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Erstes Kapitel.

Und dennoch denkt er – ha, ha, ha – er denkt,
Diener bin ich und Werkzeug seines Willens.
Wohlan, durch dieses Labyrinth der Unruh,
Das seine Ränk' und Plän' erschaffen müssen,
Bahn' ich mir selbst den Weg zu höhern Dingen,
Und wer wird sagen, daß es Unrecht ist?

Basil, eine Tragödie.

Keine Spinne gab sich je mehr Mühe, die zerrissenen Maschen ihres Gewebes auszubessern, als Waldemar Fitzurse anwendete, die zerstreuten Theilnehmer der Intrigue des Prinzen Johann wieder zusammen zu bringen. Wenige von diesen waren ihm aus Neigung ergeben, und Keiner aus persönlicher Achtung. Es war daher nothwendig, daß Fitzurse ihnen neue Aussichten auf Vortheile eröffnete, und sie an die erinnerte, welche sie gegenwärtig genossen. Den jungen und wilden Adeligen stellte er die Aussicht auf straflose Ausgelassenheit und unbeschränkte Ausschweifung vor, den Ehrgeizigen die Aussicht auf Macht, den Habsüchtigen die auf vermehrten Reichthum und ausgebreitete Besitzungen. Die Anführer der Miethssoldaten erhielten ein Geschenk in Geld, ein Beweggrund, der für sie der überzeugendste war, und ohne den alle andere vergebens gewesen wären. Versprechungen wurden von diesem thätigen Agenten noch freigebiger ausgetheilt als Geld, kurz, es blieb nichts ungethan, was die Schwankenden zum festen Entschluß bringen und die Muthlosen beleben konnte. Von der Rückkehr des Königs Richard sprach er wie von einem Ereigniß, welches gänzlich außer dem Bereich der Möglichkeit sei; doch als er an den zweifelhaften Blicken und unbestimmten Antworten, die er erhielt, bemerkte, daß dies die Furcht sei, die sich am tiefsten der Gemüther seiner Anhänger bemächtigt hatte, behandelte er dieses Ereigniß, wenn es wirklich stattfinden sollte, kühn als ein solches, welches ihre politischen Berechnungen durchaus nicht stören dürfe.

»Wenn Richard zurückkehrt,« sagte Fitzurse, »so wird er seine verarmten und ausgehungerten Kreuzfahrer auf Kosten derjenigen bereichern, die ihm nicht in das gelobte Land gefolgt sind. Er kehrt zurück, um diejenigen zu schrecklicher Rechenschaft aufzufordern, die während seiner Abwesenheit irgend etwas gethan haben, was man als Verletzung entweder der Gesetze des Landes oder der Privilegien der Krone ansehen kann. Er kehrt zurück, um sich an dem Orden des Tempels und des Spitals zu rächen, weil sie Philipp von Frankreich während der Kriege im gelobten Lande den Vorzug gegeben. Kurz, er kehrt zurück, um jeden Anhänger seines Bruders Johann als einen Rebellen zu bestrafen. Fürchtet Ihr Euch vor seiner Macht?« fuhr der listige Vertraute des Prinzen fort; »wir erkennen ihn als einen starken und tapfern Ritter an; doch wir leben nicht mehr zur Zeit des Königs Arthur, wo ein Kämpfer es mit einer ganzen Armee aufnehmen konnte. Wenn Richard in der That zurückkommt, so wird es allein – ohne Freunde und Begleiter geschehen. Die Gebeine seiner tapfern Armee bleichen auf dem Sande von Palästina. Die wenigen von seinem Gefolge, welche zurückgekehrt sind, kamen gleich diesem Wilfred von Ivanhoe arm und bettelhaft hier an. – Und was redet Ihr von Richard's Geburtsrecht?« fuhr er als Antwort auf die ihm gemachten Einwürfe fort; »ist Richard's Anspruch auf die Erstgeburt entschiedener als die des Herzogs Robert von der Normandie, des Eroberers ältesten Sohnes? Und doch wurden ihm Wilhelm der Rothe und Heinrich, sein zweiter und dritter Bruder, nach einander durch die Stimme der Nation vorgezogen. Robert besaß jedes Verdienst, welches man zu Richard's Lobe anführen kann; er war ein kühner Ritter, ein guter Anführer, großmüthig gegen seine Freunde und gegen die Kirche, und um dem Ganzen die Krone aufzufetzen, Kreuzfahrer und Eroberer des heiligen Grabes, und doch starb er als blinder und elender Gefangener im Schlosse Cardiff, weil er sich dem Willen des Volkes widersetzte, welches ihn nicht über sich wollte herrschen lassen. Es ist unser Recht,« sagte er, »aus dem königlichen Blut denjenigen Prinzen auszuwählen, der am besten geeignet ist, die höchste Gewalt auszuüben – das heißt,« setzte er sich verbessernd hinzu, »den, dessen Wahl dem Interesse des Adels am besten entspricht. An persönlichen Eigenschaften,« fügte er hinzu, »möchte Prinz Johann vielleicht seinem Bruder Richard nachstehen; doch wenn man bedenkt, daß der Letztere mit dem Racheschwert in der Hand zurückkehrt, während der Erstere Belohnungen, Freiheiten, Reichthum und Ehre anbietet, so darf man nicht zweifeln, welches der König ist, den der Adel zu unterstützen sich berufen finden wird.«

Diese und manche andere Beweggründe, der besondern Lage derjenigen, die er anredete, angemessen, hatten die erwartete Wirkung auf die Anhänger der Partei des Prinzen Johann. Die meisten von ihnen willigten ein, der vorgeschlagenen Versammlung zu York beizuwohnen, um die allgemeinen Anordnungen zu treffen, den Prinzen Johann zum König zu krönen.

Es war spät in der Nacht, als Fitzurse, erschöpft und ermüdet von seinen verschiedenen Anstrengungen, aber zufrieden mit dem Erfolg, in das Schloß zu Ashby zurückkehrend, dem Ritter de Bracy begegnete, der seine Festkleider mit einem kurzen grünen Kittel vertauscht hatte, mit Beinkleidern von derselben Farbe, einer ledernen Mütze, einem kurzen Schwert, einem Horn, welches um seine Schulter geschlungen war, einem langen Bogen in der Hand und einem Bündel Pfeile am Gürtel. Hätte Fitzurse diese Gestalt in einem äußern Zimmer getroffen, so wäre er, ohne auf ihn zu achten, an ihm vorüber gegangen und hätte ihn für einen Trabanten von der Garde gehalten; doch da er ihn in der innern Halle fand, sah er ihn mit größerer Aufmerksamkeit an und erkannte den normännischen Ritter in der Kleidung des englischen Soldaten.

»Was ist dies für eine Mummerei, de Bracy?« sagte Fitzurse etwas ärgerlich; »ist dies eine Zeit zu Weihnachtspossen und Maskeraden, wo das Schicksal unsers Herrn, des Prinzen Johann, auf dem Punkte der Entscheidung ist? Warum bist Du nicht gleich mir unter diesen herzlosen Wichten gewesen, die der bloße Name des Königs Richard erschreckt, wie man von den Kindern der Saracenen sagt?«

»Ich habe mein eigenes Geschäft im Kopfe gehabt,« entgegnete de Bracy ruhig, »wie Ihr das Eure.«

»Ich, mein eigenes Geschäft!« wiederholte Fitzurse, »bei dem des Prinzen Johann, unseres beiderseitigen Patrons, bin ich beschäftigt gewesen.«

»Als ob Du dazu einen andern Grund hättest, Waldemar,« sagte de Bracy, »als die Beförderung Deines eigenen Vortheils! Wir kennen einander, Fitzurse; Ehrsucht ist der Beweggrund Deines, Vergnügen der meines Strebens, wie sich's für eines jeden Alter ziemt. Ueber den Prinzen Johann denkst Du gewiß wie ich; er ist zu schwach, um ein entschiedener Monarch, zu tyrannisch, um ein erträglicher Monarch, zu stolz und anmaßend, um ein populärer Monarch, zu wankelmüthig und furchtsam, um überhaupt lange Monarch zu sein. Doch es ist ein Monarch, durch den Fitzurse und Bracy hoffen empor zu kommen und zu gedeihen, und deshalb helft Ihr ihm mit Eurer Klugheit aus, so wie ich mit den Lanzen meiner Freicompagnien.«

»Ein hoffnungsvoller Hülfsmann,« sagte Fitzurse ungeduldig, »der im Augenblick dringender Gefahr den Narren spielt. Was in der Welt beabsichtigst Du mit der abgeschmackten Verkleidung in einem so bedenklichen Augenblick?«

»Mir ein Weib zu verschaffen,« antwortete de Bracy kalt, »nach der Sitte des Stammes Benjamin.«

»Des Stammes Benjamin? Ich verstehe Dich nicht,« entgegnete Fitzurse.

»Nun, mit andern Worten,« versetzte Bracy, »ich will in meiner Verkleidung über die Heerde sächsischer Ochsen, die diese Nacht das Schloß verlassen haben, herfallen, und mir von ihnen die liebenswürdige Rowena erbeuten.«

»Bist Du toll, Bracy?« sagte Fitzurse, »bedenke, daß diese Leute, wenn auch Sachsen, doch reich und mächtig sind, und um so mehr von ihren Landsleuten geachtet, da Reichthum und Ehre nur wenigen Sachsen angehören.«

»Und sie sollten keinem angehören,« sagte de Bracy; »das Werk der Eroberung sollte vollständig werden.«

»Jetzt ist wenigstens keine Zeit dazu,« sagte Fitzurse; »die bevorstehende Krisis macht die Gunst der Menge unerläßlich, und der Prinz kann ihnen keine Gerechtigkeit verweigern, wenn man ihre Günstlinge beleidigt.«

»Er mag sie gewähren, wenn er es zu thun wagt,« sagte de Bracy; »er wird bald finden, welcher Unterschied zwischen einer lustigen Schaar von Lanzen, wie die meinige, und einer herzlosen Schaar von sächsischen Kerlen stattfindet. Doch ich denke, man wird mich nicht so leicht erkennen. Sehe ich nicht in dieser Kleidung einem so kühnen Waidmann gleich, wie nur je einer das Horn blies? Die Schuld der Gewaltthat soll auf die Geächteten in den Wäldern von Yorkshire fallen. Ich habe zuverlässige Spione, welche alle Bewegungen der Sachsen genau beobachten. Diese Nacht schlafen sie in dem Kloster des heiligen Wittol oder Withold, oder wie sie jenen Kerl von sächsischen Heiligen nennen, zu Burton-on-Trent. Die folgende Tagereise bringt sie in unsern Bereich, und gleich Falken schießen wir auf sie los. Gleich darauf erscheine ich in meiner eigenen Gestalt, spiele den galanten Ritter, befreie die unglückliche und betrübte Schöne aus den Händen der rohen Entführer, geleite sie auf Front-de-Boeuf's Schloß oder nach der Normandie, wenn es nöthig sein sollte, und bringe sie nicht eher wieder zu ihrer Verwandtschaft, bis sie Moritz de Bracy's Gemahlin ist.«

»Ein wunderbar kluger Plan,« sagte Fitzurse, »und, wie mir scheint, nicht ganz von Deiner Erfindung. – Sei aufrichtig, de Bracy, wer half Dir bei dieser Erfindung? Und wer wird Dir bei der Ausführung beistehen? Denn Deine Leute sind ja in York, wenn ich nicht irre.«

»Nun, wenn Du es denn nothwendig wissen mußt,« sagte de Bracy, »es war der Templer Brian de Bois-Guilbert, der den Plan erdachte. Er wird mir bei der Ausführung helfen, und er und seine Begleiter werden die Geächteten vorstellen, von welchen mein tapferer Arm, nachdem ich meine Kleidung verändert habe, die Dame befreien wird.«

»Bei meinem Seelenheil,« sagte Fitzurse, »der Plan ist Eurer vereinten Weisheit würdig! Und Deine Klugheit, de Bracy, zeigte sich ganz besonders in dem Vorsatze, die Dame den Händen Deines würdigen Verbündeten zu überlassen. Es mag Dir wohl gelingen, sie ihren sächsischen Freunden zu entführen; wie Du sie aber später aus den Klauen des Bois-Guilbert's befreien willst, scheint mir viel zweifelhafter. Er ist ein Falke, wohl geübt ein Rebhuhn zu erhaschen und seine Beute fest zu halten.«

»Er ist ein Templer,« sagte de Bracy, »und kann daher nicht mein Nebenbuhler sein bei meinem Plan, diese Erbin zu heirathen. Und etwas Entehrendes gegen die Erwählte de Bracy's zu unternehmen – beim Himmel! und wäre er ein ganzes Kapitel seines Ordens in einer einzigen Person, er würde nicht wagen, mir eine solche Beleidigung anzuthun!«

»Da ich nicht hoffen kann, Dich von dieser Thorheit abzubringen,« sagte Fitzurse, »so bitte ich Dich nur, so wenig Zeit als möglich dabei zu verschwenden.«

»Ich sage Dir,« antwortete de Bracy, »daß es das Werk weniger Stunden sein wird, und ich werde zu York an der Spitze meiner kühnen und tapfern Lanzen sein, bereit, ein so verwegenes Unternehmen zu unterstützen, wie Deine Politik nur immer eins auszudenken vermag. – Doch ich höre meine Kameraden sich versammeln und die Pferde im äußern Hofe stampfen und wiehern. – Lebe wohl! – Ich gehe gleich einem treuen Ritter, mir das Lächeln der Schönheit zu gewinnen.«

»Gleich einem treuen Ritter?« wiederholte Fitzurse, ihm nachsehend, »gleich einem Narren sollte ich sagen, oder gleich einem Kinde, welches die ernsthafteste und notwendigste Beschäftigung aufgibt, um dem Flaum der Distel nachzujagen, der an ihm vorübertreibt. – Aber mit solchen Werkzeugen muß ich arbeiten – und zu wessen Vortheil? – Zum Vortheil eines Fürsten, so unweise wie ausschweifend, und der wahrscheinlich ein ebenso undankbarer Herr sein wird, als er bereits ein rebellischer Sohn und unnatürlicher Bruder gewesen ist. – Aber er – auch er ist nur eins von den Werkzeugen, mit denen ich arbeite; und stolz wie er ist, sollte er wagen, sein Interesse von dem meinigen zu trennen, so wird er dies Geheimniß bald erfahren.«

Das Nachdenken des Staatsmannes wurde hier durch die Stimme des Prinzen unterbrochen, welcher aus dem innern Zimmer rief: »Edler Waldemar Fitzurse!« Hierauf nahm der künftige Kanzler – denn nach einem so hohen Posten strebte der ränkevolle Normann – sein Barett ab und eilte, die Befehle seines künftigen Monarchen zu empfangen.



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