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Erzherzog Josef
Januar bis Juni 1917.

Das Jahr 1917 beginnt führungstechnisch mit dem Abebben der Offensive gegen Rumänien und mit dem Übergang zum Stellungskrieg auf dieser Front.

Über Seeckts Tätigkeit an dieser Stelle liegt von nun ab ein Zug von Resignation. An den wesentlichen Ereignissen der Ostfront ist er 1917 in der Tat nur in geringem Maße beteiligt. Am Ausklang der Offensive in Rumänien wirkt nur der rechte Flügel der Heeresfront mit, noch dazu ziemlich erfolglos. Sein Dienstverkehr mit der deutschen O.K.L. muß notwendig etwas begrenzt sein, nämlich auf Lagenbeurteilungen und Fragen, die lediglich deutsche Truppen angehen. Im übrigen befiehlt die deutsche O.K.L. über das k.u.k. A.K. Andererseits geht der Dienstverkehr der deutschen Generalkommandos zur O.K.L. in rein deutschen Angelegenheiten über ihn. Darin liegt ein Keim zu Reibungen, die mehrfach und unvermeidbar eintreten: Conta, Litzmann, Gerok. Das vertrauensvolle Verhältnis zum Erzherzog Josef bringt Seeckt oft in Verbindung mit den Fragen der ungarischen Innenpolitik, die nunmehr auffallend häufig auch in seinen Briefen berührt wird. Militärisch nützt er die Zeit des Stellungskrieges, um sich mit Ausbildung, Vorschriften und Erfahrungen zu beschäftigen. Er wird zu solchen Arbeiten in bemerkenswertem Umfange von Ludendorff herangezogen.

Es ist also zu verstehen, wenn Seeckt gerade am 1. Januar nach allem Voraufgegangenen etwas resigniert an Landesdirektor v. Winterfeldt schreibt:

»Sehr verehrter Herr v. Winterfeldt, mein langes Schweigen hat nicht den Grund des fehlenden Bedürfnisses nach einer vertraulichen Aussprache, noch weniger des Mangels an Stoff gehabt, sondern resultierte aus einer gewissen Apathie gegenüber den Geschehnissen der letzten Zeit, die mehr zu objektiver Beobachtung als zu subjektiver Beurteilung neigte. Hinzu kamen in letzter Zeit allerhand Arbeitsmöglichkeiten und Notwendigkeiten, die meist aus der Not sich ergaben, die ja einen großen und nicht erfreulichen Teil der Ostarbeit überhaupt bildet … Mir gibt manches für die Zukunft zu denken. Ob es uns gelingt, nach dem Krieg die gesamtösterreichische Armee so zu ändern, daß sie einen in sich ausgeglichenen Faktor im Bund bedeutet, ist mir fraglich, weil es mir fraglich ist, ob wir Völker und Gesellschaft ändern können. Diese geben aber in der heutigen Zeit der Massenheere zu sehr das bestimmende Element, als daß äußerer Einfluß und guter Wille einzelner viel schaffen könnten. An dem guten Willen zweifle ich auch bei einigen Stellen, soweit man unter dem guten Willen die Bereitwilligkeit versteht, zu verfluchen, was man angebetet, und anzubeten, was man verflucht hat. Das verlangen wir aber von manchen und müssen es verlangen. Daß wir uns damit nicht beliebt machen, ist sicher … Sie werden in Wien und Budapest auch von Stimmungen gegen uns gehört haben, obwohl es Ihnen der Überschwang der Liebenswürdigkeit nicht leicht gemacht haben wird, durchzuschauen. Ich unterschätze diese Liebenswürdigkeit nicht, im Gegenteil, ich genieße sie; aber sobald man zum Ernst kommt, genügt sie mir nicht …

Ich ging vom Heer aus und ich sehe ein, daß ich damit trotz noch immer andauernden Krieges etwas Unmodernes sage; denn unser Kriegsziel ist doch die Einschränkung der Rüstungen und der Marsch ›vergnügt und froh in besseres Land‹, wie es in der Zauberflöte so schön heißt. Und, da das Kriegsziel unserer Gegner nach englischer Ministerversion die Vernichtung des preußischen Militarismus ist, so sehe ich nicht ein, warum sich nicht auf dieser Plattform die Feinde treffen sollten und den so viel genannten Tisch aufstellen, um den man sich nur zu setzen braucht, um einig zu werden.

Ich gebrauchte ein Wort, das Ihnen vielleicht noch bekannt ist, das mir aber sonst etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint, das Wort preußisch. Sie wissen, daß es bei uns keinen Gegensatz gegen bayrisch oder Süddeutschland überhaupt, sondern daß es nur den Geist stiller Pflichterfüllung und überzeugten Royalismus bedeutet. Immer klarer sehe ich in ihm den ideellen Kern der heutigen Riesenvölkerbewegung, dessen Lebenskraft von seiner heiligen Sanddüne ausgehend das Preußen des großen Königs um sich wirbelte, Deutschland in seine Kreise zog und nun den ganzen Bund so durchstrahlt, daß die Kraft des Angriffs doch immer wieder vom Preußentum ausgeht … Das Demokratische empfinde ich etwas peinlich heute, in Reden und Zeitungen und auf dem Haupt meines schwäbischen Freundes Gröner, dessen Organisationstalent und Anpassungsfähigkeit ich sonst volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.

Bitte klären Sie mich auf: 1. gebrauchten wir wirklich dieses Zivilkriegsgesetz? Ich hege Zweifel und höre sie von einigen fachkundigen Seiten …; 2. was sollte das Friedensangebot? An der Antwort war doch nicht zu zweifeln. Sollte eine innere Einheit hergestellt werden oder wollte man den feindlichen Regierungen Verlegenheit bereiten? Sie scheinen sie überwunden zu haben. Ich gestehe, ich stehe beiden Fragen etwas ratlos gegenüber. Die Friedensfrage hat mich nicht sehr beunruhigt, da ich gleichzeitig die Entfaltung größter Energie in den Vorbereitungen zur Fortsetzung des Krieges sah. Der Stimmung unserer Leute war ich sicher, sie urteilten sehr skeptisch und ließen sich in der Masse nicht aus der Gewohnheit des Kriegsführens bringen, wie dieses Gewohnt-Werden bei uns allen viel von dem Elan der ersten Zeit ersetzen muß und kann.

Mit dem Verlauf des rum. Feldzuges wird wohl auch die anspruchsvolle Heimat zufrieden sein. Falkenhayn hat ihn mit glänzendem Schwung und nicht nachlassender Frische geführt trotz der größten Schwierigkeiten. Die Marsch- und Angriffsleistungen der Truppe erinnern an die schönsten Zeiten in Belgien und Nordfrankreich, die Sie miterlebten. Daß Bulgaren, Türken und Österreicher mitgerissen … und zu Leistungen gebracht wurden, die jenseits ihrer Absichten und ihres Naturells liegen, ist die meiste Wirkung preußischer Führung und preußischen Angriffsgeistes.

Diesem Geist seinen bestimmenden Einfluß zu erhalten, wird eine der schwierigsten, wichtigsten und dankbarsten Aufgaben nach dem Krieg sein. Dazu gehört aber auch, daß wir mit einer Stärkung des königlichen Ansehens und Einflusses herauskommen. Plus royaliste que le roi zu sein, ist selbstverständliche Pflicht, denn der roi kann selbst nicht Royalist sein. Alles Diktatorische, was die Zeit erheischt, sollte immer wieder betonen, daß es seinen Ursprung bei der Krone hat. Mir liegt der Vergleich nahe, daß der Chef immer wieder hinter seinen Kommandeur zurücktreten soll und nach alter preußischer Sitte keinen Namen hat. Die Sache leidet nicht darunter.

Die Polenfrage entwickelt sich anscheinend nicht nach Wunsch, die freiwillige Rekrutierung, wie ich höre, gar nicht, und auch in Berliner Regierungskreisen soll man nicht ganz glücklich sein. Man hat anscheinend, um wenigstens etwas des Gewollten zu erreichen, viel Halbes gemacht und vor allem sich nicht reinlich mit den Österreichern auseinandergesetzt. So ist ein Condominium entstanden, das zu Reibungen führt, und den Zukunftswind nimmt uns Rußland mit der imaginären Aussicht auf das ganze Polen, Österreich mit der Selbstverwaltung Galiziens aus den Segeln.

Aus Wien hörte ich heute nicht viel, nur daß man im Innern schon völlig Frieden geschlossen hat und für ihn zu jeder Konzession Deutschlands bereit ist. Man rechnet dort bestimmt mit Beginn der Verhandlungen innerhalb der nächsten Monate und hält daher Organisation der Ernährung und ähnliches für überflüssig. In Ungarn beherrschte die Krönung und die dazu gehörigen Herren- und Damentoiletten alles. Doch kann man hier wenigstens sicher sein, daß die politische Arbeit mit aller Kraft wieder aufgenommen wird. Ich sehe den Stern Julius Andrássys im Steigen und prophezeite dem Grafen Tiszá kein langes Leben als Ministerpräsident mehr. Neuwahlen würden auch gegen ihn entscheiden. Hier tut vor allem eine feste Politik gegen die Rumänen im Lande not. Ich habe in ganz merkwürdiger Weise helfen können. Ungarn kennt keinen Kriegszustand, die jetzt zu Hunderten aus Rumänien zurückkehrenden Hochverräter müssen also, wenn es überhaupt so weit kommt, vor Zivilgerichte, die sie freisprechen. Ich habe daher mit Einverständnis des deutschen Gouvernements Rumänien dort auf rumänischem Boden Kriegsgerichte angesetzt, vor die alle diese Brüder kommen …«

Hatte sich das Verhältnis zum Erzherzog Josef von vornherein vertrauensvoll gestaltet, so bringt das Jahr 1917 eine immer mehr zunehmende Verstärkung dieser inneren Verbundenheit. Ein Vorgang verdient zur Kennzeichnung des Verhältnisses erwähnt zu werden. Um die Jahreswende entstehen zwischen dem Erzherzog und General v. Arz einige Schwierigkeiten darüber, wer den Offensivstoß führen soll. Der Erzherzog schreibt Erzherzog Josef, Der Weltkrieg, wie ich ihn sah.:

»Ich habe mich gestern 31. 12. 1916. mit General der Infanterie v. Arz Damals O.B. der k.u.k. 1. Armee. ausgesprochen, weil es ihm sehr schwer gefallen ist, daß nicht er, sondern ich den Angriff führen werde. Mir war die Teilnahme an der Krönung nicht gestattet, weil ein Teil meiner Truppen im Angriff stand. Dagegen wurde er zur Krönung berufen, trotzdem seine Truppen angriffen. Er war bei der Krönung und ich führe den Angriff. Damit bin ich zufrieden. Um die Wahrheit zu sagen, ich verstehe vollkommen, daß Arz sich ärgert. Ich hätte es auch getan, wenn man mir Boroevic zur Führung eines Angriffs vor die Nase gesetzt hätte. Hier liegt der Fall aber anders. Hätte ich mich nicht mit der deutschen O.H.L. geeinigt, daß ich den Angriff führen werde, dann hätten die Deutschen … die ganze Sache einem deutschen General untergeordnet. Seeckt begriff die Situation sofort, obwohl ich ihm nicht ein Wort sagte. Er verständigte Hindenburg und Ludendorff von der vollzogenen Tatsache und vermied auf diese Weise vollkommen jede Reibung, wofür ich ihm sehr dankbar bin.«

Die Briefe aus den ersten Januartagen:

»D. 1. Januar 1917. Prosit Neujahr mein Katz, und so viel Gutes für Dich, als das neue Jahr nur aufbringen kann, und vor allem bald ein Wiedersehen!

D. 5. Januar 1917 … Es geht doch alles langsamer als wir es annahmen. Der Russe ist unglaublich zäh und brav. Es scheint sich heute aus weißem Morgennebel ein strahlender Wintertag entwickeln zu wollen; das kann uns sehr zustatten kommen. Leicht ist die Arbeit nicht, die stöhnende Truppe über das Gebirge im Winter zu bekommen und manchen Gemütern gegenüber die Energie durchzuhalten. Dabei ist dies alles doch Wintersport gegen das, was sie im Westen durchgemacht haben. Das sehen sie ja auch ein; aber, wenn sie einem nicht wenigstens einmal am Tage erklärt haben, nun sei es zu Ende, dann denken sie, ihre Leistungen würden nicht anerkannt und man verlangte noch mehr … Dabei tut mir die Truppe selbst leid. Wir haben meistens Ungarn; das sind brave Kerls … Daß der Fürst Max Egon Fürstenberg (Donaueschingen) einen Sohn hier verloren hat, hast Du vielleicht gelesen. Er war Fußartillerist und fiel sehr brav vorn in seiner Beobachtungsstelle … Aus Teschen ist nun Baden bei Wien geworden, nachdem das östr. Gr.H.Qu. zwei Jahre lang dort gesessen. Der junge Kaiser wird sie aber etwas mehr in Bewegung halten; trotz der verführerischen Nähe des geliebten Wiens.

D. 6. Januar 1917 … Mit Frieden ist es also vorläufig nichts, wie wir heute hören; wie sich Österreich die Bedingungen denkt, habe ich gestern aus einem kurzen Memorandum aus recht einflußreichem diplomatischen Kreise gesehen. Man hatte es mir zugespielt. Ich schrieb darauf: ›Das sind Bedingungen, die ein siegreiches Österreich einem besiegten Deutschland auferlegen könnte; sie stehen im umgekehrten Verhältnis zur kriegerischen Leistung und zum militärischen Können. Die hier ausgesprochene Absicht Österreichs, auf Kosten Deutschlands Frieden zu schließen, muß diesem den Gedanken nahelegen, sich rechtzeitig nach anderen Bundesgenossen umzusehen.‹ Preisgabe von Elsaß-Lothringen; Österreich war aber keineswegs verzichtfreudig gesonnen.

Das wird wohl einiges Aufsehen machen, aber ihnen ganz dienlich sein. Unsere blödsinnigen Zeitungen … sind an diesen albernen Überhebungen mit schuld …«

Seeckt hat sich seiner ganzen Natur nach mit dem Übergang zur Defensive nicht ohne Widerstand abgefunden. Obwohl der Geländegewinn wirklich nicht viel Hoffnungen läßt, bleibt es zunächst bei dem Ziel, die Heeresfront werde das Trotustal erreichen. Sobald sich irgendwo eine pessimistische Auffassung zeigt, bekämpft Seeckt sie. Er wird gegenüber der Gruppe Gerok am 3.1. dabei ziemlich scharf Heeresarchiv Potsdam, Akte XXIV. R.K., Nr. 70; Original im Heeresarchiv Wien.:

»Die hierher vorgelegte Beurteilung der Lage kann nicht geteilt werden. Es sind alle Bedingungen vorhanden, daß die Gruppe Ruiz ihre Aufgabe … durchzuführen vermag … Sie hat einen dezimierten und demoralisierten Gegner gegenüber, den zu werfen der benachbarten Armee bisher überall gelang … Daß der Heeresfront Verstärkungen nicht zur Verfügung stehen, ist bekannt … Die Führer sind über die Lage aufzuklären, die als taktisch günstig und operativ entscheidend anzusehen ist. Daß sich die Annahmen, nicht die Voraussetzungen für den Angriff … geändert haben, ist zutreffend. Das Heeresfrontkommando hat aber an diesem Angriff auch unter veränderter Lage festgehalten und tut das auch noch. Der Auftrag der Gruppe … wird dahin zusammengefaßt, daß sie bis zur Beherrschung des Trotustales vorzudringen hat … Eine zahlenmässige Berechnung gegenüberstehenden Feindes führt leicht zu falschen Schlüssen.«

Eine stolze, herrische und kühne Sprache. Immerhin sind bis zum Trotustal noch durchschnittlich 40 km zurückzulegen mit Höhen von etwa 1000 m.

Auch an Ludendorff berichtet Seeckt hoffnungsfreudig Heeresarchiv Potsdam, Akte O 471.. Man muß zugeben, daß Seeckt hier die Lage zu optimistisch beurteilt hat. Die O.K.L. hat mit Recht eingegriffen. Ludendorff hielt die Angriffskraft der Truppen für erschöpft. Wenn also mit dem 7. Januar die O.K.L. Befehle herausgab, die die Offensive zum Stillstand brachten, so war das begründet. Die O.K.L. durfte hier nicht nach einem vielleicht noch möglichen oder nicht mehr möglichen Erfolge streben, sondern mußte danach trachten, die Truppe nicht allzusehr abzunutzen und sowohl bei Mackensen wie bei Erzherzog Josef sobald als möglich Kräfte wiederum für andere Zwecke herauszuziehen. Das ist ja das ewige Wechselspiel dieses Krieges, daß immer, wenn eine Unternehmung ausläuft, drohend im Hintergrund schon wieder eine andere neue Aufgabe drängt. Daß aber Seeckt von seinem Standpunkt aus nicht einfach einen Fehler gemacht hatte, beweist die Tatsache, daß die Gruppe Ruiz im ganzen etwa 30 Kilometer vorgekommen ist, daß man den Susita-Abschnitt erreichte und daß die 9. Armee auch Focsani noch in die Hand bekam.

Gibt man auf der einen Seite zu, daß Seeckt vielleicht allzu optimistisch vorwärts drängte, so muß man andererseits hervorheben, daß der Zeitpunkt des Anhaltens nicht gerade sehr günstig war. Die Heeresfront fügte Kriegstagebuch Nr. 3. sich in der Einsicht, daß die O.K.L. zwingende Gründe habe, die Bewegung stillzulegen. Jedenfalls hatte Falkenhayn später in seinem Buch nicht recht, wenn er es der Heeresfront zum Vorwurf machte, daß aus den Offensivplänen nichts mehr geworden sei. Die Verhältnisse waren einfach stärker als Seeckt. Hier ist man gezwungen, zu erwähnen, daß eine Lagenbeurteilung Falkenhayns Heeresarchiv Potsdam, Akte O 458. anscheinend nicht ohne Einfluß auf den Entschluß der O.K.L. gewesen ist. Falkenhayn erklärte rund heraus die Angriffskraft der 9. Armee für erschöpft. Es ergibt sich also die Tatsache, daß Ludendorff und Seeckt eine Lage verschieden sehen, die sie tatsächlich auch verschieden sehen müssen, daß aber die Differenz diesmal verstärkt wird infolge einer Beeinflussung Ludendorffs durch Falkenhayn.

Am 9. und 10. Januar ist der Angriff im Ausklingen. Am 10. wird der Befehl zur Verteidigung gegeben, nicht ohne, daß in ihm selbst noch Vorbereitungen zur Offensive enthalten sind. Am 18. Januar ist alles endgültig zum Stillstand gekommen.

Die nächsten Briefe:

»D. 8. Januar … Wenn ich nun mal hier allein sitze, so ist Arbeit und Tätigkeit schon das beste, und wir haben auch zur Jahreswende ganz gut gearbeitet, was als Illustration zur Friedensbitte ganz hübsch, aber vielleicht nicht taktvoll war. So haben wir heute noch Focsani genommen und damit ein Stück Moldau. Nun kann ein anderer Staat drankommen; von diesem ist nicht mehr viel übrig … Wie es um meinen Royalismus steht, schrieb ich neulich an W. Ich denke, es kommt alles noch in bessere Bahnen. Für den Kronprinzen wünsche ich, und viele mit mir, eine andere Stellung. Er muß und könnte teilhaben an den Erfolgen, nachdem Verdun – wahrhaftig nicht durch seine Schuld – fehlschlug …

D. 10. Januar … Man scheint einzusehen, daß nur auf der Landwirtschaft herumtrampeln auch nicht das richtige ist und daß das einzig richtige, aber gleich anfangs übersehene Prinzip sein müßte, ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Unser Weg zum Kommunismus hat doch seine großen Gefahren. Ich mag da zu schwarz sehen, aber erfreulich ist es nicht, was man von Hause jetzt hört, und ob nun die Friedensbitte die gewünschte Wirkung haben wird, ist auch zweifelhaft …

D. 12. Januar … Hier ist heute der reine Frühlingstag, unnatürlich warm, sogar am Abend. Irgend etwas ist auch in dieser Maschine nicht in Ordnung, denn bei Dir in Wiesbaden scheint es Anfang des Monats auch merkwürdig warm gewesen zu sein.

Ich habe vollstes Verständnis dafür, was es bedeutet, zu Hause zu warten auf das, was geschieht. Uns geht es schließlich nicht anders; denn ich habe z. B. keine Ahnung von weiteren Plänen, Absichten und Aussichten über den eigenen Rahmen hinaus – leider auch nicht von denen der Feinde, was oft noch interessanter wäre. Ich kann mir nur denken, daß der Rumäne sich etwas hereingefallen vorkommen wird, besonders da den Rest von Land und Armee die Russen übel behandeln müssen. Es ist interessant, die Photos gefallener Offiziere in englischen Zeitungen zu sehen, die immer zwei bis vier Seiten einnehmen. Nicht aus nachträglicher Mordlust; sondern weil an Stelle des alten militärischen Typs, den doch meist energischen und rassigen Köpfen, ein entschieden ziviler getreten ist. Sie sehen jetzt alle aus wie Schauspieler in Uniform, und vor allem sind sehr viel Kindergesichter darunter. Die politischen Zeitungen, die ich mir abends vortragen lasse, haben in England jetzt einen Grad von persönlicher Gemeinheit erreicht, der den der ersten Zeit noch übertrifft. Die franz. Zeitungen geben durch Strenge der Zensur kein Bild der Gesamtstimmung … Am meisten erfährt man aus italienischen und – deutschen Zeitungen. Nachdem die Zensur bei uns auf Druck der sog. öffentlichen Meinung abgeschwächt ist, kommen fast täglich militärische Indiskretionen in die Öffentlichkeit, die uns höchst unerwünscht sind …

Du schreibst so lieb, daß ich mich schon immer auf den nächsten Tag freue, weil er einen Brief von Dir bringen kann. Das ist aber auch das einzige, worauf ich mich freue …

D. 13. Januar 1917, 2 Jahre nach Soissons … Gestern abend mußte ich noch schnell ein Reiseprogramm machen für den Kaiser Karl, der uns besuchen will, – gewiß sehr nett, aber etwas störend ist dergleichen. Eine ungar. Ztg. verglich den Erzherzog Josef mit Hannibal, der auch über die Alpen im Winter zog. Er klagte etwas über diesen Vergleich und seine ungarischen Freunde, ist überhaupt ganz lustig und humorvoll. Er hat hier in der Nähe große Jagden, auch auf Bären, und meinte, jetzt schliefen sie; in Rußland schösse man sie jetzt, er fände das aber roh, sie im Schlaf zu stören und aus dem Bau zu räuchern. Ich fand das für ein Zeichen von guter Gesinnung, wie er auch sonst gutmütig ist und namentlich gern für die Soldaten sorgt und sorgen möchte …

Rohrscheidt, Waldow und R. T., die drei Agrarier bestürmen mich, ich solle eine von ihnen verfaßte Denkschrift über Lebensmittelfragen an Groener schicken. Ich kann es ja tun, aber Zweck wird es nicht haben. Fett haben wollen und die Schweine totschlagen, weil sie zu viel fressen – Milch haben wollen und den Kühen nichts zu fressen geben: das Rätsel kann eben niemand lösen. Solange man nicht erkennt, daß es notwendig ist, die Produktionsfähigkeit des Landes zu steigern und sich seine Regierungsgrundsätze von Leuten vorschreiben läßt, denen Landwirtschaft gleichbedeutend mit Ostelbiern, Junkertum, Preußen und dem Gottseibeiuns ist, kann man keine Besserung erwarten. Nein, ich kann nichts ändern, aber ich möchte auch nichts unversucht lassen …«

Am 15. Januar schreibt Seeckt:

»... Mein Erzherzog ist auf zwei Tage fort, um eine neue östr. Div. zu besichtigen, dann ist er nach Wien befohlen, aber nicht zu seinem Vergnügen, sondern in politicis

Es kann sein, daß Seeckt nicht so ganz innerlich davon überzeugt war, sein Erzherzog wäre in politicis nach Wien befohlen. Zweifellos lagen politische Spannungen in der Luft. Erzherzog Friedrich wird zunächst Stellvertreter des Kaisers im Oberkommando und bald darauf zur Disposition gestellt. Andere Personalveränderungen im k.u.k. Heere setzen gleichzeitig ein. Seeckt selbst berichtet nach Baden und sendet eine Abschrift davon an Ludendorff über innerpolitische und militärische Verhältnisse, über die tschechische Propaganda. Conrad erwägt zudem eine Frühjahrsoffensive gegen Italien. Gewiß, es fehlte nicht an politischen Problemen. Jedoch hat der Erzherzog wohl herausgefühlt, daß Seeckt in sehr schwieriger Stellung sowohl zu der einen wie zu der andern O.H.L. sich befand. Er hatte deshalb Sorge und schrieb am 15. Januar Erzherzog Josef, Der Weltkrieg usw.: »Ich zerbreche mir umsonst den Kopf wegen der plötzlichen Vorladung und habe keine Ahnung davon, was unser König von mir haben will. Ich hoffe, es bereitet sich nicht gegen General von Seeckt etwas vor, weil er in Baden nicht den besten Ruf genießt. Denn meine Überzeugung ist, daß Seeckt der beste von allen Generalstabschefs ist.«

Am 17. Januar schrieb Falkenhayn an Seeckt:

»Mein lieber Herr v. Seeckt. Nun sind fast 4 Wochen vergangen, ohne daß ich Ihnen für Ihre gütigen Ausführungen von Mitte Dezember, die mich im höchsten Maße interessiert haben, gedankt habe Seeckts Dezemberbrief hatte mit Falkenhayns Januarschreiben eigentlich nichts zu tun. Hier handelte es sich um Gerüchte über Besetzung diplomatischer Posten. Dabei war auch Seeckt für Wien Falkenhayn gegenüber anscheinend genannt.. Die beiden Weihnachtsschlachten sind dazwischengekommen und noch einiges mehr. Vielleicht würde ich selbst heute noch nicht den Schreibstift angesetzt haben, wenn in mir nicht eine Explosion erfolgt wäre, die zur Mitteilung drängt. Daß man den dämlichen Führer der 9. Armee auf alle mögliche und unmögliche Weise in seine Schranken verweist, ist nicht mehr als billig. Daß aber Ihr Zukunftskollege Gerard verabsäumt hat, mich unter den Männern zu nennen, die er für geeignet hält, amerikanische Interessen in Deutschland zu vertreten, ist ganz unerhört. Diese krasse Undankbarkeit oder vielmehr die Empörung darüber hat mich aus meinem tatenlosen Hinbrüten aufgerüttelt, um Ihnen die Frage vorzulegen, ob Sie hiernach noch Lust haben, sich in die Kollegenschaft eines solchen Mannes zu begeben. Bejahendenfalls bleibt mir nichts übrig, als wie Ihren Mut erneut zu bewundern und Ihnen meinen Segen zu geben. Denn daß ich Sie für den geeigneten Inhaber des von Ihnen ins Auge gefaßten Postens ansehe, brauche ich nicht erst des Näheren darzulegen, freilich würde dabei zu bedenken sein, daß kaiserliche Herren oft anders fühlen wie Kronprinzen in Oberbefehlshaberstellen. Indessen Sie würden wohl auch diese Klippe zu umschiffen verstehen. Zweifellos werden gerade in nächster Zeit einige Klippen zu beachten sein. Es gibt Symptome in dieser Beziehung, die man nicht übersehen kann … In alter Gesinnung stets ihr ergebenster v. Falkenhayn.«

Seeckt mag den Brief etwas verdutzt gelesen haben. War der erste Teil der Form nach fast überspitzte Ironie, so konnte man zweifelhaft werden, ob der zweite Teil ernst oder vielleicht auch ironisch und dann allerdings verletzend gemeint sei. Die Anspielung darauf, daß Seeckt für den Botschafterposten in Wien gerüchtweise genannt zu sein scheint, muß auffallen. Sie kann aber ihre Berechtigung gehabt haben. Seeckt hatte selbst Ende November 1916 seiner Frau geschrieben: »Für Wien nennt man Bussche, auch Lichnowsky und Jagow (vom Aus. A.)! Auch militärische Namen tauchen auf, die müssen schön dumm sein, die daran glauben. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.« Wenige Tage darauf schrieb er: »Daß sie in Wien auf mich kommen, ist amüsant und schon dadurch ein Zeichen der Unmöglichkeit. Ich habe nie anders als im Scherz daran gedacht.«

Die nächsten Briefe an Frau v. Seeckt:

»D. 19. Januar … Aus dem lieben Brief vom 31., den ich erst gestern erhielt, kann ich noch auf eine ungarische Frage eingehen. Daß Tiszá krönte, war für ihn nicht schwer zu erreichen, da er eine kompakte Mehrheit im Parlament hinter sich hat und dieses den Palatinstellvertreter nach der Verfassung wählte. Eigentlich ›das Volk‹, aber das ist doch schwer zu fragen, besonders in der Jetztzeit … Tiszá verdankt seine Majorität der Begünstigung der anderen Nationen, Rumänen und Serben … So ist auch ein parlamentarischer Sturz Tiszás nicht zu erwarten. Nimmt aber der König einen anderen Ministerpräsidenten, so findet auch dieser aus praktischen Gründen eine Majorität. Von der geeinten Opposition … war der nationale und beliebte Erzherzog Josef aufgestellt. Formell kann man natürlich von einer Niederlage der Opposition bei der Wahl sprechen. Trotzdem halte ich die Selbstaufstellung Tiszás für einen politischen Fehler, so begreiflich er vom Standpunkt persönlichen Machtgefühls ist … Jetzt bleibt dem jungen König der Eindruck, daß er – sein Diener – sich ihm als Kronenverleiher aufgedrängt hat, und von diesem Gefühl wird er sich dadurch befreien, daß er nun den Diener fortschickt. Es sollte mich wundern, wenn es anders käme …

Der Erzherzog Friedrich hat seine Stellung als Armee-Kommandant in Stellvertretung des Kaisers schon niedergelegt, was noch nicht veröffentlicht ist. Ob Conrad bleiben wird, scheint mir zweifelhaft … Ich glaube, der junge Herr ist sich selbst noch nicht recht klar, was er will und meint. Vom Erzherzog Josef, der heute abend reist, werde ich wohl allerlei hören …

Gestern abend hatten wir die Herren der Stadt zu Gast. Neben dem Erzherzog die beiden Gespane: Unterhaltung ungarisch. Gegenüber und neben mir der Bürgermeister und Stadthauptmann: Unterhaltung deutsch. Sehr deutsch sogar. Dieses Deutschtum hier seit 700 bis 800 Jahren ist großartig; diese Sachsen sind gar nicht zu vergleichen mit den Schwaben in Südungarn, die wohl nur noch äußerlich deutsch sind … Freilich ist hier der Damm der evangelische Glaube …

D. 21. Januar … Ich wollte, ich könnte Dir den schönen klaren Frost schicken, der nach einem Sturmtag hier herrscht und sogar bei der Mittagssonne nicht verschwand. Gestern war im Gebirge ein schlimmer Tag, und der Verkehr an einzelnen Stellen nur noch durch Träger aufrechtzuerhalten, da die Pferdchen abgeweht wurden. Bei den Ochsenbespannungen herrscht aber Maul- und Klauenseuche, also es erfordert schon etwas Erfindungsgabe und Energie, um diesen Wintergebirgskrieg hier durchzuhalten. Schließlich friert der Russe auch, das ist ein Trost! Vielleicht hat er aber besseres Licht als ich heute. Das elektr. will nicht und, verwöhnt wie man ist, kann man sich mit einer rettungslos schwelenden Lampe nicht befreunden. Doch das ist auch äußerlich und vorübergehend, und die beste Zeit vom Feldzug war die, als nur noch eine Kerze in einer nicht mal ganz ausgetrunkenen Sektflasche steckte. Aber der Sekt war gut und schmeckte.«

Der Kommandierende General des XXV. Reserve-Korps, das am Tartaren-Paß steht, wendet sich an Seeckt und bittet um eine deutsche Infanterie-Brigade als Reserve. Er sei sonst nicht sicher, die Stellung zu halten. An sich hat der Kommandierende General mit seinem Ansinnen durchaus recht. Da Seeckt nichts hat, kann er nichts geben. Das wäre zunächst einmal das Typische an dem Vorgang. Aber darum brauchte er noch nicht erwähnt zu werden. Die Antwort Seeckts ist jedoch so außerordentlich kennzeichnend für die feine, vielleicht ein klein wenig überlegene und doch vorbildlich vornehme Art, in der Seeckt ältere Offiziere der Heeresfront zu behandeln pflegt. Er antwortet Persönliche Akten General v. Seeckt, 55.:

»Mit E.E. Beurteilung der Lage stimme ich soweit vollkommen überein, daß es zweifelhaft ist, ob die Stellung … bei einem mit starken Kräften unternommenen Angriff gehalten wird. Andererseits werden E.E. zugeben, daß zur Zeit nichts für das Bevorstehen eines solchen Angriffs spricht … Damit entfällt der zwingende Grund einer Verstärkung dieses Frontteiles. Die von E.E. … für nötig gehaltene deutsche Brigade steht der Heeresfront nicht zur Verfügung. Ihre Überweisung bei der deutschen O.H.L. zu erbitten, erscheint in einem Augenblick aussichtslos, in dem der Heeresfront drei deutsche Divisionen zur Verwendung auf anderen Kriegsschauplätzen entzogen wurden. Aber selbst wenn … damit gerechnet werden könnte, würde das Heeresfrontkommando gezwungen sein, Reserven an … operativ wichtigeren Stellen einzusetzen … E.E. wird es nicht verborgen sein, daß die Lage von uns dringend erfordert, an allen nicht unmittelbar bedrohten Fronten mit einem Minimum von Kräften auszukommen, um an anderen die nötigen bereit zu haben …«

Es folgt dann noch ein etwas scharfer Hinweis, daß der Stellungsausbau allerdings wohl etwas fortgeschrittener sein könnte. Es ist nicht so, daß Seeckt hier etwa eine billige Belehrung gegenüber einem verdienten alten Offizier ausspricht, sondern daß er den Zwang der Lage mit einem wuchtigen Ernst schildert, der dann vielleicht ganz ungewollt nicht frei von etwas Härte geblieben ist.

Das Heeresfrontkommando nimmt Quartierwechsel vor und siedelt nach Máros-Vásárhély über.

Am 22. Januar wird der Erzherzog Josef aus politischen Gründen erneut nach Wien berufen. Hiervon berichtet der Brief vom 23.:

»... Die Verhältnisse in Wien sind etwas verworren. Mein Erzherzog, der heute von Wien zurückkam, soll nun helfen. Das war der Grund seiner Berufung dorthin. Der Kaiser ließ mir viel Freundliches sagen. Der Erzherzog Friedrich sitzt gekränkt in Wien.

Es stellt sich doch immer mehr heraus, wie groß die erbeuteten Vorräte in Rumänien sind … Ein mittleres Gut hat z. B. den Tagesbedarf von Hamburg, d. h. für 1 Million Menschen, in seinen Scheunen. Die Zerstörungsversuche haben nicht zuviel geschadet. Ich habe meine eigenen Sorgen, die sich morgens, mittags und abends in den Meldungen von der Front konzentrieren … Sie haben mich heute den ganzen Tag gestört; so ist es ein konfuser Brief geworden, verzeih mir und sei mir gut …

Gestern abend war es recht hübsch. Wie schön spielt doch Bürklin, und er hatte einen guten Begleiter. Sonate von Beethoven, dann Grieg, dann ein geistliches Lied von Thome. Der Hptm. Hasse sang die ernsten Gesänge von Brahms und Beethovens ›Adelaide‹. Prachtvolle Stimme …

Ein komisches Elaborat, die letzte Wilson-Note. Glaubt der Mann das wirklich? Daß eine Nation, die noch einen Rest von Kraft und Ehre hat, bei Lebensfragen nicht zum Schwert greifen wird? Dann soll eine Polizeiaufsicht unter amerikanischer Leitung auftreten, mit einem großen Knüppel und also doch wohl Krieg führen, um Frieden zu machen. Ich fürchte nur den Eindruck auf regierende Leute bei uns; denn die Masse des Volkes denkt zu gesund, um an solche Faseleien zu glauben Seeckt konnte nicht ahnen, daß in der Schwäche einer entscheidenden Zeitspanne das Volk doch daran glauben würde.. Ein Argument ist mir gut bekannt: Wir haben zu viel gesiegt. Hätten wir den Ehrgeiz nicht besessen, wäre die Sache lange aus oder jedenfalls leicht zu ordnen …«

Am 28. Januar geht Seeckt endlich auf den Urlaub, auf den er sich so lange schon gefreut hatte. Ausgerechnet am Tage vor der Abfahrt und am Abfahrtstag hat der Russe recht unerfreuliche Erfolge am Mestecanesci. Das ist kein guter Urlaubsbeginn. Zunächst führt die Reise überhaupt nicht in den Urlaub hinein, sondern erst einmal nach Budapest, wo Seeckt mit ungarischen Politikern Verbindung aufgenommen haben muß. Jedenfalls spricht Seeckt in einem Brief vom 29. Mai 1917 von Vorschlägen, die er im Januar 1917 Andrássy und Apponyi gemacht und auch mit dem Erzherzog besprochen habe. Diese Januarvorschläge sind nur in wenigen Bruchstücken vorhanden, die kaum einen rechten Einblick in Seeckts wirkliche Gedankengänge zulassen. Außerdem ist eine Reihe innenpolitischer Gesichtspunkte hineingebracht, die nachträglich nicht mehr von Interesse sind.

Von Budapest mußte Seeckt dann erst noch nach Pleß, wohin er zu einer Besprechung von Ludendorff berufen war. Es kann sich um nichts Außergewöhnliches gehandelt haben, da der Besuch Seeckts im Kriegstagebuch der O.H.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte O 156. nicht einmal erwähnt ist.

Übrigens war am gleichen 30. Januar der Erzherzog schon wieder nach Wien berufen worden. Seeckt hat den letzten Urlaubsteil gemeinsam mit seiner Frau in Budapest verbracht. In ungarischen Kreisen verwöhnte man beide mit außerordentlicher Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit.

Am 16. Februar ist Seeckt vom Urlaub zurückgekehrt. Seit Mitte Februar ist die O.K.L. in Kreuznach. Damit ist das Gewicht der Führung wieder nach dem Westen verlegt. Das geht auch aus anderen Maßnahmen deutlich hervor. Der Gedanke einer Offensive an der italienischen Front wird von der deutschen O.K.L. nicht gebilligt, Conrad gibt zwei Tage darauf die ersten Direktiven für die Offensive gegen Italien. und von der Heeresfront Erzherzog Josef wird wie von jeder Nebenfront verlangt, daß sie mit Rücksicht auf die Abwehr der an anderen Stellen zu erwartenden Großangriffe aufs äußerste mit Munition spare. Die Heeresfront müsse sich auch unbedingt mit eigenen Reserven behelfen, da von anderen Fronten Reserven nicht zugeführt werden könnten. Daß eine Nebenfront nichts mehr bekommt, das ist klar. Seeckt muß sich aber manchmal dagegen wehren, daß ihm nicht mehr genommen wird, als wirklich entbehrlich ist. Wobei zu berücksichtigen ist, daß Seeckt Überflüssiges niemals festgehalten hat.

Er kämpft unter anderem darum, daß ihm angesichts der Notwendigkeit einer Verbesserung des Stellungsbaues nicht der Stabsoffizier der Pioniere beim Oberkommando der Heeresfront genommen wird. In diesem Zusammenhang beantragt er die Versetzung des Majors der Pioniere Oberlindober Der Vater des späteren Reichskriegsopferführers. zu seinem Stabe. Seeckt schreibt, daß ihm »an der Verwendung des Majors Oberlindober hier im Stabe besonders gelegen sei« Persönliche Akten General v. Seeckt, 59..

Wesentliches war indessen während Seeckts Urlaub nicht geschehen. Man rechnete im Frühjahr mit einem allgemeinen Ententeangriff, Conrad sogar damit, daß Italien seinen eigenen Offensivgedanken zuvorkommen könne. Der schlimmste Feind war im Augenblick vielleicht die Kälte. Im Gebirge wurden bis zu 25 Grad gemessen.

Im übrigen nimmt nun die Ausbildung hinter der Front die wichtigste Stelle in der Arbeit ein. Denn an der Front kann man wirklich nicht allzuviel tun. Die Kräfte der Heeresfront sind so knapp, daß, wie Seeckt es in einer Lagenbeurteilung vom 21. Kriegstagebuch der Heeresfront Nr. 3. ausführt, man sich Reserven schaffen muß unter Verzicht einer Besetzung der vorderen Linien an manchen Stellen. Trotzdem werden kleinere Angriffsunternehmungen verlangt.

Die Briefe nach dem Urlaub:

»Márosvásárhély, den 17. Februar 1917 … So viele Briefe habe ich Dir während der Fahrt hierher in Gedanken geschrieben! Es ist nicht hübsch, so allein zu sein; so ›als Selbstzweck‹, das ist etwas Unnatürliches, und ich komme mir jetzt noch ganz sinn- und zwecklos vor, wo ich mich nicht irgendwo nach Dir umsehen kann. Es war aber sehr, sehr hübsch und ganz ungetrübt und schöner konnte es nicht sein … Hier fand ich alles in Ordnung vor, keinerlei Langweiligkeiten. Wie ein gut eingespielter Haushalt war alles weitergelaufen. Natürlich gibt es am ersten Tage vielerlei Fragen, und es dauert eine Weile, bis man durchkommt, da jedem seine Angelegenheit als die allerwichtigste erscheint …

Ich wurde von einem ganz interessanten Besuch unterbrochen, einem rumänischen Oberst Stourdza, der zu uns übergegangen ist. Er hat allerlei verwegene Pläne und Ideen und hoffte nun irgend etwas für sein Vaterland zu retten und zu erreichen …

D. 19. Februar … Heute sollte es ein langer und ausführlicher Brief werden. Aber der Tag ist zufällig so lachhaft besetzt, da wirklich während seines ganzen Laufes einer dem anderen die Klinke in die Hand ist es 11 Uhr abends, und noch nicht still. Und dabei wüßte ich doch so gern, wie es Dir geht Jemand hatte halbernst Frau v. S. vorgeschlagen: Bitte geben Sie mir doch eine Anzahl von Briefen, die »Dienstag«, »Mittwoch« oder dergleichen überschrieben sind und deren Inhalt sich nicht auf besondere zeitliche Erlebnisse bezieht. Ich könnte sie dann dem Chef einfach hinlegen, und Sie täten nicht nur an ihm, sondern beim ganzen Stabe ein gutes Werk; denn bei ausbleibender Post leidet seine Laune, und das wirkt sich oft in recht unliebsamen Folgen aus..

D. 20. Februar … Heute vormittag habe ich mehrere Stunden draußen einer Übung beigewohnt, ich bin ordentlich müde von dem Herumklettern auf den steilen Hängen mit dem glatten Tauschnee. Es war recht interessant. Wir sind fleißig, um nun die Bundesgenossen hinter der Front weiter auszubilden …

D. 21. Februar … Ich denke, wer Dich einladet, tut es als Selbstzweck, um das liebe, hübsche, nette Katz bei sich zu haben. Ich freue mich, daß Du so mit den liebenswürdigen Menschen zusammen bist. Besser als unter der Aegide der Gräfin Géza Andrássy und Margarete Apponyi kannst Du unmöglich aufgehoben sein … Ich bin aber sehr dafür, daß Du … noch etwas in Budapest bleibst. Es ist erstens ein liebes Gefühl, Dich in der Nähe zu haben; zweitens ein Zeichen, daß es Dir dort gut geht und endlich für mich erfreulich, daß Du auch etwas von den Kreisen kennenlernst, in deren Interessen mich der Zufall eingemengt hat … Wie hat Dir Julius Andrássy gefallen? und sie, die schöne geborene Gräfin Szichy? Hast Du den Apponyi Albert Gróf schon gesehen, den Charakterkopf? Und mit Ludwig Windischgrätz hast Du Dich angefreundet …«

Aus einem Brief vom 21. an die Mutter kann man entnehmen, daß Seeckt mehr und mehr mit der Politik in Berührung kommt, dies aber nur widerwillig tut. Er schreibt: »... Hier kann ich mich nun nach Gefallen mit ungarischer und rumänischer Politik befassen, wenn ich will; aber ich werde mich lieber davon fernhalten, soweit das geht.«

Fast genau mit dem letzten Tag des Februar enden die Kämpfe der 7. Armee am Mestecanesci und damit tritt im wesentlichen bis zur beginnenden Kerenski-Offensive bei dieser Armee Ruhe ein. Teile der 1. Armee unter Litzmann erobern am Ende der ersten Märzwoche den Magyáros. Seeckt war an der Vorbereitung des Erfolges persönlich wohl beteiligt. Er war vom 3.–5. März selbst bei den angreifenden Truppen und vermerkt das Ereignis als etwas Besonderes auch im Tagebuch.

Eigenartig und doch recht verständlich ist Seeckts Einstellung zu der Handhabung der Ausbildung. Die Heeresfront hatte vordem eigene Grundlagen für die Ausbildung herausgegeben. Seeckt gibt nun den Neudruck der »Abwehrschlacht«, den die deutsche O.H.L. herausgegeben hat, nicht weiter. Auch »die Erfahrungen aus der Sommeschlacht« werden von ihm angehalten. Auf dem von der Heeresgruppe Rupprecht übersandten Exemplar steht der Vermerk: »Von hier aus nicht weiterzuleiten.« Man darf das nicht für eine Art Überheblichkeit ansehen. Seeckt scheute auch später als Chef der Heeresleitung nichts so sehr als eine Überschwemmung der Truppe mit Ausbildungsvorschriften. Er hielt die bereits ausgegebene Ausbildungsanleitung für brauchbar und die Truppe arbeitete danach. Mehrere gedruckte Vorschriften nebeneinander konnten jetzt nur Schaden anrichten. Die von der O.H.L. herausgegebene »Abwehrschlacht« war gut. Seeckt hat das sicherlich nie bestritten. Aber es war trotzdem richtig, wenn er die Truppe vor einem Zuviel bewahrte. Es war richtig, und es bewies recht viel Verantwortungsbewußtsein. Ein anderer hätte es kaum gewagt, Vorschriften einfach nicht weiterzugeben Seeckt hat die »Grundsätze für die Führung der Abwehrschlacht« im November 1917 an die k.u.k. Truppenteile herausgegeben, als er Ruhe und Zeit dazu für gekommen hielt. Er hat aber ausdrücklich auf die Verschiedenheiten zur Westfront und auf die für den Bereich der Heeresfront erforderlichen Änderungen verwiesen.. Man muß allerdings zugeben, daß die Ausbildungsanweisung der Heeresfront inhaltlich nicht unerheblich abwich von den Grundsätzen der deutschen O.H.L. Es könnte sogar so scheinen, als sei Seeckt in Fehler zurückgefallen, die man an der Westfront als solche klar erkannt hatte. In den Weisungen der Heeresfront steht nämlich der Satz, daß »kein fußbreit Bodens dem Feinde ohne zähesten Widerstand überlassen werde. Denn jeder sei mit Blut genommen und müsse mit neuem Blut wiedergewonnen werden«. Das scheint wie alter Falkenhaynscher Wortlaut. Jedoch es scheint nur so. Die Heeresfront wußte, an wen befohlen wurde. Bei der Neigung der durch die Kämpfe mürbe gewordenen Truppen, zu leicht zu weichen, war die kategorische Forderung zum Widerstand ohne Ausweichen richtig. Es war gefährlich, dieser Truppe, ehe sie sich innerlich wiedergefunden hatte, mit beweglicher Verteidigung zu kommen. Es ist also kein Fehler von Seeckt, sondern es ist seine große Wendigkeit, daß er psychologisch die Truppe so anfaßt, wie es nützlich ist. Er unterläßt es durchaus, allgemein gültige Regeln auf eine Truppe zu übertragen, die das, was an sich richtig ist, doch nicht leistet. In den Weisungen der Heeresfront steht deutlich, wie er die Truppe beurteilt. Es heißt dort: »Es ist nicht angängig, Verluste von Stellungsteilen als etwas mehr oder weniger Gleichgültiges und leicht zu Ertragendes anzusehen, ohne daß mit aller Energie die Wiedergewinnung der verlorenen Stellung unverzüglich angestrebt wird … Heeresarchiv Wien. Die freiwillige Aufgabe einer Stellung ist ausgeschlossen. Ich befehle, daß das Zurücknehmen einer Truppe nur auf ausdrücklichen Befehl des Korpskommandanten geschehen darf … Das Zurückziehen einer Truppe ohne solchen Befehl hat in jedem Falle ein kriegsgerichtliches Verfahren zur Folge … Ganz besonders warne ich vor dem Nachlassen der Kriegsenergie, welche in dem Anbahnen eines friedlichen Verkehrs mit dem Feinde liegt.« Man muß zugeben, daß mit solchen Sätzen Verhältnisse charakterisiert sind, auf die sich die deutschen Vorschriften nicht ohne weiteres oder noch nicht anwenden ließen. Daß Seeckt selbst in dieser Lage den letzten Rest beweglicher Verteidigung zu retten wußte, beweist der Satz: »Nur eine aktive Verteidigung gibt genügend Sicherheit.«

Es ist bezeichnend für Seeckt, daß er sich, sowie die Kampfpause ihm auch nur etwas Atem dazu läßt, sofort nachdrücklich um die Fürsorge für die Truppen bekümmert. Es wird dies auch eine Folge seiner persönlichen Beobachtungen auf der Fahrt nach der Front Anfang März gewesen sein.

Als Anfang März der Wechsel in der österreichischen O.H.L. von Conrad zu Arz eintritt, hat das eine etwas eigenartige Auswirkung auf die Heeresfront. Arz verlangt als erstes Verstärkungen von der Ostfront gegen Italien. Ludendorff erklärt eine Schwächung der Heeresfront Erzherzog Josef für ausgeschlossen. Er stellt sogar Reserven von anderen Stellen für die Heeresfront bereit, weil er selbst anerkennt, daß die Kräfte der Heeresfront zu einer sicheren Abwehr nicht ausreichen. Seeckt hat dann im Verlauf der nächsten Woche selbst bis ins einzelne gehende Vorschläge über die Bildung von Reserven im eigenen Bereich gemacht.

Anfang März teilte Ludendorff Seeckt das beabsichtigte Zurückgehen in die Siegfriedstellung mit. Am Rande des Schreibens finden sich von Seeckts Hand eine Reihe von Ausrufungs- und Fragezeichen. Er muß sich eingehende Gedanken über diesen Entschluß und seine Durchführung gemacht haben.

Wieder Briefe:

»D. 6. März 1917 … Mit dem Wechsel in Baden bin ich an sich ganz einverstanden; aber für mich war das alte Regime ganz bequem. Ob der Neue ein voller Ersatz für Conrad ist, bezweifele ich. Aber er ist liebenswürdig, mir sehr gut bekannt. Ausschlaggebend wird sein Operationschef sein, Oberst v. Waldstaetten, tüchtig und verhältnismäßig energisch, mein intimster Gegner von allen, da er mir seinerzeit als Chef beim Thronfolger weichen mußte. Er war bisher Chef unter mir und fügte sich zähneknirschend. Aber er fügte sich. Es wird einen ganz netten kleinen Kampf geben …

Meine Reise war sehr schön – herrliche Winterlandschaft! Ich mußte tüchtig steigen, was in dem Schnee teilweise recht anstrengend. Mit dem Auto war es nicht zu schaffen, ich mußte stellenweise Schlitten fahren … Sehr viel Liebenswürdigkeit gefunden. Daran fehlt es nicht bei den Leuten und sie ist sogar oft aufrichtig. In hübschen Blockhäusern gefrühstückt und pausiert, inmitten des winterlichen Hochwaldes und in tiefem Schnee … Daß Du jedes Zusammensein mit den neuen ungarischen Freunden als ein ›Herausschinden von Lektionen‹ bezeichnest, sieht Dir ähnlich. Sagte nicht Deine alte Mademoiselle, wie Du sieben Jahre warst, von Dir: Mais elle est polyglotte, cette petite! …

D. 9. März 1917 … Der Kaiserbesuch wurde gestern abend spät abgesagt. Es muß etwas Wichtiges in Wien vorliegen; denn alle Vorbereitungen waren bis zum letzten getroffen, und das will, namentlich für Sicherheit und Eisenbahn, etwas heißen. Außerdem sollten hier oder während den Fahrten mit dem Erzherzog Josef wichtige, Ungarn betreffende Besprechungen stattfinden, denn Hohenlohe und Czernin sollten begleiten, so daß es mit der militärischen Begleitung und der der Kaiserin eine ziemliche Karawane wäre. Ich hatte am Nachmittag die Ehren-Komp. mir vorexerzieren lassen: Da Deutsche und Bosniaken mit Fes darunter waren, ein buntes Bild; es ging aber schließlich ganz hübsch. Hier und anderswo werden wieder abenteuerliche Gerüchte entstehen; haben sie doch, wie auch in Budapest, alle gründlich den Russenschreck im Leibe und sehen Siebenbürgen schon wieder überflutet. Dabei haben wir den Herren Russen gerade gestern ordentlich etwas auf die Nase gegeben. Aber natürlich verwindet sich solche Fürchterlichkeit, wie Du sie vom Grafen Sandor Andrássy erzählen hörtest, dessen ganzer Besitz verwüstet ist, nicht so leicht. Es ist ja noch ein Glück, daß sie den größten Teil der Kunstschätze retten … konnten …

An der italienischen Front hat man sich durch die letzten Ernennungen … gegen eine spätere deutsche Einmischung zu sichern gesucht. Eugen … über der ganzen Front, von Tirol bis zur Adria. Unter ihm Conrad und Boroevic. Nicht sehr einladend, später deutsche Truppen in größerer Stärke hinzuschicken, wenn es überhaupt so weit kommt.

Im alten Serbien haben sich die Bulgaren einen ganz netten Aufstand geleistet. Es wird nicht viel zu bedeuten haben, ist mir aber ein Zeichen, wie wenig sie zur Sicherung getan haben. In der dortigen sehr unwirtlichen Gegend können sich solche Banden leicht verstecken. Es sind wahrscheinlich Reste des serbischen Heeres, die sich dort verborgen gehalten haben. Der König mag hübsch zetern; ich hatte einen herzlichen Dank von ihm auf meinen Geburtstagsglückwunsch zum 26. 2. mit Gedankengemeinschaft und ›semper idem‹ … Ein Bildhauer, der den Erzherzog vergipste, will mich auch behandeln – wenn ich nur Zeit dazu finden würde Die vorzügliche Büste des verstorbenen Künstlers Breithaupt, der als österreichischer Res.Offz. beim Stabe kommandiert war, ist im Besitz von Frau v. Seeckt.. Ein anderer ›Künstler‹, der … Filmaufnahmen an der Front macht, kam heute auch und will alle Welt photographieren. Es gibt schon merkwürdige Kriegsberufe! …

D. 12. März … Ich lebe meinen Tag vorläufig ohne Reisepläne dahin – arbeite, lese Zeitungen und ärgere mich über die auswärtigen Dummheiten und die inneren Zänkereien …

D. 13. März … Horvath erzählte noch ganz nett von Budapest und sagte, es sei allgemeines Bedauern in der dortigen Gesellschaft und ganz speziell bei seiner Schwiegermutter Gräfin Széchény, daß Du so kurz dort geblieben wärst und allgemeine Hoffnung, daß Du bald auf längere Zeit wiederkehrst …

Du schreibst, Dein Herz sei etwas besser als Deine Feder. Ich nehme an und hoffe, daß das kleine Herzchen nur wegen der Abreise etwas schwer war. Sehr, sehr lieb schreibst Du, aber zu danken gibt es nichts; denn ich habe Dich doch zu meinem Vergnügen überhaupt und insbesondere mit bis nach Budapest genommen. Es ist heute besonders wenig zu erzählen. Nur der türkische Mißerfolg bei Bagdad ist sehr schmerzlich. Aber die Türken wollten dort alles allein machen.

D. 14. März … Hier ist der Frühling ausgebrochen. Ich war einige Stunden draußen, um mir österreichische Soldaten, die hier ausgebildet werden, zu besichtigen und konnte mich über die prachtvolle Luft, aber auch über die Leute freuen. Sie beweisen mir das, was ich immer sage: Die Leute selbst sind gut, zum Teil sogar sehr gut, willig und gewandt … Es gibt unter den aktiven Offizieren viele pflichttreue und eifrige, aber auch viele, die anders sind, und die Reserveoffiziere sind im Gegensatz zu den unsrigen sehr schwach. Die Seele des ganzen Ausbildungskursus war ein junger bayrischer Hauptmann, der ganz prachtvoll mit ihnen umging und sich mit einigen Brocken Ungarisch und Bosnisch sogar mit den Leuten verständigte …

Meine Schreiberei ist flüchtig, denn ich wurde nach jedem dritten Wort unterbrochen …«

An die Mutter:

»Den 10. März 1917. Die Kreuzzeitung bekomme ich seit einigen Tagen. Daß sie von Dir kommt, erhöht mir noch ihren Wert; denn, wenn ich sie vor mir sehe, so denke ich an Deinen von der Lampe beschienenen Abendtisch, wo sie auch liegt, und an Dich. Außerdem hält sie mich in Verbindung mit der Heimat, die wir doch mehr und mehr gebrauchen; denn die Stimmungen wechseln. Oft denke ich, daß ich nun eigentlich den wahren Inhalt meines Lebens erschöpfe und mir nichts Besseres wünschen könne als Krieg bis ans Lebensende oder das Ende der Kräfte, aber dann kommen auch wieder friedlichere Gedanken und weniger egoistische …«

Man könnte fast annehmen, daß Seeckt nur der Mutter etwas Freundliches habe schreiben wollen. Es war aber nicht Seeckts Art, Dinge zu schreiben, die nicht seinem wahren Empfinden entsprachen. Also muß er doch trotz allem zu dieser Zeit im wesentlichen mit seinen Lebensumständen zufrieden gewesen sein. Man kann das auch aus Worten entnehmen, die gleichzeitig Frau v. Seeckt aus Budapest an Seeckts Mutter schrieb: »... Ich glaube, Hans ist hier unentbehrlich, und wir wollen dankbar sein, daß er einen so wichtigen und seiner Eigenart angemessenen Wirkungskreis fand. Das Magyarenland dankt ihm seine Arbeit aber auch …«

Am 15. März vermerkt Seeckt in seinem Tagebuch: »Russischer Aufstand.« Auch die nächsten beiden Briefe beschäftigen sich sofort mit dem ungeheuren Ereignis der beginnenden russischen Revolution:

»D. 17. März 1917 … Hübsche Dinge passieren in Rußland. Kleinlich ist die englische Politik nicht und nicht ängstlich mit ihren Mitteln, eine Revolution zu entfesseln, einen Kaiser zu entthronen. Es ist nur die Frage, ob die neuen Machthaber das Heft in Händen behalten und ob sie die Geister der Revolution wieder bändigen können. Für uns wird es heißen, kaltes Blut behalten und abwarten und keine zu großen Dummheiten machen. Es kommt darauf an, wie die Armee sich stellt. Ein Regent ist nach russischen Begriffen eigentlich undenkbar gewesen, doch über dieses Bedenken kann man auf die eine oder andere Weise wohl fortkommen.

Den von Dir empfohlenen Artikel in der Voss. Ztg. las ich: Ja, ja – es ist schon sehr unrecht von Preußen, daß es sich nicht frankfurtsch-demokratisch regieren lassen will! Adieu, geliebte Dicke, bleibe mir gut.

D. 20. März … Eine wüste Sache ist die russische und ihr Ausgang dunkel; ich denke, sie hat unseren Herrn Ministerpräsidenten etwas angeregt, noch deutlicher die kommende Demokratisierung Preußens uns in Aussicht zu stellen.

Vor Deinem lieben Bild stehen die ersten Schneeglöckchen; die Du so liebst. Es ist hier auch frühlingsmäßig, was mich weiter nicht besonders angeht, als daß eine Zeit unpassierbarer Wege anbricht … «

Am 19. 3. 1917 schreibt Seeckt einen innen- und außenpolitisch besonders interessanten Brief an Landesdirektor v. Winterfeldt. In diesem Brief steht der gewiß nicht ohne einigen Groll niedergeschriebene Ausdruck von der operativen Stagnation. Man darf eine solche Bemerkung nicht übersehen. Seeckt ist weder schriftlich noch mündlich rein referierend gewesen. Er nimmt zu den Dingen stets kritisch, fast durchweg produktiv kritisch Stellung. An dieser Tatsache ändert es nichts, wenn er sich grade in diesem Briefe entgegengesetzte Eigenschaften beilegt. Beides stimmt. Menschen können voller Widersprüche sein.

Er schreibt hier an einen militärischen Nichtfachmann. Daher geht er auf die operative Frage nur kurz, aber bedeutungsvoll ein. Man kann ohne weiteres annehmen, daß Seeckt in Tagen, in denen er solches schreibt, darüber gegrübelt haben muß, wie man aus der Stagnation dieses Krieges herauskommen könne. Es ist unendlich schade, daß wir nichts darüber wissen, wie er sich das Zerschlagen operativer Fesseln, die Befreiung aus der riesigen Umklammerung, vielleicht gedacht hätte.

»Die Pause, die in unserer Korrespondenz eintrat, hat ihre verschiedenen Gründe; einen der gewichtigsten sehe ich in der angenehmen Erinnerung an eine mündliche Aussprache, die in der nächsten Zeit den schriftlichen Gedankenaustausch so matt erscheinen läßt. Dann kam wohl hinzu, daß die öffentlichen Verhältnisse im Innern so wenig zum Gedankenaustausch einluden und die äußeren, so gewaltig sie waren, doch in ihren Folgen noch zu wenig zu übersehen sind, um mehr als unfruchtbare Konjekturen über sie anzustellen.

Über die wichtigste innere Frage, die der Ernährung, möchte ich mehr von Ihnen hören als ich Ihnen erzählen kann. Da unsere Leute noch gerade ausreichend bekommen, so können wir nicht klagen; nur die Pferdefrage war schwierig bis zum Einsetzen der Weidemöglichkeit. Die Notwendigkeit, den lebendigen durch den mechanischen Zug zu wesentlichen Teilen zu ersetzen, ohne auf überseeischen Gummi zu rechnen, stellt eine der lohnendsten Aufgaben an die zukünftige Kriegsindustrie Man hat Seeckt später gelegentlich den gedankenlosen Vorwurf gemacht, er hätte keinen Sinn für Ausnutzung der Technik gehabt. Wäre dem so, er hätte diese Briefstelle kaum geschrieben.. Solange diese nicht … verstaatlicht oder vertrustet ist, kann man von ihr die Lösung der Aufgabe wohl erwarten. Etwas bekomme ich von der Überorganisation der Ernährungsbehörden dadurch zu schmecken, daß ihre Zahl und ihr Geschäftsbetrieb uns die an sich schon schwierige und undankbare Aufgabe, mit Güte und List Lebensmittel aus dem reichversorgten Ungarn zu ziehen, bedenklich erschwert. Nach einiger Zeit wird sie ergebnislos sein; denn Ungarn droht zum drittenmal eine schlechte Ernte … Ich widerstehe dem Bestreben, in die öster.-ungar. Fragen zu gleiten und freue mich über das Niveau des zur Zeit leider nicht versammelten Reichstages … Das Plenum mit den hübschen Reminiszenzen an die Zaberner Debatten – leider ohne einen Falkenhayn – war so hübsch, daß man so etwas ungern entbehrt …

In der äußeren Politik interessiert mich der Artikel der Norddeutschen über unsere östlichen Kriegsziele Seeckt war dafür, im Osten klar zu sagen, was man wollte. Der Artikel entsprach seiner Auffassung. am meisten; es hielt schwer genug, ihn zu erreichen, wir mußten aber … etwas haben, woraufhin wir unsere Bemühungen, den russischen Bären zu zähmen, fortsetzen konnten. Ich kann auf diese Fragen jetzt nicht eingehen; ich stecke zu sehr darin, aber bei meiner Rolle und Neigung, die Dinge mehr zuschauend als tätig zu behandeln und lächelnd zurückzudenken, macht es mir Spaß zu beobachten, wie Tatsachen stärker sind als Theorien, und die Tatsache ist, daß wir uns so oder so mit dem östlichen Nachbar einigen müssen; daß es freilich so geschehen sollte, konnte niemand voraussehen. Überhaupt voraussehen! Revolution in Rußland – Kriegsende! Sachte; mit einem hatten wir gewiß nicht gerechnet, daß nämlich der Russe ein anständiger Kerl ist in der Masse und nicht von heute auf morgen den Bundesgenossen sitzen läßt. Er hat es doch durch seine verlängerte Untätigkeit schon reichlich getan, ohne es zu wollen, und wir können ganz zufrieden damit sein; aber nun kommt die Schwierigkeit. Mit dem Zaren war an einen Sonderfrieden zu denken, mit dem Volk nicht; es müßte denn einsehen, daß es tatsächlich nur für England und Amerika kämpft. Dies ihm klarzumachen und außerdem die innere und militärische Schwächung zu fördern, ist jetzt unsere Aufgabe. Schön ist sie nicht, aber notwendig, und man sollte nicht zu viel Bedenken bei ihrer Ausführung haben. Die militärische Gesamtlage stellt sich Ihrem Blick kaum anders dar als dem meinen; sie bietet trotz der Riesenopfer von Blut und trotz der Riesenleistungen im Angriff und Verteidigen zur Zeit das Bild operativer Stagnation; denn die beobachtenden Augen sehen nirgends die Gefahr eines Schicksal werdenden Durchbruchs, die Änderung gegen früher liegt nur darin, daß ich von der Gefahr und nicht von der Aussicht spreche. Doch Sie wissen, ich bin rettungslos sowohl politisch wie strategisch antiquiert.

Ich bin ziemlich veröstreichert, so sehr, daß gestern in früher Morgenstunde der junge Kaiser mit mir über seine Reichssorgen sprach. Ich liebe ihn fast persönlich; aber auf dem Wege zur Größe scheint er mir nicht. In beiden Hälften der Monarchie ist man auf dem Weg der Umgehung augenblicklicher Schwierigkeiten, die man sich zum Teil selbst geschaffen hat. Weder die Einberufung des arbeitsunfähigen Reichsrats noch die Aufwerfung der Wahlrechtsfrage in Ungarn war sachlich notwendig, beides sind Angstprodukte unter dem Druck der russischen Revolution. Die an sich nicht allzu feste Seele des jungen Herrn ist stark von der Gattin beeinflußt, in deren Bourbonenblut die Familienerinnerung an die Guillotine lebt. In Ungarn ist im Grund kein führender Politiker für das allgemeine Wahlrecht; dazu sind sie zu klug und zu national denkend. Die Frage schien das geeignete Mittel, Tiszá zu stürzen, der dem König persönlich unsympathisch war und dem er weder die Krönung noch seinen Kalvinismus verzieh.

Weniger gut ist die Lage in Österreich. Wir sind aber am Bestand des Deutschtums mehr interessiert, als die meisten bei uns einsehen. Doch verzeihen Sie – ich setze bei Ihnen das gleiche Interesse für diese Fragen voraus, wie es bei mir entstanden ist und bei mir aus persönlichen Gründen. Unbedeutsam wird das Problem Österreich-Ungarn für die eigene Politik nicht sein dürfen. Ob der Krieg die Frage restlos löst, ist mir zweifelhaft. Wir haben nach dem alten Lied aus den Freiheitskriegen mit Blut genug um Österreich geworben …«

Mitte März legt Seeckt dem Chef des Generalstabes des Feldheeres den Bericht eines österreichischen Bataillons-Kommandeurs vor, der in der Hauptsache serbischen Ersatz aus Bosnien in seinem Bataillon hat. Im allgemeinen sind Bataillonsberichte kaum geeignet, größere Bedeutung zu erlangen. Diesen Bericht Heeresarchiv Potsdam, Akte P 394. bezeichnet Seeckt selbst in einem Anschreiben als »charakteristisch für die politischen Zustände vor dem Kriege und für manche Zustände in der k.u.k. Armee«. Der Bericht hat dann auch eine erhebliche Auswirkung bekommen. Er ist sehr wahrscheinlich Anlaß dazu, daß die O.H.L. die deutschen Dienststellen anwies, sich ein zuverlässiges Urteil über die Truppen unserer Verbündeten zu bilden. Sie sollten ein »lebendiges Bild« hierüber der O.H.L. vorlegen. Die Arbeit an diesem Bericht hat Seeckt bis in den Juni hinein beschäftigt. Das Ergebnis wird in zeitlichem Zusammenhänge erwähnt werden.

Im letzten Drittel des März verbessert die 1. Armee ihre Stellung durch einen Angriff nördlich des Magyáros. Seeckt war vorher zu den beteiligten Truppen gefahren und brach sich am 23. 3. bei einem Ritt ins Gebirge das Bein. Er ist trotz dieser Verletzung, die sich als erheblich schwerer herausstellte, als er wohl selbst anfangs annahm, keinen Tag aus seinem Pflichtenkreis ausgeschieden. Am 25. konnte erst mit der eigentlichen Behandlung begonnen werden. Die Begründung, daß Seeckt auch nicht einen Tag seinen Posten verließ, muß man zweifellos in der völlig ungeklärten Frontlage sehen. Eine Auswirkung der Vorgänge in Rußland war an der Front bisher keineswegs zu bemerken gewesen.

Die Briefe der letzten Märztage:

»D. 22. März 1917 … Heute vor 30 Jahren bin ich Leutnant geworden! In Erinnerung habe ich heute auch dem ›Doktor‹ Der 22. März war auch der Geburtstag des »Doktors«, also des Generals v. Kemnitz. geschrieben …

Ich muß heute abend eine kleine zweitägige Tour machen, um mich etwas umzusehen. Alle Beförderungsmittel werden gebraucht: Eisenbahn, Auto, Wagen, Reittier, zu Fuß; es wird gut tun. Voraussichtlich, wenn nichts dazwischen kommt, gehe ich in acht Tagen etwas weiter von hier fort in die Berge, um neue Menschen zu sprechen und ihnen gut zuzureden. Gestern und heute kam ich auch nicht aus dem Reden heraus.

Ganz vergnüglich schreibst Du am 16. Und nun weiß ich ja auch, daß der Bundesbruder und Husarenoberst, den ich Dir schickte, auch noch dazu Geige spielt. Es wird Dir Freude gemacht haben, wieder einmal zu begleiten; – waren das noch Zeiten, wie Du mit Harry Bohlen in Danzig so schön musiziertest! Und der alte Stil, der geistig angeregten Geselligkeit bei Lilly von Werner, wie hübsch muß auch der Abend gewesen sein und wie richtig von Dir, den Ungarn dorthin mitzunehmen. Die Unterhaltung hätte ich recht gern gehört; in ihrer Art muß das auch eine Art von Kammermusik gewesen sein …

Quält den armen Maxe nicht so sehr mit Waschen. Über diesen Punkt der Hundebehandlung hatten wir immer Meinungsverschiedenheiten. Ein Kollege heulte und bellte die ganze letzte Nacht vor meinem Fenster – ›der Süße‹! Ich warf dann unfreundlicherweise ein Stück Holz nach ihm.

D. 26. März … Du schreibst, wenn ich am Leben bliebe, so hätten wir voraussichtlich zum Leben genug – das ist richtig – und wenn ich tot sei, wäre es doch ganz gleich – das ist falsch. Diese Auffassung ängstigt mich etwas. Wenn wir nur zusammen sind, wird es uns nicht so schwer werden, uns einzuschränken. Es würde aber für mich ein ziemlich schrecklicher Gedanke sein, Dich auch nur in einer Gleichgültigkeit, die bald zu Schwierigkeiten führen würde, zurückzulassen … Wie sich alles im Frieden gestaltet, ist ja noch nicht abzusehen; vor allem doch auch nicht, wie wir unser Leben einrichten können, ob ich abgehen kann oder nicht und ähnliches …

Dein Salon scheint sich, was Musik und Politik anbetrifft, immer größerer Beliebtheit zu erfreuen, kein Wunder …

Was hat der ›Doktor‹ wohl geredet! Cisleithanien und Transsylvanien, das ist so etwas für ihn und überhaupt die ganze Zeit, die in allen Fragen und Problemen bis in das fernste Asien führt. Ich finde, die Welt lernt so viel und alles auf so einfache Weise. Was ich allein an Geographie profitiert habe, leider behalte ich es nicht alles so schön wie der ›Doktor‹. Was hätte der sich mit dem Völkergemisch auf dem Balkan amüsieren können! …

Meine Mutter stellt mir die Briefe aus Mexiko von Kurt von Schlözer in Aussicht; ich werde sie gern lesen. Nein, bitte nicht, Clausewitz; das ist etwas für den ›Doktor‹, nicht für mich, obgleich ich denke, Du hattest den Briefwechsel mit seiner Frau im Auge, der viel gelobt wurde. Man hat aber von ihm so viel gelesen und zitieren hören, daß man jetzt im Krieg lieber über Mexiko liest.

Damit komme ich zu den strategischen Sorgen im Westen Zurücknahme der Front in die Siegfried-Stellung.. Ich wußte es schon seit meiner Anwesenheit in Pleß im Januar, was bevorstand, und wurde dann hier weiter orientiert. Ich kann mich auf lange Abhandlungen, wie man es früher 1915, 1916 hätte machen können, um diese Maßnahme zu vermeiden, nicht einlassen. Daß sie schmerzlich ist, das empfindet vielleicht keiner so wie ich, aber es ist eine ganze Maßnahme, ein Entschluß. Vor dem beuge ich mich. Ob ich ihn gefaßt hätte, das weiß ich nicht. Das kann ich auch nicht wissen; denn ich habe nicht vor der Verantwortung gestanden, ihn zu fassen. Zu theoretischen Aufgaben ist dergleichen nicht geeignet und niemand kann über solche Dinge urteilen, der nicht vor der Frage gestanden hat, ich nicht, Du nicht, und nicht unsere Pressestrategen von der Kr. Ztg. bis zum Berl. T. und noch tiefer herunter. Alles, was sich darüber sagen läßt, wird sicher in der offiziellen Presse gesagt. Das muß so sein und es ist auch alles wahr und richtig. Zur Sorge kein Anlaß.

Daß ich mir für die Organisation eines notwendigen Rückzuges nicht hätte einen Orden geben lassen, das ist Geschmacks- und Erziehungssache. Beides ist wohl bei mir etwas anders als bei manchem andern und soll so bleiben …

Nun aber zunächst eine langweilige Sache. Auf meiner letzten Tour in die Berge, habe ich mir etwas den Fuß verletzt. Mein kleines braves Tragetier glitt mit mir auf einer noch vereisten Stelle aus und quetschte mir den linken Fuß. Gar nichts Besonderes, aber langweilig, und ich mußte einige Pläne für den nächsten Tag aufgeben In Wirklichkeit war das Wadenbein gebrochen und gesplittert. Der Rücktransport von der Unfallstelle war zunächst etwas primitiv und im ganzen ziemlich übel. Seeckt hat humorvoll nachher gemeint: Das schlimmste sei gewesen, daß man ihm unterwegs zur Stärkung Kaffee mit Milch verabfolgt habe. Das war ein Getränk, das er geradezu verabscheute.. Ich hätte es Dir Sonntag gesagt, aber es ist dabei doch die Gefahr der halben Verständigung und dadurch leicht die ganz unnötige verstärkte Sorge hervorgerufen, so wollte ich lieber ausführlich schriftlich berichten. Hier kam ich in beste Hände, in die eines Budapester Professors und Chirurgen v. Gergö, der als Stabsarzt ein Lazarett leitet. Es war ihm natürlich außerordentlich interessant, und ich mußte mich durch unendliche schmeichelhafte Freundlichkeiten durcharbeiten, bis er mir einen festen Verband anlegte und mir vorläufig Hausarrest verordnete. So humpele ich also in meinen zwei großen Zimmern umher; kann arbeiten, Vorträge anhören, lesen, schreiben, rechnen und kann, was eine Wohltat ist, allein essen – und zwar, was ich mir bestelle, da ich für Stubenkost ›Grammelkolatschen und Guylasz‹ nicht für angezeigt halte. Schlechter Laune darf ich auch sein, werde von morgen ab spazierenfahren und soll in einer Woche wieder reisefähig sein, was mir sehr lieb, da ich einige nötige Besuche, nicht gerade gesellschaftlicher Art machen möchte. Sonntag kannst Du mich ja am Telephon beschimpfen, aber nicht bedauern. – Es wird in jeder Beziehung auf das Allerbeste für mich gesorgt – mehr, als nötig und mir lieb … Nun aber genug hiervon und zu Deinen kleinen Briefen. Bitte, schicke mir nichts, geliebte Dicke! …

Nun fragst Du auch nach Rußland. Mir ist es nicht so unklar, wie es gekommen ist. Ich habe gar keinen Zweifel, daß England der ganz unmittelbare Anstifter und denke so: Es sagte sich, daß der Zar sehr bald zum Friedensschluß reif sei. Er wünschte ihn, die Hofpartei wollte ihn, weil sie die Revolution oder Nikolai Nikolajewitsch kommen sah und hätte die Masse des arbeitenden Volkes hinter sich gehabt, es war wohl dicht dran. Vielleicht hätten wir es – ohne die polnische Geschichte – haben können, schon damals. Die schob es hinaus. Das erkannte England. Dort ist aber jetzt alles dem Gedanken untergeordnet, uns ganz und gar zu besiegen; dagegen tritt dort alles zurück. Also Sturz des Zaren, Regierung der ganzen englandfreundlichen Duma mit dem ganz unter Einfluß seiner Mutter stehenden Michael Alexandrowitsch an der Spitze. Der Großfürst Nikolai – oder der engländergebene General Alexejew Oberbefehlshaber. So war alles eingeleitet. Nun kommt der Fehler der Rechnung, der ganz englisch ist. Ebenso wie sie keine Ahnung von uns gehabt haben, hat ihnen Kenntnis der russischen Zustände gefehlt. Nun ist ihnen das Heft entglitten, belang der erste Plan, so war das Abwendung der Gefahr eines Sonderfriedens und Stärkung der Kriegspartei. Das scheint mißlungen. Eine russische Republik bedeutet vorläufig das Chaos, also eine Schwächung. Ob sich irgendwie eine starke Regierung, eine Militärdiktatur entwickeln wird, ist noch nicht abzusehen, auch diese wird zunächst geringere politische Macht haben als ein, wenn auch demokratisches, Zarentum. Die englische Politik war großzügig, aber falsch in diesem Fall, hoffen wir es wenigstens …

D. 28. März … Zunächst nur kurz von mir, daß es mir ganz gut geht und alles in bester Ordnung ist. Daß ich heute früh gebadet habe, interessiert Dich natürlich viel weniger, als wenn es ›Maxe‹ wäre! Wenigstens sind die Sachen, wegen denen ich draußen war, beide ganz hübsch verlaufen, auch die von gestern, um die ich mich eigentlich bekümmern wollte …

Also, um Rußland zu verstehen, bist Du ›zu dumm‹. Wenn nur alle anderen das ebenso freimütig gestehen wollten … Eben zieht österreichische Musik vorbei mit dem kleinen Pferdchen, das die Pauke zieht. Immer muß ich dabei an unseren Mann denken, der kopfschüttelnd dazu sagte: ›Die können die Pauke nicht selbst tragen‹ …

D. 30. März … Ich hoffe nun sehr, daß Du Dich nicht über meinen Unfall erschrocken oder aufgeregt hast; er wäre es nicht wert. Es ist nur langweilig und unbequem. Gestern und heute bin ich ausgefahren, und nur das Treppensteigen ist noch recht lästig …

Jetzt müßte ich hier sitzen und die Lieder singen, die mir Herr Bogumil-Zepler geschickt hat Seine Chansons machten das erste »Überbrettl« unter Ernst von Wolzogen mit berühmt., der von einem Tee bei Dir schwärmte. Ich glaube, es ist hübscher, wenn Du sie singst, als wenn ich es täte. Nachmittags werde ich bebildhauert, was nicht weh tut, aber spaßhaft ist. Ich glaube, daß die Büste ganz vorzüglich wird. Der Künstler macht es nur bei Licht, weil in dem einen Zimmer solche besonders geeignete Deckenbeleuchtung sein soll, in der ich mich so ›bedeutend‹ mache!! …

D. 31. März … Zu erzählen habe ich weiter nichts Besonderes; denn die Fußgeschichte ist langweilig …

Meinem wahlverwandtschaftlichen Herzen tut es weh, daß einer der ältesten und wertvollsten märkischen Sitze, Stolpe bei Angermünde, Buchscher Besitz, niedergebrannt ist. Dergleichen ist unersetzbar; das liegt ja aber merkwürdig in der augenblicklichen politischen Richtung …

Adieu für heute, mein Geliebtes, Du schriebst so lieb über meine Tätigkeit neulich. Glaube mir, außer dem inneren Gefühl, so leidlich seine Pflicht getan zu haben, ist mir die Gewißheit, von Dir gekannt und anerkannt zu sein, das einzig Wertvolle. Alles übrige wird mir täglich wurschter, was kein hübsches Deutsch. Einst sagte ich noch:

Herrlich klingt des Ruhmes lockender Silberton an das schlagende Herz,
Und die Unsterblichkeit ist ein großer Gedanke und des Schweißes der Edlen wert.

Doch zwischen dem und dem liegen zwei Jahre, die nicht ohne Erfahrung waren. Der silberne Ton unserer Erinnerungstage ist echter und wertvoller. Immer der Deine.«

siehe Bildunterschrift

Mit Erzherzog Josef an der rumänischen Front

Zwischen Seeckt und Ludendorff findet in dieser Zeit ein sehr reger Gedankenaustausch statt. Die Frage der Beurteilung der Verbündeten war erwähnt. Seeckt muß sich ferner äußern über die Zusammensetzung der Feldartillerie, bei der er eine starke Vermehrung der leichten Feldhaubitzen vorschlägt. Er wird gehört über die Erziehung des Offizierersatzes, über die Ausbildung auf Kriegsakademie und im Generalstab, und er muß Stellung nehmen zu einem Entwurf der 4. Armee über die »Lehre vom Kampf«. Auch über die zukünftige Gliederung einer Infanterie-Division muß er sich äußern. Seeckt schlägt das Korps zu zwei Divisionen vor. Die Division soll drei Infanterie-Regimenter und keine schwere Artillerie haben. Dafür will er dem Korps außer den beiden Divisionen eine weitere Infanterie-Brigade und ein schweres Korps-Artillerie-Regiment zuteilen. Rein zahlenmäßig gedacht ist das die Rückkehr zur alten Division mit vier Regimentern, nur im Korpsverbände anders organisiert. Seeckt gibt selbst zu, daß es keine Ideallösung sei. Aber er glaubt, es wäre noch immer der beste Ausweg, um dem Korps tatsächlich einen Einfluß auf die taktische Führung ohne Zerreißung der Verbände zu belassen. Ludendorff verlangt ferner Seeckts Stellungnahme zu der Frage, ob ein Inf.-Batl. besser zu drei Schützen-Kompanien und einer Maschinengewehr-Kompanie gegliedert werden soll. Seeckt ist bezeichnenderweise für vier Schützen-Kompanien. Er ist niemals leicht für eine zu weitgehende Herabsetzung der Gewehrträger zu haben gewesen. Gleichzeitig aber befürwortet er eine ganz erhebliche Vermehrung der leichten Maschinenwaffen und auch der schweren Maschinengewehre und Infanterie-Geschütze bei der Infanterie. Er ist also der Ansicht, daß das eine das andere nicht ausschließt. In einem anderen Bericht schlägt er aktive Bezirkskommandeure und Landwehrinspekteure vor und meint, »es wäre sachlich nicht schädlich, wenn mehr Offiziere als bisher ihre Laufbahn mit dem Regimentskommandeur abschlössen.« Seeckt muß auch Stellung nehmen zu der Frage, ob die ersten Generalstabsoffiziere der Generalkommandos jünger und die der Divisionen älter sein sollen. Er ist dafür, daß zu den Divisionen ältere Generalstabsoffiziere kommen. Ludendorff entscheidet gegen diese Stellungnahme. Für Seeckts Ansicht spricht etwas, daß ganz zum Schluß des Krieges wieder ältere Generalstabsoffiziere zu den Divisionen zurückversetzt wurden.

siehe Bildunterschrift

General von Seeckt, das Bein noch im Gipsverband, verteilt Eiserne Kreuze an ein Sturmbataillon

Es sei auch eine andere Einzelheit erwähnt, weil sie kennzeichnend für Seeckts Verhalten ist. Da in absehbarer Zeit mit größeren russischen Angriffen doch nicht zu rechnen sei, schlägt Seeckt der O.H.L. von sich aus die Abgabe zweier Divisionen von der Heeresfront, und zwar ohne Ersatz für die Westfront vor. Er ist ein General, »so in das Große entrieret«. Er hat wohl immer über seinen eigenen Bereich hinaus gedacht und gehandelt.

Mit den russischen Osterfeiertagen setzen die Besprechungen von Graben zu Graben ein, und hiermit beginnt die Propagandatätigkeit in der russischen Armee, die auch Seeckt in den nächsten Monaten, zum Teil sogar führend in Anspruch nimmt. Mit der Leitung dieser Propaganda ist bei der O.H.L. Major v. Haeften beauftragt.

Auf Wunsch der beiden O.H.Leitungen sollte die Ostfront eine Propagandatätigkeit bei den Russen vorbereiten mit dem Ziel, die russische Armee friedensbereit zu machen. Seeckt griff mehrfach mit richtunggebenden Vorschlägen und Forderungen ein, die sich insbesondere auf eine klare Herausarbeitung der Kriegsziele beziehen Man könnte hier einen Widerspruch vermuten, weil Seeckt sich andrerseits vielfach dagegen ausgesprochen hat, zu offenherzig sich auf einen Mindestsatz, um den man zum Frieden bereit sei, festzulegen. Es handelt sich hier ausgesprochen nur um den Osten. Seeckts Bedenken galten dem Westen.. Er hat dabei keinen leichten Stand. Einerseits sind die Ansprüche der Österreicher ohne Maß. Andererseits sind die deutschen Absichten nicht klar formuliert. Erzherzog Josef schreibt Erzherzog Josef, Der Weltkrieg usw.: ».. Ich habe das Gefühl, die deutsche Heeresleitung will die Russen übertölpeln … General v. Seeckt ist infolge seiner großartigen Vorsicht meine felsenfeste Stütze …« Jedenfalls war das Ergebnis der Propaganda zunächst fraglich, und man mußte die feste Absicht betonen, daß man erneut zu kriegerischen Mitteln greifen würde, wenn die Verhandlungen nicht zum Ziel führten. General v. Cramon schreibt Anfang Mai an Seeckt: »Der Erfolg der Propaganda gefällt mir auch heute noch nicht. Ich fürchte, daß uns englisches Geld auch diesmal wieder über sein wird. Sehr lange wird man dieses Spiel natürlich nicht fortsetzen können. Und wenn die Russen nicht wollen, dann muß halt wieder gebissen werden. Daß die russische Infanterie noch sehr kampffreudig sein sollte, kann ich mir nicht denken. Aber vielleicht kommt auch da wieder ein Umschwung. Jedenfalls wird man auf der Hut sein müssen.«

Ende Mai hat sich Seeckt zur Frage der Propaganda bei den Russen in einem Brief nochmals geäußert:

»Wir haben durch unsere Propaganda der russischen Armee viel von ihrer Kraft genommen, aber bei dem Zögern unserer höchsten Stellen, klar auszusprechen, was man will, gibt und haben will, fürchte ich, kommt ein Rückschlag. Die Entente bearbeitet Rußland nach allen Regeln, um es zum Angriff zu bewegen und voraussichtlich geht es zunächst an der rumänischen Front los. Wenn, wie gesagt, die Masse der Soldaten zum Angreifen zu bekommen ist. Wir haben von Front zu Front viel verhandelt, Parlamentäre geschickt und jedenfalls einen hohen Grad von Unsicherheit drüben erzeugt. Die Schwierigkeit liegt darin, daß man bei uns Kurland und Litauen behalten will. Ich habe diese Notwendigkeit nie eingesehen, im Gegenteil es als eine Verschlechterung unserer geographischen Lage empfunden. Nach meiner Ansicht sollte man den Verzicht aussprechen. Über diese Fragen herrscht Uneinigkeit mit Österreich … Die O.H.L. ist in dieser politischen Frage nicht glücklich beraten und will alles am besten wissen … So geben sie zur Übermittlung an die Russen inoffizielle Friedensbedingungen heraus, gegen die ich noch in der Nacht Protest erhob und die dann auch umgehend zurückgezogen wurden. Es ist also wieder einmal eine rein politische Tätigkeit, die ich entfalte, ohne doch ausschlaggebend wirken zu können. Ich muß natürlich auch doppelt vorsichtig sein, da ich in Baden nicht gegen deutsche Vorschläge auftreten kann, andererseits auch nicht bei uns gegen österreichische, wenn ich nicht sicher bin, daß man mich nicht gegen meine zeitweiligen Vorgesetzten ausspielt. Es wird eine ganz interessante Erinnerung einmal für mich sein, ob sehr befriedigend, steht dahin … Ich wäre froh, wenn ich wieder die Kanonen spielen lassen könnte. Daß es gelungen ist, die Russen so lange lahmzulegen, wie die letzten Angriffe in Italien und Frankreich dauerten, ist schon ein Gewinn.«

Seeckt hat die Gefahr von Anfang an nicht übersehen, daß kommunistische Ideen auf die eigenen Truppen übergreifen könnten. Er hat in diesem Punkte sehr viel weiter gesehen als viele andere und hat zur Abwehr der Gefahr Weisungen durchgesetzt.

Es ist historisch seltsam, daß gleichzeitig mit der Schwächung des Kampfwillens bei dem russischen Gegner auch bei der Führung des österreichischen Verbündeten eine gefährliche Entwicklung einsetzte. Kaiser Karl hatte eine Reise zur Heeresfront beabsichtigt. Er kam nicht. Er fuhr nach Homburg. Wenige Wochen zuvor war Prinz Sixtus von Parma bei ihm in Wien gewesen Czernin bestritt am 6.6. offiziell diesen Besuch. Heeresarchiv Potsdam Akte P 395.. Am 12.4. ging die Denkschrift Czernins an Kaiser Wilhelm II. ab v. Werkmann., nach der Österreich am Ende seiner Kräfte sei und über den Spätsommer hinaus nicht mehr mitmachen könne. Diese war Erzberger, als er am 23.4. vom Kaiser Karl empfangen wurde, bekannt. Seeckt muß über die Gründe der Absage der Kaiserreise zur Heeresfront zutreffend unterrichtet gewesen sein Vgl. den Brief vom 10. 4. auf S. 565..

Für die Ostertage war eine Waffenruhe zur Einleitung der Propaganda angeordnet. In der zweiten Aprilhälfte befiehlt die O.K.L. das Aufhören der Waffenruhe, ohne daß deshalb die Feindseligkeiten eigentlich wieder aufgenommen werden. Man hat diese Anordnung wohl mehr deshalb getroffen, weil man die Gegenpropaganda im kommunistischen Sinne bereits feststellen mußte. Seeckt berichtete jedenfalls an die O.K.L. Heeresarchiv Potsdam, Akte 56 und O 1126., »die derzeitigen Maßnahmen brächten die Gefahr mit sich, daß die eigene Truppe ungünstig beeinflußt würde« v. Werkmann schreibt über den späteren Besuch Kaiser Karls in Klausenburg im Juni 1917: Der Kaiser habe eine lange Unterredung mit Seeckt gehabt. Sie seien sich in der Ablehnung der Ludendorffschen Methoden bezüglich der Revolutionierung der Russen einig gewesen. Seeckt habe sich entschieden gegen die verhängnisvolle Idee einer Revolutionierung der russischen Front ausgesprochen. Diese Darstellung dürfte den Kern der Sache nicht treffen. Seeckt war sich in den wesentlichen Punkten mit Ludendorff völlig einig, um das Mittel der Propaganda den Russen gegenüber auszunutzen. In einigen Punkten wich er ab. In der Hauptsache handelte es sich dabei um den Disziplinbegriff und die Kriegsziele. Auch wollte Seeckt den Propagandaverkehr ausschließlich in die Hände der Nachrichtenoffiziere gelegt wissen.. Er wendet sich dann gegen die Weisung, man solle den russischen Soldaten nahelegen, von ihren Vorgesetzten den Waffenstillstand zu erzwingen. Seeckt ist der Begriff der Disziplin etwas so unantastbar Heiliges, daß er nicht einmal dazu bereit ist, beim Gegner Disziplinlosigkeit herbeizuführen. Er hat damit im tiefsten Sinne recht gehabt. Die Disziplin anzugreifen ist ein Verfahren, bei dem man damit rechnen muß, daß die Wirkung auf den Urheber zurückspringt. Es kommt übrigens noch hinzu, daß die Russen stellenweise bereits Ende April unsere Propaganda abzulehnen begannen. Das waren die ersten Anzeichen der Offensive auf Smorgon und Lemberg, also der Kerenski-Offensive. Sie wurde eine einfache Notwendigkeit durch die Mißerfolge der Entente im Westen. So enthält denn auch die Lagenbeurteilung der Heeresfront vom 21. 4. die klare Feststellung, daß die russischen Führer die Zügel wieder fester in der Hand hätten, Angriffe mithin wieder möglich seien. Seeckt ist nicht der Propagandaverkehr an sich, wohl aber die Art seiner Ausführung offensichtlich einige Zeit höchst unsympathisch gewesen.

In den letzten Apriltagen geht Falkenhayn mit dem besonderen Auftrage in die Türkei, Bagdad zurückzuerobern. Seeckt hat zu diesem Zeitpunkt kaum annehmen können, daß sie beide sich dort wiederfinden würden.

Die Briefe vom Monat April:

An die Mutter vom 1. 4. 17:

»... Wie in Rußland die Dinge verlaufen werden, ist sehr schwer auch nur annähernd vorauszusehen. Wollte man historischen Beispielen folgen, so müßte der Weg nach manchen Wirren zur Diktatur führen. Ob er zum Frieden führt, scheint mir möglich, aber unsicher. Für unsere inneren Verhältnisse würde eine russische Republik erschwerend sein. Da sie sich aber wahrscheinlich nicht halten kann, sondern zu baldigem Verfall führt, könnte sie auch ein Abschreckungsmittel für gleiche Tendenzen bei uns sein. Daß Zar und Zarin nun gar als deutschfreundlich gebrandmarkt werden, ist eine Ironie. Wenn er überhaupt etwas war, so war er englandfreundlich … Ich regiere hier jetzt allein; mein Erzherzog ist an der Westfront zu seiner Belehrung und holte sich gestern im Hauptquartier den Pour le mérite. Ich freute mich sehr darüber … Liebe Mutter, bleibe mir gesund. Dein Sohn.«

An Frau v. Seeckt:

»D. 4. April 1917 … Wenn wir uns in Budapest treffen, so werde ich wohl noch nicht tanzen können; das tun dann die anderen für mich, und ich bin dann vielleicht noch etwas humpelig, was aber für unser Zusammensein nicht von Wichtigkeit ist. Weiter kann ich Dir nicht viel erzählen … Ich hoffe, ich kann morgen oder übermorgen in die Messe mittags gehen … Denke nicht, ich sei katholisch geworden; ich meine die Offiziersmesse. Abends habe ich meine Unterhaltung mit dem Bildhauer; ich glaube, die Büste wird ganz ausgezeichnet … Sonst habe ich auch nichts aus der großen und kleinen Welt gehört …

Mit Deinem Urteil über die neueste Theaterliteratur hast Du ganz meine Ansicht getroffen, soweit ich nach Lesen von Stücken und Kritiken urteilen kann. Strindberg war schon schlimm, Wedekind ist das Ende nach unten. Es liegt wohl etwas an dem Bedürfnis nach Nervenreiz in dieser sie sonst so reichlich in Anspruch nehmenden Zeit. Mir ist das Krankhafte daran, das uns Ibsen in das Theater gebracht hat, so unerfreulich …

D. 5. April … Ich bin schon ganz beweglich geworden; aber es dauert noch eine Weile, bis es wieder in Ordnung ist … Am Samstag fahre ich per Bahn und Auto zu einigen Stäben, auch das ist doch ein gutes Zeichen …

Schwer zu sagen, was in Rußland wird; aber das morsche Haus Romanow hat wohl ausgedient. Möglich erscheint der Zerfall des Reiches, wohl sicher die zeitige Schwächung seiner militärischen und politischen Kraft. Für später kann ich die Nachbarschaft einer russischen Republik an unserer Grenze nicht für vorteilhaft halten …

Meine geliebte Dicke! Heute weiß ich schon wieder nichts mehr …

D. 7. April … Mit der Büste dauert es lange, da der Mann altmodisch ist und Wert auf Richtigkeit und Ähnlichkeit legt, nicht mich wie ein Embryo aus der Masse herauswachsen läßt. Nun will von Montag ab noch gleichzeitig ein Maler mich von der anderen Seite abkonterfeien. Zu meinen Füßen müßte dann noch jemand sitzen, der Herrn Bogumil Zeplers Lieder singt …

D. 10. April … Wenn Du dieses Geschreibsel erhältst, so nähert sich, wie ich bestimmt hoffe, das Wiedersehen. Wie ich es schreibe, da verfünfundzwanzigfacht und silbert sich ein schöner lieber Tag Das Datum des Briefes, in dem Seeckt bei Herrn George Fabian um die Hand der Tochter anhielt., dank' Dir schön für alles seitdem. Das kleine goldene Zeichen, das ich trage, sagt auch zu mir: Dank! Aber ich gebrauche die Mahnung nicht einmal.

Vor Deinem Bild stehen statt der Veilchen gefüllte Märzkelche, wie ich sie noch nie sah, nicht in der einfachen herben Form der ursprünglichen, auch in der Farbe vom Gelb zum Grün zurücklaufend, statt des reinen Gelbs. Sie ist doch aller Meister Meister, die Frau Natur; es ist mir immer, als lachte sie über uns, weil sie ja doch alles besser kann, immer stärker und klüger ist als wir, wenn wir vergessen, daß wir auch nur Natur sind und sie meistern wollen …

Der junge Kaiser kommt wieder einmal nicht, Reise abgesagt, Grund nicht angegeben; dieser Besuch wird mythisch mit der Zeit! Als Gründe werden die gewohnten vermutet: Kaiserin, Hungeraufstand in Böhmen, Friede. Mir ist es recht; denn angenehm war mir der Gedanke nicht, mich ihm am Stock humpelnd vorzustellen.

R. T. ist also heute bei Dir und wird voraussichtlich Schreckensgeschichten von meinem kleinen Unfall erzählen; daß ich nicht auf den Mund gefallen bin, hattest Du inzwischen Gelegenheit, Dich telephonisch zu überzeugen.

Im Westen ist die lang erwartete Schlacht mit den Engländern bei Arras entbrannt; der französische Angriff wird wohl bald folgen. Ich sehe die Sache ruhig an und glaube, daß dort das Ganze doch nach dem letzten Rückzug sehr günstig steht.

Nun wird es wohl auch an den anderen Fronten losgehen; von unserer glaube ich es vorläufig noch nicht, und wie sich weiter die Verhältnisse entwickeln auf der russischen Seite, weiß niemand, sie selbst auch nicht …

D. 11. April … Sehr freute mich Deine Beschreibung des Gründonnerstag-Konzerts bei Dir; das Beethovensche Geistertrio muß ja wunderbar gewesen sein. Nb. habe ich noch nie eine Cello spielende Dame gesehen, aber wenn sie schön spielt, warum nicht? …

D. 13. April. Geliebte Dicke – eben sehe ich R. T. mit abgespreizten Ellenbogen über den sonnenbeschienenen Platz vor meinem Fenster tändeln, denke also in wenigen Minuten von Dir zu hören.

Mein Bild Das Porträt von Hans Eder, das als Titelbild beigegeben ist., vorläufig nur Skizze in drei Sitzungen, fand heute folgendes Urteil des Erzherzogs: ›Riesig ähnlich, aber kolossal unsympathisch, er hat bei Ihnen einen Zug herausgefunden und ins Teuflische gesteigert.‹ Ich finde es glänzend, bin überzeugt, daß es etwas Besonderes wird, unsympathisch finde ich mich selbst. Der Erzherzog sagte noch: ›Ich bin neugierig, was Ihre Frau sagen wird?‹ Na, ja – behaglich und vergnügt sehe ich ja nicht gerade darauf aus. …

Nun laßt Euch doch nicht gleich die Petersilie verhageln wegen Arras. So etwas ist im ersten Anlauf noch immer geglückt; aber weiter kommen sie doch nicht. Mich hat es gar nicht gewundert, auch nicht, daß so etwas auch unter der neuen Firma passieren kann …«

Seeckt traf sich am 22. April mit Frau v. Seeckt in Budapest, wohin er einige Tage zur abschließenden Behandlung seines verletzten Beines gefahren war. Frau v. Seeckt berichtet:

»Der 22. April, meines Mannes Geburtstag. Er kam mit den lustigen Worten: ›Klumpfuß heilbar‹, was sich auf eine Satire Julius Stettenheims, ›Berliner Winter‹, bezog, in unseren Salon im Hotel Dunapalota, wo denn nachträglich mein Schrecken über das unbeholfene Bein doch nicht gering war. Kurz darauf kam Professor Gergö und die Abnahme des Verbandes sollte beginnen. ›Heißes Salzwasser‹, rief er. Das war schließlich herzuschaffen, wenn auch Eimer dafür in so modernen Schlafzimmern nicht standen. ›Essig!‹ befahl der Arzt. Es wurde in den Speisesaal geschickt, wo der Kellner ein kleines Flacon, wie es zur Salatbereitung gebraucht wird, anbrachte. ›Einen Eimer voll‹ – – ja, und nun war es Sonntag! Mit bittendem Zureden wurde der Koch bewogen, einige Flaschen abzugeben.

Wir machten an einem der folgenden Tage einen Besuch in Fóth bei der Gräfin Fanny Karólyi. In der Herrschaft Fóth waren die Büros untergebracht, in denen man sich Auskunft über Verwandte, Gefangene, Hinterbliebene erbitten konnte, was bei der Vielseitigkeit der Sprachen große Schwierigkeiten verursachte. Mit besonderer Bereitwilligkeit wurden die deutschen Truppen bedient. Später, im Dezember 1918, hat die Gräfin Karólyi-Fóth mutig den Feldmarschall v. Mackensen bei sich aufgenommen.«

Da der Arzt mit der Heilung zufrieden war und Seeckt wieder normal gehen lernte, konnte er am 26. April nach Márosvásárhely zurückfahren, wo er am 28. ankam. Seeckt hat anschließend daran noch eine Erholungsfahrt über Schäßburg und Kronstadt nach dem Königsschloß Pelesch bei Sinaia unternommen; dem Schloß der reine par choix du peuple, poètesse par grâce de Dieu Unterschrift der Königin Carmen Sylva unter freundschaftliche Briefe.. Von dort ging es nochmals nach Budapest. Am 15. Mai ist Seeckt wieder in Márosvásárhely.

Der erste Brief nach der Rückkehr drückt nicht gerade Zufriedenheit aus mit dem, was er vorfindet. Es wird sich in der Hauptsache darum gehandelt haben, daß die Propaganda zu einer Waffenstillstandspropaganda umgewandelt werden sollte. Seeckt scheint der Gedanke an sich recht, aber insofern nicht ganz genehm gewesen zu sein, als er den einzelnen Waffenstillstandsbedingungen nicht zustimmt und auch die Entsendung von Parlamentären zu den russischen A.O.K.s nicht will. Er verlangt Handlungsfreiheit für den Fall eines feindlichen Angriffs, was er eigenartigerweise gegenüber der k.u.k. O.H.L. nicht erwähnt.

»D. 17. Mai 1917 … Der Doktor war zufrieden und prophezeite Abnahme des Stelzfußes in vierzehn Tagen …

Zu meiner Überraschung sehe ich eben, daß der Kalender einen roten Tag zeigt, und entdeckte, daß heute Christi Himmelfahrt ist. Man wird doch der reine Heide. Der Tag kam so unvermutet und unverdient mitten in der Woche, und man freute sich nur auf einen etwas faulen Morgen. Davon ist aber nun heute kaum die Rede bei mir. Ganz interessant die Verhandlungen mit den Russen. Es war aber hohe Zeit, daß ich wiederkam; sie hatten trotz Telephon und Hughes hier und anderen Ortes so viel, wie nur möglich war, nicht so gemacht, wie ich es für richtig gehalten hätte.

Meine Dicke fehlt mir sehr. Es war doch sehr, sehr hübsch, Dich hier zu haben. Wie lieb hast Du mich unterstützt und mir geholfen.

Nun habe ich gar nichts zu erzählen …

Ärger fand ich hier nicht vor, aber Arbeit, und ich ärgerte nur die anderen. Wenn Ärger weh täte, schrie ich den ganzen Tag abwechselnd Eljén und Servus! Die Laune ist aber ganz gut dabei, was auch wohl mit der Aussicht zusammenhängt, am nächsten Sonntag mein zweites Bein wieder zu bekommen. – Der Erzherzog fährt heute wieder über Budapest nach Baden, politische Gründe.

Ich politisiere mit meinen Russen, ganz unterhaltend, und habe als Berater für die Behandlung einen russischen Offizier hier bei mir …«

Seeckt hätte eigentlich über die Verwirrung, die in die Propaganda hineingekommen war, nicht weiter verwundert sein können. Er war unterrichtet, daß es sich in diesen Tagen darum handelte, ob von Front zu Front oder von Stäben zu Stäben über einen Waffenstillstand verhandelt werden sollte. Er wußte, daß hierbei an der Front Schwierigkeiten aufgetreten waren. Dennoch ist er abwesend, fährt nach Budapest und über Siebenbürgen erneut nach Budapest. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, daß er unter solchen Umständen nicht freiwillig, sondern mit einer bestimmten Mission beauftragt gefahren sei. Jedoch ist dies lediglich eine Vermutung. Unmittelbar nach seiner Rückkehr erreicht Seeckt jedenfalls eins, daß die Befehle, die nun herausgehen, absolut klar sind und den unteren Dienststellen unmißverständliche Richtlinien geben. Das war bisher wirklich nicht der Fall gewesen. Es wird nunmehr eine Aktion im größten Stil eingeleitet, die ein Waffenstillstandsanerbieten zur Feindseite hinüberbringt. Hatte man sich, wie gesagt, an den obersten Stellen gestritten, ob man an die russischen Regimentskomitees oder durch »Deputationen« an die A.O.K.s herantreten sollte, so schaffte Seeckt den Streit sehr einfach aus der Welt, indem er beides tat. Die Maßnahme macht großen Eindruck auf die russischen Mannschaften und jüngeren Offiziere, Widerstand entsteht bei den höheren Offizieren.

Seeckt beurteilt als Ergebnis die Stimmung bei den Russen mit einer bemerkenswerten Sicherheit Heeresarchiv Potsdam, Akten 56 und O 1126.. Die Masse des russischen Heeres sei kriegsmüde. Die Intelligenz habe sich aus Besorgnis vor der Masse England in die Arme geworfen. Die englische Propaganda habe große Teile des Volkes bereits wieder für ein Kriegsprogramm gewonnen, freilich noch nicht völlig gesiegt. Der Russe dürfe von uns nicht hingehalten werden, weil er sonst den Glauben an unsere Ehrlichkeit verliere. Deshalb müsse dem Waffenstillstandsangebot ein ausschließlich an die Russen gerichtetes Friedensangebot auf dem Fuße folgen. Seeckt macht dann einen in die Einzelheiten gehenden Vorschlag für den Wortlaut des Friedensangebotes.

Seeckts Friedensvorschläge Heeresarchiv Potsdam, Kriegstagebuch Nr. 4 der Heeresfront, Akten 56 und O 1126. waren im wesentlichen folgende:

Das Friedensangebot müsse sich ausschließlich an Rußland richten. Der russische Soldat und das russische Volk hätten für nicht-russische Fragen gar kein Verständnis. Für Elsaß-Lothringen setzte der Russe nicht sein Leben ein. Andererseits müsse das russische Volk das Zutrauen gewinnen, daß die Mittelmächte nicht nach Friedensschluß mit Rußland sich auf die Westmächte stürzten, um später dann doch Rußland erneut anzugreifen. Litauen und Kurland seien für Rußland gleichgültig, dort könne man »Grenzberichtigungen« vorschlagen. Sonst aber sei zu betonen, daß man weder Eroberungen noch Kontributionen wolle. Die Moldau-Frage überlasse man am besten einer Auseinandersetzung zwischen den Russen und Rumänen unter sich. Polen solle ein selbständiger Staat werden Als Seeckts Ansicht auffallend., dessen Grenzen später festzusetzen wären. Schließlich solle man gute Dienste für die Regelung der Dardanellen-Frage, falls Rußland auf Konstantinopel verzichte, und überhaupt für außereuropäische Fragen anbieten.

Ende Mai machte Seeckt noch einen interessanten Vorschlag Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1126.. Von einem russischen Regiments-Komitee war wiederholt die Besorgnis ausgesprochen, daß Japan sich im Falle eines russischen Sonderfriedens einmischen würde. Seeckt schlägt vor, die Versicherung abzugeben, daß die Mittelmächte keinesfalls angreifen würden, falls die Russen Truppen aus ihrer Westfront abziehen sollten, um sie im Fernen Osten einzusetzen. Dieser Vorschlag findet Ludendorffs Zustimmung.

Leider ist die Gegenseite keineswegs müßig. Es mehren sich die ersten Anzeichen beginnender Offensiv-Vorbereitungen sowohl bei den Russen wie bei den Rumänen. Am 18.5. wird das russische Kabinett umgewandelt, in dem Kerenski ein gefügiges Werkzeug der Entente ist.

Die Vorbereitung eines feindlichen Angriffs kann nicht verhindern, daß die Heeresfront, »die schwächste in ganz Europa«, noch weiter geschwächt wird. Seeckt erhebt Einspruch. Dennoch gelingt es nicht, alle verlangten Abtransporte zu verhindern.

Ende Mai hat Seeckt den Eindruck, daß das Ausbleiben bestimmter Erklärungen über die Kriegsziele das Mißtrauen der Russen erregt und daß die Gegenpropaganda die Oberhand gewonnen habe. Er versucht am 25.5. nochmals einzugreifen, ohne eigentlich Entscheidendes zu erreichen. Jedenfalls ist ein »Wendepunkt in der Propaganda« eingetreten Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1126.. Seeckt glaubt nicht mehr an einen baldigen Frieden. Er sieht im Sommer den drohenden Angriff und bereitet jetzt schon einen neuen Kriegswinter vor.

Die Briefe von Ende Mai:

»D. 23. Mai 1917 … Vor mir sieht ein neuer Strauß von Schneeballen und Päonien, dazwischen eine dunkle Irisblüte. Ich schwelge in Farben und finde, man sollte Blumen nur in Silber oder durchsichtigem Glas vor sich sehen. Was sonst Menschenhand dazu tut, ist zu ärmlich gegen die reiche Gebehand der Natur …

Was sagst Du, daß Tiszá gleich, nachdem er Dich kennenlernte, seine Demission eingereicht hat? Was hast Du für Einfluß! Nun muß mein Erzherzog helfen, der übermorgen wieder in Baden ist.

Wenn ich Sonntag mein Bein los werde, so gebe ich ein Fest, schade, daß Du nicht dabei bist.

D. 25. Mai … Die intensivere Tätigkeit der letzten Tage machte die Trennung etwas weniger fühlbar. – Gestern fuhr ich zweimal zu meinem Übungskursus. Vormittags Vorträge, nachmittags Schießen. Immer um fünf Uhr heraus, bin abends zurück, dann habe ich Schweden zu Tisch und mir Litzmann eingeladen, Deinen Freund. Für Unterhaltung ist also gesorgt …

Heute fällt in Baden die Entscheidung. Hier gehen Gerüchte um, daß mein Erzherzog Ministerpräsident oder gar Palatin, d. h. Statthalter in Ungarn werden solle. Vorläufig nur Gerüchte, aber nicht so abwegige, wenn ich auch die Min.-Präsidenteneigenschaft für ihn für einen Unfug halten würde wegen der parlamentarischen Vertretung. Die Wiederherstellung der seit 1848 ruhenden Palatinwürde wäre kein schlechter Ausweg, bedeutet aber eine Verfassungsänderung … Ich würde das Scheiden des Erzherzogs von uns sehr bedauern und will daher noch nicht recht daran glauben.

In Italien ist es vorgestern nicht gut gegangen; die Italiener haben einen tüchtigen Schritt vorwärts auf Triest zu gemacht, und man hofft, es ist gestern zum Stehen gekommen. Ich habe die Empfindung, daß die Österreicher sich trotzdem gut geschlagen haben. Mit dem nächsten Kurier kann ich Dir mehr erzählen, auch von uns, wo ein komischer Krieg herrscht …

Pfingsten 1917 … Bei mir ist nun gestern der große Tag gewesen, der mich von meinem Bein befreite. Ich habe einen richtigen Stiefel an und gehe wie ein anderer Mensch. Mittags war ich im Lazarett und wurde dann freigesprochen, nachdem die Röntgenaufnahme Gutes zeigte. Mit leichter Bandage konnte ich gleich überraschend gut gehen. Der Arzt hat seine Sache ganz ausgezeichnet gemacht … Somit können wir diesen Zwischenfall als beendet ansehen …

Morgen soll, wenn nichts dazwischenkommt, mein Erzherzog zurückkehren, was mich sehr beruhigen würde; denn ich lege auf einen Wechsel gar keinen Wert. Bis heute ist der Nachfolger Tiszá noch nicht genannt. Amüsant ist, wie dieses Zeitungspack umschwenkt. Der Pester Ll. findet es jetzt schon begreiflich, daß der König nicht mit Tiszá einverstanden sei und wird ihn morgen beschimpfen …

D. 29. Mai. Ob die Ruhe unserer Front und unseres Lebens noch lange anhält, ist mir fraglich …

In Italien ist bisher alles noch leidlich gegangen, aber sehr starke Verluste …, für die wir von hier Ersatz aufbringen müssen … Im Westen erwarte ich noch einen großen Angriff der Engländer auf dem Lande und von der See. Interessant ist Japans Vorschieben in den Rücken Rußlands … In diesem merkwürdigen Krieg hat England nun seine beiden Bundesgenossen, Rußland und Frankreich, besiegt, den Feind, uns, noch nicht. Mit allen Mitteln arbeitet England und Amerika daran, Österreich von uns abzuziehen … An einen Abfall Österreichs ist ja nicht zu denken, aber seine Ansprüche werden darum nicht kleiner, natürlich. Ich weiß zur Zeit viel, da gestern abend der Erzherzog sein Herz mir ausschüttete und alles sagte, was er wußte. Schade um die Sache, da ich gar keinen Gebrauch für unsere Interessen davon machen kann, da man aber kein Vertrauen in mein Urteil setzt und es nicht fordert, habe ich keinen Grund, es aufzudrängen und daneben wäre es ein Vertrauensbruch gegen den Erzherzog.

Er ist beinahe Ministerpräsident geworden. Der Kaiser hat es ihm formell angeboten, er hat aber nach zweitägiger Bedenkzeit abgelehnt, da er in der Wahlrechtsfrage einen etwas anderen Standpunkt hat als der Kaiser. So war er nur Mittelsperson. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß der Erzherzog doch noch dran muß; er hofft: Nein – und ich mit ihm und auch für ihn. Neben dem Wahlrecht spielt die ungarische Heeresfrage eine entscheidende Rolle, und da ist es mir nun sehr interessant, daß Wekerle mit Andrássy und Apponyi die Forderung gestellt hat, die ich ihnen im Januar 1917 in Budapest als möglich und annehmbar vorschlug Wesentlich ist nur die Tatsache, daß Seeckt damals Vorschläge gemacht hat. Der Inhalt dieser Vorschläge ist inzwischen gegenstandslos geworden. und die ich denn auch mit dem Erzherzog besprochen hatte. Der Kaiser hat ihre Vorschläge grundsätzlich angenommen, nachdem der Erzherzog sie vertreten hatte.

Wekerle ist zweifellos der beste Kopf, schon Min.-Präs. gewesen, großer Finanzmann und kein Kampfhahn, ausgesprochen deutschfreundlich; er steht Andrássy nahe, gehört aber nicht zur Partei. Ich hatte mich lange und ausgezeichnet mit ihm unterhalten.

Soweit Politica für Dich und für mich zur späteren Erinnerung …

D. 31. Mai … Viel zu tun und namentlich politisches, doch, denke ich, das Kriegerische kommt auch bei uns bald wieder zur Geltung.

Gestern war ›Heiliger Ferdinand‹ und ich telegraphierte dem weniger Heiligen in Sofia meinen Glückwunsch. ›Für treues Gedenken sage ich Ihnen, verehrter Freund, meinen gerührten Dank, herzlichste Grüße und unentwegte Erinnerung – Tsarya‹, war die Antwort. Ich bemühe mich, für uns aus dem Land Vorräte zu ziehen. Meine Behauptung, daß hier noch reichlich solche vorhanden seien, und der Zustand, daß wir Österreich aushülfen, während sie selbst nicht wagten, den Ungarn etwas abzunehmen, sei unerträglich, hat wie eine Bombe eingeschlagen; Telegramm vom Stellvertreter des Reichskanzlers usw., ich soll da helfen. So mache ich mir aus einem Offizier meines Stabes und einem Intendanturrat einen Wirtschaftsstab.

Viel zu machen wird nicht sein; denn letzten Endes scheitert doch alles an der Verständnislosigkeit und der Sorge vor Konflikten … Ich habe es bald satt.

Im fernen Österreich ist der Reichsrat eröffnet. Ob wohl die deutsche Volkspartei dort wieder ihr: ›Hoch und Heil den Hohenzollern!‹ ertönen läßt? In unserem Reichstag sind wir ja vor diesem Ruf sicher! …«

An die Mutter:

»D. 30. 5. 17 … Die russischen Verhältnisse sind durchaus unklar. Die Gefahr, den Erzherzog als Ministerpräsidenten zu verlieren, war zeitweise groß, doch ist sie wohl augenblicklich abgewendet; ich hätte es sehr bedauert … Dodo schrieb nach allen den neuen und zum Teil eigenartigen Eindrücken, die sie hier von der Natur gehabt hatte, so entzückt von dem deutschen Frühling und der Heimat … Es tut dem Menschen gut, wenn er sich vom Menschlichen in das Landschaftliche flüchten kann, und ich freue mich, wenn ich es auch wieder kann. Komme ich hier in die Natur, so sehe ich doch pflichtgemäß sie nur als Hintergrund für ein Schlachtenbild …«

Seeckt hat in dieser Zeit drei sehr wesentliche Ausarbeitungen verfaßt. Eine ist die Denkschrift über die Verpflegungslage Ungarns. Der im Brief vom 31. Mai erwähnte Bericht, der wie eine Bombe gewirkt habe, fußte auf einer Darstellung des Feldmarschalleutnants Alfred Krauß. Es sind sehr ernste Gedanken, die Seeckt im Anschluß daran ausführt, um zu versuchen, die Ernährungsnot zu bannen.

Außerdem verfaßt Seeckt eine umfangreiche Arbeit über die k.u.k. Armee, deren Veranlassung bereits erwähnt worden war. Auch hier handelt es sich natürlich um Dinge, die im wesentlichen der Vergangenheit angehören. Es ist jedoch auch heute noch immerhin von einigem Interesse, in Stichworten wesentliche Punkte festzuhalten.

Die Denkschrift beginnt mit den Worten: »Die Heere unserer Zeit sind Volksheere. Ihre Eigenart ist die ihres Volkes. Sie wird erst verständlich durch das Wesen der Gesamtheit.« Seeckt führt dann aus, daß Österreich-Ungarn national und politisch eben keine Einheit war. Infolgedessen fehlte diese Einheit auch der Armee. Die Armee wurde zum Handelsobjekt der inneren Politik. »Die Schwankungen der inneren Politik, der Angelpunkt in der Nationalitätenfrage brachten es mit sich, daß die Armeen nicht zu einer über dem Völkerzwist stehenden Ruhe kommen konnten … Der Geist der altösterreichischen Armee ist ein zentralistischer. Sein Ideal ist das kaiserliche Einheitsheer … Dies Einheitsheer mag dem Außenstehenden als ein Ziel erscheinen … Dem genauer Zusehenden erscheint es als etwas Unerreichbares. Unweigerlich muß die Armee im großen der historischen Entwicklung des Staatslebens folgen …« Das sind harte und ungewohnte, aber wohl recht einsichtige Worte. Seeckt stellt dann fest, daß die Ungarn eine eigene nationale Armee anstrebten. Er enthält sich des Urteils darüber, ob dies richtig oder falsch sei. Ihm erscheint es vom rein nationalen Standpunkt aus verständlich. Im übrigen bemerkt er, daß »der brave ungarische Soldat sich schließlich überall oft mit einem leicht orientalischen Fatalismus schlug, daß aber die nationale Begeisterung erst hinter ihm stand, wenn der Russe oder Rumäne an seine Grenzen pochte«. Seeckt erwähnt dann die Nachgiebigkeit gegenüber der tschechischen Propaganda, die tief in die Armee eingedrungen gewesen sei. »Die tschechische Propaganda hat ganz offen den Anschluß an ein großslawisches Reich betrieben und aus ihrer Neigung zu Rußland nie einen Hehl gemacht.« Der polnischen Frage mißt Seeckt in der Armee keine große Bedeutung bei. Dagegen hält er die an sich vielleicht nebensächliche rumänische Frage insofern für wesentlich, als man die Rumänen im Gegensatz zu den Ungarn zu begünstigen versucht habe. Dabei seien die Rumänen ein unzuverlässiges Element im Heer gewesen. Die Serben haben trotz zu lange geduldeter großserbischer Propaganda wenig versagt, die Serbo-Kroaten sich gut, die Bosniaken sich glänzend geschlagen. Seeckt schließt den allgemeinen Teil mit einem sehr bezeichnenden Satz: »Je besser man die Schwierigkeiten erkennt, um so größer wird die Hochachtung, daß die österreichisch-ungarische Armee das Geleistete tatsächlich geleistet hat.« Bei aller Kritik ist Seeckt dem Heer des Verbündeten stets gerecht geworden und hat seine Leistungen nie verkannt.

Es folgen dann Ausführungen über den österreichisch-ungarischen Generalstab. Seeckt urteilt günstig, wenngleich ihm der Generalstab etwas zu methodisch arbeitet. Danach schreibt er über das Offizierkorps: »Auf dem schwankenden Boden des österreichisch-ungarischen Staatslebens gedeihen Herrennaturen nicht leicht … Der Gehorsam ist meist starr; er wird zur angenehm empfundenen Enthebung von der Verantwortung.« Er erkennt dann aber sofort an, daß sich unter den älteren Offizieren eine Reihe sehr gebildeter Männer befanden, wie überhaupt die theoretische Schulung im Frieden recht gut war. Es wäre nicht Seeckt, der diese Abhandlung verfaßte, wenn er nicht nachdrückliche Hinweise über die Charakterbildung eingeflochten hätte. Es ist selbstverständlich, daß er bei der Beurteilung der Mannschaft die Deutschen und Ungarn an erste Stelle und ein lobendes Urteil über sie fällt.

Die Disziplin ist ihm etwas zu äußerlich. Aber Seeckt ist einsichtig genug, sofort die Erklärung zu geben: »Die Regimenter sind der Mehrzahl nach ein Völkerwirrwarr. Die Leute werden oft von ihren Vorgesetzten und Kameraden nicht verstanden Frau v. Seeckt schildert nach einem Lazarettbesuch einmal, wie traurig es auf sie gewirkt habe, daß die Leute mit ihren Bettnachbarn sich nicht einmal soweit verständigen konnten, um miteinander zu plaudern..« Seeckt erklärt also, daß die Zusammensetzung eines Truppenteils zum wichtigsten Maßstab für die Beurteilung seines inneren Haltes wird. Es sind dies Schwierigkeiten, die die reichsdeutsche Armee niemals kennengelernt hat.

In dem Abschnitt über Taktik, an der er manches auszusetzen hat, unterläßt es Seeckt nicht, anzuerkennen, »daß die Verhältnisse, unter denen das österreichisch-ungarische Heer auf dem östlichen Kriegsschauplatz zu kämpfen hatte, sehr schwierige waren.« Er fügt außerdem hinzu, daß die sprachlichen Schwierigkeiten naturgemäß auch taktisch hemmen mußten. Es folgen dann eingehende Ausführungen über die einzelnen Führer, die einzelnen Truppenteile, über Bewaffnung und Ausrüstung, über die einzelnen Waffen, wobei die k.u.k. Flieger in hohem Maße anerkannt werden. Eine Zusammenstellung der Verluste enthält die ausdrückliche Feststellung, daß die österreichischen Verluste unverhältnismäßig höher gewesen seien als bei den deutschen Truppen, was allerdings Seeckt mehr als Vorwurf denn als Lob ausspricht. Schließlich ist es bemerkenswert, daß Seeckt meint, der Österreicher wäre wohl zum Angriff, aber nicht für die Verteidigung im schwersten Artilleriefeuer von der Zähigkeit der deutschen Truppen gewesen.

Man muß sich hier mit kurzen Andeutungen der sehr umfangreichen Schrift begnügen, und man muß immer wieder hervorheben, daß bei aller Kritik Seeckt die Leistung des österreichisch-ungarischen Heeres unter den nun einmal gegebenen Verhältnissen voll würdigte. Es ist überdies eine stilistisch meisterhaft entworfene Abhandlung. Heute gehört sie so sehr der Vergangenheit an, daß, so interessant sie an sich einmal gewesen ist, weitere Ausführungen darüber sich erübrigen.

Außer der militärischen Beurteilung österreichisch-ungarischer Verhältnisse sendet Seeckt an den Chef des Generalstabes des Feldheeres im Juli eine lange Schilderung der politischen Lage Heeresarchiv Potsdam Akte P 54.:

»E. E. halte ich mich zu vorstehender Darlegung der politischen Lage in Österreich-Ungarn, wie sie sich mir auf Grund persönlicher Beziehungen darstellt, für verpflichtet.

Es sind seit einiger Zeit, verstärkt seit etwa drei Monaten, in beiden Hälften der Monarchie Bestrebungen im Gange, welche letzten Endes die Lockerung oder Auflösung des Bündnisses mit Deutschland zum Teil zum Ziel haben. Diese Bestrebungen, bisher mehr oder weniger bedeutungslos, … haben jetzt eine Bedeutung erlangt, die unmittelbar auf unsere Kriegführung von Einfluß werden kann.

Mit von den wenigsten Stellen geahnter Stärke haben sich in Österreich selbst die Kräfte hervorgewagt, welche die Durchführung des Nationalitätenprinzips und damit die Gründung eines föderalistischen Staates als ihr Ziel erklären … Es darf darauf hingewiesen werden, daß im österreichischen Abgeordnetenhaus von tschechischer Seite offen ausgesprochen wurde, man kämpfe auf der falschen Seite. Die Antwort war der Amnestieerlaß! … In dem angestrebten Bundesstaat wird für ein Bündnis mit Deutschland keine Majorität sein … Es liegen meines Erachtens jetzt Anzeichen vor, welche auf ein Entgegenkommen von maßgebender Stelle gegenüber den gezeichneten Bestrebungen deuten. … Der Beweggrund für diese Politik, welche das bisherige Fundament des Staates, die deutsche Vorherrschaft, beseitigen muß, ist die Furcht Hier stand erst das Wort: »Sorge.« Seeckt hatte eine derartige Abneigung gegen die Begriffe »Angst« und »Furcht«, daß er sie sogar mündlich fast nie verwendete. So hatte er gewohnheitsmäßig auch hier zunächst »Sorge« geschrieben. Daß er änderte, gibt dem Wort »Furcht« besondere Bedeutung. vor inneren Erschütterungen und die Überzeugung, durch Entgegenkommen gegenüber allen wirklichen oder vermeintlichen Volkswünschen die drohende Gefahr beschwören zu können … Ein Österreich mit ausschlaggebend slawischem Einfluß wird weder bündnisfähig noch bündniswillig sein. Das könnte man einer Zukunftsentwicklung überlassen, wenn nicht die gleichen deutschfeindlichen Elemente es wären, die zu einem Frieden drängten, den auf Kosten des Deutschen Reiches zu schließen sie jeden Tag bereit sind …

In Ungarn ist unbedingt deutschfreundlich der sehr einflußreiche Erzherzog Josef, mit ihm alle namhaften magyarischen Politiker. Somit wäre hier keine Sorge, … hätte nicht der Sturz des Grafen Tiszá alle Verhältnisse geändert … Die Gefahr besteht auch hier in dem Friedensverlangen des Trägers der Krone … Graf Czernin dürfte die pazifistische Richtung des Grafen Michael Karolyi in der Außenpolitik kaum voll teilen. Aber auch er ist ein Vertreter der Anschauung, daß Österreich-Ungarn am Ende seiner Leistungsfähigkeit sei.

So sehen wir in beiden Hälften der Monarchie Kräfte am Werk, die uns feindlich sind und deren zunehmenden Einfluß zu verkennen, gefährlich werden könnte.

Es scheint mir nach dem Vorstehenden unerläßlich, die Stellung der Allerhöchsten Person zu diesen Fragen noch etwas näher zu erörtern. Zunächst muß ich zugeben, daß ich mein früheres Urteil über die wahrscheinliche Entwicklung des damaligen Erzherzog Thronfolgers als Monarch in vieler Beziehung habe berichtigen müssen. Ich hatte seine Zugänglichkeit für persönliche Beeinflussung unterschätzt und die damals von ihm mehrfach ausgesprochene Überzeugung von der Notwendigkeit der Vorherrschaft des Deutschtums und des Magyarentums in den beiden Reichshälften für fester begründet gehalten. Unterschätzt hatte ich die Wirkung des gekränkten Selbstbewußtseins des Obersten Kriegsherrn angesichts des vielfachen Versagens seiner Truppen und der dauernden Notwendigkeit der deutschen Hilfe. Ein Gefühl, das von vielen Seiten genährt, eine Abneigung gegen uns zur Folge zu haben scheint … Man täte S. M. gewiß unrecht, wenn man ihm illoyale Absichten uns gegenüber zutraute. Aber die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, … daß er es für seine Herrscherpflicht hielte, das Verlangen nach Frieden der Bündnispflicht voranzustellen … Ich erkenne unschwer in Äußerungen S. M. den Einfluß des Obersten v. Waldstätten und seiner pessimistischen Auffassung der Kriegslage …

Bei dieser Gelegenheit bitte ich, von einer Sache berichten zu dürfen Auch bei v. Werkmann erwähnt.. Der Erzherzog Josef erzählte mir, daß ihm … die Krone Rumäniens angeboten sei … Der Erzherzog hat nach reiflicher Überlegung … abgelehnt …«

Es muß auffallen, daß der Teil, der vom Kaiser Karl handelt, nicht abgegangen ist. Der nicht abgeschickte Teil umfaßt nicht weniger als fünf eng beschriebene Folioseiten, die hier gekürzt wiedergegeben wurden.

Seeckt hat außer den drei erwähnten Denkschriften noch eine kurze Ausarbeitung in dieser Zeit begonnen und in einer fein geschliffenen kurzen Ausführung Ende August beendet. Es sind Gedanken über Amerika Die Erörterung der amerikanischen Frage kehrt mehrfach im Briefwechsel wieder. Winterfeldt schreibt einmal an ihn: »Wäre die russische Revolution vor Amerikas Eintritt in den Krieg ausgebrochen, so hätten wir vermutlich jetzt den Frieden. Es ist das alte Bild der Koalitionskriege, die so schwer zu Ende kommen.«. Auch das ist vielfach überholte Vergangenheit. Aber einige Sätze mögen erwähnt werden: »Amerika kann in diesem Krieg, der letzten Endes über das Geschick der Erde entscheidet, nicht unbeteiligt bleiben.« Seeckt überrascht der Eintritt Amerikas in den Krieg also nicht nur nicht, sondern er sieht über Anlässe wie den Lusitaniafall und über alle Phrasen möglicher Kriegsgründe hinweg die einfache Notwendigkeit für Amerika gegeben. »Bei dem Friedensschluß ist die Rolle des Unparteiischen undankbar.« Dennoch hat sie Wilson zu spielen versucht. Vielleicht hat auch er sie nachher als undankbar empfunden. »In militärischer Beziehung ist Amerikas Hilfe rein sachlich zu betrachten. Es hat vor allem das, was Europa anfängt zu fehlen: Menschen … Man kann annehmen, daß etwa die Hälfte von einer Million Mann im Frühling 1918 eingreifen könnte … Alles in allem kein zu verachtender Kräftezuwachs des Feindes, kein kriegsentscheidender, aber ein kriegsverlängernder …« Seeckt schließt die kurze Darstellung mit Sätzen, die hingehämmert sind, wie es eben seine Art war: »Zunächst hoffte Amerika, seine Ziele ohne eigene Beteiligung zu erreichen. Unsere Niederlage war von Anfang an das klare Ziel, und mit einem Eingreifen Amerikas mußte stets gerechnet werden, solange wir nicht ohnedem zu besiegen waren.«

Da der Juni an der Heeresfront ziemlich ruhig bleibt, steht im Vordergrund die Propaganda. Man ist bestrebt, mit der Propaganda den zweifellos für die russische Regierung notwendigen Offensivstoß zu verhindern oder zu schwächen. Seeckt war auch weiterhin durchaus bereit, mit dem »Gift« der Propaganda zu arbeiten aus der Erkenntnis heraus, daß man aktiver Propaganda, wie sie die Russen betrieben, nur mit aktiver Propaganda begegnen könne. Er beschränkte sich auch nicht auf die Russen, vielmehr reichte er der O.H.L. Vorschläge über die Propaganda an der rumänischen Front Hierzu zog Seeckt den rumänischen Oberst Stourdza heran. Heeresarchiv Wien. ein.

Am 16. Juni wurde von den Russen an der Südwestfront der Angriffsbefehl gegeben: Hauptstoß gegen die k.u.k. 2. Armee auf Lemberg, Teilangriffe nördlich der Karpaten gegen die k.u.k. 3. Armee, Beginn am 29. 6.; Beginn an der rumänischen Front am 22. 7. Seeckt hat die drohende Feindoffensive etwas zu optimistisch beurteilt. Es stand ein russischer Großangriff bevor, den Seeckt in dieser Wucht und Ausdehnung doch nicht ganz vorausgesehen hatte. Es ist nun einmal Seeckts Art, die Dinge, wenn es irgend geht, optimistisch zu sehen. Er hat diese Eigenschaft an sich selbst mehrfach hervorgehoben. Daß sie ihn hier zu einer etwas günstigen Lagenbeurteilung brachte, hat der Sache nicht geschadet. Im übrigen rechtfertigt Seeckts Optimismus die Auffassung, die er in diesem Zeitpunkt vom Kampfwert der russischen Armee hatte. Auch diese Auffassung war, vom Standpunkt der Verbündeten aus gesehen, etwas zu günstig. Jedoch die Nachrichten rechtfertigten sie. Beim Armeekongreß in Petersburg wurde das Urteil gefällt: »Völliger Verfall des Soldatengeistes, der Disziplin, Herabsetzung jeder Autorität, Mißtrauen gegen die Offiziere, ungenügende Verpflegung.« Ludendorff sendet, was er geben kann, Artillerie auch von der Heeresfront Erzherzog Josef, zu Boehm-Ermolli, und teilt mit, Ob.Ost werde einen Russenangriff gegen Boehm-Ermolli mit einem Gegenangriff, Schwerpunkt Zloczow-Tarnopol beantworten. Das ist der Gedanke vom August 1916. Die Heeresgruppe bereitet sich auf die kommenden Ereignisse vor, so gut das mit den verfügbaren Kräften nun eben gehen mag. Das Ergebnis ist eine stärkere Besetzung des rechten und Schwächung des linken Flügels der 7. Armee, was in der Zukunft Bedeutung erhalten wird.

Kerenski hat der Armee durchaus noch Angriffskraft zugetraut, die beginnende Offensive hoffnungsfroh beurteilt und die Südwestfront in Galizien tatsächlich durch Kräftekonzentration sogar aus der rumänischen Front heraus gestärkt. Arz hat Ende August den fast sinnlos erscheinenden Kampf zu vermeiden versucht und Czernin zur Aufnahme offizieller Verhandlungen mit Russland gedrängt. Es kann sein, daß dies auf eine Anregung Seeckts hin geschah.

Eine Einzelheit sei erwähnt, weil sie symptomatische Bedeutung hat. Die deutsche O.H.L. verlangt eine Stellungnahme über Disziplinfragen, genauer über das Problem der Erhaltung und Besserung der Dienstauffassung. Seeckt macht in seiner Antwort bemerkenswerte Ausführungen über die Abfassung von Meldungen. Mit einer absoluten Unerbittlichkeit wendet er sich gegen den Unfug frisierter Meldungen. Man hat so oft gehört, daß die vorgesetzten Stellen selbst an der Art, Meldungen nach oben zu geben, schuld gewesen seien. Das ist im wesentlichen durchaus unrichtig, mag der Anschein auch oft das Gegenteil bezeugt haben. Gelegentlich sind überdies natürlich Fehler von Vorgesetzten gemacht. In der Hauptsache führt Seeckt die unrichtigen Meldungen auf die Jugend und mangelnde Erziehung der Kriegsoffiziere zurück. Seeckt hat in seinem Bereich die einwandfreie Meldung erzwungen, und er hat sie nach dem Kriege mit Härte durchgesetzt. Von ihm stammt das Wort, daß er sich Befehle »mit Augenzwinkern« verbäte. Nichts ist mehr geeignet, die Disziplin zu untergraben, als Befehle, die nicht klar sagen, was der Befehlende will; Befehle, unter denen der Untergebene etwas anderes verstehen soll, als der Wortlaut sagt. Aus solchen Befehlen entstehen Meldungen, die der Wirklichkeit nicht einwandfrei entsprechen.

In den letzten Junitagen beginnt das russische Vorbereitungsfeuer gegen die Heeresgruppe Boehm-Ermolli. Die Heeresfront Erzherzog Josef hat nur am 30. 6. auf dem linken Flügel der 7. Armee eine Feuerverstärkung zu ertragen. Für die in Galizien beabsichtigte Gegenoffensive erwartet Arz von der »bekannten Selbstlosigkeit und Großzügigkeit des Heeresfrontkommandos« die Abgabe weiterer Kräfte. Solche Worte waren in der Tat mehr als nur eine freundliche Bemerkung. Wo Seeckt Stabschef war, da war man allerdings selbstlos und großzügig. Seeckt bietet darauf eine Infanterie- und Kavalleriedivision an. Er hilft aber nicht nur mit Truppen. Er schließt sich auch in seinen Gedanken der neuen Entwicklung sofort an. Er erwähnt zum erstenmal den Gedanken, im Falle eines Gelingens der deutschen Gegenoffensive in Galizien auch mit der 7. Armee offensiv zu werden und stellt seine Propaganda sofort in den Dienst der von ihm beabsichtigten Offensive. Der Anschein soll erweckt werden, als wenn die Heeresfront unter allen Umständen ruhig bleibt, damit der Gegner sich möglichst schwächt.

Es folgen die Briefe vom Juni:

»Den 2. Juni 1917. Mein geliebtes kleines Katz – was für einen reichen Brief schriebst Du mir am frühen Pfingstmorgen! Wie arm kommen mir meine dagegen vor, im Ausdruck, aber nicht in der Liebe. Bleibe so wie Du mir immer gewesen bist …

Ich lebe den Dir nun bekannten Tag dahin und warte irgendwelcher Sensationen und neuer menschlicher Torheiten …

Vor 24 Jahren war es besser. Ich sehe mir das Bild von damals an, das ich immer bei mir habe, und dann das, was vor mir steht, und finde den gleichen lieben Menschen und finde mich selbst im Herzen ganz unverändert, nur weiß ich, daß die 24 Jahre Stück für Stück neue Liebe, neues Vertrauen und neue Unzertrennlichkeit dazu gelegt haben …

Vormittags wird jetzt immer eine halbe Stunde ›der Kunst geweiht‹, an einem Tag der Maler Hans Eder, dann der Photograph; gestern habe ich mir die Haare schneiden lassen, daraufhin hat heute Sommerfeld, der Karikaturist, mich gezeichnet …

Bei meinem heutigen Spaziergang fand ich vor den Villen eine derartige Rosenpracht, daß mir ganz wirr vor den Augen wurde und die Sehnsucht, selbst so etwas zu besitzen, groß wurde …

Augenblicklich beschäftige ich mich mit Ausfuhr aus Ungarn und werde mich damit wohl nach allen Seiten unbeliebt machen. Es ist zu hübsch: In Budapest sitzen vier verschiedene Stellen, die alle zum gleichen Zweck da sind und gegeneinander arbeiten. Sind sie einmal einig, so kommt eine fünfte Stelle in Wien und verdirbt auch das …

D. 4. Juni … Die ungar. Frage ist noch nicht gelöst und damit wächst die Möglichkeit des Eingreifens meines Erzherzogs leider wieder. Er kann schon Ministerpräsident werden, wenn es auch ungebräuchlich … Es gibt bei den Kindsköpfen, die sie eigentlich alle sind, tausend Schwierigkeiten, eine der großen ist aber die, daß der junge Herr guten Willen und Eingebildetheit, aber keine Courage besitzt. Wird es ernst, kriecht er doch zu Zita ins Bett. Schließlich wird er noch Tiszá belassen müssen …

Wir wollen heute nicht mehr von Politik sprechen, die wirklich immer gräßlich ist … Mein Erzherzog muß heute noch kommen; es spielt eine ungar. Theatertruppe hier und da muß er doch hin … Es ist ganz fabelhaft, wie der gewöhnliche Mann ihn liebt, aber er kennt auch jeden Soldaten, der in seiner Division war. Neulich schrieben die Leute von einem Bataillon an ihn, er möchte sie besuchen, und da fuhr er gleich hin und sprach vier Stunden lang mit ihnen. Freilich die Folge ist, daß sich auch die Leute mit Bitten und Beschwerden gern direkt an ihn wenden, was sich mit der militärischen Disziplin nicht immer verträgt, aber die ist mir hier weniger wichtig als die Sorge für die Leute, die mir hier nicht ausreicht …

D. 5. Juni. Du beunruhigst Dich noch, ob Fk. in der Türkei das Nötige leisten würde. Ich halte ihn nicht für so ungeeignet, kann aber dort die Verhältnisse schlecht beurteilen. Er steht sich persönlich sehr gut mit Enver und ist doch auf alle Fälle frisch. Jedenfalls ist er ganz aus dem Weg und außer Sicht und das ist wohl das Entscheidende gewesen. Er wie ich stammen noch aus der Zeit des Krieges, in der wir nur Niederlagen erlitten, während man nun von Sieg zu Sieg schreitet. Aber denke nicht, daß ich nicht die Abwehr im Westen sehr hoch einschätze; die Truppe leistet Unglaubliches dort und es scheint alles gut organisiert; freilich auf der ganzen Front nur Abwehr und kein Gedanke an eigene Unternehmungen. Ich denke, die Monate Juni, Juli werden noch heiß genug, wohl auch bei uns; denn auf die Dauer kann dieser Zustand nicht bestehen bleiben in Rußland und Rumänien, wenn wir es ihnen auch nach Kräften erschweren, mit ihren Armeen noch einmal loszuschlagen; aber England, Japan und Amerika sitzen ihnen im Rücken. Da bin ich doch wieder bei der gräßlichen Politik …«

Dieser fast plötzlich und in teilweise so bitterironischen Wendungen ausbrechende Groll muß einen Anlaß gehabt haben, den wir nicht kennen. Der Groll, oder, wenn man will, die Resignation, bricht von da ab häufiger hervor. Seeckt schreibt sogar an die Mutter: »... Ich bin nicht immer allzu zufrieden mit dem, was getan wird.« Da Seeckt aber von Niederlagen schreibt, er, der vielmehr Niederlagen aufgefangen und ausgeglichen hat, drängt sich doch eine Vermutung auf. Ludendorff mag Seeckt nicht für unbeteiligt an den voraufgegangenen Rückschlägen bei der Heeresfront Karl und dem Nichtdurchdringen des Angriffs Geroks bei der Heeresfront Josef gehalten haben. Seeckt muß das gefühlt oder erfahren haben. Der innere Abstand der beiden Männer, schon vorher im Entstehen begriffen, beginnt bewußt zu werden. Wesensmäßig war der Abstand wohl von der Natur gegeben. Dabei waren beide Männer viel zu groß, als daß die Einstellung zueinander andere als aus den Umständen sich ohnehin bietende Formen hätte annehmen können.

»D. 9. Juni … Nach einer gestern hier eingegangenen Nachricht soll das ungarische Ministerium gebildet sein; Präsident Moritz Esterhazy, unbedeutend, kränklich, versöhnlich, 35 Jahre; dann sollen sich Julius Andrássy und M. Karolyi bereiterklärt haben, außer Graf Bethlen. ›Lauter Grafen‹! und die großen Grundbesitzer Ungarns, die das demokratische Wahlrecht machen sollen! Das Ganze ein Witz, eine Koalition, um über Tagesschwierigkeiten fortzukommen, ein Fortwursteln. Nur keine Schwierigkeiten. Ich bin gespannt, was der Erzherzog sagt …

D. 12. Juni 1917 … Morgen vor einem Jahr zog ich vom Balkan nach Galizien und stehe nun ein Jahr lang im k.u.k. Dienst, auch ein Erinnerungstag … Ich will gleich mit Gräser eine Autofahrt machen. Ich muß einmal aus dem regelmäßigen Geschäftsleben heraus – ich fühle es selbst und der Tag ist dazu strahlend und Gräser eine Begleitung, die nicht unnötig redet und fragt …

Bei der Verwendung von J. fällt mir ein, daß ich auch ganz gern milit. Badedirektor irgendwo wäre, wo es keine Zigeuner gibt und man mit Maxe im Sand spielen könnte J. war Kommandant der Insel Sylt.!

D. 14. Juni … Der Besuch des Erzherzogs Franz Salvator ist etwas anstrengend. Erst empfing ich ihn am Bahnhof, dann aß ich mit ihm bei einer östr. Formation, dann aß er abends bei uns. Es freute mich ja, daß es ihm so gut bei uns gefiel, aber es war etwas lang; glücklicherweise war sonst nichts los. Heute muß ich noch einmal mit ihm ins Spital und dann mit allen Sanitätsoffizieren essen. Er ist außerordentlich einfach und behaglich, wie die meisten von ihnen; er wurde bald vertraulich, und dann waren wir mitten im Familienklatsch, wobei dann die ganze Wut auf den ermordeten Franz Ferdinand wieder ans Tageslicht kam … Außer seinem sehr netten Oberhofmeister Exz. von Lederer begleitete ihn der Vizepräsident, ein mir aus Budapest bekannter Graf Széchényi, eine besonders angenehme Persönlichkeit, der über die Ministerfrage in Ungarn entsetzt ist. Und nicht mit Unrecht. Jetzt den Mann stürzen, der doch schließlich eine Autorität hatte, ohne in der Lage zu sein, ihn zu ersetzen, ist eigentlich unverantwortlich. Ich habe ja nie daran gezweifelt, daß der junge Kaiser mit Tiszá nicht regieren wolle und nach der erzwungenen Krönung schon gar nicht …

Meinen Morgenspaziergang habe ich gemacht mit gewohntem neidvollen Blick auf die Villa mit dem Rosengarten; eine ähnliche müssen wir uns mal anschaffen, aber nicht in Márosvásárhély, welches anfängt, mich zu langweilen …

D. 16. Juni … Geliebte Dicke Du, es ist noch ziemlich früh, und ich habe also auf meinen nüchternen Magen schon einen Kaiser genossen. Ich will nun aber hinterher nicht so tun, als ob mir das gar keinen Eindruck gemacht habe; denn ich entdecke doch, in welch komischer Weise mein Herz an dem Jungen hängt. Ich freute mich, als ich ihn sah, und er war trotz allem gegen mich von einer reizend herzlichen Art, daß ich ganz warm wurde. Es dauerte ja nicht lange mit Ehrenkompanie und Meldungen, aber dann nahm er mich allein, und nun kam in aller Eile alles, was er auf dem Herzen hatte: Polen, Litauen und Kurland, das neue ungarische Ministerium, die Nationalitätenfrage und der Reichsrat in Österreich, seine Sorgen – und das alles so kindlich und so ganz wie früher –, dazu dann die kleinen Äußerlichkeiten: der jüdische Minister Vaczony, den er gestern auf die Jungfrau Maria und den Heiligen Stephan vereidigt habe – und immer: Was haben Sie gesagt? Was sagen Sie dazu? Wissen Sie noch, wie wir damals darüber sprachen? Er wird wohl mit der Überzeugung abgereist sein, daß ich ihm ganz zugestimmt habe; denn er sprach die ganze Zeit allein und hörte und wollte gar keine Antwort. Der Abschied war sehr herzlich, noch aus dem Wagenfenster heraus ein: ›Ich habe mich so gefreut, Sie wieder zu sehen‹, und ich konnte es ihm fast glauben. Das ist so: Ist er mit mir zusammen, kommt das Gefühl über ihn, jemand zu haben, dem er vertrauen kann, der nichts – wirklich gar nichts – von ihm will und der ihm in seiner Art ergeben ist; in der Entfernung bin ich ihm eine unangenehme Erinnerung …

D. 17. Juni … Gestern hatte ich Deinen sehr lieben Brief, der begeistert und sehnsüchtig das Landleben besang – ja, Gott gebe, daß wir auch mal etwas Ähnliches erreichen! …

Die Politik ist langweilig – daher schreibe ich nichts davon … Das ist das Einzigste. Ich bin besonders stumpfsinnig, aber ich grüße Dich.

D. 19. Juni … Der Kaiserbesuch ist gut verlaufen, wenn man davon absieht, daß ein Flieger unnötige Kapriolen machte und dabei abstürzte. Nun erscheint die Möglichkeit eines Besuches unseres Herrn am Horizont. Er will nach Bukarest (d. h. er darf jetzt dorthin, nachdem Fk. nicht mehr dort ist), und wir hoffen, daß er uns auf der Reise dorthin oder von dort auch besucht.

Bei meinem gestrigen Morgenspaziergang hatte ich eine nette Begegnung. Zwei ältliche katholische Schwestern oder Nonnen hielten mich an, mit dem nicht sehr melodischen Schrei: ›Wir sind auch Deutsche!‹ Das waren sie, und zwar aus Oberbayern; eine Schule haben sie hier, in der aber ungarisch gesprochen wird und ungarische Staatsbürgerinnen haben sie werden müssen, die eine vor 25, die andere vor 19 Jahren. Sie waren einfach aus dem Häuschen, deutsch sprechen zu dürfen und zu hören; sie hatten Ferien und gingen in ihren Weinberg arbeiten. Wir haben lange miteinander geschwatzt. Aber was in aller Welt sollen sie hier? Katholisch können doch die Menschen allein hier werden und deutsch sollen sie nicht reden …

Eben war lange mein früherer Brotherr, General von Pflanzer, bei mir, keine angenehme Erinnerung.

Also mit den U-Boot-Erfolgen und überhaupt ist die Heimat mal wieder unzufrieden, das konnte ich mir denken … Gewiß könnte es nach außen glänzender aussehen: Flaggen und schulfrei sind selten geworden, aber trotzdem steht manches ganz gut.

Der Tag fängt an, drum lebe wohl für heute.

D. 22. Juni … Als interessanten Gast habe ich den rumänischen Oberst Sturdza hier, der mir allerlei Ratschläge zur Behandlung seiner Stammesgenossen geben soll; er kam vor einigen Monaten herüber, fand aber keine Nachfolger und möchte nun gern mit unserer Hilfe sein Vaterland retten.

Viel kleiner Ärger, da die Ruhe an der Front alle Welt zur Beschäftigung mit Nebendingen, zu Krakeel erregt … Ich habe nun diese Tätigkeit hier bald satt und ginge am liebsten ›in Pension‹ oder ›zum Kader‹, jedenfalls weg. Gestern habe ich aus reiner schlechter Laune einmal feste auf die Russen schießen lassen und bin nun heute gespannt auf die Entrüstung bei unseren Friedensfreunden hinter der Front.

Litzmann hat den Kaiser und den Erzherzog neulich bei dem Besuch in ungarischer Sprache begrüßt, was keinesfalls gefallen hat. Man sah darin nur den Versuch, die Ungarn zu gewinnen, und das verdirbt seine gute Absicht, sich den unterstellten Soldaten verständlich zu machen … Ich kann es nicht ertragen, daß ein verdienter deutscher General sich, ungenügend beraten, so der Kritik aussetzt … In einem Brief dieser Tage findet sich die Bemerkung: »W. R. schicke mir sein letztes kleines Werkchen, in dem er sich mit Glauben und Kirche ganz geschickt auseinandersetzt. Ich stimme darin mit ihm überein, daß ich die Staatskirche für ein Unding halte – und für ein unprotestantisches.«

D. 29. Juni … Ich kam nicht zum schreiben, da ich meist draußen und während meines Hierseins von vortragenden Menschen wie von Hornissen umschwärmt war. Sie müssen mich doch alle gar zu gern mögen, daß sie alle zu mir kommen!

Die beiden Tage waren knuffig heiß und dadurch tatsächlich anstrengend für alle Teilnehmer, aber lehrreich, auch für mich. Ich bin vor allem dankbar zufrieden mit der Tätigkeit meines Beines … Die Klagen über die Trockenheit aus der Heimat werden bedenklich. Waldow ist wütend, daß hier so unverdientes Wachswetter herrscht gegen die vielgeliebte Mark; aber es regnet eben über Weiße und Zigeuner …

Wie Du aus der Ztg. gesehen haben wirst, ist es an der Ostfront lebendig geworden; genau an der Stelle, an der sie uns vor bald einem Jahr zusetzten. Das kann natürlich die ganze Lage hier ändern; bei uns ist es sonst noch ruhig …«


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