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Stillstand auf dem Balkan

Die ersten Tage nach der Rückkehr aus Mézières sind für Seeckt reichlich damit ausgefüllt, eine Sonderschwierigkeit aus der Welt zu schaffen. Wenn die Bulgaren eine brauchbare Stellung haben wollten, vielleicht wenn die bulgarische Stellung da verlaufen sollte, wo sie den Bulgaren wunschrecht lag, so ergab das an einzelnen Stellen eine Überschreitung der inzwischen leidlich festgestellten griechischen Grenze. Es hat ein unendlich mühevolles Hin und Her vieler Schreiben, Telephongespräche und Berücksichtigung unzähliger Umstände nötig gemacht, ehe es bei diesen Grenzverletzungen zu einem brauchbaren Zustand kam. Was damals größter Kunst des Ausgleichs von seiten des Heeresgruppenchefs bedurfte, und was damals die Gemüter lebhaft erregte, kann hier füglich übergangen werden, da es auf den Gang der Ereignisse kaum einen nennenswerten Einfluß gehabt hat.

Der Übergang zum Stellungskrieg ist nicht mehr zu vermeiden. Seeckt leidet unter dieser Tatsache. Er schreibt unter dem 13.4.: »... Wir leiden an der Krankheit der Nebenfronten, dem Rückenmarksschwund. Im Stabe änderte sich viel. Voelckers ist gegenwärtig Chef der 11. Armee und behandelt mich mit Wohlwollen. So führe ich mit Dunst und Gräser ein durchaus vorzügliches und angenehmes Leben, wenigstens für mich. Denn mit Jugend und Passion habe ich noch stets arbeiten können …«

Die unerquickliche Lage an der Front führt schon Mitte März zu Gefechten mit französischen Truppen. General von Gallwitz fordert, daß ein kriegsmäßiges Verhalten auch gegen griechische Truppen gestattet sei und nicht verhandelt werde. Verhandeln wäre auch schwierig. Seeckt schreibt als letzten Satz seiner von ihm selbst entworfenen Antwort Heeresarchiv Potsdam, Akte 157. »Eine Verbindung mit der griechischen Regierung besteht zur Zeit nicht In den letzten Märztagen kam die Fernsprechverbindung mit Athen wieder zustande..« Man kann also nicht verhandeln. Daß etwa von Front zu Front verhandelt werden sollte, hatte Mackensen ausdrücklich verboten. Es handelt sich daher, wie Seeckt sich ausdrückt, um eine »taktische Zwangslage«, in der man nur taktisch handeln könne. Wenn es nicht so ernst wäre, würde man die Schwierigkeit der Lage an ihrem Einschlag ins Komische erkennen können. Denn daß man sich im Kriege schließlich immer in einer taktischen Zwangslage befindet, das ist schwerlich zu bestreiten. Das alles ist nicht im Sinne Falkenhayns. Der will keinen Konflikt mit den Griechen, und er will nötigenfalls den Verzicht auf das Vorgehen über die Grenze. Die Lage hat dadurch nicht an Klarheit gewonnen, und die Befehle werden für die Heeresgruppe schwierig Vgl. auch M. v. Gallwitz, Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–1916.. Politik und Truppenführung verlangen Widersprechendes. Das kommt ja in der Kriegsgeschichte manchmal vor. Das Ergebnis ist fast stets, daß klare Befehle nahezu zur Unmöglichkeit werden. Man könnte das ein Abwälzen der Verantwortung auf die unteren Stellen nennen. Der Heeresgruppe ist, da die Politik der Anlaß ist, daraus kein Vorwurf zu machen; es sei denn, sie hätte klare Weisungen von der O.H.L. erzwingen sollen. Das ging nicht, weil bislang nicht einmal der österreichisch-bulgarische Konflikt entschieden war. In diesem versuchte aber das Auswärtige Amt wiederum der Heeresgruppe die Entscheidung zuzuschieben Heeresarchiv Potsdam Akten P 606 und P 513.. Das alles war für sämtliche beteiligten Stellen so einfach nicht.

Man kann es verstehen, wenn es selbst Seeckt in solchen Tagen die Stimmung verschlug. Seine Gereiztheit war verständlich. Er hatte Falkenhayn mit dem Gehorsam des echten Soldaten stets nachgegeben, wenn bei Falkenhayn die Entscheidung liegen mußte. Seeckt hatte es aber nicht verwunden, daß der ausschlaggebende Faktor Verdun ein Entschluß war, bei dem er nicht mehr mitgehen konnte. Als nun unmittelbar nach der Rückkehr von Mézières in der Frage der griechischen Grenzüberschreitungen Falkenhayn genau das Gegenteil von dem will, was der Feldmarschall, General von Gallwitz, und was Seeckt für richtig halten, da spitzt sich innerlich für Seeckt die Situation zu einer tiefgreifenden Differenz zu. Wären die Tage von Mézières nicht vorausgegangen, der Anlaß der Grenzüberschreitungen wäre Seeckt viel zu gering zur inneren Opposition gewesen. Es fällt ihm auch schwer, nicht so zur vorgesetzten Dienststelle zu stehen, wie das seine Art sonst ist. Aus alledem entsteht Spannung und aus der Spannung Gereiztheit. Es ist unverkennbar, daß eine Erkaltung des Verhältnisses von Seeckt zu Falkenhayn sich anzubahnen beginnt.

Im übrigen kann Seeckt sich natürlich ohne weiteres den Weisungen der O.H.L. schließlich fügen. Ob das aber die Bulgaren auch tun werden, hängt lediglich davon ab, wieweit ihnen das Verhalten der Griechen in ihre Politik hineinpaßt. Es ist eine wenig erfreuliche Lage für die Heeresgruppe.

Im ganzen sieht es Ende März so: Griechenland will aus innerpolitischen Gründen, da sonst ein Sturz des deutschfreundlichen Kabinetts droht, unbedingt einem Vorgehen der Bulgaren Widerstand entgegensetzen. Was die Türkei anbelangt, so haben die Bulgaren ihren Widerstand gegen den Durchtransport türkischer Truppen aufgegeben. Jedoch wünscht Conrad eine Verwendung der Türken lediglich dann, wenn sie gegen Rumänien eingesetzt werden können. Rumänien wiederum spielt eine große Rolle in allen bulgarischen Erwägungen. Die Grenzzwischenfälle auf der Donau häufen sich. Die Schwierigkeiten zwischen Österreich und Bulgarien nehmen zu, insbesondere an der albanischen Grenze. Die O.H.L. muß vermitteln, was nach Conrads Die Zuspitzung war nicht so Conrads als Burians und hinter ihm Tiszas Werk. Ansicht nicht sehr aussichtsvoll ist. Mitte April hat sich aber die Stimmung Cramon in Akte P 392 Heeresarchiv Potsdam. bereits »geglättet«, und Mitte Mai ist dann doch ein durchaus brauchbares Verhältnis hergestellt.

Man sieht, militärisch wird die Front ereignislos, politisch wird sie immer schwieriger. Seeckt hat sein Urteil über diese politische Lage in einer Ausarbeitung über bulgarische Führer und die bulgarische Armee vom 31. 3. 1916 niedergelegt. Sie ist am Schlusse dieses Abschnittes angefügt.

Es ist, als ob Seeckt die innere Spannung fast mit einem gesuchten Übermaß von Arbeit niederzwingen will. Kaum hat er die über 30 Seiten lange Niederschrift über die Bulgaren fertig, so verfaßt er am 1. April selbst eine längere Lagenbeurteilung. Daß die Entente endgültig auf alle Angriffsabsichten verzichtet habe, könne man nicht behaupten. Wohl aber habe man den Eindruck, daß zunächst keine Angriffsabsichten bestünden. Im übrigen sei die eigene Truppe ausgeruht und versorgt. Der Eisenbahnbetrieb leiste nunmehr Gutes. Es ist nun sehr bezeichnend für Seeckt, daß er in solcher Lage sofort wieder die 105. Division als überflüssig der O.H.L. anbietet Es ändert nicht viel, daß das Angebot auch politische Motive hatte; Akte O 455 Heeresarchiv Potsdam.. Nutzlose Kräfte sind etwas, was ihn zur Verzweiflung bringen kann. Werkwürdigerweise war Falkenhayn das nicht genug. Wenige Tage nachher verlangt er möglichst noch mehr, nämlich das ganze IV. Reservekorps. Davon wiederum erfährt die Heeresgruppe erst durch eine Anfrage der deutschen O.H.L. bei Zar Ferdinand. Tatsächlich ist dann nachher die 103. Division herausgelöst. Dieses Herauslösen kennzeichnet alle Schwierigkeiten des Koalitionskrieges. Es hat Tage gedauert und mehrfach abgeänderter Anordnungen bedurft, ehe der einfache Vorgang der Ablösung einer Division durch eine aus Bulgaren und Deutschen zusammengesetzte Truppe zustande kam.

Um die Mitte April taucht zum erstenmal der Gedanke auf, die Entente könne vielleicht doch im Vardartal offensiv werden. In diesem Zusammenhange fährt Seeckt am 11. April zur 11. Armee, soweit man das noch eine Armee nennen kann. Es sind noch zwei deutsche und zwei bulgarische Divisionen, Seeckt stellt an einigen Stellen fest, daß, um einen Angriff abzuwehren, die Stellung im Vardartal vorgeschoben werden muß. Er scheut sich nicht im geringsten, gegen Falkenhayns Auffassung nunmehr zu handeln, und gibt an Ort und Stelle eine Weisung, welche die Stellung einwandfrei auf griechisches Gebiet hinüberlegt. Allerdings muß man zugeben, daß sich die Verhältnisse an der bulgarischen Front etwas zuspitzen. Die Bulgaren haben ostwärts des Dojran-Sees zweifelsfrei auf griechischem Gebiet die Eisenbahn zerstört. Das ginge noch. Aber sie haben griechische Untertanen als Spione mitgenommen. Die Griechen drohen ihrerseits mit dem Bandenkrieg gegen die Bulgaren. An diese Eisenbahngeschichte knüpft sich ein etwas unerwartetes Zwischenspiel. Es war Seeckts eigener Gedanke gewesen, die Bahn am Dojran-See zu zerstören, weil sie ein wesentliches Hilfsmittel für eine Ententeoffensive sein konnte. Plötzlich bietet Falkenhayn Ende April Griechenland Schadenersatz für die Eisenbahn an und beweist damit, daß ihm Seeckts Maßnahme nicht recht ist. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Falkenhayn und Seeckt über die Grenzbehandlungen haben inzwischen nicht aufgehört. Falkenhayn kümmert sich darum, wenn irgendwo griechisches Vieh geraubt ist, und Seeckt hält es für sehr viel wichtiger, daß der Rupel-Paß in bulgarischer Hand ist, damit ihn die Engländer nicht bekommen.

Seeckt feiert in diesem Jahr seinen Geburtstag auf besondere Weise. Seit dem Stillstand der Operation hat er jede Gelegenheit wahrgenommen, die Front aufzusuchen. Eine dieser Reisen wird zur Geburtstagsfahrt. Es ist der 50. Geburtstag.

Das Gesicht der Heeresgruppe wird immer bulgarischer, da die Heeresgruppe in bedingungsloser Sachlichkeit der O.H.L. alle Stäbe und Formationen anbietet, die sie irgend entbehren kann. Das führt aber dazu, daß Seeckt in den letzten Apriltagen einen erneuten eigenhändigen Bericht Es muß auffallen, daß dieser Bericht unmittelbar an Falkenhayn gegangen zu sein scheint, da er im Brieftagebuch der Heeresgruppe nicht vermerkt ist. an die O.H.L. schickt, in der er auf die immer noch bestehenden innerpolitischen Spannungen in Bulgarien hinweist. Seeckt freut sich daher geradezu über die Abwesenheit Jostows, dessen Abreise an die Westfront er selbst veranlaßt hatte.

Ende der ersten Maiwoche scheint endlich die O.H.L. mit dem Unternehmen gegen den Rupelpaß bei Beteiligung deutscher Truppen einverstanden zu sein. In Wirklichkeit ist sie es noch nicht. Am 8. 5. Schreibt Seeckt eine Beurteilung der Lage Heeresarchiv Potsdam, Akte 159. an Falkenhayn. Seeckt erörtert mehrere Möglichkeiten und kommt dann zur »dritten Möglichkeit: Die Entente will das ganze griechische Makedonien stark besetzen und behalten, auch später. Griechenland wird, wahrscheinlich unter Änderung der Regierungsform, ein von England und Frankreich abhängiger Staat, der nach seiner ganzen geographischen Lage und Gestaltung ein dauerndes Gegengewicht gegen die Mittelmächte auf dem Balkan bildet, das östliche Mittelmeer beherrscht, die Türkei bedroht, die Dardanellen sperrt. Mir persönlich ist diese Absicht zur Zeit kaum noch fraglich, da ich unausgesetzt nach dem Grund suche, warum die Entente so starke Kräfte hier behält. Zu einer Offensive größten Stils, die die ganze Balkanlage ändern könnte, reichen die Kräfte Der Entente. aber auch noch nicht entfernt aus.«

Es ist interessant, daß Seeckt im letzten Satz die Worte »auch« und »entfernt« wieder gestrichen hat und damit die Ablehnung einer Ententeoffensive bewußt stark abschwächt. Der Bericht geht dann, hier unter Fortlassung einiger Sätze, weiter:

»... Aus gestriger Unterhaltung mit General Jekow ist bemerkenswert: Er berührte die Möglichkeit Durchgestrichen sind die Worte: »Ich konnte gesprächsweise berühren«. einer Verwendung der Bulgaren an anderer Stelle, wenn sie hier nicht zu rechter Verwendung kämen. Auf meine Andeutung, wie er sich zur Frage eines Einsetzens an unserer Westfront stelle, sagte er, daß er das sehr gern tun würde, nur jetzt an der makedonischen Front nichts fortnehmen könne. Worin ich ihm zustimmen mußte … Die Möglichkeit könne vielleicht …, wenn die Haltung Rumäniens klar sei, erwogen werden. Er schicke die halbe bulgarische Armee, wenn wir hier ruhig wären. An ihn sei übrigens diese Frage noch nie herangetreten. Ich versicherte ihm, daß das Ganze auch nur meine Idee sei und ich keinerlei Auftrag hätte, auch E. E. Ansicht hierüber nicht kenne. Ich habe jedenfalls den Eindruck, daß Jekow der Frage an sich günstig gegenüberstehen würde, wenn E. E., wie seinerzeit beabsichtigt war, sie selbst anregen wollten.«

Falkenhayn bemerkt dazu Heeresarchiv Potsdam, Akte O 455.: »Vorläufig keine Antwort.«

Etwa um den 11. Mai verdichtet sich das Feindbild so, zumal die Serben inzwischen Korfu verlassen haben, daß man den Eindruck gewinnt, die Entente werde gegen die Heeresgruppe am Vardar und gegen die 2. bulgarische Armee angreifen. Seeckt wollte eigentlich nach Budapest fahren, gibt aber bei dieser Lage die Reise auf und hat fast tägliche Telephongespräche mit Falkenhayn. Offenbar hat Sarrail Befehl, als Ablenkungsmanöver für Verdun hier auf dem Balkan anzugreifen. Auch der Militärattaché in Athen bestätigt die feindlichen Angriffsabsichten. Sarrail jedoch zögert.

Die Besetzung des Rupelpasses ist infolge von diplomatischen Gegenvorstellungen Griechenlands noch immer nicht durchgeführt. Die Heeresgruppe bittet vergebens um endgültige Entscheidung, die schließlich für den 15. zugesagt wird. Als diese Entscheidung eintrifft, ist sie allerdings nur eine stark verklausulierte Zustimmung. Die Lage wird dadurch insofern um so schwieriger, als von Tag zu Tag immer mehr mit der Möglichkeit einer Feindoffensive gerechnet wird. Am 14. 5. schreibt Seeckt an Generaloberst von Conrad Heeresarchiv Potsdam, Akte 15 2.: »Die Anzeichen für eine bevorstehende Offensive der Franzosen im Vardartal mehren sich. Zugleich liegen auch Nachrichten über beabsichtigte Teilnahme der Italiener am Balkankrieg und über angebliche Verstärkung der Kräfte in Valona vor. Dem französischen Angriff wird voraussichtlich mit Vorgehen der bei Bitoli Monastir. stehenden bulgarischen Kräfte in Richtung Vodena geantwortet werden. E. E. bitte ich gehorsamst um eine gütige Auskunft, ob im Falle eines italienischen Vorgehens von Valona nach Osten die in Albanien befindlichen k. u. k. Kräfte Befehl erhalten könnten und würden, durch Vorgehen ihrerseits eine solche Operation der Italiener gegen den Rücken der 1. bulgarischen Armee zu stören und wenigstens die Straße über Elbassan auf Struga zu sperren.«

Conrad antwortet umgehend, daß man nicht offensiv zu werden imstande sei, wohl aber die Vorrückungsrichtung auf Elbassan sperren könne. Seeckt ist, wie dieser Schriftwechsel zeigt, bereits mit aller Energie dabei, sich nunmehr auf die Abwehr des Feindangriffs einzustellen. Er betreibt durch Schreiben an Wrisberg und an die bulgarische O.H.L. die notwendige Munitionszuführung, und er denkt bereits daran, auch diese Abwehr auf dem Bulgarenflügel offensiv zu gestalten. Inzwischen hat die k. u. k. Offensive in Südtirol begonnen. Seeckt weiß also, daß er auf Hilfe weder von der deutschen noch von der österreichischen O.H.L. in bereitwilliger Weise zu rechnen hätte. Die Heeresgruppe trägt viel stille und nach außen hin wenig hervortretende Verantwortung.

Lange Unterredungen mit Jekow sind notwendig. Falkenhayn wünscht, daß endlich die Grenzzwischenfälle ausbleiben und daß nun doch die Besetzung des Rupelpasses aufgeschoben werde. Es ist natürlich nicht einfach für den Chef der Heeresgruppe, etwas zu verhindern, was zweifellos ziemlich mühelos bereits vor einiger Zeit hätte geschehen können und was den Bulgaren mit Recht wichtig ist. Die Lage wird keineswegs leichter dadurch, daß die Entente die Luftüberlegenheit zu gewinnen droht. Es ist auch keine geringe Enttäuschung, wenn man in der zweiten Hälfte des Mai einsehen muß, daß das völlig aufgeriebene serbische Heer sich in mindestens 4 Divisionen neu gebildet hat und in Mazedonien erscheint.

In den letzten Maitagen wird nun endlich doch der Rupelpaß besetzt. Es kommt dabei nur zu einer geringen Schießerei und im übrigen mehr zu diplomatisch-militärischen Auseinandersetzungen. Seeckt hat sich in die noch längere Zeit währenden Verhandlungen über wirkliche und vermeintliche Zwischenfälle um den Rupelpaß dauernd einschalten müssen. Das hat allerdings nicht gehindert, daß es ihm gerade noch vor Monatsschluß gelingt, einige Tage nach Budapest auf Urlaub zu gehen. Er wird auch trotz der erkennbaren Erregung dieser Tage nicht zurückgeholt, steht aber in dauernder Verbindung mit seinem Stab.

Was die Wende vom Mai zum Juni charakterisierte, war ein Ereignis an anderer Stelle. Die russische O.H.L. gab am 31. 5. den Befehl Nach dem amtlichen Weltkriegswerk. zur Brussilow-Offensive. Je mehr diese Lage erkannt wurde, desto mehr mußte es wahrscheinlich werden, daß auch Sarrail Befehl zum Angriff hatte.

Anfang Juni nehmen die bulgarisch-griechischen Schwierigkeiten so zu, daß ihre Erledigung wirklich nicht mehr Sache der Heeresgruppe sein kann. Es ist Belastung im eigenen Bereich genug, wenn die militärische Führung an Ort und Stelle beispielsweise eine Dienstanweisung für einen Kommandeur der Kraftfahrtruppe der Heeresgruppe wie ein diplomatisches Schriftstück abfassen muß Heeresarchiv Potsdam, Akte 30 4.. Da aber die Absichten Griechenlands völlig unerkennbar geblieben sind, müssen die bulgarisch-griechischen Schwierigkeiten nunmehr endlich vom Auswärtigen Amt geregelt werden. Warum Falkenhayn die Hilfe dieser an sich zuständigen Stelle erst so spät einschaltete und Seeckt fast bis zur Unmöglichkeit belastet hatte, ist schwer festzustellen. Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß Seeckt manchmal in nahezu unmögliche Lagen kam. Das hat die spätere Beurteilung gelegentlich vergessen. Im wesentlichen hat man wohl sein Geschick anerkannt, mit dem er stark widerstreitende politische Interessen zu militärischen Zwecken auszugleichen vermochte. Man hat ihn geradezu als einen Spezialisten für Europäer aller Farben bezeichnet. Es hat aber auch Kritiker gegeben, die ihm Fehlgriffe in der Behandlung nichtreichsdeutscher Persönlichkeiten nachgesagt haben. Auch diese Kritiker werden recht haben. Seeckt hat sich in Lagen durchbeißen müssen, in denen Fehler ganz gewiß unvermeidbar waren. Solche festzustellen beweist also noch nicht, daß ein anderer es auch nur annähernd so gut gemacht hätte wie er. Wobei man immer wieder nicht vergessen darf, daß die außergewöhnliche persönliche Autorität des Oberbefehlshabers v. Mackensen vielfach überhaupt die einzigartige Voraussetzung jeglichen Erfolges war.

Am 6. Juni kehrt Seeckt nach Üsküb zurück. Er findet eine merkwürdig gereizte Stimmung vor. Ein Telegramm Falkenhayns trifft ein Heeresarchiv Potsdam, Akte 15 3.: Jostow habe von einem Vorgehen der Bulgaren auf Florina gesprochen. Falkenhayn verbietet dies. Handlungsfreiheit bestünde für die Heeresgruppe nur im Falle eines Feindangriffs. Seeckt antwortet, daß die Heeresgruppe solche Absicht nicht gehabt habe und daß Jostows Ansicht für die Heeresgruppe belanglos sei. Dieses Telegramm geht auch an die bulgarische O.H.L. Worauf Jostow erklärt, jene Äußerung nicht getan zu haben und infolgedessen durch Seeckts Telegramm verletzt ist. Man kann vielleicht nicht bestreiten, daß solche Unstimmigkeiten leicht eintreten können, wenn die O.H.L. in dieser Art in die Entscheidungen über taktische Vorgänge eingreift.

Inzwischen hatte die russische Offensive eingesetzt und auf dem östlichen Kriegsschauplatz den Zusammenbruch der österreich-ungarischen Front in Wolhynien, Galizien und der Bukowina erreicht. Eine sehr ernste Lage war dort entstanden. Seeckt hatte eine Darlegung seiner Auffassung Heeresarchiv Potsdam, Akte O 455. Am 8. 6. ist der Bericht verfaßt. Am 9. 6. ist er eingegangen. an General von Falkenhayn gesandt. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß dieses Schreiben völlig unaufgefordert abgesandt wurde. Es trägt nämlich von Falkenhayns eigener Hand den Randvermerk: »Nichts Neues!« Seeckt schreibt:

»E. E. bitte ich folgende Darlegung zu gestatten:

Aus guter Kenntnis … heraus komme ich persönlich zu dem Schluß, daß nur durch deutsche Hilfe größeres Unheil an der wolhynisch-galizischen Front zu verhindern ist. Ob die österreichische Heeresleitung schon zu dieser Erkenntnis gelangt ist, entzieht sich ganz meiner Kenntnis, auch ob E. E. geneigt sind, auf einen Hilferuf einzugehen … Meines Erachtens muß möglichst schnell eine neue Armee gesammelt werden, wo, das heißt ob in Richtung Kowel oder Lemberg, entscheiden mit die Bahnverbindungen … Ziel der neuen Offensive ist … Rowno. Ich denke mir die Armee unter deutschem Oberkommando aus 6 Divisionen bestehend … Zusammenfassung der ganzen Front ohne 7. und Süd-Armee. Also diese neue Armee und die 2., 1., 4. österreichische Armee unter deutschem Heeresgruppenkommando. Ohne deutschen Oberbefehl ist die ganze Sache aussichtslos. E. E. mir bisher erwiesenes Vertrauen ermutigt mich zu der Bitte, mich auf diesem Kriegsschauplatz zu verwenden, da ich ihn kenne, auf etwas Vertrauen bei den Österreichern rechnen kann und hier nach meiner Ansicht zu ersetzen bin.«

Hier ist von Seeckt zum erstenmal der Gedanke einer Angriffsarmee in Galizien ausgesprochen. Als solche war nachher die 12. Armee gedacht. Seeckt wurde ihr Chef.

Es ist für das ganze Schicksal Seeckts entscheidend geworden, daß er selbst mit eigenem Vorschlag eingriff und somit seinen Werdegang in Bahnen lenkte, man kann beinahe sagen, ablenkte, die er selbst so nicht gewollt und ganz sicher so nicht vorausgesehen hat. Man muß jedoch Verständnis für Seeckts Vorschlag haben. Seit Mitte März hatte er keine große Aufgabe mehr. Das ertrug er nicht.

Kurz bevor Seeckt seine alte Dienststelle verläßt, hat die Heeresgruppe nochmals eine abschließende Beurteilung der O.H.L. vorgelegt Heeresarchiv Potsdam, Akte 160.. Ein baldiger Angriff der Entente sei unwahrscheinlich. Immerhin sei er in einem »geeigneten Moment« zu erwarten. Über Griechenland habe die Entente mehr und mehr Einfluß erreicht. Die Stellung Rumäniens neige immer weiter der Entente zu. Es ist also ein ausgesprochener Schwebezustand ohne Klarheit der eigenen und der Feindabsichten.

Der Erfolg der Anregung, die Seeckt gab, ist zunächst ein Vorschlag Falkenhayns an Conrad, daß er wohl deutsche Verstärkungen zur k. u. k. 7. Armee entsenden wolle, aber einen deutschen Oberbefehl über diese Armee verlange oder beim jetzigen Oberbefehlshaber einen deutschen Generalstabschef, in diesem Falle den General von Seeckt. General von Cramon berichtet an die O.H.L., eine »Zusammenarbeit Pflanzers mit einem ihm aufgedrängten deutschen Generalstabschef« sei nicht zu empfehlen Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1167.. Das ist vermutlich der Grund, daß Falkenhayn in seiner Antwort auf Seeckts Darstellung ihm schreibt Heeresarchiv Potsdam, Akte O 455.: »... Natürlich habe ich in erster Linie an Sie gedacht. Indessen mußte vorläufig von Ihrer Verwendung Abstand genommen werden. Dies kann sich aber jederzeit ändern …« General von Cramon hatte außerdem berichtet, daß Conrad einen Kommandowechsel bei der k. u. k. 7. Armee ablehne. Der Feldmarschall von Mackensen hatte anfangs damit gerechnet, daß »Seeckt Mitteilung an Präsident Wolfgang Foerster. ihm gewissermaßen zur Orientierung vorausgehen sollte. Er hielte daher das gesamte Oberkommando tatsächlich abmarschfertig.« Der Einspruch Conrads, der den Feldmarschall an der bisherigen Stelle unter keinen Umständen missen wollte, und die Tatsache, daß auch der König Ferdinand von Bulgarien vorstellig wurde und den Feldmarschall an der Salonikifront für unentbehrlich erklärte, haben eine Verwendung des Oberbefehlshabers in der gleichen Weise wie die seines Generalstabschefs verhindert. Dem Feldmarschall ist dadurch eine wenig dankbare und aussichtslose Aufgabe erspart geblieben.

Am 12. fragt Falkenhayn bei Cramon an Heeresarchiv Potsdam, Akte O 1167., ob »es keine Möglichkeit gäbe, den General Pflanzer zum Halten zu bringen«. Conrad antwortet am Nachmittag, die Verwendung Seeckts habe an Wahrscheinlichkeit gewonnen, und am Abend meldet er, Seeckt sei als Oberstabschef bei der 7. Armee angenommen. Conrad mag der Entschluß dadurch erleichtert worden sein, daß er sehr viel von Seeckt hielt Gräfin Conrad v. Hötzendorf: »Mein Leben mit Cd. v. H.«: »Mit großer Hochschätzung sprach Conrad in den letzten Jahren wiederholt von General v. Seeckt … Es war mir eine Genugtuung, als ich dies dem verdienten General nach dem Tode Conrads einmal in Mergentheim sagen konnte.«. Das österreichische A.O.K. 7 fügte sich nicht ohne Widerstreben. Man sah ein, daß man deutsche Hilfe, die durch die schwierige Lage notwendig geworden war, nicht in Anspruch nehmen könne, ohne der deutschen Heeresleitung Einfluß auf die Operationen zu gewähren. Man sicherte von seiten des Feldmarschalls Erzherzog Friedrich dem Generaloberst von Pflanzer volles Vertrauen in die bewährte Führung und die operative Tätigkeit seines bisherigen Chefs zu, verlangte aber verständnisvolles Eingehen auf den zwingenden Umstand der Lage, welcher fordere, daß General von Seeckt »vorübergehend« als Oberstabschef zur 7. Armee trete. Generaloberst v. Pflanzer war wohl von vornherein der Meinung, daß diese »Aufoktroyierung des deutschen Generals zu keinem guten Ende führen werde, daß aber die Notwendigkeit gebiete, anzunehmen, da hierdurch auch weitere kräftige Unterstützung gewährleistet wird.«

Falkenhayn befiehlt die sofortige Abreise Seeckts. Nach einigem Hin und Her spricht am 14. 6. Conrad die Ernennung Seeckts zum Oberstabschef der k. u. k. 7. Armee aus Heeresarchiv Potsdam, Akte O 433.. Von der deutschen O.H.L. ist Seeckt zunächst nur kommandiert. Die Versetzung als »deutscher General beim k. u. k. Heere« wird erst am 1. 7. ausgesprochen. Die Entscheidung kommt schließlich so plötzlich, daß in den letzten Stunden der Trennung alles etwas eilig gehen muß. Der Feldmarschall hält Seeckt beim Abschiedsessen eine außerordentlich warme Abschiedsrede voll dankbarster Anerkennung. Dem Feldmarschall ist es besonders gegeben, von Herz zu Herzen zu sprechen. Die Antwortrede Seeckts machte auf diesen und jenen im Stabe daher vielleicht einen ganz klein wenig kühleren Eindruck Feldmarschall v. Mackensen entsann sich noch 1938 dieser Rede recht gut und meinte, Seeckt hätte keineswegs kühler gesprochen, als er es immer tat, wahrscheinlich sogar wärmer als sonst.. Im ganzen ist das ja überhaupt Seeckts Art. Es kommt hinzu, daß in diesem Augenblick noch nicht einmal zu übersehen ist, ob die Trennung von langer Dauer sein wird. Schließlich aber haben Beobachter, die betontes Selbstbewußtsein und etwas Reserve feststellen zu müssen glaubten, sich doch im wesentlichen geirrt. Seeckt schreibt am 11. 7. 16 an die Mutter, daß der Abschied vom Feldmarschall »für beide beweglich war«. Er hat am 30. auch noch einen Brief an den Feldmarschall geschrieben, von dem dieser selbst sagt, daß er ihm wohlgetan habe.

Beim Weggang aus dem alten Wirkungskreise kommt es in Nisch noch zu einem Zusammentreffen mit dem Zaren Ferdinand. Seeckt berichtet hierüber umgehend aus Budapest an Falkenhayn Heeresarchiv Potsdam, aus dem Nachlaß des Generals von Seeckt, Akte 54, ferner Akte P 515.. Der König ist über die Vorgänge in Galizien in großer Sorge. Er sieht die Aussichten für einen Frieden in weite Ferne gerückt. Die Wirkung auf Rumänien wird nicht ausbleiben. Schwierig sei auch die starke russenfreundliche Stimmung im eigenen Lande. Der König halte den Augenblick für gegeben, die notwendig werdende Waffenhilfe von österreichisch-ungarischen Zugeständnissen abhängig zu machen. Seeckt berichtet dann, es sei ihm gelungen, den König davon zu überzeugen, daß ein starkes deutsches Eingreifen bevorstehe und die Lage wieder hergestellt würde. Seeckt regt ferner an, daß Falkenhayn sich noch persönlich mit dem König in Verbindung setze. Er habe ihm aber selbst am 22. noch eine Beurteilung der Gesamtlage zugeschickt. Nach Seeckts Ansicht ist der Rückschlag in der Bukowina dadurch entstanden, daß die Österreicher im Interesse der Tiroler Offensive die Russen unterschätzt hätten. Die Lage werde sich wieder herstellen lassen, nachdem man in Teschen die Bedeutung dieses Kriegsschauplatzes erkannt habe.

Am Tage nach dem Zusammentreffen schreibt der Zar der Bulgaren:

»Lieber General von Seeckt! In diesem nun schon mehr denn zwei Jahre dauernden gewaltigen Ringen haben Sie in treuer Pflichterfüllung für Kaiser und Vaterland rühmlichen Anteil an den Erfolgen der deutschen Truppen gehabt … Ihr herrliches strategisches Talent hat vor allem dazu beigetragen, den feindlichen Waffen nicht nur den Eintritt in Ihr Vaterland zu verwehren, sondern dieselben bis weit ins eigene Land hinein zurückzuschlagen. Und als vor neun Monaten Bulgarien in den Weltkrieg an der Seite der Mittelmächte eingriff, … wurden Sie … zum Generalstabschef der auf dem Balkan gegen Serbien operierenden vereinigten Armeen ernannt. In dieser verantwortungsvollen Stellung hat abermals Ihr Genie … mitgewirkt … In treuer Freundschaft und steter Bewunderung Ihr wohlgeneigter Ferdinand R.«

Eine Woche nach der Zusammenkunft schreibt Seeckt an den König von Bulgarien:

»22. 6. 16. … E. M. wage ich kurz über die militärische Lage zu berichten. Der gefährlich erscheinende russische Durchmarsch durch Rumänien hat sich bisher nicht bewahrheitet; die Haltung dieser Regierung war hier an der Grenze im Gegenteil durchaus korrekt. Daß die nördliche Bukowina nicht zu halten war, ist gerade in Rücksicht auf diese Verhältnisse sehr bedauerlich. Es war aber unmöglich, da zur Deckung an Zahl und Art völlig ungenügende Kräfte verfügbar waren. In dieser Unterschätzung des Feindes liegt wohl der Hauptgrund des ganzen Rückschlages; zugunsten der Unternehmung gegen Italien wurde die russische, meines Erachtens wichtige Front zu sehr geschwächt. Ob die Führung dann lokalen Echecs gegenüber zu schnell nachgab, ob an einzelnen Stellen die Truppe versagte, entzieht sich meinem endgültigen Urteil. Rückzüge sind schwer ohne Schaden durchzuführen. Jeder Schritt rückwärts hebt den Mut des Angreifers, vermindert aber den des Weichenden. So kann zunächst auch meine Tätigkeit nur darin bestehen, weiteres unnötiges Zurückgehen zu verhindern und zu suchen, das Zutrauen zur Sache wieder zu heben – keine ganz leichte Aufgabe für einen Mann allein, denn ich habe zur Unterstützung hier unten noch nicht einen deutschen Soldaten mit bekommen, und ich kämpfe hier gegen vieles, das nicht auf operativem Gebiet liegt, und gegen Verhältnisse, die sich nicht im Laufe des Feldzuges – wenn überhaupt – ändern lassen. Wenn man vielleicht in der Masse – ich glaube hier in der Armee geht keinem der Rückschlag so zu Herzen wie mir – den Ernst der Lage noch nicht erkannte, so ist das doch glücklicherweise eben jetzt der Fall. Teschen zieht vom ital. Kriegsschauplatz heran, was dort verfügbar ist, – ein schwerer Entschluß, aber ein notwendiger. So wird sich die Lage ja wiederherstellen lassen, besonders da auch deutsche Truppen in großer Zahl heranrollen. Bis zu ihrem entscheidenden Eingreifen kann allerdings den Russen noch der eine oder andere Vorteil zufallen.

E. M. Einsicht wird es nicht verborgen sein, mit welchen Gefühlen ich im Augenblick an die letzten Monate zurückdenken muß. Es fehlt hier etwas, was ich bei der Leitung der Operationen der bulg. und deutschen Armeen in Serbien und Mazedonien täglich mit Bewußtsein genoß – das felsenfeste Zutrauen zur Truppe, also die Grundlage für jede Erwägung.

Um so größer ist mein Dankgefühl für die hinter mir liegende Zeit, und aus ihr ragt leuchtend für mich E. M. mir erwiesene Gnade hervor. Diese glaube ich vor allem in dem ehrenvollen Vertrauen E. M. erblicken zu dürfen, für das ich nie genug danken kann. E. M. haben dem so reiche äußere Gnadenbeweise hinzugefügt, daß ich diese durch die Versicherung meiner aufrichtigen Anhänglichkeit in treuester Verehrung zu erwidern wagen darf. E. M. Allerh. Erscheinen auf dem Bahnhof in Nisch wird mir ein unvergeßlicher Augenblick für mein ganzes Leben bleiben, dieses Zeichen echt königlicher Huld und Anerkennung.

E. M. bitte ich somit noch einmal den Ausdruck meines tiefehrerbietigsten Dankes anzunehmen mit den innigsten und untertänigsten Wünschen für E. M. und E. M. Königliches Haus, für Bulgarien und für E. M. tapferes Heer. Nie wird das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihm bei mir erlöschen …«

Der Brief vom 22. ist nicht die Antwort auf den Brief des Königs vom 15. Erst vier Monate später, im Oktober, kam Seeckt dazu, sich für den Junibrief beim König zu bedanken. Seeckt spricht es in der Antwort aus, daß es ihm nicht gleich sei, jetzt nicht bei den Bulgaren sein zu können, und daß es ihm sehr schwer falle, nicht »zusammen mit des von mir aufrichtig verehrten Prinzen Boris Königliche Hoheit arbeiten zu dürfen«.

Als es dem Feldmarschall v. Mackensen klar wurde, daß er seinem Chef in den neuen Wirkungskreis nicht folgen werde, hat er ihm noch einen Abschiedsbrief am 7. 7. nachgesandt:

»Lieber Seeckt! Angesichts Ihrer Meldung und Mitteilung vom 30. d. M., die ich soeben erhielt, verlangt kein anderer Gedanke so dringend nach Ausdruck wie der des Glückwunsches. Zu dem allerhöchsten Vertrauen, das Sie an die in der jetzigen Kriegslage wichtigste Stelle unserer Front als Chef des Generalstabes einer Armee und Heeresgruppe berief, beglückwünsche ich Sie ebensosehr wie zu der inhalts- und zukunftsvollen Tatsache, daß es der Erzherzog Thronfolger ist, dem Sie als solcher zur Seite stehen sollen. Und Glück wünsche ich Ihnen für die Lösung der schwierigen Aufgabe, welche Ihnen die Kriegslage stellt. Möchte das Glück Ihnen treu bleiben, lieber Seeckt, das vor Jahresfrist schon einmal den Russen gegenüber Ihrer Tüchtigkeit den verdienten Erfolg brachte! Ich erachte die erfolgte Lösung der Frage des Oberbefehlshabers in Galizien für die beste, die unter den obwaltenden Umständen gewählt werden konnte: österreichischer Oberbefehlshaber, deutscher Generalstabschef. In persönlicher Beziehung konnte die Lösung nicht geschickter und zugleich treffender ausfallen. Für mich liegt darin eine Bürgschaft des Erfolgs. Ich bescheide mich und bitte Ihrem neuen Herrn meine besten Wünsche auszusprechen. Günstiger geworden ist die Lage seit dem 30. allerdings nicht. Aber nun werden die Truppen heran sein, die zur Beherrschung der Lage notwendig sind, und letztere mit jedem Tag verbessern. Die Krisis der Operation erscheint überwunden. Ich hoffe, Sie bald zur ersten taktischen Tat beglückwünschen zu können.

Daß unsere militärische Ehe, lieber Seeckt, ihr Ende gefunden habe, las ich bereits aus dem Telegramm Falkenhayns vom 1. d. M. heraus. Mein Brief vom 3. an Sie ist unter diesem Eindruck geschrieben, und ich kann mich daher heute nur wiederholen, wenn ich Ihnen von der Aufrichtigkeit und Treue des Dankes spreche, die in Galizien, Polen und Serbien mir von Ihnen abgerungen ist, und den ich für den Rest meines Lebens Ihnen und der hohen militärischen Begabung bewahren werde, die Ihnen ein gütiger Gott in die Wiege gelegt hat. Dankbar bin ich Ihnen heute noch besonders für manches Wort in Ihrem Brief vom 30., das mir wohlgetan hat. Also: glückliche Zusammenarbeit, die strahlende Erinnerung, heiße Wünsche Ihrer Zukunft!«

Dreimal wünscht in diesem Brief der Feldmarschall Glück auf Seeckt herab. Seeckt selbst hatte ja einmal vom Soldatenglück geschrieben, das ihm bisher treu geblieben sei. Aber die Wünsche des Feldmarschalls sind doch nicht in Erfüllung gegangen. Das Glück hat sich nicht von Seeckt abgewendet. Aber es hat ihn auch nicht mehr gesucht. Es ist für den Rest des Krieges kalt an ihm vorübergegangen, und vielleicht war das ein Glück in sehr viel höherem Sinne. Es zog ihn nicht hinein in den Strudel der Ereignisse und ließ seine Kräfte frei für eine spätere Zeit. Freilich wird man zu diesen Gedanken ganz am Ende des Krieges noch einmal zurückkehren müssen. Dann wird die Frage auftauchen, ob man eine so seltene Kraft wie Seeckt in den Jahren 1917 und 1918 nicht lieber näher dem Brennpunkt der Entscheidung gesehen hätte. Jedenfalls hat Seeckt im Augenblick nicht gewußt, daß er mit seiner Fahrt über Budapest–Marmaros–Sziget–Kolomea einer Zukunft entgegenfuhr, die mehrfach sich wie ein weiterer glänzender Aufstieg anließ und in Wirklichkeit doch nicht mehr dem ungewöhnlichen Format dieses Mannes entsprach. Die tragische Färbung des Kriegsgeschehens nimmt für Seeckt zu. Schon im Mai hatte die Mutter in einem Brief erwähnt, daß der Sohn befriedigt und zuversichtlich, aber so ernst schriebe. Und sie unterstreicht, was sie sonst so gut wie nie tut, die beiden Worte »so ernst«.

Es seien für diese Zeit des Stillstandes auf dem Balkan die Briefe im Zusammenhang gegeben. Den Briefen ist dann eine Denkschrift angefügt, die Seeckt als Ergebnis seiner Auffassungen über Bulgarien niedergeschrieben hat.

»D. 12. März 1916. … Morgen will ich zur bulg. Obersten Heeresleitung, um vielerlei zu bereden und zu ordnen … Hier waren allerlei kleine Verstimmungen vorgekommen; die Hand des Herrn fehlte. Nun ist alles wieder soweit in Ordnung … Jetzt haben wir hier strahlenden brennenden Frühlingssonnenschein, so daß ich krebsrot im Gesicht von zwei Tagen in frischer Luft zurückkam. Es fängt nun doch an mit dem Lebendigwerden in der Natur, hier blühen schon einige Bäume, und die Matten hatten doch schon vielfach frischgrüne Färbung, wie anders die Natur, ganz hoffnungsfreudig. Niedlich waren im alten Bulgarien die großen Herden Schafe mit der Menge kleiner ungeschickter, meist erst tagealter Lämmer. Das Bild von dem guten Hirten, der seine Lämmer sorglich weidet, kam mir so oft in das Gedächtnis, wenn ich sah, wie er das zarte kleine Ding im Arme trug. Nur einige Stunden, dann folgt es schon selbst der Herde. Dazu der an alte Bilder gemahnende landschaftliche Hintergrund, das südliche Licht, Kleidung und Schnitt der Gesichter. Auch die heilige Familie auf der Wanderschaft kann man sehen; auch Ochs und Esel fehlen nicht …

Ich kletterte gestern während der Pause zu einem kleinen Bergkirchhof mit Kapelle herauf, von wo ein herrlicher Blick war. Sie begraben in dieser Legend ihre Toten in großen Steinsarkophagen, die ganz roh behauen sind und über der Erde stehen, sie fallen dann im Laufe der Jahre um, werden wieder benutzt oder liegen leer umher. So sieht solch Kirchhof ganz eigentümlich aus, doppelt, da er meist weit von jeder Wohnstätte auf dem Felsen liegt. Der Mohammedaner begräbt in der Erde und setzt den bekannten Stein mit Turban oder Fez beim Mann, ohne Abzeichen bei der Frau, der aber bald umfällt! Wir kennen ja solche Grabstätten im großen Stil aus Indien. Hier bei diesen armen Völkern bleibt nur ein großer, kaum mehr als einstiger Kirchhof erkennbarer Steinacker übrig, wenn die Bewohner des dazugehörigen Ortes lange erschlagen oder verjagt und ihre Häuser verschwunden sind. Überall Ruinen. Wie haben die Menschen hier in Makedonien gegeneinander gewütet! … Als eigentliche Triebkraft saß Rußland dahinter … Ob nun Ruhe und Ordnung kommt? Es gehört viel dazu; guter Wille, Geld, Arbeit und vor allem Menschen. Alles seltene Ware im Orient. Küstendil selbst ist eine kleine Stadt in Alt-Bulgarien, hat also Kampf und Herrschaftswechsel seit einiger Zeit nicht gesehen. So ist alles etwas ordentlicher, freilich einfach und primitiv … Bei den Frauen viele schöne Gesichter … Man sieht abenteuerliche Gestalten unter den alten Landstürmern, welche die Wege bewachen, und unter den Arbeitern selbst. Dazu serbische Gefangene, meist zarte junge Kerle von ganz sympathischem Ausdruck. Ein unendliches Volksgemisch. Gesichtsfarben bis zu Schwarz …

18. 3. 1916. … Ich machte heute eine kleine Autospazierfahrt nach einem nahen türkischen Landsitz großen Stils, leider verwüstet. Es wohnte früher dort der letzte Reg.Präs. – Wali – von Üsküb, irgendein Pascha, der nun in Constantinopel sitzt. Von festungsartiger Mauer das Ganze umschlossen und in drei Höfe eingeteilt. Einer nur für ihn und Familie, mit dem Gästehaus im zweiten durch eine luftige Galerie, die über einen Turm führt, verbunden; der dritte Hof für die Wirtschaft. Dazu noch ein großer Obstgarten, auch von Mauer umgeben, der mit dem Wohnhaus wieder in Verbindung steht. Von Einrichtung keine Spur mehr, aber man sieht doch, wie prächtig es gewesen. Unten eine Halle mit Räumen für Dienerschaft. Oben um eine Mittelhalle getrennte Wohnappartements mit Kaminen und großen Spiegelarrangements und tiefen Schränken; die Marmorbekleidung noch vorhanden, die wahrscheinlich schön geschnitzten Türen lange verheizt. Vom Turm herrliche Aussicht über das weite Tal und auf die schneebedeckte Gebirgskette … Daneben die Arbeiterwohnungen, gar nicht so übel. Jetzt freilich hauste eine bulg. Ochsen-Kolonne dort.«

An Landesdirektor v. Winterfeldt-Menkin:

»17. 3. 1916. … In den letzten Tagen hatte ich vom Inland so viele Klagen gehört, daß mich Ihre hoffnungs- und aussichtsreichen Gedanken und Angaben besonders angenehm berührten. Schließlich: Begeisterung ist keine Heringsware – und das Warten ohne Mittun an der Entscheidung macht viele Leute nervös. Daneben kränkt manche sonst hochmögende Herren des öffentlichen Lebens auch wohl die zeitige relative Bedeutungslosigkeit. Arbeit gibt es dabei doch auch zu Hause genug … Daß in der Tat bei uns vieles recht schwer und manches unerfreulich wird, kann niemand übersehen; aber ich gehöre nun einmal zu den unverbesserlichen Optimisten in inneren und äußeren Dingen …«

An Frau v. Seeckt:

»Üsküb, d. 19. März 1916. … Heute morgen kam der erwartete König der Bulgaren nicht, sondern nur der Herzog von Coburg … Der General Jekow, der den König vertreten muß, war eben bei mir, wir beide sind ganz gute Freunde geworden. Auf dem Bahnhof war ich nicht, es ist auch so schon Störung genug. Eigentlich wird nur meine Bequemlichkeit gestört; denn Arbeit besserer Art gibt es zur Zeit wenig. Bleibt das so, will ich die nächste Zeit bei dem schönen Wetter dazu benutzen, doch noch etwas von dem Balkanfrühling mitzunehmen. An den Bergen hängen jetzt die blühenden Aprikosen- und Mandelbäumchen wie kleine rosa Wölkchen, und hochgelegene Matten haben ganz frisches Grün. Lange wird diese zarte Schönheit kaum dauern; denn in solchen waldlosen Gegenden pflegt der Sommer schnell zu folgen. Staubig ist es jetzt schon geworden …

D. 20. März 1916 … Merkwürdig unwirklich ist dieser makedonische Frühling, so zerbrechlich zart. Nur der die Hänge überwuchernde Buchsbaum ist hier reichlich und verbreitet aus mir ganz unbekannten kleinen gelblichen Blüten einen süßen Duft. An einem Bachrande standen leuchtende Himmelschlüsselchen und einige kleine Veilchen, die mitkommen wollen zu Dir Getrocknete Veilchen lagen im Brief.. Wir kletterten durch ein Albanesendorf mit bunten und bildhübschen männlichen und tief versteckten weiblichen Einwohnern in ein Tal, an dessen Eingang ein kleines Kloster lag, dann über Steine und Hänge herunter bis zu einer Schlucht, durch die sich nur der rauschende Fluß zwängte. Der Pfad ist hoch über den steilen Hang verwiesen, dazu leuchtend blauer Himmel, an Getier Schafherden und ein einsamer Geier. Als Geräusch das Klappern einer unendlich einfachen kleinen Mühle – ganz anders als im Schwarzwald …

Der gestrige Tag war ganz amüsant, da sowohl General Jekow wie der langjährige Adjutant, jetzt Hofmarschall des Königs, General Sawow, ihr Herz gegen mich erleichterten und ich mehr vom inneren bulg. politischen Leben erfuhr als je zuvor. Beides sind Leute, die Fehler sehen und eingestehen, also damit auch die Vorbedingung zur Besserung schaffen.

21. 3. 1916 … Du fragst nach der Tirpitz-Entlassung; ich weiß auch nichts Bestimmtes, doch war er ja schon seit Monaten kaltgestellt und trug nur noch die Firma. Dafür hat er nun wohl gedankt. Viel Aufklärung wird auch der Reichstag kaum erhalten. Die Gebärde des starken Mannes wird der Reichskanzler schon wieder zuwege bringen. Es werden sonst erfreulich energische Stimmen im Landtag schon vernehmbar, und von Zentrumsseite den Namen Bismarck als Wahrzeichen energischer Politik zu hören, ist schon ein Zeichen dafür, wie weit die Sorge um sich gegriffen hat.

Heute nachmittag habe ich eine interessante orientalische Kirche hier angesehen, mit einer wirklich fabelhaft künstlich in Holz geschnitzten Ikonastasis. In ihrer Art wohl ganz einzig. In der Schnitzerei an indische erinnernd, große Flächen und ganze Säulen mit frei aufliegenden Ranken und biblischen Darstellungen aus einem Stück. Die Kirche liegt schwer auffindbar halb unter der Erde, wohl um sich während der Türkenherrschaft klein zu machen … Auf der Zitadelle hatten wir dann noch einen schönen Blick über Stadt und Tal, da heute Markttag, doppelt bunt …

D. 23. 3. 1916. Das war wirklich wunderhübsch, heute zwei liebe und ausführliche Briefe vom 18. und 19. zu bekommen. Ja, wir haben uns trotz der langen Jahre noch immer etwas zu sagen gehabt, mein Schatz! Und wie hübsch und lebendig Du immer von allem erzählst … Meinen Freund Tantilow, der auf der Durchreise in Wien zu uns einstieg, uns jetzt aber verläßt, beschimpfte ich heute, weil sie soviel ›Rotz‹ im Lande hätten, ich würde ihnen keine Truppen mehr geben, uns stürben dort alle Pferde. Er meinte: ›Bulgarien sehr guten Rotz, nur meist sehr kleinen Rotz, ich auch nur ganz kleinen Rotz, aber sehr schnell.‹ Du kannst Dir den Jubel vorstellen: Er hatte Roß und Rotz verwechselt … Die Russen greifen tüchtig, aber vorzeitig und planlos an und steigern ihre Verluste; ich erwarte von ihnen noch einen großen Schlag gegen die Österreicher an der Bessarabischen Front und auf Lemberg …

D. 25. 3. 1916 … Schrieb ich Dir schon einmal, daß ich aus der Kapelle, von der ich erzählte und Bilder machen ließ, einen eingemauerten altrömischen Grabstein herausklauben ließ! Heute untersuchte ihn ein Professor, der noch dazu Curtius hieß, und fand in ihm ein erstklassiges Museumsstück. Ich freute mich, daß meine Taxe auf zweites Jahrhundert nach Christi richtig war. Er sollte sorgfältig verpackt als Trophäe vorläufig an das stellv. Generalkdo. III gehen … Mit dem Generalissimus Jekow hatte ich heute eine längere zufriedenstellende Besprechung; er ist von rührender Offenheit gegen mich …

D. 27. März 1916 … Von Zeitungsphrasen pflege ich zu sagen: ›Also auch über dieser Operation liegt der Schatten des großen Feldherrn‹ Gemeint ist Ob.Ost., wie ein kleines Blatt nach unserer Schlacht bei Gorlice schrieb … Es ist so der bequeme alte Dreh der Gedanken … Heute morgen haben wir einen feinen Überfall auf Saloniki aus der Luft gemacht; ein Flugzeug fehlt mir noch; die anderen sind glücklich zurückgekommen. Eine riesige Explosion ist erfolgt; anscheinend ein Petroleumtank im Hafen in die Luft gegangen …

D. 29. 3. 1916 … Machte eine Autofahrt, die bis sieben Uhr abends dauerte. Es war einfach herrlich, nach einem Regentag eine derartige goldene und vergoldete Beleuchtung, wie sie doch nur der Süden hat. Die Berge im leichten grünen Schleier, die Dörfer eingehüllt in weiße Blüten, die schlanken Pappeln, hier der einzige hohe Baum, im ersten zartesten Grün und über allem die leuchtenden Schneeketten. Das Häßliche und Unscheinbare von dem goldenen Licht verklärt. Die Berge, deren Form ohne Walddecke wunderbar rein hervortritt, zeigen in ihrer Größe so feine Einzelheiten. Es war, um tief andächtig zu werden, und mir fiel das banalste Wort von allem dafür plötzlich ein: Es ist ein großer Meister, der künstlich dies Werk gefügt. Ich kam ganz müde von allem Schauen zurück mit dem einzigen Wunsch, Du wärst mit mir gewesen. Das Ziel war der Ort Tetovo oder Kalkandelen, eine saubere, in einem fruchtbaren Tal gelegene rein türkische Stadt, in anderthalbstündiger Autofahrt zu erreichen. Wir fanden eine bunte Moschee und charakteristische Straßen, auch die Menschen leuchteten in der Sonne, nur nicht die ganz tief in Schwarz verhüllten Türkinnen. Der Kinderhorde konnte man sich kaum erwehren … Wir kletterten etwas durch die Straßen und auf benachbarte Höhen herum und fuhren dann in der Abendbeleuchtung zurück. Hier hatte sich inzwischen nichts ereignet … Ich hatte heute noch einen Brief, der mich hinsichtlich unserer inneren militärischen Verhältnisse sehr befriedigte, es gibt doch noch soviel frische Kraft und tüchtigen Ersatz. Wrisberg sorgt herrlich.

D. 30. 3. 1916. … Freue mich, daß Herr … bei Dir war; es hat Dich sicherlich interessiert. Mir scheint er etwas eilig im Urteil über mich zu sein; denn schließlich – na ja, ich neige nicht zur Selbstunterschätzung – aber zum wirklich Großen fehlt doch noch viel an Maß. Ob noch etwas daraus wird, hängt wie bisher von vielen Glückszufällen jeder Art ab. In einem hat er recht: Es ist das Schwerste, jetzt nicht das Augenmaß verlieren und weder kurz- noch weitsichtig zu sein. Das gilt militärisch und politisch. Erst der Sieg, der sich nur aus vielen kleinen zusammensetzt; und dann die Wirkung jedesmal sehen und ausnutzen. Zur Abschätzung von Verdun z. B. fehlt der öffentlichen und fast ganz noch der privat-militärischen Zuschauerschaft das Augenmaß. Erreicht ist, daß der für April beabsichtigte gleichzeitige und wohlvorbereitete Angriff der Franzosen, Engländer, Italiener, Russen und Salonikibrüder, womöglich mit Rumänien und Griechenland, verdorben ist. Frankreich verbraucht die dafür bestimmten Kräfte, England schwächt sich, weil es den Franzosen Kräfte freimacht. Rußland und Italien sind zu unvorbereiteter und verfrühter Offensive verleitet, Salonikiunternehmen scheinen vorläufig aufgegeben, Rumänien freundlich, Griechenland unverändert. Ist das nicht ein weitwirkender Erfolg? Freilich kein Zeitungserfolg, auf den natürlich jeder von uns nebenbei gehofft hatte Man kann zwischen den Worten lesen, daß Seeckt objektiv genug ist zu dem Versuch einen Erfolg anzuerkennen, daß er aber im Grunde selbst eine Enttäuschung nicht verbergen kann. Verdun war nicht nach seinem Geschmack..

Frage Kriegervereine … Sie sind in letzter Zeit vor dem Krieg politisch und nebenbei ungeschickt ausgenutzt worden. Dafür, daß das aufhört, bin ich unbedingt. In die Armee gehört die Politik nicht. Das wird wohl des Pudels Kern sein … Die Hauptsache ist, den durch Armee und Krieg geborenen Gemeinsinn aufrechtzuerhalten … Die Gleichheit der Pflicht. Frage Sozialdemokratie. Spaltung war zu erwarten, hat keine übertriebene Bedeutung … Es kommt darauf an, eine Arbeiterpartei zu gründen, die ihre Ziele nicht revolutionär zu erreichen anstrebt, die national … bleibt, und die in einer anständigen Form mitarbeitet. Daneben bleibt dann eine Partei ungebrochenen Rowdytums (Liebknecht, Haase) und verrannter Doktrinäre (Bernstein). Mit der ersten Partei kann die Regierung arbeiten; denn sie muß das Arbeiterinteresse pflegen; vor der zweiten nimmt sie sich in acht und vermeidet vielleicht dadurch Dummheiten. Eine starke Regierung tut weder der ersten noch der zweiten den Willen, sondern den eigenen …

D. 31. 3. 1916 … Mir scheint jetzt wenig Aussicht auf eine baldige Verwendung von mir im Westen, hörte nichts darüber, glaube aber nicht daran. Es ist doch manches anders dort gekommen und manche personellen Einflüsse sind entgegen. Denn nicht; hier ist es auch ganz hübsch, nur hätte ich vielleicht Dich gesehen bei der Gelegenheit. Doch wer weiß, wie es kommt. – Amüsant Dein Tee bei Moltkes; ich habe mich über ›meine Erfolge‹ sehr gewundert; aber es ist ja sehr ehrenvoll, daß Julius sich nicht wundert. Er war mir übrigens in letzter Zeit immer wohl gewogen …

D. 2. 4. 1916 … In Berlin soll man sich ja über Tirpitz' Abgang getröstet haben, weil es nun mit Musik (Capelle) vorwärtsgeht Admiral v. Capelle. … Na, Gott strafe England und den Waldow, weil er uns heute frische Wurst und Sauerkraut gab …«

An Herrn v. Winterfeldt-Menkin:

»D. 4. 4. 16 … Ich möchte die U-Bootfrage … als Symptom ansehen … Über die möglichen politischen Folgen einer völlig rücksichtslosen, d. h. nur militärischen Gesichtspunkten folgenden Durchführung dieser Art des Krieges kann man verschiedener Ansicht sein, und vorher kann niemand durchschlagende Beweise für die «Richtigkeit der seinen liefern. Es kommt nach meinem Dafürhalten wesentlich und ausschlaggebend auf die Beantwortung der Frage an: Wie beenden wir siegreich am schnellsten den Krieg? In der Fragestellung müßten wir uns alle einig sein, alle: Heeresleitung, Regierung, Parlament, öffentliche Meinung. Die Beantwortung teilt sich in die beiden Wege, von denen der erste zu dem ganz rücksichtslosen Gebrauch unserer Machtmittel führt, weil er glaubt, dadurch die gegnerischen am schnellsten zu überwinden, physische und moralische, und auch hofft, so den weiteren Kräftezuwachs durch Anschluß von Neutralen an unsere Gegner zu verhindern. Die Verteidiger dieser Ansicht nehmen bewußt aber auch die Möglichkeit dieser Verstärkung in Kauf, schätzen sie dem schon gegen uns stehenden Block gegenüber nicht hoch ein und glauben, daß offene Feindschaft leichter zu überwinden ist als heimliche. Sie glauben, daß trotz der vielleicht zunehmenden Stärke unserer Gegner unsere Kraft, rücksichtslos eingesetzt, groß genug ist, das schnellste und erwünschte Ergebnis herbeizuführen. Die andere Partei fürchtet, daß die mehrfach genannte Rücksichtslosigkeit dazu führen würde, unsere Feinde, hauptsächlich durch Anschluß von Neutralen, derartig zu stärken, daß dadurch unsere äußere und innere Widerstandskraft so geschwächt würde, daß der angestrebte Endsieg hinausgeschoben wird. Entscheiden muß, wer die Verantwortung trägt … Daß die Frage sich zu einer solchen Höhe auswuchs, ist einerseits die Folge der recht unzeitgemäß erfolgten Ausschiffung von Tirpitz Über Tirpitz urteilt Seeckt an anderer Stelle so: »Erreicht dieser, also Tirpitz, etwas gegen England, so ist er sehr mit Recht zu einer entscheidenden Persönlichkeit herangewachsen. Aber man traut ihm nicht. Das mag berechtigt sein oder nicht. Jedenfalls trauen ihm die Feinde auch nicht oder trauen ihm das Schlimmste zu, und das scheint mir ein Vorteil bei aller persönlichen Hochachtung vor der parzifalhaften Reinheit unserer «Reichsleitung.«; andererseits entsteht das in weiten und doch nicht unbeachtlichen Kreisen verbreitete Gefühl, daß an manchen Stellen das zum Kriegführen nun einmal notwendige Quantum Rücksichtslosigkeit fehle. Daher ist und war die Frage ein Symptom. Daß dieses Gefühl und die ihm entspringende Sorge behoben ist, den Eindruck werden auch Sie aus der letzten Reichstagssitzung nicht mitgebracht haben. Darüber ob es berechtigt und begründet ist, kann man verschiedener Ansicht sein … Nicht etwa, als ob ich den Frieden nicht als ein Ziel aufs Innigste zu wünschen bezeichnen würde, sondern weil ich die befriedigende Grundlage für ihn noch nicht nahe sehe. Ich sehe sie in der Ferne und bin allerdings persönlich der Meinung, daß wir ihr nur durch Kampf näherkommen können. Daß dies auch an ausschlaggebender Stelle die Meinung ist, daran zweifle ich nicht, und daher kam ich kürzlich auch ganz zuversichtlich aus dem Westen zurück. Über die Kriegsziele selbst kann man verschiedener Ansicht sein … Daß das Erreichte aber auch einigermaßen den Opfern entsprechen muß und nach Möglichkeit die urteilsfähige Menge des Volkes befriedigen, das erscheint mir allerdings als eine Staatsnotwendigkeit allerersten Ranges. Daß der Wille hierzu an maßgebender Stelle vorhanden ist, daran zu zweifeln fehlt mir jeder Grund. Daß aber die dafür verantwortliche Stelle es nicht verstanden hat, eine solche Sicherheit trotz manchem glücklichen Wort im Volk zu verbreiten und zu festigen, ist sicher und sehr, sehr bedauerlich. Die Personalfrage ist nicht ausschlaggebend, und wenn es dem Kanzler tatsächlich gelingt, das Vertrauen im Volk zu seiner Politik zu gewinnen, so ist alles Wünschenswerte erreicht und ein aufsehenerregender Wechsel vermieden … Der Mann, der in dieser Schicksalsstunde Deutschlands Politik vertritt, müßte folgende Eigenschaften und Besitztümer haben: inneres Preußentum, Achtung und Furcht im Ausland, klare Front nach außen und dadurch das Vertrauen im Innern. Hat der Reichskanzler das alles, dann ist er der rechte Mann, um den Frieden zu schließen, den unsere Waffen ihm ermöglichen. Daß der Zweifel hierin so weit verbreitet ist, ist die eigentliche Ursache aller Unruhe. In zwei Fragen möchte ich Sie meiner ausdrücklichen Zustimmung versichern. Über verantwortliche Persönlichkeiten sein eigenes Urteil zu haben und je nach Lage und Stellung zu äußern, ist ein Recht, das nur das eigene Verantwortungsgefühl beschränkt. Zielt aber ein solches Urteil höher, so ist es von uns unbedingt zurückzuweisen. Es wird dabei oft vergessen, daß wir alle stets das korrekte – ich möchte fast sagen, das ressortmäßige – Verhalten des alten Kaisers seinen Ratgebern gegenüber bewundert haben und daß man diese Eigenschaft am jetzigen gleich hochzuhalten habe. Von dieser tatsächlichen Feststellung abgesehen, sollte es doch jedem von uns klar sein, daß es dringend erforderlich ist, daß wir mit einer kräftigen Zunahme des monarchischen Sinnes aus dem Feldzug kommen müssen. Wer hiergegen sündigt, vergeht sich schwerer, als er wohl ahnt, und das hebt links erworbene Sympathien nicht auf. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn wir … auch einmal ein offenes Wort des Unmuts reden – ich denke da an eines meiner liebsten Fontaneschen Gedichte –, aber Parteiversammlungen und Zeitungen sind mir für unloyale Nörgeleien nicht der Ort. Schwierig sind sie und doch prachtvoll, unsere Junker: sie geben ihr Blut und das ihrer Söhne ohne Murren, aber nicht das Recht ihres eigenen Dickkopfes.

Die Nachfolgerschaft des Kanzlers ist ja nun nicht mehr akut. Mir ist das aus dem Grunde recht, weil ich einen Ersatz von F. jetzt für sehr schwer halte und eine Vereinigung beider Stellen für über das menschliche Maß hinausgehend … Von mehreren Seiten schrieb man mir schon ganz anders, nämlich nun werde F. auf Tirpitz folgen Also auch gehen. Sogar anonym sagte man mir, ich hätte auf eine falsche Karte gesetzt. Ich glaube nicht daran und halte diesen Wechsel unter diesen Umständen tatsächlich für ein Unglück. Über meine von Ihnen freundlich angenommene Nachfolgerschaft braucht man sich dann auch kaum den Kopf zu zerbrechen, denn ich möchte doch annehmen, daß ich als Chef dem siegreichen Kanzler kaum genehm wäre. Auch unter anderen Verhältnissen halte ich Ihre Annahme für ehrenvoll, aber für ziemlich unwahrscheinlich, schon allein aus einer Reihe von militärischen Gründen. Für jetzt ist es zweifellos am besten, es bleibt so …«

An Frau v. Seeckt:

»Üsküb, den 6. April 1916. … Ich stehe etwas unter dem Eindruck der Kanzlerrede, die eben der Telegraph im Auszug überbrachte. Endgültig kann man natürlich, ohne den Wortlaut zu kennen, nicht urteilen. Es scheint mir ein braver, etwas unklarer, friedliebender und bescheidener Mann zu sein; so ganz das, was wir in dieser Zeit und Not gebrauchen!! Er wird ja auch noch mit sich handeln lassen, und die Hauptsache: England und Frankreich wollen wir nicht weh tun.

... Der Reichskanzler spricht davon, daß die Entwicklung der Völker auf der Grundlage ihrer nationalen Eigenheiten gesichert werden müsse. Ich möchte dieses Recht auch für Preußen in Anspruch nehmen, dürfte dafür aber keine Gegenliebe finden … Ich fuhr heute mittag zu zwei alten Moscheen; bei der einen fand ich ein natürlich verwüstetes Grabmal aus sehr alter Zeit mit persischen Motiven, Spuren blauer Majolika. Hier gurren Tauben, singen Katzen und bellen Hunde, dazu blühen Flieder und Glyzinien … Jemand sagte neulich, wir würden alle noch einmal Sehnsucht nach der Schönheit dieses Landes haben. Da wurde ich aber feindlich; ich nicht, ich hätte Sehnsucht nach Land und Kiefern und Tannen und Waldwiesen … Es scheint jetzt gut, wenn auch langsamer als im Anfang, bei Verdun zu gehen; jedenfalls sind die Franzosen ganz festgelegt und zu eigenen Taten dort nicht in der Lage, aber sie schlagen sich noch einmal wie die Teufel. Daß es langsamer geht, hat wohl auch zur Folge gehabt, daß ich noch immer ruhig hier sitze. Vielleicht hat es aber auch andere Gründe. Vorläufig wüßte ich nicht, wofür sie mich jetzt verwenden sollten. Doch wer kann es wissen, wie es kommt; ich bin auch so zufrieden … Ich wäre ja lieber im Westen und täte etwas Ordentliches, als hier eigentlich zur Zeit ziemlich zwecklos herumzusitzen. Diplomatisch, wie Du meinst, ist auch nicht viel los; freilich die Brüder tun, was ich will, mein Freund Jekow vor allem, und das ist von einem anderen so leicht nicht zu erreichen …

Den 14. 4. 1916. ›Da sprach der Herr zu ihnen: Wollt Ihr auch weggehen? – Da antwortete Simon Petrus und sprach: Herr – wohin sollen wir gehen. Du hast Worte ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du heißt Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. – Da sprach der Herr: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich gründen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen Seeckt schreibt die Stelle daneben aus dem Gedächtnis im griechischen Text.

Du siehst, etwas ist noch übriggeblieben im Gedächtnis und ersetzt mir vieles. Eine herrliche Stelle; der in seinem Glaubensfeuer und seiner Glaubensschwachheit so menschlich erfaßte Petrus. Zu diesem Exkurs brachte mich Deine Erwähnung der Stelle ›so falle Cäsar‹, im Vergleich zum ›Auch du mein Sohn Brutus‹. Es ist lange her, daß ich das Stück sah, im Viktoria-Theater von den Meiningern, mit Barnay als Antonius. Das sind so Alte-Herren-Angewohnheiten, in Theaterreminiszenzen zu schwelgen! Für die menschlichste Stelle, die Reue des Brutus in echt antiker Tragik, fehlte mir wohl damals das Verständnis, wie auch dafür, daß die Rede des Brutus an das Volk, die der Glanznummer der Antoniusrede vorausgeht, eigentlich viel feiner ist …

Ich habe die letzte Kanzlerrede eingehend gelesen. Er kommt mir immer vor wie ein Mann, der mit der Faust auf den Tisch schlägt, dann Au! schreit und sich die schmerzende Stelle reibt …

Den 15. 4. 1916. Ich vereinsame jetzt so ziemlich und habe eigentlich nur noch Jugend um mich, was ja an sich ganz hübsch ist. Voelckers ist zur Zeit dauernd detachiert … So habe ich bei Tisch eigentlich nur den klugen Intendanten zur Unterhaltung Dr. Keber; Seeckt wußte offenbar nicht, daß der Intendant selbst recht musikalisch war und Klavier spielte. … Auch ist hier ›die Oper nicht gut‹ Ein von einem Berliner Garde-Rgt. in eine ganz kleine Grenzgarnison versetzter Offizier hatte auf die Frage »Wie ist es denn in X?« geantwortet: »Die Oper ist nicht gut.«, und man denkt daran, uns ein Grammophon zu kaufen! …

Von Falkenhayn hatte ich kürzlich ein freundliches Telegramm auf einen längeren Stimmungsbericht hin …

Den 17. 4. 1916. … Es ist etwas komisch mit der Hoffnung auf Verständigung mit Frankreich. Man vergißt, daß wir Deutsche gegen Frankreich diesmal bis zur Entscheidung kämpfen; ich denke, es wird vielleicht keine äußerliche Schlachtentscheidung! Aber jetzt Verständigung? Dann stünden die Helden von Langemark und Ypern, von der Aisne und der Maas aus ihren Gräbern auf und sagten: Dafür! Und all der Jammer und die Trauer zu Hause ballten sich zusammen und sagten: Dafür! … Sehr gut, daß Du Gegnerschaft gegen die Bulgaren für mich bestritten hast … Gestern war wirklich, wie Gräser sagte, auf den Vardarwiesen der Deubel los: Riesengeier, mit Schwungbreiten von über 2 Meter, die, seitdem täglich auf sie Jagd gemacht wird, ganz zahm geworden sind, Adler, kleine Raubvögel, Störche, Kormorane, Reiher, bunte Eisvögel. Mit Resignation sehe ich den Möweneiern zum Geburtstag entgegen, dumpfes Fatum, ob roh oder gekocht!! Dann immer noch lieber die versprochene Liegnitzer Bombe …

Den 19. 4. 1916. Deine Idee eines Rendezvous in B.Pest wollen wir sehr in Erwägung ziehen – mehr kann ich heute noch nicht versprechen. Da sie Verdun ohne mich machen zu wollen scheinen, so kann ich vielleicht von hier noch einmal etwas fort.

Betr. Hentsch vergaß ich Dir zu sagen, daß er ein berühmter Pessimist ist. Nicht aus böser Absicht. Ich bin ja sicher, daß er Dir keine Schreckensgeschichten erzählen wird, aber hoffnungsfreudig wirkt er nicht. Mir macht das gar nichts, aber nicht jeder ist gefeit … Ich bin heute früh ganz naß geregnet, doch jetzt scheint schon wieder die Sonne Homers. So weit ist man ja nicht von seinem Land, woran mich auch heute eine Karte eines alten Lehrers aus Detmold erinnerte, der mir Thukydides und Alexander vorführte – aber ohne Vergleiche … Außer diesem Gruß hatte ich auch noch einen von drei alten Unteroffizieren des II. Btl. 109 …

Den 20. 4. 1916. … Sehr erfrischend ist Strindberg wohl kaum, aber in dieser Zeit vielleicht ganz angebracht, weil so ganz unzeitgemäß und daher ablenkend. Ich werde mich über das Buch sehr freuen. Ich las heute Chamberlains neueste Broschüre; Amboß oder Hammer. Wie stets umständlich und teilweise schrullig, aber im Grundzug richtig, wohl lesenswert. Er rechnet den ›Krieg‹ auf hundert Jahre, nicht den mit den Waffen, aber der Geister, damit trifft er genau meine Meinung. Der Feldm. gab mir das Heft … Ich will zur Geburtstagsfeier morgen abend wegfahren und mir etwas ansehen und freue mich auf einen Tag im Freien. Hier liefen heute die kleinen makedonischen Dreckspatzen mit Lämmchen herum. Sie müssen nun Ostern zum erstenmal vierzehn Tage früher feiern; für Russen und Orthodoxe ist es ja doch das Hauptfest. Hoffentlich küssen die Bulgaren nicht!

Den 21. 4. 1916. So gefreut habe ich mich über das geliebte und ganz ausgezeichnete Aquarell, sprechend ähnlich und sehr charakteristisch, lieb und sympathisch. Alle Freundlichkeiten – so schreibt mir Fräulein von Suckow – von Deinem Gesicht kann kein Maler wiedergeben, aber sehr viel hat sie herausbekommen und mir nicht nur eine große Freude, sondern auch ein wirkliches kleines Kunstwerk geschaffen. Den Mund finde ich sehr gut, ein klein wenig pikiert vielleicht, was für mich noch einen besonderen persönlichen Charme hat, besonders aber die Farben sind vorzüglich … Sehr interessant natürlich, was Du von der Begegnung mit T. Tirpitz. schreibst, und ich freue mich, daß er von mir wußte und was auf mich hielt. Du mußt nur immer dabei denken, daß der alte Lange vor allem recht hat, der von dem Seecktschen Glück sprach, das ja auch wahrhaftig im letzten Jahr mit unserem Tun gewesen ist … Nun noch zum Besten für uns, ich schrieb schon, Wiedersehen scheint mir gar nicht so unmöglich, besonders da ich heute unter der Hand hörte, daß F. sich zur Zeit aus politischen Gründen nicht entschließen könne, mich fortzunehmen. Vielleicht hat er ›zur Zeit‹ auch ganz recht; aber die Zeit ist etwas veränderlich, und morgen sieht vielleicht wieder alles ganz anders aus … Es war sehr schön heute, außer Deinem Bild auch noch soviel von Dir zu hören, und Dein Geschreibsel nehme ich mit auf die Reise. Behalte nun Deinen 50jährigen auch noch so lieb, dann geht er ruhig in sein 2. Halbjahrhundert. Ist doch die ganze Ewigkeit unser.

Ostersonntag, Üsküb, den 23. 4. 1916. … Herrliches Wetter, lange draußen, Artilleriefeuer auf die Engländer – was will man mehr. Und an seinem Geburtstag im Nebel die Berge Athos und den Olymp mit einem glänzenden Zipfel Ägäischen Meeres zu sehen – das ist alles zusammen nicht unerfreulich!

Den 23. 4. 1916 abends. Ich hoffe, mein Gruß erreicht Dich schnell. Ich hatte – soweit es ohne Dich sein kann, einen hübschen Geburtstag. Nur wenn ich gedacht hatte, mich allen Ovationen zu entziehen, so war das ein Irrtum; sie kommen heute nach. Blumen und Liebenswürdigkeiten von allen Seiten; der Feldmarschall schenkte mir ein hübsches Briefmesser in hiesiger Stahlarbeit, die an Toledo erinnert. Eigentlich wollte ich ja all dem entgehen, aber als ich gestern morgen zum Frühstück in den Wagen kam, sah ich an Blumen, Torte und Gräsers Gesicht, daß alles im Gange war. Einstweilen blieb es aber wenigstens unter uns beiden, einschließlich Buggermann und dem Eisenbahnschaffner. Um 8 Uhr 30 aus dem Wagen, nach kurzer Autofahrt zu Pferd … und auf die Berge geritten, auf einer Höhe landschaftlich eins der schönsten Bilder, die ich je sah. Der ›Heilige Berg‹ Athos ist immerhin etwa 170 Kilometer weit entfernt, der Olymp 120 Kilometer, und wenn dazwischen auch Dunst der Ebene, so kannst Du Dir doch ein Bild der Ausdehnung machen; der Vardar als glänzendes Band, einige Seen in der Ferne und dicht zu Füßen der tiefblaue Dojran-See, rechts und links die schneegekrönten Höhen der verschiedenen Balkanketten. Dazu auch militärisch viel Interessantes und recht Befriedigendes. Daß wir, freilich in ziemlicher Entfernung, eine englische Marschkolonne sahen und auf sie schießen ließen, war eine besondere Freude. Es war sonst ruhig weithin. Die Südhänge haben kaum Vegetation, da der Mangel an Wald und Feuchtigkeit hier die ausdörrende Kraft der Sonne nicht bändigt. Die Nordhänge tragen dichtes Buchsbaumgebüsch und ganz niedrige Eichensträucher, dazwischen blaue Iris und weiter unten auch schon leuchtenden roten Mohn. Nachdem wir ziemlich lange oben geblieben, kletterten wir herunter nach Dojran, wo die Autos warteten und wir etwas aus der Hand frühstückten. Dann fuhr ich zu einem bulg. Div. Kdr., den ich noch nicht kannte, und ermahnte ihn etwas. Vor dem Germanski General, wie ich als Sammelbegriff heiße, haben sie glücklicherweise Achtung. Anspruchslos sind diese Leute; er wohnt kaum glaublich! Unsere Truppen haben sich meist sehr nette saubere Hütten gebaut, die sie den Dörfern vorziehen. Bei diesem Klima und Wetter ideale Unterbringung …

An Mahn Dr. Mahn war ein Bekannter Seeckts, zu dem sich später nähere Beziehungen entwickelten. schreibe ich; es ist sehr freundlich gemeint, aber er macht zuviel aus mir. Damit meine ich nicht historische Wahrheit. Die kann ich nicht feststellen. Aber es ist doch immer der Chef, der auf Kosten des Führers gelobt wird Man darf diese Stelle, die Seeckts Einstellung zu seinem Oberbefehlshaber deutlicher als jede nachträgliche Beschreibung charakterisiert, keinesfalls übersehen. Bei allem Selbstbewußtsein wahrte Seeckt unbestechlich die Stellung seines Oberbefehlshabers und hatte ausgesprochene Hochachtung vor seiner Person und unbedingte Anerkennung für die Verantwortung, die nur der Oberbefehlshaber trägt und tragen kann.. Das sollte eigentlich nicht sein … Spaß hat es mir aber gemacht – also auch dafür danke ich Dir … Einen niedlichen Brief hatte ich noch, von einem Oberst Koblinsky. ›Wer hätte das wohl in Bromberg gedacht, daß Sie noch einmal so etwas werden könnten!‹ Ich habe ihm herzlich für seine Offenheit gedankt …

Den 29. 4. 1916. … Eben kam die Nachricht von der Kapitulation der Engländer bei Kut-el-Amara; 13+300 Mann und sehr vieler englischer Stolz gehen darauf. Sie hatten gerade heute früh versucht, freien Abzug und die Herausgabe der Kanonen … zu erhalten. Cette proposition ridicule fut naturellement refusée, depeschierte Enver. Balkan-Kriegsschauplatz: Nichts Neues, auch kein Brief von Dir. Sonst geht es mir gut, aber zu erzählen habe ich nichts … Zufällig erzählte mir gerade der Feldm., er habe heute einen Brief von Dickhut bekommen, der von ihm eine ›seiner Stellung und seinen Verdiensten‹ entsprechende Verwendung auf dem Balkan fordert. Er habe ihm geantwortet, so hohe Stellungen haben wir nicht zu vergeben. Was ich gut finde. Gustaf mit f ist Gouverneur von Thorn, ein ›nett und ruhig Pöstchen‹ jetzt …

Den 30. 4. 1916. … Von Kraewel hatte ich auf meinen ironischen einen so herzlichen Brief als Antwort, daß ich ganz beschämt war. Aber er kennt seinen alten Ia und hatte damals schon seine Freude an meiner Feder; die Freundschaft bleibt die alte.

... Eine neue angenehme Eigenschaft hat der Feldm., er bekommt auch jetzt zuweilen wie Hindenburg von Verehrern einige Flaschen besonderen Weines geschickt, die er dann treulich mit mir teilt. So gab es zwei Tage hintereinander 88er Chablis. Das kann man sich gefallen lassen …

Den 2. Mai 1916. … Mein Arbeitszimmer ist voll Blumen, die mir meine jungen Herren hingestellt haben, Iris und Rosen, zur Feier des heutigen Gedenktages Gorlice., und heute abend wird es wohl kaum ohne Reden abgehen.

Dein liebes kleines Bild ist mir stets eine neue Freude; ein wenig betrübt kann es aussehen, und dann habe ich das Gefühl – das ich eigentlich immer habe und hatte –, daß der ganze Krieg ein einziges Unrecht ist, das ich Dir angetan habe. Ich habe ein schlechtes Gewissen für den Krieg, der mir äußerlich soviel Erfolge und Ehren gebracht hat und Dir nur Unangenehmes und Schweres. Mir ja vielleicht auch, aber das macht doch nichts, und schließlich ist es mein Beruf, nicht Deiner. Ein etwas kompliziertes Gefühl, wenn ich nach seinen Gründen und nach Worten suche, es zu beschreiben, und doch eigentlich ganz einfach und klar und natürlich. Und das stört mir doch sehr die Befriedigung mit dem heute historisch gewordenen Erfolg, wenn ich denke, daß er so wenig dazu geholfen hat, ein kleines Katz glücklich zu machen.

Zur Feier des Tages bekam Lüdtke Langjähriger Pferdebursche. das Kreuz, ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk des Feldm. für mich. Verdient? Was heißt Verdienst! Er hat seine Schuldigkeit getan, und mehr kann keiner, und er ist schließlich weiter vorn an der Front gewesen als mancher andere. Es taucht dabei immer wieder die alte Frage auf: Wenn der, warum nicht ich?

Es sind heute so allerhand Nebengedanken, die mir durch den Kopf gehen; denke aber nicht, daß dadurch meine andauernde zuversichtliche Gesamtstimmung verloren geht …

3. Mai 1916. … Gestern abend war der Tisch hübsch dekoriert zur Jahresfeier, und ich hielt eine Rede. Dann hatte ich mir meine jungen Generalstabsoffiziere zu einer Maibowle eingeladen, und wir saßen bis ein Uhr behaglich zusammen … Meine Freunde, die Österreicher, haben mich heute enttäuscht; aber davon heute nichts weiter Es ist nicht ersichtlich, worin die Österreicher an diesem Tage oder auch nur in diesen Tagen Seeckt enttäuscht haben sollen. Er hatte gerade um die Monatswende keine Schwierigkeiten, vielmehr österreichisch-bulgarische Streitfragen beigelegt. Man hat daher vermutet, daß er die österr. Offensivgedanken in Südtirol gemeint haben könne. Von dieser Offensive hatte Falkenhayn in einem Telegramm an Cramon zugunsten anderer Pläne abgeraten. Ob aber Seeckt tatsächlich die Tiroler Offensive so verurteilt hat, daß er diesen Plan als eine eigene Enttäuschung bezeichnen konnte, muß sehr dahingestellt bleiben. …

D. 4. Mai 1916. Ein glorreicher Sommertag; vor mir stehen schon wieder neue Rosen, die vielgeliebten dunkelroten. Sonst gar nichts Neues von uns und auch sonst in der Welt herzlich wenig … Na, überhaupt; ich weiß wenig, mache mir aber allerhand Gedanken …

Den 5. Mai 1916. … Wie besonders nett Dein Abend mit ›Papa Kessel‹ gewesen ist, erzählte H. ausgiebig, auch daß es ausreichend zu essen und zu trinken gab. Ungern gestand er das; denn sonst war er derart pessimistisch, hat weniger mir als allen anderen derartige Schreckensgeschichten erzählt, daß ich es ihm fast übelnehmen könnte! Ohne daß ich zweifle, daß die Lage im Innern zur Zeit ernst ist. Wer trägt die Verantwortung? Das ist ja nicht so wichtig, als daß jetzt ein anderer es besser macht. Ich hoffe auf Wrisberg und das K.M. Aber schlimm muß es schon sein. H. schwelgte in Schilderungen der ›schweren Hungersnot‹, die nicht leicht zu ertragen wäre …

Den 8. Mai 1916. … Am Sonnabend war ich in Küstendil und kam gestern nachmittag zurück. Da gab es soviel zu tun und zu beantworten, daß es bei dem Versuch, Dir zu schreiben, bleiben mußte … Abends konnte ich zuerst nicht einschlafen, so himmlisch tobten vor meinem Fenster die Nachtigallen. Es ist da etwas richtiger Wald – eine unwahrscheinliche Sache; ebenso die gestrige Fahrt, weil wir auf ziemlich rumänische Stämme trafen, Kutzo-Wallachen; in ganz anderer Tracht die Frauen, kurze dunkle Röcke, viel Blattgoldschmuck, hohen Kopfputz, während die Bulgarinnen nur das einfache weiße Kopftuch tragen. Das ganze war ein hübsches, farbenfrohes Bild auf dem Hintergrund des leuchtenden Grüns der Berge. Die gebildeteren Bulgarinnen können einem leider nie irgendwelche Sitten, Trachten und ähnliches erklären … Ich wohnte in einer Wohnung letzter Wiener Scheußlichkeit, aber alles peinlich sauber. Hier kam man dann wieder in die türkische Umgebung zurück, dem die Zigeuner noch eine bunte Note geben.

Dienstlich war ich sehr befriedigt; ich erfuhr viel, da ich mit Jekow jetzt auf dem Fuße vollkommenen Vertrauens stehe. Schwierige Verhältnisse sind dort, noch eine Welt zu schaffen. Gegen mich war jedermann so entgegenkommend, wie es ihnen gegeben … Leider ist man immer wieder erschlagen, mit welchem Ungeschick alles Diplomatische gemacht wird. Es gibt eben bei uns keinen Menschen, der den Balkan kennt …

Ehrenbürger von Schleswig soll ich werden? Was macht man denn da? Mir würde es einen Riesenspaß machen …

Den 9. Mai 1916. … Wieder hier einpassiert, gute Fahrt in der kühlen Nacht, einige Besprechungen mit den Germanski Bolgars, wie die Vereinigung unserer Truppen lautet bei den Bundesbrüdern, und zurück. Eine neue Note im Vardar-Tal sind die riesigen weißen Mohnfelder in Blüte, kaum unterbrochen der Schnee durch einige dunkelviolette und purpurne Exemplare. Auf Feldern und an den Wegen der gewöhnliche rote Mohn, an den Felsen Ginster. Alles plötzlich überreich und bald vergangen. Ein Monat Frühling und Sommer zugleich …

Den 10. Mai 1916. Danke Dir für lieben Brief vom 5. Wie nett und lustig Deine letzte Gesellschaft, und wie wohl hat sie gewiß allen getan. Lachen und lustig sein ist so gesund und gehört auch so zu Dir; nun will aber auch ich sehr bald einmal mit Dir lachen und lustig sein, obgleich ich ja meist ernsthaft und alt bin. Wie wohltuend war es gewiß, daß anstatt Politik musiziert und ähnliches gemacht wurde …

Den 13. Mai 1916. … Es wird mir unendlich schwer, Dir zu telegraphieren: Es geht jetzt nicht. Es geht aber wirklich nicht; stündlich wechseln die Nachrichten; jetzt aber, wo sich alles zu einem bevorstehenden Angriff der Franzosen verdichtet, kann ich den Posten nicht verlassen. Sei aber versichert, daß ich jeden Tag daran denke. Nach menschlicher Voraussicht muß es sich ja bald entscheiden. Wäre nicht die Möglichkeit meines Wechsels nach Westen aufgetaucht, so hätte ich so gut am 3./4. fortgekonnt. Heute nicht. Ich kann ja auch nur mich selbst damit beruhigen, daß ich selbst auf eine Bitte wahrscheinlich die Antwort bekäme: Sind Sie krank? Sonst nein. Und da ist doch besser gesund, nicht wahr, mein lieber Schatz. Immer wieder von Dir Entsagung fordern, ist nicht hübsch, und Dich immer wieder enttäuschen auch nicht. Das weißt Du. An sich, militärisch, steht alles gut – mögen sie nur kommen! …

Den 14. Mai 1916. … Ich fahre heute abend zu einer der Armeen, bin übermorgen wieder hier … Tägliches mehrfaches Telephonieren mit Falkenhayn bringt mir recht die Unmöglichkeit zum Bewußtsein, fort zu können, wenn ich auch in Budapest in telephonischer Verbindung mit hier wäre und in achtzehn Stunden im Extrazug hier sein kann, aber in der Zeit könnte gerade alles verdorben sein. Du kannst Dir denken, daß zur Zeit hier bei mir etwas Spannung und Tätigkeit herrscht. So recht traue ich den Ententebrüdern noch keine Tätigkeit ernster Art zu, aber wir müssen uns darauf vorbereiten, und das ist eben meine Sache jetzt …

Den 16. Mai 1916. … Ich sehe heute die Lage, d. h. die unseres Wiedersehens, etwas rosiger an, aber es läßt sich schlecht voraussehen. Hättest Du miterlebt, was in diesen Tagen – nicht an Arbeit, aber an Verantwortung auf mir lag, so würdest Du es sehr einsehen, daß ich tatsächlich nicht zu entbehren war. Gestern war ich an der Front, leider bei strömendem Regen, so daß nicht viel zu sehen war. Aber ich habe doch allerlei Dummheiten Es handelt sich offensichtlich um die Grenzzwischenfälle. vorgebeugt. Heute lange wieder mit Jekow bis zur erschöpfenden Einigung verhandelt. Neben anderem ist es mir gelungen, einige tausend Rinder und einige zehntausend Hammel von den Bulgaren zu bekommen, die nach Deutschland gehen. Sie tun es mir zu Gefallen, und die Sache muß ganz heimlich gemacht werden ohne Wissen der Einkaufsgesellschaften, die alles verderben … Vorläufig scheint mir das das Allerwichtigste zu sein. – Dann mußte ich aber auch mit ihnen frühstücken, was immer etwas länglich und nicht gut ist … Dein Brief von Deinem Ausflug nach der Neumark war nun doch nichts weniger als stumpfsinnig! Von erwachender Liebe zur norddeutschen Tiefebene höre ich doch nur zu gern … Darüber, daß alle über den ›Chef‹ schimpfen, mußt Du Dich nicht wundern; aber daß einer über die Uhr Sommerzeit. schimpft und sie nicht einfach schweigend umstellt, ist töricht. Der Sonne wird es ja egal sein, nach welcher Zeit die Menschen leben …

Den 18. Mai 1916. … Heute Wetterunfug. Üsküb zum Teil unter Wasser, Bahnverbindung zur Front unterbrochen, nach rückwärts noch heil. Wir wohnen hier im Trocknen, da unser Haus höher liegt. Der Feldm. zog in den Salonwagen, da seine Wohnung vom Wasser eingeschlossen ist. Ich sah mir heute zu Pferd das Ganze an: Ein großartiger Anblick, der reißende Vardarfluß. Man bekommt Respekt vor der Gewalt dieser Gebirgsströme, in die nun der Regen gleichzeitig mit dem Schnee von den Bergen stürzt, durch keine Bewaldung gemildert und aufgehalten. Sehr komisch, wie Menschen dergleichen aufnehmen. Der Feldmarschall mag es nicht, wenn ihm die Überschwemmung die Bewegungsfreiheit hemmt; Hentsch sieht Weltuntergang voraus, Ertrinken, Verhungern der Armee, hat aber schon für das Gegenteil gesorgt; Gräser lacht vor Vergnügen, wenn unsere Pferde bis an den Bauch ins Wasser gehen; Dunst raucht eine schwere Zigarre nach der andern und hält uns stillschweigend für blödsinnig, auszureiten, und meint, bei den Franzosen regne es auch; B. wird wahrscheinlich bald um Urlaub wegen des Wassers bitten; ich bin nur schlechter Laune und denke, daß sich auch dieses Wasser wieder verlaufen wird, wie die andern in der Welt auch. Wann weiß ich nicht … Die Nahrungsmittelkalamität wird hoffentlich nun durch das neue Amt, das ja wenigstens zur Hälfte militärisch ist, etwas gebessert. Zeit ist es. Die Erkrankung Delbrücks kommt mindestens sehr gelegen, wenn auch Zuckerkartenkrankheit etwas leicht Komisches im Klang hat … Die Österreicher haben zu dem lange vorbereiteten Schlag angesetzt und ganz hübschen Erfolg gehabt. Nun ausnutzen – darauf allein kommt es an; ich bin sehr gespannt …

Den 19. Mai 1916. … Ich telegraphiere morgen an Falkenhayn, ob er Bedenken gegen meine Abreise hat. Davon hängt es ja nach meiner eigenen Auffassung noch zunächst ab. Die Antwort telegraphiere ich Dir... Das Wasser hat sich schnell verlaufen, und wir flicken eifrig an unseren Bahnen und Straßen. Menschen haben wir nicht verloren glücklicherweise. Das halb weggeschwemmte Zigeunerdorf, das ich mir heute früh ansah, erinnerte mich an Beschreibungen von den Regenfällen in Indien. Die Wände sind aus ungebranntem Lehm, und so ist das Dach einfach, nachdem dieser fortgeschwemmt, auf den Boden gefallen. Die Leute sind nicht einmal unglücklich, nur noch etwas schmutziger …«

Es folgte am 24. Mai 1916 ein Zusammentreffen Angaben von Frau v. Seeckt. in Budapest. Außer glänzender gastlicher Aufnahme bei vielen ungarischen Magnaten fanden Feste zu Ehren Generals von Seeckt statt. Die Donau-Schiffahrtsgesellschaft lud ein zu einer Fahrt auf dem Dampfer »Zsófia Herczegnö«, der im Herbst 1915 bei Semendria dem General zum Wohnquartier wochenlang gedient hatte. Die Fahrt ging donauaufwärts zunächst bis Višegrad, wo Schulkinder mit schwarzweißroten Schleifen und mit Kornblumen geschmückt »Die Wacht am Rhein« sangen. Dann fuhr man weiter bis Esztérgom, dessen Dom einer Gralsburg ähnlich die dortige Gegend beherrsch Zur Einweihung des Domes hatte Liszt die Graner Messe komponiert. Esztérgom ist der magyarische Name für Gran.. Am 2.6. wurde Seeckt als dem ältesten in Budapest anwesenden deutschen General ein Fackelzug gebracht, anläßlich der Schlacht am Skagerrak. Nicht endenwollender Jubel betonte die Bundesbrüderschaft. Am 3.6. fuhren General von Seeckt und Frau über Peterwardein nach Belgrad. Auf der Höhe des Kalimegdan, von der aus man die Savemündung übersieht, schilderte General von Seeckt seiner Frau die Einnahme von Belgrad; ein wundervoller Sommertag, inmitten wuchernder Mohnblumen.

Nachdem der General am 5.6. nach Üsküb wieder abgereist war, machte Frau v. Seeckt noch eine Autofahrt nach Semlin, an die sich ein Tee-Empfang in der deutschen Gesandtschaft in Belgrad anschloß, deren berühmter, von der Baronin Heyking Verfasserin von »Briefe, die ihn nicht erreichten«. angelegter Rosengarten im herrlichsten Flor stand.

Die Briefe nach dem Zusammensein:

»Üsküb, den 7. Juni 1916. … Das war schön und gut, sich mal wieder aneinander zu gewöhnen, sich auszusprechen! Und das haben wir getan! Daran, daß ich etwas schwerfälliger und zuweilen etwas müder geworden bin – leider –, damit mußt Du schon etwas Nachsicht haben. Es war aber sehr, sehr hübsch und gut, und ich danke Dir für jeden Tag und für jedes Wort …

Ich war um elf Uhr morgens in dem sommerlich grünen Makedonien, wo mich eine Hochflut von Fragen, Vorträgen, Entscheidungen, Briefen, Berichten und Klagen erwartete, so daß der Tag schnell verging. Die vorliegenden Nachrichten gut, und am Abend kam noch als Ergänzung die vom Tode des Lord K. Kitchener. Ich kann nicht sagen, daß ich eine andere als sachliche Befriedigung hatte, weil ich glaube, es wird großen Eindruck machen in England; denn die unbestrittene Seebeherrschung sieht doch immer zweifelhafter aus. Außerdem verlieren wir einen entschlossenen und energischen Feind in ihm. Aber persönlich hatte ich eine gute Erinnerung an ihn. Die Erfolge der Seeschlacht Skagerrak. wachsen sich noch schön aus, trotz der doch geradezu kläglichen Darstellung der Engländer, die zuerst leugneten, daß ihre Großkampfschiffe überhaupt an der Schlacht teilgenommen hätten und dann den Verlust zweier selbst zugeben mußten …

Innerlich etwas reichlich Einsamkeitsgefühl ohne Dich. Adieu für heute.

Den 8. Juni 1916. … Natürlich bin ich heute sehr niedergeschlagen wegen der Niederlage der Österreicher. Die Verluste sind so groß, daß m. E. unser Eingreifen zur Rettung ganz unvermeidlich ist. Wie es geschehen soll, weiß ich noch nicht. Es ist sehr dumm, daß es gerade kurz nach dem sich immer mehr auswachsenden Seesieg, unserm Erfolg bei Vaux und den österr. Fortschritten in Italien erfolgt. Es ging alles so gut. Daß sie gegen die Russen keine Nerven haben, ist zu schlimm. Angst habe ich für diese Front immer gehabt, aber gleich so! Na – es wird schon wieder werden … Die Rosen sind vorüber, dafür steht vor mir ein Rießenstrauß weißer Lilien …

Den 9. Juni 1916. … Mir brennt es auf den Nägeln, nach Wolhynien zu gehen und dort wieder zu helfen. Ich habe es in einem langen Telegramm dem Obermeister vorgeschlagen ohne große Hoffnung, daß es geschieht. Persönliches wird dagegen sprechen. Ich bin gar nicht gekränkt, wenn es so kommt; aber in solchen Augenblicken muß jede Rücksicht schwinden, auch auf die Gefahr hin, sich vorzudrängen, was sonst wohl nicht meine Art ist … Las heute die Rede des schwer gereizten Kanzlers und fühlte mich auch getroffen als Verleumder und Reichsfeind. Na, dann man tau …

Pfingstsonntag, den 11. Juni 1916. … Hatte ein sehr freundliches Telegramm von F. auf mein Anerbieten. Noch brauchten sie mich nicht, doch vielleicht später, hoffentlich nicht zu spät. Sie sind noch nicht klein genug. Sonst mit mir ganz einverstanden. Freute mich darüber, da er schließlich auch hätte antworten können: Bekümmere Dich um Deine Angelegenheiten. Also etwas bin ich in Spannung; im allgemeinen natürlich auch. Es ist doch ein aufregender Beruf, wenn man so drin steckt wie ich, und das Gequatsch im Reichstag ist mir ziemlich gleichgültig, bin aber mit den Konservativen und namentlich mit Westarp ganz einverstanden … Wenn Du mir später mal bei irgendeiner Gelegenheit etwas zu lesen schicken willst, so denke bitte daran, daß ich gern den für diese Tage angezeigten Briefwechsel zwischen Goethe und seiner Frau hätte; ich habe für die vielverlästerte Christiane immer etwas übrig gehabt. Ihr gelten doch die allerschönsten Perlen seiner Dichtung, und außerdem haßte sie die unausstehliche Frau von Stein …

Den 12. Juni 1916. … Soweit bis jetzt zu übersehen, ändert sich für mich nichts, wenn sich auch, wie F. sagte, täglich neue Lagen einstellen können, die es doch nötig machen. Vorläufig ist ein so starker Einsatz unserer Kräfte, daß meine Verwendung möglich wäre, nicht beabsichtigt. Es sieht aber böse aus; die Folgen sind noch gar nicht zu übersehen; aber es geschieht, was möglich und erforderlich scheint, von uns. Näheres kann ich nicht gut schreiben. Der Kopf ist mir natürlich voll.«

13.6. Telegramm an Frau von Seeckt: »Erwartete Veränderung eingetreten, sehr zufrieden … Seeckt.«

»Den 13. Juni 1916. … Vor der Abreise einen eiligen Gruß. Einzelheiten meiner Tätigkeit noch nicht genau zu sagen. Doch hoffe ich, helfen zu können; es tut not …

Den 14. Juni 1916 im Zug vor Budapest. Da wären wir wieder in dem Salonwagen, der nunmehr für mich noch ganz von Deiner Gegenwart erfüllt ist. In einer Stunde werden wir in Budapest sein, dort kurzer Aufenthalt, neue Nachrichten, Weisungen, Besprechungen. Dann weiter gegen den Feind.

Gestern abend in Nisch zu meinem Empfang der König mit beiden Prinzen in preußischen Uniformen. Eine halbe Stunde mit ihm allein, sehr herzlich und sehr sorgenvoll. Wollte beruhigt sein, was auch gelang. Ich erzähle später noch davon. Er gab mir noch seinen Tapferkeitsorden, den mir der Kronprinz selbst anheften mußte.

Herrlich geschlafen, nun durch das sonnenbeschienene Ungarn. Gehe zuversichtlich den neuen, schweren und noch dunklen Aufgaben entgegen, bin dankbar und stolz auf das in mich gesetzte Vertrauen.

Gestern um 1 Uhr 30 fuhr ich fort nach herzlichem Abschied, auch vom Feldmarschall; denn unsere Wiedervereinigung ist noch ganz zweifelhaft. Der Tag war von 3 Uhr 30 morgens bis zur Abreise mehr als besetzt …«


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