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Achtundzwanzigstes Kapitel

Der Landsitz Parkers gehörte zu einer der vielen Mississippipflanzungen. Er hatte nebst dem Erdgeschosse bloß noch ein Stockwerk und ruhte auf Pfeilern, vielleicht des Luftzuges oder des austretenden Mississippi wegen, war leicht gebaut, augenscheinlich mehr zum Schutze gegen die sengenden Strahlen der Sonne, als gegen erstarrende Winterkälte. Acht Stufen von weißlich geflecktem Marmor führten zur Piazza und dem Peristyl, mit dem die Front des Hauses verziert war; die Säulenräume waren mit hohen Jalousiefenstern ausgefüllt, gleichfalls um während der heißen Sommerzeit einen fortwährenden Luftzug zu unterhalten.

Im Hintergrunde waren zwei andere ziemlich große Gebäude, von denen das eine zur Wohnung der Wirtschaftsbeamten, das andere zur Aufnahme der Kolonialprodukte der Pflanzung bestimmt zu sein schien, und an diese beiden schlossen sich zwei Reihen kleinerer, aber nicht unwohnlicher Blockhäuser für die schwarze Bevölkerung der Pflanzung an, hinter welchen eine meilenbreite Fläche gegen die Zypressenwälder hinablief, aus der ein kahler, blätter-, rinde- und zweigloser Wald ungeheurer abgestorbener Bäume emporstarrte, der, in längliche Vierecke abgeteilt, in seinen weiten Zwischenräumen mit hoch aufgeschossenen, breiten Stauden bepflanzt war, deren verdorrte Blumenkronen noch hier und da die aufgebrochenen Kapseln der zarten, weißen Baumwolle sehen ließen, mit welcher, abwechselnd mit Mais, die Felder bepflanzt gewesen waren. Der größte Teil dieser Kotton- und Welschkornfelder war dem Zypressensumpfe abgenommen und durch Gräben getrocknet worden, und der Kontrast mit dem üppigen, undurchdringlichen Urwalde und dem bodenlosen Sumpfe gab ein anschauliches Bild von dem Kraftaufwande, den es erfordert haben mußte, um diese herrliche Pflanzung der furchtbaren Wildnis abzugewinnen.

*

Die Sonne war hinter dem ungeheuern Zypressenkranze, der im Osten die Pflanzung umgürtet, hervorgestiegen, und ihre Strahlen dünnten allmählich den Nebelsaum, der sich über die ganze Landschaft hingezogen hatte; nur am Hauptstrom schwamm er noch, eine ungeheure Schichte, hinter der am jenseitigen Ufer die Pflanzungen und Wälder den Horizont begrenzten.

Ein reizendes Mädchen im eleganten Morgenanzuge war auf die Piazza des Hauses herausgeflogen und sah sorgfältig in der Richtung des Bayou hin, von dem man über den mäßigen Rasenplatz durch Gruppen von Chinatulpen, Orange- und Zitronenbäumen einer weiten Aussicht auf den Strom gegen Westen genoß, die nur gegen Norden zu durch die Bluffs oder das Hochland begrenzt war, deren schroffe, mit Jasmin und Rebengehänge überzogene Lehmwände sich unfern dem neben der Pflanzung hinschlängelnden Bayou hinzogen.

Ein schlanker Wuchs, ein sehr schöner Kopf, der sich zuweilen etwas stolz aufwarf, ein zart koloriertes Gesicht, dessen Mienenspiel weniger leichte Beweglichkeit, als etwas Pikantes erraten ließ, durchdringend blaue Augen, die sehr zuversichtlich um sich blickten, waren die hervorstechenden Züge dieser interessanten Gestalt, die lauschend den Blick auf das Bayou gerichtet stand, als ein zweites Mädchen herangeflogen kam, die, ihren Arm um den Nacken der erstem werfend, diese freundlich auf die marmorne Piazza dem eisernen Geländer zuzog.

»Aber weißt du schon, Schwesterchen?« sprach sie, »daß wir Gäste haben, und zwar allerliebste Gäste, sagte Polli.«

»Zwei Indianerinnen Sq – Squaws,« versetzte die Schwester, indem sie ironisch die schönen Lippen verdrehte, gleichsam als fürchte sie, das ungeschlachte Wort dürfte sie ungebührlich erweitern, »du kennst ja den Hautgout unsers Squire.«

»Nein, nein, Vergy. Pa selbst hat sie eingeladen; er soll ganz entzückt von ihr gewesen sein. Sie schläft noch, aber Polli sagt, sie soll wunderschön sein; sie ist eben gegangen, nach ihr zu sehen.«

»Hush, Gabriele!« entgegnete die etwas stolze Schöne der zartern Schwester, deren arglos heiteres Auge und blondes Lockenköpfchen einige Sommer weniger in die liebe Gotteswelt hineingeschaut haben mochten. »Ich hörte das Parktor, und Pa hat ihn zum Frühstück geladen. Warum er doch nicht kommt.«

»Recht sonderbar, Schwesterchen, du hast ihn doch schon gestern erwartet«; lispelte Gabriele mit einem etwas schalkhaften Ausdrucke, der ihr zum Röckchen à l'enfant allerliebst ließ. »Und dann«, setzte sie schmollend hinzu, »muß er wieder hinab zum greulichen alten General.«

»Und in die Schlacht vor den Feind«; seufzte Virginie, die in die Säulenhalle zurückeilte, während Gabriele stehen blieb.

»Ach, es ist nur eine Ordonnanz«; flüsterte diese, indem sie auf das Schwesterchen zuflog und sie wieder auf die Piazza zog, auf welche die Ordonnanz zugeschritten kam, die die beiden grüßte und ins Innere des Hauses ging.

»Ah! sieh doch, Schwesterchen, wie schön!« deutete das Mädchen auf den Nebelhang des Mississippi, der nun, in den stärker werdenden Strahlen der hinter den Baumgipfeln heraufsteigenden Sonne auseinander stäubend, in die phantastischsten Gebilde sich formte. Während ungeheure Schichten in die Lüfte verschmolzen, kräuselten sich andere in die Formen umgestürzter Kegel, zwischen denen die in meilenweiter Ferne verlorenen Wälder nun näher zu treten und im schnellen Laufe dem Strome zuzueilen schienen. Dieser blitzte nun in seiner ganzen hehren Majestät durch die Silberdünste hervor, und die einzelnen Boote und Fahrzeuge, die auf seiner weiten Fläche pfeilschnell hinabschossen oder schneckenartig hinaufkrochen, schimmerten mit ihren glänzend weißen Segeln wie Schwäne auf dem erglänzenden Wasserspiegel.

»Ach wie schön«, sprach eine schmelzend sanfte Stimme hinter den beiden Mädchen, während zwei blendend weiße Arme sich um ihre Nacken legten und ein wunderliebliches Wesen in ihre Mitte trat. »Guten Morgen, meine Schwestern!« Die beiden Mädchen prallten auseinander, sahen die holde Grüßende einen Augenblick verwundert an und flogen dann beide zugleich auf sie zu, und indem sie sie umschlangen, preßten sie eine Unzahl Küsse auf den lieblichen Mund und die lieblichen Wangen.

»Und wer bist du denn, du lieber, holder Engel?« fragte Virginie.

»Mein süßes Kind, wie kommst du hierher?« fiel Gabriele ein.

»Mein süßes, liebes Götterkind«, fiel die erstere wieder ein, indem sie sie umschlang und Kuß auf Kuß auf ihre Lippen preßte.

Es war Rosa, die in der reizenden Überraschung, die sie den beiden Mädchen verschafft, noch nicht Zeit gehabt hatte, ein Wort zu sagen. »Sie nennen mich Rosa, liebe, schöne Schwestern«, lispelte sie.

»Rosa, meine süße, liebe Rosa, du holdeste, schönste Rose!«

Und wieder umschlangen sie das wunderschöne Mädchen und erdrückten es beinahe in ihren Liebkosungen. Es war ein lieblicher Anblick, das holde Naturgeschöpf zwischen den zwei sein gebildeten, reizenden Mädchen zu sehen, wie sie aus den Armen der einen in die der andern flog und sich im ersten Augenblicke beider Herzen erobert hatte. Sie schienen sich nicht satt an ihr sehen und küssen zu können.

»Sieh doch, Bruder! was wir hier haben?« frohlockte Gabriele einem elegant gekleideten Jünglinge zu, der an die reizende Gruppe herangekommen und, nicht minder erstaunt, erst jetzt bemerkt wurde.

»Mein Bruder!« lispelte Rosa, indem sie seine Hand zutraulich erfaßte und ihn verwundert ansah.

»Komm, süßes Kind, zur Ma!« riefen nun beide, sie erfassend und jubelnd einer würdevollen Dame zueilend, die das liebe Kind freundlich willkommen hieß.

»Du bist ja ein holder Engel!« rief Virginie, die, als Rosa in den Armen der Mutter hing, erst Zeit hatte, ihren Anzug zu mustern. »Und wahrlich«, fuhr sie in drolliger Verwunderung fort, »im neuesten Geschmacke angezogen. Sieh doch nur, Gabriele, diese allerliebste schwarzseidene Robe, wie unvergleichlich sie sie kleidet, und die niedlichen Prunelle-Halbstiefelchen, und der allerliebste Gürtel und die Spange und Brasseletts. Und bist du wirklich mit den Indianern gekommen?«

»Gewiß, liebe Schwester.«

»Und du hast bei ihnen in ihrem – wie heißen sie nur –«

»In ihrem Wigwam gewohnt«, half ihr Rosa.

Der Oberst mit Major Copeland und Kapitän Percy waren gleichfalls eingetreten. Zart und naiv, mit einem gewissen Ausdrucke von Hoheit, nahte sie sich den Eintretenden und begrüßte die beiden Stabsoffiziere als teure Väter, den jungen Kapitän als Bruder.

»Ja, du mußt nicht so viele Väter anerkennen«; rief der Squire lachend, indem er sie herzlich küßte. »Bist wahrlich ein prächtiges Kind geworden, Gott segne dich! Der Indianer hat wahre Vaterstelle an dir vertreten. Sollte es nicht gedacht haben, daß der alte, grimmige Tokeah dich so gut halten würde. Bist ja so zart, als ob du all dein Leben lang in einem Kästchen aufgehoben gewesen wärest.«

»Spotte nur, Pflegevater,« sprach sie; »die Squaws und Mädchen spotteten meiner zarten Hände und Füße auch, und Canondah wollte mich deshalb nie in den Feldern arbeiten lassen. Aber siehe,« sprach sie, »ich habe doch einen langen, langen Weg zurückgelegt.«

»Aber doch nicht zu Fuß?« –

»Nein«, sprach sie; ihr Blick war jedoch schon auf einen andern Gegenstand gefallen, und sie sah freundlich lächelnd dem Spiele des Kapitäns und Virginiens zu.

Dieser schien, trotz des harten Kampfes, der zwischen ihm und dem Obersten stattgefunden, mit dem Hause in einer nähern Berührung zu stehen. Er hatte kaum der Frau seine Ehrfurcht bezeugt und sich im Kreise herum verbeugt, als er sich Virginien näherte, die bei seinem Eintritte glühendrot geworden war, doch sich ebenso schnell in eine ernste, etwas stolze Miene gezwungen und die Hand zurückgezogen hatte, die er vergeblich zu erfassen gesucht. Rosa hatte abwechselnd den jungen Mann und ihre neue Schwester angesehen. Sie schwebte nun auf letztere zu und sah sie bedeutsam lächelnd an.

»Sieh doch«, sprach sie, »wie flehend sein Blick auf dir ruht. Er ist ein Häuptling, aber sanft und milde wie eine Taube.«

»Eine schöne Taube;« lachte Virginie, »wenn du sie kenntest, diese Taube.«

»Liebe, meine Schwester,« lispelte Rosa ihr zu, »vergißt sich selbst, um nur das Lächeln der Freude auf dem Gesichte des Bruders hervorzulocken.«

»Mein wunderliches Kind,« sprach Virginie, »um deinetwillen sei ihm vergeben.« Und sie reichte dem Kapitän ihre Hand.

»Meine Lieben!« sprach der Oberst, der ein stummer Zeuge der artigen Vermittlungsszene gewesen war, »vergeßt nicht, daß wir wieder hinab müssen, und daß das Frühstück unser wartet. Komm, du herrliche Rose der Wildnis! und ihren Arm in den seinigen legend, folgte er dem Squire, der mit der Oberstin den Zug führte.

»Es ist mir noch immer wie ein Traum«, sprach dieser, der nun Platz genommen hatte. »Hätte mir eher den Tod eingebildet, als gedacht, dich wiederzusehen. Erst als du fort warst, da empfanden wir, wie lieb du uns allen gewesen bist. Ja, ja, Rosa. Wir haben noch nach Jahren von dir gesprochen. Und als ich heute nun so mit dem grimmigen Tokeah rede, sieh, so kommt sie heraus aus ihrer Wolldecke und auf mich zu, und faßt mich so zutraulich bei der Hand und macht mich zum Vater, ohne daß ich ein Wort davon weiß.«

»Und diese Vaterschaft schien Euch nicht übel zu gefallen?« fiel ihm der Oberst in seiner etwas trockenen Art ein, »denn Ihr vergaßt darüber, den Häuptling über sein Verhältnis mit dem Briten auszuforschen.«

»Mit dem Briten?« fragte die aufmerksam gewordene Rosa.

»Ja, liebe Rosa«, versetzte der Squire. »Kennst du ihn?«

»Gewiß; und ist mein Bruder hier gewesen?«

»Ja«, lachte der Squire. »Du hast zu viele Brüder und Väter; das ist ein arger Zeisig, so jung er ist. Ein Spion, der noch zur rechten Zeit Reißaus genommen, sonst hinge er. Wird aber dem Galgen nicht entgehen.«

Das Mädchen hatte verwundert zugehört.

»Aber das nämliche dachte auch der Miko, und er hat gegen seine Tochter und Rosa das Schlachtmesser aufgehoben, weil er glaubte, daß sie einen Spion in sein Wigwam gebracht. Kann der Brite zugleich bei den roten und den weißen Männern Spion sein?« fragte sie unschuldig.

Alle waren aufmerksam geworden. »Du kennst ihn also, liebe Rose?« fragte der Squire.

»Gewiß«, – versicherte sie abermals. »Er ist vor dreißig Sonnen bei uns in einem Boote am untern Waldsaum angekommen. Er war vom Seeräuber geflohen und schwach und matt, und eine große Wasserschlange biß ihn, als er aus dem Boote steigen wollte, und Canondah kam ihm zu Hilfe und tötete die Schlange, und wir brachten ihn in den hohlen Baum und trugen ihn in das Wigwam, und da pflegte ihn Canondah, bis er wieder hergestellt war.«

»Und weiter?« fragte der Squire.

»Als er gesund geworden, wurde er ängstlich; er fürchtete den Miko, der mit den Männern auf der Jagd war, und sagte, er müsse zu den Seinigen, die gegen die Weißen dieses Landes Krieg führten. Er wurde mit jedem Tage verstörter. Da ward mir bange um den leidenden Bruder, und das Herz drohte mir zu zerspringen, und ich flehte zu Canondah und bat und beschwor sie, ihn nicht länger zurückzuhalten; denn der Miko würde ihn im Glauben, daß er ein Späher der Weißen sei, mit dem Tomahawk getötet haben.«

»Und weiter?« fragte der Squire.

»Und Canondah wollte nicht, und Rosa mußte drohen und sagen, sie selbst wolle dem Bruder den Weg zeigen oder mit ihm im Sumpfe ersticken. Sie hätte wohl dieses gekonnt, aber sie hätte den Pfad nicht gefunden«, unterbrach sie sich. »Und Canondah gab weinend den Bitten Rosas nach, und dem weißen Bruder hing sie eine Wolldecke um und band die Mokassins an seine Füße und den Wampumgürtel um seinen Leib, und sie färbte seine Haut, um die Verfolger zu täuschen, und sie führte ihn über den schmalen Pfad auf das jenseitige Ufer des zweiten Flusses. Es hat Canondah und Rosa vieles Herzeleid verursacht; denn als der Miko zurückkam und er von den Weibern hörte, daß ein weißer Fremdling im Wigwam gewesen, wurde sein Angesicht finster, wie das des reißenden Panthers; denn er dachte, der Brite sei ein Späher, und schon hatte sich seine Hand erhoben, um das Schlachtmesser in die Brust seiner Tochter und Rosas zu stoßen; der gute Gott hat ihn jedoch zurückgehalten.«

»Und der Brite hatte den Miko nicht gesehen?« fragte der Squire.

»Der Miko ist seiner Spur nachgeeilt; ob er ihn gesehen hat, weiß ich nicht.«

»Und was will der Miko mit den Indianern hier?«

»Er hat einen langen Traum gehabt, den er erfüllen muß, weil es ihm der große Geist geboten hat. Er geht mit seinem Sohne zu den mächtigen Cumanchees; die Seinigen sind bereits abgegangen, er ist nur mit wenigen zurück in die Niederlassungen der Weißen. Und der große Häuptling der Cumanchees wollte den Vater seines Weibes nicht allein ziehen lassen. Der arme Miko hat seine Tochter verloren, und Rosa hat ihn gleichfalls begleitet; sonst würden ja«, setzte sie mit naiver Unschuld hinzu, »seine Augen vor Jammer erblinden.«

Die Gesellschaft hatte mit Verwunderung und Rührung dem einfachen Vortrage der reizenden Sprecherin zugehört, der einen Lichtstrahl auf die plötzliche verdächtige Erscheinung des Briten und der Indianer warf. So wenig eine solche Erscheinung zu einer andern Zeit beachtet worden wäre, so bedeutend wurde sie im gegenwärtigen Augenblicke, wo die Verteidiger des Landes auf dem Punkte standen, nahe an zweihundert Meilen den Strom hinab gegen den auswärtigen Feind zu ziehen. Selbst eine kleine Horde von Indianern mußte, mit ihrer Art Krieg zu führen, nicht nur endlosen Jammer in den zerstreuten Niederlassungen jenseits des Stromes verbreiten: ein feindlicher Überfall konnte selbst dem Gange des Krieges eine ungünstige Wendung geben, indem er die Milizen, die die Ihrigen den blutigen Tomahawks preisgegeben sahen, entmutigen, sie vielleicht gar bewegen würde, die ohnehin schwache Armee zu verlassen, um den Ihrigen zu Hilfe zu kommen.

»Und warum«, fragte der Squire nach einer Weile, »hat der Narr nicht gesagt, woher er Wampumgürtel und Fellwams hat?«

»Canondah«, versetzte Rosa, »hat ihn beim großen Geiste schwören lassen, daß er nicht verraten wolle, wo er gewesen. Der Miko fürchtet die Weißen sehr, und er ist in ein Land gezogen, wo er sie nimmermehr sehen will.«

»Ja, das ist's!« versetzte der Squire nach einer Pause.

Gabriele und Rosa hatten ihr Mahl geendet und flogen schäkernd aus dem Saale.

»Immerhin dürft Ihr nicht vergessen,« hub wieder der Oberst an, »daß, so wenig die Wahrheit dieses lieben Kindes zu bezweifeln steht, die Indianer, wenn sie etwas im Schilde führen sollten, nicht Rosa zur Vertrauten gemacht haben würden. Obwohl Träume viel vermögend bei ihnen sind, so erscheint dieser weite Ausflug eines Traumes wegen doch immer sonderbar.«

»Mir nicht«, entgegnete der Squire. »Sie gehen Tausende von Meilen, wenn ihnen der große Geist im Schlafe es zuflüstert, wie sie sagen. Und dann müßt Ihr wohl bedenken, daß die Indianer geradezu auf unsre Niederlassungen gekommen. Hätten sie etwas Arges im Schilde, glaubt Ihr, sie wären den Atchafalaya herüber, ohne sich umzusehen? Und dann, würden sie wohl das Kind mitgenommen haben? Sahet Ihr nicht, wie der Indianer plötzlich alle Fassung verlor, als ich ihm ankündigte, daß Ihr seine Pflegetochter zu Euch geladen? Konnte kaum meinen Augen trauen, wie ich ihn so bewegt sah. Und ihre Kleidung und Geschmeide verraten ja offenbar, daß sie von ihm über alles hoch gehalten wird. Die reichste Erbin dürfte sich nicht ihres Anzuges schämen.«

»Eben dieser Anzug«, erwiderte der Oberst, »macht mir das Ganze um so unerklärbarer. Woher kann der Indianer diese Dinge haben?«

»Ihr vergeßt, daß er der Schwiegervater des Cumanchee ist, der vor Gold starrt; diese Cumanchees sind, höre ich von unsern Männern, die hinüber nach Santa Fé und Mexiko handeln, reiche Wilde, im ewigen Kriege mit den Spaniern begriffen, von denen sie oft große Beute machen.«

»Der Schnitt dieser Kleider und die Fasson ihrer Geschmeide ist englisch, lieber Squire,« bemerkte die Dame, »und zwar im besten, neuesten Geschmacke.«

»Und das«, versetzte der Oberst, »ist allerdings bedenklich. Ihr wißt, John Bull, obwohl er breit auf seine Taschen schlägt, ist kein solcher Narr, sie zu leeren, wenn er dabei nicht zehnfach gewinnen kann. Das Rätsel ist so wenig gelöst, daß es mir im Gegenteil nur verwickelter vorkommt.«

»Wir wollen bald dem Haken einen Köder finden,« sprach der Squire; »ohnedies haben wir eine Zusammenkunft mit den Indianern, und es müßte schlimm hergehen, wenn wir nicht das Wahre herausfänden.«

Die Töne des Pianoforte unterbrachen das etwas ernst gewordene Tischgespräch. Die Gesellschaft, als sehe sie die bezaubernde Wirkung voraus, welche die Musik auf das Naturkind hervorbringen würde, erhob sich von der Tafel und trat in den Saal.

Rosa hatte mit der naiven Neugierde eines Kindes die prachtvolle Einrichtung, die herrlichen Fußteppiche, die glänzend seidenen Vorhänge, die duftenden Rosaholzmöbel, die marmornen Statuen angestaunt und war in lieblicher Einfalt von einem Gegenstande zum andern gehüpft, als Gabriele zum Pianoforte schlüpfte und einige Töne anschlug. Diese horchte hoch auf, als die zarten Finger über die Tasten hinschwebten und einige ergreifende Akkorde erklangen. Sie flog auf das Instrument zu und sah hinein mit kindisch naiver Einfalt und breitete die Hände darüber, als wollte sie die sanften Töne erhaschen, und mit verwundertem Blicke hielt sie es, als fürchtete sie sich, sie würden entfliehen. Allmählich, als Gabriele nach dem sanften Vorspiele in die Romanze des Troubadours einschlug, da malte sich in ihrem Gesichte ein stilles, namenloses Entzücken, ihre Augen begannen zu leuchten mit der Glut unnennbarer Wonne, ihre ganze Gestalt schien von einem elektrischen Feuer berührt. Sie umgaukelte sich selbst, wie ein lieblicher Schmetterling, und, sowie dieser seine zarten Flügel, so breitete sie ihre Hände aus, als wollte sie die zarten Töne umarmen; ihre Füße hoben sich, sie berührte kaum mehr den Teppich, jede ihrer Bewegungen war die schönste Poesie, ihr ganzes Wesen Verklärung geworden. Eben war die Gesellschaft eingetreten, als die Töne ihre Kraft auf das holde Geschöpf zu äußern anfingen.

Sie sahen dem Ausdrucke der Natur mit Verwunderung und Staunen zu. Ein herrlicherer Tanz war nie gesehen worden. Zuletzt flog sie, mit Tränen in den Augen, überwältigt von der süßen Empfindung, Gabrielen an den Hals.

»Ich bitte dich um Gottes willen, Schwester, töte mich nicht; ich sterbe, meine Seele eilt davon mit den entzückenden Tönen.«

Und dann setzte sie sich hin, und eine Träne perlte nach der andern über ihre Wangen.

»Ach,« lispelte sie; »wäre ich doch gestorben! wäre ich gestorben!« –


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