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Gegen Serbien

Vorausgeschickt sei in großen Zügen der Gang dieses Kriegsabschnittes. In den Tagen vom 7. bis 10. Oktober 1915 überschritt die Heeresgruppe Mackensen mit der 3. und 11. Armee die Donau und Save. Als erstes Ziel galt der Raum von Kragujevac bis Nisch. Am 24. 10. wurde die Linie Lazarevac–Palanka–Petrovac erreicht. Die 1. bulgarische Armee ging von Osten her mit dem linken Flügel in Richtung Nisch vor. Am 7. 11. hatte Mackensen die westliche Morawa überschritten, waren die Bulgaren westlich Nisch. Um eine Vereinigung der Serben mit den Entente-Truppen zu verhindern, ging die 2. bulgarische Armee in Mazedonien vor. Bis zum 25. 11. war der Angriff so weit vorgedrungen, daß es zur Schlacht am Amselfeld westlich Priština kam. Der Rest der Serben rettete sich auf montenegrinisch-albanisches Gebiet. Mit der Besetzung von Plevlje, Monastir, Ipek und Djakova schloß die Offensive ab.

Schon im Juli 1915 war der Entschluß zur Operation gegen Serbien vom General von Falkenhayn gefaßt. Die Anfänge zu diesem Entschluß gehen noch auf das Jahr 1914 zurück. Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz drang mit Rücksicht auf die Munitionslage der Türkei auf einen Feldzug gegen Serbien. Ende des Jahres 1914 erkundete Oberstlt. Hentsch zum erstenmal an der serbischen Front. Falkenhayn erwog vorübergehend den Gedanken, lediglich den Negotiner Kreis zu besetzen. Im Mai 1915 kommt man aber doch einem Entschluß gegen Serbien näher, und Hentsch wird zum zweitenmal entsendet. Damals hat Conrad bereits als Führer gegen Serbien Mackensen vorgeschlagen. Aber noch sind die Dinge nicht reif, denn im Mai lehnt Bulgarien noch den Abschluß einer Militärkonvention ab. Ja es wird sogar von österreichischer Seite die Frage eines Sonderfriedens mit Serbien erörtert. Infolgedessen setzt man den Angriff gegen Rußland fort. Erst im Juli ist Bulgarien verhandlungsbereit, und nun kommt die serbische Angelegenheit in Fluß Heeresarchiv Potsdam, Akte 10 A.O.K. 11 u. O 453.. Die Lage der Türkei war inzwischen so, daß eine Landverbindung hergestellt werden mußte, wenn die Türkei kampffähig bleiben sollte. Die österr.-ung. Heeresleitung war einverstanden. Anfang September war es auch gelungen, die Bulgaren zum Anschluß zu bewegen.

Sobald Seeckt Klarheit über die neue Verwendung hat, teilt er dies dem Generalfeldmarschall v. Mackensen mit, der in Danzig auf Urlaub ist. Der Generalfeldmarschall antwortet ihm am 12. 9. 1915: »Lieber Seeckt! Herzlichen Dank für Ihre schnelle und für den Augenblick völlig ausreichende Orientierung! Also doch Serbien! Ein inhaltvoller Auftrag. Bei seiner Lösung rechne ich auf das Soldatenglück, mit dem mich unser Herrgott von dem Augenblick an beschenkte, in dem ich König Wilhelm dem Siegreichen den Standarteneid leistete, und – auf Ihren auf dem galizisch-polnischen Kriegsschauplatz ununterbrochen bewährten Rat. Die Zusammenarbeit mit Ihnen bürgt mir für den Erfolg. Im vollen Vertrauen auf Ihre Tüchtigkeit und weiteres verständnisvolles Zusammenwirken sehe ich den kommenden Ereignissen entgegen. Also Gott befohlen und Glück auf zu neuem Tun, lieber Seeckt! … Morgen begebe ich mich auf 1 Tag zu meiner Mutter. Meinen Sohn habe ich hier leider in recht ernster Lage gefunden. Die große Schlagader war gerissen und hatte die Gefahr des Verblutens herauf beschworen … ›Das Bein ist gerettet‹, jubelt der Chirurg. Mir kommt es auf den Menschen an … Ihr aufrichtiger Mackensen.«

Am 16. September erhielt der Gen.Feldm. v. Mackensen Seeckt war am 15. in Allenstein und von dort nach Pleß vorausgefahren. in Allenstein, wo sich der Kaiser befand, den grundlegenden Auftrag: »Die serbische Armee ist entscheidend zu schlagen und die Verbindung über Belgrad und Sofia mit Konstantinopel zu öffnen und zu sichern.« Es ist dabei bemerkenswert, daß der Abschnitt 4 der Anweisung für die Heeresgruppe Mackensen als Zusatz zum Artikel 2 der Militärkonvention einen etwas anderen Wortlaut enthält. Dort heißt es nur: »Die Verbindung über Land zwischen Ungarn und Bulgarien zu öffnen und zu sichern.« Wenn in der zweiten Fassung der Auftrag fehlte, die serbische Armee entscheidend zu schlagen, so mag man das nachträglich als wesentlichen Unterschied ansehen. Damals hat man es aus den Verhältnissen heraus sicher nicht als Unterschied empfunden.

Von Allenstein fuhr der Feldmarschall nach Pleß, um die Befehle der deutschen O.H.L. entgegenzunehmen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453. Die hier empfangenen Operationsvorschläge und Angaben über den Donauübergang sind die Unterlagen für die späteren Vereinbarungen mit Bulgarien und für die Weisungen an die Truppen der Heeresgruppe Mackensen. Sie gehen auf eine Denkschrift des Oberstlt. Hentsch zurück. Dieser hatte als das gemeinsame Ziel den Raum um Nisch als das Herz Altserbiens bezeichnet. Auf dem Wege dorthin werde man die serbische Armee treffen. Im übrigen sah der Entwurf von Hentsch einen gleichzeitigen Angriff mit der bulgarischen Armee vor, während die Zusätze zur Konvention nachher bestimmten, daß die Bulgaren frühestens fünf Tage später als die 3. und 11. Armee beginnen dürfen. Als Angriffstag für diese beiden Armeen ist nachträglich der 6. 10. bestimmt.

Es kann hier gleichgültig sein, daß die Entwicklung des schließlichen Entschlusses Änderungen durchgemacht hat, und welche Persönlichkeiten tatsächlich oder vermeintlich sich in die Urheberschaft des Ausgangsplanes zu teilen haben. ein Vorschlag des Generals Tersztyánszky General d. Kav. T. v. Nadas, Führer der öster.-ung. Truppen an Save und Donau. sah beispielsweise 19 Divisionen vor. Die Verwendung und der Aufmarsch der Bulgaren war verschiedenartig geplant, sogar gegen Rumänien und auch gegen Griechenland. Als Generalfeldmarschall von Mackensen und Seeckt Mitte September die Zügel in die Hand bekamen, stand dreierlei fest.

Zunächst einmal die Person des Oberbefehlshabers. Generaloberst von Conrad war mit der Persönlichkeit Mackensens als Oberbefehlshaber von vornherein einverstanden, wollte aber die Oberleitung des Feldzuges in österreichischer Hand wissen. Das lag sehr nahe, da der serbische Kriegsschauplatz naturgemäß für die Österreicher eine Prestigefrage war. Bei den Serben hatte der Krieg seinen Ausgang genommen, und die Donaumonarchie hatte gleich zu Anfang einen schweren Mißerfolg gegenüber diesem Lande gehabt. Der Vertreter Bulgariens wollte unbedingt einen deutschen Oberbefehl, Falkenhayn nahm diese Frage nicht so wichtig. An der Tatsache, »daß die Sache von deutscher Seite gemacht würde«, zweifelte doch kein Mensch. Infolgedessen kam wieder wie in Galizien eine Doppelunterstellung heraus. Sie hat sich, da Mackensen und Seeckt die führenden Männer waren, nicht allzu nachteilig erwiesen. Immerhin waren die Unterstellungsverhältnisse beim Eintreffen Mackensens noch höchst unklar, wie ein Hughes-Gespräch Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11. zwischen Seeckt und Tappen vom 18. 9. beweist:

v. S.: »Wie regelt sich der Oberbefehl?

T.: Wir hoffen, da Mehrzahl deutsche Divisionen, auch deutschen Oberbefehl einzusetzen.

v. S.: Ich wüßte es aus dem Grunde gern, weil ich bald auch dorthin Zu den Österreichern. fahre.

T.: Über letztere Frage kann erst in den nächsten Tagen Bestimmung getroffen werden. Sie erhalten dann sofort Nachricht.«

Man bedenke, daß dies Gespräch, in dem die Befehlsverhältnisse noch unklar bleiben, zweieinhalb Wochen vor dem Beginn der Operation stattfindet. Koalitionskriege sind nicht einfach.

Ferner mußte die Heeresgruppe auch hier wieder, wie bei dem Durchbruch von Gorlice, eine bei der O.H.L. festgelegte Ausgangslage übernehmen. Man muß dies hervorheben. Genau so wie Seeckt im Mai auf den Ansatz im wesentlichen keinen Einfluß mehr hatte, genau so kann er auch jetzt nur noch in sehr geringem Umfange aus eigener Initiative irgend etwas zum Anfang der Operation hinzutun und seinem Oberbefehlshaber vorschlagen. So wie die Umstände sind, wird es hier sogar noch schwieriger als im Mai sein. Es ist also nicht angängig, Seeckt irgendeine Verantwortung für die Ausgangslage zuzuschieben. Man muß hinzufügen, daß dies für den Feldmarschall noch mehr zutrifft. Er war um den 24. September zu einem Besuch des Kaisers Franz Joseph nach Wien befohlen und mußte infolge dieser Abwesenheit erst recht die Dinge nachher so hinnehmen, wie er sie nun eben vorfand. Die Zeit ist dann so kurz, daß der Gedanke einer wesentlichen Änderung wohl überhaupt niemals aufgetaucht ist.

Schließlich aber hatte die Heeresgruppe auch nicht den geringsten Einfluß auf die Bemessung der Kräfte gehabt. Es standen zur Verfügung:

Als österreichisch-ungarische 3. Armee unter General der Infanterie Köveß von Köveßháza Zunächst noch Tersztyánszky. etwas mehr als 6 Divisionen, davon 3 deutsche und 1 österr. Landsturm-Division; außerdem eine Anzahl von Landsturm-Brigaden; genau genommen also: 2 österr. Divisionen, deutsche Truppen und österr. Landsturm.

Als deutsche 11. Armee unter General von Gallwitz 7 deutsche Divisionen und 1 österr. Landsturm-Division.

Als 1. bulgarische Armee unter General Bojadjew etwa die Stärke von beinahe 4 Armeekorps nach deutschen Begriffen, wenigstens an Infanterie, da die bulgarischen Divisionen anders zusammengesetzt waren als unsere. Jedenfalls war diese Stärke in der Konvention festgelegt.

Reichlich konnte man die Kräftezuteilung nicht gerade bezeichnen. Seeckt hat sich später mündlich darüber geäußert. Er hat es durchaus empfunden, daß man auch an diesen Feldzug wiederum nur ein Minimum von Kräften setzte. Man muß sogar vermuten, daß er von vornherein unter dem Einfluß dieses Bewußtseins eines nicht völlig zureichenden Kräfteansatzes gestanden hat. Er hat sich aber immer etwas dagegen gewehrt, demjenigen, der doch nun einmal die Truppenzahl bestimmte, nämlich Falkenhayn, einen Vorwurf zu machen. Er wußte, daß die deutsche O.H.L. mit ihren Kräften hauszuhalten hatte. Freilich war er aus der galizischen Operation mit einigem inneren Groll wegen der Kräftebemessung geschieden. Er glaubte, dabei etwas »im Schatten von Ob.Ost« zu stehen. Es ist nicht ganz zu leugnen, daß, als der Kräftemangel nun beim serbischen Feldzug wieder einsetzte, dieser Groll sich ein wenig bei ihm, wenn auch nur vorübergehend, festsetzte und vielleicht sogar einige Zeit verstärkte.

Unmittelbar nach dem Eintreffen in Temesvar schreibt Seeckt den ersten Brief aus dem neuen Bereich:

»Da irgendwo ganz unten, Sonnabend, den 18. 9. 15, schreibe ich an Dich in sommerlicher Wärme. Morgen fahre ich auf zwei Tage zu Erkundungen, um mir dieses merkwürdige Land selbst anzusehen. Vor einem Jahr hatte man schon Belgier und Franzosen hinter sich und beschäftigte sich gerade mit den lieben Vettern. Nun ist man über den Russen mit Anhang bis zum Bruder Srb gelangt. Hier ist alles in schönster Ordnung. Eine Prunkwohnung in glanzvoll eingerichteten Klubräumen. Eine elegante moderne Stadt mit entsprechender Bevölkerung. Viel sah ich noch nicht von der Umgebung. Aber alles sieht viel zivilisierter aus, als ich es je ahnte und dachte. Eljénrufende Menschen, bei der Ankunft großer Empfang, Ehrenkompanie usw. Immer alles ganz anders, als man erwartet, dazu Sonnenschein und eine festliche Menge wie zu einer Feier. Vielleicht ist das eigentlich die richtige Auffassung. Vorläufig bin ich also sicher geborgen im Lande des guten Kaffees und der Möllspeisn. Vorgestern abend in Pleß kurzes Essen beim Generalstab und einiges zu besprechen. Gestern mittag in Teschen lange sehr interessante Unterhaltung mit Conrad, der mir als Mensch immer besser gefällt. Mittagstafel beim Erzherzog Friedrich, der die beste Küche führt, die ich außerhalb meines Hauses kennenlernte, und diesmal dazu auch noch eine kleine Erzherzogin, seine niedliche jüngste Tochter dort hatte. Dann weiter durch herrliche Gebirgsgegenden: Tatra, Beskiden, Karpatenausläufer, an der schönen Donaustrecke zwischen Gran und Pest – denkst Du noch an den Herbst 1912? Heute früh, so weit das Auge reicht, Mais. Eine so flache Gegend sah ich noch nie. Nur unterbrochen von den Linien der galgenartigen Brunnen. Morgen auf der Fahrt wird man wohl mehr sehen. In Allenstein war S.M. vor dem Frühstück äußerst ungnädig über allerhand politische Fragen. Dann wurde er friedlicher, und war gegen mich, der ihm gegenüber saß, sehr nett. Daher die andern entsprechend auch.«

Über die Allensteiner Begegnung hat Seeckt wenige Tage später auch an die Mutter geschrieben:

»Den 26. 9. 1915. Liebe Mutter, wie schmerzlich es mir war, Dich bei meiner Anwesenheit in Deutschland nicht zu sehen, kannst Du Dir denken … Eine ganz neue Gegend, die aber nicht nur interessante landschaftliche und menschliche Bilder zeigt, sondern auch ganz neue und schöne Aufgaben dem Soldaten stellt. Wenn ich auch auf unser der guten Sache geltendes bisheriges Glück rechne für das Gelingen, so ist es doch schon des Dankens kein Ende, wenn ich denke, daß mir diese militärischen Aufgaben überhaupt gestellt werden …

Der Kaiser war, wie jetzt stets, sehr gnädig gegen mich und hat bei dem Zusammensein im kleinen Kreis etwas ganz ungemein Freundschaftliches oder besser Kameradschaftliches. So gehört der Morgenkaffee in seinem Speisewagen doch zu den amüsanten Erinnerungen, wenn er selbst den Napfkuchen verteilt ›kommen Sie her, Landesvater gibt den Kindern Brot‹, so erhielt ich, der ihm gegenüber saß, mein erstes Stück. – Es ist doch besser, als Gast, von ihm als solcher behandelt, an seinem Tisch zu sitzen, als zum Haushalt selbst zu gehören mit allen den täglichen kleinen Unebenheiten, über die man wegkommen muß. So kann man dankbar die Güte genießen und dann an seine Arbeit gehen. Daß nicht sie, sondern nur ihr Erfolg, der doch von so viel nicht in unserer Hand liegenden Umständen abhängt, bewertet wird, das weiß ich wohl und ist auch ganz richtig. ›Der fürchte sie doppelt, den je sie erheben – auf Klippen und Wolken sind Stühle bereitet um goldene Tische – erhebet ein Zwist sich, so stürzen die Gäste, geschmäht und geschändet, in nächtliche Tiefen und harren vergebens, im Finstern gebunden, gerechten Gerichtes.‹

Für meine nächste Aufgabe gebrauche ich Deiner und aller guten Deutschen herzlichen selbstlosen Wunsch auf den Weg. Wär es nicht um Euch und der Heimat willen, für mich könnte dies Leben dauern bis zum Ende der eigenen Kraft. Es ist schon eine Zeit für den Soldaten, eine Lust zu leben, wie Ulrich von Hutten sang, als es vor dreihundertundfünfzig Jahren anhub in Deutschland mit dem Krieg.

Morgen früh fahre ich nach Semlin, wo nach dem alten Lied Prinz Eugen eine Brucken schlagen ließ und wo schon einmal der brandenburgische rote Adler wehte; es muß um 1726 15. 8. 1717. gewesen sein. Ich will mir Belgrad einmal ansehen – vorläufig von außen …«

Der von beiden Heeresleitungen sozusagen fertig ausgearbeitete Operationsplan, den die Heeresgruppe Mackensen am 18. 9. vorfand, bestimmte: Die deutschen und österr.-ung. Hauptkräfte sollten von Norden her über die Save und Donau, die Bulgaren von Osten her angreifen. Nebenangriffe von Westen aus Bosnien heraus waren erwünscht. Wie die Ausführung gedacht war, hatte man auch schon festgelegt, wenngleich man diese Angaben lediglich als Anhalt für die Operationsführung bezeichnete. Die Österreicher sollten im wesentlichen den Übergang bei Belgrad erzwingen, links davon die 11. Armee zwischen Semendria und Ram mit den Hauptkräften an der Donauschleife südlich Weißkirchen. Die Fortführung der spätestens am 6. 10. zu beginnenden Operationen setzte die 3. Armee auf Kragujevac, die Waffenschmiede der Serben, an. Die 11. Armee sollte vornehmlich im Tal der Morava in Richtung Nisch antreten. Die Bulgaren sollten konzentrisch nach Westen auf Nisch vorgehen und mit einer Verbindungsgruppe von Negotin vorstoßen. Die deutsche O.H.L. war der Ansicht, daß »der serbische Widerstand vermutlich erledigt sein werde, wenn es der Heeresgruppe gelingt, bis in den Raum Cuprija–Kragujevac–Aleksinac vorzudringen unter Einnahme der Hauptstadt Nisch und der für die Herstellung des gesamten serbischen Kriegsmaterials unentbehrlichen Stadt Kragujevac.«

An der mazedonischen Front bei Küstendil und Strumica marschierte eine weitere bulgarische Gruppe, bei der auch die sogenannte mazedonische Legion war, auf. Sie sollte gegen das Vardartal vorgehen, um die einzige Verbindungslinie der Serben mit dem Ägäischen Meer, die Bahn Nisch–Saloniki, zu unterbrechen.

In Bosnien stand österr.-ung. Landsturm. Ihn wollte Conrad in den Rücken der Serben schicken. Erst nach längerem Zögern wurden diese Truppen der Heeresgruppe Mackensen unterstellt.

Der ganze Angriffsplan war insofern kühn, als gleich zu Anfang die beiden großen Strombarrieren der Donau und der Save zu überwinden waren.

Andererseits war der serbische Feldzug einer der wenigen Fälle, in der die Führung der Mittelmächte nicht einer Überlegenheit an Zahl gegenüberstand.

Am 19. und 20. erkundete Seeckt persönlich.

»21. 9. Alle Hände voll zu tun. Zwei interessante, aber voll besetzte Reisetage hinter mir. 500 Kilometer Auto. Gestern abend spät zurück. Jetzt Menschen und Dinge in Massen um mich. Herrliches, aber kühles Herbstwetter.

22. 9. Meine Fahrt war wirklich interessant. Mais, Kürbis, Kürbis, Mais. Herrlicher Boden, aber in der Kultur vielleicht etwas zurück, Pußta ist übrigens nicht die Steppe, sondern das Bauerngut. Die Bevölkerung machte im allgemeinen einen angenehmen Eindruck. Man sieht schöne Menschen. Viel durcheinander, Ungarn, Zigeuner, Serben, Rumänen. Sehr sauber und freundlich die Dörfer und Häuser in Maulbeerbäume eingebettet. Schwarze Schweinchen, die Wolle tragen. Rinder mit riesigen Hörnern, Gänse in Unzahl, Pferde zum Teil von entzückendem Schnitt. Unten an der Donau auf den Inseln Urwald, der ein Dorado für Jäger sein soll. Ich sah schöne Silberreiher, denen ich gern einige Federn für Dich ausgerupft hätte. Gegenüber die steinige, öde und vollkommen tote serbische Küste mit kühnen Bergformationen. Ein guter Blick auf Belgrad, aber aus ziemlicher Entfernung. Die Stadt liegt schön. Uns trennt von ihr die auch jetzt bei niedrigem Wasserstand breite und auch außerhalb der Ufer nasse Donau-Remes-Niederung. Das Nachtquartier in Fehertemplon Weißkirchen. recht gut und das Abendessen erst recht. Zwetschgen-Knödel wie einst in Bozen. Ich fuhr mit dem Oberst von Behrendt, der schon bei Soissons half, und dem neuen Oberquartiermeister Hentsch, mit Bock und noch zwei Offizieren. Mit dem, was ich militärisch sah, war ich zufrieden. Ich fand viele Briefe vor, darunter einen sehr interessanten von Winterfeldt über Holtzendorff, den früheren Danziger, Chef des Admiralstabes, Gegengewicht gegen Tirpitz, der sehr in Ungnade sein soll. H. war lange schon außer Dienst, gilt als Englandfreund. Man schließt daraus auf Annäherungsversuche zu England … Gestern den ganzen Tag Menschen bei mir. Ein österreichischer Armeeführer mit Chef, die bekannten, eleganten, gewandten Leute. Ich fahre in den nächsten Tagen zu ihnen, um ihnen etwas in die Karten zu sehen. Diese Stadt Temesvar. ist hübsch und interessant, allerdings nur äußerlich. Neue Vorstädte, hässliche Innenstadt. Hoffentlich werden die Menschen nicht auch so sein.«

Am 21. September gehen auf Grund der Erkundung die ersten Direktiven von Seeckt heraus Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11.. Am 22. 9. berichtet Seeckt eigenhändig an den Chef des Generalstabes Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453.:

»Euer Excellenz bitte ich, kurz über das Ergebnis meiner Erkundung am Donauufer berichten zu dürfen. Der Gesamteindruck ist der, daß alle Vorbereitungen in äußerst sachgemäßer und umfassender Weise durch den Oberstleutnant Hentsch im Banat getroffen sind und daß meine persönlichen Eindrücke mit den bisher gemachten Vorschlägen übereinstimmen. Ebenso erscheinen mir auch die artilleristischen Vorschläge des Oberst v. Behrendt genügend und ausführbar. Danach kann ich die Einleitung der Operation, den Donauübergang – günstige Witterung vorausgesetzt – für aussichtsreich halten.

Der Feldmarschall hat sich auf meinen Vortrag mit nachstehender Disposition für die 11. Armee einverstanden erklärt und entsprechend befohlen, da für die weiteren Erkundungen und Vorbereitungen der Korps Unterlagen geschaffen werden mußten, bevor das A.O.K. 11 eintrifft. Es sollen übergehen:

III. A.K. bei Semendria … IV. Resk. bei Kostolac … Erste Aufgabe: Gewinnung einer Stellung gegen Pozarevac. X. Resk. … bei Ram … Erste Aufgabe: Gewinnung der Anatema-Stellung. 25. Rd. Armeereserve.

Brückenschlag bei Semendria und Ram. In die Verhältnisse bei Belgrad habe ich bisher nur von Pancsova her Einblick genommen; ich fahre in den nächsten Tagen zu persönlicher Erkundung … Ich kann aber bereits jetzt nach Kenntnis der verfügbaren österreichischen artilleristischen Kräfte und Studium des Geländes sagen, daß ich eine Verstärkung an Artillerie durch uns hier für dringend nötig halte. Nachdem hier in der Mehrzahl deutsche Truppen eingesetzt werden, muß auch ihr Erfolg von uns unbedingt sichergestellt werden …«

Brief vom 23. 9.: »Eben kamen die Vorboten des III.A.K. Es wird ein ganz seltsames Wiedersehen an der Donau nach der Trennung an der Aisne. Sonst läuft alles wie gewollt. Bulgarien macht mobil und Rumänien wiegelt ab. Die Serben scheinen es auf den Endkampf ankommen lassen zu wollen, was zu erhoffen ist. Auf diese Weise wird man mit ihnen endgültig fertig werden … Es gibt hier herrliche Trauben. Aber daß ich ausgerechnet nach Ungarn komme, wenn die Melonenzeit vorüber ist, das ist Pech. Gestern war nichts los, außer daß ich wieder einen Orden bekommen habe.«

Man kann eigentlich nicht sagen, daß alles so ganz wie gewollt verläuft. Der Feldmarschall ist jedenfalls nicht damit einverstanden, daß am 19. bayrische Batterien bei Semendria und österr.-ung. Batterien bei Belgrad auf Grund einer Anordnung der O.H.L. die serbischen Stellungen unter Feuer nahmen. Bisher schienen die Serben den drohenden Angriff nicht erkannt zu haben. Diese Kanonade konnte also nur Unruhe erwecken, ferner machten sich Anzeichen bemerkbar, daß der übliche Herbststurm, der Kossavasturm, früher einsetzte und den ohnehin starken Wellenschlag der Donau gefährlich verstärken würde. Sieht man hiervon ab, so konnte man im übrigen mit dem Gang des Aufmarsches und der Vorbereitungen immerhin zufrieden sein, obwohl mancherlei Schwierigkeiten und Verzögerungen zu überwinden waren.

Am 24. 9. beantragte die Heeresgruppe die Verschiebung von Kräften aus Bosnien zu einem Ablenkungsvorstoß über die südliche Drina. Damit gab man allerdings die Umfassung von Westen her auf. Conrad war nicht einverstanden, fügte sich aber.

Man hat später in der Kritik bemängelt, daß nicht von vornherein eine beiderseitige Umklammerung der Serben angestrebt worden ist. Insbesondere hat man es verurteilt, daß noch die 53. I.Tr.Division aus der Umfassung von Westen her herausgenommen wurde. Die Gründe, so zu handeln, wie gehandelt worden ist, lagen zunächst auch in der Geographie des Landes und den äußerst schwierigen Nachschubverhältnissen. Möglich ist auch, daß Seeckt die Division aus Bosnien wegzog, um sicher über sie verfügen zu können. Die 53. I.Tr.D. gehörte nach der Kriegsgliederung zu den Truppen in Bosnien, die nicht der k. u. k. 3. Armee, sondern dem Landeschef unterstanden. Seeckt ist sich aber durchaus bewußt gewesen, daß hiermit eine recht wesentliche Änderung des ursprünglich beabsichtigten Aufmarsches eingetreten war. Er hält infolgedessen eine Begründung für nötig Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11..

»Ia Nr. 168. Temesvar, 25. IX. 15.

Orientierung für Genm. Wetzger A.O.K. betr. XIX. A.K. von Seiten Genm. v. Seeckt.

Nach in Teschen erhaltener Kriegsgliederung gehörte XIX. A.K. mit 53. I.Tr.Div., Brigade Streith und der Festungsbesatzungs-Brigade zur k.u.k. 3. Armee; diese sollte nach der erhaltenen grundlegenden Anweisung zwischen Donau und Save vereinigt werden, während südlich der Save der Befehlsbereich des nicht dem Generalfeldmarschall unterstellten kommandierenden Generals in Bosnien und der Herzegowina begann. Danach wurde hier angenommen, daß XIX. A.K. nach Syrmien herangezogen würde. Es erschien nun hier einfacher, der 53. I.Tr.Div. die bereits in Syrmien befindlichen Landsturm-Brigaden 205 und 206 anzugliedern und die Brigade Streich wie die nach Meldung der k.u.k. 3. Armee dort schon zusammengezogene Festungsbesatzungs-Brigade zu belassen. Dies war der Grund der Anordnungen außer dem Wunsch, die k.u.k. 3. Armee für die Operation gegen Belgrad möglichst stark zu machen. Die Gebirgsausrüstung der 53. I.Tr.Div. wird ihr bei ihrem weiteren Vorgehen auf dem rechten Flügel von Nutzen sein. Heeresgruppe ist jedenfalls sehr dankbar für dortiges Entgegenkommen …«

Der durchschlagende Grund, Kräfte aus Bosnien abzuziehen, ist natürlich der, daß man gegen Belgrad sich so stark wie möglich machen wollte. Es ist leicht, zu sagen, daß dann also wiederum der Frontangriff verstärkt und der Flügel geschwächt worden sei. Solche Kritik übersieht, daß die Kräfte, obwohl diesmal nicht bis zur Unterlegenheit gering bemessen, doch immer noch alles andere als reichlich waren Feldmarschall v. Mackensen hat noch 1938 erklärt, er habe nur sehr widerstrebend Kräfte aus der Umfassung herausgenommen. Der frontale Angriff habe aber gestärkt werden müssen. Das österreichisch-ung. Kriegswerk glaubt bei der Fortnahme von Truppen aus der Westumfassung an »ein Mißverständnis«. Mackensen und Seeckt kannten die Nachteile ihres Entschlusses. Sie sahen nur kein anderes Mittel, den Frontalangriff zu stärken.. Man erkennt aber, daß Seeckt dieser Entschluß zweifellos nicht leicht geworden ist, daß er also auch die nachteiligen Folgen wohl erkannt hat. Um so höher ist es anzuschlagen, wenn er dennoch die Verschiebung vorschlug, sobald er von ihrer Notwendigkeit überzeugt war. Man spürt aus den Sätzen die Willenskraft heraus, mit der Seeckt die eigenen Hemmungen erst überwinden muß. Er tut nämlich etwas, was sonst gar nicht seine Art ist. Wenn er begründet, so gibt er sonst den einen wesentlichen und durchschlagenden Grund an. Hier zieht er Nebengründe herbei und widerlegt Einwürfe in einer Art, die sonst nicht bei ihm üblich ist.

Tersztyánszky wird durch Kövesz ersetzt. Es wechselt der Chef der 3. Armee. Die Heeresgruppe hat diese Änderungen nicht veranlaßt. Sie kamen ihr sogar unerwünscht. Vielmehr Vgl. auch Österreich-Ungarns letzter Krieg. ist die Ablösung Tersztyánszkys auf einen Konflikt mit der ungarischen Regierung zurückzuführen.

Brief vom 24.9.:

»Über Geheimhaltung unserer Anwesenheit hier zerbrich Dir nicht den Kopf. Man muß nur selbst ein gutes Gewissen haben bei der allgemeinen Schwatzhaftigkeit. Noch spielt die Heeresgruppe Mackensen ja im Osten ihre Rolle. Aber daß wir hier sind, das heißt deutsche Truppen, soll ja nicht einmal verborgen gehalten werden. Du hast sehen können, wie die bulgarische Mobilmachung sogleich der Ankündigung der ersten Tätigkeit deutscher Truppen an der Donau folgte. Das war die Voraussetzung. Ich denke, daß ein Ultimatum oder die Kriegserklärung in diesen Tagen folgen wird. So hat man nun auch glücklich seine Hand in der Balkanpolitik. Daß ich mir persönlich nicht gerade das vielfach erhoffte, mir aber nicht glaubhafte völlige Nachgeben der Serben wünsche, ist natürlich, nachdem man nun mitten in den Vorbereitungen zu einem aussichtsreichen Unternehmen ist. Leider halten die Österreicher in Wolhynien nicht … Wir werden da helfen müssen. Es macht aber ihrem Ansehen am Balkan doch ein ziemliches Ende. Es ist daher begreiflich, daß sie hier gern den Schein ihres Einflusses retten. Denn daß wir nun den eigentlichen Kriegsanfänger und ersten Feind, die Serben, züchtigen müssen, ist ein starkes Stück. Aber es ist unser eigenes Interesse, denn wir müssen die Verbindung mit der Türkei bekommen. Ich hoffe, daß Kreß Dir viel erzählt hat. Ich spräche ihn gern … Ich dachte, er wollte den Suez-Kanal erobern. Na, dann später mit uns …

Über den Seelord schrieb ich schon … Bezüglich der Wahrheit ist er nicht immer ganz einwandfrei. Aber er galt stets für einen energischen Kerl, der seine Sachen durchsetzt. Ein fester Wille an maßgebender Stelle, das ist es, was fehlt. Eine Linie des Wollens, in die die andern einmünden müssen. Es muß alles exerzieren, wie die Unteroffiziere. Sonst geht es nicht. Kreß ist nicht der Einzige, der grau geworden ist über die Not der Zeit. Ich habe keinen Anlaß und denke ihn nicht zu haben, solange ich einfach geradeaus gehen kann und einen Feind habe, den ich mit guten Soldaten vor den Kopf schlage, was die Österreicher lebensgefährlich und manche Strategen roh nennen. Es kommt eben alles auf das dumme Siegen an.

Den 25.9. Der gestrige Tag gehörte dem III. Korps. Es war doch eine Freude, sie alle wiederzusehen … Der Verkehr mit Väterchen Lochow sehr freundschaftlich und erfreulich. Er war frisch, vergnügt und lebenslustig, was die Hauptsache … Morgen fahre ich zwei Tage an die Grenze, um mir die andere Seite dieses schönen Landes anzusehen: Peterwardein und Semlin. Als ob ich der Prinz Eugen wäre! Ich wollte, der führte seine Österreicher von damals. Dann wäre mir um den Donauübergang gar nicht bange …

Abends. Wenn ich Deinen lieben Brief vom 22. lese … frage ich mich, ob es zu Hause überhaupt keinen Menschen mehr von Kopf und Takt gibt. Wie denn nun, wenn es schief gegangen wäre, ginge oder gehen sollte? Dann würfen sie anscheinend mit faulen Äpfeln nach uns. Schade für diese Leute, daß alles bisher noch leidlich abgegangen ist. Sie sollten nach Polen kommen oder nach Ostpreußen oder nach Nordfrankreich und sehen, was es heißt, den Krieg im eigenen Lande zu haben …

Nach meiner Ansicht ist dieses Spiel mit der Heeresgruppe Mackensen im Osten allmählich kindisch. Kein Mensch glaubt es. Schließlich schieben sie uns noch Mißerfolge in die Schuhe …«

Am 25. trifft die Nachricht ein, daß Griechenland mit der Absicht bewaffneter Neutralität mobil mache. Übrigens kommen schon in diesen Tagen Nachrichten, die in einem ganz natürlichen Zusammenhang mit dieser Mobilmachung stehen, über die Absicht der Landung von Ententetruppen auf griechischem Boden Seeckt seit dem 5. X. bekannt. Tatsächlich hat die Ausschiffung von Ententetruppen in Saloniki bereits vor Beginn der Operation gegen Serbien angefangen. Es ist dies gelegentlich übersehen worden. Die Überlegung, wie man sich zur Tatsache feindlicher Kräfte auf neutralem griechischen Boden zu verhalten hätte, mußte man sich nicht etwa erst später, sondern von Anfang an vorlegen. Dabei war es ziemlich überflüssig, sich Erörterungen hinzugeben, ob die Entente klug daran tat, Kräfte in Saloniki einzusetzen oder nicht. Sie tat es, und damit war der Ausgangspunkt aller Überlegungen zwangsläufig gegeben.

Am 28. 9. gehen die Grundsätze und Anweisungen für die Armeeoberkommandos heraus Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11.. Es ist dabei nicht uninteressant, daß am 29. die Zustimmung zur Regelung der Befehlsverhältnisse erst in einem Telegrammwechsel zwischen der Heeresgruppe Temesvar und Falkenhayn festgelegt wird. In der Tat konnte dabei nur noch anerkannt werden, was Seeckt inzwischen als nach Lage der Dinge einfach notwendig bereits vorausgesetzt und danach gehandelt hatte. Die unter solchen Voraussetzungen an die bulgarische Armee unter General Bojadjew; an die 11. Armee, die erst in der Formierung begriffen war; und an die k.u.k. 3. Armee gerichteten Befehle umfassen nicht weniger als 16 Seiten von Seeckts eigener Hand. In diesem Schriftstück finden ganz offensichtlich die Erfahrungen des galizischen Feldzuges ihren Niederschlag. Man sieht eine Linie, die sich fortsetzt von Anschauungen, wie sie beim III. Korps vor dem Kriege gepflegt wurden, über Soissons und Gorlice, dies im Sinne der ganzen Operation gemeint, bis hin zum Angriff über die Donau. Man muß aber auch bewundern, wie Seeckt immer wieder nur das Grundsätzliche aus diesen Erfahrungen auf die neuen Lagen überträgt. Es seien einige Stellen aus den Entwürfen Seeckts wiedergegeben:

»... Auf engstes Zusammenarbeiten zwischen Infanterie, Artillerie und Pionieren ist insbesondere Wert zu legen.

Die bisherigen Kriegserfahrungen machen es wünschenswert, im Kampf der Armeen große mit allen Mitteln ausgestattete Kampfgruppen zu bilden, die einem verantwortlichen Führer unterstehen. In vorliegendem Falle wird es sich daher empfehlen, zwei Hauptangriffsgruppen bei der 3. Armee zu bilden … Wie den Korps selbst bestimmte Angriffsräume und bestimmte Angriffsstellen gegeben werden, so erhalten sie auch für ihre Artillerie bestimmte Aufgaben … Unbenommen bleibt es dabei dem Armeeführer, wie er auf die Gesamtkampfhandlung jeder Zeit Einwirkung nehmen kann, auch indem er in die Artillerieverwendung eingreift …

Bei Festsetzung der Angriffszeit ist es eine unbedingte, durch die Kriegserfahrung immer wieder bestätigte Notwendigkeit, daß der Infanterieangriff, hier also der Übergang, sich unmittelbar auf die Minute dem Ende des Wirkungsschießens auf die vorderen angreifenden Stellungen anschließt. Andernfalls geht die tatsächliche und moralische Wirkung des schweren Feuers wieder verloren. Der Angriff bzw. der Beginn des Übergangs ist also für eine bestimmte Stunde zu befehlen und den Unterführern einzuschärfen, daß dieser Befehl unter allen Umständen und nach der Uhr einzuhalten ist, auch wenn die Truppe glaubt, daß das Feuer noch nicht genügend gewirkt hat.

Aus diesem Grunde wird es auch nötig sein, den Angriff gleichzeitig auf der ganzen Front zu führen und nicht den Beginn des Angriffs des einen Teiles von dem Gelingen des andern abhängig zu machen. Eine genaue Zeitbestimmung wäre bei solchem Verfahren nicht möglich …«

Es gehen dann die Anweisungen an die einzelnen Armeen heraus. Alle beginnen: »Der Auftrag der Heeresgruppe ist, die serbische Armee entscheidend zu schlagen und die Verbindung über Land zwischen Ungarn und Bulgarien zu öffnen und zu sichern …«

Der 28.9. ist reichlich voller Arbeit gewesen, der 29. verläuft ruhiger:

»Heute mehr Ruhe als gestern … Am meisten ist natürlich das Herz von den Vorgängen im Westen bewegt gewesen. Ich kann mir denken, wie sich die lieben Leute zu Hause geradezu gefreut haben, jammern zu können. Trotz empfindlicher Verluste kann der gewaltige französische Angriff doch zur Zeit als abgeschlagen gelten, und wir haben nun starke Kräfte hingeworfen. Daß solche Ereignisse vorkommen, ist für den militärisch denkenden Menschen ganz natürlich. Die Narren, die glauben, wir könnten an allen vier Fronten, Rußland, Frankreich, Italien, Serbien gleichzeitig überlegen sein und angreifen und siegen, rechnen eben ohne Beachtung von Kräften und Zeit. Nun scheint … die Offensive … im Osten zum Stehen zu kommen, die …, und das ist viel unerfreulicher, zum Schluß resultatlos war und uns nur Kräfte und vor allem Zeit gekostet hat. Damit wir Wilna bekommen und Riga nicht bekommen haben, ging etwa ein Monat für unsere Operation hier verloren, und die Kräfte zur Abwehr im Westen fehlen. Ich weiß nicht …, ob hier nicht etwas dem Moloch der Popularität geopfert wurde. Wie gesagt, ich sehe trotz allem Geschrei die Lage im Westen für beruhigend an … Bei den Österreichern ist durch das Einsetzen von zwei deutschen abgehetzten Divisionen an der richtigen Stelle der Schaden wieder repariert. Die Russen haben sich dieser Umarmung entzogen. Die ›Gruppe Linsingen‹ wird nun wohl zufrieden sein, und wir sind in der Versenkung verschwunden. Erzählt man sich noch nicht, wir seien weggejagt und in Ungnade gefallen? … Ich denke, hier wird alles planmäßig verlaufen, und ich meine, daß es gut wird. Ich hatte von Sonntag bis Montag sehr interessante Tage. Es fing nicht schön an, das heißt mit strömendem Regen, der aber mittags aufhörte, als wir in Weißkirchen beim 3. österr. Oberkommando waren … Eine sehr schöne Fahrt durch das alte Petrowaradin Peterwardein.. Eine Festung, wie Du sie magst, mit dicken Mauern, Türmen und Zugbrücken. Nachmittags war ich in Semlin und habe nach Belgrad hineingesehen. Die Stadt liegt also dicht vor uns. Man sah die menschenleeren Straßen. Ihre Lage ist wunderschön, an dem steilen Donau-Save-Ufer aufsteigend. An Gebäuden nicht viel. Nur der vielgenannte Konak, aber auch nicht hervorragend. Am auffallendsten ein großes neues Hotel Moskwa, etwas angeeckt durch einige Schüsse. Das werden wir bald noch besser haben … Semlin selbst zu dreiviertel leer, da alle dort lebenden Serben evakuiert sind. Trotzdem österreichisches Kaffeehausleben … Am nächsten Tage zuerst im Auto, dann zu Fuß weiter an die Grenze, also am Saveufer entlang. Auf Kirchtürme geklettert, mit einer Menge Menschen gesprochen und uns so ein Bild der Verhältnisse gemacht … Rückfahrt nach Neusatz, sprich Ujvidék … Eine ganz herrliche Fahrt bei strahlender Beleuchtung, wunderbare Eichenwälder, schöne Berglandschaft … Ein Blick weit in das Land zu den blauen bosnischen und serbischen Bergen über die fruchtbare Ebene. Dann auf der anderen Seite der Blick über die Donau und das weite Ungarn, schließlich durch Weinberge hinunter durch Peterwardein zurück. Lange und wichtige Konferenz mit dem neuen Oberbefehlshaber, dem sehr sympathischen General von Köveß. Riesenleben auf den Straßen. Eine Stunde Ruhe und Zeit für Umziehen. Dann abends beim Oberkommando. Du kannst Dir denken, daß solche persönliche Fühlungnahme für mich von größtem Wert ist … Schade, daß ich für diese uralte Kultur der christlichen Welt des Ostens nicht mehr Zeit habe. Es gibt ganz herrliche alte serbische Kirchen und Klöster hier. Der Feldmarschall ist inzwischen von Wien … sehr befriedigt zurückgekehrt. Der alte Herr sei geistig ganz frisch, über alles gut orientiert, hätte gegessen, getrunken, geraucht wie ein junger Mann. Was haben sie da wieder für blöde Dinge erzählt? … Hier gibt es noch Pferde! 150+000 heißgeliebte kleine Ungarpferdchen werden jedes Jahr geboren, und bei den reichen Bauern sieht man immer noch entzückende Exemplare. Aber teuer sind sie geworden gegen früher. Bedauerlich ist das Nebeneinander riesiger Viehherden und der Fleischnot. Die Herden gehören nämlich den ungarischen Juden, und denen darf hier keiner etwas tun …«

Am 30. bestehen noch immer, richtiger erneut Unklarheiten über die Befehlsverhältnisse. Soweit es sich um die Unterstellung der Kräfte an der mittleren Drina handelt, klärt ein Telegramm von Conrad die Verhältnisse. Aber auch sonst bleibt manches schwierig. Seeckt muß zum Beispiel vorschlagen, einen Feldjäger durch Rumänien zur bulgarischen Armee zu senden Fürst L. Windischgrätz schreibt davon in seinem 1920 erschienenen Buche »Vom roten zum schwarzen Prinzen«. Danach ist er selbst geschickt. Seeckt habe ihn mit der Bemerkung entlassen: »Wenn Sie erwischt werden, sind wir eingefroren.«. Falkenhayn bleibt nichts anderes übrig, als die Absicht dieser von den Verhältnissen erzwungenen, etwas eigenartigen Maßnahme zu genehmigen Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 2 A.O.K. 11..

Brief vom 30. 9.:

»... Daß ich in der Donau lebendige und ganz große Schildkröten im Wasser sah, erzählte ich wohl noch nicht. Es ist überhaupt eine tierreiche Gegend … Heute ist es sehr heiß, ungewohnt für dieses Datum. Aber schön, und jedenfalls viel besser als Regen … Bitte, denke dran, daß Du Dich nicht erkältest. Ich kann es mir jetzt nicht leisten, mich um Deine Gesundheit zu sorgen. Wie lieb, daß Du an den Jahrestag des Eisernen Kreuzes dachtest. Das war eine große Freude, und das Beste daran, daß ich es mir dann später auch noch verdienen durfte, soweit man davon überhaupt sprechen kann … Im Westen geht es hart her. Stimmung zuversichtlich, aber ernst … Übrigens gehöre ich nun auch zu denen, die finden, daß der U-Boot-Krieg nicht das gehalten hat, was wir erwarteten. Trotzdem war er nötig und nützlich …«

Am 1. und 2.10. begleitet Seeckt den Feldmarschall zur Erkundungsfahrt nach vorn:

»3. Oktober 1915 … Gestern mit dem Feldmarschall in der Gegend von Semlin. Eingelegt wurde zwischen Autofahrt und Kirchturmbesteigung ein Frühstück beim Generalkommando III. Reste von Pinoner Herrlichkeiten, 93er Chateau Yquem bei dieser Hitze. Aber es war gut gemeint. Es war unglaublich heimatlich und zum ersten und letzten Male spielte hier der Chef die größere Rolle als sein Feldmarschall, was sich dieser auch gut und liebenswürdig gefallen ließ. Die stürmische Huldigung und Begrüßung der Unteroffiziere, Ordonnanzen und Chauffeure erschütterten ihn doch, und der Komm. General selbst war riesig freundschaftlich und offen. Wetzell frisch und unternehmungslustig, und alle anderen anhänglich. Wir kamen dann schon früher als gedacht in unsern nach einer andern Stadt abgeschobenen Eisenbahnwagen und erreichten so schon gestern abend statt heute früh Temesvar, was zwei Stunden Arbeit abends und die Nacht im feststehenden Bett hieß. Auch abends im Zug noch gearbeitet, und nun spitzt sich die Sache zu. Morgen noch eine Konferenz hier mit den Armeechefs, Kommandeuren der Artillerie usw. Dann ist hoffentlich alles in Ordnung. Einen Zuwachs hat der Stab durch Zuteilung des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg. Außerdem ist jetzt eine mir sehr wichtige und interessante Persönlichkeit bei mir, der Vertreter der bulgarischen Armee in meinem Stabe, ein Oberstleutnant Tantilow. Jedenfalls eine neue Schwalbe.«

Am 3.10. tritt eine Krise ein, über deren Schwere man sich nachträglich leicht hinwegsetzt. Die Bulgaren melden, daß sie erst etwas später fertig werden. Freilich war in der ursprünglichen Konvention ausdrücklich vereinbart, daß die Bulgaren frühestens fünf Tage später antreten sollten. Mithin wäre der früheste Termin für sie der 11.10. gewesen. Anscheinend ist man inzwischen doch zu der Überzeugung gekommen, daß dieser früheste Termin auch der beste sei. Jedenfalls trifft folgendes Telegramm ein Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11.:

»An Heeresgruppe Temesvar.

Bulgarischer Kriegsminister mitteilt, daß gänzliche Durchführung des Aufmarsches und damit volle Operationsbereitschaft erst am vierzehnten Oktober erreicht werden könne. Falls nicht E. E. Gründe haben, den Operationsbeginn um einige Tage zu verschieben, werde ich darauf bestehen, daß trotz Aufmarschverzögerung die Bulgaren die Fühlung mit dem Feinde so früh wie möglich, spätestens aber am elften, auf ganzer Linie aufgenommen haben müssen. Umgehende Antwort erbeten.

v. Falkenhayn. No. 15+445 op.«

Das ist am Vormittag. Falkenhayn erwägt also zunächst noch, ob die Heeresgruppe den Termin verschieben könne. Die Heeresgruppe antwortet um die Mittagsstunde, daß zur Beantwortung Rückfragen notwendig seien. Um 6 Uhr abends drängt ein neues Telegramm Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11. der O.H.L.:

»Heeresgruppe Temesvar.

Zu Ia 339: Nach neueren Nachrichten würde Verschiebung des Operationsbeginns über den 6. im hohen Maße unerwünscht sein und möglicherweise sehr üble Folgen für die bulgarische Haltung haben.

v. Falkenhayn. No. 15+445/II. Ang.«

Unter dieses Telegramm schreibt Seeckt mit bemerkenswerter Kürze: »Operation der Heeresgruppe beginnt am 6. Oktober.«

Das liest sich nachher so einfach. In Wirklichkeit ist es ein ganzer und schwerer Entschluß gewesen.

Die bulgarische Heeresleitung hat sich kurz darauf dann doch bereiterklärt, trotz aller bestehenden Schwierigkeiten am 11. 10. auf der ganzen Linie anzugreifen; was sie freilich nur mit Teilen am 11., auf der ganzen Linie mehrere Tage später ausführte.

Übrigens erschienen an diesem 3. Oktober Montenegriner an der Drina.

Am 4. 10. gehen die Angriffsbefehle heraus. Danach soll am 6. das Wirkungsschießen der Artillerie beginnen und im übrigen nur der Übergang über die Drina aus Bosnien vollzogen werden. Am 7. 10. wird die 3. Armee antreten mit ihren Hauptkräften nördlich Belgrad über die Donau und bei den Zigeunerinseln über die Save. Die 11. Armee schließt sich nur mit dem äußersten rechten Flügel an und beginnt ihrerseits erst am 8. früh mit dem Übergang. Für die bulgarische Armee bleibt es beim 11. 10. Im Osten des Banats beabsichtigt man nur einen Scheinangriff.

Es sind wieder Stunden voller Spannung, in denen die nächsten Briefe geschrieben sind.

»4. 10. 15. Herrliche Sonne. Die festfreudigen Leute hier begehen den Namenstag ihres Königs. Man darf um Gottes willen nicht Kaiser sagen. Alles geht gut und vorwärts draußen. Interessant ist es hier schon mit den widerstreitenden Nachrichten über alle die kleinen und großen Staaten. Eben kommt die Nachricht, daß Rußland an Bulgarien ein Ultimatum gestellt habe, welches Abbruch aller Beziehungen zu uns fordert. Das wird ja die Sache in Gang bringen. Der Herzog Johann Albrecht kommt von dort unten. Er hat die Verhandlungen geführt. Heute nachmittag soll ich noch eine längere Besprechung mit ihm haben. Da werde ich dann allerlei hören … Im Westen scheint es ganz gut zu stehen. Abgeschlagene Angriffe bedeuten einen Sieg … Die Feindverluste werden enorm sein. Unsere leider auch. Ich schätze sie so hoch wie unsere im galizischen Feldzug. Das ist eben Schicksal. Bei uns sah es glänzender aus. Aber drüben ist vielleicht die größere Leistung: uns selbst unbegreiflich, wie die Truppen es aushalten.

Den 5. 10. … Ich dachte gestern an unsere herrlichen Herbstwanderungen durch die schone weite Welt, und freute mich wieder darüber, daß wir das zusammen erlebt haben. Nun sind meine Fahrten einsamer geworden. Nur kann ich mir nicht abgewöhnen, mir Land und Leute und diese als Naturprodukt anzusehen und zu versuchen, in Bergen und Weiten nicht nur Schlachtfelder, sondern auch ein Stück Weltschönheit zu sehen. Ich werde ohnehin schon einseitig genug. Und davor habe ich immer etwas Sorge gehabt … Wer jetzt an die Möglichkeit einer Verständigung mit Frankreich oder der Freundschaft mit England glaubt, ist ein Narr oder schlimmeres … Nun tun die Engländer mir den Gefallen und kommen in meine Reichweite. Mit dieser Hoffnung bin ich hierher gekommen. Vorläufig ist es ein Bluff, um unsere bulgarischen Brüder zu schrecken. Schon eine interessante Zeit hier unten für mich. Aber Glück müssen wir dabei haben. Die nächstwichtigen Faktoren, Munition und Selbstvertrauen haben wir. Viel guter Wille und Verträglichkeit wird von mir gefordert, wenn dann immer wieder nichts ganz in Ordnung bei den Bundesgenossen ist, keine Zusage ganz gehalten wird … Wenigstens macht Köveß einen vertrauenerweckenden Eindruck … Nachmittags Herzogsvortrag; er war jetzt lange in Sofia und Bukarest und erzählte ganz interessant. Der König von Griechenland ist wieder krank. Na, wenn schon …«

Der in diesem Brief geäußerte Unmut, daß wieder einiges nicht ganz in Ordnung sei, bezog sich auf einen Zwischenfall bei der 3. Armee am 5. 10. Die 3. Armee sollte bei Višegrad sich einen Brückenkopf schaffen. Sie meldete Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11. am 5. 10. nachmittags, also tatsächlich viel zu spät:

»Masse der 62. Inf.Tr.Division ist noch nicht operationsbereit. Bei der minderen Qualität der Truppen, der numerischen Überlegenheit des Gegners, der Stärke seiner Stellungen und bei dem Mangel an schwerer Artillerie hat ein Übergang keine Aussicht auf Erfolg. Der Übergang bei Višegrad wird bis auf weiteres verschoben …«

Seeckt war nicht gerade der Mann, der die numerische Überlegenheit des Gegners und die Stärke seiner Stellungen als Anlaß hinnahm, eine befohlene Unternehmung abzusagen. Die Heeresgruppe besaß Rücksichtslosigkeit genug, sofort zu befehlen, daß das Unternehmen auszuführen sei. Es glückte auch zunächst. Dann kam ein Rückschlag. Man hatte doch vielleicht zuviel verlangt, zumal das A.O.K. ja selbst Kräfte entzogen hatte.

Der Brief vom Morgen des 6.10., also von dem Tage, an dem die einleitenden Maßnahmen der ganzen Operation einsetzen:

»... Der Feldmarschall ist eben ›mit großem Gefolge, unter dem wir Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg bemerkten‹, auf zwei Tage an die Front gefahren … Ich muß leider hierbleiben, stützen kann ich vorn doch nichts mehr, und ich gehöre an die Strippen, die bis Frankreich, Athen usw. laufen. An allen wichtigen Stellen habe ich meine Organe. Und nun warte ich der Dinge und vertraue auf das Soldatenglück. Das Wetter ist kühl und regnerisch, was für den Augenblick ganz gut; die Donau hatte schon reichlich wenig Wasser in der letzten Zeit, und was ich fürchte, ist Südoststurm, hier Kossava genannt, die jeden Verkehr auf dem Fluß aufheben kann. Manche Leute sind komisch: Ich gebrauche unter tausend Dingen auch Schwimmwesten und Schwimmgürtel wegen des Donauübergangs und lasse daher um solche gleichzeitig an das k.u.k. und an das deutsche Kriegsministerium telegraphieren. Das österreichische schickt mir sofort 400. Das deutsche fragt zurück, wie viele gebraucht würden. Nicht immer sind wir die Besseren. Gebrauchen kann ich mehr, als es überhaupt gibt. Und statt mir nun zu schicken, was Marine, Lloyd, Hapag liegen haben, fragen sie erst an, bis es zu spät wird. Es schadet nicht viel, aber es ist doch ein Zeichen von unausrottbarem Bürokratismus.«

Der 6. verläuft im allgemeinen planmäßig. Seeckt gibt eine selbstverfaßte Orientierung an die Chefs über die Landung von Ententetruppen in Saloniki heraus Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11.: »Nach den bis 6. 10. eingegangenen Nachrichten finden in Saloniki seit dem 3. 10. Oder 5. 10., jedenfalls vor dem 6. 10. englisch-französische Truppenausladungen statt. Ihr Zweck ist die Unterstützung Serbiens; neben dem unmittelbaren Druck auf die Entschließungen Rumäniens und Griechenlands, vielleicht in zweiter Linie der Marsch auf Konstantinopel, jedenfalls ein Verhindern der unmittelbaren Verbindung zwischen Deutschland-Österreich-Ungarn und der Türkei. Für uns kann als sichere Landverbindung nur die Bahn Nisch–Sofia bezeichnet werden, da bei der ungewissen Haltung Rumäniens auf den Donauweg nicht zu rechnen ist. Danach sind zwei Operationen der Entente möglich. Entweder ein Vorgehen gegen Bulgarien … oder ein Vorgehen nach Norden zur unmittelbaren Unterstützung der Serben sowohl gegen den deutsch-österreichischen wie den bulgarischen Einmarsch. Der erste Fall soll hier zunächst außer Betracht bleiben. Zur Zeit scheinen die serbischen Hauptkräfte gegen Bulgarien aufmarschiert zu sein. Es ist also denkbar, daß die englisch-französischen Kräfte gegen den deutsch-österreichischen Vormarsch verwendet werden sollen, den man zunächst mit schwächeren Kräften aufzuhalten hofft. Möglich, daß die ausgeladenen und verfügbaren Truppen schnell zur Unterstützung der Serben vorgeführt werden, möglich, daß die ganze Kraft zunächst vereinigt werden soll … Die erste, am 3. 10. in Saloniki eingeladene Division könnte am 9. 10. bei Nisch, am 10. in Palanka ausgeladen sein. Die nächsten würden mit fünf Tagen Abstand folgen. Es kann also mit dem Auftreten schwächerer englisch-französischer Teile an der Donau zwar schon jetzt gerechnet werden, mit stärkeren aber erst vom 9. ab und entsprechend mit sich steigernden, je länger die Operation dauert. Läßt es das Fortschreiten unserer Offensive zu, so kann man auch damit rechnen, daß die Verbündeten ihre Kräfte im Raum Kraljevo–Nisch zu vereinigen streben … Die Schwierigkeit einer weit in das Inland zielenden Landung darf nicht verkannt werden, abgesehen davon, daß die Haltung Griechenlands – neutral oder unterstützend – Einfluß ausübt; ebenso wie die Möglichkeit einer türkischen Offensive an der Seite Bulgariens … Für unsere Operation kann sich nichts ändern. Schnelles Handeln gewinnt nur erhöhten Wert und bürgt für den Erfolg …« Das klingt so selbstverständlich und einfach, wenn Seeckt schreibt: schnelles Handeln; es ändert sich nichts. Nur, daß es echte Führereigenschaften voraussetzt, stets das Einfache und Selbstverständliche zu denken und zu tun.

Im ganzen verläuft alles nach Wunsch. Das kommt auch in Seeckts Brief vom 7. 10. zum Ausdruck: »... Eine wilde Sache hier unten und spannend. Die Truppen sind heute früh unter den Augen des Feldmarschalls über die Donau gegangen zunächst mit dem X. R.K., die andern sind im Folgen. Bei Belgrad haben wir auch österreichische Bataillone herübergebracht, und ein deutsches Korps ist im Übergehen. Doch sind mir die Verhältnisse dort nicht ganz klar, und ich rechne auch mit einem Rückschlag an dieser Stelle … In solchen immerhin ziemlich aufregenden Momenten sehe ich mir immer das Katzenbild an, das Du mir schicktest. Ich habe selten etwas Süßeres gesehen, wie sie gerade anfängt, mit dem Handschuh zu spielen. Dieses Spiel der kleinen Katze mit dem Handschuh hat etwas Beruhigendes … Ich schicke Dir einen hübschen Sums, einen Kriegsbericht aus einer Zeitung. Nun weißt Du es: Es war, ›die nachtwandlerische Sicherheit des ethischen Glaubens‹. Und ich dachte immer, es seien Kanonen und das Gardekorps und dazu Gottvertrauen und Selbstvertrauen … In der Champagne wird wohl schwer gekämpft. Es steht dort ernst. Aber die Stimmung ist trotzdem zuversichtlich. Loßberg ist dort Chef geworden, ein ganz Teil jünger als ich, tüchtig und vor allem ruhig … An sich ist das Fortschicken der Chefs, sobald etwas schief geht, nicht erfreulich.

8. 10. 15 … Es geht gut und heute auch bei Belgrad vorwärts. Doch scheint dort ein ziemlich erbitterter Kampf zu herrschen. Heute früh hier an der Donau dichter Herbstnebel, der sich freilich jetzt bei strahlender Sonne hob. Ich kann Nebel nicht ausstehen. Voriges Jahr habe ich unter den dichten Aisne-Nebeln geradezu gelitten, kam mir immer ganz hilflos vor. Für uns hat er hier zwei Seiten. Einerseits bleibt das Übersetzen besser verborgen, andererseits kann unsere ausgezeichnete Artillerie nicht so zur Wirkung kommen. Es ist bisher alles gut gegangen. Der Feldmarschall kam beglückt zurück. Ich freue mich, daß er in diesem historischen Moment bei der Truppe war. Vom Verlauf des heutigen Tages hängt natürlich vieles ab. Dem hinter der Front Wartenden geht es alles zu langsam, wenn ich mich auch zwinge, jede Ungeduld zu bemeistern und im Gegenteil immer für Sicherheit und Ordnung bin … Es ist unglaublich, was sie im Westen im Ausharren leisten. Sie können namentlich auf die geringen Verluste stolz sein. Das ist ein Beweis für gute Fürsorge …

9. 10. Nur einen ganz schnellen kurzen Gruß, ehe der Kurier geht. Viel zu tun und zu denken. Alles geht gut und vorwärts. Der Donauübergang ist gelungen, immerhin schon etwas. Leider Regen …«

In der Tat kam das Unternehmen vom 6.–9. 10. zu einem vollen Erfolg. Nicht daß es ohne alle Rückschläge, die ja Seeckt auch erwartet hatte, abgegangen war. Auch waren die Verluste an einzelnen Stellen nicht leicht. Immerhin waren sie im ganzen ausgesprochen erträglich. Es war ein Unternehmen geglückt, das mit Rücksicht auf Gelände, auf die Schwierigkeit des Überganges über einen der größten Ströme der Welt und angesichts eines, wenn auch erheblich schwächeren, so doch recht wehrhaften Feindes zu den kühnsten Unternehmungen aller Kriegsgeschichte gerechnet werden muß. Ein österreichischer Offizier berichtet, der Donauübergang sei »mit sehr primitiven Mitteln vor sich gegangen und das Soldatenglück habe dieses kühne Unternehmen sehr begünstigt«. Auch hier ist wie so oft das Gelingen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit hingenommen. Wenn der Erfolg selbstverständlich war, dann infolge der ausgezeichneten sorgsamen Vorbereitungen. Diese lagen in der Hand des Heeresgruppenchefs, des Generals von Seeckt.

Noch am 9. 10. abends konnte der Feldmarschall an die beiden verbündeten Herrscher melden, daß »auf Königsschloß und Zitadelle Belgrads die deutsche und die österreichische Flagge wehe«. Zwischen Semendria und Bazias hatten 7 Divisionen die Donau überschritten. Man kann Seeckt die innere Freude nachfühlen:

»10. 10. … Gestern abend stieg das ›Gott erhalte Franz den Kaiser‹ auf und dann ›Heil dir im Siegerkranz‹, dann weitere bekannte Klänge: Prinz Eugen, Radetzki und der gute Kamerad. Ich muß dabei immer auch an Dich denken. Die Österreicher freuen sich so, daß wir ihnen Belgrad wiedergewonnen haben, und daß es so aussieht, als sollten sie es behalten. Es ist ja auch hübsch, und ganz leicht war es nicht und wird es auch zunächst nicht sein. Es ist aber ein Erfolg, der seinen Eindruck nicht verfehlen wird. Wie es sich nun da unten gestaltet, das wird spannend werden. Doch davon ein andermal … Es ist eigenartig, wie schnell hier der Friede dem Kriege folgt. Es regen sich bereits gesellige Fragen. Die Frau Obergespanin hält Hof und hat es übel vermerkt, daß ich ihr keinen Besuch gemacht habe. Im Kriege! …« In jenen Tagen der Einnahme von Belgrad mag das Reiterlied eines österreichischen Reserve-Offiziers, der in den Karpaten fiel, in Seeckts Hände gekommen sein. Jedenfalls liegt eine Abschrift davon in dem gebundenen Buch der Briefabschriften Seeckts, die Frau von Seeckt am 3. Juni 1918 zur Silberhochzeit ihrem Manne schenkte:

Drüben am Wiesenrand
Hocken zwei Dohlen –
Fall ich am Donaustrand?
Sterb ich in Polen?
Was liegt daran!
Eh sie meine Seele holen.
Kämpf ich als Reitersmann.

Drüben am Ackerrain
Schreien zwei Raben –
Werd ich der erste sein,
Den sie begraben?
Was ist dabei!
Viel hunderttausend traben
In Österreichs Reiterei.

Drüben im Abendrot
fliegen zwei Krähen –
Wann kommt der Schnitter Tod,
Um uns zu mähen?
Es ist nicht schad!
Seh ich nur unsere Fahnen wehen
Auf Belgerad!

Herüber über die Strombarriere war man. Man durfte auch des Erfolges durchaus froh sein. Es kam nun darauf an, wie die Dinge sich weiter entwickeln würden. Mit einem einfachen Vorstürmen war es hier nicht getan. Nach der glücklichen Einleitung kam es zunächst auf die Schaffung gesicherter und fester Übergangsmöglichkeiten an. Bei der 11. Armee mußte das, von allen Begleitumständen bis zum Kossavasturm gründlich gehemmt, leider mehr als eine Woche dauern. Erst am 20. Oktober wurde die Brücke bei Semendria fertig.

Die 3. Armee hatte es günstiger. Im ganzen ging es, allerdings mit einigem Nachdruck des Heeresgruppenkommandos, vom 10. beginnend schon in den nächsten Tagen so vorwärts, als man das nach Lage der Dinge verlangen konnte. Die Nachschublage war natürlich von vornherein nicht einfach.

Für den 11. abends war eine Fahrt des Feldmarschalls mit Seeckt nach Belgrad angesetzt.

»Den 13. 10. Wir waren vorgestern abend gegen 8 Uhr in Semlin, dann im Marinemotorboot über die Donau, die hier am Zusammenfluß mit der Save und mit ihren vielen Inseln von imponierender Breite ist. Zwei Stunden herüber nach Belgrad. Ein schon an sich schreckliches Nest, jetzt noch gründlich zerschossen und menschenleer. Aber herrlich gelegen. Alte Befestigungen aus der Türkenzeit her, die uns doch noch zu schaffen gemacht haben. Der Konak! Wie eine heruntergewohnte Behausung in der Kleiststraße, die man sich ansieht, die man aber nicht mietet. Ich konnte nur an Alexander im Residenztheater im ›Prinzgemahl› denken. In einem Raum, der eigentlich Kapelle war, stand der Thronsessel. Wir baten den Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, sich mal auf den Thron zu setzen, da er doch darin Übung habe. Aber er wollte nicht und meinte, er hätte Sorge vor der Nachwirkung. Infolgedessen bekam er das Kissen geschenkt Der damalige Hauptmann Blankenhorn stellt den Scherz in seinem Tagebuch etwas anders dar. Der Herzog habe zu ihm gesagt: »Blankenhorn, setzen Sie sich auf den Thron. Ihre Enkel können dann wenigstens erzählen: unser Großvater hat schon auf Serbiens Thron gesessen.«. Neben dem Thronsessel steht ein Toilettenschrank von schlechtester Empire-Imitation, ein aufgebrochener Schrank mit Photographien, die herumlagen wie Bücher und Briefe. Daneben ein offenes Klosett. Kurzum eine Groteske. Eine Granate hatte den Thronsaal stark mitgenommen. Nebengebäude, Wache, Ställe gänzlich verwahrlost und dicht daneben ein Ministerium mit Büros, die in größter Hast verlassen waren; angefangene Schriftstücke, Paletots und Hüte auf den Tischen. Wir müssen ihnen gut über den Kopf gekommen sein. In einem Hause waren die englischen Offiziere, darunter ein Admiral, die die Minensperre und die Artillerie bedienten und schon längere Zeit dort waren, vom Lunch aufgeschreckt. Es stand angegessen noch als Sehenswürdigkeit da. Umgebung hübsch. Wir fuhren vor zu einem Korps und beobachteten das im Gange befindliche Gefecht. Dann zum VIII. k.u.k. A.K., das sich brav geschlagen hat. Alsdann Fahrt zur Donauflottille. Acht hübsche kleine Schiffe, etwa wie große Torpedoboote, die auch am Kampf teilgenommen haben. Dann herrliche Fahrt in den Abend hinein, durch goldenen Eichenwald, ein Genuß. Heute viel zu tun. Doch ich bin im ganzen sehr zufrieden … Morgen gehen hoffentlich die Bulgaren los. Mein Generalstabsoffizier Tantilow fiebert schon vor Aufregung. Ich bin gespannt, aber sehr zuversichtlich. Eben gebe ich den Befehl: »Griechisches Gebiet vorläufig nicht überfliegen.« Das heißt also, zunächst den Brüdern in Saloniki noch nichts auf den Kopf werfen, so verlockend es wäre. Wir wollen dem König Konstantin die Sache nicht schwerer machen. Aber er muß sich bald entscheiden. Meines Erachtens kann man direkte Parteinahme für uns nicht verlangen. Die Engländer können das Land zu sehr quälen und haben schon einmal Athen beschossen … Der nicht leichte Donauübergang glückte gut. Heute heftiger Wind, der das Übersetzen sehr erschwert hätte. Wir haben Wetterglück gehabt … Die Serben schlagen sich brav und haben entsprechende Verluste. Unsere Verluste gehen bisher an. Der Sturm auf Belgrad hat freilich etwas gekostet. Leider geht es nicht ohne dem …«

Noch am 10. wollte das bulgarische Oberkommando erneut eine Verschiebung des Angriffsbeginnes auf den 14. durchsetzen. Der Feldmarschall ließ darauf hinweisen, daß eine weitere Verschiebung unmöglich sei. Allerdings mußte man zugeben, daß die Lage für Bulgarien nicht einfach war. Am 10. 10. traf bei Seeckt ein unmittelbar an ihn gerichteter Bericht des deutschen Militärattachés in Sofia, Oberstleutnant v. Massow, ein Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.D.K. 11.:

»... Die keineswegs einfachen und geklärten innerpolitischen Verhältnisse des Landes nötigen noch zu größter Zurückhaltung. Bulgarien spielt noch Komödie mit unseren Gegnern, um Zeit zu gewinnen. Die in letzter Zeit mit aller Kraft einsetzenden Intrigen unserer Feinde haben nervös gemacht. Dazu kommt die Truppenlandung in Saloniki. Kurz, man tritt hier kurz – bis unsere Truppen die Donau überschritten haben werden Der Brief ist in Sofia am 5. 10. geschrieben.. An gutem Willen zweifele ich nicht. Mit Recht aber will man vermeiden, daß Rumänien und Griechenland gegen Bulgarien marschieren, um ihm ein neues 1913 zu bereiten. Deshalb die große Vorsicht der Politik Radoslawows. Daß wir die Initiative ergreifen, ist also politisch begründet. Ich habe tatsächlich darauf gedrungen, daß die Bulgaren bis zum 11. dieses Monats ihre Hauptaufgabe darin sehen, starke serbische Kräfte an der Grenze zu fesseln, um uns den Übergang über die Donau zu erleichtern. Haben wir den ersten Erfolg, so werden die Bulgaren von selbst losgehen. Im übrigen bitte ich Sie, Herr General, nicht vergessen zu wollen, daß Bulgarien über reichliche Munition und vollständige Ausrüstung nicht verfügt. Daß man also unsere Leistungen von ihnen nicht erwarten darf. Groß ist die Zuversicht im Kreise der jüngeren bulgarischen Generation, die stolz ist, an unserer Seite zu kämpfen …«

So begann dann tatsächlich am 11. auf dem Nordflügel der bulgarische Angriff. Wenn aber Seeckt in seinem Brief vom 13. schreibt, daß sie morgen hoffentlich losgingen, so hat ihm also das Überschreiten der serbischen Grenze mit dem bulgarischen Nordflügel am 11. keinen besonderen Eindruck gemacht. Im Grunde hatten die Bulgaren doch eine Verschiebung auf den 14. erreicht. Noch am 12. wollen die Bulgaren ihre Grenzüberschreitungen als Grenzzwischenfall aufgefaßt wissen. Zwischen Serbien und Bulgarien solle noch kein Krieg bestehen. Am 11. nahmen deutsche Truppen Semendria, und auch überall anderwärts kam man voran mit Ausnahme des rechten Flügels der 3. Armee. Am 12. sind weitere Fortschritte.

Der 13. 10. bringt eine Meinungsverschiedenheit, bei der Seeckt eingreifen muß. Conrad hatte bei der 3. Armee unmittelbar das Nachführen des XIX. Korps über Belgrad angeregt. Es ist sehr eigenartig, wie Seeckt sich in einem eigenhändigen Schreiben vom 13.10. an die 3. Armee Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11.mit diesem Eingriff Conrads abfindet. Er lehnt ihn nicht ab. Aber er bindet ihn an ganz bestimmte unmißverständliche Voraussetzungen. »Das Oberkommando wolle erwägen und melden, ob die weitere Verwendung des XIX. Aks. mit seinen gesamten Kräften an der bisherigen Stelle und in der bisherigen Richtung noch aussichtsvoll erscheint. Sollte diese Frage verneint werden, so müssen sogleich starke Teile desselben zu anderer Verwendung über Belgrad nachgezogen werden. Die Bemessung dieser Kräfte muß dem Oberkommando überlassen bleiben, jedoch ist unbedingt und unter allen Umständen zu verlangen, daß die erreichten, wenn auch ungünstigen Stellungen in den beiden Save-Bogen gehalten werden. Ein Zurücknehmen auch nur von Teilen auf das diesseitige Ufer müßte den schlechtesten Eindruck gegenüber den Serben machen und unsern Zweck, … starke Kräfte des Feindes zu binden, aufheben. Die Aufgabe des XIX. Korps würde auch nach Herübernahme von Teilen auf das östliche Ufer die gleiche bleiben, nämlich die Sicherung der Hauptoffensive der 3. Armee in ihrer rechten Flanke … Sollte sich, womit zu rechnen, unter dem Druck der Offensive der 3. und 11. Armee der Feind entschließen, zu räumen oder sich zu schwächen, so wäre von allen Teilen … das Vorgehen unverzüglich einzuleiten … Der bisherige Mißerfolg des XIX. Korps muß wesentlich darauf zurückgeführt werden, daß es entgegen dem ausdrücklichen von hier ergangenen Befehl nicht mit den Hauptkräften den Übergang bei Kupinovo erzwungen hat …«

Seeckt meldet dies am 13. 10. in einem selbst aufgesetzten Schreiben Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11. dem General von Falkenhayn. Er nimmt die Gelegenheit wahr, auf die Schwäche der ganzen Operation, auf den Kräftemangel, hinzuweisen. Man muß das hervorheben, denn manche Entschlüsse sind nur vollständig zu verstehen aus dem Bewußtsein, über zu gering bemessene Kräfte zu verfügen.

»... Bitte, in Teschen dahin zu wirken, daß eine bessere Division aus Galizischem Stellungskampf herausgezogen und gegen eine der Landsturm-Divisionen beim XIX. Korps ausgetauscht wird. Sehr erwünscht wäre es, wenn auch schwächere, deutsche Truppen bei Orsova einsetzen zu können; zur Zeit ist aber hier dafür nichts verfügbar zu machen. Sollte in Aussicht gestellte Division bald zu erwarten sein, würde ein Regiment dorthin dirigiert werden. Lage bei beiden Armeen kann günstig beurteilt werden, 11. Armee kämpft aber zum Teil schwer. Eingehender Bericht geht heute ab.«

Es ist das nicht der einzige Versuch Seeckts gewesen, sich, man kann es kaum anders nennen, gegen die mangelhafte Kräftezumessung aufzulehnen. Am 17. 10. schreibt er an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453.:

»Euer Excellenz bitte ich nachstehendes berichten zu dürfen.

Die dringende Notwendigkeit schnellen Fortschreitens wird hier in keiner Weise verkannt, auch nicht bei den unterstellten Armeen. Trotzdem dürfen die Schwierigkeiten, die ein zäher Feind, mehr aber Wege und Witterungsschwierigkeiten dem Tempo machen, nicht unterschätzt werden. Diese Schwierigkeiten werden überwunden, darüber besteht kein Zweifel; aber man kann keine Garantie übernehmen dafür, daß das Tempo sich steigert, es sei denn, daß der Serbe den Widerstand aufgibt. Das liegt daran, daß die Truppen in den ganzen letzten Tagen anhaltend zum Teil schwer gekämpft haben und ihre Angriffskraft dadurch nach und nach etwas zurückgehen muß. Die Verluste der Infanterie sind eben nicht so schnell zu ersetzen. Bis heute war es der 11. Armee trotz Einwirkung von hier noch nicht gelungen, sich aus der Breite der 7 Divisionen eine herauszuziehen, um einen schärferen Druck an eine Stelle legen zu können. Eine Verschiebung ist im Gange. Bis sich die inneren Flügel der Armeen treffen, ist auch eine gewisse Sicherung der Flanken bei der 11. Armee noch notwendig, die auch Kräfte beansprucht.

Das alles veranlaßt mich, Euer Excellenz Erwägung nochmals zu unterbreiten, ob nicht eine Verstärkung der 11. Armee durch eine Division möglich ist. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß Euer Excellenz allein die Ausbalancierung der Kräfte zwischen den Kriegsschauplätzen zu beurteilen vermögen; trotzdem glaubte ich doch die hiesigen Verhältnisse kurz schildern zu sollen.

Euer Excellenz werden überzeugt sein, daß auch ohne einen Zuschuß an Kraft von mir gesucht werden wird, die Aufgabe möglichst schnell zu lösen.«

Diesem Schreiben ist übrigens noch ein recht bezeichnender Zusatz von Seeckt beigefügt:

»Euer Excellenz melde ich noch, daß ich gestern in Orsova war und Vorsorge getroffen habe, daß dort das Unternehmen in Gang kommt, namentlich durch Zuteilen deutscher Persönlichkeiten. Ob der Serbe dort noch halten wird … ist mir zweifelhaft!«

An den Rand dieser Nachschrift schreibt Falkenhayn persönlich: »Heute am 22. ist es aber noch nicht im Gange!« Es ist eigenartig, daß Falkenhayn zwar auf größte Beschleunigung der Operation drängt, aber sehr, sehr wenig dazu tut oder tun kann, um ihr Kraft zuzuführen.

Es kennzeichnet Seeckt hier wie bei Gorlice, daß er in strengster soldatischer Disziplin sich mit dem abfindet, was die verantwortliche Stelle bestimmt. In seinem Innern aber ringt er, mit seinem eigenen Streben mehr zu erreichen, als mit den gegebenen Kräften möglich ist. Da er einsehen zu müssen glaubt, daß quantitativ die O.H.L. nicht mehr geben kann, als sie gibt, so versucht er wenigstens, die in der Tat teilweise für eine so große Aktion recht mindere Qualität zu verbessern. Dies war das Geringste, was Seeckt wünschen und aus dem eigenen inneren Widerstreit ableiten mußte. Es war erwähnt, daß der Angriff gegen Serbien eine Operation war, in der sich die Mittelmächte nicht in numerischer Unterlegenheit befanden. Der Verlauf der Kämpfe hatte gezeigt, daß die Österreicher dafür zum Teil Truppen eingesetzt hatten, die wohl den besten Willen zeigten, aber an Kampfwert offensichtlich einigermaßen unzulänglich waren. Man muß das Schreiben Seeckts lesen nicht wie das eines anderen Heeresgruppenchefs. Berücksichtigt man seine Natur, so steckt viel innerer Kampf darin. Ihm liegt es absolut nicht, zu fordern und dann abschlägig beschieden zu werden. Er hält Disziplin auch in solchen Führungsdingen bis zur äußersten Konsequenz. Es wird ihm sehr schwer geworden sein, Änderungen vorzuschlagen, die die vorgesetzte Dienststelle nach seinem Empfinden sicherlich hätte von selbst vornehmen müssen. Daraus ergibt sich, daß unmittelbar nach dem ersten großen Erfolge Seeckt die Lage recht ernst ansah. Nicht ernst in dem Sinne, daß der Erfolg nicht weiter auszubauen, ja daß auch nur der Auftrag etwa gefährdet sei. Zu solcher Sorge lag kein Anlaß vor. Also bleibt auch hier nur, daß Seeckt die Gedanken weiter spannte, wie immer an die Entscheidung dachte, und daß er eine entscheidende Handlung mit diesen Kräften allerdings nicht ohne weiteres für gegeben ansah.

Es ist nicht so, daß Seeckt nur eine der Schwierigkeiten, wie sie Falkenhayns Kräftebemessung mehrfach eintreten ließ, gekennzeichnet hätte. Vielmehr muß man schon zugeben, daß eine ausgesprochene Krise vom 13. ab für die Operation eingetreten war, und daß Seeckt sie in aller ihrer Wucht erkannte. Der Serbe gewann Zeit, was in jeder Beziehung ein Fehler war. Die Verzögerung im Brückenschlag bei der 11. Armee war vorauszusehen. Ob daran etwas zu ändern gewesen wäre, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls konnte dieser Umstand und der dadurch entstehende Munitionsmangel auf dem südlichen Donauufer keine Überraschung sein. Vielleicht wäre die 11. Armee auch etwas leichter gleich vorwärts gekommen, wenn man, wie Hentsch es im Mai vorgeschlagen hatte, sie etwas weiter westlich angesetzt hätte. Tatsächlich war der Schwerpunkt der 11. Armee auf dem Ostflügel. Jedoch das Wesentliche trifft das alles nicht. Es ist auch hier so, wie es nicht anders sein kann. Die Kräfte der Angriffstruppe sind eigentlich nach wenigen Tagen verbraucht. Es tritt eine Krise ein, und von nun ab wird nicht das erreicht, was das größte Ziel sein könnte, sondern es wird mit hoher Führungskunst, aber mit unzulänglichen Mitteln aus der Lage das Mögliche herausgeholt. So wirkt es sich auf den einzelnen Kriegsschauplätzen eben aus, wenn im ganzen eine Minderheit gegen die ganze Welt im Kampfe sieht.

Man merkt den Briefen Seeckts aus diesen Tagen gelegentlich an, daß die Zustände ihm unbequem sind.

»14. 10. vormittags … Ich glaube nicht, daß es noch bis nächsten September dauert, wenigstens nicht der Krieg, vielleicht das Verhandeln, vor dem mir jetzt schon graut. Ich fahre in den nächsten Tagen wieder einmal nach vorn. Das Leben fängt hier an, unbehaglich zu werden …

15. 10. … Die bulgarische Armee hat heute angegriffen und ist gut vorwärts gekommen. Das kann nicht jeder von sich sagen. Außerdem waren heute noch verschiedene Schwierigkeiten zu überwinden, wozu sie ja da sind. Sie zu beheben, fahre ich in einer Stunde fort und freue mich auf einen Tag in frischer Luft – und gänzlich ungezügelter Selbständigkeit.«

In dem Brief sind einige Worte ganz besonders kennzeichnend für Seeckt. Den Hunger nach eigener selbständiger Tat gesteht er sich und der eigenen Frau gegenüber ganz offen ein. Unbewußt kommt er natürlich auch gegenüber der Umwelt oft genug zum Ausdruck.

»15. 10. … Heute abend fahre ich fort und freue mich auf die Gegend am Eisernen Tor. Werde mir auf der Rückfahrt noch Herkulesbad ansehen. Fast eine Vergnügungsfahrt … Es geht mir nicht schnell genug vorwärts. Wir brauchen aber schnelle Entscheidung, ehe das andere Volk kommt. Näheres darüber, was die Bulgaren gestern geleistet haben, ging noch nicht ein. Es geht hier eben alles langsam. Ganz einfach ist die Gesamtlage nicht, und das Verteilen der Kräfte auf den verschiedenen Schauplätzen ist ein Kunststück, das Falkenhayn bisher genial gelöst hat. Ihm ist es auch allein zu danken, daß Bulgarien sich uns angeschlossen hat. Wie manches andere auch …«

Dieser Brief ist allerdings nur mit einigem Erstaunen zu lesen. Eben erst hat Seeckt an Falkenhayn über die Schwierigkeiten des weiteren Angriffes berichtet. Trotzdem spricht er von den Anordnungen Falkenhayns mit der größten Hochachtung. Es ist schwer, zu entscheiden, ob man mehr die persönliche Zurückhaltung, die hierin zum Ausdruck kommt, oder den eigenen Tatwillen, der sich über alle Schwierigkeiten hinwegsetzt, oder aber das fast übermenschliche Verständnis für die Lage, aus der heraus Falkenhayn handelt, bewundern soll. Jedenfalls wird an diesem Tage niemand den Ausbruch einer Anerkennung für Falkenhayn von der Seite des Chefs der Heeresgruppe Mackensen erwartet haben. Denn inzwischen hatte die persönliche Anwesenheit des Generals von Gallwitz im Stabsquartier der Heeresgruppe die Krise recht deutlich zum Ausdruck gebracht.

In der Nacht vom 14. zum 15. M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–1916, S. 402 ff. ging bei der 11. Armee eine Weisung der Heeresgruppe wohl auf Veranlassung der O.H.L. ein, daß »die Lage gebieterisch Herbeiführung baldiger Entscheidung gegen serbisches Heer erfordere. Es muß deshalb erwartet werden, daß die Armee morgen Also den 15. den Angriff auf der ganzen Linie fortsetzt …« General von Gallwitz meldet sofort zurück Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. Die Meldung trägt den Eingangsvermerk von 8,30 Uhr vormittags.:

»Zu dem soeben eingegangenen Befehl Ia Nr. 621 melde ich, daß ich einen einheitlichen Angriff der Armee auf ganzer Linie für morgen nicht anordnen kann, da die Truppen hierzu nicht fertig formiert sind und das Übersetzen über die Donau durch die Kossava weitere Störungen erfahren hat. Ich bitte mir eine Zeit zu bestimmen, zu der ich am 15. X. dem Herrn Generalfeldmarschall Vortrag über die Lage der Armee erstatten kann.«

Von Seeckts Hand ist als Zeit der Rücksprache 12 Uhr mittags vermerkt. General von Gallwitz trug »die Schwierigkeit des Übersetzens und die Bedeutsamkeit der bisherigen Kämpfe vor und schilderte die Unfertigkeit der Verbände, mit denen er noch nicht zum Vormarsch großen Stiles übergehen könnte«. General von Gallwitz stellte volles Verständnis beim Feldmarschall fest, jedoch nicht so bei Seeckt. Das war vielleicht natürlich. Die O.H.L. drängte. Man konnte mehrfach erkennen, daß Seeckt sich nicht dazu bewegen ließ, die Truppe zu hetzen. Wenn er hier aber angesichts der Forderung der O.H.L., mochte sie nun vollständig berechtigt sein oder nicht, nur schwer dazu zu bewegen war, den Gründen des Generals von Gallwitz nachzugeben, so kann man wohl Verständnis dafür haben.

Der 15. bringt noch einen interessanten Widerspruch der Ansichten zwischen Seeckt und Falkenhayn bezüglich der 1. bulgarischen Armee Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453.:

»An General von Falkenhayn. Bitte zu erwägen, ob nicht Unterstellung 1. bulgarischer Armee unter Feldmarschall, also deutsches Oberkommando, jetzt von dort öffentlich bekanntgegeben werden könnte. Vielleicht wäre es von Vorteil, nach außen Einheitlichkeit zu betonen. Auch gute Wirkung in Bulgarien durch Feststellung deutscher Oberleitung zu erwarten. Damit würde dem Bestreben österr.-ung. Presse entgegengetreten, den Feldzug als eine wesentlich österr. Leistung hinzustellen. General v. Seeckt.«

»An General von Seeckt, Temesvar. Bekanntgabe der Unterstellung der bulgarischen ersten Armee wird erfolgen, sobald jetzt noch dagegen sprechende politische Gründe es gestatten. Für den Kenner wird Sachlage schon aus heutigem Tagesbericht klar werden. Über Wirkung auf bulgarische öffentliche Meinung kann man verschiedener Ansicht sein. Aber sie ist nicht so wichtig. Dagegen bin ich fest überzeugt, daß wir dem von Ihnen erwähnten Bestreben der Bundespresse nicht viel Abbruch tun werden. Auf direkte Richtigstellungen können wir es nicht ankommen lassen und auf direkte Entstellungen kommt es den andern nicht an. Da müssen wir natürlich den kürzeren ziehen. v. Falkenhayn.«

Am 15. fährt Seeckt nach Orsova. Darüber berichten die Briefe:

»17. 10. 15. Gestern abend war ich wieder zurück. Schade, die Landpartie verregnete. Militärisch erreichte ich das Gewollte. Eine herrliche wilde Gegend, wohl eine der großartigsten Europas. Das sah ich trotz der Regenwände. Autorutsch bis zur Donau, dort gründlich gegangen und geschaut. Die Serben waren ganz still. Es regnete ihnen zu sehr und den Österreichern auch. Dann nach Herkulesbad. Großer, eleganter, natürlich ganz zivilisierter Badeort mit Riesenhotels, Wald und Felsenumgebung … Gegen drei Uhr in den Zug. Zum Trocknen zu Bett gegangen. Bis Mitternacht noch Vorträge im Zug. Es geht alles gut, nur der Regen etwas reichlich, und der Kossavawind an der Donau auch. Ich werde noch Marinemann, soviel ist mit Schleppkähnen und Monitoren zu tun. Sehr zufrieden bin ich mit den Bulgaren, die gute Fortschritte machen … Ich tue heute abend etwas ganz Ausgefallenes, mir an sich eigentlich ganz Fremdes. Behr behauptet, ich muß ins Theater mitkommen, um hier den »Barbier von Sevilla« zu hören …

Ich habe mir also den zweiten Akt davon angehört, und nun sitze ich wieder vor den Karten und warte auf Nachricht von blutigem Ernst. Kommen sie rechtzeitig, so kann ich vielleicht noch den Schluß hören. Eigentlich, warum schließlich nicht? Die leichte Musik tut ordentlich wohl. Eine gute Vorstellung, einfach, aber mit Geschmack. Ein reizendes kleines Theater voller Menschen wie mitten im Frieden. Auch das tut schließlich ganz gut. Wenn ich es ja auch nicht recht mag. Aber mit der Länge der Zeit kommt die Unmöglichkeit, immer im historischen Ernst zu sein. Oft darf man solche Abende wie der Barbier allerdings nicht machen, sonst kommt dem vernünftigen Menschen das Unvernünftige des Zustandes zu sehr zum Bewußtsein. In etwas kriegsmäßigerer Umgebung wird wohl alles etwas natürlicher. Das aber gerade verstehen die Leute hier nicht und schimpfen, daß ich ihnen ihre Ungarinnen und ihr Kaffeehaus nicht gönne … Unser neues Quartier wird ganz komisch. Ich lasse eine uns zur Verfügung gestellte große Luxusjacht auf der Donau bei Semendria verankern als Wohnung für den Feldmarschall, mich und noch sechs oder sieben Herren. Es wird höchst pittoresk werden … Bei uns ist jetzt ein Graf L. vom österreichischen Autokorps, ein sehr netter kluger Kerl. Der österreichische Kaiser hat den damaligen Aufruf des russischen Kaisers: ›An meine lieben Juden‹ mit einem ›An mein liebes freiwilliges Automobilkorps‹ beantwortet … Ob das Friedensgemunkel Unterlagen hat? Es kriselt in der Entente nach dem diplomatischen Mißerfolg auf dem Balkan, dem Stillstand in Italien, der Geldnot in Rußland und nach dem weit überzahlten Erfolg, oder besser teuren Mißerfolg im Westen. Die Verluste dort sind enorm und übersteigen unsere um das Vielfache, so daß das Versagen des Riesenangriffs auf alle Fälle sehr niederschlagend gewirkt hat. Immerhin ist von einem endgültigen Sieg auf unserer Seite keine Rede, und hier ist er auch nicht von heute auf morgen zu haben, wenn auch alles gut geht bei uns. Zu einer großen Schlacht stellt sich das serbische Heer nicht, und das Abgewinnen jedes Stückchen Landes kostet Zeit. Ich habe für Friedenswünsche das vollste Verständnis, denn die anhaltenden Opfer müssen schließlich die Haltung erschüttern. Ich höre aber doch zu meiner Freude den Zusatz heraus: nur mit Ehre; und das bedeutet: nur mit Erfolg … Beim Stabe des III. Korps ist es etwas schwierig. Die Autos sind noch nicht über die Donau gebracht. Die Unterbringung in dem stark zerschossenen Semendria ist miserabel. Es ist hier anders als im Westen. Und mit mir fechten ist auch kein unbedingter Genuß … Gestern nachmittag war ich, um ganz ehrlich zu sein, beim Zahnarzt. Ein herrlicher Mensch. Er legte mir in zehn Minuten ohne jeden Schmerz eine Plombe … Ich werde später für meine Zähne stets nach Temesvar reisen …«

Das Ergebnis der Reise nach Orsova war der Entschluß, daß der Übergang der österr.-ung. Grenztruppen unter Feldmarschalleutnant Fülöpp über die Donau für den 22. 10. in Aussicht genommen wurde. Seeckt hat sich zu dieser Reise nach Orsova, ihrem Zweck und ihrem Erfolg, später noch geäußert Zuschrift an das Reichsarchiv (Forschungsanstalt) vom 25. 12. 1932.: »Die Negotin-Ecke, die noch in der Hand der Serben war, war unbequem, da sie den Verkehr auf der Donau sperrte. Andererseits war sie schwach besetzt und mußte bei weiterem Vorrücken der bulgarischen 1. Armee und der 11. Armee von selbst fallen. Außerdem ist dieser Teil des Landes für Bewegung größerer Truppenmengen ungeeignet. Erwünscht war eine baldige Berührung mit den Bulgaren. Am 16. 10. 15 fuhr ich nach Orsova … Als deutscher Verbindungsoffizier war der Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg dort. Mit ihm stellte ich fest, daß es des deutschen Antriebes für den an sich leichten Übergang bedürfte. Für das Alpenkorps war hier kein Platz. Ich schickte, um das weitere in Gang zu bringen, den Oberst Hentsch und … eine schwerste Batterie … Diese Batterie erleichterte den Übergang durch ihren großen moralischen Eindruck über den an sich hier recht breiten Strom. Das Beste an dem Übergang haben der Herzog von Mecklenburg und sein Adjutant geleistet, die in den ersten Kahn stiegen, wozu sich sonst niemand bereit gefunden hatte … Auch im Brief vom 26. 10. 1915, S. 250 erwähnt.«

Das hier erwähnte Alpenkorps wurde wenige Tage später als Verstärkung der Heeresgruppe zugeführt. Es war dies ein Erfolg des mehrfachen Forderns von seiten Seeckts. Aber es war offensichtlich kein ausreichender Erfolg. Es war nicht einmal ein Korps, denn die Truppe trug nur diesen Namen, war aber eigentlich nichts als eine Division.

Im übrigen hatte Seeckt aber doch recht, wenn er in seinen Briefen meint, daß es nach Wunsch ginge. Man kam vorwärts, wenn es auch nicht leicht war. Und am 17. besagten die Nachrichten von den Bulgaren, daß auch dort inzwischen Fortschritte zu verzeichnen waren. Ja, die 2. bulgarische Armee, die freilich der Heeresgruppe nicht unterstand, hatte in Mazedonien größeren Raumgewinn erzielt. Allerdings hielten die Fortschritte der Bulgaren nicht gleichmäßig an.

Die 11. Armee ist der Keil, mit dem das Ganze vorwärtsgetrieben wird, wobei aber das Ganze getrieben werden muß. Noch unter dem 18. 10. entwirft Seeckt Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. selbst ein Schreiben an die 3. Armee, das den Übergang des k. u. k. XIX. Korps betrifft. Das Schreiben ist scharf. Weder der Feldmarschall noch Seeckt waren leicht zu solcher Schärfe bereit. Man kann an der Form ermessen, daß es nicht so einfach war, zu verhindern, daß das ganze Unternehmen nach einem ersten Anfangserfolg zusehends zum Stillstand kam.

»An 3. Armee. Den Darlegungen des k.u.k. XIX. Korpskds. vom 15. 10. 15 op. N. 576/59 betr. den Übergang bei Progar kann nicht zugestimmt werden.

Daß die technischen Übergangsverhältnisse ungünstig waren, wird nicht verkannt; die Schwierigkeiten waren aber zu überwinden. Jedenfalls reichten sie nicht aus gegenüber den taktischen Vorteilen eines Überganges bei Kupinovo, das Abweichen von dem erhaltenen Befehl zu begründen. Daß der Übergang bei Progar leichter war, ist selbstverständlich. Aber nicht darauf kam es an, sondern auf die Wirksamkeit des Übergangs und die Möglichkeit, ihn in einer für den Feind empfindlichen Weise auszunutzen. Hierzu bot der Übergang bei Progar keine Aussicht …

Ich kann mich mit dem Abweichen von dem gegebenen Befehl nicht einverstanden erklären und bitte dies dem Herrn Korpskommandanten zu eröffnen. Der Mißerfolg des Korps bei der Unternehmung ergibt die beste Kritik der getroffenen Maßnahme. gez. v. M.«

Am nächsten Tage treibt Seeckt wieder in einem eigenhändig geschriebenen Befehl Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11.: »Die 3. Armee muß ihr Vorgehen auf der ganzen Front mit allen Kräften zu beschleunigen suchen …«

Auch das genügt Seeckt noch nicht. Am 20. Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. sendet er dem Chef der k.u.k. 3. Armee ein Schreiben, das eigentlich mehr eine taktische Unterweisung ist:

»E. H. bitte ich im Auftrage des Herrn Feldmarschalls nachstehendes bei Fortführung der Operationen zu berücksichtigen und dem Herrn Armeeführer vortragen zu wollen.

Schnelle Entscheidung ist gleich wie aus politischen auch aus militärischen Gründen dringend geboten; diese Überzeugung muß bei allen Stellen der Armee durchdringen, damit in ihrem Sinn überall gehandelt wird. Unsere im Laufe des Feldzuges gewonnene Erfahrung bewies uns immer wieder, daß nur das rücksichtslose Vorgehen jedes einzelnen Teiles in der ihm vorgeschriebenen Richtung, und zwar ohne Rücksicht auf Nebenabteilungen Erfolg verspricht …

Dieser Augenblick scheint mir jetzt bei der 3. Armee gekommen, nachdem ihre rückwärtigen Verbindungen gefestigt sind. Wie weit wir uns dabei von jedem Schema entfernen müssen, hat uns die Kriegführung in Galizien und Polen bewiesen. Stellen wir nur an unsere Etappen große Anforderungen, dann leisten sie diese auch; hier Hemmungen und Neigung zum Schematisieren zu überwinden, ist die besondere Aufgabe des Generalstabes. Dabei rate ich, den Korps für die eigenen Maßnahmen möglichste Freiheit zu lassen und möglichst wenig in ihre Anordnungen einzugreifen.

Bei den bisherigen taktischen Anordnungen der Armee ist es dem Feldmarschall aufgefallen, daß das Vorgehen in fast gleichen Stärken auf der ganzen Front erfolgt. Damit ist es schwer, an einer Stelle Entscheidendes zu erreichen. Ich kann nur empfehlen, den Korps bestimmte Gefechtsstreifen zuzuweisen und deren Breite nach der Schwierigkeit und Wichtigkeit der Aufgabe zu bemessen …«

Ebenso treibt er eigenhändig die Bulgaren vorwärts: »... Das Vorgehen in das Moravatal ist unaufhaltsam fortzusetzen. Diese Operation wird … besser helfen als eine unmittelbare Unterstützung durch Abbiegen der Mitte nach Norden und Süden … Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11.«

In diese Zeit fallen zwei kleine Episoden Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11., an sich unbedeutend und dennoch bezeichnend. Man gibt sie am besten wieder in dem Wortlaut, in den sie die Heeresgruppe gefaßt hat:

»An 3. Armee. Der Herr Feldmarschall befiehlt, daß auf der Zitadelle und dem Konak in Belgrad die deutsche Flagge neben der österreich-ungarischen bis auf anderen Befehl dauernd anzubringen ist.«

»An Oberste Heeresleitung. Die Rumänen beleuchten nachts mit Scheinwerfer unsere Stellungen, besonders Artl.-Stellung, bei Orsova und erleichtern damit den Serben das Erkennen der Aufstellung.«

Bis zum 22.10. abends ist mit Erfolg und Mißerfolg so viel erreicht, daß die eigentliche Operation nach Serbien hinein angesetzt werden kann. Die von Seeckt selbst entworfene Weisung an die 3. und 11. Armee Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. Im vollständigen Wortlaut in »Österr.-Ungarns letzter Krieg«., die in den späten Abendstunden herausging, fängt mit einem fast klassisch zu nennenden Satz an. Man kann beinahe ein Erstaunen nicht unterdrücken, wie hier der Wille zur Entscheidung immer wieder zum Durchbruch kommt, obwohl Zweifel an der Zulänglichkeit der Mittel dem, der diese Worte schreibt, keineswegs fremd sein können.

»Mit dem Ziel, die serbischen Hauptkräfte nach der Mitte des Landes zusammenzudrängen und dort entscheidend zu schlagen, setzen die Armeen ihren Vormarsch fort …

Die 3. Armee hat ihren rechten Flügel stark zu halten, um die Umfassung des Feindes von Westen, sei es nördlich oder bei Kragujevac, sei es im westl. Moravatal einzuleiten... Die 62. I.T.D. hat ihren Vormarsch auf Užice fortzusetzen.

Die 11. Armee setzt ihr Vordringen in südlicher Richtung beiderseits der Morava fort in dem Bestreben, sich möglichst bald durch Vorgehen des linken Flügels auf Ćuprija dort mit dem rechten Flügel der I. bulg. Armee die Hand zu reichen. So lange nicht, wie es in Aussicht steht, neue Verbände hinter dem linken Flügel der Armee eingetroffen sind, denen der Flankenschutz zufällt, ist zuverläßliche Sicherung der linken Armeeflanke erforderlich. Über das Eintreffen dieser Verbände kann der Armee voraussichtlich am 24.10. weitere Nachricht zugehen … Genf. v. Mackensen.«

Als Seeckt diesen Befehl entwarf, kann er sich nicht im unklaren darüber gewesen sein, daß die Lage des 22. für die Ausführung nicht allzuviel Hoffnung ließ. Wenn er dennoch die Entscheidung anstrebt, so kennzeichnet das die Willenskraft, die der Oberbefehlshaber und er besaßen. Operative Erfolge hatte in diesem Augenblick nur die 2. bulgarische Armee. Eine Umfassung von Westen her war nach der Kräfteverteilung eigentlich nicht zu erwarten. Tatsächlich ist der Nordangriff dauernd ein Frontangriff geblieben. Ob der Ansatz der 62. Division auf Užice eine Umfassung geben würde, war recht zweifelhaft. Der Auftrag an die 3. Armee enthielt vielleicht auch eine Doppelaufgabe, die ein Verlegen der Stärke auf beide Flügel voraussetzte. Es ist ganz ausgeschlossen, daß Seeckt alle diese Schwierigkeiten, die in der Weisung vom 22. abends sich deutlich abzeichneten, nicht erkannt hat. Der Befehlsentwurf beweist nichts anderes, als daß Seeckt aus sich heraus den Versuch machte, einer Lage Herr zu werden, die viel schwieriger geworden war, als sie dem äußeren Anschein nach vielleicht schien. In dieser Lage überhaupt noch den Willen zu einer Entscheidung aufzubringen, ist schon sehr viel. Die Ausführung ergab sich so zwangsläufig aus den Umständen, daß eine Ideallösung, die eine nachträgliche Betrachtung vielleicht suchen möchte, ganz sicher nicht zu finden war.

Brief vom 20. 10. 15:

»... Heute abend fahre ich an die Donau, sehe mir morgen eine Brücke dort an, besuche das Gen.Kd. III und gegen abend General von Gallwitz, kehre dann spät hierher zurück … Gestern hatte ich bis tief in die Nacht zu arbeiten … Ich hätte Dir so gern etwas geschickt. Weiß aber nicht was; denn hiesige Stickereien darf ich ja nicht Eine Bitte von Frau v. Seeckt verbot, ungarische oder Balkan-Stickereien zu kaufen, da sie diese nicht mochte.. Es soll hübsche in Temesvar geben. Eine fürstliche Dame … hat ihren Besuch angesagt. Die Frau Obergespanin hat sagen lassen, Höchstdieselbe hätte schwarz ausgeschnittene Toilette befohlen und hätte ›einen so besonders hervorragenden Busen‹ …«

»22. 10. 15. Zur Zeit etwas in Hetze. Vorträge bis nachts zwei Uhr … Es ist ziemlich viel los bei uns. Es ging und geht schön vorwärts. Freilich zum Teil wieder erbitterte Kämpfe. Weißt Du, wer die englische Division in Saloniki führt? Sir Brian Mahon!!! Beim Jahreswechsel 1907/08 waren Seeckts seine Gäste an der Kaschmir-Grenze gewesen. Da ich ihn kenne, könnte es ein hübsches Wiedersehen geben … Ich fuhr in der Nacht bis zur Donau, dann über diese auf einem kleinen Dampfschiff, dann durch Semendria auf echt serbischen Wegen durch Kolonnen und Gefangene hindurch zum Gefechtsstand des III. Korps auf einer Anhöhe. Es war sehr bekannt, mir und ihnen. Auf dem Rückweg zum Auto bekam ich von Utffz. Berndt einen Teller Suppe und Kaffee …«

»22. 10. 15. Schön ist es gestern vorwärtsgegangen, und zwar macht das alte III. A.K. seine Sache ausgezeichnet. Daß das gerade während meines Besuches bei ihnen geschah, freut mich ganz besonders. Berliner, Havelländer, Uckermärker! Hie allewege gut Brandenburg. Ich bin stolz und dankbar, wenn es so weitergeht. Auch unsere bulgarische Armee macht ihre Sache gut. Alles in allem kann man zufrieden sein, und ich bin neugierig, ob Falkenhayn, der morgen kommt, es auch sein wird …«

Diese Worte sind nur verständlich, wenn man sich Falkenhayns Drängen auf Beschleunigung aus politischen Gründen vergegenwärtigt. Seeckt hat hier, wie immer, sich so in die große Lage eingepaßt, daß er seine eigene Aufgabe in bewußter Zurückhaltung keineswegs als die Hauptsache ansieht. Sonst müßte seine Stimmung eine ganz andere sein. Sonst müßte er dem Zusammentreffen mit Falkenhayn entgegengehen mit der Absicht, ihm alle Schwächen der Operation, die Gefährdung der Entscheidung vorzuhalten und ihn dahin zu drängen, mehr Kräfte einzusetzen. Wäre Seeckt eine Persönlichkeit kleinen Formats, so könnte die Briefstelle auch der Ausdruck kleinlicher Besorgnis sein. Von Kleinlichkeit ist Seeckt wirklich frei gewesen. Selbst seine Gegner haben ihm die Großzügigkeit mindestens seiner operativen Gedanken niemals abgesprochen. Diese eigenartige Briefstelle kann nur bedeuten, daß er dem Zusammentreffen mit innerer Selbstkritik entgegenschreitet, nicht ob die Heeresgruppe ihre Sache im Kampfe gegen die Serben richtig gemacht hat, sondern ob im großen Rahmen die Aufgabe erfüllt ist. So beweist denn auch der Brief unmittelbar nach dem Zusammentreffen mit Falkenhayn, daß seine Gedanken sofort über die Grenzen des eigenen Wirkungskreises hinausgehen.

»25. 10. 15. Wenn ich Dir sage, daß Falkenhayn gestern den ganzen Tag hier war, wirst Du verstehen, daß ich nicht zum Schreiben kam. Heute ist er mit Bock an die Donau gefahren … Es waren gestern lange und wichtige Besprechungen mit weitreichenden Plänen und Möglichkeiten; den ganzen Vormittag, nach dem Mittagessen wieder. Abends war ich allein bei Falkenhayn in seinem Zug und aß dann mit ihm. Er war im Grunde sehr zufrieden mit der Lage hier und kann sich heute überzeugen, daß die Donau keine Kleinigkeit ist. Mit welchen Schwierigkeiten hat Falkenhayn hier zu kämpfen, und was muß er im Kopf haben! Vor allem bei der geringen Unterstützung durch die Zivilleitung und ihre diplomatischen Organe. Es gibt sogar Menschen …, die es verstimmt, daß bei uns wieder Erfolge zu verzeichnen sind. Wenn sie oben nur endlich zur Ruhe kämen. Es ist ein aussichtsloser Menscheneinsatz an einer Stelle, für die wir sie nicht übrighaben. Heute abend spreche ich Falkenhayn nochmals auf der Durchfahrt.«

Diese Briefstelle, die nicht ganz klar im Wortlaut und im Original schwer zu lesen ist, kann eigentlich nur bedeuten, daß Seeckt der Ansicht war, es könnten der Heeresgruppe Mackensen vom nordöstlichen Kriegsschauplatz her Kräfte abgegeben werden. Liest man diese Stelle so, dann ist sie ungeheuer aufschlußreich. Er will die Entscheidung. Er sieht, daß die Kräfte nicht ausreichen. Er erkennt aber nicht an, daß der Fehler bei Falkenhayn liegt, sondern er glaubt, daß das Aussparen von Kräften an Stellen möglich wäre, die sie nicht hergeben. Es ist ganz seltsam, daß er nun den Gedanken nicht soweit fortsetzt, um Falkenhayn, der doch der zuletzt mit der Verantwortung Ausgestattete ist, einen Vorwurf zu machen. Vielleicht hat er am 25. abends versucht, mit Falkenhayn über diese Dinge zu sprechen. Jedoch schon der nächste Brief beweist, daß seine persönliche Einstellung zu Falkenhayn es nicht zuläßt, den Fehler bei Falkenhayn zu suchen. Zur Beurteilung Seeckts muß man aber feststellen, daß er an und für sich den Fehler erkannte und sogar in bewundernswerter Weise in der gehemmten Situation das äußerste leistete. Es ist schließlich kein Vorwurf, wenn er den Urheber der Hemmung, den zu suchen nicht seines Amtes war, vermutlich an falscher Stelle suchte.

»26. 10. 15. Gestern abend noch lange mit Falkenhayn in seinem Wagen gesessen, von 10–12. Sehr interessant und sehr weitsichtig und großzügig von seiner Seite. Eine Erholung für mich. Der zukünftige Reichskanzler, der einmal die Neuordnung machen muß. Er kam sehr erfrischt und befriedigt zurück von der Donau, wo er herrliches Wetter gehabt hat und sich überzeugen konnte, daß es doch kein kleiner Fluß ist. Zwei Brücken, ein Eisenbahntrajekt, eine Schwebebahn konnte man ihm vorweisen. Keine geringe Leistung militärischer Technik, die überhaupt eine ungeahnte Rolle in diesem Kriege spielt. Wir beide spielten mit Kronen und Thronen. Aber vorläufig gilt es noch immer, die Vorbedingungen zu schaffen: also siegen, siegen! Das ist nicht so leicht und im Westen geringe, im eigentlichen Osten gar keine Aussicht dazu. Ob wohl der »Schatten des großen Feldherrn« Hier ist der auf S. 217 erwähnte Ausdruck tatsächlich gebraucht. auch über der serbischen Aktion schwebt wie über der von Galizien? … Es wird hier ein buntes Völkergemisch werden. Seit gestern habe ich einen sehr netten türkischen Generalstabsoffizier in meinem Stabe, der etwas internationaler wirkt als der beim III. A.K. … Ich nehme den intelligenten und gut deutsch sprechenden Mann, der mir einen Brief von Enver Pascha Die erste nachweisbare Beziehung zwischen Seeckt und Enver. Sie ist wesentlich, weil Enver bei der Berufung Seeckts in die Türkei später mitsprach. brachte, als gute Vorbedeutung für Ziele weiter im Osten. Sehr hübsch ist unserem … ausgezeichneten O.Qu. Hentsch noch ein kleiner Donauübergang bei Orsova geglückt. Ganz mangelhafte österr. Landwehr-Infanterie, gute deutsche Artillerie und einige deutsche Offiziere, unter diesen der Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg. Diese rissen die Leute, die ja nur geführt sein wollten, mit. Keine Kleinigkeit, über die reißende Donau bei dem Feuer. Der Feldmarschall war gestern drüben und gab dem Herzog das E.K. I, das er sich sehr schön verdient hat, wie es sich für einen deutschen Fürsten ziemt. … Man schimpft soviel auf die hohen Herren. Dann muß man auch die guten Leistungen anerkennen. … Ich habe mich neulich über die Wendung geärgert: ›Der Adel hat die meisten Opfer gebracht.‹ Das ist eine blöde Redensart, weil die Tatsache selbstverständlich ist und durch Erwähnung schon herabgesetzt wird. Mit verschwindenden Ausnahmen ist doch alles bei uns Schwertadel …«

In den Tagen, in denen diese Briefe geschrieben sind, geht es im ganzen weiter vorwärts. Die 2. bulgarische Armee nähert sich Üsküb. Der Übergang bei Orsova ist gelungen. Der Einsatz des Alpenkorps auf dem linken Flügel der 11. Armee wird geregelt. Man hätte eigentlich bei den Absichten der Heeresgruppe erwarten müssen, daß das Alpenkorps auf dem Westflügel verwandt werden würde. Man muß annehmen, daß in den Besprechungen zwischen Falkenhayn und Seeckt die Tatsache berührt worden ist, die Serben könnten sich einer Umfassung bei Kragujevac entziehen, nachdem man erst eine Division vom Westflügel fortnahm und nunmehr das Alpenkorps dort nicht einsetzte. Aufzeichnungen über den Meinungsaustausch zwischen Falkenhayn und Seeckt gibt es nicht. Man weiß also nicht, wer der eigentliche Urheber des Entschlusses über das Alpenkorps ist. Feldmarschall von Mackensen wird sich nur schwer zu dem tatsächlichen Einsatz entschlossen haben. Conrad erklärt am 30. 10. Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11., er hätte das Alpenkorps lieber in Bosnien gesehen. Ob er aber seine Meinung gegenüber Falkenhayn am 23. 10. in Teschen zur Sprache gebracht hat, ist ziemlich unwahrscheinlich. Falkenhayn begründet in einem Schreiben, das trotz ungewöhnlich häufiger Verbesserungen des Entwurfes nicht ohne einige scharfe Stellen geblieben ist, die Maßnahme, die er mit dieser Begründung doch wohl zur seinigen macht und dadurch ziemlich deutlich der Heeresgruppe die Verantwortung nimmt, damit, daß der Aufmarsch des Alpenkorps in Bosnien 17 Tage gedauert hätte. Es stand nur eine völlig unzulängliche Schmalspurbahn zur Verfügung. Allerdings berührt die Entgegnung Falkenhayns nicht die Frage, ob man das Alpenkorps auf dem rechten Flügel der 3. Armee hätte einsetzen können.

Zunächst war erwogen, das erste eintreffende Regiment des Alpenkorps der 1. bulgarischen Armee zum Vorstoß auf Negotin zu geben. Am 24.10. nahmen die Bulgaren Negotin allein. Allerdings war der Widerstand der Serben hier gering. Inzwischen waren die beiden Armeen der Nordfront in stetem, leider frontalem Vorgehen, durch Witterung, Gebirgsland, grundlose Wege, Nachschubschwierigkeiten und zähen serbischen Widerstand erheblich gehemmt.

Über mancherlei Schwierigkeiten hinweg ist die Lage am 26. 10. so weit gediehen, daß man neue Weisungen gibt. Die inneren Flügel der 3. und 11. Armee sollen auf Kragujevac durchbrechen. Die Kritik hat diesen Befehl beanstandet und gemeint, daß er jede Umfassung endgültig verhindert habe. So wie die Dinge nun einmal geworden waren, hat Seeckt tatsächlich nur noch eine sehr schwache Hoffnung gehabt, es würde mit den äußeren Flügeln zu einer Umfassung kommen. Erwähnt hat er sie in dem von ihm selbst verfaßten Heeresgruppenbefehl vom 26. 10. Er schreibt dort:

»So sehr auch das schnelle Vorkommen der beiden äußeren Flügel von den Armeen anzustreben ist, um die Es ist außerordentlich bezeichnend, daß es ursprünglich in dem Befehlsentwurf hieß: »um die beabsichtigte Umfassung«. Seeckt hat dann das Wort »beabsichtigte« gestrichen. Als beabsichtigt konnte er die Umfassung nicht mehr anerkennen. Vielleicht brachte sie noch der Zufall. Umfassung eines in der Gegend von Kragujevac standhaltenden Feindes zu erreichen, so darf deshalb doch nicht das Vorgehen der inneren Flügel aufgehalten werden. Durch schnelles Nachdrängen muß der Feind verhindert werden, in den gewählten Stellungen sich zu geordnetem Widerstand einzurichten.«

Innerlich hat Seeckt die Umfassung als kaum zu erreichendes Ziel so gut wie aufgegeben. Was er aber trotzdem nicht aufgibt und woran er mit erstaunlicher Zähigkeit festhält, das ist die Entscheidung. Wenn es so nicht geht, dann muß es anders versucht werden. Infolgedessen macht er einen besonderen Zusatz für die 11. Armee:

»Das Oberkommando wolle erwägen, ob es jetzt nicht angängig ist, das Vorgehen auf dem östlichen Morava-Ufer mit drei Divisionen fortzusetzen und noch eine auf das westliche Ufer zu schieben, um hier mit vier Divisionen eine Stoßgruppe zu bilden. Es wird hierbei von der Erwägung ausgegangen, ob nicht ein Durchstoß schneller zu einer Entscheidung führt, als die für den Fall stärkeren frontalen Widerstandes eingeleitete Umfassung.«

Im übrigen enthält dieser Befehl als Anfang des zweiten Absatzes die Worte: »Die Armeen setzen die Verfolgung … fort.«

Das Wort Verfolgung kennzeichnet den Vorwärtsdrang der Heeresgruppe. Daß es mit der Verfolgung nicht so einfach war, wußte man. Denn Seeckt sprach den Zustand der serbischen Armee immerhin noch als leidlich an, wenn auch die Bevölkerung gegen die Führung sehr mißgestimmt und infolge des Versagens der Entente ziemlich hoffnungslos war.

Wenn sich im serbischen Feldzug zum erstenmal Seeckt dazu entschloß, einen Durchbruch vorzuschlagen, so mag dabei eine gewisse Sorge um den rechten Heeresflügel mitgespielt haben. Man hat wohl mit der Möglichkeit eines serbischen Angriffs ähnlich wie 1914 gegen den rechten Heeresflügel gerechnet. Gegenangriffe hatte der Serbe in den letzten Tagen an einigen Stellen gemacht. Dazu kam, daß auf dem serbischen Westflügel derselbe Führer Mišič, befehligte, wie damals.

Seeckt muß aber im ganzen die Lage am 26. vor der Mitte der deutsch-österreichischen Front als etwas unerwartet günstig angesehen haben. Er schreibt in seinem Lagenbericht Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. von diesem Tage an General von Falkenhayn:

»Vorkommen des linken Flügels 11. Armee und rückwärtige Bewegungen des Feindes lassen hoffen, daß eine Entscheidung bei Kragujevac früher fällt, als Eingreifen des rechten bulgarischen Flügels … wirksam wird. Bulgarischer Durchbruch … gegen Linie Aleksinac–Nisch erscheint jetzt aussichtsvoller. Bitte daher die bulgarische Heeresleitung, Zuführung der in Aussicht gestellten Division zur Mitte 1. Armee zu veranlassen.«

Wieder tritt der Wille hervor, die Entscheidung doch noch herauszuholen. Das Streben, irgendwoher einen Kräftezuwachs für den bulgarischen Flügel herzuholen, hat ganz eigentümliche Formen angenommen. Conrad regt den Einsatz türkischer Kräfte an. Der Zar Ferdinand möchte das nicht. Conrad dringt nun darauf, und zwar zweifellos im Sinne Seeckts, bulgarische Kräfte von der rumänischen Grenze heranzuziehen, damit doch noch eine Umfassung herauskäme. Falkenhayn antwortet mit einem Hinweis auf den fehlenden Druck aus Bosnien. Diese Antwort ist nahezu unverständlich. Die Lage müßte sich also Falkenhayn so dargestellt haben, als ob für Conrad aus Bosnien heraus immer noch ein wirksamer Angriff möglich gewesen wäre. Falkenhayns Hinweis wird um so unverständlicher, als er am Schluß eines Schreibens, in dem er das Heranziehen türkischer Truppen als vorläufig unmöglich erklärt, ferner anerkennende und hoffnungsvolle Worte für die bulgarische Leistung findet, plötzlich außer Zusammenhang auf den fehlenden Druck von Westen zu sprechen kommt in einer Form, die man nicht anders als einen recht scharfen Vorwurf bezeichnen kann. Daß Conrad gewiß nichts dafür konnte, wenn aus Bosnien heraus keine Umfassung zustande gekommen war, wird man ohne weiteres zugeben müssen.

In diesem Schriftwechsel Heeresarchiv Potsdam, Akte O 432. ist übrigens eine andere Stelle erwähnenswert, die eine Auffassung Falkenhayns zeigt, welche wohl kaum ohne Einfluß auf das spätere Saloniki-Problem geblieben ist. Falkenhayn spricht von einer Blufflandung der Entente in Saloniki. Er ist in diesen Tagen wahrscheinlich beeinflußt von der Auffassung der Bulgaren, die ausdrücklich melden Heeresarchiv Potsdam, Akte O 720., sie rechneten nicht mit einem Angriff der Franzosen gegen den bulgarischen Flügel, obwohl tatsächlich französische Angriffe an sich bereits stattgefunden hatten. Falkenhayn hat, wie man wohl annehmen kann, auf Veranlassung Seeckts in kurzer Zeit seine Ansicht hierüber geändert. Er weist nämlich in einem Schreiben Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453. an den Zaren von Bulgarien auf die Möglichkeit eines Angriffs der Ententetruppen auf die bulgarische 2. Armee hin. Ein Angriff ist kein Bluff.

Bis zum 30. hatte sich die Lage, wie ein Befehl der Heeresgruppe vom 30. 10. Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 1 A.O.K. 11. es zusammenfaßte, so entwickelt: »Die bulgarische 1. Armee ist in schnellem Vorgehen gegen die Linie Paračin–Nisch. Im Süd-Morava-Tal hat die bulgarische 2. Armee dem Feind den Weg verlegt. Von Norden dringen 3. und 11. Armee gleichmäßig vor. Der rechte Flügel der 3. Armee nähert sich dem oberen West-Morava-Tal. Somit bleibt der serbischen Armee nur ein Ausweichen in das unwegsame, südwestlich gelegene Bergland oder die Entscheidungsschlacht bei Kragujevac.« Jedoch der 31. ließ bereits erkennen, daß die Serben nicht gewillt waren, um Kragujevac entscheidend zu kämpfen. Am Entkommen konnte man sie nicht hindern. Geringe Nachhuten konnten bei den unbeschreiblich schlechten Wegen den Angreifer aufhalten. Die Aussicht einer Westumfassung, wenn sie überhaupt bestanden hatte, verringerte sich immer mehr. Die Möglichkeit, von Osten her den Rückzug zu verlegen, verminderte sich ebenfalls etwas. Dennoch hatte der Feldmarschall die Hoffnung, selbst in frontalem Kampf den Gegner zu zerschlagen, da ja auch für diesen alle Bewegungen nicht leicht waren. Am 1. November zog das III. Korps in Kragujevac ein. Ein Erfolg, der keinesfalls unterschätzt werden durfte. Nur eine Vernichtung der serbischen Armee bedeutete er allerdings nicht. Um so befremdender ist es, wenn jetzt plötzlich Falkenhayn mit der Möglichkeit spielt, der Serbe werde die Waffen strecken. Er gibt eigenhändig am 31. 10. an den Feldmarschall Weisungen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453. »für den Fall, daß die Serben die Übergabe anbieten sollten«. Ein von der Natur zum Kämpfer geborenes Volk bringt man zur Übergabe nur, indem man es mit den eigenen Maßnahmen dazu zwingt. Die Heeresgruppe hatte getan, was sie tun konnte. Somit durfte Feldmarschall von Mackensen mit Recht noch immer anstreben, die serbische Armee zu zerschlagen. Aber Falkenhayn durfte keine Kapitulation erwarten.

Seeckt hat an dem Vernichtungsgedanken über alle Wechsel der Lage hinweg festgehalten. Eine Orientierung Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. an die 3. Armee vom 28. 10. schließt er wieder mit dem Hinweis: »... Verfügbar zu machende Kavallerie dem rechten Flügel voraussenden. Umfassung des Feindes durch westliches Morava-Tal gewinnt dauernd an Bedeutung und Aussicht.« Seeckt hat diese Worte selbst geschrieben. Er hätte das Wort Aussicht nicht gebraucht, wenn er nicht geglaubt hätte, daß sie noch oder jetzt bestand Tatsächlich war in der gegebenen Lage die Umfassung wohl unmöglich geworden. Dennoch reicht es nicht aus, anzunehmen, Seeckt habe mit seinen Worten die 3. Armee nur antreiben wollen.. Nimmt man diesen Satz im Zusammenhang mit dem Vorwurf, den kurz zuvor Falkenhayn gegen Conrad erhoben hatte, so ergibt sich eine allerdings ungelöste Frage. Man weiß nicht, ob Falkenhayn durch Seeckt zu einer Umfassungshoffnung gekommen ist oder, was an sich wahrscheinlicher wäre, ob Seeckt durch Wesen und autoritative Stellung Falkenhayns beeinflußt wird oder, was die natürliche Lösung wäre, ob der Wille, eine Entscheidung herbeizuführen, beim Oberbefehlshaber und seinem Chef so stark, so unerhört lebendig geblieben ist, daß sie die Forderung immer wieder aufstellen, selbst in Lagen, die eine Erfüllung kaum noch vermuten lassen. Freilich stellte Seeckt in seiner Beurteilung der Lage am 31. 10. Heeresarchiv Potsdam, Akte 13 3 A.O.K. 11 fest, daß die Kampfstimmung beim Gegner doch stark nachgelassen habe.

Die Briefe dieser Tage:

»27. 10. 15. … Laß Dich doch nicht ängstigen mit den Schreckensgeschichten über Franktireurunwesen hier. Es ist toll, wenn sich einer vor den drei oder vier alten Weibern in Semendria fürchten würde. Vorn, wo es ja auch zuweilen gefährlich ist, hat die serbische Einwohnerschaft sich ganz verschieden verhalten. Freundliche Aufnahme, wo rumänische oder makedonische Leute sind; Kämpfe und Flucht, wo Serben. Freundlich gehen ja auch unsere Leute nicht mit ihnen um, wenn sich die Einwohner am Kampf beteiligen. Schön ist diese Art von Volkskrieg nicht … Entsetzlich schwarzer Regen seit gestern. Vollkommen der gepriesene sonnige Herbst in Südungarn. Er ist mir sehr unbequem, da die Wege bald ganz unmöglich sein werden und so alles verlangsamt wird … Die Gesellschaft hier trägt außer dem Regen noch weniger zur Hebung meiner Laune bei. Gestern abend außer dem Mecklenburger, an den ich mich gewöhnt habe, und dem kleinen Prinzen Waldemar, der mit einer Fußverletzung hier liegt, der … Holsteiner … Und heute mittag zur Hebung meiner Stimmung wieder mal die neutralen Attachés … Ich werde wohl wenig sonnig sein …«

Seeckt muß sich in diesen Tagen mit allerlei Dingen beschäftigen, die nicht unmittelbar mit der eigentlichen Kampfhandlung zu tun haben. Man macht eine ziemlich große Beute an Kupfer, und darüber muß verfügt werden. Im rumänischen Donauarm Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. liegen nach zuverlässigen Nachrichten russische Torpedoboote. Seeckt schlägt vor, ohne Rücksicht auf die rumänische Wassergrenze zu schießen, falls diese russischen Boote angreifen. Leider läßt die diplomatische Lage die Genehmigung eines solchen Vorschlages nicht zu.

»28. 10. 15. Zwischen Besuchen, Telephongesprächen und Entschlüssen ein kurzer Gruß. Bin mehr Diplomat und Handelsagent als Soldat. Kupfergruben und Getreideausfuhr beschäftigen mich. Gestern abend lange Konferenz mit dem rumänischen Attaché, dem ich erklärte, daß meine Kanonen bereit stünden, und ich bei der ersten feindlichen Haltung auf die ganze Neutralität pfiffe. Vielleicht hilft das. Sie weichen doch nur der Gewalt, weil sie Rußland gegenüber eine Entschuldigung haben wollen.«

Ein Brief vom 28. an die Mutter:

»... Pläne und Absichten darf ich nicht äußern. Zukunftshoffnungen und Aussichten sind bei mir so dunkel wie bei Euch. Mein Leben ist äußerlich von Einfachheit und beinahe Regelmäßigkeit bestimmt, innerlich bunt und bewegt, und täglich drängen sich neue Eindrücke und neue Fragen auf. So war in den letzten Tagen der Chef des Generalstabes, General von Falkenhayn, hier, und wir beide hatten lange Besprechungen, die ihre Kreise weit zogen über Völker und Zeiten. Sind doch unsere Kämpfe nur Episoden in dem Ringen nach einer Sicherheit unserer ganzen Lage auf lange Zeit hinaus. Nur von diesem Standpunkt aus führen wir hier den Krieg gegen ein Volk, gegen das wir eigentlich nichts haben, und scheinbar für andere Interessen. Aber auch nur scheinbar. Nur aus gutem Herzen haben wir dem Bundesgenossen nicht Galizien, Polen und nun bald Serbien erobert. Mir persönlich kann es ja gleich sein, wo ich kämpfe … Neben dem eigentlichen Handwerk muß ich nun im Nebenamt auch etwas Diplomatie betreiben und noch dazu Balkanpolitik, in der sogar König Nikita von Montenegro eine Rolle spielt. So unterbrach auch diese Zeilen eben ein Besuch des rumänischen Militärattachés, der sich als begeisterter Deutschenfreund gibt, also mit entsprechendem Mißtrauen deshalb zu behandeln bleibt. Es schweben einige kitzliche Donaufragen, in denen die Nähe deutscher Kanonen wohl das entscheidende Wort sprechen wird. Wie bunt oft meine Tätigkeit ist, kannst Du daraus ersehen, daß in meinem engeren Stabe sich außer meinen drei deutschen noch ein österreichischer, ein bulgarischer und ein türkischer Generalstabsoffizier befinden. … Unsere Befehle an die bulgarische Armee müssen natürlich erst übersetzt werden. Die Österreicher haben sich nun schon an mein Deutsch gewöhnt! …«

An Frau von Seeckt:

»29. 10. 15. … Es geht bei uns ganz gut trotz Wetter und entsprechenden Wegen. Es ist unglaublich, was wir dauernd an Anstrengungen von den Truppen verlangen müssen und was sie immer wieder leisten. Sie klagen und schimpfen, tun aber ihre Schuldigkeit. Zuweilen hat man doch eine Freude an einem guten Griff. Wie ich Generalstabsoffizier der 4. Division war, lernte ich den Regimentsadjutanten des I.R. 140 kennen, Friedrichs Zuletzt Generalmajor und später Oberbürgermeister in Potsdam.. Er holte sich die Rettungsmedaille, als er durchgegangene Pferde aufhielt. Als ich I a in Stettin war, hatte man ihn vergessen. Bei Übungsritten trat sein Wert erneut zutage, und es gelang mir, ihn zum Brigadeadjutanten zu machen. Als ich Chef war, erfüllte ich seinen Wunsch, Komp.Chef beim III. Korps zu bleiben. An der Aisne bekam er das E.K. I, wurde bei den Neuaufstellungen versetzt und durch Zufall tot gesagt. Ich konnte seiner Frau das Gegenteil mitteilen. Er war der erste Offizier in Brest Litowsk, dann krank zu Hause, und kommt nun mit einem kleinen Paket hier wieder nach Serbien. Ich fragte ihn, was in dem Paket ist. »Eine deutsche Fahne, die soll auf dem Konak in Belgrad wehen.« Am 9. Oktober ist er der erste Offizier dort und pflanzt seine Fahne oben auf der Königsbaracke auf … Inzwischen kamen gute Nachrichten von den Bulgaren. Wir haben nun die Serben so ziemlich eingekreist, und sie werden wohl nicht herauskommen …«

Aus der Briefstelle geht deutlich hervor, daß Seeckts Gedanken sich in diesen Stunden mit einer Einkreisung der Serben beschäftigen. Es ist lediglich die Frage, die ungeklärt bleibt, ob er daran glaubt oder ob er daran glauben will. Denn daß den Serben die Richtung nach Montenegro noch offen stand, konnte er nicht übersehen haben. Seeckt setzte also voraus, daß dieser Rückzug des Geländes wegen unmöglich sei. Darin hat er sich getäuscht. Das ist kein Vorwurf. Der Fliehende war stets schneller als der Verfolgende; die Serben haben auf ihrem Rückzug Unerhörtes und sogar Unerwartetes geleistet und ertragen.

»30.10. Hentsch meldet eben, daß der erste Dampfer in Lom angekommen ist. Das sagt Dir nichts. Mir aber, daß der erste Zweck dieses Krieges erreicht ist. Denn in dem Dampfer war Munition für die Türkei, und wir haben den Donauweg freigemacht. Lom oder Lom Palanka ist ein bulgarischer Hafen Tatsächlich wurde dieser Dampfer dort nicht ausgeladen.. So schwimme ich jetzt noch einmal so vergnügt auf der braven Donau. Ach, könntest Du es nur mit mir so gut haben. Und noch dazu in einer Luxuskabine, was ich Dir nie bieten konnte. Es war ja aber so auch hübsch. Also wirklich ein entzückendes Schiff. Der Feldmarschall hat eine Villa auf dem Lande bezogen, und so habe ich nun das Beste vom Besten … Alles viel zu schön für mich, neu und blitzsauber. Vor meinem Kabinenfenster der schöne breite Fluß, vor dem Arbeitsraum der Blick auf das alte Türkenkastell Semendria. Ringsherum Stille. Kurzum ein idealer Aufenthalt... Vielleicht fahren wir beide noch mal zusammen auf diesem Schiff Der Wunsch ist später in Erfüllung gegangen. … Ich lege Dir nun einen langen politischen Brief bei Der Brief ist gerichtet an v. Winterfeldt-Menkin, Landesdirektor der Provinz Brandenburg, später Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Mir machte es Freude, meine Gedanken so skizzenhaft niederzuschreiben, um selbst über manche mich noch bewegende Frage ins Klare zu kommen. Ich denke, es wird Dich interessieren. Du findest schon oft von mir Gehörtes darin wieder. Immerhin wäre es mir ganz lieb, wenn diese Gedanken, die ich natürlich für die richtigen halte, sich in Taten umsetzten. Dazu müssen sie ihren Weg auch vorher in einige Köpfe finden, damit diese sie dann für ihre eigenen ansehen. Mir liegt eigentlich nur daran, Fk. in Front zu bringen, denn ich halte ihn tatsächlich für den einzigen, der es machen könnte; mir ist er natürlich zur Zeit unentbehrlich als Chef des Generalstabes und müßte auch für die innere Politik zunächst vertreten werden. Sie muß sich vorläufig doch ganz der äußeren unterordnen. Die Hauptsache ist an der entscheidenden Stelle ein klarer Wille und eine feste Hand. Ausführende Hände finden die beiden immer. Hast Du Bedenken, die Sache an W. weiterzuschicken, so magst Du es auch lassen und das Opus für später als Kuriosität aufheben. Wenn Du ihn allenfalls abschreiben lassen willst, so tue es, aber nicht, um es auf meinen Namen hin oder auch ohne ihn an die Öffentlichkeit zu bringen. Das vertragen solche Gedanken nicht, solange sie noch so schwach und klein sind. Sie müssen, bekannt geworden, sich auch mit Fäusten durchsetzen können.

Sonntagmorgen, Sonnenschein. Du glaubst nicht, wie gut das tut, weil er an trocknende Menschen und Wege, wieder flott werdende Bagagen und Autos, abfließendes Hochwasser und vor allem an Artilleriebeobachtung denken läßt. Eine zauberhafte Beleuchtung heute früh über dem Fluß. Klar die vielgenannte Avala-Höhe und fern Berge mit tollen Namen und das Schiff glänzend im Sonnenschein. Könnte ich nur wieder nach vorn, wo das III. A.K. heute angreifen will. Es macht seine Sache glänzend. Gestern abend passierte noch eine charakteristische Geschichte: die Sprechverbindung mit der österr. Armee wollte nicht funktionieren, bis wir endlich herausbrachten, daß sie in Belgrad Telephonfräuleins hingesetzt hatten, die natürlich weniger Verständnis für operative Nachtarbeit hatten … Ich wurde deutlich – daran zweifle ich nicht, würde Kraewel sagen –, so deutlich wie noch nie, d. h. ich hieß dabei Mackensen, befahl Entfernung der Damen und die bei uns ganz selbstverständliche, dauernde Besetzung aller Stellen durch Offiziere … Irgendeiner muß noch gehenkt werden, ich weiß nur noch nicht wer. Mit dem eigenen Stabe kann ich nicht zufrieden genug sein, das erleichtert die Arbeit doch ganz unglaublich und hält die Stimmung. Trauben gibt es hier von ganz unwahrscheinlicher Schönheit, die Gegend soll berühmt dafür sein, alle Berge hängen noch voll, die Ernte haben wir ihnen gründlich gestört. Ein Bild unseres Schiffes lege ich bei, ›Herzogin Sophie‹ die ermordete Gemahlin des Thronfolgers; als Kommandoschiff gegen Serbien von fast absichtlicher Bedeutung. Die Rache kam spät und von einer der Toten gewiß recht unerwünschten Seite …«

Der in diesem Brief erwähnte politische Brief an Landesdirektor v. Winterfeldt-Menkin stammte vom 29. 10.:

»Lieber Herr v. Winterfeldt, es erfordert schon etwas Verständnis für weitere Politik, um einzusehen, daß es auch auf diesem Boden für das Reich geht, freilich für ein neues Reich, das die Grenzen seiner Macht weit ziehen muß, nachdem es diese Macht einmal erkannt hat. Grenzen der Macht sind nicht unbedingt Grenzen des Landes, und man könnte nach meiner Ansicht wie 1866 viele Grenzpfähle stehen lassen und doch ein Reich gründen. Eine der dringendsten Fragen ist die nach dem gründenden Mann; denn bei mancher persönlichen Hochschätzung kann ich mich unmöglich überzeugen, daß der jetzige Reichsberater das Zeug zu diesem modernen Bismarck hat. Ich finde ihn zu schwerblütig, zu pessimistisch, er ist mit der Erinnerung an zu viel schwarze Tage belastet, ihm fehlt der Glaube an sich selbst und an das Reich; er hat rechtliche und diplomatische Bedenken und wird nicht das Verständnis dafür finden, daß wir uns mit dem Millionenopfer an Menschen neues Recht erkaufen. Nur wer noch lernen kann, wird die Zukunft richtig gestalten.

Einer der gefährlichsten Leitsätze, die in dem meist ziemlich wirren Gehirn der Menschen spuken, ist der, daß es das Hauptkriegsziel sei, uns und kommenden Geschlechtern einen Frieden in Ehren usw., daß nie wieder jemand wagt usw. Sie kennen die Melodie, sie macht sich gut und muß im Konzert bleiben, um Stimmung zu machen und frohe Aussichten zu erhalten, auf die das Volk erheblich in diesen schweren Tagen Anspruch hat. Für den gestaltenden Mann wäre diese Meinung ein Unglück; sie setzt sich als Ziel den Schützengraben um das Reich, hinter dem wir uns des Friedens freuen, bis es dem bösen Nachbar doch nicht mehr gefällt. Wir müssen einen Frieden schließen, der uns stark macht für den nächsten Krieg. Das ist hart, aber ganz unumstößlich richtig. Er kommt doch; vielleicht nicht bald; denn überall ist viel zu ersetzen und zu heilen und daß mit uns anzubinden, ein schlechtes Geschäft ist, fängt selbst England an zu erkennen. Was gebrauchen wir …? Gut zu verteidigende Grenzen … Grenzen also, die man ebensogut verteidigen, wie aus ihnen vorgehen kann … Ich übergehe die Einzelheiten militärischer Forderung. Vor allem Kräfte an Geld, Rohstoffen und Menschen! Wir gebrauchen, da uns das erste und das dritte allein der eigene Wohlstand, das zweite noch zum größeren Teile das eigene Land, zum kleineren wohlgesinnte Nachbarn liefern, eine sichere materielle Zukunft … Dies Streben ist es auch, was den Krieg äußerlich wird zu Ende kommen lassen. Wir werden einen bald diskreten, bald offenen Wirtschaftskrieg führen, bis die nächste Entscheidung in ihm uns wieder zu den Waffen ruft … Amerika war in diesem Krieg bei weitem unser gefährlichster Feind, wird sich offen zu solchem in diesem Krieg aber nicht erklären, und wir haben gut getan, ihn auch nicht dazu zu zwingen 1915 eine verständliche Auffassung.. Das nächste Mal steht Amerika offen an der Seite unserer Gegner …

Wie soll der Krieg geführt werden? Amerika selbst ist unangreifbar für uns und, bis uns die Technik ganz neue Waffen liefert, England selbst auch. Es ist auch in seinen Gliedern empfindlicher als im Herzen. Daher muß der Weg nach Asien frei sein. Die Kette meiner Wünsche schließt sich schon; wir müssen ein Herrschaftsgebiet haben vom Atlant. Ozean bis Persien, aber bitte kein ›Deutsches‹ Reich in diesen Grenzen, sondern den Zusammenschluß an gegenseitigem Gedeihen interessierter Staaten, die in der Lage sind, sich wechselseitig alles Notwendige zu liefern, genug Menschen haben, um zu kämpfen, und sich in diesem Bund wohlfühlen. Nun muß ich deutlicher werden, um dem Vorwurf unfruchtbaren Pläneschmiedens zu entgehen. Zu dem Staatenbund gehören an sich Belgien, Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien, Türkei. Zum Beitritt sind eingeladen und dürften kaum ablehnen: Holland, Rumänien, Griechenland; später die nordischen Mächte. Die Hauptsache bleibt, daß die genannten Staaten in dem Bund ihre Rechnung finden, vor allem materiell. Ich glaube, dazu sind alle Möglichkeiten geboten. Ohne Aufgeben mancher Sonderwünsche wird es nicht abgehen und auch nicht ohne mehr oder minder sanften Zwang. Der ist am leichtesten jetzt auszuüben und darum die Grundlage des Bundes noch während des Krieges zu legen. Handelsverträge, Zollunionen und dergleichen stehen dabei jetzt im Vordergrund; erst wenn diese Fragen zu leidlicher allseitiger Zufriedenheit gelöst sind, können wir an Militärkonventionen und formulierte Bündnisverträge gehen.

Haben Sie für diese Handelsfragen den Mann mit weitem Blick und den nötigen Nerven? Dann schicken Sie ihn dem künftigen Kanzler als ersten Berater. Er braucht weder Staatssekretär noch Geheimrat zu sein; später seien ihm alle Ehren gegönnt … Das ist eine Skizze meiner Zukunftsziele; das Bild auszumalen ist nicht meines Könnens und Berufes …

Rußland: Absichtlich ist von diesem doch nicht zu übersehenden Nachbarn noch kein Wort gefallen. Wir müssen uns mit ihm aber auch auseinandersetzen, und diese Verhältnisse sind aus vielen – und aus heute wenigstens von mir nicht zu behandelnden – Gründen schwierig. Die Stellung unserer mehr oder minder öffentlichen Meinung beruht in allen östlichen Fragen auf dem Glauben, selten auf dem Verstand. Und da der Glaube der Bruder der Furcht ist, beruht die Meinung eben auf der Furcht. Furcht war stets ein schlechter Lehrmeister. Ich gebe vollkommen zu, Rußland ist unerschöpflich an Bodenschätzen und an Menschen, und man zerbricht es nicht; die größten und klügsten Menschen, von Napoleon I. und Friedrich II. bis zu Jagow P. P., haben ihren Witz und Geist in Proverbes und Erlassen an diesem Problem geübt. Man soll suchen, die Bodenschätze für sich selbst nutzbar zu machen und dem Menschenüberschuß einen anderen Weg zu zeigen, der leichter ist als der nach Berlin und auf dem schlechtere Gegner stehen als Hindenburg und Mackensen … Allmählich wird sich der wankende Koloß auf die andere Seite legen … Ehe er wieder nach Westen zurückschwankt, können wir stark genug sein, um ihm einen neuen Stoß zu versetzen..

Japan: Wir müssen trotz allem Tsingtau dem Japaner vergessen …

Türkei, als letztes Bestes. Ein Land ungeahnter Kräfte … Damit haben Sie mein persönliches Programm und vielleicht gestehen Sie mir zu, daß es versucht, auf fester und erreichbarer Grundlage nach festen Zielen zu streben. Zeigen Sie mir bessere, die auch erreichbar sind, und ich will ihnen gern folgen, solange sie zur Kampfbereitschaft des Reiches führen …

Und der Führer? So komme ich zu meinem Eingang zurück. Ein kühler Kopf und doch inneres Feuer, ein Mann von Glauben an sich und sein Volk und Schwert; kann er heute ein anderes als ein Soldat sein? Für mich gibt es nur einen, der Führer zu sein oder ein gleiches Programm vorzuführen imstande wäre, das ist Falkenhayn, ohne daß ich wüßte, ob seine Ansichten sich mit meinen decken. Er hat Gelegenheit gehabt, in allen diplomatischen Fragen der letzten Zeit entscheidend mitzusprechen, er allein kennt ganz die Grenzen unseres Könnens, sein Name hat, ohne volkstümlich zu sein, im Ausland den Klang unseres Schwertes. Unbeliebt? Bismarck 1866?

Ich stelle Vorstehendes Ihnen zur Verfügung. Vielleicht finden Sie den einen oder anderen Gedanken näherer Betrachtung und gelegentlicher Verwertung würdig, sonst nehmen Sie ihn als Erguß eines Soldaten, der schon über die Nordsee nach der feindlichen Küste sehnsüchtig spähte und jetzt auf der Donau schwimmt, die er heute für die Munition frei bekam, die den gleichen Feind aus Gallipoli und Saloniki und, will's Gott, auch noch aus Ägypten vertreibt. Mit herzlichem Gruß Ihr aufrichtig ergebener v. Seeckt.«

An die Einnahme von Kragujevac am 1. 11. durch Truppen des III. A.K. knüpft sich ein etwas unerquickliches Zwischenspiel. Die Österreicher hatten in ihrem Heeresbericht die Einnahme als ihr Werk gemeldet. Die von Seeckt aufgestellte und an den General von Köveß gerichtete Richtigstellung Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. ist von einer Schärfe, die beweist, daß das Oberkommando Mackensen die beiden Vorfälle in Belgrad und Kragujevac recht ernst nahm. Die Antwort des österreichischen Oberkommandos war betont liebenswürdig und erklärte beide Vorgänge als Zufall.

Die Lage war jetzt so, daß, wenn die Einkreisung nicht gelungen war, den Serben doch auch nur zwei schlechte Straßen in südwestlicher Dichtung blieben. Selbst diese führten nur bis Priština. Von da ab hörten fahrbare Wege so gut wie überhaupt auf. Ein Durchschlagen der serbischen Truppen zu den Ententetruppen war bei der Nähe der 1. bulgarischen Armee nicht anzunehmen. Andererseits wäre es nur noch der 2. bulgarischen Armee durch entsprechende Verstärkung möglich gewesen, sich bei Priština vorzulegen. Es kam im wesentlichen darauf hinaus, scharf nachzudrängen, um die Serben nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen. Die Tätigkeit der nächsten Tage besteht also darin, die Armeen vorwärts zu treiben, die Kräfte den taktischen Aufgaben entsprechend zu verschieben und einzusehen, daß eine mit allerlei Mitteln immer wieder angebahnte Umfassung nicht gelingen will und nach Lage der Dinge auch nicht mehr gelingen kann. Vielleicht hat es noch ganz kurze Zeit so geschienen, als ob die Serben auf den Bergen südlich und südöstlich von Kragujevac sich zum entscheidenden Widerstand stellen wollten. Vielleicht ist ihr linker Flügel tatsächlich vorübergehend gefährdet gewesen. Das alles beweist nur, daß die Führung der Heeresgruppe tat, was sie tun konnte. Am 5. November entsteht sogar eine Situation, die mancherlei erhoffen läßt. Der linke Flügel der 11. Armee flößt vor und macht Tausende von Gefangenen. Die bulgarische Armeemitte setzt sich nach schweren Kämpfen in den Besitz der Festung Nisch und sperrt damit endgültig die große Talstraße. Jetzt bleiben nur noch zwei brauchbare Wege zurück zum Amselfeld. Dorthin waren aber bereits Teile der bulgarischen 2. Armee im Anmarsch. Sonst blieb, wie gesagt, nur noch die Rückzugsrichtung nach Südwesten in das wegelose Bergland von Montenegro und Albanien. Ging der Gegner diesen Weg, dann war wohl die serbische Armee der Auflösung verfallen. Bei der Widerstandskraft dieses Volkes bedeutete aber selbst das nicht die Vernichtung.

Seeckt ist sich darüber inzwischen wahrscheinlich klar gewesen, daß nur ein möglichst großer, aber kein vollendeter Erfolg zu erreichen war. Er bringt das ganz eindeutig in seinem an Falkenhayn gerichteten Telegramm vom 5. 11. zum Ausdruck: »... Es ist allen Armeen eingeschärft, daß vorerst noch die Vernichtung des größten Teiles des serbischen Heeres vor seinem Erreichen der Berge an der albanisch-montenegrinischen Grenze anzustreben ist, für die 1. bulgarische Armee ein Verhindern eines feindlichen Abzuges nach Süden Aufgabe bleibt.«

Aus diesen Zeilen spricht gleichzeitig ein unbeugsamer Wille, ein gutes Stück Resignation, ein bißchen Vorwurf und überhaupt eine klare Erkenntnis der tatsächlichen Lage. Das ist nicht in diese Sätze nachträglich hineingetan. Seeckt war ein Meister im Gebrauch des schriftlichen Wortes und wußte, was er schrieb.

Dann jagen die Befehle für die Fortsetzung der Verfolgung heraus. Vielleicht, vielleicht kann man doch noch eine vollständige Niederlage erreichen. Man spürt noch nachträglich die Spannung und Erregung dieser Stunden. Ja, man sieht, soweit Seeckt die Befehlsentwürfe persönlich geschrieben hat, dies sinnfällig an der Handschrift. Es ist ungewöhnlich viel verbessert und geändert.

Aus den Briefen der ersten Novembertage:

»Den 1. 11. 1915. An Bord des Donaudampfers Zsofia Herczegnö. Ganz kurzer Novembergruß. Es geht mir gut, aber plötzlich viel zu tun mit Wichtigem und Unwichtigem … Welch ein Wetter bei Euch und bei uns noch milde Herbsttage. Aber leider fängt es schon wieder an zu regnen. Das III. A.K. nahm heute Kragujevac, ein verdammter Name, die militärische Hauptstadt Serbiens. Die österreichische Nachricht, sie hätten es genommen, wird aufgeklärt werden. Es gab darüber Ärger mit den Bundesgenossen. Eine so recht erbärmliche Geschichte, deren Erledigung mir höchst unsympathisch ist, aber mit Schärfe durchgefochten werden muß. Meine persönliche Geduld hat wirklich lange genug vorgehalten. Lochow ist heute in Kragujevac mit Begeisterung und Tücherschwenken begrüßt. Das Volk ist durchaus des Kampfes müde. Mit der Türkei ist die Verbindung hergestellt, bald auch die auf der Bahn, hoffe ich, bis dahin … Bei Euch Schnee und Frost. So ganz lau dringt bei mir die Luft in das offene Kojenfenster. Ohne Wahl verteilt die Gaben das Glück. Ich wollte, ich könnte Dir etwas von der Wärme und der Luft schicken. Für uns taugt sie nicht einmal, denn sie läßt uns zu sehr an Regen denken, der sonst ziemlich aussetzte … Mich macht ein Artikel in der Frankfurter über die Lebensmittelpolitik stutzig … Eine ultra-agrarische Politik wäre ungefähr das dümmste, was die Regierung machen könnte. Ich fürchte die Schwäche des Kanzlers und seine Furcht vor konservativischen Übertreibungen … Das neue französische Kabinett ist sehr interessant, weil es fast alles von bedeutenden Namen vereinigt und damit stark an die Aufopferung appelliert hat. Es ist ein Kabinett, das auch Frieden schließen kann, ohne damit sagen zu wollen, daß er nahe ist. Cambon, der letzte Botschafter in Berlin, galt nicht als Deutschenfeind vorher; Freycinet saß schon 1871 im Kabinett Gambetta, ist also nicht ganz neu! … Draußen rangieren Züge, an sich kein angenehmes Geräusch. Daß aber auf den serbischen Bahnwagen als Aufschrift ›40 Mann 8 Pferde aus Posen‹ neben ›Gare Liège‹ steht, ist doch ganz hübsch …«

An die Mutter:

»Den 1. 11. 15. Unsere Gedanken werden sich am 4. 11. in der Erinnerung an unseren Vater vereinigen. Wie oft denke ich an ihn und suche zu erraten, was er wohl zu allen diesen Ereignissen gesagt haben würde. An Vielem, vor allem an der Armee würde er seine Freude gehabt haben, und ihre stille Leistungsfähigkeit würde ihn ebenso befriedigt wie mancher Zug ins Riesenhafte besorgt gemacht haben. Wir müssen eben in der Ausnutzung unserer Kraft bis an die letzte Grenze gehen … Auf eine große Entscheidungsschlacht werden es die Serben wohl nicht ankommen lassen, sondern sie werden sich in ihre Berge nach Albanien und Montenegro hin zurückziehen und verkrümeln …«

Mit solcher Deutlichkeit hatte Seeckt den Eindruck, daß der Gegner sich verkrümeln würde, daß also Teile doch entkommen würden, sonst nicht ausgesprochen.

An Frau von Seeckt:

»Den 4. 11. 15 … Ich komme auch heute nur zu diesem ganz kleinen Gruß. Die für ihn angesetzte Zeit nahm mir der Feldeisenbahnchef Groener durch lange Besprechung über viele nicht zu unwichtige Fragen. Außerdem schreibe ich an einem Bericht für König Ferdinand, der mit unserem Luftschiff überbracht werden soll. Eine bunte Welt. Es geht gut. Man gewinnt soldatische Bewunderung vor diesem Todeskampf des serbischen Volkes … Aber sie werden bald am Ende sein …

Den 5. 11. Sehr schöne Fortschritte machen viele neue Entscheidungen nötig. Ich hoffe, wir sind im wesentlichen bald fertig, was auch ganz gut ist. Denn heute scheint mir die Haltung Griechenlands zweifelhaft zu werden, und dann müssen sich die Bulgaren selbst wehren oder Hilfe von uns bekommen. Ich bin gespannt, ob der König Konstantin durchhält. Du siehst, allerlei Wichtiges war heute zu bedenken … Wenn Ihr in der Heimat einen Tag ›mit ohne Fleisch‹ haben sollt, so stelle ich mir das wirklich nicht schlimm vor. Trotzdem möchte ich annehmen, daß falsch gewirtschaftet sein muß. Ich fürchte, die Kritik an Delbrück ist berechtigt. Er ist zuerst verbraucht, dann bürokratisch geworden und hat durch das lange Stehen an zweiter Stelle die Verantwortungsfreude verloren, für die die Sorge eintrat, nirgends anzustoßen. Mir ist die Unfähigkeit, gegen diese Ausnutzung der Lage einzuschreiten, eigentlich unerklärlich. Es hat in unserer Verwaltung an einer gründlichen Mobilmachungsvorarbeit gefehlt. Das rächt sich jetzt. Außerdem fehlt den meisten Geistern die Fähigkeit der großen und neuen Aufgabe gegenüber aus den gewohnten Gleisen herzulenken, Geheimräte sind gut, sehr gut sogar. Aber nicht immer im Krieg. Übrigens haben Geheimräte auch sonst ihre Eigenheiten. In der Gegend von Semendria wächst Wein. Das alte Türkenkastell ist gut erhalten, zeigt von unseren Geschossen etwas ramponierte orientalische Ziegelornamente und enthält in der Mauer nachromanische und altchristliche Grabsteine. Auf den umliegenden Bergen gibt es eine solche Unmenge von Trauben, daß wir einen Geheimrat vom Landwirtschaftsministerium herzitierten, damit er zusieht, ob nicht Nutzen daraus zu ziehen ist. 1915er Semendrianer sollte dann unser Fest- und Taufwein heißen. Statt dessen verschafft uns der Geheimrat 1915er Königl. Domäne von der Versteigerung im Schlosse Steinberg aus dem Rheingau. Vom ungarischen Landwirtschaftsministerium war auch so ein Mann hier und bat um die Erlaubnis, Schweine aus Serbien holen zu dürfen. Die armen Tiere wären so mager. Sie wollten sie in Budapest fett machen und uns dann zurückschicken. Zunächst hielt ich den Mann für verrückt. Dann sagte ich ihm, das könnte er machen. Nur glaubte ich, daß unsere Leute ihn totschlagen würden, wenn er ihnen ihre Schweine wegnehmen würde. Darauf bat er um eine Ansichtskarte mit der Unterschrift des Feldmarschalls, die er erhielt, war damit ganz zufrieden und fuhr nach Hause … Nun zu Deinen letzten Briefen. Wie schön klang gewiß das alte Kampflied ›Ein feste Burg ist unser Gott, den Unterstand schießen sie uns nicht kapott‹; hat ein Rheinländer im Schützengraben angestimmt, worin ich so oder so nichts Komisches, nur felsenfestes Vertrauen sehe auf Gott und der eigenen Fäuste Arbeit. Deinen Urgroßvater Ernst Moritz Arndt. haben wir mehr als je nötig. Auch nach dem Krieg: deutsch oder an den Galgen! …«

Auf der Grundlage des Erfolges um Nisch wird nun weiter Entschluß zu fassen sein. Der bulgarische Generalstabschef rechnet nicht damit, daß die Serben die Entscheidung noch annehmen. Sie werden in den Schutz des unwegsamen Gebirges zurückgehen. Daß das nicht leicht ist, beweist die Tatsache, daß Seeckt am 6. 11. in einem Brief mit Stolz 130 eroberte Geschütze erwähnen kann. Allerdings waren diese Geschütze größtenteils österreichischen und türkischen Ursprungs. Der Feldmarschall rechnete am 6. damit, daß nunmehr wohl die Offensive gegen die bei Saloniki gelandeten Ententetruppen eröffnet werden würde. Der Widerstand des Feindes wird allmählich so gering, daß insbesondere mit Rücksicht auf den unerhört schwierigen Nachschub nach und nach Divisionen aus der Front herausgezogen und nur noch vier bis fünf für den Gebirgskampf besonders geeignete Divisionen in Front belassen werden. Bei den Bulgaren wird versucht, den Nachdruck auf den äußeren, also entscheidenden Flügel durch Verschieben einer Division von der 1. zur 2. Armee zu legen. Mit einer im Augenblick verständlichen, nachträglich doch etwas auffallenden Selbstverständlichkeit wird hierzu sowohl Falkenhayns wie Conrads Genehmigung eingeholt. Im allgemeinen fragten Heeresgruppen sonst nicht an, wenn sie einzelne Divisionen verschoben. Hier aber lag eben die tatsächliche operative Führung zwar nicht durchweg, aber doch stellenweise offensichtlich bei höheren Stellen. Das war in der Natur der Kriegshandlung einer dreifachen Koalition begründet. Aber es begrenzte notwendig die Verantwortung des führenden Stabes. Aus dieser Feststellung heraus werden auch andere wesentliche Entschlüsse des serbischen Feldzuges zu beurteilen sein. Es ist auch nicht etwa so, daß es sich um eine reine Formfrage handelte. Vielmehr sind es mehrere Schriftstücke, teilweise von Seeckt und Falkenhayn persönlich aufgesetzt, in denen es sich um diese Division, außerdem allerdings auch noch um die Ablehnung des bulgarischen Wunsches nach deutschen Verstärkungen dreht.

Im ganzen sieht Seeckt die Operation so ziemlich als beendet an. Wie immer bei einem solchen Wendepunkt gehen seine Gedanken sofort weiter. Er schreibt am 7. November: »... Schicke uns vorläufig keine Weihnachtspakete nach Serbien. Sie finden das Land dann vielleicht nicht mehr. Hier ist das Wesentlichste getan, und die Gedanken und die Soldaten fangen an, nach anderen Kriegsschauplätzen zu ziehen. Es gibt ja noch einige. Mehr von der Zukunft weiß ich selbst nicht …«

Wenn noch eine Möglichkeit bestand, das Letzte zu erreichen, so nur im scharfen Nachdrängen aller Teile und insbesondere in ausreichenden Erfolgen der Bulgaren. Die Verfolgung kommt aber überall nicht so recht vorwärts, und Seeckt fühlt sich veranlaßt, an mehreren Stellen zu treiben. Die Mehrzahl dieser Verfolgungsbefehle ist wiederum von ihm persönlich abgefaßt. Man kann es nicht leugnen, daß in den Tagen bis zum 10. 11. einschließlich dieses Drängen beinahe so aussieht, als solle mit überstarkem Druck auch hier etwas erreicht werden, was eigentlich nicht mehr zu erreichen war, nämlich der von vornherein von der obersten Stelle nicht angestrebte letzte und vollständige Erfolg. Man muß sich die Briefstelle vom 7. in die Erinnerung zurückrufen, wenn man plötzlich ein Schreiben Seeckts an den General Jekow vom 10. 11. liest:

»Die Operation gegen die serbische Armee kann noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Wir werden sie um so schneller und gründlicher beenden, je kräftiger alle Teile sich bemühen, vorwärts zu kommen. Der serbische Widerstand im Kossowo-Bezirk wird durch diese Verfolgung am schnellsten überwunden werden. Ist dieses Ziel erreicht, so stehen nicht nur Teile, sondern die ganze bulgarische Armee gegen den neuen Feind zur Verfügung …«

Danach kann man eigentlich nicht zugeben, daß Seeckt am 10. noch der Ansicht war, es sei nichts Wesentliches mehr zu tun. Er hatte ganz offensichtlich selbst am 7. den Ereignissen etwas vorgegriffen. Sobald er erkannt hat, daß andere aus ähnlichen Gedanken fehlerhafte Folgerungen ziehen, korrigiert er sofort sie und sich. In der Tat sah der bulgarische Befehlshaber jetzt bereits die Sache so an, daß der Kriegsschauplatz in Altserbien so gut wie erledigt sei und die Operationen jetzt schon in Mazedonien fortgeführt werden müßten. Er forderte daher auch mit einem gewissen Recht die Verstärkung seines Flügels durch deutsche Truppen. Der Chef der Heeresgruppe mußte dabei bleiben, erst die Serben so schwer zu schlagen, als es ging. So entstehen die scharf antreibenden gehäuften Verfolgungsbefehle an die ganze Front. Jedenfalls durfte es nicht etwa doch noch so kommen, daß die Serben nach Süden zur Entente durchbrachen. Die letzten Nachrichten besagten aber leider, daß auch die Bulgaren von Üsküb her in der Richtung auf das Amselfeld nicht mehr recht vorwärts gekommen waren. Die Lage war also am 10. so, daß zunächst einmal noch der letzte Schlag gegen die Serben zu führen war, ehe man an Neues herangehen konnte.

In seinem Brief vom 8. November kommt Seeckt nochmals auf jenen politischen Brief an Landesdirektor v. Winterfeldt zurück:

»... Zunächst noch wegen der Weitergabe des politischen Aufsatzes ein Wort. Ich möchte nicht, daß er weitergegeben wird. Mündlich meine Ansicht zu verbreiten, ist gut … Es genügt vollkommen, daß jemand aus einflußreichem Kreise einmal eine abweichende Auffassung hört und dann weitererzählt. So kommen nach und nach solche Gedanken an sehr viele ganz gleichgültige und an ein oder zwei wichtige Menschen. Diese müssen sie aber dann nach vierundzwanzig Stunden für ihre eigenen halten … Was Hans Seeckt schreibt, ist gänzlich bedeutungslos. Aber Hinz und Kunz müssen finden, daß sie es erfunden haben und nun als für das einzig Richtige dafür eintreten. Ich bin also mit dem Vorlesen sehr einverstanden, aber nicht mit dem zu freigebigen Verbreiten des Geschriebenen … Durch schriftliche Verbreitung direkt gegen den Reichskanzler zu wühlen, das liegt mir nicht …Metternich in Konstantinopel! Es ist noch ein Mann aus besserer Schule, aber … Freund Eduards VII. Da nach allem, was ich höre, dieser Mann noch jetzt von dieser Richtung nicht loskommt, muß er fort. Gerade weil beim Kaiser diese Note leicht klingt, was mir bei ihm durchaus verständlich ist, ist sein Einfluß so gefährlich. Bei Metternich ist es die Verranntheit in eine Idee. Es ist seine Schwäche, daß er noch immer glaubt, seine Idee sei stärker als die Tatsachen … Merkwürdig wirr malt sich die Geschichte in den Köpfen der heimatlichen Herde oft. Falkenhayn hätte Julius Moltke. fortgebissen? Dieser war ein kranker Mann schon im Beginn … Es bestand einige Tage lang Kopf- und Führerlosigkeit. Da ist Falkenhayn eingetreten und hat die Zügel jedenfalls in feste Hände genommen. Es war einfach niemand anders da. Ich bin über die Vorgänge in diesen Tagen und die Rollen, die die einzelnen Persönlichkeiten gespielt haben, selten gut unterrichtet, obwohl ich glücklicherweise weit davon ab war … Daß der Kaiser ihn nicht hat fallen lassen, ist einer der menschlich schönsten Züge an ihm. Daß Moltke die Stellung, wie er sie jetzt hat, zuerst annahm, fand ich seinerzeit ein Zeichen von Selbstüberwindung. Daß er eine Armeeführung anstrebt, ist falsch … Im Hauptquartier sind zwei Leute, die mich auch in Allenstein vorhatten und zu mir viel von Überanstrengung der Kräfte, Überschreiten des Höhepunktes, Friedenszielen und dergleichen redeten. Ich zog mich aus der Affäre, indem ich sagte, man müsse wissen, was man wolle. Um Kleinigkeiten wäre jede Woche Krieg und jeder Mann zu schade. Für große Ziele sei kein Opfer zu groß … Hier ist ein Wetter von unwahrscheinlicher Schönheit. Bei leichtem Wind unglaublich feine Sonnenlichter über Wasser und Ufer. Für eine heute vonstatten gegangene Luftschiffahrt nach Sofia herrliches Wetter. Ich bin auf den Bericht von dort gespannt und bin zufrieden, wenn er überhaupt irgendwelche Nachricht bringt. Denn die Verbindung ist bisher miserabel, da die Bulgaren aber auch gar nichts von solchen Dingen haben … Du schreibst am Vailly-Tag. Ich hatte ihn unter dem Eindruck der Gegenwart vergessen. Sonst hätte ich dem III. A.K. einen Gruß geschickt. Es war ein guter Abend, der 30. 10. 1914. Aber in Deinem Dank nach Oben für unsere einundzwanzig gemeinsamen Jahre klingt eine leise Melancholie hindurch. Mir erscheint im Gedächtnis die ganze Zeit wie lauter Sonnenschein und Glück. Ich lege Dir zwei Künstlerzeichnungen bei, die nach Photos angefertigt sind.

Diesem Künstler nahm ein Erzherzog nicht ganz unbegreiflicherweise folgende Frage einigermaßen übel: ›Soll ich Sie so machen, wie Sie sind oder für die Geschichte?‹ … Ganz so glatt, wie Du ihn vielleicht liest, kam dieser Brief nicht zustande. Ich schrieb mit hundert Unterbrechungen.«

»... den 10. 11. 15. Ich lese so nebenher noch allerlei. Der Soldat ist unverwöhnt in Kriegszeiten, und mir kommt es nur auf eine entspannende nette Unterhaltungsstunde an. Die Umgebung bringt es mit sich, daß man über anderes als über den Krieg oder höchstens über den Frieden nicht sprechen kann. Dabei gebe ich mir redlich Mühe, ganz einseitig zu werden. Aber bisweilen habe ich Rückfälle … Ganz leicht habe ich es hier nicht unter Unklarheiten, Unsicherheiten und Nachlassen der Spannkraft, ganz allgemein gesprochen. Die Bulgaren sind auch etwas ungelenk und noch kein modernes Heer. Kurzum, ich bin unzufrieden, ungnädig und für jedermann ungenießbar. Am besten können noch meine beiden jungen Herren, Dunst und Blankenhorn, mit mir. Die freuen sich doch noch, wenn ich grob werde … Etwas besserer Laune wurde ich erst, als ich Besuch von einem Freund an der Aisne hatte, der vor einem Jahre für mich flog, ein Hauptmann von Hagen, ein frischer, forscher kleiner Kerl. Wir Alten bringen nichts mehr vor uns:

›Hat einer dreißig Jahr vorüber,
So ist er schon so gut wie tot.
Am besten wär's, Euch zeitig totzuschlagen.‹

Freilich war Goethe, als er das schrieb, damals auch nicht mehr ganz jugendlich. Er mußte es also wissen. Aber die ›Diere wärden sie nämlich sähre alt‹. Wie lange hast Du mir diese Geschichte nicht mehr erzählt? Seit über 20 Jahren nicht. Ich meine jetzt damit allerdings Generäle und ähnliche Tiere … Denke nicht, ich wollte nicht schreiben, wenn ich einmal nicht schreibe … Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für Deine Briefe, und ich habe jedenfalls nie etwas zu tun, was ich lieber tue. Nur das Muß der andern Dinge geht vor … Daß Kitchener kommt, gilt als Zeichen, daß England die Sache hier im Orient doch sehr ernst auffaßt. Wir auch. Ich bin gern bereit, meine Unterhaltung mit ihm auf anderem Boden fortzusetzen. Er wird über den englischen Generalstab kaum besser urteilen gelernt haben … Adieu, meine liebe Liebe …«

»... 11. 11. 15. Kragujevac ist eine größere Stadt, gut erhalten und in Ordnung. Bahnverbindung seit gestern. Wir gehen, was ich nun verraten kann, am Sonnabend auch hin … Heute früh besuchte mich der ehem. serbische Ministerpräsident Petrović Die Besprechung mit Petrović wurde in österreichischen Kreisen recht mißfällig aufgenommen. mit dem ich über die notwendigen vorläufigen Einrichtungen der Verwaltung des Landes verhandelte. Ein kluger Mann, spricht fertig deutsch und wird uns entschieden von Nutzen sein. Eine interessante Stunde, in der ich viel Neues hörte und in der dieser patriotische Serbe vielleicht mehr für sein Land erreichte, als er dachte. Ich sehe nicht ein, warum wir Österreich absolut vergrößern müssen, damit es aus diesem Lande ein zweites Galizien … macht. Einen großen Teil von Serbien erhält natürlich Bulgarien. Doch das sind Zukunftspläne, die ich aber heute noch zu Papier bringen und an Falkenhayn schicken muß. Vorläufig muß hier noch gründlich Krieg geführt werden, und nachdem ich gestern eine bogenlange Depesche nach Pleß sandte, hagelt es heute Rückfragen und Einwände, die bei ihm Das Wort »ihm« ist unterstrichen. Es kann in diesem Zusammenhänge wohl nur Falkenhayn gemeint sein. Es ist also schon mehrfach bei solchen Anlässen zu Verstimmungen gekommen. immer einer Verstimmung vorausgehen … Die Gespräche mit Pleß mußten auf dem Fernschreiber geführt werden. Das Telephon ging nicht, wohl wegen des schlechten Wetters. Wir verabredeten eine Zusammenkunft, woran mir auch viel liegt … Der griechische Gesandte in Serbien flüchtete mit der Regierung von Stadt zu Stadt, blieb schließlich krank liegen, fiel in unsere Hände und ist natürlich und selbstverständlich anständig behandelt worden … Die Krisis in Griechenland ist zur Zeit überwunden. Der König ist zuverlässig, aber in einer sehr schwierigen Lage.«

Seeckt hatte sehr recht, wenn er schrieb, daß »vorläufig noch gründlich hier Krieg geführt werden müßte«. Freilich war das ursprüngliche Ziel, die Öffnung des Eisenbahnweges zur Türkei, erreicht. Aber man hatte ja stillschweigend darüber hinaus die Vernichtung des Feindes angestrebt. Wie in der Operation gegen Rußland, so wird auch hier von der Heeresgruppe der Vernichtungsgedanke aufgenommen, bis zum Äußersten aufrechterhalten und im ganzen unter der Einwirkung der Umstände nicht vollständig zum Erfolg gebracht. Zunächst aber handelt es sich darum, den Gedanken, das serbische Heer zu schlagen, wo man es findet, endgültig in die Tat umzusetzen. Es sollte schnell gehandelt werden. Dazu war ein unaufhörlicher Druck von allen Seiten notwendig. Der aber ließ sich auf der 200 km langen Front nur an wenigen Stellen ausüben. Jetzt war es so, daß man nicht zu wenig Kräfte hatte, sondern daß man die verfügbaren Kräfte nur sehr schwer einzusetzen vermochte.

In diesen Tagen hat wohl bei beiden O.H.L. und bei der Heeresgruppe kaum ein Zweifel bestanden, daß die Operation nach Niederwerfung der Serben gegen die Salonikitruppen fortzusetzen sei. Allein es ist auffallend, daß in seiner Beurteilung der Lage vom 10. 11. an die O.H.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 2 A.O.K. 11. Seeckt selbst ganz offensichtlich und deutlich die Frage des Angriffs gegen die Ententetruppen offen läßt. Er schreibt:

»... Die hier bestehende Auffassung der Lage ist, daß das Vorgehen der deutsch-österr. Kräfte bis zur Linie Sjenica–Novipazar–Mitrovica, das der bulg. I. Armee auf Mitrovica–Priština durchzuführen ist. Gelingt es den südlich Priština stehenden bulg. Kräften, wenn nicht vorzukommen, so doch zu halten, dann kann die serbische Armee tatsächlich als beseitigt angesehen werden … Ob sich den bulg. Wünschen entsprechend eine weitere Operation gegen die Entente unter starker Beteiligung deutscher Truppen anschließen soll, muß dortiger Beurteilung und Entscheidung überlassen bleiben. Nach hiesiger Auffassung würde die Fortsetzung der jetzigen Operation in Richtung Priština für solche eine gute Ausgangslage ergeben, wenn die I. bulgarische Armee, verstärkt durch XXI._I.R. und Alpenkorps über Üsküb vorgeht, während die 2. bulg. Armee, verstärkt durch die fünf übrigen noch verfügbaren deutschen Divisionen, über die Linie Komanovo–Stip–Strumica angreift Seeckt soll nach einer österreichischen Quelle zwei Wochen später versucht haben, die Beteiligung deutscher Truppen gegen Prizren durchzusetzen.

Sehr gewandt macht also Seeckt den Angriff auf die Ententetruppen sowohl von der Entscheidung der O.H.L. als auch von bestimmten Voraussetzungen der Kräfteverteilung abhängig. Das erste war selbstverständlich, da es sich hier nicht um einen rein militärischen Entschluß, sondern um einen solchen von erheblicher politischer Bedeutung handelte.

Aus alledem entsteht der Entschluß, die Serben auf dem Amselfeld zu stellen, wobei Falkenhayn besonderen Wert darauf legt, daß nicht nachher noch stärkere eigene Kräfte gegen Montenegro und Albanien stehenbleiben müssen. Seeckts Vorschlag, zunächst doch noch vernichtend das serbische Heer zu treffen, hat sich also durchgesetzt gegen Sorgen um Ententehandlungen in Richtung Varna oder Dedeagatsch, gegen bulgarische Absichten auf Monastir und gegen Falkenhayns Absichten, die wieder Conrad nicht recht waren, allzuviel deutsche Kräfte bereits aus der Operation herauszuziehen General v. Cramon und General Fleck schreiben in »Deutschlands Schicksalsbund mit Österreich-Ungarn«, Mackensen habe auf Weisung der deutschen O.H.L. deutsche Truppen aus der Front gezogen und nach Ungarn zurückverlegt, und zwar aus Verpflegungs- und sanitären Gründen. Conrad vermutete darin ein beginnendes Abweichen von den Vereinbarungen. In einer Aussprache hierüber mit Falkenhayn machte dieser die endgültige Entscheidung über die Weiterführung der Offensive gegen Saloniki von der Regelung des Nachschubes abhängig. Hierüber würden noch Wochen vergehen. Conrad erklärte darauf das Mandat Mackensens als Oberbefehlshaber der verbündeten Armeen für nicht bestehend. Er erreichte damit, daß am 27. November vereinbart wurde: »Generalfeldmarschall v. Mackensen führt unter Sicherung der rechten Flanke gegen Montenegro und Albanien die Offensive gegen die in Saloniki gelandeten feindlichen Kräfte fort.«. Der Einfluß Seeckts durch seinen Bericht vom 10. 11. ist kaum zu leugnen. Seeckt aber hatte alles zu dieser Zeit als Ausgangslage für einen Stoß gegen Saloniki angesehen. Er hatte auch über die dafür notwendige Herstellung der Bahn nach Üsküb berichtet.

Falkenhayn hat diesen Teil der Gedankengänge Seeckts sich, wie es scheinen will, nicht zu eigen gemacht. Er hat von vornherein berechtigten Zweifel dareingesetzt, ob sich die Nachschublage ausreichend gestalten ließe. Es entsteht also eine bemerkbare Differenz der Meinungen und auch ein vorübergehendes Wechseln der Ansichten bei der O.H.L. Dies wiederum spricht sich bis zu einem gewissen Grade auch in den Einordnungen der Heeresgruppe vorübergehend aus.

Man kann es wohl verstehen, wenn in dem heißen Bemühen, mit äußerster Kraft auf dem Amselfeld eine Entscheidung zu erzwingen und alle Widerstände zu überwinden, auch Seeckt einmal ein Versehen unterläuft. Am 12. 11. morgens hatte die Heeresgruppe in der Morgenmeldung erwähnt, die Bulgaren wollten anscheinend die Morava nicht überschreiten. In wenigen Stunden ist ein Telegramm Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 3 A.O.K. 11. Falkenhayns da, daß »die Klärung dieser Frage von großer Bedeutung mit allen Mitteln anzustreben ist«. Da die Bulgaren noch im Laufe des Tages über die Morava gut vorwärts kommen, gibt die Heeresgruppe ihren Irrtum, der nun wieder Jekow zu einiger Schärfe veranlaßt hatte, unumwunden zu. Man erkennt deutlich, wie Seeckt sofort bereit ist, einen Irrtum richtig zu stellen. Der Vorgang ist aber auch ein Zeichen für die Spannung, die im Laufe solch schwerer, von Gelände und Umständen dauernd gehemmter Kämpfe sich stets einzustellen pflegt.

Die Dinge entwickeln sich bis zum 13. 11. so, daß eine Einkreisung der Serben auf dem Amselfeld wesentlich von der 2. bulg. Armee abhängt. Jedenfalls will es den unmittelbar auf dem Kriegsschauplatz Beteiligten so scheinen. Man hat bei Seeckt fast den Eindruck, als wenn er nunmehr überhaupt nur an die Einkreisung in der Kossowo-Ebene denkt und alle anderen Erwägungen beiseite schiebt. Als er der k.u.k. 3. Armee Straßen angibt, gegen die der Stabschef General Konopicky durchaus mit Recht Einspruch erhebt, da tritt in der Antwort Seeckts diese Einstellung auf das eine Ziel ganz deutlich hervor. Er schreibt an den General Konopicky Heeresarchiv Potsdam, Akte 12 3 A.O.K. 11.:

»... Für die gestern ergangene neue Weisung war nur der Gedanke maßgebend, daß noch immer möglichst die umfassende Bewegung gegen die Kossowo-Ebene durchzuführen ist. Dazu war gedacht … von Westen, also über die Linie Sjenica und Novipazar, … von Norden gegen die Linie Novipazar und Mitrovica, … von Nordosten gegen die Linie Mitrovica–Priština, … vorzugehen, während die Bulgaren von Osten und Süden vorgehen. Die Zuweisung der Marschstraßen muß dem A.O.K. überlassen bleiben, ebenso wie die Zurücknahme einzelner Teile, die keinen Raum oder keine Straße mehr finden. Solange der Gedanke der Verfolgung … festgehalten wird, kommt es auf die Auswahl der Verbände nicht an … Voraussichtlich versucht der Feind noch einen Durchbruch nach Süden. Mißlingt ihm dieser und damit die erhoffte Vereinigung mit der Entente, so bleibt ihm nur der Abzug über Ipec. Um dies zu ermöglichen, hält er noch hartnäckig gegenüber XIX. und XXII. A.K. Mit der Möglichkeit eines montenegrinischen Vorgehens zur Unterstützung über Novipazar und Sjenica ist zu rechnen. Doch kann diese Einwirkung kaum von Bedeutung sein. Bisher ist der Einsatz von Ententetruppen aus dieser Richtung nicht zu erwarten.«

Seeckt rechnet also nicht mit einem serbischen Erfolg in Richtung auf die Ententetruppen. Aber er lehnt einen Versuch der Serben doch nicht völlig ab. Darüber hinaus beweisen Seeckts Worte wiederum deutlich, wie stark in ihm der Wille zur Entscheidung liegt. Er spricht es fast sinnfällig aus, daß ihm die Einzelheiten der Ausführung dabei nahezu gleichgültig geworden sind.

Am 16. 11. fand die Aussprache des Generals von Falkenhayn mit dem bulgarischen Oberbefehlshaber General Jekow in Paracin statt. An dieser Besprechung nahmen der Feldmarschall, Seeckt und auch Tappen teil. Es muß auffallen, daß die Aufzeichnungen über die Besprechung lediglich die Fortführung der Operationen gegen die Ententetruppen behandelten. Seeckt mag hier die Schlußhandlung gegen die Serben nicht mehr berührt haben, weil ihm der letzte Schlag selbstverständlich erschien. Wie zäh er dabei blieb, zeigt, daß er nicht einmal vor Fehlern zurückschreckte. Die 3. Armee will ein Kavallerie-Regiment zurücknehmen, da es in dem unwegsamen Gebiet nur störe. Seeckt ist der Gedanke, auch nur eine einzige Truppe jetzt zurückzunehmen, die vielleicht doch noch vorwärts könnte, unerträglich. Er lehnt, von sich aus begreiflich, die Zurücknahme ab. Natürlich ist das ein Fehler. An sich weist das Seeckt sehr wohl. Die kleine Episode ist nur bezeichnend für seinen Drang, die Serben zu stellen. In der Besprechung mag sich gerade Seeckt, weil seine Gedanken mehr auf dem Amselfeld als bei Saloniki waren, bewußt zurückgehalten haben. Einen um so stärkeren Eindruck machte die Persönlichkeit des Feldmarschalls auf den bulgarischen Oberbefehlshaber, der sich später beim 80. Geburtstag des Generalfeldmarschalls von Mackensen in begeisterten Worten darüber geäußert hat. Jekow nennt aber in diesem Aufsatz Deutsche Pressekorrespondenz Nr. 120 v. 2. 12. 1929, herausgegeben von Professor Oppermann. »Seeckt den genialen Ausführer der Ideen«. Man wird es vermerken müssen, daß die Behauptung genialer Eigenschaften, ganz gleich in welchem Zusammenhange, hier von einem Mann ausgesprochen wird, der Seeckt mitten in schwierigstem Wirken kennenlernte.

Inzwischen begünstigen die Umstände die Kriegshandlung nicht. Es tritt ein ungewöhnlich früher Wettersturz ein mit viel Schnee. Ist an sich schon das Gelände so, daß man die Truppen gar nicht entfalten, sich ihrer Stärke nicht bedienen, die Artillerie nicht ausnutzen kann, meist nur noch mit Vorhuten kämpft, so bewirkt das Wetter, daß Tragtiere und Ochsengespanne allmählich zu ausschließlichen Bewegungsmitteln werden. Und dennoch schließt sich der Kreis um die Armeereste der Serben immer mehr; nur nicht ganz.

Die unausgesprochene Differenz in der Auffassung, wie sie in der Besprechung am 16. 11. zu vermuten war, wird am 18. ziemlich deutlich. Wenn Falkenhayn möglichst geringe Kräfte nur gegen die serbischen Reste an der albanisch-montenegrinischen Grenze haben will, so beantwortet am 18. Seeckt dies in einer seine Art kennzeichnenden Weise mit einem Angriffsvorschlag. Auf die Dauer bedürfe man am wenigsten Krafteinsatz, wenn man Montenegro wegnähme, wozu eine Operation der Österreicher aus Dalmatien und der Herzegowina gut sein würde. Ausgerechnet am Tage dieses Vorschlages rief Falkenhayn das III. A.K. und X. R.K. ab, was zu einem Zusammenstoß mit Conrad führte und wohl auch führen mußte.

Am 24. 11. erreichten die Verfolger Mitrovica und Priština. Die Serben ließen es auf einen letzten Verzweiflungskampf auf dem Amselfeld nicht mehr ankommen. Große Teile streckten hier die Waffen. Gegen Monatsende besetzten die Bulgaren Prizren. Im Augenblick dieses Erfolges, als tatsächlich sich auf altserbischem Boden kein serbischer Soldat mehr befand, rechnete man damit, daß nur etwa 40+000 Mann entkommen seien und daß die nächste Aufgabe zweifellos der Angriff sei, um die Entente vom Balkan zu vertreiben. Beides war nicht ganz richtig. Nach dem amtlichen französischen Kriegswerk erreichten etwa 90+000 Mann ausgebildete Soldaten, dazu rund 50+000 Rekruten die Küste des Adriatischen Meeres. Diesen gelang der Abtransport zur Entente. Und der jetzt zu Ende November mit Sicherheit erwartete Angriff auf Saloniki kam nicht. Das ist um so wunderbarer, als bei Falkenhayn in den Tagen vom 22. bis 26. 11. wieder ein ausgesprochener Umschwung eingesetzt hatte. Am 22. lehnt Falkenhayn den Angriff gegen Montenegro ab, denkt an eine Operationspause und erwägt, ob die Bulgaren allein den Kampf fortsetzen wollen. Mackensen antwortet sofort in einem von Seeckt im Original aufgesetzten Schreiben, er hielte nur die sofortige Fortsetzung der Operation gegen die Entente für günstig. Allerdings müsse die Bahn bis Üsküb fertig sein. Die hierdurch verursachte Pause gibt also das Heeresgruppenkommando auch zu. Immerhin hat diese Antwort zur Folge, daß Falkenhayn am 23. sofortiges Antreten gegen die Entente wünscht und dementsprechende Befehle zum Wegziehen aller deutschen Kräfte von der montenegrinisch-albanischen Grenze einleitet. Die Folge davon würde der Einsatz bulgarischer Truppen in rein österreichischem Interessengebiet sein. Das wiederum hat die Folge, daß Conrad das Verfügungsrecht über die k.u.k. Verbände fordert.

Die Situation spitzt sich ziemlich zu. Seeckt gelingt es, in einer Besprechung mit Falkenhayn am 25. die Gegensätze auszugleichen und die gestern befohlenen Bewegungen anzuhalten.

Im ganzen bringt das Monatsende den Abschluß des serbischen Feldzuges. Die Erörterungen über eine neue Operation setzen ein. Das äußere Zeichen des Abschlusses ist für Seeckt die Verleihung des Eichenlaubes zum Pour le mérite.

Die Briefe aus der Zeit vom 12. bis Monatsende:

»Den 12. 11. Liebes Katz. Ich brauche nur den Bogen hinzulegen, um Dir zu schreiben, dann kommen sie angelaufen und stören einen dabei. Heute ist der letzte Tag auf dem Schiff. Ich bin es zufrieden. Es ist für lange denn doch zu eng, immer den Kopf dicht an der Decke zu haben. Gestern war der Tag wieder ziemlich betriebsam. Folgende Reihenfolge der Besuche: Johann Albrecht von Mecklenburg; der ungarische Minister des Innern, der Ersatz für geraubte Kühe und Rinder reklamierte; dann Hermann Bülow, der vor Freude, mich zu sehen, sein Boot versäumte, Mantel und Photoapparat verlor, was ich ihm wiederbesorgen und ihn mit unserm Depeschenboot an das andere Ufer schicken mußte. Zeit des Wiedersehens drei Minuten; dann meine Freunde die Flieger und soeben der Feldzeugmeister, der unsere Beute sortiert. Also wieder einmal gar keine Zeit …«

»Kragujevac, den 14. 11. 15. Das also ist Serbien, nachdem an der Donau noch Europa angrenzte. Man bekommt Erinnerungen an östliches Polen und nördliches Frankreich … Das Nest selbst ist an sich schon übel, wenn auch hübsch zwischen den Bergen gelegen, aber durch unsere durchziehenden Truppen reichlich verwüstet. Es sind große Arsenale mit Mengen von Kriegsvorräten hier, die abzubringen Schwierigkeiten macht. Leider wieder Regen, den wir so gar nicht gebrauchen können. Im Balkan liegt schon ordentlich Schnee, und unsere vorderen Truppen kämpfen alle auf Höhen über 1000 Meter. Wir sind nun schon mit den Bulgaren zum Teil vermischt. Es geht bisher noch ganz gut, wenn auch mit Schwierigkeiten. Die Serben wehren sich außerordentlich zähe und hoffen noch, daß ihnen von der Entente Hilfe wird. Wenn die Bulgaren ihre Schuldigkeit tun, vergeblich … Diese Zeilen werden etwa am 19. bei Dir sein, was doch ein bedeutender Tag in unserem Leben ist. Dank Dir schön, daß ich Dich da bekam …«

»D. 15. 11. … Die unbegründeten Gerüchte über Erfolg und Sieg sind übel. Sie nehmen bestenfalls die Freude am später wirklich eintretenden Guten vorweg und verwässern sie dann. Meist trüben sie diese, weil nachher die Wirklichkeit selten so schön ist wie der Wunsch. Wer hat eigentlich Nutzen davon? Zuweilen denkt und sagt man: Börsenmanöver, was eigentlich nachher aber niemals nachzuweisen ist. Also bleibt nur Klatschsucht übrig. Mag das Vaterland Schaden haben, wenn nur jeder reden kann. Dazu gehört wohl im einzelnen die Erzählung, daß ich beseitigt sei, wobei auch die, wenn auch nur selbst geschaffene Schadenfreude hinzukommt. Nicht zu ändern … Morgen großer Tag. Konferenz zwischen Falkenhayn und dem bulgarischen Generalissimus Jekow, zu der ich auch muß … Ich war heute noch beim Generalkommando III, das uns morgen verläßt … Sämtliche bekannte alten Kraftfahrer des Gen.Kdos. wollten mich fahren, damit ich mich auf dem Weg von zwei Minuten auch nicht überanstrenge. Abends freilich nehme ich es gern an. Denn die Straße ist lebensgefährlich oder besser hosengefährlich vor Schmutz …«

»17. 11. Schnee, das ist übel. Er fällt in Massen und wird hier Wege und Bahnen vorübergehend stören und vor allen Dingen die Sache verlangsamen. Mit der Bahn bis zu einer kleinen Station, wo wir zu Falkenhayn einstiegen. Dann nach einer Stunde in Autos bis zu einem Fluß, über den wir in Booten übergesetzt wurden. Dann weiter in anderen Autos. Es ging mit diesen gerade noch. Heute wäre es ausgeschlossen. In Paraćin, einem kleinen, schon recht türkischen, aber netten und gut erhaltenen Ort Zusammentreffen mit dem bulgarischen Kronprinzen, dem Generalissimus Jekow und lange Konferenz über weitere Kriegspläne, die darauf unter anderem hinzielen, uns, d. h. den Feldmarschall und mich, noch mehr als bisher mit Balkanfragen zu befassen. Alles wurde nicht erreicht, aber einiges konnte ich wenigstens noch durchsetzen, obwohl ich eigentlich vorgezogen hätte, ganz zu schweigen.«

Man sieht hier deutlich, daß diese Besprechung, wie es sich bereits aus den Tatsachen ergeben hatte, nicht so ganz nach den Wünschen Seeckts verlief. Bezeichnend ist das Verhalten Seeckts, sobald er voraussetzt, nicht einer Meinung mit der verantwortlichen Stelle zu sein. Ein solcher Vorfall gibt Aufschluß über manche Motive auch der Nachkriegszeit. Seeckt hat immer geschwiegen, wenn er von vornherein wußte, daß er sich nicht durchsetzen würde. Vergeblicher Kampf hat Seeckt niemals gelegen.

Im Brief vom 17. heißt es dann weiter:

»Sehr gewandt war die bulgarische Vertretung … Unsererseits wäre etwas mehr Festigkeit klüger gewesen. Jekow machte einen ausgezeichneten Eindruck, sprach französisch, was für Falkenhayn sehr unbequem war. Es wird schriftlich noch viel festgelegt und geändert werden müssen. Der Kronprinz gefiel mir, taktvoll und für seine 21 Jahre merkwürdig orientiert und sachlich. Ein interessanter Tag …«

»... d. 19. 11. Neulich wurde dem Feldmarschall und mir erzählt, daß der serbische Minister Petrovic über mich und meine Strenge geschimpft hätte … An sich ist das uns beiden natürlich sehr recht, denn es beweist, daß uns beiden ein serbischer ehem. Ministerpräsident nicht imponiert, während die andern solchen Leuten gegenüber zwischen Furcht und Ehrerbietung schwanken. Herr Petrović war als junger Mann noch beim Fürsten Bismarck gewesen und schreibt für die ›Zukunft‹. Es hat ihm wohl nicht gefallen, daß ich ihm sagte: ich traue Ihnen vollkommen; denn Ihr Interesse liegt jetzt bei uns, und beim ersten Verdacht eines Seitensprungs baumeln Sie. Nach einem Serben mehr oder weniger kräht kein Hahn in dieser Zeit … Ich hoffe nicht, daß Lochow nach Galizien geht. Es wird der Westen werden. Er hat ausgesprochen soldatische Eigenschaften, vor allem das rücksichtslose Einsetzen der eigenen Person und den dadurch entstehenden Einfluß auf seine Leute. Jedenfalls einer unserer besten … Deine Begegnung mit Frau Ludendorff Des Generals erste Frau. ist ja sehr nett verlaufen. Daß sie alle ihre Söhne zu den 39igern geben, freut mich besonders. Von der ›Dodo‹ wird sie gewiß in Düsseldorfer Kreisen oft genug gehört haben, um neugierig zu sein. Du bist ja aber auch so recht etwas für die Rheinländer. Was Du aber für ein guter Kerl und guter Kamerad bist, weiß ich doch nur allein … In den Bergen ist es kalt. Die Meldungen lauten: ›Wetter schön und klar‹ auf deutsch, oder ›Wetter sehr kalt, viele Erfrierungen‹ auf österreichisch. Es hilft alles nichts, wir müssen vorwärts. Aber unbequem war dieser Frühschnee und vor allem das für diese Jahreszeit ganz ungewohnte hohe Wasser …«

»20. 11. Von rückwärts gesehen sieht alles so langsam aus, und bis in die Nacht hinein gingen die Hetzartikel von Pleß Worauf sich diese Bemerkung bezieht, ist aus den Akten nicht ersichtlich.. Dazu die Klagen von vorn. Da heißt es, die Nerven behalten. Aber noch habe ich sie ja beisammen. Die oft gestörte Nachtruhe verschaffte einem Buch das Recht, das Du mir in Breslau kauftest, ›Schwüle Tage‹, von Keyserlingk, sehr hübsch und unterhaltend, aber doch wohl nicht ganz passend für mich …«

»21. 11. … Bitte erzähle nicht zuviel aus meinen Briefen. Ich komme sonst noch in den Ruf eines Projektenmachers und politischen Soldaten. Du mußt immer bedenken, in welche Mäuler es kommt. Mit welchem Grad von Bösartigkeit und Blödheit, ohne jede Rücksicht auf den anzurichtenden Schaden da geklatscht wird, weiß ich doch … Bernhard Shaw, für den ich ja immer eine Vorliebe hatte und der einer der wenigen Engländer ist, dessen Lust am Widerspruch und Gegensatz nicht … untergegangen ist, schrieb in dem einzig noch leidlich vernünftigen englischen Blatt Manchester Guardian: ›Wenn all die geistige Kraft, die Energie und der Enthusiasmus, die während des vergangenen Jahres für das Schreiben von Unsinn angewandt worden sind, lieber daran gewandt worden wären, uns durch den Krieg zu bringen, so würden wir heute in Berlin sein.‹ Setze Paris statt Berlin …, so stimmt es wohl auch für uns – und auch für mich … vorläufig beabsichtige ich weder nach Petrograd noch an den persischen Golf zu gehen; es gibt vorläufig noch nähere Feinde. ›Später vielleicht‹, kannst Du sagen … Vorne können wir keine Kavallerie gebrauchen; ich zog eben noch ein österreichisches Kavallerie-Regt. zurück und schickte es in Winterquartiere Ja, aber sehr widerwillig, wie vorher erwähnt. … Die Sonne ist durch; das ist wichtig, und in ihr sitzt vor meinem Fenster ein Spatz; endlich einmal ein Geschöpf, das nichts vom Krieg weiß, will und hat. Pferde – ach herrje! Ochsen ziehen Kanonen, Kühe werden gegessen oder geben wie unsere 20 Stabskühe 9 Liter Milch, Hunde machen leidende Gesichter, und Katzen sind weggelaufen. Selbst das Schwein, dessen eigentliches Heimatland hier ist, fängt an, sich vom Schauplatz zurückzuziehen. Gestern abend habe ich noch spät über die Ernährung der Bevölkerung beraten; denn es muß durchaus etwas dafür geschehen, vielleicht rückt Rumänien doch noch etwas Mais dafür heraus, vielleicht über amerikanische Vermittlung wie in Belgien. Nach unserer Heimat sind übrigens große Getreidetransporte donauaufwärts gegangen. So ganz nutzlos war unsere Tätigkeit also bisher doch nicht für Euch …«

»22. 11. … Kalte sonnige Tage, wie wir sie uns wünschen können. Gestern war wieder einmal viel zu tun. Denn wenn auch die rein militärische Lage bei uns einfach ist, so ist die politische um so ungeklärter, insofern als viele und weite Möglichkeiten bestehen. Ich sehe sie heute sehr günstig an und habe die Überzeugung, daß unser Vorgehen hier tatsächlich eine ganz neue Lage am Balkan geschaffen hat, die richtig ausgenutzt, uns einen dauernden großen Vorteil bringen muß. Dies Bewußtsein befriedigt mich persönlich, wenn es mir ja auch herzlich leid tut, daß ich der Eitelkeit und dem Applausbedürfnis zu Hause nicht den gewünschten Schlußakt in bengalischer Beleuchtung und Fahnenschmuck habe geben können. Schließlich haben wir ganz Serbien erobert und eine Armee geschlagen, welche vor einigen Jahren die Bulgaren, vor einem Jahr die Österreicher ziemlich gründlich besiegt hat.

Nun habe ich der Leitung sieben Divisionen schon wieder zur Verfügung gestellt, von denen drei schon auf der Bahn, vier im Marsch zur Donau sind. Das sollte eigentlich auch bewertet werben, denn wir können sie anderswo gebrauchen. Ob immer so gut wie hier, weiß ich nicht. Das dürfte ich eigentlich nicht schreiben. Bitte behalte es ganz für Dich.«

Man kann eben Seeckt nicht ganz verstehen, wenn man nicht von Zeit zu Zeit einen Einblick in sein so selten erschlossenes Innere durch die Briefe bekommt. Die Heeresgruppe gibt Truppen ab. Im tiefsten Herzensgrunde hält er das für falsch. Aber er ist Soldat genug, nicht in die Verantwortung eines andern sich hineinzudrängen. Ja, er geht sogar soweit, an diesem Verantwortlichen, mit dem er im letzten nicht mehr übereinstimmt, dennoch keine Kritik zu üben. Das ist angeborene soldatische Disziplin. Ist es jedenfalls dann, wenn jeder Widerspruch wie hier nur schaden, nicht nützen und allenfalls dem Geltungsbedürfnis des Kritisierenden Genüge tun würde. Der Brief geht weiter:

»Es unterbrach mich ein netter Feldmarschalleutnant und österr. Oberetappenmann, mit dem ich viel zu besprechen hatte, und der voll guten Willens und Überzeugung der eigenen Unzulänglichkeit war … Ich bin aber mit den Leistungen der Österreicher hier bei uns doch sehr zufrieden gewesen, von einigen Dummheiten abgesehen, und habe mit der unterstellten österr. Armee wieder sehr gut gearbeitet. In Italien halten sie doch auch sehr gut durch. Merkwürdig, daß sie den Russen gegenüber die Nerven verlieren …«

»23. 11. abends. Gleichzeitig kommt eine kleine Kiste bei Dir an. Sie enthält eine ganze, ganze Kleinigkeit für Katz. Mache sie also erst am 3. 12. Geburtstag von Frau v. Seeckt. auf. Aber freue Dich nicht auf etwas zu Hübsches. Frankreich ist nicht Serbien und Serbien nicht Frankreich und Valenciennes nicht Kragujevac. Etwas anderes konnte ich mir aber nicht ausdenken. Sonst hätte ich Dir schon ein schwarzes Schweinchen schicken müssen. Das wäre wenigstens landesüblich gewesen … Heute abend kam die gute Nachricht, daß wir Priština bekommen haben. Das sagt Dir nicht viel, mir aber, daß dieser Feldzug zu Ende geht und ein neuer anfängt, und das macht Arbeit.«

»24. 11. … Gestern war ein guter Tag, wir nahmen die letzten größeren Orte an der albanischen Grenze, Mitrovica und Priština, und drängten die Reste des serbischen Heeres aus seinem Lande. Fast gleichzeitig sind die deutschen und bulgarischen Truppen in Priština eingedrungen, während die Österreicher Mitrovica nahmen, also eine befriedigende Zusammenarbeit. Nun hieß es für mich, gleich Folgerungen ziehen, und so ging die Nacht so ziemlich drauf, bis die Armeen ihre neuen Aufgaben hatten. – Ja, vor neun Jahren waren wir am 19. November mit den dreihundert Kamelen in einer Oase mitten in der Sahara. Wie gut weiß ich den Morgen! Und heute so weit weg von Dir, und den Fezträgern näher als Dir! Wenn wir ihnen doch dort überall nach und nach Schwierigkeiten machen könnten: ›von Mekka bis nach Temazin‹ sollte täglich treu der Muezzin den Heiligen Krieg ausrufen! ›Von Kairo bis zum Kaiber-Paß macht dann der Krieg dem Kinde Spaß Von Mekka bis nach Temazin tönt täglich treu der Muezzin.
Ein scherzendes Alphabet nach der Afrikareise 1906. Es sind Antworten auf Fragen von Frau v. Seeckt.
.‹ Und ich setze mir dann auch einen Tarbusch auf und nähme mir – etsch – die mir nach meinem Range zustehenden übrigen 23 Frauen, ach, ich Armer! Und dabei habe ich doch so eine liebe Katz … Es sind auch nicht annähernd 300+000 Ententebrüder hier, leider nicht, noch nicht die Hälfte, und ob sie dableiben werden, ist mir zweifelhaft …

25. 11. Eben bekomme ich ein Telegramm, ich soll meinen großen Herrn Falkenhayn.irgendwo in Ungarn treffen zu einer kurzen Unterhaltung. Sofort ›sauste‹ ich mit 10 Kilometer Geschwindigkeit mit der Bahn zur Donau …

27. 11. … Mit Falkenhayn zwei Stunden im Zuge bis Arad geredet. Also für eine kurze Unterhaltung vom 25. mittags 2 Uhr bis zum 27. wiederum mittags 2 Uhr unterwegs. Arbeit bis zum Abend. Aber es wurde mir alles bequem gemacht, wenn die Bahnen auch nicht gerade prunkvoll sind. F. war zufrieden und sehr herzlich für seine Verhältnisse. Interessante und weite Zukunftspläne und Möglichkeiten wurden besprochen … Von mir kann ich nur sagen, daß ich vorläufig hier bleibe und anfange, mich zu einer Balkanspezialität zu entwickeln. Gestern abend war ich doch reichlich müde … Deine Anregung, Zimmer im Pera Palace Konstantinopel. zu bestellen, ist leider nicht ausführbar. Es ist dort sicher hübscher als in Kragujevac. Aber noch sind wir nicht so weit, und dort sind auch so viele andere kluge Menschen, daß wir dort gar nicht mehr nötig sind. Sie zanken sich dort auch schon ohne uns miteinander … Das Elend hier ist groß. Du solltest das Volk nur sehen. Ich sah in Semendria gestern einen Zug alter und kranker Serben, daß mein schon manches gewohntes Herz sich umdrehte … Also Wrisberg war mit uns zufrieden. Er hat es nicht leicht. Aber er darf sich sagen, daß kaum ein anderer einen solchen Einfluß auf den Gang des Krieges gehabt hat wie er. Den immer sich steigernden Ansprüchen, den stets wechselnden Lagen bis an die Grenze des Möglichen und, man sollte sagen, über diese hinaus nachzukommen, war eine um so größere Arbeit …, da der Krieg uns unter den Händen ins Riesenhafte wuchs. Wenn je von Genialität unserer Heeresführer die Rede sein kann und wird, so trifft auf ihn das Wort zu, daß Treue und Beharrlichkeit ihre wahren Zeichen sind …«

»D. 27. 11. 1915. Meine Geliebte – heute mittag teilte Dir als der Haupt- und Nächstbeteiligten mein Telegramm die Verleihung des Eichenlaubs zum Pour le mérite mit; ich denke, Du freust Dich für mich und für Dich selbst und über mich auch etwas. Der Kaiser telegraphierte es an den Feldmarschall, er freue sich, ihm mitteilen zu können, daß er seinem ›vortrefflichen‹ Generalstabschef den Orden verliehen habe. Also die denkbar hübscheste Form. Damit habe ich nun die höchste preußische Kriegsdekoration erhalten. Nach den Bestimmungen und Gepflogenheiten wird das Eichenlaub nur dann verliehen, wenn eine zweite Gelegenheit die Verleihung des Ordens selbst begründet. Ich habe mich natürlich sehr gefreut und erkenne sehr dankbar die große Gnade an, die mir wiederum der Kaiser erwies. Wie viele gütige Führungen des Geschicks und einer höheren Macht gehören dazu, auf einen Erfolg zurückblicken zu können, für den ein solcher Orden die äußere Anerkennung und eine wertvolle Erinnerung bedeutet! Möchte nun auch unsere Tat hier einen wirklichen Erfolg der ganzen Sache bedeuten; ich hoffe es. Der Abend verlief mit einer sehr warmen … Rede des Feldmarschalls auf mich und den Generalstab und mit den üblichen Glückwünschen … Dann kam nach der Anerkennung aber auch gleich die Anforderung an entsprechende Gegenleistung; neue große Weisungen, die ich mit F. neulich in der Bahn verabredet hatte, und dementsprechend von mir Befehle an vier Armeen, die mich den größten Teil der Nacht aufhielten. Nun gehen sie in alle Winde hinaus. Möchten sie uns neue Erfolge bringen! Ich fürchte nur, der Gegner hält dort unten nicht aus, setzt sich auf seine Schiffe und denkt sich eine andere Teufelei aus. Es kann noch ganz spaßig werden … In etwa 8 Tagen gehen wir weiter vor, zunächst nach Nisch, wo wir hoffentlich auch nicht lange bleiben werden … Es schneit gründlich. Aber da es kalt ist, ist es nicht so schlimm. Immerhin gibt es Schwierigkeiten für Nachführen und Verpflegung. Was aus den Resten der serbischen Armee werden soll in den albanischen Bergen, das ist gar nicht zu denken. Sie laufen in Massen über. Aber dann kommt die Schwierigkeit, sie hier nicht verhungern zu lassen. Es wird Zeit, daß wir diese Expedition zu Ende brachten. Und nun gratuliere ich Dir immer schon schön zum Geburtstag. Bleibe mir gut wie bisher, und Gott erhalte Dich mir, daß wir lange und zufrieden auf diese Zeit der Trennung wie auf einen Traum von Schrecken, Angst, Glanz und überwältigender Größe zurückblicken können. Das sei mein Geburtstagswunsch.«

»29. 11. … Ich wollte, bei uns würde von maßgebender Seite einmal gesagt, ganz ruhig: Man rechne nicht damit, daß der Krieg vor zwei Jahren zu Ende ginge. Vielleicht erforderten unsere Absichten auch noch mehr Zeit. Das gäbe nun freilich im Innern ein Geheul, hätte aber im Ausland die größte Wirkung. Daß bei uns soviel von Friedenswünschen gesprochen wird …, ist sehr ungünstig gerade für den gewünschten Zweck. Gerede von Leuten, die, ohne Verantwortung zu tragen, sich wichtig nehmen, kostet uns 10+000 brave Jungens und mehr Der Text ist zur Kürzung etwas geändert, ohne Änderung des Sinnes.. Die Disziplin unserer Presse läßt bedenklich nach. Daß jemand den Frieden wünscht, und wenn er sich dazu berufen fühlt, auch dahingehende Bestrebungen unterstützt, ist richtig. Jetzt unsere Sehnsucht nach dem Ende auszuposaunen, ist das Allerverkehrteste. Es liegen tatsächlich keine Anzeichen ernsthafter Neigung zu Anerbietungen von irgendeiner Seite vor. Trotzdem kann natürlich das Ende ganz plötzlich sein.«

»30. 11. … Ich war ganz stolz, als ich mich neulich in der Serie V einer Sammlung deutscher Heerführer fand. Die Serie zu einer Mark für Kantinen. Aber etwas abkühlend wirkt es, daß ich zusammen mit dem General v. … erschien, Hofmarschall Seiner hochfürstlichen Durchlaucht des regierenden Fürsten zu … und General vom Zorne Gottes, wie Freytag von ihm sagte; Ch. … als dritter ›Heerführer‹ war schon besser, er spielt wenigstens Klavier … Nun werden uns noch als Besuch drei Kaiserlich-Ottomanische Prinzen eben angekündigt. Leider bin ich heute etwas stumpfsinnig …«

Mit dem Monatsende war gewissermaßen auch ein Abschnitt in dem Gang der Dinge da. Die Vernichtung des serbischen Heeres war erstrebt, jedoch nicht erreicht worden. Aus den serbischen Resten wurden im Laufe der nächsten Monate 7 Divisionen gebildet, die später den Hauptbestandteil der Ententetruppen in Mazedonien ausmachten Wissen und Wehr 1932, S. 221.. Ob gegen Serbien mehr zu erreichen war, steht hier nicht eigentlich zur Beurteilung, vielmehr nur die Rolle, die Seeckt dabei gespielt hat.

Ein konsequenter Vernichtungswille ist bei Falkenhayn kaum anzuerkennen. Ob die Gesamtkräfteverhältnisse, vornehmlich die Lage im Westen ihm die Möglichkeit zu diesem Willen gegeben hätten, wäre auch noch eine Untersuchung für sich. General v. Gallwitz hat in Übereinstimmung mit Zar Ferdinand von Bulgarien eine andere Verteilung der bulgarischen Kräfte für besser gehalten Allerdings muß auffallen, daß die Bulgaren bei den Verhandlungen über die Militär-Konvention Wert darauf legten, möglichst bald unmittelbare Tuchfühlung mit deutschen Truppen zu bekommen. Dies war mit ein Anlaß, die Abteilung Fülöpp anzusetzen.. Tatsächlich hat aber doch die bulgarische Armee durch ihre Erfolge bis zum Vorstoß auf Prizren sehr erheblich zu dem an sich ja schon sehr großen Ergebnis beigetragen.

Die Heeresgruppe hatte auf den Aufmarsch keinen Einfluß. Sie hat jedoch Kräfte aus einer westlichen Umfassung herausgenommen und zur Verstärkung des nördlichen Frontalangriffes verwendet. Es wird bei der Kritik über diese Maßnahme fast immer übersehen, daß die Heeresgruppe die Gesamtkraft im Frontangriff an sich für reichlich schwach hielt. Sie hatte damit recht. Wenn der erste Angriff glückte, so war das keineswegs im voraus sicher, und wenn am Schluß der Operation Kräfte herausgedrängt wurden, so bewies auch das nur, daß sie in diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle zu viel waren. Hinzu kam, daß die Leitung dem Oberbefehlshaber durch die ungewöhnlich schwierigen Befehlsverhältnisse nicht gerade leicht gemacht wurde.

Rückblickend kann man sagen, daß wahrscheinlich die Katastrophe mit anderen Maßnahmen noch größer, als sie in Wirklichkeit ohnehin schon wurde, hätte werden können. Das allerdings ist das Schicksal fast aller Siege in der Kriegsgeschichte mit Ausnahme ganz weniger Schlachten. Wenn man zugibt, daß die dreimal versuchten Einkreisungen bei Kragujevac, im Tale der westlichen Morava und nordwestlich Priština nicht geglückt sind, so muß man andererseits gleichzeitig doch auch anerkennen, daß die Heeresgruppe dreimal die Einkreisung versucht hat. Mindestens kann man daher nicht leugnen, daß die Heeresgruppe den Willen zur Vernichtung gehabt hat.

Man hat es auch beanstandet, daß man nicht offensiv über den Lovćen vorgegangen ist, um den Serben den Weg zur Küste zu verlegen. Seeckt war persönlich in einem Schreiben Heeresarchiv Potsdam, Akte O 453. an Falkenhayn für diese Operation eingetreten und hatte »den Besitz von Skutari als von nicht zu unterschätzender politischer Bedeutung« bezeichnet.

Trotz alledem ist einerseits festzuhalten, daß genau wie in Galizien ein Erfolg erreicht war, den man ursprünglich gar nicht als Aufgabe gestellt hatte, und daß andererseits nach dem von der O.H.L. angeordneten Aufmarsch und der aus den Umständen entstandenen Kräftebemessung für die Heeresgruppe eine vollständige Vernichtung des serbischen Heeres schwerlich zu erreichen war. Das ursprüngliche Ziel des Feldzuges, die Verbindung mit Bulgarien und der Türkei, war erreicht.

Für Seeckt selbst muß etwas Besonderes aus dem Verlauf des Feldzuges herausgehoben werden. Es kommt fast immer nur so nebenbei zum Ausdruck und ist dennoch für ihn als Mensch wesentlich. Es ist die Sehnsucht zum Großen, der Trieb zum Handeln in einer Wirkungsweise, die selbst über diese an sich schon große Aufgabe hinausgeht; und dann gleichzeitig sofort wieder die Selbstdisziplin der Einordnung in den gegebenen Rahmen. Überblickt man so noch einmal die serbischen Monate, so fühlt man eine nach außen kaum sichtbare ungeheure Spannung, die der Mensch Seeckt in sich trägt und meistern muß, eine Spannung, die die bedeutenden Kräfte im Innern dieses Mannes keineswegs zeigt, wohl aber ahnen läßt.


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