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Sechzehntes Kapitel.

Geh' in die Kammer, sieh ihn an im Bett.
In Frieden scheidet nicht sein Geist von hinnen,
Nicht wie die Lerche, die zum Himmel aufsteigt,
Beim sanften Morgenwind und klaren Thau –
Von Thränen und von Seufzern guter Menschen
Beflügelt zu dem Himmel aufgehoben! –
Anders ist Anselm's Scheiden.

Altes Schauspiel.

Während des Zwischenraums der Ruhe, welcher dem ersten glücklichen Erfolge der Belagerer folgte, indem die eine Partei sich rüstete, ihren Vortheil weiter zu verfolgen, und die andere ihre Vertheidigungsmittel zu verstärken, hielten der Templer und de Bracy eine kurze Berathung in der Halle des Schlosses.

»Wo ist Front-de-Boeuf?« fragte der Letztere, der das Schloß auf der andern Seite vertheidigt hatte, »man sagt ja, er sei gefallen.«

»Er lebt,« entgegnete der Templer kalt, »wenigstens jetzt noch, aber hätte er auch wirklich den Kopf eines Ochsen gehabt, wovon er den Namen führt, und wäre dieser mit zehnfachen Eisenplatten belegt gewesen, er hätte doch unter den Streichen jener furchtbaren Art erliegen müssen. Noch wenig Stunden, und Front-de-Boeuf befindet sich bei seinen Vätern – ein mächtiges Glied abgelöst von Prinz Johann's Unternehmen.«

»Und ein trefflicher Zuwachs zu dem Reiche des Satan,« sagte de Bracy, »das kommt davon, daß man Engel und Heilige verachtet, und Bilder von heiligen Dingen auf die Köpfe dieser schurkischen Bogenschützen hinunterwerfen läßt.«

»Geh, Du bist ein Narr,« sagte der Templer. »Dein Aberglaube ist um nichts besser, als Front-de-Boeuf's Unglaube; es kann ja keiner einen Grund dafür angeben.«

»Haltet Eure Zunge besser im Zaum, Herr Templer,« versetzte de Bracy, »wenn Ihr von mir redet. Bei der Mutter Gottes, ich bin ein besserer Christ als Ihr und Eure Genossen, denn es geht das Gerücht, der heilige Orden des Tempels von Zion nähre manchen Ketzer in seinem Schoße, und zu denen gehört Ihr auch, Sir Brian.«

»Bekümmere Dich doch nicht um solche Dinge,« sagte der Templer, »sondern laß uns jetzt auf den Schutz des Schlosses bedacht sein. – Wie fechten denn diese Schurken von Yeomen auf Deiner Seite?«

»Wie eingefleischte Teufel,« sagte de Bracy; »sie schwärmten bis dicht an die Wälle, angeführt, wie es schien, von dem Schurken, der den Preis im Bogenschießen erhielt, denn ich kannte ihn an dem Horn und Wehrgehänge. Das ist des alten Fitzurse gepriesene Klugheit, daß er diese Kerle zur Empörung gegen uns aufmuntert. Wäre ich nicht so stark gerüstet, der Schelm hätte mich schon zehnmal mit derselben Kaltblütigkeit niedergeschossen, als wenn ich ein Rehbock gewesen wäre. Er hat mir jede Fuge der Rüstung mit einem Pfeile gezeichnet, und trüge ich nicht ein spanisches Panzerhemd unter der Rüstung, so wäre es längst aus mit mir.«

»Aber Ihr behauptetet Euren Posten?« sagte der Templer; »wir verloren das Außenwerk auf unserer Seite.«

»Das ist ein sehr schlimmer Verlust,« sagte de Bracy, »nun decken sich die Schurken dadurch beim Angriffe. Front-de-Boeuf kann uns durch seinen Ochsenkopf und seine Stärke nicht mehr schützen. Was meinst Du, Sir Brian, wäre es nicht besser aus der Noth eine Tugend zu machen, und uns durch Auslieferung der Gefangenen mit den Schurken zu vertragen?«

»Was?« rief der Templer, »die Gefangenen ausliefern? Schäme dich des Raths, de Bracy. Unbeschützte Reisende des Nachts überfallen konnten wir wohl, aber kein Schloß vertheidigen? Nimmermehr! eher sollen mich die Trümmer des Schlosses begraben, als ich zu einem solchen Vertrage meine Einwilligung gebe.«

»Auf die Mauern denn,« rief de Bracy. »Niemand, weder Türke noch Templer kann sein Leben geringer achten als ich; aber ich halte es doch nicht für entehrend, jetzt meine Freicompagnie herbeizuwünschen.«

»Wünsche, was Du willst,« versetzte der Templer, »aber laß uns dabei Alles zur Vertheidigung thun, was wir mit den noch übrigen Truppen können. Es sind vorzüglich Front-de-Boeuf's Gefährten von den Engländern gehaßt, wegen so vieler Thaten des Uebermuths und der Unterdrückung.«

»Desto eher werden sie sich bis auf den letzten Blutstropfen wehren,« sagte de Bracy; »ich werde mich heute zeigen, wie es einem Manne von edler Abkunft ziemt.«

»Auf die Mauern!« rief der Templer, und Beide stiegen nun auf die Festungswerke, um Alles, was ihre Kunst vermochte, zur Gegenwehr zu thun.

Unterdeß befand sich der Herr des belagerten Schlosses auf seinem Lager im Zustande körperlicher Schmerzen und geistiger Ohnmacht. Sein Geiz hinderte ihn, das gewöhnliche Auskunftsmittel der Abergläubigen jener Zeit, Schenkungen an die Kirche oder ihre Diener zu versuchen. Daher befand er sich in jener furchtbaren Gemüthsstimmung, wo der Mensch Hülfe sucht, und die dargebotene doch verschmäht, wo ihn Gewissensbisse ohne Reue, Klagen ohne Hoffnung, Qualen der Gegenwart mit dem Vorgefühle einer noch schrecklichern Zukunft ängstigen. Er verlangte bald dieses, bald jenes, und kam endlich zu einem Selbstgespräch, welches seine Qualen noch vermehrte.

Aus diesem wurde er durch eine widrige Stimme erweckt, die dicht neben seinem Lager seinen Namen rief. Er glaubte daran einen jener bösen Geister zu erkennen, die, nach dem Aberglauben der Zeit, das Bett des Sterbenden besuchten, um seine Gedanken vom Himmel abzuziehen. Er schauderte, gewann aber bald seine gewohnte Fassung wieder und fragte: »Wer ist da? Wer bist Du, der es wagt, meine letzten Augenblicke zu stören? Tritt hervor, daß ich Dich sehe!«

»Ich bin Dein böser Engel, Reginald Front-de-Boeuf,« erwiederte die Stimme.

»Komm, laß Dich sehen in leiblicher Gestalt,« fuhr der Ritter fort, »denke nicht, daß ich vor Dir erbleichen werde. Könnte ich nur dieser Schauder Herr werden, welche durch meine Gebeine rieseln, Himmel und Hölle sollten nicht sagen, daß ich den Kampf mit ihnen scheue.«

»Gedenke Deiner Sünden, Front-de-Boeuf! an Aufruhr, Raub, Mord! – Wer reizte den ausschweifenden Johann zum Kriege gegen seinen greisen Vater – gegen seinen edeln Bruder?«

»Mögest Du ein Feind, ein Priester oder der Teufel sein,« versetzte Front-de-Boeuf, »Du lügst in Deinen Hals hinein! – Ich reizte Johann nicht zur Empörung – ich nicht allein – fünfzig Ritter und Barone mit mir – und bessere Männer haben nie die Lanze eingelegt! Und ich allein soll die Schuld büßen? Falscher Teufel, ich biete Dir Trotz! Geh, laß mich ruhig sterben, wenn Du ein Sterblicher bist! Und bist Du ein Teufel, so ist Deine Stunde noch nicht da.«

»Ruhig sollst Du nicht sterben,« versetzte die Stimme, »im Tode noch sollst Du das Gewimmer hören, womit Deine Grausamkeit diese Hallen erfüllte, sollst das Blut sehen, das Du auf diesem Boden vergossen hast.«

»Deine Bosheit soll mich nicht erschüttern,« antwortete Front-de-Boeuf mit gräßlichem, erzwungenem Lachen. »Wie ich mit dem ungläubigen Juden verfuhr, das war ein Verdienst im Himmel; sonst wurden Menschen heilig gesprochen, die ihre Hände in das Blut der Heiden tauchten. – Die sächsischen Schweine, die ich erschlug, waren die Feinde meines Vaterlandes, meines Lehnsherrn. – Ha, ha! siehst Du, es ist keine Spalte in meinem Harnisch! – Bist Du fort, oder bist Du zum Schweigen gebracht?«

»Nein, nein, schändlicher Vatermörder!« versetzte die Stimme: »denke an das Bankett, wo sein Blut von der Hand seines eigenen Sohnes vergossen wurde!«

»Ha!« antwortete der Baron nach einer langen Pause, »wenn Du das weißt, so bist Du in der That der Urheber des Bösen, und allwissend, wie die Priester von Dir sagen! Nur in einer Brust, außer der meinen, ruht noch dieses Geheimniß – in der der Theilnehmerin meiner Schuld. – Geh zu der sächsischen Hexe Ulrica, die kann Dir sagen, was nur sie weiß und ich. – Geh zu ihr, die die Wunden des Erschlagenen wusch, und dem Todten das Ansehen gab, als sei er auf natürliche Art gestorben. – Sie reizte mich zur That; laß sie das Vorgefühl der Höllenqualen empfinden, das mich martert!«

»Sie empfindet sie schon,« sagte Ulrica, indem sie jetzt vor Front-de-Boeuf's Lager trat, »sie hat diesen Kelch längst getrunken, und seine Bitterkeit wird nur dadurch versüßt, daß sie Dich ihn theilen sieht. Fletsche Deine Zähne nicht, Front-de-Boeuf – rolle Deine Augen nicht – drohe mir nicht mit der Faust! – Die Hand, welche gleich der Deines berühmten Ahnherrn, der sich den Namen Deines Geschlechts erwarb, mit einem Schlage den Schädel des wilden Stiers hätte zerschmettern können, ist jetzt entnervt und kraftlos gleich der meinen!«

»Elende mörderische Hexe!« entgegnete Front-de-Beouf; »abscheuliche Nachteule! willst Du noch jauchzen bei den Trümmern, bei deren Umsturz Du geholfen?«

»Ja, Reginald Front-de-Boeuf,« antwortete sie, »es ist Ulrica! – Es ist die Tochter des ermordeten Torquil Wolfganger! – Es ist die Schwester seiner erschlagenen Söhne! Vater, Brüder, Ehre, Gut und Habe fordert sie von Dir! – Denke an Deine Schandthaten, Front-de-Boeuf, und antworte mir, ob ich nicht die Wahrheit rede. – Du warst mein böser Engel, und ich will der Deine sein! Ich will Dich verfolgen bis zum Augenblick der Auflösung!«

»Abscheuliche Furie!« rief Front-de-Boeuf, »den Augenblick sollst Du nie sehen! – He! Giles, Clemens, Eustace! Saint Maur, Stephan! ergreift die Hexe und stürzt sie kopfüber von der Mauer! Sie hat uns den Sachsen verrathen! – Wo bleibt Ihr falschen Schurken?«

»Rufe nur Deine Sklaven, tapferer Baron,« sagte die Alte mit höhnischem Lächeln; »Du wirst keine Antwort erhalten und auch keine Hülfe! Hörst Du diese schrecklichen Töne? – Bei diesem Kampfgeschrei geht dein Haus zu Grunde! Front-de-Boeuf's mit Blut befestigte Macht wankt auf ihrem Grunde, und vor seinen verachtetsten Feinden! – Die Sachsen, Reginald, die verachteten Sachsen stürmen Deine Mauern! Was liegst Du denn hier wie ein ermüdeter Knabe, wenn der Sachse Deine Veste stürmt?«

»Gott und Teufel!« rief der verwundete Ritter, »nur noch einen Augenblick Stärke, daß ich auf die Mauern stürme und sterbe, wie es meinem Namen ziemt!«

»Denke nicht daran, tapferer Krieger!« versetzte sie; »Du sollst nicht wie ein Ritter sterben – nein, wie der Fuchs in seinem Bau, wenn die Landleute ringsum Feuer angezündet haben. Riechst Du denn die Dünste nicht, die sich schon in diesem Gemache verbreiten? Erinnere Dich der brennbaren Stoffe unter diesem Zimmer!«

»Weib!« rief er mit Wuth, »Du hast doch nicht Feuer dort angelegt? Bei Gott, Du hast's gethan, das Schloß steht in Flammen!«

»Wenigstens nehmen die Flammen überhand,« sagte Ulrica. »Dieses Zeichen wird die Belagerer schon aufmuntern. Leb wohl, Front-de-Boeuf! Mögen Mista, Skogula und Zernebock, die Götter der alten Sachsen – Teufel, wie die Priester sie nennen – die Stelle der Tröster an Deinem Lager vertreten. Ulrica sieht Dich nicht wieder. – Doch wenn das Dich trösten kann, so wisse, daß Ulrica demselben Schicksal geweiht ist, wie Du! – Jetzt, Vatermörder, lebe wohl auf ewig! – Möge jeder Stein dieser gewölbten Decke eine Zunge erhalten, und Dir diesen Namen in's Ohr schreien!«

Mit diesen Worten verließ sie das Gemach, und Front-de-Boeuf vernahm das Geräusch des Schlüssels, als sie die Thür hinter ihm abschloß, und ihm so die letzte Hoffnung zum Entkommen nahm. Die wüthendste Verzweiflung bemächtigte sich seiner. Umsonst rief er mit der größten Anstrengung seiner noch übrigen Kräfte seinen Leuten zu. Niemand hörte ihn.

»Sie hören mich nicht – sie können mich nicht hören – meine Stimme dringt nicht durch das Geräusch des Kampfes. – Der Rauch rollt dichter und dichter. – Die rothen Flammen schlagen schon prasselnd hervor! – Der böse Feind zieht gegen mich unter dem Banner seines eigenen Elements. Fliehe, Höllengeist! ich gehe nicht mit Dir ohne meine Gefährten! Alle, alle sind sie Dein, die in diesen Mauern hausen; der ungläubige Templer – der ausschweifende de Bracy, Ulrica, das mörderische Weib – die sächsischen Hunde, der verfluchte Jude! – Alle, alle sollen mir folgen! – Eine herrliche Gesellschaft, wie sie nur je zur Hölle zog! Ha! ha! ha!« – Hier lachte er im wilden Wahnsinn, daß das Gewölbe widerhallte. – »Wer lacht hier? – Wer lacht hier? Bist Du es, Ulrica? Sprich, Hexe, ich verzeihe Dir, – denn nur Du, oder der höllische Feind konnte in diesem Augenblick lachen. Fort, hebe Dich von mir!« –

Doch es wäre gottlos, die Schilderung eines Gotteslästerers und Vatermörders auf dem Sterbebette weiter zu verfolgen.

 

Ende des zweiten Theils.



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