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Fünftes Kapitel.

Ein Zug Bewaffneter, die eine Dame
Geleiten (ihre hingeworf'nen Worte
Verriethen's mir, als unbemerkt ich folgte)
Sind nahe, und gedenken in dem Schloß
Zu übernachten.

Ora, eine Tragödie.

Die Reisenden hatten jetzt eben den Rand eines Waldes erreicht, und waren im Begriff sich in das Dickicht desselben hineinzubegeben, was in jener Zeit wegen der Menge Geächteter, die Unterdrückung und Armuth zur Verzweiflung gebracht hatte, und die sich nun in den Wäldern aufhielten, sehr gefährlich war. Diese Räuber fürchteten Cedric und Athelstane jedoch, der späten Nachtstunden ungeachtet, nicht sehr, da sie, außer Gurth und Wamba, noch zehn Diener im Gefolge hatten, dabei verließen sie sich auf ihre Abkunft und ihren Charakter, so wie auf ihren Muth. Die Geächteten waren nämlich meistens Landleute von sächsischer Abkunft, und achteten gewöhnlich die Person und das Eigenthum ihrer Landsleute.

Als die Reisenden ruhig ihres Weges zogen, wurden sie auf einmal durch das wiederholte Rufen um Hülfe aufgeschreckt, und als sie an den Ort kamen, woher es erschallte, erstaunten sie nicht wenig eine Sänfte zu finden, neben der ein auf jüdische Art reich gekleidetes junges Frauenzimmer saß, indeß ein alter Mann, dessen gelbe Kappe ihn gleichfalls als einen Juden zu erkennen gab, mit dem Ausdrucke der tiefsten Verzweiflung auf und nieder ging, und ohne Unterlaß die Hände rang, als habe er ein schreckliches Unglück zu beklagen.

Auf Athelstane's und Cedric's Fragen nach der Ursache seines Zustandes, konnte er eine Zeitlang blos durch Verwünschungen der Kinder Ismaels antworten, welche gekommen wären, ihn mit der Schärfe des Schwertes zu schlagen. Als er sich endlich ein wenig von seinem Schrecken erholt hatte, begann Isaac von York (denn es war unser alter Freund) zu erzählen, daß er zu Ashby eine Wache von sechs Mann gedungen habe nebst Mauleseln, um die Sänfte eines kranken Freundes zu tragen. Diese Leute nun hätten unternommen, ihn bis Doncastle zu geleiten. Bis hieher wären sie glücklich gekommen, allein als jene von einem Holzschläger erfahren, daß eine große Bande Geächteter hier umher im Hinterhalt lägen, hätten diese Miethlinge Isaac's nicht nur die Flucht ergriffen, sondern auch die Thiere mit sich genommen, welche die Sänfte getragen und so den Juden und dessen Tochter ohne Mittel zur Vertheidigung oder zum Entkommen gelassen, den Plünderern und Mördern zur Beute, denn sie mußten nun erwarten, daß jeden Augenblick die Räuber auf sie losbrechen würden. »Wolltet Ihr es nicht erlauben, tapfere Herren,« setzte Isaac in dem Tone der tiefsten Unterwerfung hinzu, »daß ein armer Jude unter Eurem Schutze reisen darf; ich schwöre es bei unsern Gesetztafeln, nie soll eine Gunst mit mehr Dankbarkeit von einem Kinde Israels erkannt worden sein.«

»Hund von einem Juden,« sagte Athelstane, dessen Gedächtniß von der kleinlichen Art war, kleinliche Dinge, besonders Beleidigungen, lange zu behalten; »denkst Du denn nicht mehr daran, wie Du uns auf der Gallerie am Turnierplatze behandelt hast? Von uns hast Du keine Hülfe zu erwarten, und wenn die Geächteten Dich berauben, der Du alle Welt beraubst, so halte ich sie für die rechtlichsten, bravsten Leute von der Welt.«

Cedric war nicht dieser Meinung. »Wir werden besser thun,« sagte er, »zwei Leute von unserem Gefolge und zwei Pferde hier zu lassen, um sie zum nächsten Dorfe zu bringen. Unsere Stärke wird dadurch nicht vermindert, und mit Eurem guten Schwerte, Athelstane, und der Hülfe derer, die uns bleiben, wird es uns ein Leichtes sein, zwanzig von diesen Landläufern die Spitze zu bieten.«

Rowena, durch die Erwähnung bewaffneter Geächteter in ihrer Nähe bestürzt gemacht, unterstützte den Vorschlag ihres Vormundes; da verließ Rebecca auf einmal ihre gebückte Stellung, ging durch das Gefolge auf den Zelter der sächsischen Dame zu, kniete hier nieder und küßte, nach Art der Morgenländer, wenn sie sich an Vornehmere wenden, den Saum von Rowena's Gewande. Dann stand sie auf, schlug den Schleier zurück und bat sie im Namen des Gottes, den sie beide verehrten, und bei der Offenbarung des Gesetzes, woran sie beide glaubten, sie möchte sich ihrer erbarmen und erlauben, daß sie unter ihrem Schutze weiter reisen dürften. »Nicht für mich selbst,« sagte Rebecca, »flehe ich Euch um diese Gunst, auch nicht für diesen alten Mann, ich weiß, die Christen halten es nicht für eine große Sünde, unser Volk zu mißhandeln und zu berauben, ob dies nun in Städten, Wüsten oder im Felde geschieht, ist einerlei. Allein es ist Jemand hier, der auch Euch theuer ist, und in dessen Namen flehe ich Euch an, laßt den armen Kranken sorgsam unter Eurem Schutze fortgebracht werden; denn sollte ihm ein Unfall begegnen, so würden Eure letzten Lebensstunden noch mit Reue darüber erfüllt werden, daß Ihr versagtet, warum ich flehte.«

Die edle und feierliche Art, womit Rebecca ihre Bitte vortrug, gaben ihr bei der sächsischen Schönen doppeltes Gewicht.

»Laßt doch,« sagte sie zu ihrem Vormunde, »zwei von den Lastthieren abladen und das Gepäck auf zwei andere hinter den Dienern packen; die Maulthiere können dann die Sänfte tragen und wir haben noch ledige Pferde für den alten Mann und seine Tochter.«

Cedric ließ es sich leicht gefallen, und Athelstane fügte blos die Bedingung hinzu, daß sie beim Nachtrabe bleiben sollten, wo Wamba, wie er meinte, sie mit seinem Schilde von geräuchertem Schweinfleisch schützen könnte.

»Ich habe meinen Schild auf dem Turnierplatze gelassen,« versetzte der Narr, »so wie es auch wohl bessern Rittern ergangen ist, als ich bin.«

Athelstane wurde roth vor Zorn, denn das war eben auch sein Schicksal bei dem Turniere gewesen. Rowena aber freute sich über den Scherz des Narren, und gleich als wollte sie ihres Begleiters unziemliche Aeußerung vergüten, bat sie Rebecca neben ihr zu reiten.

»Nein,« sagte diese mit stolzer Demuth, »das möchte sich doch nicht schicken; meine Gesellschaft würde nicht ehrenvoll für meine Beschützerin gehalten werden.«

Das Gepäck wurde schnell aufgelegt, denn das bloße Wort Geächtete, machte jeden thätig und geschwind, zumal da die Dämmerung die Bedeutung jenes Wortes noch verstärkte. Unter dem Gewühl wurde Gurth vom Pferde gehoben; sogleich bat er den Narren, ihn etwas lockerer zu binden, was Wamba auch that, so daß es Gurt nicht schwer ward, sich der Fesseln gänzlich zu entledigen. Hierauf schlüpfte er in's Dickicht und entkam glücklich von der Truppe.

Gurth's Entfernung wurde erst bemerkt, als die Furcht vor einem Angriffe der Geächteten immer größer ward, daher denn auch nicht viel darauf geachtet werden konnte.

Der Pfad, auf dem sich der Zug fortbewegte, war so schmal, daß nicht füglich zwei Personen neben einander reiten konnten, auch fing er an sich in ein enges Thal zu verlieren, wodurch sich ein Bach hinzog, dessen Ufer zerrissen, sumpfig und mit kurzen Weidenbüschen bewachsen waren. Cedric und Athelstane, welche sich an der Spitze des Zuges befanden, erkannten sehr wohl die Gefahr, hier angegriffen zu werden. Da aber beide nicht viel von der Kriegskunst verstanden, so kannten sie keine bessere Art, der Gefahr zuvorzukommen, als so viel als möglich zu eilen. Sie rückten daher ohne große Ordnung vor, und hatten mit einem Theile ihres Gefolges kaum den Bach überschritten, als sie auf einmal von vorn, in den Seiten und im Rücken mit einer Heftigkeit angegriffen wurden, der sie, unvorbereitet wie sie waren, keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen konnten.

Beide sächsische Führer wurden in demselben Augenblicke gefangen genommen, und jeder unter Umständen, welche seinen Charakter bezeichneten. Cedric schleuderte in dem Augenblicke, wo einer der Feinde sich ihm näherte, den noch übrigen Wurfspieß auf ihn, und nagelte den Mann gerade an einen Eichbaum, der hinter ihm stand. Nun sprengte er gegen einen zweiten, und indem er das gezogene Schwert mit so unbedachtsamer Wuth schwang, daß es auf einen dicken Ast traf, der oben über ihm hing, wurde er durch die Heftigkeit seines eigenen Streichs entwaffnet. Zwei bis drei der Räuber zogen ihn vom Pferde. Athelstane hatte sich aber ergeben müssen, ehe er sich noch in eine vertheidigende Stellung hatte setzen können. Das Gefolge, in dem Gepäck verwickelt und erschrocken über den Fall der Anführer, wurde eine leichte Beute der Angreifenden, und Lady Rowena nebst dem Juden und seiner Tochter hatten dasselbe Schicksal.

Von dem ganzen Zuge entkam Niemand außer Wamba, der bei dieser Gelegenheit mehr Muth bewies, als man ihm hätte zutrauen sollen. Nachdem er sich eines Schwertes bemächtigt hatte, versuchte er sogar seinem Herrn zu Hülfe zu kommen, allein da dies unmöglich war, sprang er vom Pferde und entschlüpfte in dem Dickicht der Waldung.

Der tapfere Narr war kaum gerettet, als ihm der Zweifel einfiel, ob er nicht lieber wieder umkehren und die Gefangenschaft mit seiner Herrschaft theilen solle.

»Ich habe,« sagte er zu selbst, »die Leute so viel von dem Glück der Freiheit reden hören, nun hab' ich sie und wünschte, es lehrte mich auch Jemand, wie ich sie benützen könnte.«

Kaum hatte er diese Worte laut vor sich gesprochen, als eine Stimme leise und vorsichtig rief: »Wamba!« und in dem Augenblicke sprang ein Hund, den er sogleich für Packan erkannte, liebkosend auf ihn zu. »Gurth!« erwiederte Wamba eben so leise und vorsichtig, und der Schweinehirt stand vor ihm.

»Was ist denn das?« fragte er ängstlich, »was bedeutete das Schwertgeklirr?«

»Alle gefangen!« sagte Wamba.

»Wer denn gefangen?« fragte Jener.

»Mein Herr, meine Lady, Athelstane, und Hundebert und Oswald!«

»Um Gottes willen, wie, und von wem?«

»Mein Herr,« sagte der Narr, »war zu schnell zum Fechten, Athelstane zu langsam, und die Andern fochten ganz und gar nicht. So sind sie von den grünen Langröcken mit den schwarzen Larven gefangen worden. Alle liegen nun wie Holzäpfel auf dem Boden, die Ihr für Eure Schweine schüttelt. Ich würde dazu lachen, wenn ich nur vor Weinen könnte,« setzte der ehrliche Narr hinzu, und Thränen rollten unfreiwillig über seine Wangen.

Gurth bekam plötzlich Muth. »Wamba,« sagte er, »Du hast eine Waffe, und Dein Herz ist stets stärker gewesen, als Dein Kopf, wir sind zwar nur unser zwei, allein ein schneller Angriff von entschlossenen Männern kann viel bewirken – komm! folge mir!«

»Wohin? und wozu?« fragte der Narr.

»Cedric zu befreien!«

»Aber Du hast Dich ja seinem Dienste entzogen?« sagte Wamba.

»Das war nur, so lange er glücklich war! Folge mir!«

Als sich der Narr eben anschickte zu gehorchen, erschien plötzlich noch eine dritte Person, und befahl Beiden Halt zu machen. Aus der Kleidung und den Waffen derselben schloß Wamba fast, er möchte zu den Geächteten gehören, welche seinen Herrn eben angegriffen hatten, allein außerdem, daß er keine Maske trug, machte das glänzende Gehänge über seiner Schulter, woran das reiche Jagdhorn hing, so wie der ruhige und gebietende Anstand, ihn trotz der Dämmerung als den Landmann Locksley kenntlich, der den Preis in dem Bogenschießen beim Turniere erhalten hatte.

»Was bedeutet das?« fragte er, »wer raubt und plündert hier und macht Gefangene?«

»Du kannst sie gleich an ihren grünen langen Röcken erkennen,« sagte Wamba, »siehe, ob es nicht Deiner Kinder Kleider sind, Dein's und ihre sehen sich ähnlich, wie eine Erbsenschote der andern.«

»Das will ich gleich erfahren,« sagte Locksley, »aber Ihr rührt Euch nicht vom Platze, bis ich wiederkomme, bei Gefahr Eures Lebens! Gehorcht mir! Es soll Euch und Eure Herren nicht gereuen! Ich muß mich aber selbst ihnen so ähnlich machen als möglich.«

So sprechend nahm er das Gehänge mit dem Horn ab, und die Feder von dem Hute herunter, und gab Beides Wamba; dann zog er eine Larve aus der Tasche, befahl ihnen nochmals still zu bleiben, und ging, seine Nachforschung auszuführen.

»Sollen wir stehen bleiben, Gurth?« sagte Wamba, »oder sollen wir ihn hinters Licht führen? Er hat ja die ganze Diebskleidung so in Bereitschaft, daß er unmöglich ein ehrlicher Mann sein kann.«

»Wäre er auch der Teufel,« sagte Gurth; »wir können durch unser Warten nichts schlimmer machen. Gehört er wirklich zur Bande, so kann uns weder Fechten noch Flucht etwas helfen. Er hat ihnen gewiß schon ein Zeichen gegeben.

Ueberdies habe ich die Erfahrung gemacht, daß solche Erzdiebe gerade nicht die schlimmsten Leute sind, mit denen man zu thun haben kann.«

In wenig Minuten war der Yeoman zurück.

»Freund Gurth,« sagte er, »ich habe mich unter die Kerls gemischt, und weiß, wem sie angehören. Gegen die Gefangenen, denk' ich, werden sie sich keine wirkliche Gewaltthätigkeit erlauben. Für drei wäre es mehr als Wahnsinn sie angreifen zu wollen, denn es sind keine schlechten Kriegsknechte und sie haben überall Schildwachen ausgestellt. Allein ich denke schon eine solche Macht zusammen zu bringen, daß ihnen alle ihre Vorsicht nichts helfen soll. Ihr seid beide Diener, aber, wie ich glaube treue Diener von Cedric dem Sachsen, dem Freunde der Rechte der Engländer. Nun, es soll ihm an englischen Händen nicht fehlen, ihn aus dieser Noth zu retten. Folgt mir also, bis ich mehr Hülfe zusammenbringen kann.«

Mit großen Schritten ging er nun durch den Wald hin, und der Narr und Schweinehirt folgten ihm getrost nach. Es lag aber nicht in Wamba's Natur lange schweigend fortzuwandeln.

»Ich glaube,« sagte er, indem er das Gehänge und das Jagdhorn ansahe, das er noch immer in der Hand trug; »ich hätte den Bogen gesehen, der dieses als Preis gewonnen hat, und das ist nicht so lange her als Weihnacht.« –

»Und ich,« sagte Gurth, »ich wollte wetten, ich hätte die Stimme des guten Yeoman gehört, der's gewonnen hat, bei Nacht sowohl als bei Tage, und der Mond ist seitdem nicht drei Tage älter geworden.«

»Meine ehrlichen Freunde,« sagte der Yeoman, »wer oder was ich bin, thut hier nichts zur Sache; kann ich Euren Herrn befreien, so habt Ihr Ursache, mich für den besten Freund zu halten, den Ihr in Eurem Leben gehabt habt, übrigens braucht Ihr Euch um meine sonstigen Verhältnisse nicht im Geringsten zu bekümmern.«

»Unsere Köpfe stecken in des Löwen Rachen,« sagte Wamba ganz leise zu Gurth, »ziehen wir sie heraus, wie es gehen will.«

»Still!« sagte Gurth, »beleidige ihn nicht durch Deine Spässe, ich denke, es soll schon Alles gut gehen.«



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