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Dreizehntes Kapitel.

Das ist die Zeit. Die Wächterin am Himmel
Hat ihren Posten allbereits verlassen,
Die Lichtlein werden nach einander bleich.
Gib mir die Leiter und die kurze Brechstang',
Am Thor laß Anton mit der Büchse wachen,
Du selber zieh dein Messer, folge mir,
Und auf zum Werk! Denn Finsterniß, wie diese,
Ist Tagen unseres Glücks.

Altes Schauspiel.

Als Herzog Hildebrod sich entfernt hatte, fühlte Nigel sich versucht, in ein Gelächter auszubrechen über den weisen Rathgeber, der ihn mit Alter, Häßlichkeit und Uebellaune verknüpfen wollte. Seine nächste Empfindung war Mitleid mit dem Vater und der Tochter, welche als die einzigen wohlhabenden Personen in diesem Stadttheile einem Wrack auf einer wilden Küste glichen, das vor augenblicklicher Plünderung nur durch die Eifersucht der umwohnenden Stämme bewahrt wird. Dabei konnte er sich nicht verhehlen, daß seine eigene Stellung im Elsaß eben so mißlich war, und daß auch er von den Elsassern als eine Bescherung betrachtet wurde, wie ein Wrack auf der Küste von Cornwall oder wie eine erschöpfte reiche Karavane, welche durch die Wüsten Afrika's zieht und von den räuberischen Eingebornen Dummalafong genannt wird, d. h. ein zum Verschlingen gegebenes Ding, eine gemeinsame Beute für alle Welt.

Seinen Plan, sich um jeden Preis aus seiner gefährlichen und erniedrigenden Lage herauszuziehen, hatte Nigel bald entworfen. Um ihn auszuführen, wartete er nur noch die Rückkehr von Lowestoffe's Boten ab. Allein dies Warten war vergebens, und es blieb ihm vorläufig Nichts übrig, als die ihm am frühen Morgen gebrachten Sachen zu durchmustern und die unentbehrlichsten Stücke in ein kleines Päckchen zu vereinigen, für den Fall, daß er heimlich und plötzlich seine Wohnung verließe. Schnelligkeit und Heimlichkeit schienen ihm unumgänglich nöthig, um vor den König zu kommen. Ein Zusammentreffen mit dem Könige zu suchen hatte er nämlich beschlossen, als den kürzesten Weg, seine Sache zu entscheiden.

Bei der Besichtigung fand er zu seiner Zufriedenheit, daß Meister Lowestoffe ihm nicht nur sein Rappier und seinen Dolch, sondern auch seine Reisepistolen geschickt hatte, die man in der Tasche tragen konnte, während die gewöhnlichen Sattelpistolen der damaligen Zeit viel unbequemer waren. Nächst dem Bewußtsein, herzhafte und wohlgesinnte Gefährten zu haben, ermuthigt Nichts so sehr, als die Gewißheit, für den Nothfall gut bewaffnet zu sein. Nigel, der mit einiger Besorgniß an den Fall gedacht hatte, wo er zur Beschützung seines Lebens sich auf das plumpe Seitengewehr verlassen mußte, mit welchem Lowestoffe ihn der Verkleidung wegen ausgestattet hatte, empfand eine gewisse freudige Zuversicht, als er sein erprobtes, gutes Rappier herauszog, mit dem Schnupftuche abwischte, die Spitze untersuchte, die Klinge auf dem Boden seines Zimmers bog und es spitz und federkräftig fand. Er beeilte sich, es wieder in die Scheide zu stecken, weil er ein Anklopfen an seiner Thüre vernahm, und nicht mit gezogenem Degen wie ein Luftfechter angetroffen werden wollte.

Sein alter Hauswirth trat ein, um ihm unter tiefen Bücklingen zu sagen, daß seine Miethe eine Krone täglich betrage, und daß sie nach dem Brauch in Whitefriars vorauszubezahlen sei, wiewohl er Nichts dagegen habe, das Geld eine Woche, vierzehn Tage oder selbst einen Monat in den Händen eines ehrbaren Gastes, wie Meister Grahame, zu lassen, natürlich gegen eine entsprechende Erkenntlichkeit. Nigel machte dem Geschwätz des alten Schwachkopfes ein Ende, indem er ihm zwei Goldstücke hinwarf, und dagegen den Genuß der Wohnung auf acht Tage verlangte, wiewohl, fügte er hinzu, sein Aufenthalt schwerlich so lange dauern werde.

Der Geizhals packte mit strahlendem Auge und zitternder Hand das gebotene Gold. Wonnevoll wägte er die Stücke auf der Spitze seines abgezehrten Fingers; aber bald bewies er, daß die Befriedigung des Golddurstes nur einen Augenblick währt, und alsbald Besorgnissen Platz macht. Erstlich konnten die Stücke zu leicht sein. Hastig zog er eine kleine Wage aus dem Busen, wog sie erst zusammen, dann jedes allein, und lächelte vergnügt, als sie vollwichtig erschienen, und ihm somit einen Nebenvortheil versprachen. Denn wenig unbeschnittenes Gold war im Elsaß zu sehen, und kein Stück verließ die Freistätte vollwichtig. Eine zweite Befürchtung war, daß Nigel, der einen früheren Auszug, als nach Ablauf einer Woche, in Aussicht gestellt hatte, in diesem Falle vielleicht die Rückgabe der zuviel bezahlten Miethe verlangen werde. Er wollte eine desfallsige Verwahrung einlegen und verschiedene Gründe anführen, warum kein Theil einmal bezahlter Wohnungsmiethe ohne große Beschwerde für den Hausherrn unter irgend einem Vorwande zurückverlangt werden könne, als Nigel ungeduldig ward und ihm sagte, das Geld sei unwiderruflich sein; dafür verlange er aber ungestört in seinem Zimmer zu sein. Trapbois, der noch immer auf seiner Zunge die glatten Worte hatte, mit denen er seiner Zeit das Verderben manches jungen Verschwenders beschleunigt hatte, begann eine Lobrede auf den Edelmuth seines werthen Gastes. Dem jungen Freiherrn riß hier gänzlich die Geduld. Er faßte den Alten bei der Hand, führte ihn sanft, aber unwiderstehlich an die Zimmerthür und schob ihn in derselben gemäßigten Weise hinaus. Nachdem er die Thüre zugemacht, nahm er seine Pistolen vor, prüfte sorgfältig die Schlösser und Steine und musterte seinen kleinen Vorrath an Schießbedarf.

In diesem Geschäft wurde er abermals durch ein Anklopfen gestört. Er rief: herein! in der festen Erwartung, daß es Lowestoffe's Bote sei. Allein es war die unliebliche Tochter des Wucherers. Sie murmelte Etwas von einem Mißverständniß ihres Vaters, und legte eins der Goldstücke, welche Nigel dem Alten gegeben, auf den Tisch, mit der Bemerkung, daß das andere den vollen Betrag der Miethe für die von ihm bestimmte Zeit ausmache. Nigel erklärte, er habe das Geld einmal gegeben, und wolle Nichts davon wieder haben.

»Macht damit, was Ihr wollt,« erwiderte die Tochter des Hauses. »Hier liegt es, und meinetwegen mag es da liegen bleiben. Wenn Ihr thöricht genug seid, mehr zu bezahlen, als sich gebührt, so soll mein Vater nicht so schurkisch sein, es zu nehmen.«

»Aber Euer Vater, Jungfer, Euer Vater hat mir gesagt – –«

»Ja, mein Vater, mein Vater!« unterbrach sie. »Sonst hatte mein Vater diese Geschäfte in Händen, jetzt habe ich sie, und das ist am Ende gut für uns Beide.«

Sie warf einen Blick auf den Tisch, und da sie die Waffen bemerkte, fuhr sie fort: »Ich sehe, Ihr habt Waffen. Wißt Ihr sie zu gebrauchen?«

»Ich muß wohl,« antwortete Nigel; »mein Geschäft bringt es mit sich.«

»Ihr seid also ein Kriegsmann?« fragte sie.

»Das heißt insofern, als bei mir zu Lande jeder Edelmann ein Kriegsmann ist.«

»Aha! das ist, was Ihr den Ehrenpunkt nennt – armen Leuten die Hälse abzuschneiden. Eine saubere Beschäftigung für den Edelmann, der sie beschützen sollte.«

»Mamsell,« versetzte Nigel, »mein Geschäft ist nicht das Halsabschneiden. Ich trage Waffen zur Vertheidigung meines Lebens und meines Vaterlandes.«

»Schön gesprochen,« bemerkte Martha. »Aber die Leute sagen, Ihr seiet so gut wie Andere geneigt zu Raufereien, bei denen es sich weder um Selbstvertheidigung noch um Schutz des Landes handelt; außerdem würdet Ihr nicht hier sein.«

»Mamsell,« versetzte Nigel, »es wäre vergebliche Mühe, wenn ich Euch deutlich machen wollte, wie eines Mannes Ehre, die ihm theurer ist oder theurer sein soll, als sein Leben, ihn oft auffordern und nöthigen kann, sein Leben oder das Leben Anderer aus scheinbar geringfügigen Ursachen auf's Spiel zu setzen.«

»Gottes Wort sagt Nichts davon,« warf das Weib ein. »Ich habe darum blos gelesen: Du sollst nicht tödten. Aber ich habe weder Zeit noch Lust, Euch zu predigen. Ihr werdet hier genug zu raufen finden, wenn es Euch Vergnügen macht; schätzt Euch glücklich, wenn es nicht an Euch kommt in einem Augenblicke, wo Ihr nicht darauf vorbereitet seid. Einstweilen gehabt Euch wohl. Die Putzfrau wird Euch zu Diensten stehen, wenn Ihr Essen verlangt.«

Sie verließ das Zimmer, als Nigel eben, durch ihren Sittenrichterton gereizt, eine Erörterung über den Ehrenpunkt mit ihr beginnen wollte. Er mußte über sich selbst lächeln, daß er so thöricht sein konnte, mit der Tochter eines Pfandleihers über einen solchen Gegenstand rechten zu wollen. Er rief der alten Debora, um sich Essen holen zu lassen, und erhielt ein erträgliches Mittagsmahl. Unangenehm war ihm die abermalige Zudringlichkeit des Hausherrn, der es sich nicht nehmen lassen wollte, ihm den Tisch zu decken. Mit Mühe nur konnte er den alten Schwachkopf abhalten, seine Waffen und einige Papiere von dem Tischchen, an welchem er saß, abzuräumen, und nur durch ein barsches Gebot konnte er ihn bestimmen, das Tischtuch auf einen andern Tisch zu legen.

Während sein Befehl erfüllt wurde, bemerkte er, daß die Augen des Alten sich immer wieder auf das Tischchen richteten, wo das Rappier und die Pistolen lagen, und daß er während seiner dienstfertigen Geschäftigkeit jede Gelegenheit wahrnahm, sich diesem Zielpunkte seiner Blicke zu nähern. Endlich, als Trapbois seinen Gast ausschließlich mit dem Essen beschäftigt glaubte, sah Nigel in einem der zerbrochenen Spiegel, wie der Alte die Hand nach dem Tischchen ausstreckte. Er machte nun weiter keine Umstände, und rief ihm nachdrücklich zu, die Finger von seinen Waffen zu lassen und das Zimmer zu räumen. Der Wucherer stotterte eine Art von Entschuldigung, von welcher Nigel Nichts verstand, als das mehrmals wiederholte Wort »Erkenntlichkeit,« und welches er lediglich erwiderte mit der Wiederholung seiner Weisung, das Zimmer zu verlassen, wenn er unangenehme Folgen vermeiden wolle.

Die alte Hebe, welche den jungen Freiherrn bediente, nahm seine Partei gegen den noch älteren Ganymed, und bedeutete diesem, augenblicklich wegzugehen, mit der Drohung, es der Mamsell zu sagen, wenn er noch ferner bliebe. Trapbois mußte sehr unter dem Pantoffel stehen, denn die Drohung der Putzfrau that bei ihm größere Wirkung, als die ungehaltene Aeußerung des Freiherrn. Brummend entfernte er sich. Lord Glenvarloch hörte, wie er in der Nähe auf dem Gange eine große Thüre verschloß, welche von Nigels Zimmer aus den Zugang zu andern Theilen des weitläufigen Hauses bildete. Der Leser wird sich erinnern, daß die große Treppe unmittelbar zu Nigels Gemach führte.

Der Freiherr hörte mit Vergnügen das Rasseln der Riegel und Querstangen, welches ihm als eine gute Vorbedeutung galt, daß Trapbois ihn den Rest des Tages über nicht mehr zu besuchen gedenke, und freute sich der Aussicht, endlich einmal ungestört sich selbst überlassen zu sein.

Das alte Weib fragte ihn, ob er sonst noch Etwas zu befehlen habe. Das Vergnügen, ihn zu bedienen oder vielmehr die Aussicht auf Belohnung schien sie zu verjüngen. Nigel wünschte Kerzen, Feuer ins Kamin und einige Reisbündel daneben, um das Feuer unterhalten zu können, denn die Lage des Hauses in der Nähe der Themse machte es feucht und kalt. Das alte Weib ging, um die Aufträge auszurichten, und Nigel überlegte, wie er den bevorstehenden einsamen Abend hinbringen wolle. Seinen Gedanken Audienz zu geben, versprach ihm eine schlechte Unterhaltung. Er hatte seine Lage aus jedem Gesichtspunkte betrachtet, und konnte weder Nutzen noch Vergnügen als Folge einer Wiederholung dieser Betrachtung absehen. Das bequemste Mittel, sich zu zerstreuen, schien ein Buch zu sein. Nigel war seiner Zeit, wie Viele von uns, durch große Büchersäle geschlendert, und hatte manche Stunde in denselben zugebracht, ohne in dem gelehrten Inhalte derselben herumzustören. Jetzt war er in einer Lage, wo ein Buch, selbst von geringem Werthe, ein wahrer Schatz ist. Eben war er auf diesen Gedanken gekommen, als die Alte zurückkam und Reisig brachte nebst etlichen Wachsstumpfen, vermuthlich erlaubten oder angemaßten Accidentien eines gewandten Kammerdieners. Zwei dieser Stumpfen steckte sie auf zwei große messingene Leuchter von verschiedener Gestalt; die übrigen legte sie auf den Tisch als Nachschub. Nigel äußerte den Wunsch nach einem Buche, um sich den Abend hindurch die Zeit zu vertreiben. Sie hörte ihn aufmerksam an und erwiderte, sie wisse im Hause von keinem andern Buche, als von der Bibel der jungen Mamsell (so nannte sie immer die Jungfer Martha Trapbois), welche aber die Eigenthümerin nicht verleihen werde, – und von dem Wetzstein des Witzes ihres Herrn, d. h. dem zweiten Theile der Arithmetik, enthaltend Algebra und die Gleichungsregeln von Robert Record. Nigel verzichtete auf den vielversprechenden Wetzstein. Die Alte erbot sich, ihm einige Bücher vom Herzog Hildebrod zu schaffen, als welcher zuweilen einen Blick in ein Buch werfe, wenn ihm die Staatsangelegenheiten vom Elsaß Zeit dazu ließen.

Nigel nahm diesen Vorschlag an, und die unermüdliche Iris watschelte fort, seinen zweiten Auftrag auszurichten. Bald kam sie zurück mit einem zerfetzten Quartanten unter dem Arme und einer Flasche Sect in der Hand. Denn der Herzog, erwägend, daß bloßes Lesen ein trockenes Geschäft sei, hatte den Wein mitgegeben, gleichsam als Sauce, damit das Lesen glatter eingehe, und dabei nicht vergessen, die Morgenzeche mit anzurechnen, die er selber bei seinem Besuche veranlaßt hatte.

Nigel nahm das Buch und wies den Wein nicht zurück, erwägend, daß ein Paar Gläser kein übles Intermezzo seiner Studien bilden würden, zumal da er den Sect wirklich gut fand. Er entließ die Alte mit Dank und Zusicherung einer Belohnung, machte sein Feuer und seine Lichter in die Reihe und schob den bequemsten unter den alten Sesseln zwischen das Feuer und den Tisch, an welchem er gespeiset hatte, und auf welchem jetzt der Wein und die Lichter standen. Nachdem er es sich also so behaglich wie möglich gemacht hatte, begann er, den einzigen Band zu studiren, welchen die herzogliche Bibliothek im Elsaß ihm hatte liefern können.

Der Inhalt des Buches war unterhaltend, aber nicht geeignet, ihn in seiner unheimlichen Umgebung aufzuheitern. Der Titel lautete: »Gottes Rache wider Mord« – nicht, wie der bibliomanische Leser vermuthen könnte, das Werk, welches Reynolds unter diesem Titel herausgegeben hat, sondern ein viel älteres, gedruckt und zu haben bei Wolfe, wovon ein Exemplar, wenn es jetzt aufzutreiben wäre, mit Gold aufgewogen werden würde Man weiß nur von drei Exemplaren, die noch davon übrig sind: eins in der Bibliothek zu Kennaquhair und zwei (wovon eins defect, das andere complett) im Besitze eines angesehenen Mitgliedes des Roxburgher Clubbs. – Anmerk. vom Hauptmann Clutterbuck..

Nigel hatte bald genug an den trübseligen Geschichten, welche das Buch enthielt, und versuchte einige andere Arten, die Zeit zu tödten. Er sah zum Fenster hinaus, aber der Abend war regnerisch und stürmisch. Er suchte das Feuer zu schüren, aber das Reisig war grün und rauchte, ohne zu brennen. Da er mäßig war, so fühlte er sich durch den Sect gewärmt und verzichtete auf den Zeitvertreib am Kamin. Er versuchte sodann, eine Schrift an den König aufzusetzen, um diesem seine Lage und seine Beschwerden zu schildern. Allein bald fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß die Schrift mit Verachtung zurückgewiesen werden wurde, und flugs warf er das Papier in's Feuer.

In einer Art von Verzweiflung griff er abermals nach dem Buche, und bei dem zweiten Versuche fand er es unterhaltender, als bei'm ersten. Die Geschichten, so sonderbar und das menschliche Gefühl verletzend sie auf der einen Seite auch waren, hatten die Anziehungskraft der Zauberei und des Unheimlichen überhaupt. Es war da viel erzählt von sonderbaren und gräßlichen Blutthaten, mit welchen Menschen, der Natur und ihren Gefühlen Trotz bietend, aus Rachgier, aus Golddurst oder aus maßlosem Ehrgeiz sich an dem Leben Anderer vergriffen hatten. Staunenerregender und unheimlicher noch waren die Berichte von der Art und Weise, wie solche Blutthaten an den Tag gekommen und gerächt worden waren. Thiere, unvernünftige Thiere hatten das Geheimniß offenbart, und Vögel hatten es durch die Luft fortgetragen. Die Elemente hatten die Unthaten verrathen, durch welche sie befleckt worden waren: die Erde war unter den Füßen des Mörders gewichen, das Feuer hatte sich geweigert, seine erstarrten Glieder zu wärmen, das Wasser, seine durstenden Lippen zu erfrischen, die Luft, seine zuckende Lunge zu erleichtern. Kurz Alles zeugte für des Mörders Schuld. In andern Fällen hatte des Verbrechers eigenes erwachtes Gewissen ihn verfolgt und dem Gerichte überliefert; wieder in andern hatte das Grab sich geöffnet und der Geist des Ermordeten hatte um Rache gerufen.

Es war schon spät in der Nacht und das Buch befand sich noch in Nigels Händen, als die Tapeten Die damaligen gewirkten Tapeten hingen lose an der Wand. hinter ihm wider die Wand klatschten und der durch ihre Bewegung hervorgebrachte Luftzug die Lichter flackern machte. Nigel fuhr in die Höhe und drehte sich um. Sein Gemüth war in einem Zustande von Aufregung, wie es sich bei seiner Beschäftigung an diesem Abende erwarten ließ, zumal in einer Zeit, wo ein gewisses Maß von Aberglauben als Glaubensartikel eingeprägt wurde. Mit Grauen erblickte er das leichenblasse magere Gesicht des alten Trapbois, der seine welke Hand abermals nach seinem Tische ausstreckte. Ueberzeugt, daß diese unzeitige Erscheinung nichts Gutes bedeute, sprang er auf, faßte seinen Degen, riß ihn aus der Scheide, setzte ihn dem Alten auf die Brust und fragte, was er zu einer solchen Stunde in seinem Zimmer zu thun habe. Trapbois zeigte weder Furcht noch Betroffenheit, sondern stotterte: er wolle lieber sein Leben, als sein Eigenthum lassen. Lord Glenvarloch gerieth in Verlegenheit. Der Grund von des Alten Zudringlichkeit war ihm ein Räthsel, und er wußte nicht, wie er ihn los werden sollte. Er versuchte es nochmals mit Drohung, und in diesem Augenblicke ward er durch eine zweite Erscheinung überrascht, die hinter der Tapete hervorkam. Es war die Tochter des Alten mit einer Lampe in der Hand. Sie schien eben so unempfindlich gegen Gefahr zu sein, wie ihr Vater, denn sie rückte Nigeln dicht zu Leibe, schlug ihm den Degen auf die Seite, und versuchte sogar, ihm denselben aus der Hand zu reißen, indem sie sagte: »Schämt Euch, das Schwert gegen einen mehr als achtzigjährigen Mann zu ziehen! Ist das die Ehre eines schottischen Edelmannes? Gebt es her, ich will eine Spindel davon machen!«

»Zurück!« rief Nigel ihr zu. »Ich habe nichts Schlimmes gegen Euren Vater im Sinne; aber ich will wissen, warum er den ganzen Tag schon und selbst zu dieser späten Stunde der Nacht um meine Waffen herumschleicht!«

»Eure Waffen!« wiederholte die Jungfer. »Lieber Himmel, alle Waffen im Tower sind für ihn von geringem Werthe im Vergleich mit diesem elenden Goldstück, welches ich diesen Morgen auf den Tisch eines jungen Verschwenders gelegt habe, und welches dieser in seiner Nachlässigkeit versäumt hat in seinen Beutel zu thun.«

Mit diesen Worten deutete sie auf das Goldstück, welches liegen geblieben war, wo sie es hingelegt hatte. In der That war es der Köder gewesen, der den Geizhals so oft an den Fleck gezogen und selbst in der Nacht so sehr seine Einbildungskraft beschäftigt hatte, daß er einen geheimen Eingang in das Zimmer seines Miethsmannes benutzte, um, während derselbe schlafe, diesen Schatz zu heben. Nachdem seine Tochter das Räthsel gelöset, rief er in den höchsten Tönen seiner schwachen, gebrochenen Stimme: »Es ist mein! es ist mein! Er hat es mir gegeben als eine Erkenntlichkeit. Ich will eher sterben, als von meinem Eigenthume lassen!«

»Es gehört wirklich ihm, Mamsell,« bemerkte Nigel. »Ich bitte Euch, es der Person wiederzugeben, der ich es geschenkt habe, und mich in meinem Zimmer in Frieden zu lassen.«

»Ich werde es Euch in Rechnung bringen,« erwiderte die Jungfer und reichte widerstrebend das Stückchen Mammon ihrem Vater. Seine knochigen Finger fuhren darauf zu, wie die Krallen eines Habichts auf seine Beute, und nachdem er es gefaßt, murmelte und brummte er vergnügt wie ein alter Hund, der eben gefüttert worden ist und sich drei Mal im Kreise herumdreht, ehe er sich niederlegt. – Er folgte seiner Tochter durch die geheime Thür, welche nur dann sichtbar war, wenn man die Wandbehänge auseinander zog.

»Diese Oeffnung soll morgen gehörig verwahrt werden,« bemerkte Martha, sich gegen Nigeln umwendend, ohne daß ihr Vater, der etwas taub und ganz von dem Gedanken an seinen Schatz erfüllt war, ihre leisen Worte vernehmen konnte. »Heute Nacht will ich ihn scharf beobachten. – Schlaft wohl!«

Die letzten Worte, in einem höflicheren Tone gesprochen, als sie bisher gegen den Miethsmann angenommen hatte, enthielten einen Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen sollte, obwohl Nigel nach ihrem Weggange sich augenblicklich zu Bette legte. Die gelesenen Geschichten und der Auftritt mit Trapbois und seiner Tochter hatten das Blut des jungen Mannes in fieberhafte Wallung gebracht, und machten es ihm unmöglich zu schlafen. Wirre, unerfreuliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf wie ein trüber Strom. Je mehr er sich bemühte, sich einzulullen, desto weniger wollte es ihm gelingen. Er versuchte alle in einem solchen Falle üblichen Mittel. Er zählte von Eins bis Tausend, bis es ihm wirr im Kopfe ward. Er betrachtete die Glutasche des Holzfeuers, bis seine Augen geblendet waren. Er horchte auf das einförmige Sausen des Windes, auf das Drehen und Knarren der Schilder vor den Häusern und auf das Winseln heimathloser Hunde, bis ihm die Ohren wehe thaten.

Mitten in dieser Eintönigkeit ließ sich ein Laut vernehmen, der ihn aufschreckte. Es war ein weiblicher Schrei. Er setzte sich auf, um zu horchen. Er besann sich, daß er sich im Elsaß befand, wo Zank und Streit zu Hause waren. Aber ein zweiter und unmittelbar darauf ein dritter und vierter Schrei klang ihm, obwohl halb erstickt, doch so deutlich und nahe, daß er nicht zweifelte, er komme aus dem Hause, in welchem er sich befand.

Nigel sprang aus dem Bette, legte einen Theil seiner Kleider an, ergriff Degen und Pistolen und eilte nach der Thür. Als er sie geöffnet, hörte er deutlich, wie die Heftigkeit des Schreiens sich verdoppelte. Es schien ihm aus der Wohnung des Wucherers zu kommen. Der Weg zu dieser führte durch die Thür, welche Trapbois am Nachmittage fest verschlossen hatte. Vergebens rüttelte Nigel an derselben. Plötzlich fiel ihm die geheime Thür ein. Er eilte zurück in sein Zimmer und bemühte sich, ein Licht anzuzünden, was ihm nicht so schnell gelang, als seine Ungeduld wünschte. Während dessen hörte er mit klopfendem Herzen das Geschrei sich wiederholen und empfand eine wahre Angst bei dem Gedanken, daß es demnächst einer Todtenstille weichen würde.

Er eilte durch den schmalen winkeligen Gang, indem er dem Lärm folgte, welcher nun immer heftiger in seinem Ohr wiederhallte. Während er eine enge Treppe hinabstieg, hörte er gedämpfte Männerstimmen: »Verfluchtes Mensch! – Schlag' sie zusammen! Stopf' ihr das Maul! Schlag' ihr den Kopf ein!« – und auf der anderen Seite wiederum die, obwohl jetzt erschöpfte, Stimme der Tochter des Hauses: »Mörder! – Hülfe!« Unten an der Treppe war eine kleine Thür, Nigel stieß dieselbe auf und befand sich auf dem Schauplätze der Handlung – ein gespanntes Pistol in der Linken, das Licht in der Rechten und den bloßen Degen unter'm Arme.

Zwei Gauner waren im Begriff, die verzweifelt sich wehrende Tochter des Trapbois zu überwältigen. Fetzen von ihren Kleidern und Händevoll von ihren Haaren lagen umher zerstreut. Der eine Kerl hatte eben ein großes Zulegmesser gezogen, als Nigel eintrat. Sie wandten sich gegen ihn. Nigel schoß den mit dem Messer zusammen, warf nach dem Andern mit dem Leuchter, und drang mit dem Degen auf ihn ein. Es war jetzt fast ganz dunkel in dem Zimmer; nur ein schwacher Mondschein dämmerte durch das Fenster. Der zweite Räuber feuerte ein Pistol nach Nigeln ab, ohne zu treffen, that einige Kreuzhiebe und entsprang durch das Fenster. Nigel schoß sein zweites Pistol nach ihm ab und rief nach Licht.

»Dort in der Küche ist Licht,« sprach Martha Trapbois mit mehr Geistesgegenwart, als sich erwarten ließ. »Wartet, – Ihr wißt nicht den Weg. Ich will es selber holen. – Ach, mein Vater! mein armer Vater! – Ich wußte, daß es so kommen würde mit dem verfluchten Golde! – Sie haben ihn ermordet!«

 

Ende des zweiten Theils.



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