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Dreiunddreißigstes Kapitel

Auch unsere Rosa schien etwas bange zu sein, ein wenig verschüchtert; ein leiser Anklang von Unruhe, von leichter Verstimmung war an ihr bemerkbar, die vielleicht ihren Grund in der ernstern Stimmung überhaupt, die nach dem Abzuge der Milizen eingetreten war, vielleicht aber auch in den Eigentümlichkeiten des Hauses hatte, in dem sie sich nun befand, das, obwohl achtungswert, in vieler Hinsicht doch vielleicht nicht das geeignetste gewesen sein dürfte, die Übergangsstufe zu bilden und ein gewissermaßen aus dem Naturzustande kommendes Kind mit den zwangvollen gesellschaftlichen Verhältnissen der gebildeten Welt auszusöhnen. – Unser Pflanzer nämlich stammte von einer jener aristokratischen Familien ab, die, in frühern Zeiten herübergewandert, die Eigentümlichkeiten der englischen Aristokratie auf den freien Boden Amerikas mit zu verpflanzen beigetragen hatten, und die, obgleich sie auf Titel keinen Anspruch machten, ihre Stammbäume noch immer ebensowenig vergessen haben, als ihre im Mutterlande zurückgebliebenen betitelten Verwandten. Zwar war das politische Glaubensbekenntnis des Obersten das demokratische, und Mister Parker war einer der ersten gewesen, der sich seit seiner Übersiedelung der Partei des letzten Präsidenten und Gründers der neuem demokratischen Schule, die im Staate herrschend geworden war, angeschlossen hatte; und der Ernst, mit dem er die Sache seines Freundes Copeland gegen Kapitän Percy ergriff, schien auch die Aufrichtigkeit seiner politischen Grundsätze zu verbürgen. Die näher mit der Familie Bekannten wollten jedoch wissen, daß er sich nur notgedrungen, und weil die alten Grundsätze Virginiens hier ganz außer Mode, an die herrschende demokratische Majorität angeschlossen hätte. Es wurde selbst behauptet, daß der Oberst nicht nur die im Jahre 1789 ausgesprochenen Herrschergrundsätze seines Staates, jene gewissermaßen zur fixen Idee gewordenen Symbole eines echten Virginiers, sondern selbst die weitergehenden Irrlehren des alten Adams im Herzen trage; selbst der Eifer, mit dem er das Meeting und die dabei gefaßten Resolutionen betrieben hatte, wurde auf Rechnung jener Scheelsucht gesetzt, die dem alten aristokratischen Virginier nicht erlaubte, die Anmaßungen eines kaum dem Namen nach bekannten und, wenn das Gerücht wahr sprach, von einer unbedeutenden irischen Familie abstammenden Emporkömmlings, den der Zufall gehoben, so geduldig hinzunehmen. Es wurde ziemlich allgemein angenommen, daß vorzüglich Mistreß Parker an dieser politischen Gefügigkeit des Obersten ihren Anteil habe.

Diese politischen Gesinnungen hatten nun auch auf das gesellschaftliche Verhältnis der Familie einen bedeutenden Einfluß geäußert und einen gewissen höfisch berechneten, stattlich steifen und wieder leichten Ton in ihr hervorgebracht, der selbst den Nachbarn eine nähere Verbindung zu verleiden schien, die, obwohl sie in gutem Vernehmen mit ihr standen, doch ihr Bestreben, sich populär zu machen, nichts weniger als zu würdigen schienen, insofern dem Obersten bereits mehrere Bewerbungen um öffentliche Vertrauensstellen mißlungen waren, und dieses trotz der Bedeutsamkeit, die ihm seine frühe Ansiedlung gab.

Es waren bereits zehn Jahre seit dieser Übersiedlung aus seinem Mutterstaate Virginien verstrichen. Nichts verknüpft aber bekanntlich leichter, bindet Bürger und Bürger inniger aneinander, als eine solche, und besonders eine frühe Übersiedlung. Die mannigfaltigen Hilfsleistungen, die selbst der Ärmste dem Reichen zu leisten imstande ist, die vielfachen Entbehrungen, die sich alle – wenigstens für einige Zeit – gefallen lassen müssen, bringen die beiden Endpunkte der Gesellschaft einander so nahe und knüpfen sie so fest, daß ein geringer Grad von Vertrauen und Zuvorkommen hinreicht, aus den neuen Nachbarn dauernde Freunde zu machen. Das Benehmen der zarten, an Überfluß und Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnten Mistreß Parker hatte damals sehr gefallen. Sie hatte die Entbehrungen des Hinterwäldlerlebens mit einem Gleichmute ertragen, dem selbst ihre ärmsten Nachbarn die Bewunderung nicht versagen konnten. Hilfreich und tröstend, erheiternd und leitend war sie ihrem Gatten zur Seite gestanden, mit zarter Hand bemüht, selbst diese Entbehrungen in Genüsse zu verwandeln. Noch war die Blockhütte zu sehen, in der sie mit ihrem Gatten und den Kindern die ersten Jahre verlebt. Mit Rührung wies sie in die Ecke hin, wo in der einzigen Stube das Pianoforte stand, an dem sie ihres verehrten Händel fromme Melodien ihrer Familie nach vollbrachtem Tagewerke vortrug. Mit Stolz zeigte sie die abgetragenen Kleider, die in derselben Hütte als Andenken hingen, und von ihrer Hand gefertigt waren. Sie war überhaupt eine Frau von trefflichen Grundsätzen und einem ausgebildeten Verstande; aber obgleich bei einem nun fürstlichen Vermögen einfach und scheinbar anspruchslos, hatte sie doch viel von jener Vornehmheit, durch welche die Damen der amerikanischen sogenannten guten Familien ihren Mitbürgerinnen gewissermaßen als Muster vorzuleuchten beflissen sind; und obgleich weit entfernt, der guten Dame ein beleidigendes Vornehmtun zur Last zu legen, so hatte sie doch eben diese Eigentümlichkeit in eine etwas falsche Stellung zu ihren Mitbürgern versetzt, die ihrem Betragen etwas künstlich Kaltes verlieh, das vielleicht nirgends aufgefallen wäre, aber bei einem Volke, wo der gesellschaftliche Charakter mit dem öffentlichen so innig verschmolzen ist, Mißtrauen zu erregen nicht verfehlen konnte.

Auf Rosa hatte das Zusammenleben mit dem gebildeten, den feinen Weltton gewohnten Kreise eine ganz eigentümliche Wirkung. Zuerst war sie erschienen, als ob sie, in einen langen Schlummer versunken, plötzlich aus dem Traume erwacht wäre, so frisch lächelte sie alles an, und so lieblich spiegelte sich ihr ganzes Wesen in den neuen Umgebungen. Dieser Kontrast war wieder so fein, sie erschien so bezaubernd, selbst in den kleinen Verstößen, die sie sich anfangs zuschulden kommen ließ, daß sie für ihre neuen Freundinnen wirklich zum Rätsel wurde. Der reine mütterliche Sinn Canondahs, die wie ihr Schutzgeist nur Blumen auf ihren Pfad zu streuen bemüht gewesen war, und die Zartheit, mit der sie von allen rohern Berührungen mit den Squaws entfernt gehalten worden, hatten auch ihr eine gewisse Vornehmheit gegeben; aber ganz anderer Art, eine Art Hoheit, eine Zurückgezogenheit, die sich gleichsam um ihr ganzes Wesen gelegt. Es war etwas Mikoisches, etwas wie Anklang vom indianischen Hofleben oder vielmehr der Poesie dieses Lebens, das sie häufig in den lebhaftesten Ergüssen überraschte und besonders bei jedem unharmonischen Anstoßen auf ihr zart empfängliches Gemüt bemerkbar wurde. Dieses unharmonische Anstoßen konnte, ungeachtet der rücksichtsvollen und schonenden Behandlung, die ihr zuteil wurde, nicht ausbleiben; denn es liegt nun einmal in der Natur des amerikanischen freien Lebens, daß es diejenigen, die in zwangvollen Verhältnissen gelebt und so geschmeidiger geworden sind, allzu schroff – allzu frei und rücksichtslos anstößt, und daß selbst die verfeinerten Sitten des amerikanischen sogenannten aristokratischen und dem hohen Weltton nähern Lebens diese Anstöße um so weniger verhindern können, als ihre steifern und geregeltern Formen diktatorischer festgesetzt sind. Bei jedem dieser Anstöße nun zog sich das Mädchen immer verschüchtert zurück, der Mimosa nicht unähnlich, die, von einer rauhen Hand berührt, in sich selbst zurückschrickt. Allmählich wurden auch die Folgen dieser auf das Gemüt des Kindes fieberisch fröstelnd wirkenden Anstöße in einer gewissen scheuen Bangigkeit bemerkbar; die Eigenheiten des zivilisierten Lebens, indem sie klarer vor ihre Anschauung traten, schienen sie mit dem niederschlagenden Gefühle ihres Zurückstehens in Bildung zu mahnen. Sie hing oft nachdenklich das Köpfchen, und häufig sah man Tränen in ihrem Auge. Immerhin dauerten die Empfindungen nicht lange; ihre natürliche Elastizität und ihr Verstand gaben ihr bald ihre Schwungkraft wieder. Sie hatte überhaupt eine ungemein richtig klare Anschauung. Die Eigenheiten und Charaktere ihrer neuen Umgebungen hatte sie gewissermaßen in den ersten Stunden herausgefunden. Ohne erinnert zu werden, hatte sie sich die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Lebens im Umgange in nur wenigen Tagen angeeignet. Ihre Sprache verriet noch am meisten die Abgeschiedenheit, in der sie gelebt hatte. Sie war wortarm und kämpfte oft mit peinlicher Verlegenheit, ihren Ideen Ausdruck zu geben. Sie horchte aufmerksam auf alles, was gesagt wurde, und sann nach der Weise der Indianer eine Weile nach, ehe sie Antwort gab. Wenn sie jedoch erzählte, war sie unwiderstehlich; dann war sie ganz poetische Natur. – –

Rosa und Gabriele tanzten in das Empfangszimmer, hinter ihnen drein ein schwarzes Kammerzöfchen, das einen ungeheuern Globus trug.

»Uns ist es beinahe kalt in der Bibliothek geworden,« rief die Miß der Ma zu, »und ich will Rosen nun gerade alles erklären, wie Mistreß Mc Leod.«

Die Ma nickte Beifall zu, und das Töchterchen, indem sie den näselnden Ton der Pensionsvorsteherin so ziemlich annahm, begann: »Nun kennst du Amerika und weißt also, wo unser Land zu suchen ist, nun, wo ist es?« »Hier«; wies Rosa.

»Gerade daneben«, lachte Gabriele. »Ei du Unaufmerksame. Das ist ja Neusüdwallis. Hier ist es; merke dir es wohl«, fuhr sie gewichtig fort. »Es ist das Hauptland von Amerika, verstehst du, sowie wir die Hauptnation sind und deshalb vorzugsweise Amerikaner heißen, während die andern bloß Mexikaner, Peruvianer, Brasilianer genannt werden.«

»Aber Ihr seid doch auch Yankees?« warf Rosa ein.

»Pfui, wer wird so etwas sagen, du garstiges Kind! Wer hat dir denn das gesagt? Yankees heißen bloß diese da«, – sie deutete mit dem Finger auf die sechs Neuenglandstaaten. »Diese da sind und heißen Yankees. Wir heißen sie so, weil sie uns Walnußholz für Muskatnüsse und Hickory für Schinken und unsern Negern Mississippischlamm für Medizinpulver verkaufen; überhaupt weil sie wie die Juden sind.«

»Ach, was du doch nicht alles weißt«; rief Virginie etwas pikiert vom Sofa herüber.

»Hush, Schwesterchen! wir sind in einem freien Lande«, lachte sie, mit dem Finger drohend, ihrer Schwester zu. »Es ist natürlich, daß du dich der Yankees annimmst. Aber ich kann Kapitän Percy gar nicht« – –

»Aber du bist doch wirklich unausstehlich, Gabriele«; flötete ihr die bitterböse Virginie zu.

»Schwesterchen, Schwesterchen!« riefen Lehrerin und Zögling und hüpften auf die Zürnende zu und fielen ihr um den Hals, und dann trippelte Gabriele zum Fenster und tröstete sie; »er wird bald kommen, und wir müssen zuvor enden.« Und dann hüpfte sie wieder zu ihrem Globus und fuhr fort:

»Nun, weißt du, wo wir sind? Wo sind wir?«

»Da, Schwesterchen.«

»Recht so, mein Kind!« bekräftigte die drei Monate ältere Lehrerin.

»Nun, weißt du aber auch, wo Europa ist? Sieh, hier ist es, und hier ist Asien, und Afrika ist da unten. Diese drei Weltteile werden die alte Welt genannt, und der unsrige die neue.«

»Und warum werden sie die alte und der unsrige die neue Welt genannt?« fragte die aufmerksame Schülerin.

»Warum? Warum? Warum? Ja nun, weil der unsrige neu und deshalb besser ist. Alles was neu ist, ist besser als das Alte. Ja, auch weil der unsrige später entdeckt wurde.«

Der Zögling nickte Beifall zu.

»Sieh, dieser kleine Fleck da, der ganz kleine, heißt Großbritannien und der noch kleinere daneben Irland, das sind zwei Inseln.«

»Die dem törichten Häuptling gehören, der die beiden Kanadas besitzt?«

»Richtig, mein Kind!« bekräftigte die Präzeptorin. »Und hier ist Frankreich und hier Deutschland, hier Spanien und da oben Rußland und eine Menge kleiner Staaten und Königreiche.«

»Königreiche, was sind das für Dinge?« fragte Rosa.

»Das sind Länder, die Könige haben oder Häuptlinge, sowie der Miko, nur viel größer. Und sie sind keine Wilden. Sie haben auch mehr Leute, denen sie gebieten, und einen prächtigen Hofstaat. Ma wird dir dies erzählen. Sie ist im Empfangszimmer der Königin gewesen, von England nämlich, um die andern kümmern wir uns nicht viel, und sie hat mit ihr gesprochen. Sieh, diese Völker und Länder müssen Könige haben, weil sie sich nicht selbst regieren können und im Zustande der Kindheit sind, der politischen Kindheit nämlich, sagt Pa. Wenn sie die Könige nicht hätten, so würden sie in Unordnung und Revolution geraten, wie sie es in diesem Lande«, sie zeigte auf Frankreich, »getan haben. Da sie aber Könige haben, denen sie angehören und die mit großen Armeen und vielen Dienern sie im Zaume halten, so müssen sie wohl ruhig sein.«

»Und was tun die Könige mit ihnen?«

»Je nun, gerade was der Miko mit den Seinigen auch tut«, erwiderte die Lehrerin, die die Erklärungen ein bißchen in die Enge zu treiben anfingen. »Sie regieren sie und machen Krieg und Frieden und verkaufen ihre Ländereien, weil ihre armen Untertanen glauben, daß sie von Gott eingesetzt sind.«

»Ja, aber Gabriele, du sagst, daß die alte Welt noch in der Kindheit ist, das kann doch nicht sein; wenn sie alt ist, so kann sie doch nicht in der Kindheit sein.«

»Sehr gut kann sie es sein«; versicherte sie Gabriele. »Die alten Leute werden wieder zu Kindern. Weißt du das nicht? Sieh, weil wir jung sind, lernen wir noch immer. Wir haben unsere Zivilisation von ihnen und sind bereits weiter fortgeschritten. Aber sie lernen nichts von uns. Wir haben die Dampfschiffe schon seit acht Jahren erfunden, und als Ma mit Pa in England waren, sahen sie noch keins. Wir sind schon seit vierzig Jahren frei; aber sie blieben immer, was sie sind.«

»Aber wie kommt denn dies?«

»Ja eben, weil sie wie die alten kindischen Leute sich klüger dünken als andere – und weil sie in ihrer Kindheit auch gehalten werden.«

»Kinder,« mahnte die Oberstin, »wartet bis die Lichter kommen. Ihr verderbt euch sonst die Augen.«

Indem trat ein schwarzer Diener mit silbernen Leuchtern ein, der zugleich die Argand-Lampen anzündete und dann zur Herrin leise sprach.

»Laßt sie eintreten«; befahl sie dann.

Eine junge, ziemlich gut aussehende, aber etwas trödlerisch gekleidete, verschüchterte Frau trat ein, sah sich auf allen Seiten um, und nachdem sie sich verneigt hatte, eilte sie auf die Oberstin zu, um ihr die Hand zu küssen.

»Lassen Sie das, Madame Madiedo«, rief diese. »Sie wissen, daß dies nicht Sitte bei uns ist. Haben Sie mir etwas zu sagen?«

»Madame!« sprach die Frau in gebrochenem Englisch, »Sie wissen, ich komme Ihre Milde anzuflehen.«

»Es tut mir sehr leid, liebe Madame Madiedo«, erwiderte die Frau des Obersten; »aber in den Fall Ihres Mannes glaube ich mich nicht einmischen zu dürfen.«

»Madame!« sprach die Französin stockend. »Sie wissen vielleicht nicht, daß mein Mann mit Ihrem Neger nichts zu tun hatte?«

»Aber desto mehr mit schlechten Menschen«, fiel ihr die Dame ein. »Er hat selbst einen Staatsgefangenen aus seiner Haft befreit.«

»Aber, Madame«, versetzte die Französin ein wenig scheu. »Aber, Madame! das ist« –

»Was wollen Sie sagen? liebe Madame Madiedo?«

»Es ist dieses eine Angelegenheit,« sprach die Französin leise und mit stockender Stimme, »welche die hohe Obrigkeit allein angeht, und mit der wir uns eigentlich, ich bitte um Vergebung, nicht befassen sollten.«

»Das glauben Sie, meine Gute«, fiel ihr die Frau des Obersten ein. »Und als Ausländerin geht Sie wirklich diese Angelegenheit nur insofern an, als Ihr Mann darin verwickelt ist; aber als Amerikanerin habe ich mit der Obrigkeit etwas mehr zu tun, und es sollte mir leid sein, wenn durch meine Schuld der Gang der öffentlichen Gerechtigkeitspflege gehindert würde. Einem Verbrecher, der sich an der öffentlichen Sicherheit so schwer versündigt, Vorschub zu leisten, dazu werde ich nimmer einwilligen.«

Die Französin erblaßte bei Anhörung dieser Worte, die in einem zwar sehr gelassenen, aber auch sehr kalten Tone ausgesprochen worden waren.

»Seien Sie doch nicht so kalt, so grausam. Seien Sie gütig! Geben Sie mir eine sanftere Antwort. Senden Sie mich nicht so trostlos zurück!« bat sie.

Rosa hatte sich unterdessen schon einige Male aus dem zweiten Zimmer herangeschlichen, war aber immer wieder von Gabrielen zurückgehalten worden.

»Was will die arme Frau?« fragte sie.

»Ihr Mann hat den wegen Spionierens und Umtriebe mit den Indianern verdächtigen Briten aus seiner Haft befreit und wurde deshalb ins Gefängnis geworfen.«

»Aber das hat ja Rosa auch getan.«

»Nein, Miß!« belehrte sie die Oberstin. »Was Sie getan haben, war edle Selbstaufopferung gegenüber einer wilden, rohen Willkür. Sie haben ein Menschenleben gerettet oder zu retten geglaubt; Ihre Handlung war edel, obwohl nicht ganz gesetzlich; aber es ist immer verdienstlich, gegen Willkür aufzustehen, wo und in welcher Gestalt sie sich zeige; aber der Mann dieser Frau hat aus schlimmen Absichten weisen Gesetzen, die unsere Mitbürger sich zu ihrer Sicherheit gegeben haben, um seines eigenen Vorteils willen allein, in die Hände gegriffen.«

Diese etwas lange Erklärung ward wieder in dem gelassenen, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen etwas rücksichtslosen Tone gegeben, der mehr Schein – als wirkliche Tugend zu verraten schien; auch war die bedrängte Französin beinahe ungeduldig geworden. »Mein Gott,« murmelte sie halblaut zu sich selbst: »sie spricht wie ein Richter, der auf dem Stuhle sitzt, während mir das Herz im Leibe springen möchte. Was doch diese Menschen für kalte Naturen haben!«

Die Dame mochte die Worte vernommen haben; ohne sie jedoch zu beachten, fuhr sie in demselben belehrenden Tone fort: »Unser Land hat Ihrem Manne, ohne nach seinem frühern Betragen zu fragen, ein Asyl unter der Bedingung angeboten, daß er denselben Gesetzen gehorche, unter denen auch wir stehen, daß er besonders nie etwas gegen die Sicherheit des Landes unternehme, das ihn duldete«, – sie betonte dieses Wort. »Oberst Parker hat Monsieur Madiedo verhaften lassen; warum, wissen Sie. Es geziemt nicht mir, dem, was er getan, entgegenzuhandeln.«

»Er ist nur, weil er keine Bürgschaft stellen konnte, gefangen gesetzt worden«, schluchzte die Französin. »Ein Wort von Ihnen, und er ist frei. Erbarmen Sie sich unser. Seit seiner Verhaftung haben wir keine zehn Pinten verkauft. Alles scheut uns, alles hat sich vor uns zurückgezogen. Es ist ein grausames Land dieses. Statt uns in unserem Unglücke beizuspringen und aufzuhelfen, drücken sie immer nur tiefer hinab.«

»Es ist kein Frankreich, noch ein Spanien«, versetzte die Dame ernst.

»Leider, nein!« jammerte die Französin.

»Da dürfte vom Volke allerdings die Befreiung eines Staatsverbrechers als verdienstlich angesehen werden, weil sie niemanden gefährdet als den Gewalthaber; hier ist es Verrat an der Menschheit, an allen Bürgern – und es freut mich, daß diese so viele öffentliche Tugend besitzen, um ihren Abscheu auf alle Weise zu erkennen zu geben.«

Die Oberstin erhob sich nun von ihrem Sitze, und ein leichtes Kopfnicken gab der Frau zu verstehen, daß sie entlassen sei.

Rosa hatte sich zum Fenster geschlichen und der sich entfernenden Französin nachgesehen.

»Ach, Mutter! lasse doch das trostlose Weib nicht so von dir« – bat sie, ihre Hände bekümmert faltend.

»Miß Rosa!« erwiderte die Dame etwas vornehm: »Wollen Sie gefälligst« – sie deutete auf Gabrielen, zu der das Mädchen verschüchtert schlich.

»Es sind fürchterlich gräßliche, in Grund und Boden verdorbene Menschen, diese Ausländer«, seufzte die Frau, indem sie sich wieder setzte. »Wann wird doch einmal diese so schrecklich mißbrauchte Gnadentüre sich schließen, dieses Asyl, das unsere bluterkaufte Freiheit« –

Sie hielt inne und sah den jungen Copeland forschend an – von dem als Aufseher der Pflanzung und Sohne des alten Squire Copeland unsere Leser gehört haben.

»Das wollte ich auch wieder nicht«, fiel ihr dieser rasch ein. »Diese Menschen da schaden unsern Bürgern nicht, sie geben kein böses Beispiel, weil sich niemand nach ihnen kehrt; aber ihnen unsere Türe zutun, würde heißen, auch die Guten ausschließen, in andern Worten, die Alien bill mit all ihrem Triebwerke wieder in Gang bringen. Das wäre unsern Tories just recht.«

Er sah die Dame scharf an. –

»Laßt uns weiter in unserm Rechnungsabschlusse«, bemerkte sie mit einiger Verlegenheit.

Diese Verlegenheit, in welche sie der kleine Verrat gesetzt, den ihr die Zunge gespielt, indem sie sich einen der heißesten Torywünsche in Gegenwart des jungen Copeland entschlüpfen ließ, verließ sie erst beim Eintritte des Kapitäns, der ungefähr nach zehn Minuten erfolgte.

»Mein Bruder«, kam ihm Rosa, noch immer über die jammernde Französin sinnend, entgegen. »Dein Gesicht ist heiter. Du bringst fröhliche Botschaft. Und ist der Brite nun wirklich frei, und zürnt er nicht mehr, und ist« –

»Miß Rosa!« fiel ihr die Oberstin ein, »Sie fragen für eine junge Dame zu viel. Auch haben Sie wieder vergessen«–

»Leider!« versetzte diese, »kann Rosa sich nicht angewöhnen, zu ihrem Bruder zu reden, als wenn ihrer zwei wären.«

»Ich glaube wirklich,« versicherte sie der Kapitän, »Miß Rosa verkünden zu dürfen, daß er, an dem sie so unverdiente Teilnahme nimmt, gänzlich frei ist.«

»Ihr Schützling scheint Sie sehr in Anspruch genommen zu haben«, bemerkte Virginie etwas spöttisch. »Das liebe Altengland wird es Ihnen Dank wissen.«

»Ich hoffe, auch das neue,« sprach der Kapitän etwas ernst, »und selbst Miß Virginie dürfte mir Gerechtigkeit und vielleicht auch einigen Dank widerfahren lassen.«

»Ich bin ganz Amerikanerin,« versetzte diese etwas spröde, »und was ich von England gesehen habe, ist wahrlich nicht geeignet, mich weniger stolz auf mein Land zu machen. Ich behalte meinen Dank ganz meinen Landsleuten vor.«

»In diesem Punkte«, fiel der junge Copeland ein, »dürfte Kapitän Percy wirklich auf Ihren Dank, Miß Virginie, sowie auf den unsrigen Anspruch zu machen berechtigt sein; denn er hat uns eine Schamröte erspart.«

»Ich habe bloß meine Schuldigkeit getan, Mister Copeland«, bedeutete er dem jungen Manne etwas vornehm. »Es scheint jedoch, daß noch jemand anders mehr als seine Schuldigkeit getan habe.«

»Die Ehre seines Landes zu wahren, sollte ich glauben, ist Schuldigkeit für jeden; da brauchen wir nicht Männer dafür zu bezahlen. Wir können es selbst tun«, sprach der junge Mann trocken.

»Wie soll ich das verstehen?« fragte die Dame den Kapitän.

»Sie wissen, teure Mutter,« versetzte dieser, »die Order des Generals traf vorgestern ein, kaum drei Tage nach unserer Untersuchung.«

»Ich sollte meinen, die Zeit wäre hinlänglich, sie zweimal hinab und herauf passieren zu lassen.«

»In gewöhnlichen Zeiten, nicht in diesen,« versetzte ihr der Kapitän bedeutsam; »der junge Mensch scheint unten Freunde gefunden zu haben und in Gnaden zu stehen, so daß Kapitän Percy vielleicht selbst es wagen dürfte, ohne Anstoß zu geben –«

»Ihm einige Güte zu erweisen«, fiel der junge Copeland ein. »Er verdient auch einige. Wenigstens hat sein Betragen gegen die Indianer und den armen Pompey ihn als einen warmherzigen, festen jungen Menschen erwiesen. Und haben Sie ihm ja etwas Gutes erzeigt, Kapitän, so ist dies wirklich nicht Ihre schlechteste Handlung.« Und mit diesen Worten packte der Jüngling seine Bücher und Schriften zusammen und verließ, mit einer leichten Verbeugung gegen die Damen, den Salon.

»Rätsel und wieder Rätsel«, sprach die Oberstin. »Was haben Sie doch mit dem jungen Copeland, und was hat dieser mit dem jungen Briten zu tun?«

Der Kapitän hatte diesem schweigend und kopfschüttelnd nachgesehen. »Ich weiß selbst nicht, was der junge Mensch will. Übrigens sind mir meine Herren Mitoffiziere« – sein Gesicht verzog sich in ein unwillkürliches Hohnlächeln, »ein Rätsel. Hören Sie nur, Kapitän Miko Broom hat sich gestern in eigener hoher Person herbeigelassen, den jungen Briten bei der Tafel aufzuführen, und alle haben ihm recht generös ihre Börsen angetragen.«

»Eine Aufmerksamkeit, über die ich Ihnen vielleicht einen Aufschluß zu geben vermag«, erwiderte die Oberstin. »So viel ich weiß, hat der Bruder unseres Aufsehers, der Leutnant, seinem Vater das Resultat des letzten Verhörs geschrieben.«

»Aha!« fiel ihr der Kapitän ein. »Nun verstehe ich – und der allmächtige Major hat sein gnädiges Fürwort eingelegt, und der junge Brite ist nun von den Söhnen hoch protegiert und natürlich von der ganzen Mannschaft des lieben Opelousas.«

»Ein guter Kredit bei seinen Mitbürgern ist viel wert, lieber Kapitän«, sprach die Dame mit einem halben Seufzer.

Diesem schwebte noch die Antwort auf den Lippen, als eine Ordonnanz eintrat und ihm ein versiegeltes Paket übergab. Zugleich gingen die Flügeltüren auf, und die Worte: »Onkel, Cousinen«, begrüßten einen Zug junge Damen, die, von einem ältlichen Manne begleitet, in den Saal eintraten.

Sie wurden von der Oberstin herzlich, aber auch etwas stattlich empfangen. Ohne auf die Beweglichkeit der drei übereleganten Misses oder die Ungeduld des Onkels Rücksicht zu nehmen, ging sie alle Formen der etwas zeremoniösen Aufführung sowohl Rosas als des Kapitäns durch, obgleich ihre Gäste von beiden nicht besonders Notiz zu nehmen schienen.


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