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Erstes Kapitel.

– Hier, Freundchen, ist die Scheuer,
Wo täglich sich die ersten Hähne zeigen,
Die Federn sträuben und sich heiser krähen,
Dann um ein Korn sich raufen. Hier auch lernt
Das junge Hähnchen, kaum entschlüpft dem Ei,
Den Kamm hoch tragen, zielen mit dem Sporn
Und schreien wie ein alter Gockelhahn.

Der Bärengarten.

Das Speisehaus – ein Name, der uns jetzt so gemein klingt – war zur Zeit Jakobs eine neue Einrichtung, und sein Besuch gehörte damals eben so sehr zum hohen Tone der vornehmen jungen Welt, wie heutzutage die Theilnahme an Clubs ersten Ranges. Sein Hauptunterschied von diesen bestand darin, daß es für alle Diejenigen offen stand, welche fein gekleidet, und nicht blöde waren. Die Gesellschaft speisete gewöhnlich zusammen zu einer bestimmten Stunde, und der Unternehmer der Anstalt führte dabei den Vorsitz.

Monsieur le Chevalier S. Priest de Beaujeu (wie er sich selber titulirte) war ein dürrer, etwa sechzigjähriger Gascogner, seiner Angabe nach genöthigt, sein Vaterland zu meiden, weil er in einer Ehrensache das Unglück gehabt hatte, seinen Gegner, den besten Fechter in Südfrankreich, zu tödten. Seine Ansprüche auf Rang trug er zur Schau in einem Federhute, einem langen Rappier, einem etwas abgetragenen Anzug von gesticktem Taffet, nach der Pariser Hofmode, so daß an ihm wie an einem Maibaum unzählige Schleifen flatterten, welche, wie berechnet war, zusammen fünfhundert Ellen Band bildeten. Ungeachtet dieses Ueberreichthums von Schmuck meinten doch Viele, der Chevalier sei so ganz für sein jetziges Geschäft gemacht, daß es dem Schicksal nie habe einfallen können, ihn einen Zoll höher zu stellen. Für Lord Dalgarno und andere junge Leute von Stande gehörte es mit zu den Vergnügungen, welche sie in dem Speisehause genossen, Monsieur de Beaujeu zum Scherz mit großer Förmlichkeit zu behandeln und dadurch Einfaltspinsel zu veranlassen, dies Benehmen im Ernste nachzuahmen. Des Gascogners angeborne Keckheit wurde dadurch so gesteigert, daß er sich oft mehr herausnahm, als ihm in seiner Stellung zukam; dafür erlebte er zuweilen die Demüthigung, daß er auf eine empfindliche Weise in die Grenzen derselben zurückgewiesen wurde.

Als Nigel in die Behausung dieses wichtigen Mannes eintrat, welche vor nicht langer Zeit noch die Wohnung eines großen Herrn an Elisabeths Hofe gewesen war, der nach dem Tode dieser Fürstin sich auf seine Landgüter zurückgezogen hatte, war er erstaunt über die weitläufigen Räume und über die Menge der bereits versammelten Gäste. Ueberall schwankten Federn, klirrten Sporen, glänzten Tressen und Stickereien, so daß wenigstens für den ersten Anblick Dalgarno's Behauptung gerechtfertigt war, welcher die Gesellschaft als aus lauter jungen Leuten vom höchsten Range bestehend geschildert hatte. Eine genauere Betrachtung lieferte kein so günstiges Ergebniß. Es ließen sich Einzelne bemerken, die offenbar in den kostbaren Kleidern, welche sie trugen, nicht recht zu Hause waren. Auf der andern Seite erblickte man Gestalten, deren Gewänder bei oberflächlicher Beschauung nicht geringer zu sein schienen als die der Uebrigen, an denen man aber bei näherer Betrachtung manche Kleinigkeiten entdecken konnte, durch welche die Eitelkeit Armuth zu verbergen sucht.

Nigel hatte nicht viel Zeit, solche Bemerkungen zu machen, denn das Eintreten seines Führers verursachte große Bewegung in der Gesellschaft, in welcher sein Name von Mund zu Mund ging. Einige drängten sich vor, um ihn zu sehen, Andere zogen sich zurück, um ihm Platz zu machen. Die von seinem Range eilten herbei, ihn zu bewillkommnen, die von geringerem Schlage suchten eine Eigenthümlichkeit in seiner Haltung oder Kleidung zu entdecken, in der Absicht, dieselbe bei Gelegenheit als die neueste Mode nachzuäffen.

Der genius loci Schutzgeist des Ortes., der Chevalier, war nicht der Letzte, welcher herbeikam, diese Stütze und Zier seiner Anstalt zu bewillkommnen. Er schwänzelte herbei mit tausend affenmäßigen Geberden und mit einer wahren Wortfluth, um sein Glück über das Wiedersehen von cher milord Dalgarno auszudrücken. »Ick offe, Ihr bringt die Sonne mit Euch zurück, milord! Ihr abt Sonne und Mond Eurem armen Chevalier mitgenommen, da Ihr ihn auf so lange Zeit verlassen abt. Pardieu! ick glaube, Ihr tragt sie in der Tasche fort.«

»Das müßte sein, weil Ihr mir weiter Nichts in der Tasche gelassen habt,« erwiderte Dalgarno. »Aber Monsieur le Chevalier, ich bitte Euch, meinen Freund und Landsmann, Lord Glenvarloch, kennen zu lernen.«

» Ah! très honoré. Je m'en souviens – oui. J'ai connu autrefois un milor Guennefarloque en Ecosse Ah! Sehr geehrt. Ich erinnere mich – ja. Ich habe vordem einen Milord Kenfarlock in Schottland gekannt.. Ja, ick erinner mick. Ohne Zweifel der Vater von Milor. Wir waren sehr vertraut, als ick zu Oliruth war mit Monsieur de la Motte. Ick abe oft mit Milor Kenfarlock Ball gespielt in der Abbaye d'Oliroute – il était même plus fort que moi. Ah le beau coup de revers qu'il avait! In der Abtei Holyrood. Er spielte sogar besser als ich. Wie schön war sein Schlag mit umgewandter Hand! Ick erinner mick, er war unter den schönen Mädken – ah un vrai diable déchainé Ein wahrer losgelassener Teufel.. Ah, ick erinner mick.«

»Erinnert Euch lieber nicht an den verstorbenen Lord Glenvarloch,« unterbrach Dalgarno den Chevalier, als er bemerkte, daß die Lobsprüche, welche dieser dem Verstorbenen geben wollte, dem Sohne vermuthlich übel behagen würden. Der alte Glenvarloch, weit entfernt, ein Spieler oder Lüstling zu sein, wie des Chevaliers Erinnerungen ihn darstellten, war im Gegentheil ein Mann von großer Sittenstrenge gewesen.

»Ihr abt raison, Ihr abt Recht, Milor,« erwiderte der Chevalier. » Qu'est ce que nous avons à faire avec le temps passé? Was geht uns die Vergangenheit an? Die vergangene Zeit geöhrte unsern Vätern, unsern ancêtres – gut – die gegenwärtige Zeit ist für uns. Sie aben ihre schöne Gräber mit Inschrift und Wappen in Erz und Marmor; wir aben die petits plats exquis et la soupe à Chevalier Die kleinen ausgesuchten Schüsseln und die Chevaliersuppe., die ick augenblicklick auftragen lassen werde.«

So sprechend drehte er sich auf dem Absatz herum und setzte seine Dienerschaft in Bewegung, um das Essen auftragen zu lassen. Dalgarno lachte, und als er bemerkte, daß sein Freund ernst aussah, sagte er im Tone des Vorwurfs zu ihm: »Ihr werdet doch nicht so einfältig sein, über einen Tropf, wie der da, zu zürnen?«

»Ich gedenke meinen Zorn auf bessere Anlässe zu versparen,« versetzte Lord Glenvarloch; »aber ich gestehe es, es hat mich empört, diesen Gesellen meines Vaters Namen nennen zu hören. Und auch Ihr, obwohl Ihr mich versichert habt, daß dies kein Spielhaus sei, habt ihm gesagt, Ihr hättet es mit leeren Taschen verlassen.«

»Pah!« entgegnete Dalgarno. »Das war blos Redensart. Und dann muß ein Mann auch dann und wann ein oder zwei Goldstücke setzen, sonst hält man ihn für einen lausigen Filz. Aber hier kommt das Essen, und nun wollen wir sehen, ob die Kost des Chevalier Euch nicht besser behagt, als seine Unterhaltung.«

Die Mahlzeit wurde angekündigt. Die beiden Freunde erhielten den Ehrenplatz an der Tafel und wurden zu demselben mit aller Förmlichkeit hingeführt von dem Chevalier, welcher die Honneurs der Tafel machte und das Mahl mit seiner angenehmen Unterhaltung würzte. Die Mahlzeit war wirklich ausgezeichnet, bereitet in der pikanten Weise, welche die französischen Köche bereits eingeführt hatten, und welche in der Heimath erzogene junge Engländer bewundern mußten, wofern sie für Kenner und Leute von Geschmack gelten wollten. Der Wein war ausgesucht, von dem verschiedensten Gewächs und in Fülle vorhanden. Die Unterhaltung so vieler jungen Leute war, wie man sich denken kann, leicht, lebhaft und anregend. Nigel, dessen Gemüth lange durch Widerwärtigkeiten niedergedrückt gewesen war, mußte sich hier behaglich fühlen und gewissermaßen aufthauen.

Einige in der Gesellschaft besaßen wahren Witz, ließen denselben auf eine feine Weise spielen und wurden bewundert; Andere waren affectirte Menschen und wurden verlacht, ohne daß sie es merkten; wieder Andere waren Sonderlinge, die Nichts dagegen zu haben schienen, daß die Gesellschaft sie für unterhaltende Narren hielt. Fast alle Uebrigen, welche lebhafteren Antheil an der Unterhaltung nahmen, besaßen entweder wirklich den Ton der damaligen guten Gesellschaft, oder den Jargon, der oft dafür gilt.

Kurz, die Gesellschaft und die Unterhaltung war so angenehm, daß Nigels Strenge dadurch erweicht ward, selbst hinsichtlich des Ceremonienmeisters. Er hörte ohne Widerstreben verschiedene Erklärungen an, welche der Chevalier de Beaujeu ihm, wie er sagte, in Betracht von Milors Geschmack pour le curieux et l'utile Für das Wissenswürdige und Nützliche., in Betreff der Küche zu geben sich bemühte. Um zugleich den Geschmack an Alterthümern, den er an seinem neuen Gaste zu bemerken glaubte, zu befriedigen, begann er das Lob der großen Künstler früherer Tage, besonders eines, den er in seiner Jugend gekannt hatte, maître de cusine du maréchal Strozzi; très-bon gentilhomme pourtant Küchenmeister des Marschalls Strozzi, aber ein sehr guter Edelmann., der während der langen und harten Belagerung von Leith die Tafel seines Herrn täglich mit zwölferlei Gerichten versah, obwohl er nichts Besseres aufzutragen hatte, als dann und wann ein Viertel von einem gefallenen Pferde und das Gras und Unkraut, das auf den Wällen wuchs. » Despardieux, c'était un homme superbe Despardieur war ein trefflicher Mensch.. Mit einem Distelkopf und einer oder zwei Nesseln mackte er eine Suppe für zwanzik Gäste; ein Interviertel von einem jungen Und gab ein rôti des plus excellens Einen ausgezeichneten Braten.; aber sein Meisterstück war bei der Uebergabe, wo er, dieu me damne Gott verdamm mich., aus einem Interviertel von einem eingesalzenen Pferd fünfundvierzik Gedecke mackte, so daß die englischen und schottischen Officiere und große Erren, welche die Ehre atten, bei dieser Gelegenheit mit Monseigneur zu speisen, von keinem einzigen sagen konnten, woraus es gemackt sei.«

Der gute Wein hatte mittlerweile so lustig die Runde gemacht und brachte eine so gute Wirkung auf die Gäste hervor, daß die am unteren Ende der Tafel, welche bisher die Zuhörer gespielt hatten, jetzt Neuerungen begannen, welche weder ihnen noch dem Speisehause große Ehre machten.

»Ihr sprecht von der Belagerung von Leith,« begann ein hochgewachsener knochiger Mann mit aufwärts gedrehtem Schnurrbart, breitem Gurt von Büffelleder, langem Rappier und anderen Abzeichen, welche den ehrenvollen Beruf eines von der Tödtung Anderer lebenden Mannes bezeichnen. »Ihr sprecht von der Belagerung von Leith. Ich habe den Platz gesehen – es ist ein Weiler mit einem einfachen Wall und einem Taubenhause statt Thurm auf jeder Ecke. Mohrenschwerenoth! wenn heutzutage ein Corps vierundzwanzig Stunden, geschweige soviel Monate davor gelegen hätte, ohne den Platz und all' seine Hühnersteigen eine nach der andern mit Sturm zu nehmen, so hätte es nicht mehr Gnade verdient, als der Großprofoß gibt, wenn seine Schlinge geknüpft ist.«

» Monsieur le Capitaine,« sprach der Chevalier, »ick bin nit bei der Belakerung von Leith gewesen, und ick weiß nit, was Ihr mit der Uehnersteig meint, aber das kann ick von Monseigneur de Strozzi sagen, daß er die grande guerre Den großen Krieg. verstand und grand capitaine Ein großer Feldherr. war, plus grand, d. h. größer, als manche Capitaine von England, welche sehr laut sprecken. Tenez, monsieur, c'est à vous!« Das ist für Euch.

»O Monsieur,« versetzte der Mann vom Degen, »wir wissen, der Franzose ficht gut hinter seiner Schutzwehr von Stein, oder wenn er mit Brust- und Rückenpanzer und Topf gewappnet ist.«

»Topf?« rief der Chevalier. »Was meint Ihr mit Topf? Wollt Ihr mick unter meinen hockedlen Gästen beleidiken? Ick abe meine Schuldigkeit gethan als ein armer Edelmann unter dem großen Henri Quatre bei Courtrai und bei Ivri, und ventre saint gris! (Ein sinnloser Schwur.) wir atten weder Topf noch Marmite, wir griffen immer im Hemd an.«

»Dies widerlegt eine andere schändliche Verleumdung,« bemerkte Dalgarno lachend, »derzufolge Leinwand selten gewesen wäre bei den französischen Gensd'armes.«

»Jean Arm! arme Teufel, denen der Ellenbogen aus dem Aermel herausguckte, wolltet Ihr sagen, edler Herr,« rief der Hauptmann vom Ende der Tafel herauf. »Halten's zu Gnaden, edler Herr, ich weiß Etwas von diesen gensd'armes zu erzählen.«

»Wir wollen Euch Euer Wissen für jetzt lassen und zugleich Eurer Bescheidenheit die Mühe ersparen, uns zu sagen, wie dies Wissen erworben worden ist,« versetzte Lord Dalgarno in verachtendem Tone.

»Ich brauche davon nicht zu sprechen, edler Herr,« entgegnete der Kriegsmann. »Die Welt weiß es, vielleicht alle Welt, außer die Gevatter Schneider und Handschuhmacher, die elenden Philister von London, die einen tapferen Mann eher aus Hunger seinen Schwert- und Dolchgriff auffressen ließen, als daß sie ihre langen Beutel zögen, ihn zu unterstützen. O, wenn eine Schaar von den wackeren Gesellen, wie ich sie einst gesehen habe, in die Nähe ihres Kuckucksnestes käme!«

»Die Stadt London ein Kuckucksnest?« rief ein stattlicher Mann auf der entgegengesetzten Seite des Tisches, in einer prächtigen Modekleidung, worin er nicht recht heimisch zu sein schien. »Das will ich nicht noch ein Mal hören.«

»Was?« donnerte der Kriegsmann, seine schwarzen buschigen Augenbrauen auf eine schreckenerregende Weise zusammenziehend, die eine Hand an den Griff seines Seitengewehrs legend, mit der andern seinen mächtigen Schnurrbart drehend. »Wollt Ihr für Eure Stadt Euch schlagen?«

»Das versteht sich,« erwiderte der Angeredete. »Ich bin Bürger, das mag Jeder wissen, und wer ein Wort zur Verkleinerung der Stadt spricht, der ist ein Esel und ein ausgemachter Tropf, und ich will ihm den Hirnkasten einschlagen, um ihm Verstand und Manieren beizubringen.«

Die Gesellschaft, welche vermuthlich ihre guten Gründe hatte, die Herzhaftigkeit des Hauptmanns nicht so hoch anzuschlagen, wie er selber, fand viel Unterhaltung an der Art und Weise, wie der empörte Bürger mit ihm anband. Von allen Seiten riefen die Gäste: »Gut geläutet, Brummglocke! Gut gekräht, Hahn von S. Paul! – Blaset zum Angriff, sonst möchte der Soldat sein Signal mißverstehen und zurückweichen, wo er vorrücken sollte!«

»Ihr mißversteht mich, meine Herren,« nahm der Hauptmann das Wort, indem er mit einem Ansehen von Würde umherblickte. »Ich möchte fragen, ob dieser cavaliero Bürger einen Rang besitzt, der ihn geeignet macht, sich mit einem Offizier zu messen. – Denn, versteht mich, meine Herren, ich kann mich nicht mit Jedem auf gleichen Fuß stellen, ohne meiner Reputation Etwas zu vergeben. Besitzt der Mann da den erforderlichen Rang, so soll er bald in ehrenhafter Weise mittels eines Cartels von mir hören.«

»Du sollst mich auf die ehrloseste Weise vermittels eines Prügels fühlen,« rief der Bürger aufspringend und seinen Degen nehmend. »Folge mir.«

»Mir steht es nach allen Kampfregeln zu, den Ort des Zweikampfes zu bestimmen,« bemerkte der Hauptmann. »Ich bestimme den Irrgang auf dem Tothillfeld als Platz – zwei Edelleute als unparteiische Zeugen und Richter, und als Zeit – wart' – heute über vierzehn Tage bei Tagesanbruch.«

»Und ich,« erwiderte der Bürger, »bestimme die Kegelbahn hinter dem Hause als Platz, die hier anwesende gute Gesellschaft als Zeugen, und als Zeit diesen Augenblick.«

Mit diesen Worten stülpte er seinen Hut auf, schlug dem Kriegsmann mit seinem in der Scheide steckenden Degen über die Schultern und lief die Treppe hinab. Der Hauptmann zeigte keine große Lust, ihm augenblicklich zu folgen. Allein der Hohn und das Gelächter der in seiner Nähe Sitzenden stachelte ihn endlich auf. Er versicherte die Gesellschaft, was er thue, wolle er mit Besonnenheit thun, setzte seinen Hut mit der Miene des Fähndrichs Pistol auf und stieg die Treppe hinab auf den Kampfplatz, wo sein rascherer Gegner bereits mit gezogenem Degen stand. Die ganze Gesellschaft schien sich sehr an dieser Balgerei zu ergötzen, ein Theil lief zu den Fenstern, von wo aus man die Kegelbahn übersah; Andere folgten den Kämpfern hinab in den Garten. Nigel fragte Dalgarno, ob er sich nicht in's Mittel legen wolle, um Unheil zu verhüten?

»Das würde ein Verbrechen wider das gemeine Beste sein,« antwortete Malcolm. »Zwischen zwei solchen Originalen kann kein Unheil stattfinden, das nicht zum entschiedenen Vortheil der Gesellschaft ausschlüge, und vornehmlich zum Vortheil des Etablissement des Chevalier. Der Büffelgurt und das rothe Wams dieses Hauptmanns ist mir seit einem Monat so sehr zum Ekel, wie nur irgend Etwas, und ich hoffe jetzt, dieser verwegene Leinwandkrämer soll den Esel aus der schmutzigen Löwenhaut herausprügeln. Seht, Nigel, wie der stattliche Bürger Stellung genommen hat etwa einen Kugelwurf von hier in der Mitte der Bahn. Sieht er nicht aus wie eine Sau im Harnisch? Bemerkt, wie er stampft mit seinem männlichen Fuße und seine Klinge schwingt, als wollte er Kammertuch damit ausmessen. Schaut, da bringen sie den widerstrebenden Soldado herbei und stellen ihn seinem hitzigen Widersacher gegenüber. Die Mensur beträgt zwölf Schritt. Da! der Hauptmann zieht sein Handwerkszeug heraus; aber wie ein geschickter Feldherr blickt er über die Schulter, um im Nothfall seinen Rückzug zu decken. Schau, der hochherzige Krämer senkt das Haupt mit grenzenlosem Vertrauen auf seinen bürgerlichen Helm, mit dem seine Braut seinen Schädel geharnischt hat. Das ist zu schön! Er rennt gegen ihn an, wie ein Bock.«

Der Bürger, dem es mit seiner Kampflust Ernst zu sein schien, rannte, als er den Kriegsmann unbeweglich sah, auf ihn los, schlug ihm die Parade durch, fiel aus und that einen Stoß. Sein Gegner stürzte stöhnend zu Boden. Der Bürger stand wie angewurzelt; aber ein Dutzend Stimmen riefen ihm zu: »Fort! fort! Entflieht durch die Hinterthür! Macht, daß Ihr nach Whitefriars kommt, oder schifft hinüber nach der Uferseite! Wir wollen einstweilen den Pöbel und die Constabel aufhalten.« Der Sieger ließ seinen überwundenen Gegner liegen und lief, was er konnte.

»Bei Gott!« sagte Dalgarno, »ich hätte nie geglaubt, daß der Bursche Stand halten würde, um einen Stoß zu empfangen. Ohne Zweifel hat ihn der Schrecken gelähmt, daß er nicht laufen konnte. Seht, sie heben ihn auf.«

Der Leichnam des Kriegers schien starr und steif zu sein, als zwei der Gäste ihn aufhoben. Als sie aber sein Wams öffneten, um nach der Wunde zu suchen, nahm der Held seine Lebensgeister zusammen, sprang auf und ergriff, in der Ueberzeugung, daß das Speisehaus kein Ort mehr sei, wo er seinen Muth zeigen konnte, schleunigst die Flucht, verfolgt von dem lauten Hohngelächter der Gäste.

»Bei meiner Ehre!« sprach Lord Dalgarno, »er schlägt denselben Weg ein, wie sein Gegner. Ich hoffe zu Gott, er wird ihn einholen, und der hochherzige Bürger wird glauben, der Geist des Erschlagenen verfolge ihn.«

» Pardieu, milord,« bemerkte der Chevalier, »ätt' er einen Aukenblick gewartet, so ätte er ein torchon, einen Spüllumpen angesteckt krieken sollen, statt eines Stücks Leikentuk, um zu zeiken, daß er der Geist eines Großprahlers ist.«

»Unterdessen,« sprach Lord Dalgarno, »werdet Ihr uns verbinden und zugleich Eure eigne Reputation behaupten, Monsieur le Chevalier, wenn Ihr die Zapfjungen beauftragt, den Reisigen mit einem Prügel zu empfangen, falls er wieder des Wegs daher kommen sollte.«

» Ventre saint gris, milord,« erwiderte der Chevalier, »überlasset mir das. Bei Gott, die Makd soll das Spülwasser über den grand poltron gießen.«

Nachdem die Gesellschaft sich über diesen lustigen Vorfall satt gelacht hatte, vertheilte sie sich in kleine Gruppen. Einige nahmen Besitz von der Bahn, welche Schauplatz des Zweikampfes gewesen war, und benutzten sie zu ihrem eigentlichen Zwecke, zum Kegelspiel. Bald erschollen auf derselben alle Kunstausdrücke des Spiels, wie: »Lauf! lauf! – durch! durch! – Halt' dich, du verfluchtes Klotz!« und es bestätigte sich das Sprichwort, daß drei Dinge auf einer Kegelbahn verschwendet werden: Zeit, Geld und Flüche. Im Hause setzten sich viele von den Gästen zum Karten- oder Würfelspiel nieder. Die verschiedenen Partien spielten L'hombre, Basset, Treschak, Primero und andere Spiele, die damals in der Mode waren; gewürfelt wurde mit und ohne Tafel bei Hasard, In und In, Passage u. s. w. Es schien nicht übermäßig hoch gespielt zu werden; jedenfalls ging des Spiel mit großem Anstande und ohne Betrug vor sich. Der junge Schotte sah Nichts, was ihn hätte zweifeln lassen an der Angabe seines Freundes, daß das Haus von Standespersonen besucht werde, und daß die Erheiterungen daselbst sich mit den Grundsätzen der Ehre vertrügen.

Lord Dalgarno schlug weder seinem Freunde vor, zu spielen, noch nahm er selbst an dem Spiele Theil. Er schlenderte von einem Tische zum andern, bemerkte bei den verschiedenen Spielern, ob sie Glück hatten, und wie sie verstanden dasselbe zu benutzen, und unterhielt sich mit den vornehmsten und achtbarsten unter den Gästen. Endlich schien es, als sei er dieses Lungerns müde, und es fiel ihm plötzlich ein, daß den Nachmittag Burbage in der Fortuna Shakspeares König Richard geben werde. Er meinte, eine größere Unterhaltung könne er einem Gaste, wie Lord Glenvarloch, nicht verschaffen, als indem er ihn zu dieser Vorstellung führe, »es sei denn,« sagte er »daß das väterliche Verbot sich aufs Theater sowohl wie aufs Speisehaus erstrecke.«

»Ich habe meinen Vater nie von Schauspielen sprechen hören,« erwiderte Nigel; »sie sind noch nicht lange im Gange und in Schottland unbekannt. Indessen, wenn das wahr ist, was ich zu ihrem Nachtheil gehört habe, so bezweifle ich sehr, ob er sie gebilligt haben würde.«

»Gebilligt haben?« rief Dalgarno. »Hm! Georg Buchanan hat Tragödien geschrieben, und sein königlicher Zögling, gelehrt und weise wie er, besucht die Darstellung derselben, mithin grenzt es nahe an Hochverrath, davon wegzubleiben. Die besten Köpfe in England schreiben für die Bühne, und die schönsten Frauen in London besuchen das Schauspiel. Ich habe ein Paar Klepper vor der Thür, die uns mit Windeseile durch die Straßen tragen werden. Der Ritt wird unser Wildpret und unsere Ortolane verdauen helfen und die Weindünste verdampfen lassen. Also zu Roß! Guten Abend, meine Herren. Guten Abend, Chevalier de la Fortune

Dalgarno's Reitknechte standen bereit mit zwei Pferden. Die jungen Männer saßen auf, der Eigenthümer auf sein Leibpferd, einen Berber, Nigel auf einen wohlzugerittenen Zelter, der fast eben so schön war. Während des Rittes nach dem Theater suchte Dalgarno seines Freundes Meinung in Betreff der Gesellschaft, bei der er ihn eingeführt hatte, zu erforschen, und die Einwendungen, die er gegen dieselbe zu machen hätte, zu beseitigen. »Und warum,« sprach er, »siehst du so ernst aus, mein gedankenvoller Neophyt? Weiser Sohn der alma mater Hochschule. niederdeutscher Gelehrsamkeit, was fehlet dir? Ist das Blatt der lebendigen Welt, welches wir umgeschlagen haben, minder schön geschrieben, als du erwarten durftest? Beruhige dich und übersteh' ein Paar Kleckse; du wirst dich verurtheilt finden, manche Seite zu lesen, so schwarz, wie sie die Schande mit ihren rußigen Schwingen nur immer machen kann. Bedenke, unbefleckter Nigel, daß wir in London sind, nicht in Leiden, daß wir das Leben studiren, nicht die Theorie. Sei stichfest wider die Vorwürfe deines allzuängstlichen Gewissens, und wenn du, wie ein guter Rechenkünstler, die Handlungen des Tages zusammenzählst, so sage, bevor du auf deinem Pfühl das Facit ziehst, dem anklagenden Geiste in seinen Schwefelbart, daß, wenn deine Ohren das Rasseln der Teufelsbeine gehört haben, deine Hand sie nicht gerollt hat; daß, wenn deine Augen die Rauferei von zwei zornigen Buben angesehen haben, deine Klinge in ihrem Streite nicht entblößt worden ist.«

»Das mag Alles weise und witzig sein,« entgegnete Nigel; »nichtsdestoweniger gestehe ich, daß ich mich des Gedankens nicht erwehren kann, Ew. Herrlichkeit und die anderen Standespersonen, mit denen wir gespeist haben, hätten wohl einen Ort der Zusammenkunft wählen können, wo wir der Zudringlichkeit elender Prahler überhoben wären, und einen besseren Ceremonienmeister hätten, als jenen fremden Abenteurer.«

»Alles soll besser werden, Sancte Nigelle, wenn du als neuer Peter der Eremit auftrittst und einen Kreuzzug wider Würfeln, Huren und Gesellschaften predigst. Wir werden dann in der Kirche zum heiligen Grabe zum Mittagsmahl zusammenkommen, wir werden im Chor speisen, in der Sacristei unsere Flasche leeren; der Pfarrer soll jeden Pfropf herausziehen und der Küster soll zu jeder Gesundheit Amen sagen. Komm, Alten, erheitere dein Gemüth und entschlage dich dieser griesgrämigen, ungeselligen Laune. Glaube mir, die Puritaner, die uns die der menschlichen Natur anklebenden Thorheiten und Schwächen vorwerfen, haben selber die Laster wahrer Teufel, heimliche Bosheit, Heuchelei, die hinter dem Rücken verleumdet, und geistlichen Stolz in all seiner Vermessenheit. Ueberdem ist Vieles im Leben, das wir sehen müssen, wäre es auch nur, um zu lernen, es zu vermeiden. William Shakspeare, der nach seinem Tode noch fortlebt, und der dir in den nächsten Augenblicken ein Vergnügen gewähren wird, wie nur er es zu geben vermag, läßt den wackern Falconbridge sagen: der Mann

– ist ein Bastardsohn der Zeit,
Der vom Beobachter nichts an sich hat.
Ein solcher will ich sein, nicht um Betrug
Zu üben, sondern um ihm zu entgehn.

Aber hier sind wir an der Thüre der Fortuna, wo wir den unvergleichlichen Wilm selber reden hören wollen. – Kobold, und du, Lümmel! laßt die Pferde den Reitknechten und bahnt uns den Weg durch's Gedränge.«

Sie stiegen ab, und die Anstrengungen Lutins, der mit den Ellenbogen arbeitete, trotzig redete und seines Herrn Namen und Titel verkündete, bahnten den Weg durch einen Haufen murrender Bürger und schreiender Lehrbursche zu der Thüre, wo Lord Dalgarno schnell ein Paar Stühle für sich und seinen Gefährten bestellte. Sie nahmen Platz auf der Bühne unter den Elegants ihres Standes, die hier ihre schönen Kleider und vornehmen Manieren zur Schau trugen, und dabei das Stück kritisirten, mithin zu gleicher Zeit gewissermaßen selbst Schauspieler und Zuschauer waren.

Nigel Olifaunt wurde von dem Stücke zu sehr in Anspruch genommen, als daß er, wie seine Nachbarn, hätte selber eine Rolle spielen können. Er empfand ganz die Macht des Zauberers, welcher im Raume einer elenden Bude die langen Kriege zwischen York und Lancaster vorgeführt hatte, indem er die beiderseitigen Helden mit der Sprache und den Manieren ihrer Zeit über die Bühne schreiten ließ, gleich als ob das Grab die Todten zurückgegeben hätte zur Unterhaltung und Belehrung der Lebenden. Burbage, der für den besten Richard galt, bis Garrick auftrat, spielte den Thronräuber und Tyrannen mit solcher Wahrheit und Lebendigkeit, daß am Schlusse der Schlacht von Bosworth, wo er fällt, Wirklichkeit und Täuschung in Nigels Gemüth sich ganz vermischt hatten, und daß er wie aus den Wolken gefallen war, als sein Gefährte ihm ankündigte, König Richard werde mit ihnen im Meerfräulein zu Nacht speisen.

Es schlossen sich an sie einige Herren an, mit denen sie zu Mittag gespeiset hatten, und sie vergrößerten die Gesellschaft, indem sie einige der geistreichsten Köpfe und Dichter einluden, welche selten in der Fortuna fehlten, und nur zu geneigt waren, einen vergnügten Tag mit einer lustigen Nacht zu beschließen. Also zog das Häuflein ins Meerfräulein, und dort schienen sie beim Sectbecher und bei dem wetteifernd sprudelnden Witz ihrer munteren Gefährten zu verwirklichen, was einer von Ben Jonsons Zeitgenossen in einer Anrede an diesen mit Hochgefühl nennt

– »Die lyrischen Gelage,
Wo von dem Rebenblut der frohe Muth anschwoll
Zum Uebersprudeln, doch nicht förmlich toll,
Und wonnevoller noch die Verse dein
Uns dünkten als der Schmaus und feine Wein.«


Anmerkungen zum ersten Kapitel.

1) Der französischen Kochkunst geschieht von mehrern Schriftstellern jener Zeit lobende Erwähnung. – Die Belagerung von Leith, bei welcher Alles, was jene Zeit von der Kunst des Vertheidigungskrieges besaß, in Anwendung kam, war wegen ihrer langen Dauer ausgezeichnet. Brantome schreibt, daß die dabei Betheiligten einen gewissen Ruf erlangten. Er erzählt eine Geschichte von Strozzi, welche beweiset, daß dessen Späße sich gern um die Küche drehten. Strozzi ließ einem gewissen Brusquet ein Maulthier stehlen und es so zurichten, daß der bestohlene Eigenthümer es für Wildpret hielt.

2) Der Streit zwischen dem Hauptmann und dem Bürger ist entlehnt aus einem niedrig komischen Gedicht, betitelt »der Recheneistreit,« d. i. der Streit im Gefängniß in der Woodstraße. Die Gefangenen rechneten um die Vorzüge ihrer betreffenden Stände. Ein Rechtsgelehrter nimmt für seinen Stand den Vorzug in Anspruch. Ein Kriegsmann weiset diesen Anspruch mit Anmaßung zurück, indem er sagt: »Was wäret ihr ohne uns, die wir bewachen euer Kuckuksnest?« Ein Goldschmied Ellis nimmt dies als eine Beleidigung für die Stadt, schimpft, rühmt sich, daß er, obwohl ein Bürger, mit Spieß, Büchse und Klinge umzugehen wisse, und führt so die Balgerei herbei. S. Drydens Sammlung vermischter Schriften. Zweite Ausgabe in 12. Bd. 3. 1716.

3) Burbage, den Camden einen zweiten Roscius nennt, war vermuthlich der ursprüngliche Darsteller Richards III., und scheint damals oft mit der von ihm dargestellten Person identificirt worden zu sein. Bischof Corbet berichtet in seinem Iter Boreale von einem Wirthe zu Bosworth, der voll von Bier und Geschichte war, den Gästen die Schlacht haarklein beschrieb und mit den Worten schloß: »da rief Burbage: ›Ein Pferd! ein Pferd!‹ und fiel.«



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