man nach allen seinen Erfahrungen und den letzten Vorgängen nicht ohne eine gewisse Sorge gegenübersteht. Es haben dort wieder überall deutsche Truppen eingesetzt werden müssen. Ein österr. Korps ist verschwunden. Wohin, können die Russen sagen.

Um so niederschmetternder wirkt der Amnestie-Erlaß des Kaisers Karl, der den Hochverrat straflos macht. Es ist höchst unerfreulich, wie dieses Produkt der blassen Angst mit religiösen und sentimentalen Phrasen ausgestattet ist. Das ist sicher, wenn so fortregiert wird, dann kommt das Kind, aus dessen Händen die Gnade träufeln soll, überhaupt nicht mehr auf den Thron …

D. 6. Juli … Du fragst nach meiner Beteiligung an den letzten Vorgängen. Also: Nur indirekt, das aber sehr. Nach dem Bibelwort: Wer nichts hat, dem wird noch genommen, was er hat. Ich schimpfe aber gar nicht, sondern hoffe, wie immer, auf das Beste. Es werden aber noch harte Monate werden.

Ich kranke an der östr. Amnestie, die ich für einen kolossalen Fehler halte. Natürlich geht der Gedanke von dem jungen Herrn aus; aber daß er niemand hat, der ihm die Folgen klarmacht und jemand findet, der es ausführt, das ist das Schlimmste. Wie denkt er sich nun die Folgen für die kämpfende Armee? In dem Augenblick, in dem die Russen eine tschechisch-slowakische Division einsetzen, die sie aus Überläufern bilden konnten, werden deren Anstifter und Freunde begnadigt.

D. 8. Juli … Morgen früh denke ich Dich telephonisch zu hören, und freue mich darauf; es ist aber auch das einzig Menschliche, das an mein Ohr und meine Gedanken anklingt. Ich warte in vollkommener Stille und Einsamkeit der Dinge, die um mich und doch fern von mir geschehen und geschehen sollen, als gingen sie mich nichts an. Das ist auch in hohem Maße der Fall, und ich muß mich oft zwingen, innerlich Anteil an den Ereignissen zu nehmen …«

An die Mutter:

»D. 8. 7. 17 … Wir hatten einen kurzen Besuch des jungen Kaisers von Österreich hier. Er hat mit seinen Plötzlichkeiten sich schon eine Menge Schwierigkeiten geschaffen, so daß ich nicht ohne Besorgnis der Entwicklung der Dinge in Österreich und in Ungarn zusehe. Daß man eben immer nur zusehen darf, ist auf die Dauer nicht sehr angenehm; aber es hilft nichts, und ich kann schließlich nicht verlangen, daß sie mich mitregieren Es war gelegentlich davon gesprochen, daß Seeckt »deutscher Berater« beim Kaiser Karl werden könnte. lassen, obwohl einige ganz verdrehte Leute in Ungarn auch schon auf diese Idee gekommen sind … Ich lebe, abgesehen von dem dienstlichen Verkehr, eigentlich völlig für mich; das bringt Stellung, Alter und Neigung so mit sich.«

Am 8. Juli griff der Russe die k.u.k. 3. Armee bei Stanislau an und brachte die Front zum Einsturz. Der Höhenzug westlich der Bystrzyca Solotwinska und westlich Stanislau ging verloren. Hiermit war aber auch der Anschluß der 7. Armee bedroht.

Trotzdem blieb Seeckt zuversichtlich. Er sagte in seinem nächsten Brief, die Russenerfolge hätten im großen Rahmen doch nicht so viel auf sich, wenn sie nur an anderer Stelle ausgeglichen würden.

»D. 9. Juli … Ich will am Abend auf drei Tage fort, wenn heute kein Hindernis eintritt, was freilich ganz gut sein kann; denn es ist nicht alles in Ordnung in Galizien gerade bei Stanislau, einem Ort sehr lebhaften Angedenkens. Ich wundere mich gar nicht, daß dort etwas passiert ist …

Was ist nun los in Berlin? Irgend etwas wird dort wohl ausgeheckt werden: Reichstag, Kaiser und Heeresleitung sind zusammen, und da soll man sich nicht Sorgen machen! Eine neue Bitte um Frieden können wir doch unmöglich stellen; also werden es wohl innerpolitische Konzessionen werden. –

Ich habe endlich einmal wieder einen Orden bekommen, und zwar einen sehr hübschen kleinen, das Hamburger Hanseaten-Kreuz. Nun sage in aller Welt: Warum? Ich habe aber den Schlüssel dazu; irgendeiner meiner Untergebenen will es haben und da hat er es mir besorgt, damit ich ihn dazu eingebe. Sonst hätte es wirklich keinen rechten Sinn, denn ich bin doch ziemlich weit von Hamburg entfernt …

Heute vormittag haben die Russen bei Stanislau aus nicht zu verstehenden Gründen ihren Angriff nicht fortgesetzt, so daß sich die Situation gebessert hat zur Zeit; ich habe also bis jetzt keinen Grund, meine Reise aufzugeben. Wieder einmal sind sie dort wie durch ein Wunder vor einer Katastrophe gerettet worden, einer örtlichen natürlich nur; denn vor einer großen bewahren sie auch jetzt deutsche Kräfte, die wir gern anders verwandt hätten …

Gegen Abend lauteten die Nachrichten aus Galizien wieder schlechter. D. h. eine ganze k.u.k. Armee wird zurückgenommen – meiner Ansicht nach unnötigerweise. Es ist ein Abschnitt, den ich bald vor einem Jahr mit Mühe behauptet habe. Im großen Rahmen hat es nicht viel auf sich und, wenn es bald woanders wieder gutgemacht wird, so mag es sein. Aber man darf ihnen solche Rückzüge nicht erlauben; diese Truppe ist dann verbraucht; aber neuerdings besteht ja unsere Strategie in Rückzügen, die als Siege anzusehen sind. Früher war das anders.

Nun Schluß, meine Geliebte – ich komme nun einige Tage nicht zum Schreiben, rufe gleich nach meiner Rückkehr bei Dir an. Dies war ein etwas ernsthafter Brief, aber das ist mal nicht anders zuweilen. Du mußt mir wieder einmal gut zureden.«

Arz weigerte sich bislang noch immer, zur Unterstützung der 3. Armee auch nur eine Division von der italienischen Front heranzuziehen, so daß Ludendorff den Gedanken erwog, auf die polnische Legion zurückzugreifen.

Übrigens beantworteten die Russen durchaus nicht ungeschickt die Propaganda der Zentralmächte mit ihrer Gegenpropaganda. Sie behaupteten, ihr Angriff in Galizien sei die Antwort auf die Ablehnung eines russischen Friedensangebots. Die Heeresfront ihrerseits setzte nun mit einer Propaganda gegen Kerenski ein. Dieser habe bei seinen Angriff die Russen belogen und ihnen den Friedenswillen der Mittelmächte verschwiegen. Die Propaganda war an sich nicht ungeschickt, aber sie trug auch mit dazu bei, die Stellung Kerenskis zu untergraben und förderte damit unheilvolle Radikalisierung.

Um die Monatsmitte nimmt nach den Briefen die Spannung zu:

»D. 14. Juli … Gespanntere Lage auch bei uns. Der Erzherzog hat seine Reise abgebrochen und ist hierher zurückgekehrt. Wir denken, daß es nun auch bei uns bald losgeht; hoffentlich nicht mit dem gleichen Mißerfolg wie unten in Galizien. Ich hoffe, daß sich dort ein Umschwung vorbereitet; zur Zeit steht es noch wackelig … Heute abend spät kam das Telegramm mit der Ernennung des neuen Reichskanzlers Michaelis; ich hatte an Erzberger geglaubt … Vielleicht hatte ich nicht so unrecht, als ich schon 1915 meinte, Bethmann müsse fort: es ist aber eine schwache und negative Freude.

D. 16. Juli 1917 … Ich bin gespannt, wie es sich in der nächsten Zeit macht; denn ich glaube, es wird bei uns ziemlich heiß hergehen in den nächsten Tagen. Die Rumänen scheinen noch einmal ihr Glück versuchen zu wollen mit französischer Hilfe, und auch die Russen werden ihnen beistehen. Wir haben etwas zu viel nach Galizien und vorher nach dem Isonzo abgeben müssen, als daß ich meiner Sache sicher wäre. Sie wollen beim Ober-Ost einen Gegenschlag führen; dafür haben wir abgeben müssen. Sollte es infolgedessen hier nicht ganz glatt gehen, so werde ich beschimpft wie im vorigen Sommer. Na, wenn schon. Zu ›Michaelis‹ ist Friede. Zur Zeit bin ich ein wenig sorgenschwer. Wozu fechten wir eigentlich noch? Die Heimat ist uns in den Rücken gefallen. Und damit ist der Krieg verloren. Das und nichts anderes ist der Sinn der letzten Ereignisse.

Es ist heute merkwürdig still; in Galizien hemmt Regen die Operation. Was man für Soldaten hat! Ich habe zwei Kompanien Albaner, die einfach gemeutert haben, zurückziehen müssen und schicke sie nach ihrer Heimat. Und dabei haben die Leute eigentlich recht. Man hat ihnen drei Kronen pro Tag und zwei Brote versprochen, ferner daß sie mit 30+000 Stammesgenossen in ihrer Nationaltracht vier Monate lang kämpfen sollten, aber weder arbeiten, noch exerzieren. Davon hat man nichts gehalten … Mögen sie nun unten selbst sehen, was sie mit ihnen machen. Ich lasse mich auf Kriegsgericht und dergleichen nicht ein; man hängt doch die Falschen …«

Im Wochenbericht vom 14. Heeresarchiv Potsdam, Akten 56 und O 186. gibt Seeckt rumänische Offensivvorbereitungen als sicher erkannt an. Das veranlaßt ihn erneut, Einspruch gegen weitere Schwächung der Front zu erheben. So gebefreudig, wie bisher, kann er jetzt in der Tat nicht mehr sein. Am 30. 6., als er Kräfte anbot, rechnete er mit keinem Angriff. Jetzt drohte ein russisch-rumänischer Angriff gegen den rechten Flügel der 1. Armee. Infolgedessen zählte Seeckt in einem Schreiben an den österreichisch-ungarischen Generalstabschef vom 13. 7. Heeresarchiv Potsdam, Akten 56 und O 186. auf, was die Heeresfront in letzter Zeit abgegeben hat. Er fuhr dann fort: »So gerne ich auch bisher bereit war, an bedrohte Frontstellen abzugeben, was hier zur Zeit entbehrt werden konnte, namentlich, wenn es sich um eine erfolgreiche Offensive handelte, so sehe ich mich doch jetzt gezwungen, E. E. zu melden, daß nach meiner pflichtmäßigen Überzeugung das Maß der Verminderung der Kampfkraft, innerhalb dessen ich noch in der Lage bin, die Verantwortung für die Festhaltung der Front zu tragen, nunmehr erreicht, wenn nicht überschritten ist … Daß die Angriffslust des Feindes angesichts seiner Erfolge in Galizien wachsen wird, ist zweifellos … Welche Konsequenzen aber die Anfangserfolge auch schwächerer Angriffstruppen zeitigen können, wenn die Reserven fehlen, zeigen die Vorgänge bei der 3. Armee. Jetzt liegen viele und fast sichere Anzeichen für einen Angriff des Feindes gegen den rechten Flügel der 1. Armee vor …« Übrigens konzentrierte sich an der Front das Hauptinteresse auf Gerok, weil hier das rumänische Artilleriefeuer jetzt ständig zunahm.

Am 19. 7. beginnt der deutsche Gegenangriff von Zloczow. Er führt zunächst nach Osten bis an den galizischen Seret Nicht zu verwechseln mit dem Sereth in der Moldau.. Dann wird er mit dem linken Flügel an diesem entlang nach Südosten erweitert. Um Tarnopol herum leistet der Russe zunächst ernsteren Widerstand. Als man jedoch weiter rückgängige Bewegungen erkennt, gibt Ob.Ost am 22. den Befehl, daß auch Süd- und 3. Armee sich dem Angriff anzuschließen hätten. Damit kommt die gesamte Russenfront vom Dniester bis zum galizischen Seret in Bewegung.

Gleichzeitig aber bereitet das rumänische Heer seinen Angriff vor mit der 2. Armee gegen Gerok, mit der 1. Armee und den beiderseits anschließenden russischen Teilen gegen die 9. Armee. Das rumänische Heer ist inzwischen durch die französische Militärmission nach den westlichen Erfahrungen ausgebildet.

Mit dem 22. 7. werden beiderseits Offensiven begonnen oder vorbereitet. Hieraus ergibt sich mit diesem Tage die eigenartige Lage, daß die Heeresfront Erzherzog Josef sich auf ihrem äußersten rechten Flügel zur Abwehr, und zwar zu einer recht schwierigen Abwehr gliedern muß, wofür sie eigentlich sämtliche aufzutreibenden Reserven benötigt; daß der äußerste linke Flügel sich aber zur Offensive bereit macht.

»D. 23. 7. … Um nun zunächst noch mal auf Politisches zu kommen, so fürchte ich, daß ich ganz gegen Absicht, Pflicht und Gewohnheiten sehr pessimistisch geschrieben habe und daß das seinen Eindruck nicht verfehlt hat. Nun hat aller Welt der Durchbruch in Galizien bewiesen, daß weder Armee noch Heeresleitung von Schwäche und Friedensgefühlen befallen sind, sondern nach alter Sitte den Sieg als besten Weg zum Frieden sehen; denn ein voller Sieg ist es und seine Folgen machen sich schon bis zu uns herunter bemerkbar. Ich hoffe, das wird in den nächsten Tagen noch mehr der Fall sein; dafür bereite ich, soweit es in meinen leider recht schwachen Kräften steht, alles Mögliche vor; leider hat man nicht die erwünschte Verstärkung verschaffen können …

Im übrigen bin ich doch wie ein altes Pferd. Jetzt, wo ich wieder Taten, wenn auch kleine, wittere und Aussicht sehe, in Bewegung zu kommen mit meinen Soldaten, finde ich wieder Freude an der ›Hetz‹. Dieses Rummuckeln in den Stellungen und die Hinterfrontsorgen und dazu das Warten, ob die Russen oder anderes Gesindel einen angreifen oder nicht, ist zu langweilig und man fängt an, sich über Dinge zu ärgern, die alle verschwinden, wenn es wieder ernst wird. Seit gestern nachmittag schießen sie wie besessen auf uns, haben uns aber doch nicht viel Schaden getan. Zu einem ordentlichen Angriff haben sie sich noch nicht aufgerafft bis jetzt; die Russen neben ihnen haben keine Lust, mitzutun, sondern verhandeln über einen Waffenstillstand. Man muß sehen, wie es wird; meine Augen sind nach der Bukowina gerichtet, die ich gar zu gern wieder hätte.

Um nun aber auf das politische Gebiet zurückzukommen, so muß ich sagen, daß – so unnötig und schwächlich ich auch die Resolution des Reichstages halte – die Sache noch schlimmer hätte auslaufen können. Der allgemeinen Zustimmung der Regierung war man ja sicher; aber sie ist auch sehr allgemein geblieben. Ich habe den Eindruck, als ob man sich vom ersten Schreck erholt hätte. Daß man nicht gleich auf Geheiß der Herren Demokraten alle mißliebigen Minister und Staatssekretäre fortgeschickt hat, ist doch schon ein Zeichen der Besinnung; um einige wäre es vielleicht nicht einmal schade.

Kurzum, ich muß Dich wieder einmal ermahnen, die Ohren steifzuhalten, wenn es auch schwer ist, und Dich vorläufig mit der Aussicht auf ein Bauernhäuschen mit Enten, Hunden und Katzen zu trösten.

Der Abendabschluß der Front ergibt doch an manchen Stellen recht gesteigerte Tätigkeit; aber es ist heute alles gut gegangen und, wie es scheint, ohne erhebliche Verluste. Auf unserer nördlichsten Seite sind wir sogar im Vorgehen, wozu die Leute zu bewegen freilich etwas Mühe und Grobheit kostete …«

Der letzte Absatz des Briefes bezog sich auf russische Rückwärtsbewegungen vor dem linken Flügel der 7. Armee.

Seeckt bleibt für die Lage bei Gerok zunächst ganz zuversichtlich. Er glaubt Gerok »genügend gestärkt« Heeresarchiv Potsdam, Akten 56 und O 186.. Weniger hoffnungsfroh ist er hinsichtlich der offensiven Teilnahme der 7. Armee. Er meint, ihr seien durch artilleristische Schwächung »die Hände gebunden«, man könne von ihr nur »ein Nachdrücken« erreichen. Sobald sich die ersten Erfolge einstellen, drückt Seeckt nicht nur mit aller Kraft nach, worauf sich seine Briefstelle bezog: »Es kostete Mühe und Grobheit, die Leute hierzu, nämlich zum scharfen Nachdrängen, zu bewegen.« Vielmehr geht Seeckt sofort mit den ersten Erfolgen, wo sie auch sein mögen, zum großangelegten Offensivgedanken wieder über. Schon am 22. Heeresarchiv Potsdam, Akten 11 und O 437. verhandelt er telephonisch mit Kreuznach über die Aufnahme der Offensive. Er schlägt als Nordgrenze für die Heeresfront Delatyn-Pruth bis Czernowitz vor. Am 23. gibt die O.K.L. selbst eine Weisung über die Fortsetzung der Offensive Heeresarchiv Potsdam, Akte O 415.. Zur Ausgestaltung des bisherigen Erfolges soll Ob. Ost die russische 7. und 8. Armee durch Umfassung von Norden schlagen und hierzu den nördlichen galizischen Seret überschreiten. Erzherzog Josef soll die Russen-Rumänen gegen den südlichen Sereth werfen. Mackensen soll nach Abwehr des Rumänenangriffs offensiv werden und den unteren Sereth überschreiten. Der Befehl verlangt die Fortnahme der Moldau. Dementsprechend erhält die Heeresfront Erzherzog Josef aus Baden die Weisung, mit 7. und 1. Armee zum Angriff überzugehen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 437.. Die Heeresfront befiehlt am 24. hierzu für die 7. Armee die allgemeine Richtung Czernowitz, die 1. Armee soll sich dem Angriff der 7. anschließen und die Serethlinie in Besitz nehmen. Der Schwerpunkt ist damit vom Heeresfrontkommando zur 7. Armee gelegt. Die O.K.L. aber, die eine Überlegenheit gegenüber Gerok erkennt, will ihn dorthin haben. Die Ereignisse bekommen eine dramatische Entwicklung. Soeben ist der Angriffsbefehl der Heeresfront an die 1. und 7. Armee heraus Heeresarchiv Potsdam, Akten 11 und O 471, da muß Seeckt dem östr.-ung. A.O.K. melden, »die Lage bei Gruppe Gerok erfordert zunächst, die verfügbar zu machenden Kräfte dort einzusetzen Heeresarchiv Potsdam, Akten 11 und O 471«. Das hindert Seeckt durchaus nicht, unerschüttert an seinem Grundgedanken festhaltend, in der Meldung fortzufahren Heeresarchiv Wien.: »Ein durchschlagender Erfolg ist … in Richtung Czernowitz … zu erzielen.« Er schreibt von der Auswirkung auf die Moldau und Bukowinafront. Und das alles in einem Augenblick, als ihm die Lage bei Gerok scheinbar den ganzen Plan verdorben hat.

Am nächsten Tage, am 25. 7., verlangt Baden eine Kräfteberechnung für die beabsichtigte Offensive. Seeckt schreibt, er müsse drei weitere Divisionen und schwere Artillerie, dazu Gebirgshaubitzen haben Heeresarchiv Potsdam, Akten 11 und O 471., weil er alles bei ihm Verfügbare an Gerok geben müsse. Auch Ludendorff ist der Ansicht, daß Verstärkung notwendig sei. Er regt bei Arz an, wenigstens eine Gebirgsdivision von der italienischen Front zu Erzherzog Josef zu entsenden. Die Antwort von Arz ist eigenartig: Erzherzog Josef verlange drei Divisionen. Die könne er nicht geben. Also müsse »vorderhand« von einer größeren Aktion an der Karpatenfront Abstand genommen werden.

Über diesen Offensiventschluß vom 24. 7. ist gestritten worden. Alfred Krauß Sowohl in »Ursachen unserer Niederlagen« wie in »Theorie und Praxis in der Kriegskunst«.schlägt eine Operation des rechten Flügels der 7. Armee, also der von ihm geführten Gruppe, über Kimpolung–Radautz auf Czernowitz vor. Er nähert sich damit der Seecktschen Auffassung, der auch mit starkem rechten Flügel der 7. Armee vorgehen wollte Der Heeresfrontbefehl vom 24. 7. sah noch den Schwerpunkt bei der 200. Division, Stoß auf Czernowitz, vor. Die mehr ostwärtige Richtung über die Linie Kimpolung–Schipoth und den Nachdruck auf dem rechten Flügel der 7. Armee, gab Seeckt erst in seiner späteren Meldung an Baden vom gleichen Tage an.. Krauß schiebt die Nichtausführung des Planes darauf, daß zwischen Ob. Ost und Erzherzog Josef keine Übereinstimmung in der Führung bestand. Das ist schwerlich aktenmäßig zu belegen. Der Grund wird ein einfacherer und natürlicherer gewesen sein. Alle Pläne, auch die von der Heeresfront tatsächlich verlangte Offensive, gingen überhaupt über das Kräftemaß hinaus, das der Heeresfront zur Verfügung stand. Die Heeresfront selbst konnte nur eine Nebenoperation zu der in Galizien in gutem Fortschreiten befindlichen Offensive leisten. Es ist in unserem ganzen viereinhalbjährigen Ringen so gut wie niemals so gewesen, daß die richtigen Gedanken den führenden Männern gefehlt hätten. Aber die richtigen Kräfte zur Ausführung der guten Gedanken, die haben ihnen allerdings leider sehr oft gefehlt.

In Galizien hat man inzwischen schöne Erfolge. Die 3. Armee besetzt Stanislau, Süd- und 2. Armee kommen bis zu 25 km vorwärts, vor der 7. Armee dehnt sich die Rückzugsbewegung der Russen bis in die Gegend des Tartarenpasses aus, beim Karpatenkorps bis in die Gegend von Kirlibaba.

Leider ist in der Nacht vom 23. zum 24.7. inzwischen bei Gerok durch einen Großangriff der 2. rumänischen Armee ein schwerer Rückschlag eingetreten. Die Deutsche 218. I. D. ist durchbrochen. Beiderseits der Susita stößt der Rumäne bis zu 20 km Tiefe vor. Die Heeresfront kratzt ihre letzten Reserven zusammen. Man kommt um diesen etwas drastischen Ausdruck nicht herum. Es ist eine sehr unerquickliche Lage, die die Heeresfront mit Geschick meistert.

Die Briefe vom 24. und 25. geben die Erregung deutlich wieder:

»D. 24. Juli … Uniert in der Moldau ist seit frühem Morgen eine heftige Aktion im Gange, es ist noch nicht geklärt, doch scheint es nicht ganz sauber zu sein; ich denke, es ist nichts Größeres Deshalb gibt er den Offensivgedanken bei der 7. Armee nicht auf., aber leider habe ich nicht sehr viele Soldaten dort, jedenfalls ganz aufregende Stunden und Lage; so muß ich heute auch schließen mit dem alten Lied: Die Ohren steif halten, ich muß es auch, bleibe aber trotzdem der Deinige.

D. 25. Juli … Gestern ein bewegter Tag; sie haben uns häßlich mitgespielt und eine deutsche Division recht gründlich zerschlagen; 7 gegen 1; es geht wohl heute noch weiter und man stopft ein Loch. Dafür geht es an der anderen Ecke – 300 km entfernt – vorwärts, also dauernde Gegensätze der Nachrichten und Empfindungen …«

Ludendorff verlangt bei Arz energische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Lage. Das wird auch nötig sein. Denn am 26. sind erneut 10 km Gelände verloren und in der Mitte der 218. Division klafft eine Lücke von fast 8 km Breite. Man kann es Seeckt nicht verdenken, wenn er sich in seinem Brief über zu wenig Soldaten beklagt.

»D. 26. Juli 1917 … Ich freute mich so sehr über Winterfeldts Rede auf Dich und hoffe nur, daß über all Deinen Sonnenschein nicht zu oft und zu sehr ›der Schatten des Generals‹ gefallen ist, fällt und fallen wird …

Nach einem ruhigen Tag läßt sich der heutige schon seit früh schlecht an; sie haben mir zu wenig Soldaten gelassen. Groß wird das Unglück ja nicht werden, aber es ist doch recht schwierig, es aufzuhalten und zu flicken, dabei geht es oben gut und vorwärts; aber das ist weit …

D. 26. Juli abends … Die Morgenstunden sind jetzt immer so bewegt, daß es mit dem Schreiben nichts wird … Der Tag ist übrigens besser verlaufen, als ich dachte: Zeit gewonnen, viel gewonnen. Heute früh war ich, so fürchte ich, etwas schlechter Laune …«

Seeckts etwas zuversichtlichere Stimmung läßt sich dadurch rechtfertigen, daß die Russen infolge der Vorgänge bei Boehm-Ermolli ihre Angriffe einstellten. Wenn die rumänische 2. Armee für sich allein weiter angriff, so verdient das alle Anerkennung. Der Heeresfront war nichts anderes übriggeblieben, als ihren linken Flügel weiter zu schwächen, um die entstandene Krise zu meistern. Um so erfreulicher mußte es wirken, daß die 7. Armee mit ihrem linken Flügel bis zu 20 km vorwärts kam, einfach weil sie so gut wie gar keinen russischen Widerstand mehr vor sich hatte. Boehm-Ermolli näherte sich im Vordringen nach Südosien Kolomea, mit dem rechten Flügel der 3. Armee.

Man muß sich die Lage noch einmal vorstellen. Zu einer groß angelegten Offensivoperation langen die Kräfte der Heeresfront weder auf dem einen noch auf dem andern Flügel. Im Augenblick ist die Aufmerksamkeit auf die Krise bei der 218. I. D. gerichtet. In diesem Zeitpunkt muß der Befehl vom 27. 7. aus Baden, den linken Flügel der 7. Armee stärker zu halten, die Heeresfront einigermaßen befremdet haben. Die deutsche O.K.L. sieht die Sache anders. Sie befiehlt also Ob. Ost, dem linken Flügel der Heeresfront das Vorankommen durch starken Druck zwischen Sereth und Pruth zu erleichtern. Der eine fordert, der andere hilft.

Seeckt hat seinen Gedanken vom 24. Dem späteren, der den Nachdruck auf den rechten Flügel der 7. Armee legte. durchgehalten und sich nicht der Weisung, die Arz am 27. gab, gefügt. Er gibt der 7. Armee die Richtung Suczawa–Czernowitz genau nach Osten. Er ist auch schon über die Krise hinweg und berichtet beiden O.H.Leitungen, daß die Rumänen ihren Erfolg kaum ausnutzen könnten. Der Russe werde wohl Czernowitz räumen und in seine alte Stellung von 1916 zurückgehen müssen. Man müsse ihn aber erst dort zum Halten kommen lassen, wo wir wollten und nicht wo er wolle. Aber Seeckt müsse nun doch bitten, die Heeresfront nicht weiter zu schwächen. Ludendorff unterstützt diesen Wunsch. Unmittelbar daran schließt Seeckt sogar die Bitte, Kräfte zuzuweisen, um mit Gerok in Dichtung auf Bacau anzugreifen, während die 7. Armee südlich Czernowitz durchstoßen Der Gedanke, südlich Czernowitz durchzustoßen, ist hier zum erstenmal schriftlich festgelegt. solle, »um den Feind zu zwingen, die Moldau zu räumen« Heeresarchiv Wien.. Seeckt denkt also schon wieder, wenn auch im Rahmen der ihm gewordenen Weisung, an eine groß angelegte Operation. Leider denkt er nur; handeln kann er nicht, weil er völlig unzureichende Kräfte hat. Das alles geschieht in Stunden, in denen bei der 218. J.D. der Rumäne neue Erfolge hat. Man bedenke, daß Seeckt den Angriffsgedanken an einer Stelle nicht aufgibt, an der man im Augenblick mit Mißerfolgen kämpft. Man darf diese Mißerfolge keineswegs leicht nehmen. Wurden sie noch größer, so mußten sie auf die übrige Front wirken. Seeckts Spannkraft ist wirklich nicht gering.

Seeckt hatte sich nicht verrechnet. Die Gesamtlage zwang die Rumänen, ihre Offensive einzustellen. Das wußte aber Seeckt natürlich noch nicht, als er am 28. meldete Heeresarchiv Wien., er fasse die Lage ruhig auf, wenn er auch mit weiteren Rückschlägen vorläufig noch rechne. Er wäre vielmehr berechtigt gewesen, auf die Unsicherheit der entstandenen Lage hinzuweisen. Er schrieb im Entwurf einer Lagenbeurteilung für Arz vom 27.7.: »Ich möchte vorausschicken, daß die dadurch entstehende Unsicherheit, daß jederzeit auf das plötzliche Abziehen von Truppen gerechnet werden muß, die Führung und namentlich das Bilden von Reserven erschwert ist … Durch Befehle des A.O.K. in Baden über einzelne Regimenter … entsteht Unruhe. Die augenblickliche Lage bringt ohnedem schon Unruhe genug …« So steht es im Entwurf Heeresarchiv Potsdam, Akten O 471 und O 186.. Dieser Absatz ist aber nicht abgeschickt. Seeckt strich ihn wieder. Er beklagte sich selten und ungern.

Die weiteren Erfolge bei Boehm-Ermolli ergaben die Möglichkeit, der 7. Armee die Richtung auf Suczawa zu geben, um den Feind in der Moldau zum Rückzug zu zwingen. Damit war der Schwerpunkt auf den rechten Flügel gelegt. Der Gedanke des Durchstoßes südlich Czernowitz wurde durchgeführt. Endlich konnten auch nennenswerte Kräfte für Gerok herausgenommen werden. Immerhin hatten inzwischen die Ereignisse bei Gerok auch auf Mackensen zurückgewirkt. Er hatte erhebliche Kräfte zur Stützung Geroks und seinen Angriff weiter westlich als bisher geplant ansetzen müssen. Sobald bei Mackensen die Aufnahme der Offensive befohlen war, trat gleichzeitig auch Seeckt wieder mit Offensivgedanken an die O.K.L. heran Heeresarchiv Potsdam, Akte O 471.. Jetzt schlägt Seeckt einen Angriff »aus dem Oitoz-Tal nach Osten vor, … weil die gegenüberstehenden Divisionen stark durch Propaganda beeinflußt sind« Heeresarchiv Potsdam, Akte O 471.. Hierdurch sollen die bei der 218. J.D. eingedrungenen Rumänen in der Flanke gefaßt werden. Dieser Plan stammte von Mackensen, der seinerseits von der anderen Seite her angreifen wollte. Die Heeresfront befahl bereits am 29., die 1. Armee sollte sich mit dem rechten Flügel am 5. oder 6. August dem Angriff Mackensens anschließen, und zwar auch Gerok. Die 7. Armee werde in die Moldau vorgehen. Das alles wurde angeordnet, obwohl die heranrollenden Verstärkungen kaum mehr als ein Ausgleich für die Verluste waren.

Es geht keineswegs schnell vorwärts, aber es geht vorwärts. In Nachhutkämpfen war der Russe stets Meister. Leider ist nach einer Woche Kampf die 7. Armee noch immer nicht aus dem Gebirge heraus. Seeckt will erst Czernowitz und dann die Sereth-Linie haben. Im übrigen glaubt er, vor neuen Entschlüssen zu stehen.

»D. 30. Juli … Mein Erzherzog fährt heute zur Front, ich habe ihm zugeredet, Czernowitz persönlich zu erobern. So bin ich für die nächsten Tage, in denen gerade wichtige Entschlüsse zu fassen sind, ungestört.

Ich hatte gestern einen zu hübschen Brief von der Stadtbibliothek der ›freien Reichsstadt Hamburg‹, die gern ›Die Front‹ Eine Frontzeitung der Heeresfront Erzherzog Josef. als Geschenk haben wollte. Sie hatte uns etwas falsch beurteilt, da sie schrieb, Hamburg erinnere sich noch der Zeit, da es als Teil des Römischen Reiches Deutscher Nation unter dem glorreichen habsburgischen Szepter gestanden habe und daher würde die östr.-ungar. Zeitschrift ein besonderes Denkmal usw. Ich schrieb: Gern – die Zeitung ist deutscher Initiative entsprungen und steht unter deutscher Leitung. Ich hoffe, das wird das Interesse der deutschen freien Stadt nicht vermindern. Der Deutsche Chef des Generalstabes von Seeckt …«

Die Ansichten der beiden O.H.Leitungen stimmten für das Folgende zunächst nicht überein. Arz wollte die gesamte russische Karpatenfront von Mackensen bis Czernowitz ins Wanken bringen und die Moldau erobern. Die von ihm beabsichtigte Operation kam auf einen Durchbruch der 7. Armee südostwärts Czernowitz heraus. Ludendorff Heeresarchiv Potsdam, Akte O 437. bestimmte, daß in Galizien die Ziele der Ostoffensive erreicht seien und die Festsetzung der Operation nur die Sicherung der Bukowina bezwecke. Er bezweifelte, daß die gegebenen Kräfte nach Zahl und Güte zur Eroberung der Moldau ausreichten. Seeckts Endziel war wohl die Eroberung der Moldau. Doch wollte er zuerst die Serethlinie mit beiden Armeen erreichen, immer unter der am 24. 7. gemachten Voraussetzung einer Verstärkung durch drei Divisionen. Im Grunde waren sich die drei Stellen im Endziel einig und nur in der Ausführung wichen sie voneinander ab. Daß das nächste Ziel Czernowitz sei, darüber war glücklicherweise kein Zweifel. Allerdings hatte Seeckt sich gegenüber Baden in der Ausführung nur mit einiger Mühe durchgesetzt. Er hielt absichtlich den rechten Flügel der 7. Armee stark, während man in Baden den linken verstärkt haben wollte. Man kann auch sagen, Seeckt habe sich zwar gegenüber Baden nicht eigentlich durchgesetzt. Denn zu einer Übereinstimmung der Ansichten ist es nicht gekommen. Dadurch sind in der nächsten Zeit erhebliche Reibungen entstanden.

»D. 31. Juli … Vor einigen Tagen hatte ich einen Brief vom Admiral von Müller, der mir eine Abschrift eines an ihn gerichteten anonymen Schreibens schickte, in dem er, Mackensen, Falkenhayn und ich ›häßlicher Machenschaften‹ gegen Hindenburg beschuldigt wurden, ›wir brauchen keine Rasputins‹. Er, Müller, habe Verfolgung des Absenders beim Staatsanwalt beantragt. Mir blieb natürlich nichts anderes übrig, als die Sache nach oben vorzulegen und um die Genehmigung zu bitten, mich der Klage anschließen zu dürfen.

Hätte der freundliche Herr an mich geschrieben, so hätte ich wie von jeder anonymen Zuschrift keine Notiz davon genommen. Ein Kenner der Menschen und Verhältnisse muß es schon sein! Ich finde bei mir gar keine Ähnlichkeit mit Rasputin. Eine spaßhafte Geschichte Seeckt schrieb später einmal: »Den Vergleich mit dem russischen Rasputin muß ich aber wirklich ablehnen; ich habe nie sexuell aufklärend in weiblichen Hofkreisen gewirkt.« …«

So leicht, wie Seeckt hier im Brief die Denunzierung nimmt, hat er sie in Wirklichkeit nicht genommen. Das geht aus einem zwei Wochen später an General v. Wrisberg geschriebenen Brief hervor:

»... Etwas Persönliches. Man schreibt mir, im Großen Hauptquartier erzähle man Äußerungen, die jemand in der Berliner Geselligkeit über mich und meine bessere Verwendung gemacht haben soll Die Worte sind hier etwas umgestellt, ohne den Sinn zu verändern.. Hätten Sie das für mehr als Klatsch gehalten, so würden Sie es mir wohl selbst mitgeteilt haben. Halte ich es aber zusammen mit zwei anderen Angebereien, von denen eine sich auch mit dem Aufenthalt meiner Frau in Budapest beschäftigte und einer anderen, die mich zum Einschreiten beim Staatsanwalt veranlaßte, so fange ich an, System zu vermuten. Zweck kann sein, mich beim Feldmarschall oder Ludendorff in Mißkredit zu bringen. Wer daran ein Interesse haben könnte, wüßte ich allerdings nicht. Früher mag ich ja vielleicht einmal Neid erregt haben. Mich persönlich läßt das völlig kalt … Ich stehe allen und jeden politischen Bestrebungen, Strömungen, Parteien, Zeitungen vollkommen fern, korrespondiere kaum noch mit jemand und bin über die meisten Vorgänge ganz unorientiert. Politisch tätig bin ich insoweit, als ich es für meine Pflicht halte, meine Meinung über österreichisch-ungarische Verhältnisse, die mir besser bekannt sind als anderen, dem Chef des Generalstabes zu berichten … Noch einmal: Klatsch berührt mich nicht und ich tue doch, was ich für richtig halte und überhaupt nur um der Sache willen. Persönlichkeiten einschließlich der eigenen spielen keine Rolle – womit ich nichts gegen unsere alte Freundschaft sage …«

Die operative Differenz zwischen Seeckt und der Auffassung in Baden ließ sich auch so fassen: Baden wollte, ursprünglich noch in Übereinstimmung mit der O.K.L., eine groß angelegte Offensive zwischen Sereth und Dniester. Hierzu sollte die Heeresfront zwischen Sereth und Pruth mit starkem linken Flügel angreifen. Das Ziel war, die Moldau zu gewinnen. Erzherzog Josef wollte nur südlich des Sereth angreifen, um der 1. Armee das Heraustreten aus dem Gebirge zu ermöglichen. Hierzu war ein starker rechter Flügel der 7. Armee nötig. Die Moldau wollte auch er gewinnen.

Ludendorff bezweifelte seit dem 30.7. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 437., daß die Kräfte für die Gewinnung der Moldau genügten. Am 2.8. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 56. bezeichnete er für 7. und 3. Armee die Operation mit dem Erreichen der Landesgrenze ostwärts Czernowitz im wesentlichen für erledigt. Das war nun wieder Seeckt zu wenig. Er wollte, daß die 3. Armee noch etwa 15 km vorwärts ging, wollte vorerst die Serethlinie erreichen und ließ im Hintergrund auch dann noch den Gedanken der Wiedergewinnung der Moldau und des Restes der Bukowina bestehen. Freilich nur im Hintergrund. Denn im Augenblick konnte das Vordrücken der 3. Armee nicht viel mehr als eine Stellungsverbesserung bedeuten. Seeckt gab aber sogar der Hoffnung Ausdruck, daß er bei gleichzeitigem Erfolg der Offensive Mackensens ein Zurückgehen der gesamten Russenfront hinter den Pruth für möglich hielt.

Seeckt besaß einen beneidenswerten Optimismus, wenn er mit Truppen, die überwiegend keine besondere Offensivkraft hatten, bei schwierigster Nachschublage, die er allerdings zweifellos günstiger sah, als sie war, mit solchen Erfolgen rechnete. Man muß aber Seeckt unbedingt zugeben, daß seine Absicht den Verhältnissen immerhin mehr entsprach als der Stoß zwischen Sereth und Pruth.

Der Brief vom 6.8. zeigt, daß der Erzherzog bei den mit Baden entstandenen Spannungen zu Seeckt hält.

»... Heute früh hatte ein Angriff von Mackensen begonnen, auf den wir große Hoffnungen setzen …

Überhaupt ist allerlei los jetzt hier. Der General Köveß ist für Czernowitz Feldmarschall geworden heute und der Erzherzog hat das sog. große signum laudis ›Zeichen der besonderen Anerkennung‹ erhalten. Das hat er reichlich verdient … Der Erzherzog ist ganz famos und persönlich tapfer … Bei den täglichen Kämpfen, die ich mit dem k.u.k. Oberkdo. habe, steht er so loyal auf meiner Seite wie möglich; nur seine Autos sind schlecht …«

Seeckts Hoffnungen konnten sich nur erfüllen, wenn die Front in der Bukowina durch Erfolge Mackensens wieder in Bewegung kam. Sie sind nicht erfüllt worden. Deshalb blieb seine Einstellung doch richtig und die Schwierigkeit, erneut zwischen abweichenden Meinungen oberer Dienststellen zu stehen, war nicht geringer, weil die Ereignisse dann allerdings das ganze Problem sehr bald gegenstandslos machten.

Am 3.8. nahm die 7. Armee Czernowitz. Seeckts Briefe berichten davon:

»D. 4. August … Ziemlich zufrieden mit dem Verlauf, es könnte nur oben schneller gehen … Heute läßt sich der Morgen an, als ob ich etwas mehr Zeit und Ruhe hätte. – Du kannst Dir ja ein ungefähres Bild davon machen, daß zur Stunde recht reichlich zu tun und zu denken, zu schreiben und zu reden ist. Der vorgestrige Tag mit seinen 400 km Autofahrt hat mich ganz außerordentlich aufgefrischt …

D. 5. August … Gestern abend spät kam der Erzherzog von seiner Eroberung von Czernowitz zurück, die ihm viel Freude gemacht hatte. Morgen will der Kaiser Karl dort einziehen. Die Russen sollen dort und vor allem auf dem Lande in der Bukowina übel gehaust haben. Da aber dort ebenso wie in Ostgalizien eine gute Ernte steht, so ist es ein ganz annehmbarer Zuwachs zur Ernährung Österreichs …

Also Czernowitz hat Dich gefreut; das ist die Hauptsache. Im übrigen war es nicht so schwer und eins von den Dingen, um die man aus symbolischen Gründen gern Geschrei erhebt und was für welches! Daß ich meinen Erzherzog hinschickte, hat sie alle sehr geärgert; aber ich freute mich …«

Am 4.8. beurteilt Seeckt Heeresarchiv Potsdam, Akte 56 und O 187. die Lage so: Auch rumänische Angriffe sind nicht mehr zu erwarten. Aber freiwillig werden die Rumänen die Moldau nicht aufgeben. Man könnte einen Angriff gegen beide Flanken ausführen, wenn man nur etwas mehr Truppen hätte. Seeckt bittet erneut darum. In ihm lebt ein unbeugsamer Angriffswille. Aber die deutsche O.K.L. kann leider nichts geben. So drängt Seeckt wenigstens bei der 7. Armee, daß sie etwas weiter noch vorwärts kommt. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß der russische Widerstand erneut erstarkt ist.

Immer klarer wird, daß mit einigem Hin und Her die ganze Lage zum Stillstand auspendelt. Es ist etwas schmerzlich für Seeckt, wenn jetzt der Vorwurf gemacht wird Heeresarchiv Potsdam, Akte O 438., die 7. Armee sei nicht weiter vorwärts gekommen, weil ihr linker Flügel zu schwach gemacht worden wäre. Das mag an sich sein. Aber die Kräfteverteilung, wie sie nun einmal entstanden war, war nichts als das Ergebnis zwingender Umstände. Man ging aus der Gliederung des Stellungskrieges vor. Seitliche Verschiebungen ließ das Gebirge kaum zu. Es wirkte ferner mit, daß, wie vorher geschildert, die Auffassungen der maßgebenden Stellen über das Ziel der Operation nicht übereingestimmt hatten. Seeckt hat wohl getan, was er in der Lage tun konnte. Am 11.8. ist die Offensive der 7. Armee im wesentlichen beendet. Es sind noch mancherlei Anstrengungen gemacht, hier und da doch noch vorwärts zu kommen. An der Gesamtlage konnte das nichts mehr ändern. Seeckt hat sich allerdings nur sehr schwer darein gefunden. Er hat an dem Gedanken, auch den Rest der Bukowina zu nehmen und Gerok erneut und weit vorzutreiben, auch weiterhin noch festgehalten. Am 13. 8. hat er eine Besprechung mit dem Chef der 1. Armee über die Fortsetzung der Operation, die erkennen läßt, daß er immer noch große Erfolge weiteren Angriffs anstreben möchte. In der Tat geht Ludendorff sogar darauf ein und fordert einen Vorschlag über die Fortsetzung des Angriffs über den Trotosul, falls die 9. Armee ebenfalls dessen Mündung in den Gereth erreicht. Geeckt entwickelt weitgreifende Gedanken.

Am 14.8. räumt die rumänische 2. Armee, da die 1. zurückgeht, das Soveja-Becken vor Gerok. Daß die Tage trotz der nachlassenden Kampfanspannung nicht leicht für Seeckt sind, zeigen die Briefe:

»D. 13. August … Vom neuen Reichskanzler hatte ich nur gehört, daß er sehr fromm sei; daß er aber Sektierer, scheint mir schlimm. Ich habe ein körperliches Mißtrauen gegen religiöse Überspanntheiten und halte sie für sehr gefährlich, besonders in unserer Lage.

Sollte der neue Justizminister mehr Katholiken als Juden zu Richtern machen, fände ich das recht gut, wie ich ja nun mal vom Standpunkt des Staates gut disziplinierte Religionen für nützlich halte, ohne daß sich der Staat viel um sie bekümmern soll. Aber ich will ja nicht politisieren …

Viel äußere und besonders innere Unruhe in mir …

D. 15. August … Gestern hörte ich ein Hochamt für den Bulgaren und nun kann ich mich für das gleiche am 17. präparieren Geburtstag von Kaiser Karl., wo ich noch dazu der Oberste bin, da der Erzherzog zum Hoflager berufen ist. Schon das zweite Jahr, daß ich Kaisergeburtstag für die anderen feiern muß. Dabei zanke ich mich egal mit ihnen, das heißt mit dem Oberkommando, und der Erzherzog will bei dieser Gelegenheit Frieden stiften, nachdem ich ihm erklärt, ich ginge sehr gern und bliebe nur der Sache und seinetwillen, an sich sei meine Stellung weder angenehm noch ehrenvoll. – Es ist nicht so schlimm, aber man muß bisweilen deutsch reden … Militärisch muß ich ja sagen – ich hoffe, die Sache läuft hier noch weiter.

D. 16. August … Allerlei Reibereien, wobei es stärkend für mich ist, daß ich in Dunst jemand habe, der mich höchstens für zu freundlich hält.

Daß der Erzherzog nach Wien gefahren, schrieb ich; da wir uns zur Zeit schlecht mit A.O.K. Baden stehen, hatte er ein schlechtes Gewissen und ich mußte ihm immer wieder versichern, ich glaubte nicht, daß der Kaiser ihn zu seinem Geburtstag einladen würde, um ihn zu reißen. Dabei soll er wahrscheinlich Maria-Theresienritter werden; ich habe ihm aber einen ganzen Pack ›Befehle‹, wie sie sagen, mitgeben müssen, Zettel, auf denen ich aufgeschrieben habe, was er sagen soll, wenn sie ihn beschimpfen …

Mir geht es gut – danke – da ich heute mit Dir gesprochen und 1500 Gefangene gemacht habe. Nicht viel, aber etwas. Die Rumänen schlagen sich sehr brav, ein williges und gehorsames Volk, ohne Begeisterung; ihre Verluste sind groß …

Eben war Zapfenstreich. Musikalisch sind sie und die Retraite und Signale so schön wie unsere; dazwischen als ›Musikpièce‹ das Dreimäderlhaus … ›Nur net zu ernst sein, das Leben ist a so schon ernst g'nug‹!

D. 19. August … Der Geburtstag verlief harmlos: Beim Essen rechts der Obergespan, links der Bürgermeister. Rede mit deutschem Hoch und »Eljén Kiralyi es Kiralnje Es leben der König und Königin.« womit mein ungarischer Sprachschatz aber auch völlig erschöpft ist. Ich hatte ein sehr freundliches Antworttelegramm des Kaisers auf meinen Glückwunsch, und da ich am Tag vorher ein solches vom Bulgaren hatte, ist meine Korrespondenz durchaus standesgemäß! Der Erzherzog, der heute wiederkommt, kann mir gar nicht imponieren! Die Feier war also kurz und schmerzlos; nur in der Nachbarschaft hat eine Prügelei zwischen treuer Bevölkerung und – glücklicherweise – Österreichern stattgefunden; sonst hätten wir nicht viel vom Fest gemerkt … Esterhazy soll schon zu Ende sein und Julius Andrássy soll Nachfolger werden; ich höre heute wohl Näheres.

Bei uns ist Groener in die Armee zurückgetaucht, also wohl nicht mit dem Reichskanzler einverstanden. Zweifellos eine große Arbeitskraft und ebenso Organisationstalent. Politisch lag mir seine süddeutschdemokratische Ader nicht, namentlich für die Zukunft …

Wieder 1000 Mann Gefangene gemacht; davon 500 ein braves württembergisches Bataillon.

D. 20. August … Die Papstnote ist Wiener Arbeit; darin besteht für mich kein Zweifel, auch die zarte Andeutung, über Elsaß-Lothringen würde sich ja wohl reden lassen, deutet darauf hin. Man rechnet in Wien zur Zeit stark mit dem Dezember als Friedensmonat; mir soll es recht sein. Ich bin neugierig, wie sich der neue Kanzler mit der Sache abfinden wird …

In Ungarn ist nun wieder einmal Ministerkrise. Wekerle ist heute beauftragt; eine ausgezeichnete, die beste Wahl. Wir hatten gestern einen guten Tag; heute haben die Truppen sehr schwere Angriffe blutig abgewiesen. Viel kann ich aber mit meinen schwachen Kräften nicht machen, wenn Mackensen nicht vorwärtskommt; ich fürchte, hier wird es nicht mehr viel …«

Als am 18.8. in der Beurteilung der Lage Heeresarchiv Potsdam, Akten 56 und O 187. Seeckt melden mußte, daß sich die Russen im Nordteil der Moldau erheblich verstärkten, wobei es dahingestellt blieb, ob zur Offensive oder Defensive, da hat er wohl resigniert selbst die Überzeugung gewonnen, daß die nördliche Offensive beendet war. An einem Vorwärtskommen Geroks bestanden nicht nur bei Seeckt, sondern auch bei Mackensens Chef, Hell, begründete Zweifel. Seeckt meldete selbst, er beabsichtige wohl die Weiterführung eines Angriffs, glaube aber doch, daß man dazu Verstärkungen haben müsse. Der Gedanke, die Offensive fortzusetzen, bleibt also, trotzdem er für den Augenblick keine Möglichkeit dazu sieht, der für die Zukunft grundlegende. Seeckt hat ihn niemals ganz aufgegeben, und das ist das Bezeichnende für ihn. Man muß dabei betonen, daß zwar die äußere Auswirkung des Grundgedankens lediglich die Stellungsverbesserung zum Ziel hat und haben kann; daß aber Seeckt auch operative Ziele niemals ganz aus seinen Gedanken ausgeschaltet hat. Man kann an dieser Stelle sagen, daß er von Soissons bis hierher meist von der operativen Seite an die taktischen Dinge herankommt, während andere oft von der taktischen Seite her die operativen Entschlüsse entstehen lassen. Noch wenige Tage, bevor man Gerok anhält, entwickelt Seeckt der O.K.L. einen Vorschlag zur Offensive in die Moldau.

Zunächst beabsichtigt man aber noch trotz aller Zweifel, Gerok am 28. August antreten zu lassen. Diese Bewegung ist dann nachher angehalten worden. Es haben dabei mehrere Gründe mitgespielt. Arz verlangt Kräfte für den Kampf am Isonzo. Im ganzen war man nun einmal Nebenfront geworden, und die Kräfte wanderten anderswohin ab. Das begründete auch eine Ablehnung der erneuten operativen Gedanken Seeckts durch Ludendorff. Es waren eben keine Kräfte dafür da. Ein Mißerfolg würde voraussichtlich Heeresarchiv Potsdam, Akte O 471. einen russischen Angriff herausfordern. Man müsse sogar mit taktischen Angriffen vorsichtig sein und sich lieber mit einer etwas schlechteren Stellung begnügen. Dieser Hinweis wurde nötig, weil Seeckt die jetzige Stellung als Dauerstellung für ungünstig ansah und gemeldet hatte, er wolle eine Offensivhandlung zu ihrer Verbesserung auch aus eigenen Kräften versuchen und damit Anfang September beginnen.

Waren hier schon Abweichungen in der Einstellung zum Offensivgedanken, so kam noch hinzu, daß wieder einmal die Heeresfront zwischen zwei nicht ganz übereinstimmenden Ansichten der O.K.L. und der k.u.k. O.H.L. stand. Das ist praktisch wenig zur Auswirkung gekommen und Seeckt dennoch fühlbar geworden. Es ist nämlich eigenartig, daß Ludendorff die Moldau-Operation eigentlich lag, vorausgesetzt, daß man dazu Kräfte übrig hätte. Arz lag die Moldau-Operation natürlich auch. Sie war sein eigener Gedanke. Aber er hatte dafür ganz und gar nicht Kräfte übrig, im Gegenteil, er verlangte solche. Sein Blick war auf die italienische Front gerichtet. In diesen Tagen liefen ja die entscheidenden Beratungen wegen der Karfreiter Offensive.

Zur Defensive zwingt endgültig, daß man immerhin Anlaß hat, sich auf Abwehr eines Russenangriffs einzustellen. Man könnte fragen, warum in solcher Lage Seeckt überhaupt einen operativen Offensivvorschlag noch macht. Er hatte doch eben erst im Brief vom 20. selbst geschrieben: »Ich fürchte, hier wird es nicht mehr viel.« Man geht bei Seeckt selten fehl, wenn man den Grund zu seinem Handeln in der Berücksichtigung des Ganzen im großen Rahmen sucht. Er wollte keine örtlichen Erfolge und keine Schlachten gewinnen. Ihn treiben die Dinge oft beinahe instinktiv auf die Feldzugsentscheidung hin. Die im Juli aufgenommene Offensive sollte sowohl Rußland wie Rumänien friedensgeneigt machen. Es war fast das Gegenteil eingetreten. Die Rumänen hatten zuletzt unbestreitbare Abwehrerfolge. Das große Ziel, ein oder zwei Gegner wirklich auszuschalten, war in der Tat nur durch eine Offensive zu erreichen. Mitgesprochen hat natürlich, daß Seeckts ursprüngliches Angriffsziel, die Sereth-Linie, nur teilweise erreicht war. Jedenfalls hat Seeckts letzter Offensivvorschlag die O.K.L. vor die Entscheidung gestellt, ob gegen Rumänien noch etwas unternommen werden sollte. Die Entscheidung fiel negativ aus. Italien stand im Vordergrund.

Man darf nicht ganz verkennen, daß über Seeckt hinaus hier vielleicht der Erzherzog Josef selbst, der auch den Rest der Bukowina wiederhaben wollte, die treibende Kraft zu weiteren Offensivgedanken gewesen ist. Er war sogar bereit, sich zu diesem Zweck Ob.Ost zu unterstellen, um gemeinsames Handeln zu erreichen.

Am 28. August war Frau v. Seeckt nach Budapest gefahren und traf sich am 31. dort mit ihrem Mann. Frau v. Seeckt ist danach einer Einladung auf Schloß Appony gefolgt, wo sie mit vorzüglicher Gastfreundschaft aufgenommen wurde. Der verhältnismäßig nahe Aufenthalt erklärt die in den Briefen mehrfach erwähnten Telephongespräche. Das Zusammentreffen in Budapest wirkte auf Seeckt als höchst willkommene Entspannung in einer allmählich auffallend bitter gewordenen Stimmung. Jedenfalls ist er in Briefen selten so bitter geworden, wie in dem vom 27. 8. an Landesdirektor v. Winterfeldt:

»... Die letzte Reise durch die zur Zeit einmal wieder befreite Bukowina mit Schlußbesuch in der griech-orient. Bischofsresidenz in Czernowitz und wieder einmal eine Nacht unter dem Konzert der Masch.-Gew. und Granaten, hätte auch bei Ihnen Erinnerung an gemeinsame Kriegszeiten im Westen erweckt … Schließlich täte ich auch lieber etwas anderes als die Reihe der Soldaten fortzusetzen, die von Wallenstein bis Benedek die Dankbarkeit Wiens gekostet haben. Da mit diesem Seufzer der erste Schritt in das politische Gebiet geschehen, so bleibe ich auf diesem Pfad. In Ungarn ist, wenn nicht der beste, jedenfalls der klügste Mann in Wekerle ans Ruder gekommen, das Esterhazys feingeformten Händen entsank. Er treibt zur Zeit ausgesprochen deutschfreundliche Politik und wäre für bevorstehende Verhandlungen ein uns erwünschter Komparent – hätten wir gleichartiges Kaliber. Ich habe gestern abend auf einem schönen Balkon leidenschaftliche ungarische Klagen, Wünsche und Hoffnungen mit angehört und fand, daß Politik mit Temperament von schönen Frauenlippen gar keine schlechte Musik ist. Es ist nicht der geringste Reiz, daß hier die Politik auch in der Mehrzahl von Leuten der guten Gesellschaft gemacht wird; sie gewinnt an ästhetischem Reiz, eine Eigenschaft, die bei unseren inneren Vorgängen dem Fernerstehenden fehlt. Auch in der Person des neuen Reichskanzlers vermisse ich diese Note – trotz der Uniform des Leibregiments und sehe in ihm äußerlich nicht den Mann, ›zugleich ein Sänger und ein Held‹, dessen Niedersteigen zum Schluß so lächerlich einstimmig erfleht wurde. Armer Bethmann! ich habe ja nie zu seinen blinden Bewunderern gehört, aber daß ihn nun auch die erprobtesten Freunde verließen! Der Zauberlehrling, der einst den Besen rief, der ihn von Falkenhayn befreite und sich nun von demselben Besen selbst hinausfegen lassen mußte! …

Ich halte trotz aller Behauptungen und Ableugnungen die päpstliche Note für einen österreichischen Schritt, wenn ich auch dem Kanzler gern zutrauen will, daß er es nicht glaubt und sich auf Czernin verläßt. Es gibt von Reichenau bei Wien nach dem Vatikan Wege, die der Seelenreinheit deutscher Politik stets verborgen bleiben werden, und errötend wird sie nur an die Möglichkeit denken, daß diese Fäden auch durch einen Alkoven laufen könnten …

Es hat für uns oft etwas Tragikomisches, wenn in Zeiten höchster militärischer Kraftanstrengung vom Frieden wie von einem sicheren Weihnachtsgeschenk gesprochen wird. Ich glaube, in der nächsten Zeit zeigt uns Rußland, daß der letzte ›operative Meisterstoß‹, den sich die O.H.L. zuerkannte, es keineswegs tief erschüttert hat …«

Es ist erkennbar, daß die schwierigen Verhältnisse der Zwischenstellung ihm Anfang September, wie er selbst sagt, etwas auf die Nerven gehen. Damit nur ja nichts an Ärgerlichem fehlt, kommt es auch jetzt wieder Heeresarchiv Potsdam, Akte O 471. dazu, daß Ludendorff rügt, in den letzten Kämpfen seien die Reserven erneut zu weit ab gewesen. Seeckts nächste Briefe klingen teilweise ärgerlich:

»D. 5. September … Nun fängt auch gleich der Arbeitstag an und, da der Erzherzog heute früh von einem Rendezvous mit Kaiser Karl wiedergekommen ist, erwarte ich allerlei Neues … Plötzlich ist viel zu tun und viel durcheinander.

Inzwischen glückte das Telephongespräch mit Dir – verzeih, wenn ich unfreundlich schien, aber ich konstatiere leider, daß meine Nerven nicht mehr allem gewachsen sind. Ich hatte lange gewartet heute früh, und dann kam vielerlei anderes und nicht gerade Leichtes und Erfreuliches … Ich habe den Kopf besonders voll und sehr viel Ärger …

Ich freute mich aber sehr, von Dir so Gutes zu hören – mehr verlange ich wirklich nicht von den Freuden der Welt, als daß Du es etwas hübsch hast …

D. 6. September … Die gestrigen Wellen glätteten sich wieder; ich war böse – aber nicht auf Dich. Zuweilen wird einem das Gezerre etwas zu viel …«

Die Heeresfront besteht seit der ersten Septemberwoche aus der k.u.k. 1., 7. und 3. Armee. Durch die Unterstellung der 3. Armee wurde die einheitliche Führung in der Gegend ostwärts Czernowitz gesichert. Seeckt schreibt davon und von der Ungewißheit der Lage:

»D. 10. September … Nun haben wir in diesen Tagen eine neue k.u.k. Armee unterstellt bekommen; gestern wurden wir unten Bei 1. Armee., heute werden wir oben Bei 7. Armee. angegriffen. Über den Besuch des Erzherzogs Friedrich am 16. käme ich noch eher fort, aber die Vorbereitungen für einen anderen Besuch wollen auch gemacht sein, und schließlich trage ich doch für alles die Verantwortung! Ich habe meine Stellung noch nie so unangenehm empfunden wie augenblicklich! In diesen Tagen steht mir dennoch der Sinn herzlich wenig nach Urlaub, so gern ich zu Dir käme …

Ich sehe recht, wie sich alles anhäuft und auch auseinanderläuft, wenn ich auch nur zwei bis drei Tage dienstlich fort bin …

... Es sind große Vorbereitungen an anderer Stelle im Gange, mit denen ich viel zu tun habe Vermutlich ist die Offensive gegen Italien gemeint.. Du kannst Dir denken, daß ich wirklich den Kopf voll habe.

Die Lage in Rußland – von der ich nebenbei leider ja auch etwas abhängig bin – ist reichlich unklar, nachdem Kerenski ermordet Irrtum. »handschriftliche Notiz« und der Oberbefehlshaber Brussilow abgesetzt ist. Sie scheinen plötzlich nicht recht zu wissen, ob sie uns angreifen sollen oder nicht.«

Wenn man nun auch bewußt zum Stellungskrieg übergegangen war, so war dennoch die Lage für die Heeresfront keineswegs bequem. Man hatte abgegeben, was an Kräften zu entbehren war. Das will etwas heißen, wenn man eine Front von 300 Kilometern mit 29 Divisionen und 7 Kavallerie-Divisionen, von denen eine deutsche Division und 2 Kavallerie-Divisionen auch noch bald abgegeben werden müssen, zu decken hat. Dabei rechnete Seeckt Mitte September durchaus mit der Möglichkeit von Angriffen. Sie blieben auch keineswegs aus, wenn sie auch örtlich recht begrenzt waren.

Während er sich noch lebhaft mit den Vorbereitungen für den bevorstehenden Kaiserbesuch beschäftigte, erhielt er den Befehl, sich am 19. September in Kreuznach zu einer Besprechung einzufinden. Am 16. fuhr Seeckt infolgedessen zunächst nach Budapest. Dorthin war seit drei Tagen Frau v. Seeckt aus Appony zurückgekehrt. Sie begleitete nunmehr ihren Mann nach Berlin, wo sie am 18. ankamen Seeckt benutzte wieder seinen Sonderwagen 0 128, der für ihn schon auf so vielen Fahrten Quartier und Fortbewegungsmittel gewesen war. An diesen Wagen hatte er eine Anhänglichkeit, gleichsam wie an ein Haus, das ihm längere Zeit Wohnstatt gewesen war.. Er berichtet über Kreuznach in einem Brief an die Mutter vom 2. 10. 1917:

»... Ich erhielt unerwartet den Befehl, nach Kreuznach ins Große Hauptquartier zu kommen. So reiste ich am 16. September nach Budapest, wohin ich die Fahrt mit meinem besonderen Gönner, dem Erzherzog Friedrich machte, traf dort Dodo … und kam am 19. morgens in Kreuznach an. Dort den ganzen Tag Besprechungen und Orientierung über politische und militärische Lage, viele Bekannte gesehen und viel gehört. Ein Tag im schönsten Deutschland zwischen den üppigen Weinbergen und bei heißer Sonne. Abends wieder zurück; am nächsten Morgen in Berlin Dodo wiedergetroffen. Ich hatte lange im Ausw. Amt zu tun und sprach auch hier in den wenigen Stunden eine Menge Menschen, am Nachmittag ging es weiter, um am nächsten Morgen in Budapest zu sein …«

Was in Kreuznach verhandelt worden ist, hat Seeckt nirgends festgelegt. Es war eine allgemeine Chefbesprechung, in der nichts verhandelt wurde, was Seeckt insbesondere betraf. Die Deutsche O.H.L. beschäftigte sich damals mit den ›Mindestforderungen‹ für den Frieden Heeresarchiv Potsdam, Akte P 56., wobei man betonte, daß ein Friede vor Beginn des Winters für erstrebenswert gehalten werden mußte. Da man sonst nicht weiß, was in Kreuznach verhandelt wurde, läßt sich der Gedanke nicht ganz von der Hand weisen, es sei dort doch noch einmal die Frage einer Großoffensive im Osten erwogen worden. Der Gedanke der Wiederaufnahme der Moldau-Operation bestand tatsächlich. Seeckt hat über Kreuznach auch im Gespräch zu seiner Frau keinerlei Andeutungen gemacht, als diese ihn bei der Rückfahrt bis Budapest begleitete. Er fuhr dann in das neue Stabsquartier nach Klausenburg weiter, wo er am 20. 9. eintraf, während Frau v. Seeckt wieder nach Appony zurückkehrte.

Während der Abwesenheit Seeckts hatten die Rumänen am Oitoz vergeblich angegriffen; sonst war Wesentliches nicht vorgefallen. Mit russischen Angriffen konnte man ja kaum rechnen, solange die Kämpfe zwischen Kerenski und Kornilow alles mehr und mehr in Verwirrung brachten.

In den Tagen vom 23. bis 28. September ist Seeckt mit Kaiser Wilhelm unterwegs in Kronstadt, Hermannstadt, am Rotenturm-Paß, in Klausenburg, bei Kolomea und am Tartaren-Paß. Seeckt berichtet wenige Tage danach seiner Frau voll Freude, daß der Kaiser wieder sehr gütig zu ihm gewesen sei:

»D. 25.9. … Der gestrige und heutige Tag sind bei schönstem Wetter sehr hübsch verlaufen – alles klappte. Die Begeisterung ist in beiden sächsischen Städten und in den Dörfern riesengroß – die Menge in ihren bunten Trachten ganz einzigartig. S.M. ist von ganz besonderer Freundlichkeit gegen mich; ich kann das gar nicht genug betonen und empfinden. Das ausschließliche Unterhalten mit mir bei Tisch ist fast zu viel für die anderen …«

Eine kurze Schilderung enthält auch der bereits erwähnte Brief an die Mutter vom 2. Oktober:

»... Der Besuch unseres Kaisers, der 5 Tage dauerte, ist sehr hübsch verlaufen. Am ersten Tage wurde Kronstadt besichtigt, wo begeisterte Begrüßung durch die Bevölkerung, am nächsten Tag Hermannstadt; an beiden Tagen Vorträge über die Schlachten des vorigen Jahres in dieser Gegend und Fahrten in das Gebirge. Dann ging es nach der Bukowina, wo an einem Tag Truppen an der Front besichtigt wurden, am letzten Tag eine Fahrt in das Gebirge zu früheren eigenen und russischen Gefechtsstellungen mit einem herrlichen Überblick über die Bergwelt stattfand. Alles bei schönstem Wetter und ohne Unfall und Störung. Persönlich habe ich viel davon gehabt, da ich die Tage fast unausgesetzt mit dem Kaiser zusammen war, die langen Fahrten mit ihm machte, beim Essen neben ihm oder ihm gegenüber saß und er dann fast ausschließlich mit mir sprach. Unendlich viel hat er mir erzählt und gesagt, wenn wir allein waren, mit einer rückhaltlosen Offenheit über alles gesprochen, Inneres und Äußeres. Zu meiner großen Freude konnte er aber auch zuhören, und ich habe ihm manches sagen dürfen. Er war ganz außerordentlich gütig zu mir bis zum letzten Abschiedswort. Am schönsten war sein ungebrochener Optimismus und sein festes Vertrauen, dazu seine tiefe Dankbarkeit gegen seine Armee. Bezwingend ist seine Einfachheit in der Form der Unterhaltung … So freute er sich auch sichtlich, als ihm von sächsischen Bäuerinnen einfache Stickereien für die Kaiserin überreicht wurden. In Hermannstadt standen, als wir aus der alten Kirche herauskamen, zu vielen Hunderten die Deutschen in ihren alten Trachten und begrüßten ihn. Er sprach wohl eine Stunde mit den Leuten …«

In Hermannstadt Mitteilung von Generalleutnant Köstring. hatte der protestantische. Bischof von Siebenbürgen den Kaiser auf angebliche Bedrückung deutscher Minderheiten hingewiesen. Der Kaiser erklärte sofort, er werde das noch am selben Abend dem Kaiser Karl sagen. Seeckt sah in dieser Absicht die Gefahr einer Einmischung in innere ungarische Verhältnisse. Bei der ganzen Einstellung des Kaisers Karl konnte das eine unerwünschte Verstimmung geben. Seeckt bemühte sich daher, Kaiser Wilhelm von seiner Absicht abzubringen. Es war nur schwer festzustellen, wer es dem Kaiser sagen sollte. Niemand erklärte sich bereit. Da ging Seeckt selbst ganz ruhig hin und sagte dem Kaiser seine Ansicht. Im ersten Augenblick war der Kaiser etwas unangenehm berührt und wendete sich nicht gerade sehr gnädig ab. Kurz bevor der Zug sich in Bewegung setzte, erschien der Kaiser am Fenster, winkte Seeckt heran und sagte zu ihm: »Sie haben recht, ich werde ihm nichts sagen.«

Erzherzog Josef hatte natürlich den Kaiser auf der Fahrt begleitet. Er hatte auch selbst über die Kämpfe Vortrag gehalten und vermerkt nach einem solchen Vortrag Erzherzog Josef, Der Weltkrieg usw.: »... Zuerst kam der alte Plessen und sagte bewegt: Wir Deutschen danken dem warmfühlenden Mann, der all dies gesehen und gefühlt hat. Zum Schluß kam mein wackerer Freund, der gewöhnlich so kühle Generalstabschef General v. Seeckt: Einen solchen Vortrag ist es eine Freude anzuhören. Ich gratuliere gehorsamst.«

Am 29. 9. ist Seeckt wieder in Klausenburg. Er legt unmittelbar nach der Rückkehr die Direktiven für die kommende Zeit fest. Die 1. Armee müsse mit feindlichem Angriff, besonders am Oitoz, rechnen. Verbesserung der Stellung sei anzustreben. Bei der 7. Armee sei eine russische Offensive unwahrscheinlich. Die Gesamtlage lasse eine eigene Offensive aus dem Bereich dieser Armee für später immer noch als möglich erscheinen. Die Armee solle dem Rechnung tragen, ohne dies in ihren Befehlen zum Ausdruck kommen zu lassen. Für die 3. Armee sei nicht einmal eine an sich wünschenswert erscheinende Stellungsverbesserung möglich. Sie sei selbst dafür zu schwach. Aber der Gedanke einer späteren Offensive wird selbst hier angedeutet.

Am 4. Oktober fuhr Seeckt erneut nach Budapest, wo er nochmals mit Frau v. Seeckt zusammentraf. Am 8. 10. kehrte er nach Klausenburg zurück. Während Seeckts Abwesenheit griff der Russe am 6. bei der 7. Armee an. Das Heeresfrontkommando war zwar über die Lage drüben gewiß zutreffend, häufig durch russische Funksprüche, unterrichtet. Einigen Truppen scheint aber der russische Angriff so unerwartet gekommen zu sein, daß man bei ihnen förmlich von einer Panik Es waren keine deutschen Formationen. sprechen muß. Seeckt hat das Unheil ziemlich ruhig hingenommen. Er hatte mit solchen Angriffen gerechnet. Er glaubte, daß die Propaganda in letzter Zeit wenig Erfolg gehabt hätte. Drüben sei Stimmung für einen baldigen Angriff, wenn die Aussicht bestünde, damit den Krieg vor Winterbeginn zu beenden. Jedoch eine Offensive sei nicht unmittelbar bevorstehend und eine solche mit weit gestecktem Ziel so gut wie ausgeschlossen. Infolgedessen klingen die Briefe nach der Rückkehr zunächst durchaus ruhig.

»D. 8. Oktober … Einen Gruß und noch einmal so innigen Dank für alle Liebe und Güte, die ich in diesen Tagen genoß; es war so hübsch und wohltuend. Etwas alt und klapprig ist man geworden, aber auch das wirst Du ertragen, wie bisher eben alles in Güte und Verständnis. Vielleicht wird man noch einmal mobiler und vergnügter, wenn man nichts weiter mehr zu tun hat, als Dir das Leben zu verschönern. Möchte es bald sein! …

D. 9. Oktober … In diesem Augenblick verläßt Dein Zug mein Land … Wärst Du nicht, ich könnte es schon hier draußen aushalten. Aber Du bist – und so möchte es mal ein Ende nehmen – ein Ende mit Ehren, nicht äußeren, aber inneren …

Es ist hier trotz Ruhe an der Front viel zu tun, nachdem ich mit Kaisern und Katzen und ohne solche in der Welt herumgeturnt bin, und auch sonst habe ich allerlei zu ordnen und zu schreiben. So werde ich fürs erste jetzt hierbleiben …

D. 11. Oktober … Inzwischen habe ich den neuen Schnitzler gelesen und bewältigt; ich finde ihn trotz glänzend glatter Erzählungsform, die schon an Paul Heyse erinnert, außerordentlich schwach. Unter den Büchern, die ich mit dem nächsten Kurier zurückschicke, befindet sich auch Dauthendeys ›Lingam‹, bei dem der Name das Schlimmste ist. Ich empfehle, es wegen seiner zum Teil entzückenden Naturschilderungen zu lesen: Colombo und Newara Elyia wirst Du auch wiedererkennen und es wird gleich wie bei mir auch bei Dir eine herrliche Erinnerung wachrufen. Denkst Du noch an unsere Erklimmung des Pedrotallagalla? Wo die Besteigung uns durch Vorsicht vor giftigen Schlangen noch erschwert wurde. Ach, aber dann oben in 2000 Meter Höhe das Gebüsch von blutrotem Rhododendron über wildem Gestrüpp von Callas; es war eine tüchtig anstrengende Tour, der dann die Schlafwagenfahrt von Kandy zurück nach Colombo folgte, die ich mit dem tauben alten General Kitchener Bruder des bekannteren Generals., Du mit seiner niedlichen Tochter vereint machen mußte. Was waren wir müde! Und dann folgte noch ein wundersamer Tag in Galle Face Hotel, ehe wir dann die Überfahrt nach dem Wunderland Indien antraten. Ja, damals machte man diese Reise doch noch vereint, was hübscher war als die endlose Trennung der Kriegszeit! Wir haben schon wieder strahlende Herbsttage mit heißer Sonne und warmen Nächten – ein nicht zu ermattendes Jahr …

Das Theaterstück, das Du sahest und das die Lebensmittelnot auf die Bühne bringt, muß nicht hübsch gewesen sein. Welch ein Vorwurf für Ibsen: ›Hungergespenster oder die eingemachte wilde Ente‹ – ›Nora oder die Kriegskinderküche‹ – ›Die Frau vom Meer oder die Seefisch-Verwertung‹ usw. …«

Seeckt besitzt noch immer den Optimismus und die Zähigkeit, den offensiven Leitgedanken aufrechtzuerhalten. Sein Offensivstreben ist nicht mangelnde Einsicht. Das geht aus seiner Lagenbeurteilung vom 13. 10. Heeresarchiv Potsdam, Akten 57 und O 188. deutlich hervor. Er prüft darin sogar die Frage, ob an einzelnen Stellen zur Verbesserung der Front die Linie zurückgenommen werden müsse. Allerdings verneint er sofort die Frage. »Freiwillig darf kein Land aufgegeben werden, solange noch die Aussicht auf Wiederaufnahme eigener Offensive bestünde.« In dem Gedanken, die Offensive doch wieder aufnehmen zu können, nimmt er sogar nachteilige Stellungsteile hin. Ludendorff schreibt an den Rand der Seecktschen Lagenbeurteilung: »Eine Offensive kommt nicht mehr in Frage.« Er empfiehlt daher, zur Stellungsverbesserung freiwillig Stellungsteile aufzugeben. Man muß sich auch hier wieder vergegenwärtigen, daß Seeckt durchaus an sich ein Vertreter der beweglichen Verteidigung war. Hier bringen ihn zwei Gründe zum Festhalten. Einmal die Bewertung der Truppe, worauf an anderer Stelle eingegangen ist; zweitens aber der unbesiegliche, fast naturhaft lebendige Trieb, keine Möglichkeit jemals vorzeitig aufzugeben, durch Offensive zu einer Entscheidung zu kommen. Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß Seeckt wirklich ein Festhalten gewollt hat. Er hat es mündlich bei den A.O.K.s deutlich zum Ausdruck gebracht. Er hat sich auf das Nichtzurückgehen klar festgelegt. Wenigstens macht er von Ludendorffs Ermächtigung, Stellungsteile aufzugeben, keinen Gebrauch. Man muß zugeben, daß Seeckt hier in dem Bestreben, festzuhalten, was er um des Offensivgedankens willen nicht aufgeben mochte, zu weit gegangen ist. Tatsächlich hat die Stellung später an einzelnen Stellen ihrer Ungunst wegen nicht gehalten werden können. Zu einer Entscheidung, wer in diesem Falle recht gehabt hat, ist es nicht gekommen. Die Offensive großen Stils blieb auf beiden Seiten aus.

In die Lage Mitte Oktober paßte Seeckts Offensivstreben nicht mehr hinein. Man verlangte aus Baden für Italien Abgaben, die selbst dem gebefreudigen Seeckt immer bedenklicher erschienen. Es muß ihm unwillkürlich die Erinnerung an 1916 gekommen sein, wo man die Front allmählich so geschwächt hatte, daß man den Russenangriff geradezu herausforderte. Auch die Einwohnerschaft von Czernowitz dachte daran zurück, so daß man in der Stadt fast eine Panik befürchtete. Die Dinge lagen jetzt auch keineswegs so, daß etwa ein russischer Angriff völlig unmöglich erschien. Seeckt war sehr gut über die Zustände bei den Russen unterrichtet, wie er denn überhaupt in dieser Zeit eine außerordentlich ergiebige Nachrichtenquelle für die deutsche O.H.L. bildete. Er reichte Berichte ein über die Frage des österreichischen Durchhaltens im Winter 1917/1918, was man für möglich hielt; er schickte einen ihm zugegangenen Bericht über die Stimmung in England; er äußerte sich eingehend über die ukrainische Frage; und, wie gesagt, ihm flossen dienstlich und auch nichtdienstlich Nachrichten über russische Zustände zu. Seeckt gab sich über Rußland keiner Täuschung hin. Gewiß war vieles im Stürzen, die Infanterie zermürbt; aber Flieger und Artillerie waren nicht nur kampffähig, sondern sogar angriffsbereit.

Unter solchen Umständen sollte man die Schwächung der Heeresfront auch nicht übertreiben Die Heeresfront litt auch noch unter Verpflegungsschwierigkeiten, die einen bedenklichen Grad erreichten. Seeckt tat sein Möglichstes, es zu bessern. Es waren aber recht viel Kolonnen nach Flandern abgegeben.. Ludendorff stimmte mit dieser, vor allzu großer Sorglosigkeit warnenden Ansicht Seeckts vollkommen überein. Er hielt es sogar für nötig, sich deshalb an Arz zu wenden. Dieser meinte, Seeckt müsse dann wohl seine Ansicht geändert haben. Bisher habe er stets noch Kräfte angeboten. Seeckt hatte seine Auffassung nicht geändert. Aber seine ganze Reserve bestand nunmehr in zwei Kavalleriebrigaden. Die Grenze der Abgabefähigkeit war erreicht.

Am 24. begann die Offensive gegen Italien.

»D. 25. Oktober … In Italien ist es also gestern losgegangen und mit sehr gutem Anfangserfolg; es kann sehr hübsch werden. Der Erzherzog leidet direkt darunter, nicht mit dabei zu sein, was ich durchaus verstehe. Italien ist nun einmal ihr Lieblingskriegsschauplatz … In Frankreich wird auf mir sehr wohlbekanntem Boden gekämpft. Daß Pinon nur noch ein wüster Trümmerhaufen, ist ordentlich wehmütig …«

Auch in Flandern sind harte Kämpfe.

»D. 27. Oktober. Geliebte Dicke – viel Unruhe in der Welt. In Frankreich wird schwer gekämpft und einst schwer gewonnener und zäh verteidigter Boden ist dort verloren gegangen. Inzwischen siegen wir in Italien und hier warten wir, ob die Russen sich entschließen, den bedrängten Freunden wie 1916 zur Hilfe zu kommen …«

Das klingt so einfach: hier warten wir. Man mußte natürlich damit rechnen, daß es in so gespannter Lage auf allen Fronten wieder losginge. Ludendorff hatte durchaus recht, wenn er die Heeresfront darauf hinwies, daß allein die Offensive in Italien eine starke Gegenwirkung auf allen anderen Fronten auslösen könne, und daß ein russischer Erfolg die gesamte Kriegslage ungünstig beeinflussen müßte. In der Tat begann Seeckt, mit einer drohenden Angriffsgefahr gegen Conta zu rechnen. Der Brief vom 30. Oktober bringt dies auch zum Ausdruck:

»... Zur Zeit ist alles in Spannung, drüben hat man sich wohl noch nicht so ganz gefaßt nach dem Schlag in Italien, doch es scheint vorläufig, als ob Rußland sich nicht mehr zu etwas Großem aufraffen könne. Da aber auch kleine Rückschläge zu vermeiden sind, so muß man doppelt hier aufpassen … Doch auf kurz oder lang klärt sich das wohl, besonders, wenn der Winter einsetzt und dann komme ich, da ich nicht annehme, daß man mit unserer Front oder mit mir irgend etwas Besonderes vorhat. Möglich ist, daß man sagt: So jetzt haben wir euch die Italiener vom Halse geschafft, nun übernehmt eure Grenzen allein, auch in Siebenbürgen und Galizien, und die deutschen Truppen alle wegzöge. Ich machte es so …

Also Winterfeldt ist sorgenschwer – ich glaube es schon. Rödern als Reichskanzler kommt auch mir etwas seltsam vor, nicht ganz so wie der Bade-Max, der ja ganz ernsthaft genannt wird. Aber wie konnten sie auch nur Michaelis nehmen – daß einer unadlig, ist doch schließlich trotz Ludendorffs glänzendem Vorbild kein absoluter Beweis für Eignung, und allein mit der Beseitigung der ›adligen Clique‹ ist es auch noch nicht geschehen. In diesem Sinne wäre vom Standpunkt des Humors der Bade-Max eigentlich am hübschesten, und warum soll nicht der Humor auch zu seinem Recht kommen!

Mir scheint Bülow nicht so übel, doch ich würde es nach der anderen Seite bedauern, wenn der Kaiser sich zu etwas entschließen sollte, was ihm unsympathisch sein muß. Sein Royalismus ist kaum echt …«

An Landesdirektor v. Winterfeldt am 4. 11.:

»Sehr verehrter Herr v. Winterfeldt: Die Schilderung, die Ihr sehr freundlicher Brief vom 26. 10. von der inneren Lage entwirft, ist nicht erfreulich und diese könnte fast verzweifelt genannt werden, bestünde nicht die Zuversicht auf die innere Gesundung unseres Volkes. Ich verkenne nicht den Ernst der Stunde und sehe den Abgrund wohl, dem wir unweigerlich zuwandern, wenn nicht eine starke Hand im letzten Augenblick das Lenkseil ergreift. Es ist nutzloses Bemühen, jetzt festzustellen, was gefehlt ist und wer gefehlt hat, es sei denn, um sich klar darüber zu werden, was wir noch von der unseligen Erbschaft zu erwarten haben, die uns der erste Kriegskanzler hinterlassen hat. Trotz manchem, was mich sehr bedenklich macht und wozu ich in erster Linie Rom rechne, sehe ich doch beim Grafen Hertling manches, das auf der guten Linie liegt. Ich zähle dazu, daß er nach seiner ganzen Vergangenheit und Geistesrichtung ein Mann des Autoritätsgefühls sein muß, dann aber – und das klingt vielleicht überraschend – daß er Partikularist ist. Bayrischer – gewiß; aber so kann er nicht gegen den Partikularismus Preußens sein, und da dieses im Reich nichts mehr zu sagen hat, muß er sich nach Bundesgenossen umsehen. Da wir keinen Preußen haben, der sich zum Ministerpräsidenten eignet, ist als solcher der bayrische Partikularist besser als der Reichsdemokrat. Es ist nicht das erstemal, daß der Reichsgedanke demokratisch ist und wir das Gegengewicht in den Bundesstaaten suchen müssen; Bismarck erkannte dies schon deutlich in seinen letzten Jahren. Ich nannte Rom und meine damit den vereint von dort ausgehenden Einfluß auf die Friedensstimmung, nicht etwa den Katholizismus an sich. Es geht zur Zeit nicht um solche Fragen; es geht ganz einfach um die Krone, und da ich mit ihr bei uns nun einmal unsere Stärke unlöslich verknüpft weiß, so geht es um das Reich, um Ehre und Macht. Aus dieser Erkenntnis habe ich vor einer ganzen Zeit schon gesagt: wir müssen alle mit einem Mehr an monarchischem Denken aus dem Krieg kommen. Daß ich dies erst kürzlich laut meinen ungarischen Freunden gepredigt habe In seiner Ansprache am Geburtstage Kaiser Karls., mag zeigen, daß meine Überzeugung nicht mit einem persönlichen Treuegefühl zusammenhängt, nur mit ihm zusammenfällt. Gegen diese Pflicht der Stärkung des monarchischen Gedankens ist viel und von sehr vielen gesündigt worden, auch von solchen, die in erster Linie zur Wahrung berufen waren. Ich brauche Ihnen weder Namen noch Kreise zu nennen, ich sehe aber das Gegenteil des Gewünschten oder höre es. Sogar die Nauener Funksprüche werden unmanierlich. Da ich nun vorläufig annehme, daß der neue Reichskanzler monarchisch gesinnt ist und mit seinen 74 Jahren doch wohl nicht mehr umdenken wird, so bin ich nicht weiter unzufrieden – es hätte schlimmer kommen können, auf Besseres war ich nicht gefaßt. Er ist ja zweifellos ein Übergangsmann; es fragt sich nur wozu. Ich denke an Oraniens Überlegung im Egmont, daß König Philipp, nachdem er alles versucht hat, – Alba in die Niederlande schickt … Ich verschließe mich keineswegs der Einsicht, daß der Kampf im Inneren heute auf alle Fälle seine sehr ernste Gefahr hat, nachdem man so weit gegangen ist. Es ist hier wie im Krieg: reine Defensive ist letzten Endes Niederlage und keine noch so schöne Siegfriedstellung verwandelt Rückzug in den Sieg. Nach dem Siegfried kommt die Götterdämmerung. Soll diese uns erspart werden, so muß zum Angriff übergegangen werden – der italienische Feldzug zeigt es; griffen wir jetzt nicht an, so brachte die 12. Isonzoschlacht den Italienern Triest. Das war niemand klarer als den Österreichern selbst …

Doch ich will mich nicht auf das militärische Gebiet begeben, von dem ich doch nichts Rechtes verstehe, und mich nochmals auf das politische wagen, das dem Dilettantismus williger die Grenzen öffnet. Es mag die Frage sein, ob der Augenblick für die innerpolitische Offensive gekommen und ob nicht noch dieser Versuch zu unternehmen war, dessen Devise doch erkennbar das divide et impera ist, das uns in der äußeren Politik andauernd so trefflich mißlingt … Es ist Sache einer einigermaßen geschickten Führung, zu retten, was noch zu retten ist, freilich auch mit Anstand aufzugeben, was doch nicht zu halten. Schwerer liegt die Aufgabe, eine äußere Politik zu führen, die annähernd der militärischen Lage gerecht wird … Hier liegt der Kern der ganzen Frage, die an sich für jeden ruhig Denkenden so einfach ist. Der Friede kommt, wenn England zu ihm bereit ist, und dann entscheidet trotz allem die militärische Lage allein. Was können wir denn erreichen? Das kann heute niemand sagen und daher war es stets ein Unsinn, ernsthaft von Kriegszielen zu sprechen, d. h. von denen, die man wirklich zu erreichen hofft, und von denen, mit denen man sich allenfalls begnügen kann. Ich glaube und hoffe, in diesem entscheidenden Augenblick findet sich der Mann, der uns trotz allem einem Frieden zuführt, der das Opfer wert ist, auch gegen die Stimmung der Mehrheit. Bringt er den Frieden in Ehren, so wird man ihm nicht einmal die parlamentarische Absolution vorenthalten. Wir haben dafür in Preußens Geschichte ein Beispiel …« Gemeint ist wohl Bismarck 1866.

Der Brief vom 4. November an Frau v. Seeckt bringt die erste Andeutung Seeckts über eine andere Verwendung für ihn:

»... Was nun die Hauptsache betrifft, so will ich Dir heute, und vorbehaltlich näherer Angabe im nächsten Kurierbrief, nur sagen, daß seit heute früh mein Bleiben hier mehr als fraglich geworden ist, nicht etwa aus persönlichen Gründen, sondern aus sachlichen. Voraussichtlich bleibe ich noch einige Zeit hier, doch kaum noch lange. Was dann wird, ist noch ganz unbestimmt – das ist nun einmal der Krieg. Auf ein Wiedersehen rechne ich dabei, kann aber Näheres durchaus noch nicht sagen, weil ich es selbst nicht weiß. Also zunächst abwarten! …

Vorgestern kamen Deine schönen Gaben – tausend Dank. Gerade betrachtete ich den letzten Rest einer Flasche Bürklinschen Kirschwassers mit Wehmut und legte eine letzte von Dir aus Budapest stammende Zigarettenschachtel wieder aus der Hand, um sie Reliquie, nicht Genußmittel sein zu lassen, als Deine auffrischende Sendung kam. Wie lieb von Dir …«

Daß Seeckt wegkommen mußte, darüber wird er seit dem 3. November keinen Zweifel mehr gehabt haben. In den Akten taucht die ganze Frage zum erstenmal am 3. 11. auf Heeresarchiv Potsdam, Akte O 438.. Seit diesem Tage wußte er, daß die deutsche O.K.L. die Westoffensive vorzubereiten begann und daß infolgedessen jede deutsche Truppe fortgezogen werden mußte. Seeckt konnte sich dabei ernste Sorgen nicht verhehlen. Er hatte selbst geschrieben, er würde alle deutschen Truppen fortnehmen. Er beurteilte auch am 3. November die Lage dahin, die Russen seien nicht mehr in der Lage, eine Entlastungsoffensive für Italien durchzuführen. Aber was zur Ablösung der deutschen Truppen kam, mußte er pflichtgemäß als unzureichend bezeichnen. Seeckt meinte, es sei gefährlich, Österreich ganz allein zu lassen.

Die Möglichkeit, daß Seeckts Mission zu Ende sein könne, lag natürlich mit dem Augenblick nahe, als man nach und nach alle deutschen Truppen fortnahm. Erzherzog Josef schrieb selbst: »... Die Deutschen nehmen ihre ganze Artillerie weg, ihre sämtlichen Minenwerfer, ja sogar meinen hervorragenden Generalstabschef, den General v. Seeckt, mit dem mich warme Freundschaft verbindet.«

Der Gedanke des Fortkommens beschäftigt Seeckt lebhaft im nächsten Brief:

»D. 6. 11. Also die Sache ist die – es werden in den nächsten Wochen alle deutschen Truppen von der Heeresfront abgezogen, sie sollen es allein hier machen. Weiter ist noch nichts bekannt. Es liegt nun der Schluß nahe, daß damit meine Rolle hier ausgespielt und der deutsche Stab hier auch überflüssig oder unmöglich wird; denn ohne deutsche Truppen verliert die Einrichtung ihre Berechtigung, und ich kann mir nicht denken, daß sein Bleiben von uns gewünscht und von drüben ertragen wird. Nur Vermutung, vielleicht ist es oben selbst noch nicht recht klar, was werden soll. Ob der Stab irgendwo anders Verwendung findet, ob er aufgelöst wird, ist völlig ungewiß. Vorläufig werde ich wohl jedenfalls die Ablösung, die nicht ganz einfach ist, durchzuführen oder einzuleiten haben. Was dann mit mir wird, ist dunkel. Daß ich hier bleibe, halte ich für unwahrscheinlich, beinahe unmöglich. So kann ich über die nächste Zukunft nichts sagen und auch über Wiedersehensabsichten nicht …; irgendwie führt mich der Weg doch wahrscheinlich über Berlin. Du bist ja nun schon eine so kriegs- und friedenserprobte Soldatenfrau geworden, daß Dich auch nichts mehr wundert und Du nicht mehr erstaunt bist, wenn wieder einmal alles ganz anders kommt, als man gestern noch dachte. Mehr ist heute noch nicht zu sagen …

Eben kommen zwei liebe frische Briefe, die meine Laune, welche durch Schnupfen und Unsicherheit der Lage nicht allzu rosig war, aufgebessert haben … Ich lege noch ein document humain bei, das ich aufzuheben oder wegzulegen bitte …«

Das in den Schlußworten erwähnte Dokument waren die Reden, die am 70. Geburtstag des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg gehalten wurden. Für Seeckt bezeichnend war dabei eine Randbemerkung. Es hieß in der Rede Ludendorffs, als er von der Zukunft sprach: »In dieser Lage werden an den Chef des Generalstabes des Feldheeres Entschließungen herantreten, die von ungeheurer Tragweite sind.« Von Seeckts Hand steht daneben: Wo bleibt der Oberste Kriegsherr? An sich gaben natürlich die Worte Ludendorffs zu dieser Bemerkung kaum Veranlassung. Seeckt aber sah die Dinge von Anfang an anders. Er hätte diese Frage stets, vor der Marneschlacht, am Tage der Marneschlacht, danach und immer gestellt. Er stellte sie hier und er hätte sie zweifellos in jeder kommenden Lage wieder gestellt. Es war keine Kritik an den Worten der Rede. Es war ein Bekenntnis, allerdings ein Bekenntnis, das in sich, wenn es jemals zur entscheidenden Tat hätte werden können, vielleicht rettendes Schicksal enthielt.

Der Brief vom 8.11. drückt Sorge und Ärger aus:

»... Sehr viel klarer ist für uns die Lage heute nicht, da über die Durchführung der Maßnahme, von der ich vorgestern schrieb, noch unausgesetzte Verhandlungen höchst verwickelter Art schweben und ich keine rechte Klarheit über die Absichten schaffen kann. Es wird alles befohlen, ohne mich zu fragen, und dann soll ich die Verantwortung übernehmen, daß es auszuführen geht. Jedenfalls dauert die ganze Sache ziemlich lange und vorläufig ist noch kein Entschluß darüber gefaßt, wie es besonders mit mir und uns werden soll!

Den Erzherzog habe ich doch von der Front zurückgerufen; er ist noch ziemlich außer sich über die Idee unserer Trennung und glaubt noch nicht an sie …

D. 10. November … Es wickelt sich hier alles sehr langsam, aber jetzt glatter ab. Es ist noch keinerlei Entscheidung gefällt. Vorläufig scheint man abwarten zu wollen, daß man drüben beantragt, mich fortzunehmen, was zweifellos und begreiflicherweise geschehen wird. Also Ungewißheit, auch die russische Entwicklung muß abgewartet werden! …

Heute hatte ich holländische Ärzte bei Tisch, von denen der eine ein netter Mann und noch dazu aus Breda Das Velasquezsche Gemälde: »La Rendicion de Breda« im Prada-Museum in Madrid hatte auf das Ehepaar Seeckt 1903 unauslöschlich tiefen Eindruck gemacht. Von dem Gesichtsausdruck des spanischen Siegers, als ihm der mürrisch blickende holländische Bürgermeister den Schlüssel der Stadt überreicht, sagte Seeckt: »So müßte stets ein Sieger dem Besiegten gegenüber aussehen, wenn er ihm und sich die Schwere erleichtern will.« Er ahnte damals nicht, wie oft er diese Schwere in beiden Rollen erleben sollte. war …«

Am 8. November wurde Kerenski gestürzt. Die Sowjets übernahmen die Macht. In einem Telegramm an Seeck Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1127. bezeichnete die deutsche O.H.L. den Sieg des Arbeiter- und Soldatenrates für erwünscht. In diesem Sinne sollte die Propaganda erfolgen. Die Lage in Rußland wurde dadurch besonders schwierig, daß nach wenigen Tagen Kerenski den Versuch machte, die Gewalt wieder an sich zu reißen. Der Brief vom 12. 11. spricht davon:

»... Ich kann hier jetzt nicht fort. Eine sehr hübsche Erfahrung mache ich jetzt noch … Jetzt, wo es ihnen gut geht und sie mich doch wahrscheinlich bald nicht mehr gebrauchen, schlagen sie einen Ton gegen mich an, der unglaublich wäre, wenn ich ihn nicht komisch nähme … Dergleichen Freundlichkeiten kommen aber ausschließlich von Baden, nicht etwa von den eigenen Armeen, obwohl diese doch oft genug unter mir und über mich geseufzt haben mögen, und schon erst recht nicht aus dem eigenen Stabe. Ärgerlich und unbequem genug bin ich ihnen 1½ Jahre gewesen, daher nehme ich es ihnen nicht übel; ich habe sie nur zweimal aus dem Dreck gezogen – ohne mich – na, lassen wir es; es kommt nicht darauf an …

Über die weitere Entwicklung kann ich heute noch nicht mehr sagen. Ich glaube, sie wissen es selbst noch nicht so recht, was eigentlich werden soll – – – Der Erzherzog … hält das Benehmen seines Oberkommandos für ›uncommentmäßig‹ und ärgert sich – welchen Gefallen ich ihnen nicht tue …

Ganz so unrecht, wie Ihr alle denkt, haben wir nun doch nicht mit Italien gehabt, wenn auch manches dagegen spricht, so selbstlos zu sein. U. a. haben wir Arbeitskräfte für unsere Kohlen bekommen und wohl allerlei Eßbares im Laufe der Zeit. Dann aber muß man ohne Liebe und Hast die Sache als gemeinsame ansehen und über 300+000 Feinde weniger ist doch eine sehr in das Gewicht fallende Erleichterung. Daß die Sache militärisch glänzend angelegt und durchgeführt worden ist, darüber kann kein Zweifel sein und Sieg ist Sieg. Die Folgen werden nicht ausbleiben.

In Rußland geht es auf und ab; ich behielt recht mit meiner kühlen Beurteilung der Lage dort. Gestern war Kerenski wieder oben, ein Mordskerl. Schließlich endet es doch mit einer Militärdiktatur – bei uns vielleicht auch, und Dein Freund Jagow sagte schon vor dem Krieg, das sei die vernünftigste Regierungsform.

Ich freue mich sehr über Deine Musik, ausgeübte und gehörte. Die heilige Kunst – in welcher Form sie sich auch bietet – überdauert menschliche Schwächen und selbst Krieg und Geschrei – wie die noch heiligere und größere Natur. Und daß man einmal den Petersdom gesehen hat und die Rosen zwischen dem Lorbeer in den Villen, das kann einem niemand nehmen, Besitz für immer Motto des Ex libris von Hans v. Seeckt: κτῆμα ἐς ἀεὶ.. Damit für heute genug.

D. 14. November … Bei uns mag der Wille bestehen, mich möglichst hier zu lassen; ob aber auch drüben, ist mir sehr zweifelhaft. Vorläufig glaube ich noch nicht an unmittelbar bevorstehenden Wechsel, aber ob noch auf lange? Ich kann auch zur Division dran sein …«

Man muß es Seeckt zubilligen, daß er einigermaßen verärgert sein durfte über die Behandlung, die er zum Schluß noch erfuhr. Baden erklärte den Verkehr Seeckts mit der deutschen O.K.L. in operativen Fragen für unstatthaft. Man kann das wohl so ausdrücken, Waldstätten verbietet Seeckt das gleiche, was Seeckt ihm 1916 in Galizien verboten hatte Waldstätten vertrat Arz, der Kaiser Karl an die Front begleitete.. Seeckt antwortet: Nicht das Heeresfrontkommando ist mit der O.K.L. in Verbindung getreten, sondern der deutsche Chef des Generalstabs hat dem Chef des Generalstabes des deutschen Feldheeres Meldungen gemacht.

»D. 15. November … Ich muß gestehen, ich habe Rathenau nicht ganz bewältigt, d. h. sein Buch, das Leben ist nicht lang genug für es und ich mag es nicht, wenn einer es einem so schwer wie möglich macht. Da ist dieser moderne Mann ganz altmodisch; denn in früherer Zeit galt es als notwendiger Zubehör eines wissenschaftlichen und gar philosophischen Werkes, möglichst dunkel zu sein und eine besondere Sprache zu sprechen. Übrigens glaube ich, daß es furchtbar langweilig in seinem neuen Staat sein wird. Ich wette, nicht zwei Damen – denn von Damen wird er eifrig gelesen – haben ihn verstanden, nicht zehn ganz gelesen. Dabei hat der Mann so gute praktische Gedanken; er sollte sich lieber mit der Beschaffung und Verwaltung richtiger Gänse beschäftigen.

Ich bekam auch die angekündigte Zeitung … Ich bin ja ganz zufrieden, daß ich den Leuten als ein Unheil erscheine, aber woher, in aller Welt, kommt sie auf mich? Ich harmloses, weltfernes Geschöpf! Im übrigen hat man so unrecht nicht: ›Jeder ist gut, wenn er mit der Macht ausgerüstet würde zu regieren‹. Irgendwie und wer scheint mich diesen Leuten als Schreckbild vorgemalt zu haben! …

Ich habe die Nase voll – Weihrauch, pardon, da ich einem militärischen Dankgottesdienst für die Errettung des Kaisers Karl ›aus Ertrinkungsgefahr‹ beiwohnen mußte …

D. 16. November. Geliebtes kleines Katz! Der erste der silbernen Erinnerungsbriefe Die Verlobungszeit lag 25 Jahre zurück. ist dieser und ich will ihn mit dem sehr innigen Wunsch beginnen, daß ihm nicht mehr allzu viele folgen, sondern daß wir kommende Zeiten vereint verleben möchten! Vom 19. November ab können wir beide doch jeden Tag feiern, jeden mit soviel Erinnerung – – und dabei sind solche, deren Datum wir uns nicht gemerkt haben, sondern deren Erinnerung uns nur als etwas Schönes geblieben ist. Zum Montag kann ich Dir nicht einmal den Blumengruß selbst aussuchen und das zu tun, war damals eine besonders liebe Beschäftigung für mich. Eigentlich habe ich doch erst durch Dich wie so vieles andere Gute und Schöne, auch Liebe und Verständnis für Blumen bekommen. Wo soll ich anfangen mit Danken für alles, was Du mir in Dir gegeben hast? Aufhören nie. Das kommt sehr von Herzen und will und verträgt keinen Widerspruch. Damals bist Du der gute Kamerad geworden, der Du mir geblieben 25 Jahre bisher und bleiben sollst ›im gleichen Schritt und Tritt‹.«

Am 18. November notiert Seeckt in sein Tagebuch die schicksalsschweren Worte: »Anfrage Türkei und Zusage.« Allerdings nur Zusage. Die Entscheidung fiel auch jetzt noch nicht. Die beiden nächsten Briefe lassen die Ungewißheit erkennen:

»D. 20. November. Ich dachte fast, ich selbst reiste als Kurier, doch so schnell geht das doch nicht. Aber ich rechne sicher mit baldigem Wiedersehen und das ist die Hauptsache. Wahrscheinlich zunächst zu kurzem Beisammensein auf der Durchreise nach Kreuznach und zu etwas längerem auf der Rückreise oder überhaupt zu einem Urlaub … Vielleicht ist die Entscheidung schon da ehe Du diesen Brief bekommst …

Natürlich sehr viel zu tun und zu denken, da ich mit meinem Fortgehen von hier rechnen muß und deshalb persönliches und Dienstliches geordnet sein will …

D. 21. November. So ganz angenehm ist es nicht, dieses Warten auf irgend etwas … Ich kann auch heute nicht mehr sagen als: Ich reise spätestens am Sonnabend abend hier ab, komme also Montag vormittag in Berlin an. Ob ich dann gleich weiterfahre, weiß ich noch nicht …«

Die letzten Tage Seeckts in seiner alten Stellung stehen einerseits unter dem Eindruck der Einwirkung Lenins auf die russische Front, andererseits ist Seeckt ausgiebig mit der Durchführung der schwierigen Ablösungen beschäftigt.

Als Seeckt seine Tätigkeit abschließt, ist die Lage so: Zerrüttet ist die russische Front noch nicht, von einem Waffenstillstandsangebot der Russen ist nichts bekannt geworden. Auf seiten der Verbündeten ist der Abtransport der deutschen Truppen und das Auslösen der deutschen Stäbe in vollem Gange.

Am 24. November verläßt Seeckt, zunächst nur auf 14 Tage beurlaubt, Klausenburg. Die neue Verwendung steht noch keineswegs fest. Die am 18. 11. in Seeckts Tagebuch vermerkte Anfrage wegen der Türkei war von seiten der deutschen O.H.L. eine vorläufige, die wohl eine Anregung Lossows Deutscher Militär-Bevollmächtigter in Konstantinopel. ausgelöst hatte. Sicher war zunächst nur, daß man einen Wechsel der Person des Chefs des türkischen Generalstabes für erforderlich hielt. Hindenburg hatte am 20. 11. offiziell bei Enver General Liman v. Sanders vorgeschlagen. Erst als Enver diesen ablehnte, nannte die deutsche O.H.L. Seeckt.

Am 26. November betritt Seeckt in Berlin das Zimmer seiner Frau. Dort steht im Rahmen ein Bild des Generals v. Kreß in türkischer Uniform. Wortlos nimmt er das Bild in die Hand, wortlos stellt er es wieder hin. Es ist ein Zufall, daß sein Blick gerade auf dieses Bild fällt; ein Zufall ist es auch, daß Frau v. Seeckt, ohne etwas von der türkischen Verwendung zu ahnen, ihrem Manne als Weihnachtsgeschenk eine deutsche Übersetzung des Korans beschafft hat. Sie erfährt die Ernennung zum Chef des Generalstabes des kaiserlich-ottomanischen Feldheeres erst nach der Rückkehr ihres Mannes aus Kreuznach. Die Ernennungsurkunde datiert vom 2. Dezember 1917 und lautet:

siehe Bildunterschrift

Entwurf zum Antwort-Telegramm an Ludendorff wegen der Chefstellung in der Türkei 18. November 1917.

»Für die Dauer des mobilen Verhältnisses wird nach der Türkei kommandiert und der Militärmission zugeteilt: Generalmajor v. Seeckt von der Armee und dem Chef des Generalstabes des Feldheeres zu besonderer Verwendung zur Verfügung gestellt behufs Verwendung als Chef des Generalstabes des Ottomanischen Feldheeres …«

Am ersten Adventssonntag kam Seeckt aus Kreuznach zurück. Wie üblich sangen im Hof die Kurrendeknaben die alten Weihnachtslieder. Der so lange der Heimat Ferngewesene konnte sich innerer Bewegung nicht erwehren. In seiner freundlichen Art sprach er mit den Kindern und erzählte ihnen, daß er noch tags zuvor beim Kaiser war. Seeckt fuhr dann, bis Ungarn von seiner Frau begleitet, zur Erledigung der notwendigen Formalitäten nach Wien, Budapest und Klausenburg. Der Abschied ist dem Erzherzog Josef und Seeckt nicht leicht geworden. Der Erzherzog hat später darüber berichtet Erzherzog Josef, Der Weltkrieg usw.: »Es fällt mir sehr schwer, mich von Seeckt, dem vorzüglichen General, Soldaten und braven Menschen zu trennen, mit dem ich ein Kriegsjahr hindurch ohne ein einziges Mißverständnis zusammen gearbeitet habe und der nicht nur mir große Verdienste erwiesen hat, sondern auch meinem geliebten Vaterlande; von dem ich als Freund scheide, an den ich immer mit Dankbarkeit und Anhänglichkeit zurückdenken werde …« Und ganz zum Schluß heißt es: »... General v. Seeckt hat sich heute abgemeldet und wir haben uns verabschiedet. Er war tief gerührt und ging sehr schwer von mir. Es fiel mir auch schwer, diesen vortrefflichen Menschen und vorzüglichen Soldaten zu verlieren, mit dem ich mich so gut verstand wie noch nie mit jemandem in diesem Krieg. Ich kann sagen: Wir gingen als Freunde auseinander.«

Brief des Erzherzogs Josef vom 12. Dezember 1917

Der Erzherzog hat dann noch einen ungemein herzlich gehaltenen Abschiedsbrief am 12. Dezember an Seeckt geschrieben. Er spricht in diesem Brief nicht nur seine Anerkennung für die Leistungen Seeckts, für die Verteidigung der Karpaten, sondern ganz besonders den Dank im Namen Siebenbürgens und der Bukowina aus. Gerade mit der Erwähnung der Bukowina wird er Seeckt sehr wohl getan haben. Seeckt hat es selbst ausgesprochen, daß er sich an der Rettung der Bukowina wesentlichen Anteil zumaß.

Ein eigentümlicher Zufall wollte es, daß mit Seeckts Ernennung zum türkischen Generalstabschef der Krieg an der Ostfront für jetzt sein Ende erreichte. Am 4. 12. wurde an der rumänischen Front durch Unterhändler ein Waffenstillstand vorbereitet, und am 9. 12. in Focsani abgeschlossen. Am 2. 12., also genau am Tage der Ernennung Seeckts, überschritten russische Unterhändler bei Dünaburg die deutschen Linien, am 15. 12., dem Abfahrtstage Seeckts nach Konstantinopel, wurde in Brest der Waffenstillstand abgeschlossen.

Die Stellung Seeckts bei der Heeresfront Erzherzog Josef war so, daß seine hohen militärischen Fähigkeiten sich keineswegs völlig auswirken konnten. Wenn die deutsche O.H.L. ihn dort beließ, weil die k.u.k. O.H.L. gegen einen deutschen Nachfolger Widerstand leistete, so war damit bewiesen, daß man Seeckt in seiner Stellung als von unersetzlichem Wert ansah, und dies zweifellos mehr aus politischen als aus militärischen Gründen. Jedoch auch der politische Einfluß auf die Verbündeten war Seeckt nur mittelbar möglich. Sein Rat wurde von deutscher Seite nicht immer angenommen, und auf die österreichische Seite konnte er nur durch die Person seines Erzherzogs wirken. Dazu kam, daß die Spannungen zwischen Baden und Kreuznach Seeckts Handeln insbesondere in operativen Fragen immer schwieriger gestalteten. So ist es denn unverkennbar, daß die gesamte Zeit auf ihm das Empfinden gelastet hat, keinen ihn wirklich ausfüllenden Wirkungskreis zu haben. Er muß sich mit Dingen beschäftigen, die ihm teilweise doch ferner liegen. Um so mehr muß man es anerkennen, daß Seeckt auch hier aus der ihm gestellten Aufgabe gemacht hat, was er nur irgend machen und was in der Tat nur er aus ihr machen konnte. Es bleibt die Frage offen, ob es günstig war, einen Soldaten solchen Formats fern der westlichen Ereignisse in dieser Stellung zu belassen. Eins ist sicher, daß man es Seeckt nicht verdenken konnte, wenn er sich nach der empfindlichen Last vergangener Monate, und nachdem der Abgang aller deutschen Kräfte auch seinen Weggang notwendig machte, fort und in einen neuen Wirkungskreis hinein wünschte. Er selbst hat am Silvester des Jahres 1917 rückblickend das Jahr in seiner treffenden Art charakterisiert: »Es kommt mir vor, wie einst eine glücklich absolvierte Schulklasse, auch mit seiner Versetzung zum Schluß. Erster wurde ich nicht. Strafarbeiten und Prügel setzte es auch, doch nicht viel – man schlug sich so durch …« Und dann nennt er die neue vor ihm liegende Zeit »eine neue Lebensschulklasse, deren Durchlaufen ungewiß, deren Pensum neu«.


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