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Sechstes Kapitel.

Wenn lang und trüb' die Nächt' im Herbste sind,
Und finster in dem öden Wald die Pfade,
Wie lieblich tönt da in des Pilgers Ohr
Die Hymne aus des Eremiten Zelle.
Die Andacht borgt den Ton von der Musik,
Und von der Andacht borgt Musik die Schwingen
Und gleich dem Vogel, der zur Sonne steigt,
Zum Himmel schweben singend sie empor.

Der Eremit von St. Clement's Well.

Nach einer Wanderung von drei guten Stunden gelangten Cedric's Diener mit ihrem geheimnißvollen Führer zu einer kleinen Oeffnung in dem Walde, in deren Mittelpunkte ein Eichbaum von ungeheurer Größe sich erhob, der seine Zweige nach allen Richtungen ausstreckte. Unter diesem Baume lagen vier bis fünf Yeomen ausgestreckt, indeß ein Anderer als Schildwache in dem vom Mondenlicht gebildeten Schatten auf- und niederging.

So wie die Wache das Geräusch nahender Fußtritte hörte, machte sie Lärm; die Schläfer standen schnell auf und spannten ihre Bogen. Sechs auf den Strang gelegte Pfeile waren dem Orte zugekehrt, woher sich die Wanderer nahten; da erkannte man ihren Führer und bewillkommnete ihn mit allen Zeichen von Achtung und Zuneigung.

»Wo ist der Müller?« war seine erste Frage.

»Auf dem Wege nach Rotherham.«

»Mit wie vielen?« fragte weiter der Führer, denn das schien er zu sein.

»Mit sechs Mann und bester Hoffnung auf Beute, wenn's dem heiligen Nikolas gefällt.«

»Mit Ehrfurcht gesprochen,« sagte Locksley, »und wo ist Allan a Dale?«

»Nach Watling-street zu, um dem Prior von Jorvaulx aufzupassen.«

»Gut ausgedacht!« versetzte der Hauptmann, »und wo ist der Mönch?«

»In seiner Zelle.«

»Dahin will ich gehen,« sagte Locksley. »Zerstreut Euch und sucht Eure Gefährten auf! Sammelt, so viel Ihr könnt; es gibt eine Jagd auf ein Wild, das nicht so leicht zu fangen sein wird. Mit Tagesanbruch trefft mich wieder hier! Legt Euch nicht nieder! – Bald hätte ich das Nöthigste vergessen. Zwei von Euch schlagen schnell den Weg nach Torquilstone, dem Schlosse von Front-de-Boeuf ein. Ein Trupp von jungen Fanten, die sich wie unser Eins maskirt haben, führt eine Anzahl Gefangener dahin. Sitzt ihnen hart auf dem Nacken, unsere Ehre steht auf dem Spiele sie zu strafen, und wir werden schon Mittel und Wege dazu finden, auch wenn sie das Schloß erreichten, ehe wir unsere Macht sammeln. Schickt einen von Euren Kameraden, den schnellsten Läufer, fort, um den Yeomen ringsherum Nachricht zu geben.«

Sie versprachen unbedingten Gehorsam und entfernten sich mit der größten Schnelligkeit auf verschiedenen Wegen. Unterdessen setzte ihr Führer mit seinen zwei Gefährten, die ihn mit großer Achtung, doch auch nicht ohne alle Furcht betrachteten, den Weg zur Kapelle von Copmanhurst fort.

Als sie jetzt durch den freiern Waldpfad die ehrwürdige, wenn gleich ziemlich verfallene Kapelle, und die rohe Wohnung des Einsiedlers, recht geschickt zu ascetischer Frömmigkeit, zu Gesichte bekamen, lispelte Wamba Gurth in's Ohr: »Wenn das die Wohnung eines Diebes ist, so trifft das alte Sprichwort ein: Je näher der Kirche, desto ferner von Gott! – Höre nur das besondere Sanctus, das sie in der Einsiedelei singen.«

In der That sangen auch der Einsiedler und sein Gast mit aller Anstrengung ihrer kräftigen Lungen ein altes Trinklied, in dessen Melodie Wamba von außen einstimmte. »Ei,« sagte er endlich, »wer hätte einen solchen Gesang um Mitternacht in eines Eremiten Zelle zu hören erwarten sollen.«

»Ja,« sagte Gurth, »den Geistlichen von Copmanhurst kennt man schon, die Hälfte des gestohlenen Wildes hier im Forste hat er zu vertreten. Man sagt auch, der Aufseher hat sich schon darüber beschwert, und er wird Rock und Kaputze ablegen müssen, wenn er nicht besser Ordnung halten will.«

Während sie so sprachen, hatte Locksley's wiederholtes Pochen den Einsiedler und seinen Gast schon aufgestört. »Wahrlich,« sagte der Erstere, »da kommen noch mehr verspätete Gäste; sie dürfen uns in unsern frommen Uebungen nicht überraschen. Jedermann hat seine Feinde, Herr Faullenzer, und wie leicht könnte eine gastfreundliche Erquickung, einem armen Wanderer gereicht, mir für Schwelgerei und Trunkenheit ausgelegt werden; und das sind doch Fehler, die meinem Stande und meiner Neigung ganz fremd sind.«

»Verläumder!« versetzte der Ritter, »ich wollte, ich dürfte sie züchtigen. Indeß, heiliger Bruder, wahr ist's, Jeder hat seine Feinde; es gibt auch welche in diesem Lande, mit denen ich lieber durch das Visir meines Helmes, als baarhaupt sprechen möchte.«

»Nun, so setze Deinen eisernen Topf auf, Freund Faullenzer, so schnell, als es Deine Natur erlaubt,« sagte der Einsiedler, »ich will indessen die Flaschen wegräumen, und damit man das Geräusch nicht höre, so stimme mit in das ein, was Du mich singen hörst, auf die Worte kommt's nicht an, die weiß ich selber kaum.«

Alsbald fing er ein donnerndes De profundis an, indem er das Trinkgeschirr abräumte; der Ritter innerlich lachend und sich indessen bewaffnend, fiel mit seiner Stimme von Zeit zu Zeit ein, so wie es ihm seine Lustigkeit erlaubte.

»Welche Teufelsmetten finden denn hier statt?« rief eine Stimme von außen.

»Der Himmel vergebe Euch, Herr Reisender,« sagte der Einsiedler, dessen eigenes Geräusch ihn die Stimme nicht hatte erkennen lassen, welche ihm doch ziemlich bekannt war. »Geht Eures Weges in Gottes und des heiligen Dunstan's Namen, und stört mich und meinen heiligen Bruder nicht in unserer Andacht.«

»Dummer Pfaff,« antwortete die Stimme von außen, – »Locksley ist ja da!«

»Es ist Alles sicher,« sagte der Eremit zu seinem Gefährten.

»Aber wer ist's denn,« versetzte der schwarze Ritter, »es liegt mir viel daran, das zu wissen.«

»Wer's ist? Ein Freund, sag' ich Dir.«

»Aber was für ein Freund, es kann ein Freund von Dir sein und nicht von mir.«

»Nun, ich besinne mich, es ist der ehrliche Waldaufseher, von dem ich Dir schon gesagt habe.«

»Ein ehrlicher Aufseher, wie Du ein frommer Einsiedler bist. Aber öffne nur, ehe er die Thüre einstößt.«

Die Hunde, welche in der Zwischenzeit ein furchtbares Geheul erhoben hatten, schienen nun die Stimme zu erkennen, welche sich von außen vernehmen ließ, denn sie drängten sich winselnd nach der Thür, gleich als wollten sie um Einlaß des Fremden bitten. Der Eremit öffnete nun und Locksley mit seinen Gefährten trat ein.

»Wie?« war des Yeoman's erste Frage, als er den Ritter erblickte, »was hast Du denn hier für saubere Gesellschaft?«

»Einen Bruder unsers Ordens,« antwortete der Einsiedler, »wir haben eben unsere Nachtandacht gehalten.«

»Er ist, glaub' ich, ein Mönch von der streitbaren Kirche,« versetzte Locksley, »und es sind ihrer noch mehrere auswärts. Ich sage Dir, Bruder, Du mußt jetzt Deinen Rosenkranz bei Seite legen und Deinen Kampfstock ergreifen, wir brauchen jetzt jeden von unsern Gefährten, er mag Geistlicher oder Weltlicher sein. Aber,« setzte er hinzu, indem er ihn ein wenig auf die Seite zog – »bist Du denn toll? Einen Ritter, den Du nicht kennst, einzulassen! Hast Du unsere Gesetze vergessen?«

»Ihn nicht kennen?« erwiderte kühn der Bruder, »ich kenne ihn so gut, als der Bettler seine Schüssel kennt.«

»Wie heißt er denn?« fragte Locksley.

»Sein Name – sein Name ist Sir Anthony von Scrabelstone – als wenn ich mit Jemand trinken würde, dessen Namen ich nicht weiß.«

»Du hast, denk' ich, genug getrunken, Bruder,« sagte der Yeoman, »und auch genug geplaudert.«

»Guter Yeoman!« sagte der Ritter hervortretend, »zanke nicht mit meinem lustigen Wirthe! Er hat mir eine Gastfreundschaft erwiesen, die ich erzwungen haben würde, wenn er sie mir versagt hätte.«

»Du zwingen!« sagte der Bruder Einsiedler, »warte nur, bis ich diesen grauen Kittel mit einem grünen Kamisol vertauscht habe, und wenn ich Dir nicht zwölfmal den Kampfstock in einem Kreise um den Kopf sausen lasse, will ich kein wahrer Geistlicher und kein wahrer Waldmann sein.«

Mit diesen Worten streifte er sein Gewand ab, und stand in einem engen schwarzen Wamms und Unterhosen da, über welche er schnell einen grünen Rock und Beinkleider von gleicher Farbe zog.

Indeß Wamba dem Eremiten beim Ankleiden behülflich war, führte Locksley den Ritter bei Seite und sagte zu ihm: »Läugnet es nur nicht, Herr Ritter, Ihr seid es, der am zweiten Tage des Turniers von Ashby den Sieg zum Vortheil der Engländer gegen die Fremden entschieden hat.«

»Und was folgt daraus, wenn Ihr recht gerathen habt, guter Yeoman?«

»Ich halte Euch in diesem Falle für einen Freund der schwächern Partei.«

»Das ist die Pflicht eines ächten Ritters,« versetzte der schwarze Kämpe, »ich sähe es ungern, wenn man etwas Anderes von mir vermuthete.«

»Für meinen Zweck,« sagte der Yeoman, »mußt Du ein eben so guter Engländer als Ritter sein.«

»England und das Leben jedes Engländers kann Niemanden theurer sein, als mir.«

»Ich glaube es gern,« sagte der Waldmann, »höre, ich will Dir ein Unternehmen mittheilen, woran Du, wenn Du wirklich bist, was Du mir scheinst, Theil nehmen kannst. Eine Bande Elender, die sich in bessere Leute verkleidet haben, als sie selbst sind, haben sich der Person eines edlen Engländers, Cedric der Sachse genannt, nebst seiner Tochter und seines Freundes Athelstane von Coningsburgh bemächtigt, und schleppen sie nun nach einem Schlosse in dieser Waldgegend, mit Namen Torquilstone. Ich frage Dich als einen braven Ritter und guten Engländer, willst Du Theil nehmen an ihrer Befreiung?«

»Das befiehlt mir meine Pflicht,« versetzte der Ritter, »aber nun möchte ich auch wissen, wer Ihr seid, der Ihr mich dazu auffordert?«

»Ich bin,« erwiderte der Waldbewohner, »ein namenloser Mensch, allein ein Freund meines Vaterlandes und seiner Freunde. Damit müßt Ihr Euch vor der Hand begnügen, zumal da auch Ihr noch unerkannt zu bleiben wünschet. Glaubt mir aber, mein gegebenes Wort ist mir eben so heilig, als wenn ich goldene Sporen trüge.«

»Ich glaube es gern,« sagte der Ritter, »ich verstehe mich auf des Menschen Außenseite; ich lese in der Deinen Ehrlichkeit und Entschlossenheit. Wohlan, ich helfe! Ist's vorbei, werden wir uns schon genauer kennen lernen.«

»Nun,« sagte Wamba zu Gurth, dem diese letzten Worte nicht entgangen waren, »so hätten wir ja einen neuen Verbündeten, und auf die Tapferkeit des Ritters traue ich mehr, als auf die Religion des Eremiten und die Ehrlichkeit des Yeoman; denn der Locksley sieht mir aus, wie ein geborner Wilddieb, und der Priester wie ein lustiger Heuchler.«

»Still, still,« sagte Gurth, »da es die Befreiung Cedric's und der Lady Rowena gilt, nähme ich den Teufel selbst zu Hülfe, ohne die Sünde zu scheuen.«

Der Einsiedler war jetzt völlig als Yeoman gekleidet, mit Schwert und Schild, Bogen und Köcher und einen tüchtigen Knotenstock auf der Schulter. Er verließ nun an der Spitze des Haufens die Zelle, schloß sie sorgfältig und legte den Schlüssel unter die Thürschwelle.

»Nun,« sagte Locksley, »bist Du in der Verfassung, gute Dienste zu leisten, oder spukt Dir der Dunst der Bowle noch im Kopfe?«

Der Einsiedler ging sogleich zur Quelle des heiligen Dunstan, wusch sich das Gesicht und sagte: »Nun ist Alles vorbei.« Dann schwang er seinen gewichtigen Kampfstock um's Haupt mit drei Fingern und rief: »Wo sind die elenden Räuber, welche Menschen wider ihren Willen wegführen? Und stände ihnen der böse Feind bei, ich nehme es allein mit einem Dutzend von ihnen auf.«

»Was?« sagte der schwarze Ritter, »heiliger Mann, Du fluchst?«

»Ach, nennt mich nicht heilig, ich bin's nur, so lange ich meine Kutte am Leibe trage; habe ich aber meinen grünen Rock angezogen, dann trink' ich, schwör' ich, fluch' ich mit einem Jägersmann um die Wette.«

»Komm nur und schweig,« sagte Locksley, »Du machst einen Lärm, wie ein ganzes Kloster, wenn der Abt zu Bett gegangen ist. – Ihr Andern folgt mir Alle, denn wir müssen alle unsere Macht zusammennehmen, und wir sind unserer immer noch wenig genug, wenn wir das Schloß von Reginald Front-de-Boeuf mit Sturm nehmen wollen.«

»Wie?« fragte der schwarze Ritter, »ist es Front-de-Boeuf, der auf des Königs offener Straße des Königs getreue Lehnsleute anfällt? Ist er denn zum Diebe und Unterdrücker geworden?«

»Unterdrücker war er immer!« sagte Locksley.

»Und mit der Ehrlichkeit,« setzte der Eremit hinzu, »ist's auch nicht weit her. Mancher Dieb von meiner Bekanntschaft ist viel rechtschaffener als er.«

»Mach fort, Priester,« sagte der Yeoman, »und schweig'. Du thust besser, wenn Du uns den Weg zeigst zu unserem Sammelplatze, als wenn Du sprichst über Etwas, was besser unbesprochen bliebe, sowohl aus Klugheit als aus Anstand.«



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