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Drittes Kapitel.

Bingo! ei Bingo! he Bursch! Hieher! hier!
Fort ist er, doch er wird vor uns zu Haus sein.
Ein störrig Vieh fürwahr ist dieser Köther,
Wie schwerlich wohl ein andrer. Bingo liebt mich,
Mehr als der Bettler seine Gabe liebt.
Doch ist er mürrisch, dann mögt Ihr, mein Herr,
Die Phantasie aus ihren finstern Launen
Wohl leichter locken, als den Köther Bingo.

Der Domine und sein Hund.

Richard Moniplies hielt Wort. Am Morgen des dritten Tages, nachdem Nigel seine neue Wohnung bezogen, erschien er vor seinem Herrn, als dieser eben beschäftigt war, sich anzukleiden. Es war nicht mehr sehr früh, denn der junge Freiherr blieb gegenwärtig viel länger im Bette liegen, als er früher gewohnt war.

Nigel bemerkte auf seines Dieners ernstem Gesicht eine gewisse Düsterheit, welche entweder auf ein erhöhetes Selbstgefühl oder auf vermehrte Unzufriedenheit deutete, oder auf Beides zugleich.

»Nun, Richard,« nahm er das Wort, »was gibt's heute Morgen, daß du eine Fratze ziehst, wie die Köpfe an den Speiröhren dort drüben an der Tempelkirche?«

Richard drehte den Kopf ein wenig rechts, so langsam, als hätte er einen steifen Hals, nahm dann seine vorige Haltung wieder an und erwiderte: »Fratze hin, Fratze her – davon hab' ich nicht zu sprechen.«

»Nun, wovon hast du denn zu sprechen?« fragte sein Herr, den die Umstände gewöhnt hatten, seinen Diener sich viele Freiheiten herausnehmen zu lassen.

»Gnädiger Herr!« – begann Richard, hielt dann inne, hustete und räusperte sich, als ob das, was er sagen wollte, ihm in der Kehle stecken bliebe.

»Ich errathe das Geheimniß,« sprach Nigel, »vermuthlich brauchst du eine Kleinigkeit an Geld. Wie ist's, Richard? Wirst du mit fünf Kopfstück genug haben?«

»Gnädiger Herr,« erwiderte Richard, »ich brauche allerdings wohl etwas Geld. Es ist mir lieb und leid, daß Ew. Herrlichkeit jetzt mehr hat, als sonst.«

»Lieb und leid?« wiederholte der Freiherr. »Ei, mein Junge, du gibst mir Räthsel auf!«

»Mein Räthsel ist leicht zu lösen,« sprach Richard. »Ich wollte bei Ew. Herrlichkeit gehorsamst aufragen, ob Ihr Nichts nach Schottland zu befehlen habt?«

»Nach Schottland? Bist du toll? Kannst du nicht warten, um mit mir zu gehen?«

»Ich könnte Euch bis zu Eurer Abreise wenig mehr nützen,« erwiderte Richard, »da Ihr im Sinn habt, einen anderen Pagen und Reitknecht anzunehmen.«

»O du eifersüchtiger Esel!« erwiderte der junge Herr. »Wird denn nicht dadurch die Last des Dienstes um so leichter für dich? Geh', nimm dein Frühstück zu dir und trinke Doppelbier, um dir solchen Unsinn aus dem Kopfe zu bringen. Ich könnte dir zürnen über deine Narrheit, Bursche, aber ich bedenke, wie du im Ungemach an mir gehangen hast.«

»Ungemach, edler Herr, würde uns nie geschieden haben,« antwortete Richard. »Ich glaube, wenn es zum Aeußersten gekommen wäre, würde ich eben so herzhaft Hunger gelitten haben, wie Ew. Herrlichkeit, oder vielleicht noch herzhafter, da ich einigermaßen daran gewöhnt bin. Denn obwohl ich in einem Fleischscharren aufgewachsen bin, so sind mir doch nicht immer gebackene Schnitten etwas Gewöhnliches gewesen.«

»Nun, was soll all' dies dumme Zeug?« fragte Nigel. »Etwa blos meine Geduld auf die Probe stellen? Du weißt, wenn ich zwanzig Diener hätte, so würd' ich doch am meisten auf den Getreuen halten, der in der Noth nicht von mir gewichen ist. Aber unvernünftig ist es von dir, mich mit deinen ernsthaften Capricen zu plagen.«

»Gnädiger Herr,« erwiderte Richard, »indem Ihr Euer Vertrauen auf mich erklärt, thut Ihr Etwas, was Euch Ehre macht, wenn ich ohne Unbescheidenheit so Etwas sagen darf, und Etwas, das von meiner Seite keineswegs unverdient ist. Nichtsdestoweniger müssen wir scheiden.«

»Zum Teufel! warum denn?« fragte der Freiherr. »Welchen Grund kann es dafür geben, wenn wir wechselseitig zufrieden sind?«

»Gnädiger Herr,« erwiderte Richard, »Ew. Herrlichkeit Beschäftigungen sind von der Art, daß ich sie nicht durch meine Gegenwart gutheißen kann.«

»Was?« rief sein Herr zornig.

»Halten's zu Gnaden, edler Herr,« antwortete der Diener, »es ist ungleich gehandelt, gleichmäßig durch mein Sprechen und durch mein Schweigen sich verletzt zu finden. Wenn Ihr geduldig die Gründe meines Abgangs anhören könnt, so mag dies vielleicht zu Eurem Besten dienen in dieser und in jener Welt. Wo nicht, so erlaubt mir, schweigend zu scheiden, und damit fertig.«

»Vorwärts!« sprach Nigel, »sprich dich aus, nur vergiß nicht, wen du vor dir hast.«

»Wohlan, gnädiger Herr – ich sage es in Demuth« (bei diesen Worten sah Richard ganz besonders gravitätisch aus); »denkt Ihr, dies Würfeln und Kartenmischen und Besuchen von Trinkstuben und Schauspielhäusern gezieme Ew. Herrlichkeit? So viel ich weiß, mir geziemt es nicht.«

»Ei, ei, du Narr, du bist doch nicht etwa ein Frommer oder Puritaner geworden?« fragte Nigel lachend, wiewohl er sich einigermaßen zum Lachen zwingen mußte, da er innerlich von Scham und Zorn bewegt war.

»Gnädiger Herr,« antwortete der Knecht, »ich verstehe Eure Frage. Ich habe vielleicht etwas von einem Frommen an mir, und wollte Gott, ich wäre dieses Namens würdiger. Doch lassen wir das gut sein. Ich habe die Dienstwilligkeit so weit getrieben, wie mein nordisches Gewissen es erlauben will. Ich kann Gutes reden von meinem Herrn und von meinem Vaterlande, wenn ich in einem fremden Lande bin, auch wenn ich dabei von der strengen Wahrheit ein klein Wenig abgehe. Ich will auch einen Hieb geben oder empfangen, wenn irgend Jemand zum Nachtheil des einen oder des andern redet. Aber dies Herumlungern, Würfeln, Schauspielbesuchen ist mein Element nicht. Ich kann darin nicht athmen. Wenn ich höre, daß Ew. Herrlichkeit Geld gewinnt, was vielleicht einem armen Teufel recht weh thut zu verlieren – meiner Seel'! – dann möcht' ich im Nothfall lieber mit Ew. Herrlichkeit über die Hecke springen und dem ersten besten Viehbauer, der, von Smithfield mit einem Beutel voll Geld für seine Essexer Kälber kommend, uns aufstieße, ›Steh!‹ zurufen.«

»Dummkopf,« erwiderte Nigel, der jetzt Gewissensbisse fühlte, »ich spielte immer nur um kleine Summen.«

»Freilich,« edler Herr,« entgegnete der unbeugsame Diener; »aber, mit Ehren zu melden, das ist nur um so schlimmer. Wenn Ihr mit Eures Gleichen spieltet, dann wäre wohl die Sünde dieselbe, aber weltliche Ehre wäre mehr dabei. Ew. Herrlichkeit weiß oder kann aus eigener, noch nicht viele Wochen alter Erfahrung wissen, daß kleine Summen nicht entbehrlich sind für Die, welche keine größeren haben. Ich darf's Euch wohl offen sagen, die Leute machen die Bemerkung, daß Ew. Herrlichkeit mit Niemand anders spielt, als mit den verirrten Geschöpfen, die nur einfache Einsätze zu verlieren haben.«

»Niemand soll sich unterstehen, das zu sagen!« rief Nigel im höchsten Zorn. »Ich spiele mit wem ich will, aber ich will nur für so viel spielen, als ich Lust habe.«

»Das ist es gerade, was sie sagen, edler Herr,« fuhr der unbarmherzige Diener fort, den seine natürliche Neigung zum Hofmeistern und sein Mangel an Zartgefühl verhinderte, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie tief er seinen Herrn verletzte. »Das sind sogar ihre Worte. Erst gestern gefiel es Ew. Herrlichkeit, dem jungen Herrn mit dem karmesinrothen Sammtwams und der Hahnenfeder auf dem Hute – ich meine den, der mit dem großmäuligen Hauptmann gefochten hat – beiläufig fünf Pfund abzugewinnen. Ich hab' ihn durch den Saal kommen sehen. Wenn er nicht rein ausgeschält war, dann hab' ich in meinem Leben keinen ruinirten Mann gesehen.«

»Unmöglich!« rief Lord Glenvarloch. »Wer ist er? Er sah aus wie ein vermögender Mann.«

»Es ist nicht Alles Gold, was glänzt,« erwiderte Richard. »Stickereien und Goldknöpfe fegen den Beutel. Und wenn Ihr fragt, wer er ist, kann ich es vielleicht sagen und mag nicht.«

»Wenn ich einem solchen Menschen ein Leid zugefügt habe, so laß mich wenigstens wissen, wie ich es wieder gut machen kann,« sagte Herr Nigel.

»Beunruhigt Euch deshalb nicht, gnädiger Herr,« entgegnete Richard, »es soll für ihn gesorgt werden. Denkt, er wäre auf der Post dem Teufel in die Hände geeilt, und Ihr hättet ihm einen Schub gegeben, um ihm wieder auf den rechten Weg zu helfen. Ich will ihn weiter aufhalten, wenn vernünftiges Zureden es vermag. Also braucht Ew. Herrlichkeit nicht weiter nach ihm zu fragen, denn es kann Euch Nichts helfen, Auskunft zu erhalten, wohl aber kann das Gegentheil die Folge sein.«

»Höre, Bursche,« sprach der Freiherr, »ich habe aus Gründen bisher Geduld mit dir gehabt. Aber mißbrauche meine Gutherzigkeit nicht länger. Mußt du durchaus gehen, so gehe in Gottes Namen; hier ist Geld, um deine Reisekosten zu bestreiten.« Mit diesen Worten legte er ihm einiges Gold in die Hand, welches Richard mit großer Sorgfalt zählte.

»Ist es recht? Sind sie vollwichtig? oder was zum Teufel hält dich zurück, da du vor fünf Minuten noch so große Eile hattest?« Der junge Lord war jetzt aufs Höchste gereizt durch die anmaßende Strenge, mit der ihm Richard den Text las.

»Die Zahl der Stücke ist richtig,« antwortete der Diener mit unverwüstlichem Gleichmuthe. »Was das Gewicht betrifft, so sind die Leute hier zwar gewaltig genau und machen schiefe Mäuler, wenn ein Stück ein klein Bischen zu leicht ist oder einen Kritz hat; aber in Edinburgh schnappen sie danach, wie ein Hahn nach einem Körnchen. Goldstücke sind leider dort nicht so häufig.«

»Um so thörichter bist du, ein Land zu verlassen, wo sie in Fülle vorhanden sind,« bemerkte Nigel, dessen Zorn nur vorübergehend war.

»Edler Herr,« versetzte Richard, »um es rund heraus zu sagen: die Gnade Gottes ist besser denn Goldstücke. Wenn der Kobold, wie Ihr den Monsieur Lutin nennt, (Ihr könntet ihn Galgen nennen, denn dahin wird er kommen,) wenn der Euch einen Pagen empfiehlt, so werdet Ihr nicht viel solche Lehre hören, wie Ihr von mir gehört habt. – Und wenn dies meine letzten Worte sein sollten« – fuhr er lauter fort – »so will ich sagen, ›Ihr seid irregeleitet und habt die Wege verlassen, auf welchen Euer ehrenfester Vater gewandelt hat, und was noch mehr ist, nehmt es nicht übel – Ihr lauft dem Teufel zu mit einem Spüllumpen, denn Ihr werdet verlacht von Denen, die Euch auf diese ungebührlichen Abwege leiten.‹«

»Verlacht?« wiederholte Nigel, auf den, wie auf andere Leute seines Alters, Spott mehr Eindruck machte als Vernunftgründe. »Wer wagt es, mich zu verlachen?«

»Edler Herr,« antwortete Richard, »so wahr ich von Brod lebe, nein, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin – und ich hoffe, Ew. Herrlichkeit hat nie gefunden, daß auf Richards Zunge etwas Anderes als Wahrheit gewesen ist, außer wenn das Ansehen Ew. Herrlichkeit oder das Beste meines Landes oder vielleicht auch ein kleiner Vortheil für mich es unnöthig machte, die ganze Wahrheit zu sagen – ich sage also, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, als ich den armen Teufel durch den Saal kommen sah in dem Speisehause, welches (Gott verzeih' mir die Sünde) ein von Gott und Menschen verfluchter Ort ist, zähneknirschend, mit geballten Fäusten, den Hut über die Stirn gezogen, wie ein verzweifelter Mensch, da sagte der Kobold zu mir: ›Sieh', da geht ein Misthähnchen, das dein Herr sauber gerupft hat. Es wird noch lange währen, bis Se. Herrlichkeit sich an einen ordentlichen Hahn wagt.‹ Um es also gerade heraus zu sagen, die Lakaien und die feinen Herren, und insbesondere Euer Bruderherz, Lord Dalgarno, nennen Euch den Sperlingsfänger. Ich hatte Lust, dem Lutin den Kopf einzuschlagen für seine Rede, aber am Ende war es doch nicht der Mühe werth.«

»Solche Ausdrücke gebrauchen sie von mir?« rief Nigel. »Tod und Teufel!«

»Und des Teufels Großmutter,« fügte Richard hinzu. »Alle drei sind sie hier in London geschäftig. Und obendrein lachen Lutin und sein Herr über Euch, indem sie – ich schäme mich, es zu sagen – indem sie zu verstehen geben, daß Ihr auf gar zu gutem Fuße steht mit dem Weibe des ehrbaren Mannes, dessen Haus Ihr kürzlich verlassen habt, als nicht anständig genug für Euch. Und die liederlichen Spötter sagen, Ihr strebtet nach solcher Gunst, weil Ihr nicht Muth genug zu einem ehrlichen Kampfe hättet; der Sperlingsfänger sei zu feig, um auf das Weib eines Käsekrämers zu stoßen.« Er hielt einen Augenblick inne, sah seinem Herrn scharf in's Gesicht, der vor Scham und Zorn glühete, und fuhr dann fort: »Edler Herr, ich habe Euch Gerechtigkeit widerfahren lassen in meinen Gedanken und mir ebenfalls, denn, dachte ich, er würde auch in diese Art von Liederlichkeit eben so tief gerathen sein, wie in andere, wenn Richard nicht gewesen wäre.«

»Noch mehr Unsinn, um mich zu quälen?« rief Nigel. »Aber fahre fort, denn dies soll das letzte Mal sein, daß ich mich mit deinem ungewaschenen Maul plage. Vorwärts! und benutze deine Zeit.«

»Das will ich,« sprach Richard. »Da Gott mir eine Zunge verliehen hat zum Reden und Rathen –«

»Eine Gabe, die du wahrlich nicht unbenutzt lässest,« fiel sein Herr ein.

»Allerdings, edler Herr,« fuhr Richard fort mit einer Bewegung der Hand, als wolle er die schweigende Aufmerksamkeit seines Herrn in Anspruch nehmen; »hoffentlich werdet Ihr auch später noch so denken. Also, da ich im Begriff stehe, Euren Dienst zu verlassen, so gebührt es sich, daß Ihr die Wahrheit erfahret, auf daß Ihr die Schlingen merket, denen Eure Jugend und Unerfahrenheit ausgesetzt sein kann, wenn ältere und mehr besonnene Köpfe von Eurer Seite entfernt sind. Eine nicht übel aussehende Vettel von vierzig oder mehr Jahren hat viel um Euch herumgespürt, edler Herr.«

»Nun, was hat sie von mir gewollt?« fragte Nigel.

»Anfangs,« erwiderte der weise Knecht, »hatte ich Nichts dawider, sie reden zu lassen, da sie gut aussah und Gefallen an verständiger Gesellschaft zu finden schien.«

»Das glaub' ich,« fiel Nigel ein, »und wahrscheinlich hattest du auch Nichts dawider, sie Etwas von meinen Angelegenheiten wissen zu lassen.«

»Ew. Herrlichkeit ist im Irrthume,« antwortete Richard. »Sie hat mich viel gefragt nach Eurem Ruf, Eurem Vermögen, Euren Geschäften dahier und dergleichen mehr, aber ich fand nicht für gut, ihr reinen Wein einzuschenken.«

»Ich sehe nicht ein,« bemerkte der Freiherr, »welchen Beruf du hattest, dem Weibe Lügen oder Wahrheit zu sagen über Dinge, die sie Nichts angehen.«

»Das habe ich auch gedacht, edler Herr,« erwiderte Richard; »drum hab' ich ihr weder Wahrheit noch Lüge gesagt.«

»Nun, was hast du ihr denn gesagt, du endloser Schwätzer?« fragte sein Herr, überdrüssig seines Geredes und doch neugierig auf das Ende.

»Ich sagte ihr,« antwortete Richard, »Einiges über Euer weltliches Vermögen u. s. w., was jetzt nicht gerade wahr ist, was aber einst wahr gewesen ist, was jetzt wahr sein sollte und einst wahr werden wird, nämlich, daß Ihr im Besitz Eurer schönen Güter seiet, auf welche Ihr bis jetzt nur ein Recht habt. Wir sprachen darüber und über andere Dinge gar vergnüglich, bis sie den Pferdefuß zeigte und mir von einem Weibsbild anfing, welches, wie sie sagte, Lust zu Ew. Herrlichkeit hätte, und bis sie sagte, sie möchte darüber gern mit Euch unter vier Angen reden. Wie ich aber ein solches Lied hörte, da dachte ich, sie möchte nichts Besseres sein als – Hui!«

»Nun, was that deine Weisheit unter diesen Umständen?« fragte Nigel, der ungeachtet seines vorherigen Zornes nicht umhin konnte, zu lachen.

»Ich nahm einen Blick an,« antwortete Richard, seine Augenbraunen zusammenziehend, »ich nahm einen Blick an, der ihr die Lust benehmen sollte, solche Aufträge auszurichten. Ich legte ihr ihre Abscheulichkeit klar vor Augen, und bedräuete sie, ich wollte sie auf den Tauchschemel bringen. Sie aber schimpfte mich einen ungezogenen nordischen Bengel, und so schieden wir, hoffentlich, um uns nie mehr zu treffen. Und so habe ich zwischen Ew. Herrlichkeit und einer Versuchung gestanden, welche vielleicht schlimmer gewesen wäre, als das Speisehaus oder das Schauspielhaus. Denn Ihr wißt ja, was Salomo, König der Juden, von fremden Weibern sagt. Denn, sagte ich für mich, wir haben uns schon in's Würfeln eingelassen, lassen wir uns nun noch in's Buhlen ein, so mag Gott wissen, wie das enden soll.«

»Deine Unverschämtheit verdient Züchtigung,« versetzte Nigel, »doch es ist – wenigstens für einige Zeit – die letzte, welche ich dir zu vergeben habe. Da wir also scheiden müssen, so will ich nichts weiter sagen in Betreff deiner Warnungen, als daß du mich nach meinem eigenen Ermessen handeln lassen könntest.«

»Es wäre viel besser, das geschähe nicht,« erwiderte Richard. »Wir sind Alle gebrechliche Geschöpfe, und können viel besser für Andere urtheilen, als in unserm eigenen Falle. Und was mich betrifft, so habe ich immer bemerkt, daß ich – abgerechnet den Fall mit der Bittschrift, welcher Jedem hätte passiren können – immer viel klüger gehandelt habe, wenn ich Etwas für Ew. Herrlichkeit zu thun hatte, als wenn ich Etwas in meinem eigenen Interesse that, was ich schuldigermaßen immer zurückgesetzt habe.«

»Das will ich glauben,« bemerkte Nigel; »denn ich habe dich immer treu gefunden. Da dir also London so wenig gefällt, so sage ich dir kurz Lebewohl. Geh' denn einstweilen nach Edinburgh, bis ich nachkomme. Ich hoffe, du wirst dort wieder in meinen Dienst treten.«

»Nun, Gott segne Euch, edler Herr,« sprach Richard mit aufgehobenen Augen. »Diese Worte klingen mehr nach Gnade als irgend eins, das in den letzten vierzehn Tagen aus Eurem Munde gekommen ist. Guten Morgen, edler Herr.«

Mit diesen Worten streckte er seine knochige Hand aus, faßte die Hand Nigels und drückte sie an seine Lippen. Dann drehte er sich rasch auf dem Absatze herum und eilte zum Zimmer hinaus, als fürchte er größere Bewegung zu verrathen, als sich mit seinen Begriffen von Anstand vertrug. Der Freiherr, fast überrascht durch seinen plötzlichen Abgang, rief ihm nach, um zu fragen, ob er hinlänglich mit Geld versehen sei. Aber Richard schüttelte den Kopf und lief ohne zu antworten die Treppe hinunter, schlug die Hausthür hinter sich zu und schritt rüstig den Strand entlang.

Fast unwillkürlich beobachtete Nigel vom Fenster aus die hohe knochige Gestalt seines gewesenen Knechtes, bis sie sich in dem Gewoge der Vorübergehenden verlor. Seine Betrachtungen waren nicht ganz befriedigender Art. Er konnte sich nicht verhehlen, daß es kein gutes Zeichen seines Lebenswandels sei, wenn ein so treuer Diener nicht mehr denselben Stolz, ihm zu dienen, oder dieselbe Anhänglichkeit an seine Person fühlte, wie er früher offenbart hatte. Er konnte sich einiger Gewissensbisse nicht erwehren bei der Erinnerung an die von Richard ihm gemachten Vorwürfe; er schämte sich und fühlte sich tief verletzt bei dem Gedanken an die Deutung, welche Andere seiner Vorsicht und Mäßigung im Spiele gaben. Sein einziger Trost war, daß ihm selber sein Benehmen nie in diesem Lichte erschienen sei. Auf der andern Seite sagte ihm sein Stolz und seine Selbstliebe, daß Richard, bei all' seinen guten Eigenschaften, doch ein eingebildeter, naseweiser Knecht sei, mehr geneigt, den Vormund als den Bedienten zu spielen, der vorgeblich aus reiner Liebe zu seinem Herrn sich herausnahm, sich um sein Thun zu bekümmern – abgesehen davon, daß seine altväterische Förmlichkeit und naseweise Keckheit seinen Herrn in der feinen Welt lächerlich machte.

Nigel hatte kaum den Kopf aus dem Fenster zurückgezogen, als sein neuer Hauswirth eintrat und ihm ein mit Seidenschnur sorgfältig umwickeltes und versiegeltes Papier brachte, bemerkend, es sei von einer Weibsperson abgegeben worden, die sich keinen Augenblick aufgehalten habe. Der Inhalt war aus demselben Tone, welchen Richard bereits angestimmt hatte. Das Schreiben lautete:

 

»Zu den sehr ehrenwerthen Händen von Lord Glenvarloch.
Von einem unbekannten Freunde.

Edler Herr!

Ihr traut einem ehrlosen Freunde und schadet einem ehrlichen Namen. Ein unbekannter, aber wahrer Freund Ew. Herrlichkeit will Euch mit einem Worte sagen, was Ihr von Schmeichlern nicht erfahren würdet in so viel Tagen, als genug sind zu Eurem völligen Verderben. Der, den Ihr für Euren treuesten Freund haltet, Lord Dalgarno, ist entschieden falsch gegen Euch und sucht unter dem Scheine der Freundschaft Euer Glück zu untergraben und Euch um Euren guten Namen zu bringen, der Euch zur Verbesserung Eurer Lage dienen könnte. Das freundliche Gesicht, welches er Euch macht, ist gefährlicher, als des Prinzen finsterer Blick, gerade so, wie bei Beaujeu zu gewinnen weniger Ehre bringt, als zu verlieren. Hütet Euch vor Beiden. Dies ist Alles, was Euch sagt Euer treuer, aber ungenannter Freund

Ignoto.«

 

Lord Glenvarloch sann einen Augenblick nach, knitterte das Papier zusammen, öffnete es wieder, las es zum zweiten Male und sann noch einen Augenblick mit gerunzelter Stirne nach. Dann zerriß er es und rief: »Fort mit der elenden Verleumdung! – Aber ich will aufmerksam sein – ich will beobachten.«

Die Gedanken jagten sich in seinem Kopfe, allein sie führten so wenig zu einem befriedigenden Ergebniß, daß er beschloß, sie durch einen Spaziergang in dem Park zu zerstreuen. Er nahm Hut und Mantel und machte sich auf den Weg nach S. James.



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