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Viertes Kapitel.

Schneeball, dem Sieger in so manchem Lauf,
Stieß, da er alt ward, einst ein Häschen auf. –
Wer kennt nicht Schneeball, dessen Flüchtigkeit
Gepriesen ist im Lande weit und breit?
In Swaffyam, Newmarket und sonst im Land,
Wo's eine Rennbahn gibt, ist er bekannt. –
Vergebens sucht das Thierchen auf den Höh'n,
Durch Hecken, Gatter, Büsche zu entgehn,
Bis endlich denn an eines Grabens Rand
Den Tod statt Schutz das arme Opfer fand.
So ward auch ich, S. James! in deinem Hain,
Vor Rittern und vor Damen stolz und fein
Entdeckt, verfolgt, gehetzt, wohin ich ging,
Von einem Quälgeist, der sich an mich hing.

u. s. w. u. s. w.

Der Park von S. James, den später Karl II. vergrößert, mit grünen Baumgängen bepflanzt und sonst verziert hat, war schon in den Tagen seines Großvaters ein öffentlicher Ort zum Lustwandeln, und wurde, der Bewegung oder des Zeitvertreibes halber, stark von den höheren Klassen besucht.

Lord Glenvarloch begab sich in denselben, um die unangenehmen Gedanken zu zerstreuen, welche der Abschied seines treuen Knappen Richard Moniplies, und die Bestätigung der Winke seines ehemaligen Dieners durch den anonymen Brief in ihm erweckt hatten.

Im Park war es lebendig, als er denselben betrat. Da aber sein gegenwärtiger Gemüthszustand ihn bestimmte, Gesellschaft zu meiden, so hielt er sich fern von den besuchteren Gängen, die nach Westminster und Whitehall führten, und wandte sich nordwärts, oder wie es jetzt heißen würde, nach der Seite von Piccadilly zu, in der Meinung, daß er hier seinen Gedanken ungestörter nachhängen oder vielmehr sie bekämpfen könne.

In dieser Hoffnung aber täuschte er sich. Denn während er, in seinen Mantel gewickelt und den Hut tief in die Augen gedrückt, langsam dahin schlenderte, stieß plötzlich auf ihn Herr Mungo Malagrowther, der, entweder meidend oder gemieden, freiwillig oder gezwungen, sich in denselben minder besuchten Winkel des Parks zurückgezogen hatte.

Nigel fuhr auf, als er den durchdringenden, belfernden Ton der Stimme des Ritters vernahm, und fand sich sehr unangenehm überrascht, als er seine lange schmächtige Gestalt auf sich zuhinken sah, gehüllt in einen abgetragenen Mantel, dessen ursprüngliche Scharlachfarbe durch tausend verschiedene Flecken verdunkelt war, auf dem Kopfe einen abgetragenen Hut mit einem schwarzen Sammetbande statt einer Kette und mit einer Kapaunenfeder statt einer Straußfeder.

Nigel wäre ihm gern entwischt, allein, wie unser Motto andeutet, eben so leicht hätte ein Häschen einem geübten Windhunde entrinnen können. Herr Mungo verstand sich darauf, sein Wild zu stellen. Nigel fand sich genöthigt, Halt zu machen und die abgedroschene Frage: »Was gibt's Neues heute?« abzuwarten.

»Nichts Besonderes meines Wissens,« antwortete der Freiherr, und wollte weiter gehen.

»Ah, Ihr geht wohl nach dem französischen Speisehause,« bemerkte der Ritter. »Aber es ist noch früh am Tage. Wir wollen erst noch einen Gang im Park machen, das wird Euren Appetit vermehren.«

Mit diesen Worten hing er sich an Nigels Arm, trotz allem höflichen Widerstreben seines Opfers, welches den Ellenbogen an die Seite preßte; und nachdem er es wohl gepackt hatte, nahm er es in's Schlepptau.

Nigel war düster und schweigsam, in der Hoffnung, seinen unwillkommenen Begleiter damit loszuwerden. Allein Herr Mungo hatte beschlossen, daß sein Begleiter, wenn er nicht redete, wenigstens hören sollte.

»Ihr seid auf dem Wege nach dem Speisehause, edler Herr?« begann der Cyniker. »Ihr könnt nichts Besseres thun. Die Gesellschaft dort ist ausgesucht, wie ich höre, und ohne Zweifel von der Art, wie junge Herren von Rang sie suchen sollten. Euer edler Vater würde sehr erfreut gewesen sein, Euch darin zu sehen.«

»Ich glaube,« erwiderte Nigel, welcher ferneres Schweigen unmöglich fand, »ich glaube, die Gesellschaft ist so gut, wie man sie in der Regel an solchen Orten findet, wo die Thüre nicht wohl vor Denen verschlossen werden kann, welche hinkommen, ihr Geld auszugeben.«

»Ganz richtig, edler Herr,« versetzte der Quälgeist mit einem unharmonischen Lachen. »Die bürgerlichen Lümmel drängen sich bei uns ein, sobald die Thür nur einen Zoll weit offen steht. Wie ist dem abzuhelfen? Ich denke so. Da ihr Geld ihnen diese Zuversicht gibt, so sollten wir es ihnen abnehmen. Schindet sie, edler Herr, brüht sie, wie eine Köchin Ratten brüht, und es wird ihnen die Lust vergehen, wiederzukommen. Ja, ja, pflückt sie, rupft sie, und dann werden die fetten Kapaunen es bleiben lassen, so hoch zu fliegen, wie Stockaare und Sperlingsfänger und dergleichen.«

Bei diesen Worten heftete Herr Mungo sein durchdringendes graues Auge auf Nigeln, um die Wirkung seines beißenden Spottes zu beobachten, gleichwie der Chirurg bei einer schwierigen Operation die Arbeit seines anatomischen Scalpells beobachtet.

So sehr auch Nigel bemüht war, seine Gefühle zu verbergen, konnte er doch nicht umhin, unter der Operation zu zucken. Er erröthete vor Aerger. Allein er bedachte, daß ein Streit mit Herrn Mungo Malagrowther unaussprechlich lächerlich sein würde, und begnügte sich, vor sich hin zu brummen: »Unverschämter Narr!« – eine Aeußerung, die zu vernehmen und zu beantworten der Ritter durch seine Taubheit dies Mal nicht verhindert wurde.

»Ja wohl, unverschämte Narren sind sie,« rief der kaustische Höfling, »diese Menschen, die sich in die Gesellschaft der Höheren eindrängen. Aber Ew. Herrlichkeit versteht es, ihnen den Kitzel zu nehmen; Ihr habt den Pfiff weg. – Letzten Freitag wurde in der Audienz viel darüber gelacht, wie Ihr einen jungen Krämer mit Roß und Mann in die Flucht geschlagen, seine spolia optima Wörtlich: fette Beute. und all sein Geld, sogar die silbernen Knöpfe seines Mantels ihm abgenommen, und ihn fortgeschickt habt zu grasen mit Nebukadnezar, König von Babylon. Ew. Herrlichkeit hat viel Ehre davon gehabt. Man hat erzählt, der Lümmel habe sich aus Verzweiflung in die Themse gestürzt. Es sind ihrer aber noch genug übrig; bei Floddenedge ist es noch weniger säuberlich hergegangen Bei Floddenedge erlitten die Schotten eine Niederlage von den Engländern. Malagrowther läßt den jungen Freiherrn diese Niederlage an Londoner Krämern rächen.

»Man hat Euch belogen, soweit es mich betrifft, Herr Mungo!« rief Nigel im Tone der Entrüstung.

»Sehr wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich,« erwiderte der unerschütterliche Alte. »Nichts ist heutzutage mehr im Umlauf, als Lügen. Also ist der Junge nicht ertrunken? Desto schlimmer. Aber ich habe diesen Theil der Geschichte nie geglaubt. Ein Londoner Handelsmann hat mehr Verstand in seinem Grimme. Ich möchte darauf schwören, der Junge hat jetzt einen Besen in der Hand und kehrt in den Gossen nach rostigen Nägeln, um mit denselben sich wieder aufzuhelfen. Er hat, heißt es, drei Kinder, die werden ihm fleißig helfen in den Rinnsteinen herumstören. Ew. Herrlichkeit kann das Glück haben, ihn nochmals zu Grunde zu richten, wenn sie es mit diesem Geschäft zu Etwas bringen.«

»Das ist mehr als unerträglich!« rief Nigel, unschlüssig, ob er sich voll Entrüstung rechtfertigen oder den alten Quälgeist von sich schleudern sollte. Doch die Ueberlegung eines Augenblicks überzeugte ihn, daß das Eine wie das Andere nur dazu dienen könnte, den Lästerungen, welche in höheren und niederen Kreisen über ihn verbreitet wurden, ein Ansehen von Wahrheit zu geben. Er beschloß also weislich, Herrn Mungo's studirte Unverschämtheit zu ertragen, in der Hoffnung, die Quelle zu entdecken, aus welcher die seiner Ehre nachtheiligen Gerüchte flössen.

Herr Mungo seinerseits hielt sich seiner Gewohnheit gemäß an das letzte Wort seines Begleiters, und deutete es in seiner Weise um. »Erträgliches Glück, edler Herr? Ja wohl; ich höre, Ihr habt erträgliches Glück und versteht vortrefflich mit der unbeständigen Metze Fortuna umzuspringen. Als ein guter schlauer Junge sonnt Ihr Euch in ihrem Lächeln, ohne Euch ihren finsteren Blicken auszusetzen. Das nenn' ich das Glück im Sacke haben.«

»Herr Mungo Malagrowther,« sprach Nigel, sich ernst gegen den Ritter wendend, »habt die Güte, mich einen Augenblick anzuhören.«

»So gut, wie ich kann, edler Herr,« erwiderte der Ritter, den Kopf schüttelnd und mit seiner linken Hand nach seinem Ohr deutend.

»Ich will mich bemühen, deutlich zu reden,« bemerkte Nigel, indem er seine Geduld zusammennahm. »Ihr haltet mich für einen ausgemachten Spieler. Ich gebe Euch mein Wort, daß ich es nicht bin; Ihr seid falsch berichtet. Aber Ihr seid mir eine Erklärung schuldig wenigstens in Betreff der Quelle, aus der Ihr diese falsche Nachricht geschöpft habt.«

»Ich habe nie gehört, daß Ihr ein großer Spieler wäret, und habe nie gedacht oder gesagt, daß Ihr ein solcher wäret, edler Herr,« erwiderte der Ritter, der es unmöglich fand, zu verhören, was Nigel so langsam und deutlich sprach. »Ich wiederhole, ich habe nie gehört, gesagt oder gedacht, Ihr wäret ein tüchtiger Spieler, so einer von der ersten Sorte, wie man sagt. Seht, edler Herr, ich nenne einen Spieler den, welcher mit gleichem Einsatz und gleicher Geschicklichkeit spielt, und es auf das Glück des Spieles ankommen läßt, sei es gut oder schlimm. Und ich nenne einen tüchtigen Spieler oder einen Spieler von der ersten Sorte den, der unbedenklich und stark bei einem solchen Spielen wagt. Aber wer die Ruhe und Klugheit hat, nie mehr als ein niedriges Spiel zu wagen, ein Spiel, mit dem man einen Krämerlehrling um sein Christkindchen bringt, – wer sich mit Solchen einläßt, die nur wenig einzusetzen haben, wer somit im Besitz des größeren Vermögens sie treiben kann, indem er es abwartet, bis das Glück ihm günstig ist, und dann aufsteht, wenn es ihn verläßt, – einen Solchen nenne ich nicht einen großen Spieler, auf welchen Namen sonst er auch Anspruch haben mag.«

»Und ein solcher elender, schmutziger Wicht, wollt Ihr zu verstehen geben, sei ich?« fragte Lord Glenvarloch; »Einer, der sich vor den Geschickten fürchtet und die Unkundigen ausbeutet? Einer, der es vermeidet, mit seines Gleichen zu spielen, um Leute, die unter ihm stehen, zu plündern? Ist es dies, was von mir gesagt wird?«

»Nein, edler Herr, – Ihr gewinnt Nichts damit, daß Ihr scharf mit mir redet,« versetzte Herr Mungo, dessen sarkastischer Laune ein gehöriger natürlicher Muth zur Seite stand, und der überdem sich auf das Vorrecht verließ, welches er von dem Schwerte des Ritters Rullion und von dem Stocke der Diener der Dame Cockpen herleitete. »Was den wahren Sachverhalt betrifft,« fuhr er fort, »so muß Ew. Herrlichkeit besser als irgend Jemand wissen, ob Ihr je mehr als fünf Goldstücke auf ein Mal bei Beaujeu verloren habt, ob Ihr nicht meist mit Gewinn fortgegangen seid, und ob die feinen Herren, welche das Speisehaus besuchen – ich meine die von hohem Range und entsprechenden Mitteln – in solcher Weise zu spielen pflegen.«

»Mein Vater hatte Recht,« rief Nigel voll Schmerz. »Sein Fluch hat mich begleitet, als ich jenen Ort betrat. Die Luft ist dort verpestet, und wer sein Vermögen nicht zu Grunde richtet, bringt sich um Ehre und guten Namen.«

Herr Mungo, der sein Opfer mit dem vergnügten, aber achtsamen Blicke eines erfahrenen Anglers im Auge behielt, merkte, daß dasselbe sich losreißen würde, wenn er die Leine zu scharf anzöge. Um ihm Spielraum zu geben, bat er, Lord Glenvarloch möge seine Worte nicht in malam partem Uebel. nehmen. »Wenn Ihr vielleicht ein wenig allzu sicher bei Eurem Zeitvertreib zu Werke geht, edler Herr, so ist nicht zu leugnen, daß dies der beste Weg ist, weiterer Gefährdung Eures etwas zerrütteten Vermögens vorzubeugen. Wenn Ihr mit Geringeren spielt, so entgeht Ihr der Unannehmlichkeit, das Silber Eurer Freunde und Standesgenossen einzusäckeln, abgesehen davon, daß die plebejischen Schufte den Vortheil gehabt haben, tecum certasse Mit dir gekämpft zu haben., wie Ajax Telamonius sagt in den Metamorphosen, und daß für ihres Gleichen das Spielen mit einem schottischen Standesherrn ein ganz anständiger Ersatz ist für den Verlust ihres Einsatzes, den ohnedem die Lümmel meist vertragen können.«

»Dem sei wie ihm wolle, Herr Mungo,« erwiderte Nigel; »aber ich möchte wissen – –«

»Ganz recht,« unterbrach der Ritter, »wie Ihr sagt, was liegt daran, ob die fetten Ochsen von Basan es entbehren können oder nicht? Edelleute brauchen um ihretwillen nicht ihre Kurzweil zu beschränken.«

»Ich möchte wissen,« fragte Nigel, »in welcher Gesellschaft Ihr diese für mich verletzenden Bemerkungen gehört habt.«

»Ohne Zweifel, edler Herr,« erwiderte Herr Mungo; »ich habe immer gehört und habe immer gesagt, daß Ew. Herrlichkeit unter der Hand immer in der besten Gesellschaft gewesen ist. Ich brauche nur hinzuweisen auf die schone Gräfin von Blackchester; ich glaube aber, sie läßt sich nicht oft mehr öffentlich sehen seit ihrer Geschichte mit Sr. Gnaden von Buckingham; – ferner auf den guten, altmodischen schottischen Standesherrn, Lord Huntinglen, – einen Mann, vor dem man alle Ehrfurcht haben muß – Schade nur, daß er Kanne und Becher nicht von seinem Kopfe fern halten kann, was zuweilen seinem Rufe Eintrag thut; – ferner auf den feinen jungen Lord Dalgarno, der die Schlauheit grauer Haare unter seinen Schmachtlocken trägt – ein guter Schlag, Vater, Tochter und Sohn, Alle von derselben ehrenfesten Familie. Von Georg Heriot, dem ehrbaren Mann, brauchen wir wohl nicht zu sprechen, wenn von Standespersonen die Rede ist. Das ist die Gesellschaft, in der Ihr, wie ich höre, zu sein pflegt, abgesehen von der im Speisehause.«

»Meine Gesellschaft umfaßt allerdings nicht viel mehr als die genannten Personen,« sprach Lord Glenvarloch; »aber wo – –«

»Am Hof?« unterbrach Herr Mungo, absichtlich mißverstehend. »Davon wollte ich eben sprechen. Lord Dalgarno sagt, er könne Euch nicht dazu bringen, an den Hof zu kommen, und das schadet Euch, edler Herr. Der König hört von Euch durch Andere, während er Euch persönlich sehen sollte. Ich spreche ernstlich als Freund. Se. Majestät sagte kürzlich, als Eurer in dem Zirkel Erwähnung geschah: » Jacta est alea Der Würfel ist geworfen., Glenvarlochides ist Würfler und Trinker geworden.« – Der Herr von Dalgarno nahm Eure Partie, allein er wurde durch die Hofleute überstimmt, welche Chorus gegen Euch machten, als gegen Einen, der auf bürgerlichem Fuße lebe und seine Freiherrnkrone gegen städtische Plattmützen in die Schanze schlage.«

»Und das wurde öffentlich von mir gesprochen, in Gegenwart des Königs?« fragte Nigel.

»Oeffentlich?« wiederholte Herr Mungo, »nun ja, das heißt, man flüsterte es sich zu, was eine so öffentliche Verkündigung ist, wie nur möglich. Denn Ihr könnt Euch denken, der Hof ist nicht der Ort, wo man Bruder Hans und Kunz mit einander ist, und seine Meinung herausbrüllt, wie in einem Speisehause.«

»Hole der Teufel Hof und Speisehaus!« platzte Nigel heraus.

»Amen!« sprach Herr Mungo; »ich habe am Hofe wenig mit Ritterdienst gewonnen, und im Speisehause hab' ich, als ich zum letzten Male dort war, vier Engel Ein Engel war ohngefähr einem Ducaten gleich. verloren.«

»Dürft' ich Euch bitten,« begann Nigel, »mir die Namen der Leute zu nennen, welche sich in solcher Weise über einen Menschen äußern, der ihnen nur wenig bekannt sein kann, und der nie Einen von ihnen beleidigt hat?«

»Hab' ich es Euch nicht schon gesagt,« erwiderte der Ritter, »daß der König Etwas gesagt hat, was darauf hinaus lief? Desgleichen hat der Prinz gethan. Und wenn nun dies richtig ist, so mögt Ihr einen leiblichen Eid darauf schwören, daß jeder Mann in dem Zirkel, der nicht schwieg, dasselbe Lied sang.«

»Ihr sagtet eben,« bemerkte Glenvarloch, »daß Lord Dalgarno für mich sprach.«

»Ja wohl,« antwortete Herr Mungo mit höhnischem Lächeln, »das hat er gethan. Aber der junge Herr war bald zum Schweigen gebracht; es scheint, er hatte einen Katarrh, denn er sprach so heiser wie ein Rabe, der einen rauhen Hals hat. Der gute Mann, wäre er bei Stimme gewesen, so würde man ihm ebensowohl zugehört haben, als wenn er in seiner eigenen Sache geredet hätte, die Niemand besser zu vertheidigen weiß, als er. Aber erlaubt mir die beiläufige Frage, ob Lord Dalgarno Euch je dem Prinzen oder dem Herzog von Buckingham vorgestellt hat? denn die würden Euer Gesuch bald erledigen.«

»Ich mache weder auf die Gunst des Prinzen, noch auf die des Herzogs Anspruch,« antwortete Lord Glenvarloch. »Da Ihr, Herr Mungo, vielleicht ohne Noth, meine Angelegenheiten zum Gegenstand Eures Studiums gemacht habt, so werdet Ihr wissen, daß ich bei dem Könige eingekommen bin um Bezahlung einer Summe, die er meiner Familie schuldet. Ich kann des Königs Willen, Gerechtigkeit zu üben, nicht bezweifeln, und ich kann schicklicher Weise nicht die Verwendung des Prinzen oder des Herzogs in Anspruch nehmen, um von Sr. Majestät zu erlangen, was entweder als ein Recht gewährt oder rundweg verweigert werden sollte.«

Herr Mungo verzog sein possirliches Gesicht zu einem ganz besonders grotesken Lächeln und erwiderte: »Dies hieße den Fall so recht klar bezeichnen, und indem Ihr dabei bleibt, beweiset Ihr eine Bekanntschaft mit dem König, dem Hofe und mit den Menschen überhaupt, gegen die sich gar Nichts sagen läßt. – Aber wer kommt da? – Macht Front und Platz, edler Herr; – auf mein Ehrenwort, gerade die Leute, von denen wir sprachen. Nenne den Teufel und – hm!«

Es muß nachträglich bemerkt werden, daß während dieses Gesprächs Lord Glenvarloch, vielleicht in der Hoffnung, Herrn Mungo loszuwerden, die Richtung nach dem besuchteren Theile des Parks genommen hatte, ohne daß darum der gute Ritter ihm von der Seite gegangen wäre. Denn diesem war es ganz gleichgültig, wohin der Weg führte, vorausgesetzt, daß er an seinen Begleiter angekrallt bleiben konnte. Sie waren jedoch noch in einiger Entfernung von dem belebteren Theile des Platzes, als Herrn Mungo's geübtes Auge die in seinen letzten Worten bezeichneten Erscheinungen gewahrte.

Ein leises ehrfurchtsvolles Gemurmel erhob sich unter den zahlreichen Gruppen, welche sich in dem unteren Theile des Parks befanden. Sie drängten sich zusammen, die Blicke nach Whitehall gewendet; dann traten sie auf beiden Seiten zurück, um Platz zu machen für eine glänzende Gesellschaft, welche vom Palast her durch den Park kam. Alle Anwesenden ließen den Weg frei und standen mit unbedecktem Haupte neben demselben, als die Gesellschaft an ihnen vorüberging.

Die Meisten in dieser Gesellschaft waren in jene Tracht gekleidet, mit welcher wir durch den Pinsel Vandyks noch jetzt nach zweihundert Jahren so bekannt sind, und welche eben um diese Zeit begann, die flitterhaftere und unmännlichere Kleidung zu verdrängen, welche man von dem französischen Hofe unter Heinrich IV. angenommen hatte. Alle gingen entblößten Hauptes, ausgenommen den Prinzen von Wales, späterhin der unglücklichste unter den britischen Königen, dessen lange braune Locken und schon damals schwermüthige Gesichtszüge von einem spanischen Hute mit hängender Straußfeder beschattet waren. Ihm zur Rechten ging Buckingham, mit seiner gebieterischen und anmuthigen Haltung des Prinzen Ansehen von Hoheit fast verdunkelnd. Blick, Bewegungen und Geberden des großen Hofmannes waren so nach allen Regeln der Etikette bemessen, daß sie einen auffallenden Gegensatz bildeten zu der kecken, kindischen Lustigkeit, durch welche er die Gunst seines »theuern Papa's und Gevatters«, König Jakobs, gewonnen hatte. Zugleich der Günstling von Vater und Sohn, deren beiderseitige Gemüthsart ganz und gar verschieden war, fand er sich genöthigt, in der Gegenwart des jugendlichen Prinzen die fröhliche Laune zurückzuhalten, mit welcher er den bejahrten Vater fesselte. Sein Einfluß auf den letztern beruhte, wie schon bemerkt, damals eigentlich nur noch auf der Gewohnheit, so daß Jakob, wenn er eines kräftigen Entschlusses fähig gewesen wäre, in seinen letzten Lebensjahren ihm vermutlich seine Gunst entzogen haben wurde. Allein dazu war der König zu furchtsam, und so hatte Buckingham das seltene Glück, nachdem er den Herrn überlebt hatte, der ihn emporgehoben, auch unter der folgenden Regierung in unverminderter Gunst zu bleiben, bis der Dolch seines Mörders Felton ihr ein Ende machte.

Der Prinz kam mit seinem Gefolge in die Nähe des Platzes, wo Lord Glenvarloch und Herr Mungo sich aufgestellt hatten, um die herkömmlichen Ehrfurchtsbezeugungen zu machen. Nigel konnte bemerken, daß Lord Dalgarno dicht hinter dem Herzog von Buckingham ging und ihm Etwas in's Ohr flüsterte. Des Prinzen und des Herzogs Aufmerksamkeit schien jetzt auf Nigel gerichtet zu sein, denn sie wandten ihre Blicke nach ihm hin und betrachteten ihn aufmerksam – der Prinz mit einer Miene, deren schwermüthiger Ausdruck mit Strenge gemischt war, der Herzog mit einem Ansehen höhnischen Triumphs. Lord Dalgarno schien seinen Freund nicht zu bemerken, vielleicht weil die von der Seite, wo Nigel stand, herkommenden Sonnenstrahlen ihn nöthigten, den Hut vor die Augen zu halten.

Als der Prinz vorüberging, verbeugten sich Nigel und Herr Mungo mit gebührender Ehrfurcht. Der Prinz erwiderte ihre Bücklinge mit der ernsten Gemessenheit, welche jedem Stande das gewährt, was ihm gebührt, aber durchaus nicht mehr, und gab Herrn Mungo ein Zeichen, vorzutreten. Der Ritter begann, als er sich in Bewegung setzte, eine Entschuldigung wegen seiner Lahmheit und schloß dieselbe, als sein hinkender Gang ihn zu dem Prinzen hingebracht hatte. Er horchte aufmerksam, und wie es schien, ohne sich ein Wort entgehen zu lassen, auf Fragen, die so leise gethan wurden, daß er sicherlich taub für dieselben gewesen sein würde, wäre der Frager eine geringere Person gewesen, als der Prinz von Wales. Nachdem das Gespräch etwa eine Minute gedauert hatte, warf der Priuz einen zweiten festen Blick auf Nigel, berührte, gegen den Ritter gewandt, seinen Hut und ging weiter.

»Es ist, wie ich geargwohnt habe, edler Herr,« begann der Ritter mit einer Miene, welche theilnehmende Betrübniß ausdrücken sollte, welche aber in der That dem Grinsen eines Affen glich, der in eine heiße Kastanie gebissen hat. »Ihr habt Hinterfreunde, edler Herr, das heißt Unfreunde, oder, deutlich gesagt, Feinde in der Umgebung des Prinzen.«

»Ich bedauere, das zu hören,« erwiderte Nigel; »aber ich möchte wissen, was Sie mir Schuld geben.«

»Ihr sollt des Prinzen eigene Worte hören, edler Herr,« antwortete Herr Mungo. – »›Herr Mungo,‹ sprach er, ›ich freue mich, Euch zu sehen, und es ist mir lieb, daß Eure rheumatischen Leiden Euch verstatten, Euch hier Bewegung zu machen.‹ Ich verbeugte mich gebührendermaßen, wie Ihr bemerkt haben werdet, und das war das erste Hauptstück unserer Unterredung. – Dann fragten mich Se. Hoheit, ob der, bei welchem ich gestanden habe, der Lord Glenvarloch sei? Ich antwortete: Ja, Ew. Hoheit zu dienen. Dies war das zweite Hauptstück. Drittens sprach Se. Hoheit, sich kurz fassend: man habe ihm das gesagt (nämlich, daß Ihr die genannte Person wäret), aber er könne nicht glauben, daß der Erbe dieses edlen, herabgekommenen Hauses ein müßiges, anstößiges und ungewisses Leben führe in den Speisehäusern und Trinkstuben von London, während in Deutschland des Königs Trommeln ertönten und seine Fahnen wehten in der Sache des Pfalzgrafen, seines Schwiegersohnes. – Ew. Herrlichkeit kann sich denken, daß ich nichts Anderes thun konnte, als einen Bückling machen, und ein gnädiges ›Guten Tag, Herr Mungo Malagrowther‹ verstattete mir, zu Ew. Herrlichkeit zurückzukehren. Und nun, edler Herr, wenn Eure Geschäfte oder Euer Vergnügen Euch in das Speisehaus rufen oder anderwärts hin nach der Altstadt zu, so laßt mich mit Euch gehen. Denn ohne Zweifel werdet Ihr überzeugt sein, daß Ihr Euch lange genug im Parke aufgehalten habt, sintemal die Gesellschaft dort am Ende des Ganges wieder umwenden wird, und Ihr einen deutlichen Wink empfangen habt, dem Prinzen so bald nicht wieder aufzustoßen.«

»Ihr könnt gehen oder bleiben, je nachdem es Euch beliebt, Herr Mungo,« antwortete Nigel mit Ruhe, aber zugleich mit dem Ausdruck tiefer Entrüstung. »Was mich betrifft, so ist mein Entschluß gefaßt. Ich werde diesen öffentlichen Spaziergang auf keines Menschen Belieben hin verlassen, noch weniger will ich ihn verlassen als Einer, der unwürdig ist, an öffentlichen Orten gesehen zu werden. Ich hoffe, der Prinz und sein Gefolge werden, wie Ihr sagt, auf diesem Wege zurückkommen. Ich will sie erwarten, Herr Mungo, und ihnen Trotz bieten.«

»Ihnen Trotz bieten?« wiederholte der Ritter aufs Höchste betroffen. »Trotz bieten dem Prinzen von Wales, dem Erben des Reiches? – Meiner Seele, das mögt Ihr für Euch allein thun.«

Er schickte sich an, eilends den Freiherrn zu verlassen, als ein bei ihm ungewöhnlicher Anflug von gutmüthiger Theilnahme für die Jugend und Unerfahrenheit seines Begleiters seinen Cynismus plötzlich zu mäßigen schien.

»Der Teufel reitet mich alten Narren!« rief er. »Ich, der ich dem Glücke und meinen Mitmenschen so wenig verdanke, muß mich um diesen Springinsfeld bekümmern, der gewiß so hartnäckig ist, wie eine vom Teufel besessene Sau; denn das ist die Art in seiner Familie, – und doch will ich einen guten Rath an ihn wegwerfen. – Zarter junger Herr von Glenvarloch, versteht mich wohl, dies ist kein Kinderspiel. Wenn der Prinz zu mir gesagt hat, was ich Euch wiederholt habe, so bedeutet das so viel als ein Befehl, ihm nicht wieder vor die Augen zu kommen. Nehmt also den Rath eines alten Mannes an, der Euch wohl will, vielleicht mehr, als er Ursache hat, irgend einem Menschen wohl zu wollen. Steckt den Schimpf ein, wie ein kluges Kind; geht nach Hause; haltet Euren Fuß von Trinkstuben fern und Eure Finger von Würfeln. Macht Eure Sachen in der Stille ab mit Einem, der am Hofe mehr in Gunst steht, als Ihr, so werdet Ihr eine runde Summe Geldes bekommen, mit der Ihr nach Deutschland fahren könnt oder anderwärts hin, um Euer Glück zu fördern. Ein glücklicher Soldat hat vor vier- oder fünfhundert Jahren Euer Haus gegründet, und wenn Ihr brav und glücklich seid, könnt Ihr es vielleicht wieder emporbringen. Aber ich gebe Euch mein Wort, an diesem Hofe werdet Ihr es nie zu Etwas bringen.«

Auf diese Ermahnung, in welcher Herr Mungo mehr aufrichtiges Mitgefühl offenbarte, als man noch je an ihm bemerkt hatte, erwiderte Lord Glenvarloch: »Ich bin Euch verbunden, Herr Mungo. Ich glaube, Ihr habt aufrichtig gesprochen, und ich danke Euch. Aber in Erwiderung Eures guten Rathes bitte ich Euch, laßt mich allein. Ich sehe, der Prinz und sein Gefolge kommen den Gang wieder herunter; Ihr könnt Euch schaden und mir nicht helfen dadurch, daß Ihr bei mir bleibt.«

»Und das ist wahr,« sprach Herr Mungo; »doch wäre ich zehn Jahre jünger, wer weiß, ob ich mich nicht versucht fühlte, Euch zur Seite zu bleiben und ihnen zu begegnen. Aber wenn man seine Sechzig und darüber hat, da verliert sich die Herzhaftigkeit, und wer sich seinen Lebensunterhalt nicht erwerben kann, darf die ärmliche Unterstützung für seine alten Tage nicht auf's Spiel setzen. Ich wünsche, Ihr mögt glücklich durchkommen, edler Herr; aber es ist ein ungleicher Kampf.« Mit diesen Worten wandte er sich um und hinkte hinweg. Doch blickte er noch mehrmals zurück, wie wenn sein natürlicher Muth, selbst in seinem jetzigen Zustande der Abnahme, verbunden mit seinem Widerspruchsgeiste, ihn ungeneigt machte, den zu seiner Sicherheit nöthigen Weg einzuschlagen.

Verlassen von seinem Gefährten, dessen Weggang er mit einer besseren Meinung begleitete, als er sein Erscheinen begrüßt hatte, lehnte sich Nigel mit verschränkten Armen an einen Baum, der einzeln stehend den Weg überschattete, und bereitete sich vor auf einen Augenblick, von dem er die Entscheidung seines Lebensschicksales erwartete. Aber er täuschte sich in der Erwartung, daß der Prinz ihn an einem öffentlichen Orte, wie der Park, anreden oder zu einer Erörterung kommen lassen würde. Unbeachtet blieb er indessen nicht. Denn als er sich achtungsvoll und zugleich stolz verbeugte, durch Blick und Haltung zu verstehen gebend, daß er die ungünstige Meinung, welche der Prinz kürzlich über ihn geäußert hatte, kenne und nicht fürchte, erwiderte Karl seinen Bückling mit einem Zornblicke, wie ihn nur der annimmt, dessen Zornblick Etwas zu sagen hat. Der Zug ging vorbei. Der Herzog von Buckingham schien Nigeln nicht zu sehen; Lord Dalgarno, obwohl nicht länger durch die Sonnenstrahlen geblendet, heftete die Augen auf den Boden.

Lord Glenvarloch hatte Mühe, einen Unwillen zurückzuhalten, dessen Aeußerung unter diesen Umständen Wahnsinn gewesen wäre. Er richtete sich empor und folgte der Begleitung des Prinzen, so daß er sie genau im Auge behielt. Dies war leicht, denn jene gingen sehr langsam. Nigel bemerkte, daß sie ihren Weg nach dem Palaste nahmen. Dort wandte sich der Prinz am Thore um, verbeugte sich gegen die großen Herren seines Gefolges, zum Zeichen, daß er sie entlasse, und trat in den Palast ein, blos von dem Herzoge und zwei Stallmeistern begleitet. Die übrigen Herren erwiderten ehrerbietig seinen Gruß und zerstreuten sich im Park.

Nigel, der Alles dies genau beobachtet hatte, schob seinen Mantel zurecht, zog sein Wehrgehänge so herum, daß der Degengriff ihm besser zur Hand war, und murmelte vor sich hin: »Dalgarno soll mir dies erklären, denn er ist offenbar in dem Geheimnisse!«



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