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Moderne Heere

Die nachfolgenden Ausführungen geben durchaus und allein meine persönliche Meinung wieder und ermangeln jedes, auch eines aus meiner Vergangenheit etwa abzuleitenden, offiziellen Charakters. Sie lassen die Verhältnisse der deutschen Reichswehr ebenso beiseite, wie sie sich als reine Phantasiegebilde von den Fesseln des Versailler Vertrages frei wissen; sie beschränken sich endlich auf das Landheer und überlassen Marinefragen sachverständigerer Prüfung.

Wenn ich das hier aufgestellte Thema etwas näher umreißen soll, so möchte ich folgende Fragen aufwerfen und versuchen, soweit es im Rahmen dieser Darlegungen möglich ist, sie zu beantworten: Wohin geht der Weg der militärischen Entwicklung? Sind noch Heere notwendig? Wie werden sie aussehen? Wie werden sie sich verhalten?

Es sind also, freilich aus sehr realen Tatsachen abgeleitete Phantasien, die hier entwickelt werden, ohne das Mißliche jedes Prophetentums zu verkennen.

Wir werden, um einen sicheren Ausgangspunkt zu gewinnen, zunächst einen Rückblick auf die Heere werfen müssen, die in den Weltkrieg zogen, und werden dabei die erstaunliche Feststellung machen, daß alle für ihn mehr oder weniger ungenügend organisiert waren. Die Tatsache, daß alle großen europäischen Festlandmächte ihre Wehrsysteme auf dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht begründet hatten und daß allen das Streben, möglichst früh und möglichst stark an den Grenzen zu erscheinen, gemeinsam war, erleichtert den Vergleich. Die glänzenden Leistungen der deutschen Organisation brauchen hier nicht hervorgehoben zu werden; auf drei große Fehler sei aber hingewiesen. Trotz der allgemeinen Überzeugung, daß ein Krieg Deutschland vor seine Existenzfrage stellen würde, und trotzdem wir, jedenfalls in militärischen Kreisen, bestimmt mit dem Zweifrontenkrieg, also mit zahlenmäßiger Überlegenheit des Feindes rechneten, war – die Gründe dafür sind hier gleichgültig – die Volkskraft militärisch nicht voll ausgenutzt, die allgemeine Wehrpflicht nicht restlos durchgeführt. Für das Nähren des Kampfes, also für den Ersatz, war weder personell, noch materiell genügend vorgesorgt, und damit in Verbindung stehend fehlte die eigentliche wirtschaftliche Mobilmachung. Walter Rathenaus Weitblick und des Kriegsministers Falkenhayn Einsicht verdanken wir es, wenn wenigstens nach Kriegsausbruch die notwendigen Maßnahmen zum wirtschaftlichen Durchhalten getroffen wurden. Alles war auf den starken und schnellen ersten Schlag eingestellt, obwohl schon Schlieffen warnend auf die Möglichkeit eines neuen siebenjährigen Krieges hingewiesen hatte.

Frankreich hatte seine Wehrkraft voll ausgenutzt einschließlich der seiner Kolonien; dagegen reichte seine materielle Rüstung nicht aus, besonders nicht, nachdem der industrielle Norden und Osten unbenutzbar geworden waren. Hier half Amerikas starke Unterstützung, ohne die Frankreich kaum seinen Kriegsbedarf, namentlich an Munition, hätte befriedigen können.

Rußland konnte seine Bevölkerungszahl zunächst gar nicht voll ausnutzen; dafür war es in der Lage, ein fast unerschöpfliches Menschenreservoir für den Nachersatz zu haben, den es verstand, rechtzeitig und leidlich ausgebildet an die Front zu bringen. Dagegen war und blieb die materielle Rüstung völlig unzulänglich. Die Botschafter der Verbündeten müssen immer wieder die russischen Bitten um Waffen und Munition ihren Regierungen übermitteln; die eigene Kriegsindustrie gelangte auch während des Krieges nicht zu nennenswerter Leistungsfähigkeit.

Österreich-Ungarn war wohl von allen Großmächten am schlechtesten für den Krieg organisiert – personell und materiell. Die verschiedenen Gründe für diesen Zustand können unerwähnt bleiben; die Folgen zeigten sich im schnellen Sinken der Schlagkraft des ursprünglich vorzüglichen Heeres und in der steigenden Inanspruchnahme Deutschlands auf wirtschaftlichem Gebiet.

England hatte eine von den Festlandmächten abweichende Friedens- und Kriegsorganisation. Obwohl man, jedenfalls in militärischen Kreisen, mit einer Beteiligung an einem großen Krieg rechnete, war man für eine volle Ausnutzung der militärischen Leistungsfähigkeit wenig vorbereitet. Es scheint, als ob man geglaubt hatte, mit der Flotte und den sieben aktiven, ausgezeichneten und schlagfertigen Divisionen auszukommen; für deren Versorgung genügte die an sich leistungsfähige Industrie. Es war Lord Kitcheners Verdienst, rechtzeitig zu erkennen, daß ganz andere Anstrengungen für einen Enderfolg notwendig waren, und die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet zu haben. Die englische organisatorische Leistung während des Krieges ist bewundernswert. Da die Neuformationen Zeit zur Aufstellung brauchten, konnte die Industrie sich umstellen und, wo es fehlte, half Amerika.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika nahmen zu den kriegsorganisatorischen Fragen eine Sonderstellung ein. Für den laufenden Bedarf genügte neben der Flotte das verhältnismäßig kleine Friedensheer, und seine geographische Lage erlaubte Amerika, sich den Augenblick für einen Eintritt in den Weltkrieg zu wählen. Als es sich zum Eintritt entschloß, setzte eine überwältigende organisatorische Tätigkeit ein, welche ermöglichte, aus dem unerschöpflichen Reservoir von Menschen und Mitteln eine ganz neue, moderne Armee aufzustellen, deren Kraftquellen am Ende des Krieges noch keineswegs erschöpft waren.

Bei den anderen am Krieg beteiligten Staaten lagen die Verhältnisse bei vielfachen Abweichungen im allgemeinen ähnlich.

Zu welchem militärischen Erfolg hat nun dieses allseitige Volksaufgebot, dieser Riesenaufmarsch der Heere geführt? Der Krieg endet nicht trotz aller Anstrengungen mit der entscheidenden Vernichtung des Feindes auf dem Schlachtfeld, sondern läuft im wesentlichen im Kräfte verzehrenden Abringen des Stellungskrieges aus, bis vor der gewaltigen Übermacht die Widerstandskraft des einen der Gegner, auf personellem, materiellem und endlich auch moralischem Gebiet, versiegt – nicht versagt. Ist der Sieger seines Erfolges recht froh geworden? Stehen die Ergebnisse des Krieges im richtigen Verhältnis zu den Opfern an Volkskraft? Müssen, wenn kriegerische Auseinandersetzungen unvermeidlich sind, jedesmal ganze Völker sich aufeinander stürzen? Der Soldat muß sich die Frage vorlegen, ob diese Riesenheere im Sinne entscheidungsuchender Strategie überhaupt noch führbar sind und ob nicht jeder Krieg zwischen diesen Massen wieder erstarren muß.

Vielleicht hat sich das Prinzip des Massenheeres, des Volksaufgebots schon heute überschlagen, die fureur du nombre steht am Ende. Die Masse wird unbeweglich; sie kann nicht mehr manövrieren, also nicht siegen; sie kann nur erdrücken.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Folgerungen, welche die Hauptstaaten aus den Kriegserfahrungen für ihre Heeresorganisationen gezogen haben, wobei wir naturgemäß die Staaten, denen diese durch Friedensbedingungen vorgeschrieben wurden, bei Seite lassen. Amerika und England sind im wesentlichen zu ihren Vorkriegseinrichtungen zurückgekehrt, also zum Prinzip kleiner, verwendungsfähiger Friedensheere; Amerika hat nur seine wirtschaftliche Mobilmachung und seine militärische Jugendausbildung wesentlich ausgebaut, England eine starke Luftflotte entwickelt. Frankreich ist im Begriff, seine Heeresorganisation neu zu ordnen; die Grundzüge dieser bestehen in der Schaffung und Erhaltung eines Friedensheeres, das annähernd kriegsstark, also in kurzer Zeit völlig verwendungsbereit ist, und in der vollsten Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht, also der Schaffung starker Reserven. Die Dienstzeit ist stark herabgesetzt, wodurch die Ausbildung aller Waffenfähigen ohne zu hohe Friedenspräsenzstärke erreicht wird, während der Wert des verwendungsbereiten Friedensheeres durch eine größere Zahl freiwillig länger dienender Mannschaften gehoben werden soll. Wirtschaftliche Mobilmachung und militärische Jugendausbildung sind eingehend vorbereitet, ebenso wie die Heranziehung der farbigen Truppen. Bemerkenswert ist die starke, startbereite französische Luftflotte. Italien scheint zur Unterstützung seines Berufsheeres mit der Verwendung der fascistischen Miliz zu rechnen und betreibt eine außerordentlich lebhafte militärisch-fascistische Jugendausbildung.

Rußland sucht, durch viele Schwierigkeiten noch gehemmt, aber doch in entschiedenem Aufstieg, sich eine verwendungsbereite und seinem Sicherheitsbedürfnis entsprechende Friedensarmee zu schaffen und daneben durch ein Milizsystem der Masse seiner Waffenfähigen militärisch Herr zu werden. In den neu organisierten Heeren von Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslavien finden wir im allgemeinen das Vorkriegssystem der allgemeinen Wehrpflicht unter möglichster Niedrighaltung der aktiven Dienstzeit und Bereithaltung für die Sicherheit erforderlicher Friedensheere.

Es hat hiernach den Anschein, als ob sich in der praktischen Auswertung der Kriegserfahrungen keine großen Änderungen gegen die Grundsätze der Vorkriegszeit zeigten; aber es beginnen doch neue Gesichtspunkte sich anzukündigen. Die allgemeine wirtschaftliche Lage zwingt alle Staaten, an die Beschränkung ihrer Rüstungsausgaben zu denken, also die kostspieligste Art der Rüstung, starke Friedensheere mit langer Dienstzeit und reicher Ausstattung, herabzusetzen und daneben die unproduktive Inanspruchnahme der männlichen Arbeitskraft durch den Militärdienst nach Möglichkeit zu beschränken.

Dem gegenüber steht bei der augenblicklichen politischen Gesamtlage das Bedürfnis, gegen einen feindlichen Überfall durch ein bereites Friedensheer jederzeit sich gesichert zu wissen und das allen freien Staaten gleiche Verlangen, für einen Kampf um die eigene Existenz durch die nötigen Vorbereitungen für einen Volkswiderstand gerüstet zu sein. Wenn man das in den Abrüstungsverhandlungen sich abspiegelnde allgemeine Friedensbedürfnis für aufrichtig nimmt, so liegt in den zeitigen militärischen Organisationen kein unüberbrückbarer Gegensatz, so lange man an der Auffassung festhält, daß starke, d. h. überstarke, verwendungsbereite oder in kurzer Zeit zur vollen Verwendungsfähigkeit aufzufüllende Friedensheere die eigentliche verführerische und daher gefährliche Friedensbedrohung darstellen, daß aber selbst weitgehende Vorbereitungen eines Volkskrieges weit mehr einen Verteidigungscharakter tragen, dessen Umfang davon abhängt, wie weit ein Staat von seinem Nachbar bedroht ist oder sich bedroht fühlt. Dies Bedrohungsgefühl zahlenmäßig in Abrüstungsberechnungen einzusetzen, ist unmöglich. Greifbar und der gegenseitigen Aufrechnung zugänglich sind nur die Zahlen der verwendungsbereiten Kräfte, wie überhaupt im Kräfteausgleich die größere Friedensgarantie liegt als im Streben nach einer ideellen und nicht zu erreichenden Kräfteverminderung. Damit sei das Problem der Abrüstung in diesem Zusammenhang nur ganz kurz gestreift.

Im Begriff des Krieges liegt der Wettstreit zwischen Mensch und Material. Gegen das Schwert wird der Schild erfunden, gegen die Brisanzgranate der Betonunterstand, gegen das Gas die Maske. So wird der Wettstreit weitergehen, solange es Kriege gibt, und einmal wird die Angriffswaffe die Oberhand haben, bis sich die Verteidigung ihr angepaßt hat. Die Technik arbeitet auf beiden Seiten. Es ist daher ganz falsch, vom Sieg des Materials über den Menschen zu sprechen. Das Material hat über die Menschenmasse, nicht über den Menschen selbst gesiegt, und wird das nie, weil es nur in der Hand des Menschen Leben gewinnt.

Der Fehler liegt darin, daß man eine unbewegliche, fast wehrlose Menschenmasse einer brutalen Materialwirkung gegenüberstellte. Je mehr wir die Massen der Kämpfer steigern, um so sicherer ist der Sieg des Materials; denn dessen Grenzen sind weiter gesteckt als selbst die des reichsten Menschenreservoirs. Es bleibt somit nur der Kampf des menschlichen Geistes gegen das tote Material. Je weiter sich die Technik entwickelt, je mehr sie ihre Erfindungen und Mittel in den Dienst des Heeres stellen kann, um so höher werden die Anforderungen an den sie ausnutzenden Soldaten. Wer nur eine Ahnung davon hat, welche technischen Kenntnisse, welche vielfältigen und nur durch sorgfältig ausgebildete Fachmänner zu bedienenden Instrumente, welche geschulten und beherrschten Geisteskräfte dazu gehören, um das Feuer einer modernen Artillerie wirksam zu lenken, der wird zugeben müssen, daß diese Voraussetzungen einer aus flüchtiger Ausbildung entstandenen Truppe nicht mitzugeben sind und daß sie daher der kleinen Zahl geübter Techniker auf der Feindseite gegenüber im schlimmsten Sinn Kanonenfutter ist. Wie aber, wenn sie gar nicht da ist? Wenn sich dem durch Wissenschaft gelenkten Material kein lebendes Ziel bietet? Vernichtung des feindlichen Heeres, nicht Vernichtung des Landes ist noch immer oberstes Gesetz der Kriegskunst, obwohl es bisweilen anderen Anschein hat. Das Material hat seine Überlegenheit gegenüber der lebendigen und sterblichen Masse, nicht gegenüber dem lebendigen und unsterblichen Menschengeist.

Wer von moderner Kriegstechnik spricht, wird damit zuerst an die Flugwaffe denken; sie ist im Weltkrieg, und zum großen Teil erst nach ihm, als vollwertige Schwester neben die vom Land und von der See getreten, ohne die Grundgesetze des Krieges zu ändern. Freilich ergibt sich für den Soldaten und damit für den ihm verbündeten Techniker ein ganz neues Schlachtfeld mit seinen eigenen Bedingungen. Man hat aus der Möglichkeit des Luftangriffs auf die Zentralen der staatlichen Widerstandskraft, also des durchaus nicht neuen, aber heute leichter erreichbaren Kerns der militärischen Stärke, zu unrecht Schlüsse auf die Entbehrlichkeit der Landheere gezogen. Der Unterschied ist nur der, daß, wenn bisher nur zu Land und zu Wasser, jetzt auch in der Luft um die Entscheidung gekämpft wird. Man glaubt vielfach, daß der Kampf unter Überfliegung des Soldaten jetzt sich nur noch gegen den Zivilisten auf dem Büro und in der Werkstatt richten würde. Neu wäre der Kampf gegen das Hinterland, den Bürger, nicht; sehen wir von älteren Beispielen kulturvernichtender Kriege ab, so brauchen wir nur an den Dreißigjährigen Krieg, an Türkeneinfälle und an Heidelberg zu denken. Es wäre frivol, die Gefahren und Schrecken des Luftangriffs auf das Hinterland, besonders in Verbindung mit der Verwendung von Gas, leugnen oder beschönigen zu wollen. Er bringt auf neuem Kampfplatz die gleichen Gefahren und die gleichen Aussichten; die tätige Abwehr fällt der Luftwaffe zu, die als beste Gegenwirkung versucht, den Angriff in das feindliche Land zu tragen oder wenigstens den Angreifer zu vernichten. Als neues Erfordernis gegen diese Art der Kriegsgefahr entsteht die Vorsorge für die passive Sicherung der Lebenszentralen eines Landes, welche vielleicht kostspielig und unbequem ist. Daß bei uns in Deutschland, wo uns die aktive Luftverteidigung versagt ist, für diesen passiven Schutz nichts, aber auch gar nichts geschieht, ist schwer zu verstehen und schwerer zu verantworten.

Versuchen wir nun nach diesen kurzen Untersuchungen über den augenblicklichen Stand der Rüstungen uns ein Bild zu machen, wie der Verlauf eines künftigen Krieges sein wird, ohne aus dem Auge zu verlieren, daß die noch herrschenden Auffassungen und Vorbereitungen sich dieser Zukunftsentwicklung erst wenig angepaßt haben und daß der nächste Krieg noch einen ganz anderen Verlauf nehmen kann, als den hier vom militärischen Standpunkt aus als sachgemäß zu bezeichnenden.

Der Krieg wird mit dem gegenseitigen Angriff der Luftflotten beginnen, weil sie die am schnellsten verwendungsbereiten und an den Feind zu bringenden Kräfte sind. Dieser Feind sind zunächst nicht die Hauptstädte und Kraftquellen, sondern die gegnerischen Luftkräfte, und erst nach deren Überwindung richtet sich der Angriff gegen die anderen Ziele. Bei annähernd gleichen Kräfteverhältnissen wird es nicht schnell zu einer endgültigen Entscheidung kommen, wenn auch die eine Seite in die Verteidigung zurückgedrückt werden kann, die sie auf eigenen Angriff zu verzichten zwingt. Wie weit die materiellen und moralischen Erfolge des überlegenen Angreifers gegen die feindlichen Kraftquellen reichen, hängt von der passiven, also auch moralischen Widerstandskraft des Angegriffenen ab. Hierbei sei hervorgehoben, daß auch alle großen Truppenansammlungen wertvolle und leichte Angriffsziele sind. Die Störung der personellen und materiellen Mobilmachung ist eine der Hauptaufgaben des Fliegerangriffs.

Der durch die Luftwaffe eingeleitete Angriff wird von den verwendungsbereiten Truppen, also im wesentlichen dem Friedensheer, mit möglichster Beschleunigung übernommen werden. Je hochwertiger dieses Heer ist, je größer seine Beweglichkeit, je entschlossener und befähigter seine Führung, um so größer ist seine Aussicht, die ihm begegnenden feindlichen Kräfte in kurzer Zeit aus dem Feld zu schlagen, den Feind an der Aufstellung und Entwicklung weiterer Kräfte zu hindern und ihn vielleicht schon friedensbereit zu machen. Während die beiden Berufsheere um die erste Entscheidung kämpfen, beginnt hinter ihnen die Aufstellung der Verteidigungskräfte des Landes. Der im ersten Akt des Krieges Siegreiche wird versuchen, durch seine überlegene Bewaffnung, Ausbildung und Beweglichkeit diese ihm an Zahl überlegene, an Qualität unterlegene Masse nicht zur Entfaltung ihrer Kräfte, vor allem nicht zum Bilden geschlossener Materialfronten kommen zu lassen, während ihm aus den eigenen Menschen- und Kräftereserven die Unterstützungen zugeführt werden, deren er zur Aufrechterhaltung seiner Schlagkraft bedarf. Ich sehe also, um mich noch einmal kurz zusammenzufassen, die Zukunft der Kriegführung in der Verwendung hochwertiger und bewegungsfähiger, also kleinerer Heere, deren Wirkung durch die Flugwaffe eine wesentliche Steigerung erfährt, und in der gleichzeitigen Bereitstellung der gesamten Wehrkraft, sei es zur Nährung des Angriffs, sei es zur aufopfernden Verteidigung der Heimat.

Wie werden nun diese neuzeitlichen Heere, deren Notwendigkeit vorläufig noch unbestreitbar, deren Aufgabe vorstehend kurz umrissen ist, aussehen?

Das Friedensheer, das auch als Deckungs- oder Operationsheer bezeichnet werden kann, besteht aus längere Zeit dienenden Berufssoldaten, möglichst aus Freiwilligen. Die Dienstzeit ist verschieden und richtet sich nach der Verwendung des Mannes, wobei hochwertige technische Ausbildung naturgemäß längere Dienstzeit erfordert, während an anderen Stellen möglichste Jugendfrische wünschenswert ist. Die Zahl dieses Heeres richtet sich nach den materiellen Mitteln des Staates, nach seiner militär-geographischen Lage, nach seiner Größe und muß mindestens die Sicherheit gegen überraschenden feindlichen Angriff geben.

Man wird einwenden, daß hiermit ein Wettrüsten herausgefordert wird; aber, abgesehen davon, daß die Stärke des sehr kostspieligen Friedensheeres in der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes seine Begrenzung findet, bietet die Stärke der Friedensheere das beste Objekt für internationale Festsetzungen, also für Rüstungsbeschränkungen oder Rüstungsausgleich. Daß jeder Staat dieses Heer auf eine möglichst hohe Stufe der Vollendung, was Ausbildung von Führer und Mann, Bewaffnung und Ausrüstung betrifft, heben wird, versteht sich von selbst, wobei drei Hauptforderungen bestehen: Hohe Beweglichkeit, zu erreichen durch eine zahlreiche und vorzügliche Kavallerie, durch Ausnutzung des motorisierten Zuges und Marschleistungsfähigkeit der Infanterie, wirksamste Bewaffnung und dauernden Kräfteersatz. Dieses Operationsheer bedarf zum ersten Einsatz am besten gar keiner, jedenfalls nur geringer Ergänzung, also keiner Mobilmachung.

Neben und in engster Verbindung mit diesem Heer steht ein aus Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften zusammengesetzter Ausbildungsstamm, durch dessen Übungsformationen und Schulen die gesamte waffenfähige Jugend des Landes hindurchläuft mit kurzer erster Ausbildungszeit und den erforderlichen Wiederholungskursen. Man gewinnt auf diesem Weg eine militärische Masse, welche für den Bewegungskrieg und offensive Schlachtenentscheidung nicht geeignet, wohl aber imstande ist, nach notdürftiger Vervollständigung ihrer Ausbildung und bei entsprechender Bewaffnung die Pflicht der Verteidigung der Heimat zu erfüllen und zugleich durch ihre besten Teile das eigentliche, kämpfende Feldheer dauernd aufzufüllen. Um diese kurze Ausbildungszeit erträglich zu machen, bedarf es einer Jugendausbildung, deren Schwerpunkt weniger in militärischer als in allgemeiner körperlicher und geistiger Schulung liegt, die aber wirksam nur unter staatlichem Zwang durchzuführen ist. Auf Einzelheiten dieser Organisation, so z. B. auf die Gewinnung und Schulung des Offiziermaterials einzugehen, führte hier zu weit; es sei aber noch ein Blick auf die Bewaffnungsfrage geworfen, die mit der unerläßlichen wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung im engsten Zusammenhang steht.

Bei der Erörterung dieser Frage müssen wir von dem Satz ausgehen, daß eine Armee fast nie, oder doch nur vorübergehend, die Waffe besitzt, die sie sich wünscht und die die zur Zeit beste ist; denn in dem Augenblick, in dem eine Waffe eingeführt ist, ist sie bei der schnellen Entwicklung der Technik auch schon veraltet. Die Kosten der Um- und Neubewaffnung einer großen Armee sind so enorm, daß jeder Staat solche Maßnahmen erst gezwungen vornimmt.

Je kleiner eine Armee ist, um so leichter wird es sein, sie modern zu bewaffnen, während die dauernde Bereithaltung moderner Bewaffnung für Millionenheere Unmöglichkeit wird.

Die Forderung, das Operationsheer sowohl jederzeit verwendungsbereit zu halten, wie es erstklassig zu bewaffnen, zwingt dazu, diese Bewaffnung in voller Zahl, in möglichst hoher Qualität und mit den nötigen Ersatzvorräten und Ergänzungsquellen bereit zu halten. Die Kosten dieser Forderung wirken an sich einschränkend auf die Stärke dieses Friedensheeres. Für die einmal angenommene Stärke muß aber nicht nur die für nötig gehaltene Bewaffnung und Ausrüstung in den Händen der Armee sein, sondern auch die Vorräte für den ersten Ersatz müssen bereit liegen, die so lange zu reichen haben, bis die Neufertigung durch die besonders hierfür bestehenden Fabriken einsetzt. Diese Forderung wäre an sich selbstverständlich und enthielte nichts Neues, wenn hier nicht mit der wesentlich kleineren Operationsarmee an Stelle des zu bewaffnenden Volksaufgebots gerechnet würde. Diese Volksbewaffnung ist auf eine ganz neue Basis zu stellen. Die Bereithaltung eines modernen Rüstungsmaterials für die Millionenheere wird zur Unmöglichkeit, wenn man die berechtigte Forderung aufstellt, daß diese Massen bei ihrer geringeren soldatischen Ausbildung der Unterstützung durch das Material ganz besonders bedürfen. Die Anhäufung großer Reservebestände ist das Unwirtschaftlichste, was es geben kann und gleichzeitig infolge natürlicher Überalterung von zweifelhaftem militärischem Wert; man denke nur an eine Magazinierung von Tausenden von Flugzeugen, die oft schon nach einem Jahr durch neue Typen wertlos gemacht werden.

Für die Massenbewaffnung gibt es nur einen Weg: Die Feststellung des Typs der Waffe zusammen mit der Vorbereitung der Massenanfertigung im Bedarfsfall. Die Armee in Verbindung mit der Technik ist in der Lage, durch dauerndes Studium in Versuchsanstalten und Übungsplätzen den jeweilig besten Typ der Waffe festzustellen. Mit der Industrie ist die Vereinbarung zu treffen, daß dieser festgesetzte Typ sofort und in dem erforderlichen Umfang in Arbeit genommen werden kann. Hierfür bedarf es eingehender Vorbereitungen, die der gesetzlichen Basis nicht werden entbehren können. Diese Vorbereitungen sind in engster Zusammenarbeit zwischen Soldaten und Wirtschaftlern zu treffen und beziehen sich nach der Feststellung und Sicherung der erforderlichen Rohstoffe auf die Auswahl und Einrichtung der Fabriken für alle Teile der Bewaffnung und Ausrüstung. Die Vorbereitung der Umstellung der Fabriken vom Friedens- zum Kriegsbetrieb, Bereithaltung von Material und Maschinen verlangen naturgemäß schon im Frieden staatliche Subventionierung, die aber immer noch vorteilhafter für den Staat sein wird als die Beschaffung und Unterhaltung von großen und veraltenden Rüstungsvorräten. Wenn die militärischen Forderungen auf die Voraussetzungen schneller Massenanfertigung durch Verzicht auf das Allerfeinste zugunsten des möglichst Einfachen Rücksicht nehmen, so kann auch die Zeitspanne, die zwischen Auftragerteilung und Beginn der Lieferung liegt, abgekürzt werden, eine Zeit, die ja durch den Kampf der Operationsarmee gewonnen werden soll.

Eine Fülle von Problemen militärischer und wirtschaftlicher Art tauchen beim Durchdenken dieser Fragen auf, die ich hier nur leise streifen konnte, und ich bin zufrieden, wenn dieser Ausflug in das Land militärischer Phantasie Anlaß zur weiteren Beschäftigung mit diesen Problemen geben sollte.


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