Robert Falcon Scott
Letzte Fahrt - Auszug
Robert Falcon Scott

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19. Zusammenbruch der Ponys

Montag, 27. Nov. 1911. Der anstrengendste aller bisherigen Märsche! Der Weg war zuerst erbärmlich, und der Vortrab kam so schlecht vorwärts, daß wir ihn mehrfach einholten. Die zweite Marschhälfte war noch schlimmer. Der Vortrab lief auf Schneeschuhen und konnte, da jetzt alle Anhaltspunkte fehlten, nur mit größter Schwierigkeit Richtung halten. Als wir auf halbem Weg Rast machten, um ein Wegmal zu errichten, kam der Schnee plötzlich in dichten Massen herunter, und die Schneeschuhe wurden durch die anhaftenden Schneeklumpen entsetzlich schwer. Aber schon nach wenigen Minuten erhob sich Südwind, der sich sofort wohltätig fühlbar machte. Da die Vorhut jetzt zu Fuß ihren Schlitten zog, wurde es ihr noch schwerer, die gerade Richtung einzuhalten, bis sich endlich auf dem letzten Kilometer die Wolken verteilten. Wir gaben nun unsern Marsch auf, weil die Tiere sehr erschöpft waren. Soeben schneit es wieder heftig – der Himmel mag wissen, wann es aufhören wird. Unser Futtervorrat zwingt uns, unter allen Umständen täglich 24 Kilometer vorzudringen. Seit mehreren Tagen haben wir vom Lande keinen Schimmer mehr gesehen! Ein erschöpftes Tier macht auch einen müden Mann, und keiner von uns ist jetzt nach beendetem Marsch sonderlich vergnügt.

28. Nov. Der trübseligste Abmarsch, den man sich denken kann! Scharfer Südwind trieb dichten Schnee vor sich her. Auf halbem Weg machte der Himmel Miene, sich aufzuklären, und die Richtung war leichter zu finden. Beim zweiten Frühstück zog es sich wieder zusammen. Auf den letzten Märschen haben wir uns unser Weiterkommen geradezu erkämpfen müssen. Wenn nur endlich dieser unerwartete Sommerorkan vorüber wäre!

Der Chinese oder »Donnerkeil« ist heute abend erschossen worden. Der mutige kleine Bursche hat gut standgehalten und verläßt den Schauplatz nur wenige Tage vor seinen Kameraden. Wir haben nur noch 4 Säcke Preßheu, die für die übrigen Tiere auf 7 Tage ausreichen müssen; wir sind keine 170 Kilometer mehr vom Beardmoregletscher entfernt. Von Land noch keine Spur!

29. Nov. Unsere Lage hat sich gebessert. Gestern in später Stunde zeigte sich Land; der Mount Markham, ein großartiger, dreispitziger Gipfel, schien wunderbar nahe zu liegen. Wir zogen ungefähr 4 Uhr 20 ab, erreichten das heutige Lager ¼ nach 1 Uhr und werden durchschnittlich über 3 Kilometer in der Stunde zurückgelegt haben. Ich denke, die Ponys haben alle noch Kraft zu 5 tägiger Arbeit im Leibe; vielleicht sogar noch mehr. Der Chinese hat, ebenso wie Jehu, den Hunden 4 Mahlzeiten geliefert; das ergibt von jedem weitern Pony einen ähnlichen Futterzuwachs. Demnach können wir hoffentlich die Hunde noch schonen und sie gut füttern, um sie zur Heimreise zu benutzen.

Seit wir das Ein-Tonnen-Lager verließen, sind die Löcher, welche die Ponyhufe eindrücken, durchschnittlich 20, manche auch 30 Zentimeter tief – daraus kann man sich eine Vorstellung von der Mühsal unseres Marsches machen.

1. Dez. Breite 82° 47'. In wenigen Tagen ist es mit den Ponys aus – der Baron ausgenommen! Dennoch halten sie länger als ihr Futter, und heute abend habe ich, aller Proteste ungeachtet, Christoffers Tod beschlossen. Bei dem vielen Ärger, den er uns machte, trauern wir ihm weniger nach als den andern. Hier hinterlassen wir ein Depot, das südliche Barrierendepot; die Ponys haben also jetzt noch weniger zu ziehen. 3 weitere Märsche müßten uns herausreißen. Mit den 7 Schindmähren und den Hundeschlitten müssen wir durchkommen, denke ich.

2. Dez. Ich übergab Oates meinen Schnipps und lief selber auf Schneeschuhen, ein bequemes Vorwärtskommen, wobei ich mehrere photographische Aufnahmen der mühsam trabenden Ponys machte. Später schritten sie besser aus, und ich hatte bald tüchtig zu tun, um die Führung zu behalten. So kamen wir in gehobener Stimmung ins Lager. Es tat mir leid, Viktors Todesurteil sprechen zu müssen – dem armen Bowers ging es nahe, denn sein Pony ist vortrefflich genährt und wird den Hunden 5 Mahlzeiten liefern. Bei unserm knappen Futter müssen wir die Tiere töten, aber wir haben den 83. Breitegrad erreicht und können sicher sein durchzukommen. Die Hunde machen ihre Sache herrlich; von morgen an werden sie schwerere Lasten zu ziehen haben. Alles sieht gut – wenn nur das Wetter es uns ermöglicht, an den Gletscher heranzukommen! Heute abend entwölkt sich der Himmel! Wir essen jetzt alle Pferdefleisch und sind so satt, daß an Hunger gar nicht zu denken ist.

Sonntag, 3. Dez. Unser Wetterglück will nicht kommen! Um ½ 5 tobte der stärkste Südsturm, den ich hier im Sommer erlebt habe; er zerstörte den Ponywall und begrub die Schlitten in riesenhaften Schneewehen. Um 2 Uhr machten wir uns auf den Weg; allenthalben war das Land sichtbar, und alles sah vielversprechend aus – mit Ausnahme einer Wolke im Südosten! Und richtig! Um 2 Uhr 15 zog sie herauf, um ½ 3 hatte sie das Land völlig weggewischt, schon vor 3 war sie über uns, die Sonne verschwand, der Schnee viel dicht, und der Marsch wurde furchtbar. Trotzdem sind wir 20 Kilometer vorgedrungen.

4. Dez. Während der Nacht war der Wind umgesprungen, aber die Sonne war bedeckt und der Himmel wolkenschwer. Plötzlich während des Frühstücks nahm der Wind an Stärke zu, und bald saßen wir in einem regelrechten Orkan. Wir mußten alle helfen, neue Ponywälle aufzuschaufeln, eine schauderhafte Arbeit, aber für die Tiere unentbehrlich. Die Hunde kamen gestern abend gleichzeitig mit uns an, und die Hilfsmannschaft heute morgen; sie hatte große Mühe, unserer Spur zu folgen. So wären wir denn wieder alle beisammen. Marschieren ist bei diesem Wetter ganz unmöglich. –

Am ½ 1 Uhr mittags begann der Himmel sich aufzuklären, um 1 schien die Sonne, um 2 waren wir auf dem Marsch, und um 8 Uhr abends schlugen wir das Lager auf, nachdem wir reichlich 24 Kilometer zurückgelegt hatten. Das Land war während der ganzen Zeit in klaren Umrissen zu erkennen; es zeigte mehrere große, noch nicht auf der Karte verzeichnete Gletscher. Die Ponys marschierten heute noch verhältnismäßig gut, trotz tiefen Schnees in dem wellenförmigen Gelände. Die Hunde sind einfach prächtig, hatten aber nichts mehr zu fressen, so daß wir ihnen den Pony Michael opfern mußten.

Durch die beiden letzten scheußlichen Tage haben wir zwar nur 11 Kilometer verloren, aber wenn dieser Aufruhr in den Lüften anhält, was soll da erst auf dem Gletscher werden, wo wir mehr als anderswo schönes Wetter dringend brauchen? Wir haben jetzt den ersten Teil unserer Reise hinter uns. Wenn Amundsen auf seinem Weg nur etwas Glück hat, wird seine Reise wohl bedeutend kürzer werden.


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